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Der Statthalter Stut war heute Morgen übel gelaunt und er glaubte ein gutes Recht dazu zu haben. Um halb drei Uhr hatte er die Leute geweckt; um halb vier war er mit ihnen an der Stelle gewesen, wo sie von Alten- und Neuen-Prohnitz zusammenkommen sollten, und der Herr die Leute verteilen und die weiteren Bestimmungen treffen wollte. Nun waren freilich die von Neuen-Prohnitz nicht da, obgleich sie es noch einmal so nahe hatten, kamen aber doch nach einer Viertelstunde, aber ohne den Herrn, und mit einer Nachricht, welche dem Statthalter Stut denn doch sehr verwunderlich war. Der Herr war heute Nacht nach Hause gekommen, so spät, daß Frau Riekmann, die bis ein Uhr auf ihn gewartet, ihn nicht mehr habe kommen hören. Aber zu Hause müsse er gewesen sein, denn der Wächter habe nach zwei Uhr Licht in der Schlafstube gesehen; und von dem Essen, das Frau Riekmann ihm auf alle Fälle hingestellt, habe er ein paar Bissen gegessen, auch auf dem Bett, wenn nicht in demselben, gelegen – alles nach Aussage von Frau Riekmann, die heute Morgen erst in der Wohnstube und dann in der Schlafstube, zu der die Thür offen gestanden, nachgesehen. Das Fenster in der Wohnstube sei offen gewesen; und Frau Riekmann meine, der Herr müsse durch dasselbe gekommen und wieder gegangen sein, denn die Schelle an der Hausthür würde sie gehört haben, wenn sie im Grabe gelegen, anstatt fünf Schritte davon in ihrem Bett. Jedenfalls sei er nicht im Hause und auf dem Hof und auch sonst nirgends zu finden.
318 Er wird schon kommen, sagte Statthalter Stut, wir wollen noch ein bißchen warten.
Er hatte die Wartezeit benutzt, um sich von den Leuten die Sensen zeigen zu lassen und den zehn auf Probe genommenen fremden Arbeitern eine Rede zu halten, laut genug, damit auch die andern davon profitieren könnten, des Inhalts, daß zwar der Herr Baron, wie sie vielleicht gehört hätten, sehr gut sei, und noch keiner ein unschieres Wort aus seinem Munde gehört habe. Dafür sei aber er, der Statthalter Stut, einer, der nicht mit sich spaßen lasse; und das heilige Kreuzdonnerwetter solle dem in den Magen fahren, der nicht seine Schuldigkeit thue. Und das sollten sie sich merken.
Statthalter Stut hatte während seiner Rede, die er absichtlich länger machte, als gewöhnlich, immer scharf auf den Weg nach Neuen-Prohnitz geblickt; aber der Herr ließ sich nicht sehen. Es war vier Uhr durch, und eine Sünd' und Schand' um die schöne verlorene Zeit. So sagte denn Statthalter Stut: sie wollten in Gottes Namen anfangen; ordnete die Leute, nahm seine Sense und that selbst den ersten Schnitt, trat dann aber wieder aus der Reihe heraus, weil er heute, bis der Herr kam, an dessen Stelle stand und er den neuen zehn Arbeitern gar nicht traute. Es zeigte sich nun freilich bald, daß dies Mißtrauen ungerechtfertigt war, und der Herr, der die Leute selbst angenommen, wieder einmal mit seinem einen Auge besser gesehen, als gewisse andere mit ihren zweien; aber wenn Statthalter Stut auch so in seinem Innern dem Herrn Abbitte leistete – das war doch gewiß nicht recht von dem Herrn, an einem solchen Tage ihm die ganze Verantwortung auf die Schultern zu legen, wo man gar nicht wissen konnte, ob sich das Wetter halten werde. Denn das Gewitter, das heute Nacht nicht herauf gekommen war, stand noch immer fest im Westen; das Quecksilber im Barometer hatte heute Morgen nicht steigen wollen, wie arg er auch an der Röhre geklopft, und die Kühe auf dem Dresch fraßen so gierig, daß er den dumpfen Donner selbst aus dieser Entfernung hören konnte, als er jetzt auf dem Kreuzwege stand, aber nicht mehr nach 319 Neuen-, sondern nach Alten-Prohnitz sah, von woher das Frühstück für die Leute um acht Uhr zur Stelle sein sollte, und jetzt um viertelneun war noch nichts davon zu sehen.
