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Während Clas im Gastzimmer den fremden Herrn bewirtete, hatte Lieschen oben aus besten Kräften versucht, für die Frauen und das Kind zu sorgen, und damit, wie sie sich sehr bald überzeugte, eine schwere Aufgabe unternommen. In der ersten Zeit freilich – solange der fremde Herr selbst zugegen war, – hatte sich die Sache ganz leidlich angelassen. Er war, seine junge Frau am Arme, durch die Zimmer gegangen und hatte Lieschens Vorschläge hinsichtlich der Verteilung derselben ganz praktikabel gefunden. Dann hatte er gefragt, ob die Küche wohl ein Hühnchen mit Reis zum Abendbrot für die Frauen hergebe und für ihn irgend etwas, das schnell fertig sei? Und auf Lieschens bejahende Antwort lachend gesagt, so sei alles in schönster Ordnung; und Lieschen hatte es auch gemeint und war in die Küche hinab gegangen, um Stine ans Werk zu setzen, während sie Mine nach oben schickte, damit sie dort helfe, so gut sie könne.
Aber schon nach fünf Minuten war Mine heulend wieder herunter gekommen: was sie wohl da oben solle, wo sie kein Mensch verstehe, und die alte Hexe wie der leibhaftige Teufel herum tobe und ihr fortwährend, sie wisse nicht warum, mit sämtlichen zehn schwarzen Fingern in die Augen fahren wolle? Kein Mensch auf der Welt bringe sie wieder hinauf, und wenn sie darüber auf der Stelle aus dem Hause müßte; sie habe ihren Dienst für Christenmenschen, aber nicht für Heiden und Türken. – Damit hatte sie sich auf einen Schemel geworfen und weiter geheult, während Stine, welche eben die geschlachteten Hühnchen rupfte, meinte: Mine, du bist nicht klug; die sollte mir nur kommen, ich wollte ihr Bescheid sagen.
47 So hatte denn Lieschen die Küchen-Angelegenheit Stine überlassen und war mit klopfendem Herzen wieder nach oben gegangen, wo sie allerdings die Dinge zum Schlimmeren verändert fand. Der freundliche Herr war bereits unten, und an seiner Stelle hatte die schreckliche Alte das Regiment übernommen, welches darin bestand, daß sie die Sachen, die mittlerweile hinauf geschafft waren, durch sämtliche Zimmer zerrte, hier eines der wunderlichen Bündel aufriß und den Inhalt umher streute, dort ein anderes in die Ecke schleuderte, die Betten zerwühlte, die reinlichen Laken mit zerrissenen Wolldecken vertauschte und so vor Lieschens Augen die sauberste Ordnung in die greulichste Unordnung verwandelte. Dazu keifte sie in ihrer unverständlichen Sprache mit einer wunderbaren Zungenfertigkeit, wobei sie fortwährend aus den tiefsten Tönen in ein helles Zetern verfiel, so daß es Lieschen war, als ob ein halbes Dutzend Menschen zugleich sich mörderlich zankten, während das Kind, das auf einem Haufen Decken mitten in dem besten Zimmer und im hellen Zuge auf der Diele lag, jämmerlich schrie und – zu Lieschens nicht geringer Verwunderung und Entrüstung – die junge Frau, den schönen Kopf in die Hand gestützt, lässig in der Ecke des Sofas kauerte und mit den sanften, braunen Augen so ruhig in den Wirrwarr blickte, als ob sie das alles nicht im mindesten angehe.
Lieschen, welche, ohne daß sie eine Ahnung hatte, was die Alte wollte, bereits die von Mine so gefürchteten schwarzen Finger derselben wiederholt dicht vor ihren Augen gesehen hatte, stand auf dem Punkte, das Beispiel der Magd nachzuahmen und weinend aus dem Zimmer zu laufen, als sie eine Gebärde der jungen Frau zurück hielt. Sie hatte sich aus ihrer Ecke aufgerichtet und winkte sie jetzt zu sich heran, indem sie zugleich auf das schreiende Kind deutete. Lieschen verstand sie sofort, nahm das Kind und brachte es der Mutter, die bereits den reizendsten Busen entblößt hatte und das Kleine anlegte, welches sich denn auch alsbald beruhigte und gierig trank. Ueber dem entzückenden Anblick war Lieschen alle Angst und aller Unwille vergangen; dafür waren ihr, die daran dachte, wie bald sie selbst so 48 ein süßes Geschöpfchen an ihrer Brust halten würde, die Thränen in die Augen gekommen. Und als dann das einschlafende Kind von der Mutterbrust abließ, nahm sie es und trug es mutig an der zeternden Alten vorüber nach der Wiege, welche für das eigene erwartete Kind längst bereit stand, und die sie gleich anfangs für das fremde in das Schlafzimmer nebenan hatte stellen lassen. Da bettete sie denn reinlich das kleine Geschöpf – das viel zu schön und zart war, um nicht ein Mädchen zu sein – entschlossen, wenn die Alte sie dabei nicht gewähren lassen sollte, es aufs äußerste ankommen zu lassen. Aber zu ihrer großen Beruhigung und Freude blieb sie unbehelligt; die Alte schien sich ausgetobt zu haben oder war durch ein paar Worte der jungen Frau, welche Lieschen durch die offen gebliebene Thür wohl vernahm, beruhigt worden. Freilich, meinte Lieschen, wer sich durch eine solche Stimme nicht beruhigen ließe, der müsse nicht bloß den Teufel im Leibe haben, sondern der Teufel selber sein. Das hatte so süß geklungen wie Schwalbengesang am frühen Morgen; und Lieschen waren wieder die Thränen in die Augen gekommen, und sie hatte sich zugeschworen, um der jungen Mutter willen, die ja selbst noch ein Kind war, und hier um der blassen Kleinen willen, die schon beinahe wie ein Engel aussah, es unten in der Küche mit der bösen Alten aufzunehmen, und wenn sie es noch ärger als arg treiben sollte.
