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Ich war am nächsten Morgen noch nicht aufgestanden, als mir der Kellner Louis ein Billet von Egbert brachte. Das Billet lautete:
Lieber Freund! ich schäme mich meiner Kindereien von gestern und ich schreibe Dir, um Dich zu bitten, Gnade vor Recht ergehen zu lassen und mich nicht, wie ich es reichlich verdient habe, in gewohnter und beliebter Weise zu schrauben. Damit ich doch aber nicht ganz ohne Strafe ausgehe, habe ich eine Einladung zu einer kleinen Fuchsjagd bei meinem Freunde, dem Förster Winzig oben auf dem Nonnenkopf angenommen, die mich so ziemlich den Tag über in Athem halten und mir hoffentlich die Grillen vertreiben wird. Vielleicht kommst Du nach; der Weg ist nicht zu verfehlen, findest auch wohl Begleitung. Also sei nicht bös und grüße Deine Frau, an die Du ja doch wohl heute Vormittag schreibst (die Post passirt Tannenburg Punkt zwölf, die zweite Post geht erst in der Nacht) ohne aus der Schule zu plaudern.«
»Nun das ist nicht übel«, sagte ich.
»Befehlen?« sagte Louis, der schon in der Thür war.
»Nichts; also Herr Egbert ist auf die Jagd gegangen?«
»Nicht daß ich weiß«, sagte Louis, an der Thür umkehrend und seine eine Hand nachlässig auf die Kugel des unteren Bettpfostens stützend, während die andere mit einem Tellertuch, das gestern saubrer gewesen war, leise wehte. »Mister Egbert machten im gewöhnlichen Anzug, mit einem Stocke, den er von mir hat – ich habe sehr gute und sehr billige Stöcke, very fine, mein Herr, vielleicht sind Sie noch nicht versehen – doch schon? well! – eine halbe Stunde nach den Amerikanern fort.«
»So«, sagte ich, »die sind auch schon wieder unterwegs?«
»Nach dem Eiskopf, Mister Bergfeld begleitet sie; wenn Mister Egbert, der über die Helenenquelle gegangen ist, sich beeilt, wird er noch vor ihnen auf dem Nonnenkopf gewesen sein.«
»Heuchler!« sagte ich.
»Befehlen!« sagte Louis.
»Ich meine, wie kann –«
»Noch vor ihnen da sein? – sehr gut, mein Herr! Die Steinmannsstraße – das ist die Chaussee, mein Herr, – macht einen sehr großen Bogen, wegen der Steilität, mein Herr! über die Helenenquelle ist es dreimal so nahe. Very near, Sir!«
Und Louis wedelte mit dem Tellertuch und zupfte, mit einem Blick in den ihm gegenüberhangenden Spiegel, an seiner schwarzen Cravatte.
»Sie sind kein geborner Engländer, Louis?« sagte ich.
Louis lächelte glückselig.
»Von wegen meines Englisch, mein Herr? bitte um Entschuldigung! das lernt sich so, mein Herr; ein ordentlicher Kellner muß Sie alle Sprachen sprechen, mein Herr; bin nicht immer in solchem kleinen Nest gewesen, mein Herr; habe in Wien conditionirt, drei Jahre lang, im Kaiser-Franz-Hotel, mein Herr. Auch in Wien gewesen, mein Herr? sehr schön! war dann in Venedig, nur sechs Monate: parlate italiano? Viele Engländer und Amerikaner dort. Kommt mir jetzt sehr zu paß, mein Herr! wüßte nicht, was man in Tannenburg jetzt ohne mich anfangen sollte.«
»Es wird hier wohl nur noch englisch gesprochen?«
Louis zuckte verächtlich die Achseln.
»Möchten gern, mein Herr! aber, du lieber Gott, das lernt sich nicht über Nacht. No haccent, Sir, no haccent! wie wir im Englischen sagen. A little water, Louis! rief Frau Justizrath Scherwenzel gestern bei Tisch. Die Misses Cunnigsby haben so gelacht, mein Herr! Man muß nämlich sagen: glass of water, please, mein Herr! Sonst nichts zu befehlen, mein Herr?«
» Thank you, no!«
» Very well, Sir!«
Louis zwinkerte mit seinen verschwollenen Aeuglein, als wollte er sagen: wir verstehen uns! und eilte dann, im Vorübergehen noch einen Blick in den Spiegel werfend, tellertuchwedelnd hinaus.