Also konnte der Herr auch nicht dort sein: er würde Frau Pahnk wohl auf den Marsch gebracht haben! Wenn er aber weder in Neuen-, noch in Alten-Prohnitz war, wo in Gottes Namen steckte er denn? In den ganzen zehn Jahren, daß er nun hier bei ihm als Statthalter diente, war so etwas nicht passiert! Endlich! da kam der Wagen von dem Hofe! So würde man doch erfahren, was das zu bedeuten habe!
Aber die Leute-Köchin, welche die Sendung begleitete, anstatt Frau Pahnk, die an solchen Tagen sonst immer in Person erschien, wußte auch nichts; nur, daß der Herr Baron heute Morgen noch nicht auf dem Schlosse gewesen sei, wo ihn alle Welt erwarte von wegen der großen Gesellschaft; und Statthalter Stut solle sogleich ein paar Männer hereinschicken, lasse ihm Frau Pahnk sagen, und Frau Pahnk brauche auch noch drei Frauen für die Küche; und zu Mittag sollte der Statthalter selber kommen, da der junge Herr, der noch nicht auf sei, sicher mit ihm über die Stallung für die fremden Pferde heute Abend werde sprechen wollen.
Das hatte nun noch gerade gefehlt, um des Mannes üble Laune zum Ausbruch zu bringen. Niemand habe ihm zu befehlen, als der Herr; und der Herr habe vorgestern, als er wegfuhr, gesagt, daß heute alle Mann und alle Frauensleute von Alten- und Neuen-Prohnitz Roggen schneiden und binden sollten; aber von auf dem Hofe, oder im Hause, oder in der Küche helfen habe er kein Sterbenswort gesagt; und das solle sie, Rike, Frau Pahnk und jedem, der es hören wollte, vermelden mit einem schönen Gruß vom Statthalter Stut.
Ich werd' mich wohl hüten, sagte Rike, und wenn Sie vernünftig sind, Stut, dann thuen Sie, was Frau Pahnk will. Sie ist ein bißchen länger hier, als Sie, Stut; und hat bei den Herrschaften einen mächtigen Stein im Brett.
Ist mir alles eins; sagte Stut.
Zehn Minuten später saß denn auch richtig Rike ohne die 320 zu Hof geforderten Leute auf dem heimkehrenden Wagen, den der Statthalter mit grimmigen Blicken verfolgte, entschlossen, wenn der Herr nicht selber komme oder ihm Ordre sende, keinen Mann und keine Frau hineinzuschicken, vor allem: für sein Teil nicht vom Platz zu weichen, und »wenn man zehn Pferde davor spannte.«
Während Statthalter Stut auf dem Felde unter der glühenden Sonne bei allem Aerger doch die Genugthuung hatte, daß die Arbeit, für die er heute verantwortlich war, so gut aus der Stelle rückte, als wäre der Herr selbst fortwährend zugegen gewesen, hatte Frau Pahnk in dem großen schattigen Hause freilich auch ihre liebe Not, aber nichts als Kummer und Herzeleid bei einem Geschäft, von dem sie ein Mal über das andere erklärte, es werde ein Ende mit Schrecken nehmen. Bis gestern Abend waren vierzig Personen eingeladen gewesen, und heute Morgen mußte sie erfahren, daß Excellenz auf dem Fest beim Fürsten weitere vierzig mündlich invitiert, die sämtlich ihr Erscheinen zugesagt hätten, also genau doppelt soviel, als auf welche sie eingerichtet war, und für welche die Tafel unten im Speisesaal bereits gedeckt stand. Die schöne Tafel, die nun eingerissen und mit den nötigen Erweiterungen in dem großen Saale oben wieder aufgebaut werden mußte! Und noch war sie mit dieser schmerzlichen Aufgabe nicht halb zu Ende, als zu ihrem größten Schrecken Excellenz selbst im Schlafrock und mit der Nachtmütze auf dem Kopf erschien und mit großer Heftigkeit erklärte, davon könne gar keine Rede sein: der große Saal müsse durchaus für den Empfang der Herrschaften reserviert bleiben; auch wünsche er das Souper nicht an einer oder zwei Tafeln serviert, was ganz bäurisch aussehe, sondern an zehn kleinen Tischen zu je acht Personen, wie es gestern bei Seiner Durchlaucht gewesen sei, und für die man die nach dem Garten gelegenen Kabinetts zu benutzen habe.