Denn die Alte war nach den Worten der jungen Frau aus dem Zimmer gerannt und die Treppe hinabgepoltert, und Lieschen hörte bereits die gräßliche Stimme unten von dem Hausflur her. Da würde es denn bald genug in der Küche losgehen. So trat sie denn an die junge Frau heran und sagte ihr – von der sie durch den jungen gnädigen Herrn wußte, daß sie ein wenig Deutsch verstehe und auch zur Not sprechen könne – sie müsse einmal unten in der Küche nach dem Abendbrot sehen; und wenn die gnädige Frau, die gewiß müde sei, ein Stündchen schlafen wolle, so solle sie es in Gottes Namen thun: die Kleine schlafe auch, und sollte sie ja aufwachen, so würde die gnädige Frau es durch die offene Thür hören. Darauf hatte die 49 gnädige Frau zwar nicht geantwortet, aber so süß gelächelt, daß Lieschen annehmen durfte, sich, wenn nicht durch ihre Worte, so doch durch ihre Blicke und Fingerzeige verständlich gemacht zu haben. In ihrer Freude küßte sie der schönen, klugen Fremden die schmale, reich beringte weiße Hand, rückte ihr ein Kissen unter den Kopf, zog ihr eine Decke über die in roten, goldbesetzten Pantoffeln steckenden Füßchen und verließ, indem sie trotz ihres Zustandes auf den Zehen zu gehen versuchte, das Zimmer.
Die Alte war bereits in der Küche, wie Lieschen aus dem Lärm durcheinander schreiender und heulender Stimmen deutlich genug entnehmen konnte. Schnell öffnete sie die Thür und blieb auf der Schwelle stehen, erschrocken und belustigt zugleich. Die starke Stine, die es mit jedem Manne aufnahm, hatte die dürre Alte an beiden Schultern gepackt und drückte sie eben vor sich nieder in die Kniee, um sie dann in einer Weise zu schütteln, daß von dem herumgewirbelten Kopf das rote Tuch herabflog und die strähnigen Haare nach allen Seiten starrten.
Laß sie los, Stine! rief Lieschen.
Stine schüttelte, statt zu antworten, ihre besiegte Gegnerin noch ein paar Sekunden kräftiger als zuvor, hob sie dann empor und sagte, die Taumelnde haltend: Das sei nur für den Anfang; und wenn sie noch nicht genug habe, so wolle sie, Stine, wieder von vorne anfangen; aber sie sage ihr im voraus, dann werde es noch ein bißchen anders kommen.
I, Stine, sagte Lieschen, Du bist wohl nicht klug, sie versteht ja kein Wort von Deinem Plattdeutsch.
I, Frau, erwiderte Stine, Plattdeutsch oder Hochdeutsch, das mag ja wohl für die alte Hexe ein Teufel sein; aber verstanden hat sie mich, darauf können Sie sich verlassen.
Stine hatte das erst halb fertig gerupfte Hühnchen, welches ihr die Alte vorhin aus den Händen gerissen und in den Topf mit siedendem Wasser geworfen, wieder vorgenommen, während jene rückwärts aus der Küche ging, indem sie mit den ausgespreizten Fingern fortwährend in die Luft stieß und dazu 50 Worte keifte, welche, wie Stine meinte, jedenfalls kein Segen waren.