Großer Gott, in welche Narrenanstalt bin ich hier gerathen, sprach ich während des Ankleidens bei mir selbst. Das muß hier in der Luft, oder im Wasser liegen. Wenn ich das gewußt hätte, würde ich in meinem »Vergnügungscommissar« die Farben viel stärker aufgetragen haben. Und dieser Egbert, dieser Schwindler von einem Egbert! »Fuchsjagd!« fürwahr! »Nicht ganz ohne Strafe ausgehn …« warte! ich will Dir Deine Heuchelei eintränken, Deine schändliche Heuchelei! Diese Amerikanerinnen müssen ja die reinen Circen sein! As fair in form, as warm, yet pure in heart, love's image upon earth, without Vers 13f. aus » To Ianthe«, aus » Childe Harold's Pilgrimage«, Preface to Cantos 1-2, von Lord Byron. … Herr des Himmels, nun fange ich auch schon an. Ich will meine Sünden beichten; das soll meine Strafe sein!«
Aber war es die herbstliche Morgensonne, die warm und golden in mein Zimmer schien, war es der dumpfe Klang fallender Kegel, der irgendwoher aus dem Kurgarten zu mir drang, war es eine Unruhe in meinem Blut oder meinen Gedanken – ich kam in dem Briefe an meine Frau nicht über die ersten vier Zeilen hinaus und warf die Feder verdrossen hin. Die Post geht ja überdies erst Mittags von hier weiter!
So verließ ich denn mein sonniges Zimmer und bestieg den Burgberg, den ich wie einen alten Bekannten begrüßte und ungefähr so fand, wie ich es erwartet hatte: ellendicke Mauern aus zum Theil unbehauenen Quadern, Spuren von Festungswerken, wohlverwahrtes Eingangsthor, enger Burghof, feuchter Schatten, behaglicher Sonnenschein, zwischen im Winde säuselnden Epheuranken liebliche Blicke in's weite Land! Darüber ein herrlicher blauer Himmel, an dem nur hier und da ein weißes Wölkchen langsam nach Westen segelte, und aus dem Burghofe herauf das Lachen und Jubeln von Kindern, denselben schönen Kindern, die gestern vor uns auf dem Rasenplatze gespielt hatten.
Auf der Bank vor der Thür zu dem bewohnbaren und bewohnten Theile der Burg saßen zwei Damen, in denen ich die dunkeläugige Mutter der schönen Kinder und ihre überaus häßliche, mir als Fräulein Kernbeißer bezeichnete Begleiterin von gestern Abend erkannte. Ich mußte, als ich aus der Burg kam, an ihnen vorüber. Man grüßte freundlich, hatte bereits erfahren, wer ich war; Fräulein Kernbeißer schrieb viel für die Albums der Novellenzeitungen; die zierliche kleine Frau, Frau Herkules, wie ich jetzt erfuhr – Gattin jenes unlängst verstorbenen Gelehrten, dessen Grammatik der Zulukaffernsprache ein so großes und gerechtes Aufsehen erregte – selbst als Schriftstellerin thätig – sie ist die Verfasserin der reizenden »Blätter aus dem Tagebuche eines sechsjährigen Mädchens« –
» Ciel, wie dies merkwürdig ist!« rief Fräulein Kernbeißer; »wie sich die schönen Seelen doch immer zusammenfinden! Jetzt fehlt uns nur noch Lindau –«
»Um Gotteswillen, lassen Sie diesen Menschen fort«, rief Frau Herkules; »ich fürchte mich vor ihm. Er blickt immer so höhnisch aus seinen langgeschlitzten Augen; man sieht, daß er nichts auf der Welt liebt, als –«
»Seine bewunderungswürdigen Fingernägel«, wagte ich zu ergänzen.