So war dieselbe Arbeit zum drittenmale vorzunehmen, noch dazu unter den erschwerendsten Umständen, da die von Excellenz bezeichneten Kabinetts erst einmal von den alten Möbeln, mit denen sie vollgestopft waren, geräumt werden mußten, damit nur überhaupt für die Tische Platz wurde.
321 Doch mochten Arbeit und Geduld diese Schwierigkeiten überwinden; unüberwindlich erklärte Frau Pahnk die andere, Speise und Trank für achtzig Personen zu schaffen. Schüttelte doch schon jetzt der französische Koch, den Durchlaucht zur Aushilfe zu schicken versprochen hatte, und der auch vor einer Stunde mit zwei Küchenjungen angekommen war, sehr bedenklich den Kopf, und hatte sogar zu ihr geäußert, daß er »aus nix nix machen könne«, worüber sie vor Scham am liebsten durch den Estrich ihrer eigenen Küche in den Keller versunken wäre.
Unter so mißlichen Umständen, die ihre Wirtschafterinnenehre in augenscheinlichste Gefahr brachten, würde Frau Pahnk völlig verzweifelt sein, hätte sie nicht, als sie »mit ihrem Latein zu Ende war«, an Fräulein Hertha, die nun endlich auch erschien, und der sie weinend ihre große Not klagte, einen sicheren Halt und stets sich bewährenden guten Rat gefunden. Noch nie war ihr die sichere Ueberlegenheit der jungen Herrin in Dingen, welche sie doch für ihre ganz eigentliche Domäne hielt, so zum Bewußtsein gekommen, als an dem heutigen prüfungsreichen Tage. Fräulein Hertha wußte wohin mit den überflüssigen Möbeln, und woher man die nötigen zu nehmen hatte, als wenn sie die Dinge fort- und heranzaubern könnte. Wiederum genügte eine kurze Unterredung mit dem Koch, um den Mann, der schon Miene gemacht hatte, eine Arbeit, die zu nichts Rechtem führen könne, einzustellen, in den eifrigsten und zugleich bescheidensten Helfer zu verwandeln. Madame habe völlig recht; es ließe sich viel aus wenig machen, wenn man nur den guten Willen habe; hier aber könne davon nicht die Rede sein: Geflügel zum Braten sei im Ueberfluß vorhanden; an Eiern, Butter, Mehl und Milch zu süßen Speisen fehle es durchaus nicht, und wenn Madame nur noch die Güte hätten, ihm einige Ingredienzien, derer er freilich bedürfe, sowie diverser Sachen, welche er sich aufzuschreiben erlauben würde, aus Prora kommen zu lassen, und ihm vielleicht noch einige Aushilfe für die gröbere Arbeit verschaffe, so mache er sich anheischig, bis heute Abend neun Uhr für zweihundert 322 Personen, geschweige denn für achtzig ein Souper herzurichten, das dem gestrigen bei Durchlaucht in nichts nachstehen sollte.