So fand denn Lieschen, nachdem in der Küche Ruhe eingetreten war und auch oben gegen ihre Erwartung alles still blieb, endlich Zeit, in die Kammer hinter der Gaststube zu gehen, um dort an dem Wäschschrank das Tischzeug für die Abendmahlzeit der gnädigen Frau zu nehmen. An dem Schranke kramend, die seltsamen Dinge, die sie eben erlebt, erwägend und darüber grübelnd, wer und woher doch nur die Fremden sein möchten, hörte sie dabei jedes Wort, das Clas in dem Gastzimmer zu dem fremden Herrn sprach, denn der hölzerne Laden, durch welchen bei großen Gelegenheiten die Speisen gereicht wurden, und der sich dicht neben dem Anrichtetisch befand, war nicht ganz zugeschoben, so daß sie nicht bloß hören, sondern wenn sie das Auge an die Spalte legte, auch sehen konnte, was in der Stube vorging. Ich bin nicht neugierig, sagte Lieschen bei sich, ich möchte nur wissen, warum Clas immer allein spricht und den jungen Herrn gar nicht zu Worte kommen läßt.
Und da saß denn – in dem roten Abendlicht, das durch das offene Fenster gerade auf ihn fiel – den Kopf in die Hand gestützt, der fremde junge Herr am Tische, während Clas in seiner gewohnten Weise schwatzte und schwatzte: von Baron Hans und dem Konsul Livonius in Sundin, und dem expressen Brief und von anderen Dingen, die doch den fremden Herrn, meinte Lieschen, gar nicht interessieren konnten, als der plötzlich aufsprang, und Lieschen sah und hörte, was ihr das Herz klopfen machte und ihre Kniee wanken, daß sie sich auf einen Schemel, der glücklicherweise dastand, sinken lassen mußte, oder sie wäre zu Boden gefallen.
Und so kauerte sie noch, als der Wagen mit dem Herrn Baron bereits fort war, und Clas im Hausflur und auf dem Hofe und überall nach ihr rief.
Die arme, junge, schöne Frau da oben! Das arme, junge, schöne Fräulein in Prohnitz! Herr Gott, Herr Gott, wie ging es doch in der Welt zu! Das also war ihrer Tante Pflegekind und Abgott, auf den das arme Fräulein Hertha drei runde 51 Jahre gewartet hatte! Aber so schlecht konnten ja auch nur die Männer sein. Die blutjunge, unschuldige Frau mit ihren sanften Rehaugen wußte gewiß von nichts und sollte nun so ahnungslos dem armen, gnädigen Fräulein zugeführt werden, die ebensowenig ahnte, was ihr bevorstand. Und das alles mit ansehen zu sollen, ohne ein Wort sagen zu dürfen; thun zu müssen, als ob man von nichts wüßte!
Lieschen, Lieschen! rief Clas, die Thür hastig öffnend; mein Gott, Lieschen, wo steckst Du denn? Das Essen für die gnädige Frau ist schon lange fertig –
Ich habe alles gehört, Clas, sagte Lieschen, auf die Spalte des Schiebers deutend.
O weh! sagte Clas, sich hinter dem Ohre krauend.
Er war um die Freude gebracht, etwas zu wissen, was sein kluges Lieschen nicht wußte, aber es war doch besser so: er konnte nun mit ihr die große Sache besprechen; bloß daß Lieschen ihn kaum zu Worte kommen ließ.
Schweig' rein still, Clas, sagte sie, ich will von Dir nichts hören; wie kannst Du noch lachen, wenn so eine Schlechtigkeit unter Deinen leiblichen Augen vor sich geht!
I, Lieschen, sagte Clas, Du bist nicht recht klug; was geht uns denn die Geschichte an. Die vornehmen Herrschaften mögen sehen, wie sie miteinander zurechtkommen. Mir thut nur leid, daß die Herrlichkeit für uns so bald ein Ende hat, denn morgen ist die ganze Gesellschaft mit Sack und Pack in Alten-Prohnitz, darauf hin kenne ich den Baron Hans –
Jawohl, sagte Lieschen bitter, und der soll nun alles wieder in die Richte bringen und dafür sorgen, daß das gnädige Fräulein sich doch um Gotteswillen mit dem Herrn Grafen verlobt. Und der gute Herr Baron Hans thut dem sauberen Herrn Bruder den Gefallen, und das arme Fräulein Hertha wird für ihr Lebtag unglücklich, und das alles, weil Ihr Männer so schlecht seid, daß man – Gott verzeih' mir die Sünde – an dem lieben Herrgott selbst verzweifeln möchte. Aber ich weiß, was ich thue: die unschuldige junge Frau oben soll wenigstens erfahren, woran sie ist.
52 Lieschen, Lieschen, sagte Clas, Du verbrennst Dir die Zunge!
Ist mir alles eins, sagte Lieschen, den Schrank, aus dem sie das Leinenzeug genommen, zuschließend, besser, sich die Zunge verbrennen, als sich das Herz abdrücken lassen von so viel Schlechtigkeit und Lüge.