»O, Sie spottsüchtiger Schalk!« rief Fräulein Kernbeißer, und kicherte und nickte und zwinkerte mit den rothen Aeuglein, daß ich in heimlichem Entsetzen meinen Stuhl einen halben Fuß weiter von ihr fortrückte. – »Ihnen hätte ich das nun gar nicht zugetraut! Aber die Médisance scheint euch Männern von heute so nothwendig zu sein, wie das Rauchen. Diesmal indessen werden Sie wohl recht haben. Man erzählt sich ja gräßliche Geschichten von dem Lindau – der wahre Lovelace Figur des Wüstlings in dem Roman »Clarissa« (1748) von Samuel Richardson. – seine letzte Affaire mit der Gräfin Ruppenheim – das ist ja ein Skandal, ein positiver Skandal! Und dann seine grauenhafte Selbstüberschätzung! seine lächerliche Verachtung der Schriftstellerinnen! Ich will nicht von mir reden, – was sind am Ende meine kleinen lyrischen Versuche? Aber eine so geniale Schöpfung –«
»Ich bitte Sie, Liebe!« sagte Frau Herkules mit schüchternem Erröthen.
»Ihr Tagebuch ist ein geniales Werk!« rief Fräulein Kernbeißer; »ein grenzenlos geniales Werk! Fragen Sie –«
»O gewiß, ohne Zweifel!« sagte ich mit höflicher Verbeugung.
»Aber Hochmuth kommt vor dem Fall«, fuhr das alte Fräulein fort; »die Gräfin Ruppenheim ist ihm nicht gut genug gewesen; jetzt zeigen ihm die Amerikanerinnen, daß es noch Mädchen giebt, für die er nicht existirt, positiv nicht existirt. Ich möchte sie küssen die Mädchen für die Verachtung, mit der sie sein absurdes Coquettiren strafen. Küssen möchte ich sie!«
Ich schob meinen Stuhl noch einen halben Fuß weiter zurück. Der Gedanke, von dieser Habichtsnase und diesem wackelnden Knochenkinn geküßt zu werden, konnte in den gesündesten Nerven ein Gefühl von Seekrankheit hervorrufen.
»Sie sind sehr schön, diese Amerikanerinnen?« sagte ich, zu Frau Herkules gewandt.
»Daß Sie sich nur selbst in Acht nehmen mögen!« erwiderte statt ihrer die Habichtsnase.
»Ich bin verheirathet, mein Fräulein, und Vater von vier Kindern«, entgegnete ich mit Würde.
»Als ob das ein Grund für Euch Männer wäre, Euch nicht zu verlieben!« sagte die kleine Frau mit einem sentimentalen Aufschlag der großen dunkeln Augen.
»Dann werden Sie ja um so besser über Ihren Freund wachen können«, sagte die Habichtsnase und wackelte vergnüglich. »Ich kann Sie versichern: es thut Noth, daß sich Einer seiner annimmt. Es ist ja ein Jammer, zu sehen, wie ihm die Liebe zusetzt. Dr. Kühleborn theilte mir im Vertrauen mit, daß er seit der letzten Wägung zehn Pfund verloren hat. Ich begreife unsere jungen Männer nicht.«
»Nun, ich weiß nicht«, meinte die kleine Frau, »für diese holden Geschöpfe könnte ich, glaube ich, auch schwärmen.«
»Das verstehen Sie nicht, Liebe!« sagte das alte Fräulein, indem sie sich ihren Shawl über die schiefen Schultern zog; »wenn wir schwärmen, so ist es für die Schönheit als solche; wir wollen hier, wie überall, nichts für uns. Bei den Männern ist das anders. Für sie ist die Schönheit des Leibes, oder gar der Seele nur ein Vorwand; im Grunde seufzen sie nach der schönen Mitgift, nach ein paar Reitpferden, Jagdhunden, Maitr… nun, ich möchte nicht gern für böswillig gehalten werden. Ich sage nur: was kann Ihr Freund in diesem Falle hoffen?«
»Mein Freund ist sehr wohlhabend«, sagte ich.
»In der That«, sagten die beiden Damen zu gleicher Zeit! »Sieh, sieh, wer hätte das gedacht! Er ist so einfach, der Herr Egbert«, fuhr die mit der Habichtsnase fort, »so sehr einfach! Freilich, wenn er reich ist, läßt sich schon eher davon sprechen. Wie hoch schätzen Sie sein Vermögen?«
Ich nannte irgend eine Summe, und mußte wohl in der Eile etwas hoch gegriffen haben, denn die Damen sahen sich wieder an und sagten, abermals aus einem Munde: wer hätte das gedacht!