So war Frau Pahnk auch dieser schweren Sorge überhoben; und ihre in den Frühstunden so gedrückte Stimmung wäre schier in die ganz entgegengesetzte umgeschlagen, hätte Fräulein Hertha nur ein einziges Mal lachen wollen oder eines jener übermütigen Scherzworte geäußert, mit denen sie doch sonst und gerade, wenn es darunter und darüber ging, am liebsten ihre »dumme alte gute Pahnk« zu necken pflegte. Aber vergebens, daß sie in dem lieben Gesicht nach einem Lächeln spähte, mit dem sie heute schon zufrieden gewesen wäre; vergebens, daß sie sich das Herz faßte und sich über sich selbst und die Angst, die sie so unnötig ausgestanden, lustig machte – Fräulein Hertha blieb blaß und ernst. Ja, es wollte sie bedünken, als ob Fräulein Hertha geflissentlich nicht auf ihre Reden hörte, oder sie darauf hin wohl gar mit einem Blick ansah, so fremd und kalt, wie sie nie sich hatte träumen lassen, daß ihr Herzenskind, ihr Herthing, jemals auf sie blicken könne. Was hatte Herthing nur gegen sie? Wenn sie den Herrn Baron nicht liebte – und daß sie es nicht that, davon war sie ihrerseits überzeugt – nun, so konnte Herthing doch nur froh sein, den triftigsten Grund zu haben, eine Sache aufzugeben, aus der nun und nimmer etwas Gutes für sie kommen konnte. Ein wie schlechtes Gewissen der Herr Baron hatte, das war doch sonnenklar! Gestern zu Durchlaucht auf den Ball war er nicht gekommen; heute hatte er sich noch nicht sehen lassen, und vorhin hatte Rike die Nachricht gebracht, daß man ihn ebenso draußen auf dem Felde bis zur Stunde vergeblich erwartete! Nun, wenn nicht früher, heute Abend spätestens mußte er sich ja einstellen, und dann würde es die nötige Auseinandersetzung zwischen ihm und Herthing geben. Fürchtete sie sich davor? Oder grämte sie sich nun erst recht darüber, daß sie trotz alledem ihren Gustav nicht zurück bekam? Ja, das mußte es sein. Und war auch der Grund, weshalb sie nicht einmal nach Gustav fragte. Der arme Gustav! der war ja womöglich noch schlimmer daran, als Herthing! Die war doch nur 323 verlobt mit einem, den sie nicht liebte, und den sie wieder fortschicken würde, wie sauer ihr das auch aus anderen Gründen ankommen mochte; er aber, der arme Junge, war verheiratet nit einer, die er haßte – er hatte es ihr ja selbst gesagt! – und von der er nicht los konnte, und wenn er auch gern sein halbes Leben darum gegeben hätte, um für die andere Hälfte mit Herthing vereinigt zu sein. Auch das waren seine eigenen Worte; und heiße Thränen hatten ihm, als er sie gesagt, in den schönen Augen gestanden! Und nun mußten die beiden, die sich hoffnungslos liebten, ein Fest herrichten helfen zu Ehren der, welche sich zwischen sie gedrängt hatte – der ausländischen Person, an der alle Welt einen Narren gefressen, voran der alte Kammerherr, der heute Nacht todkrank gewesen und seit dem frühesten Morgen im Hause herum regierte und das Oberste zu unterst kehrte, als hätte er nie das Podagra gehabt! Und bei Gott! da schickte Durchlaucht eben wieder einen ganzen Wagen voll Blumen »zur Ausschmückung der Tafel« – als wenn wir nicht selber mehr Blumen im Garten hätten, als wir brauchen können, Fräulein Herthing! und außerdem zwei Bouketts – dies soll für sie sein, Fräulein Herthing, und das andre, das so groß ist wie ein Wagenrad, hat der Kammerdiener der gnädigen Frau selber zu überreichen! Eben ist er damit zu ihr. Ich bin nur neugierig, ob sie schon auf ist. Gesehen habe ich heute Morgen noch nichts von der Gesellschaft, und gehört auch nichts: bloß das Schreien von der armen lütten Gör. Sie wird wohl nicht mehr lange zu schreien haben bei der Behandlung!