»Und er ist unabhängig?« fragte das Fräulein.
»Ganz und gar; Eltern todt, Brüder nie gehabt, Schwestern reich verheirathet.«
Die Habichtsnase nickte nachdenklich. »Nun, nun«, sagte sie; »das sieht schon besser aus; indessen: nicht Jedem würde ein solcher Schwiegervater conveniren. Wer weiß, wie der Mann sein Geld erworben hat! oder wie es drüben« – Fräulein Kernbeißer wies mit ihrem Sonnenschirm in die morgenhelle Landschaft – »mit ihm steht! Warum ist er herübergekommen? und lebt hier in diesem Winkel! Wer sich verbirgt, pflegt es nicht ohne Grund zu thun. Vielleicht, wer weiß es, ist er einer der Mörder des Präsidenten Lincoln!«
»Um Gotteswillen!« kreischte die kleine Frau Herkules.
»Warum nicht?« fuhr die Andere fort; »ist Alles schon dagewesen! Und eines Morgens haben wir die Polizei hier! und ein paar Wochen oder Monate später trägt der saubere Herr seinen Kopf noch etwas höher!« und die alte Dame machte mit ihrem Sonnenschirme eine bezeichnende Bewegung.
Ich schob meinen Stuhl abermals zurück, und wäre dabei um ein Haar von der hochgemauerten Terrasse, auf der wir uns befanden, in den Burghof unter die spielenden Kinder hinuntergestürzt. Die kamen jetzt die Treppe hinaufgestürmt. Sie hatten sich halb verwelkte Astern in die Haare gesteckt und das kleinste Schwarzauge rief:
»Mutter, Mutter; wir wollen Amerikanerinnen spielen; und ich will die Andere machen, und Ella sagt, sie will die Andere machen.«
»Und ich will auch die Andere machen, weil ich schönere Augen habe!« rief Ella.
»Nein, ich habe schönere Augen«; rief die Kleine und fing an zu weinen; Ella lachte höhnisch; die Anderen schrieen dazwischen; der Lärm wurde immer größer. Die Verfasserin der Blätter aus dem Tagebuche eines sechsjährigen Mädchens sah unbeschreiblich hilflos in den Aufruhr. Das alte Fräulein schalt; ich empfahl mich eilends und blickte, während ich den Burgberg hinabstieg, noch ein paar Mal scheu zurück, ob die mit den rothen Augen und der Habichtsnase mir nicht auf den Fersen sei.
Auf dem Platze vor dem Kurhause stand Dr. Kühleborn, in, wie es schien, verdrießlichem Gespräch mit einer alten Aufwärterin.
»Es ist Ihre Schuld«, hörte ich ihn rufen; »bitten Sie sich ein andermal den Schlüssel aus.«
Die alte Frau ging fort, Dr. Kühleborn begrüßte mich, der ich ihm schon gestern vorgestellt war. »Nicht heiter, wie mir däucht, Herr Doctor, an diesem heitern Morgen?« fragte ich.
»O, es ist auch ärgerlich«, sagte der Doctor, eine Priese zur Nase führend; »Sie müssen nämlich wissen, daß bei der alten Einrichtung in dem Kurhause keine Partoutschlüssel existiren, sondern Jeder, wenn er überhaupt verschließen will, was nebenbei gar nicht nöthig ist, den Schlüssel an den Thürpfosten hängt. Nun nehmen die Amerikaner regelmäßig die Schlüssel mit, und am Abend, wenn sie zurückkommen und finden die Zimmer nicht in Ordnung, giebt's einen Heidenlärm.«
»Das ist allerdings sehr ärgerlich«, sagte ich; »können Sie ihnen nicht in's Fenster steigen?«
»Möchten sich wohl bei der Expedition betheiligen?« sagte der Doctor mit schlauem Lächeln. »So einen Blick in ein unaufgeräumtes jungfräuliches Schlafgemach, he!«
Und Dr. Kühleborn berührte sanft meine Rippen mit dem goldenen Knopfe seines Stockes.
»Ich bin verheirathet, Doctor;« sagte ich; »und habe« –
»Hätten Ihre Frau Gemahlin mitbringen sollen«, sagte der Doctor eifrig. »Soole? was? können hier auch Soole baden, können Alles baden, was Sie wollen. Und wo haben Sie solche reine Luft, wie in Tannenburg? und solches Wasser! destillirt! Da sprechen Sie von Fichtenau! Guter Gott, man könnte lachen, wenn man sich nicht ärgern müßte. Reminiscenzen an unsere Klassiker! Du lieber Himmel, als ob einem eine Schiller'sche Ballade das Zipperlein, oder ein Monolog aus dem Faust den Rheumatismus kuriren könnte! A propos Rheumatismus! Es geht Ihrem Freund seit vierzehn Tagen schlecht, sehr schlecht; der Rheumatismus, den ich glücklich aus den Gliedern fort hatte, hat sich jetzt auf das Herz geworfen.«
Und der kleine Doctor lächelte schlau und bohrte mir den Knopf seines Stockes in die Seite.
»Sie meinen –« sagte ich.
Der Doctor zwinkerte mit den Augen und sagte geheimnißvoll: »Verlassen Sie sich auf meine Beobachtungsgabe; ich bin nicht umsonst seit dreißig Jahren Badearzt; habe während dieser Zeit mindestens sechszig Ehen zu Stande gebracht; gehört mir zum Geschäft; Bäder müssen sich aus sich selbst rekrutiren; der junge Nachwuchs wächst einem wieder zu; so ein Herzfehler bei einem Kinde ist mir manchmal schon ein alter Bekannter vom Vater oder der Mutter her. Aber diesmal ist der Fall schwierig. Ihr Freund ist scheu; die Amerikaner sind stolz; er spricht kein englisch; sie wollen nicht deutsch lernen. Und doch, wenn es gelänge! es wäre ein Triumph, ein richtiger Triumph! Bad Tannenburg, September 186*: heute verlobte sich hier Miß Ellen Cunnigsby, Tochter des sehr ehrenwerthen Mr. Angustus Lionel Cunnigsby aus Louisiana, Vereinigte Staaten, mit Herrn Egbert, Rittergutsbesitzer et cetera, et cetera. Geschmackvoll arrangirte ländliche Feste, an welchen die munteren Dorfbewohner aus ehrerbietiger Ferne freudigen Antheil nahmen et cetera, et cetera – o! ich würde es auf meine Kosten in sämmtliche deutsche und diverse englische und amerikanische Blätter bringen; es würde ein immenses Aufsehen erregen; die Fichtenauer würden bersten vor Neid.«
Dr. Kühleborn sah sich auf dem leeren Platze scheu um und fuhr mit gedämpfter Stimme fort: »Sie müssen mir helfen, wahrhaftig, das müssen Sie. Sie sprechen ohne Zweifel englisch; ich werde Sie vorstellen; Sie müssen den Dolmetscher, den Vermittler spielen und hernach machen Sie eine hübsche Geschichte daraus! He!«
Und der Jünger Aeskulaps berührte mit seinem Stabe spielend meine sechste Rippe.
»Aber ich denke«, sagte ich, »es ist schon ein Freier da in Person –«
»Des jungen Kaufmanns Bergfeld? Hm! glaube nicht daran. Hat kein Vermögen, so viel ich weiß, und ist, unter uns, ein grüner Junge. Man läßt sich seine Dienste gefallen, faute de mieux; voilà tout! Und überdies: es sind ja zwei da. Er macht der ältesten den Hof: Miß Virginia, der mit den braunen Augen. Ihr Freund schwärmt für die blauen. Aber da seh' ich Frau Geheimrath v. Pusterhausen kommen. Sie wird mir sagen wollen, daß ihre Nerven heute wieder in einer schrecklichen Aufregung sind. Entsetzliches Weib! Darf ich Sie ihr vorstellen? Nicht? Nun dann vielleicht heute nach Tische. Habe die Ehre!«
Dr. Kühleborn ließ mich stehen; ich ging in den Kurgarten.
In einer großen, nach vorne offenen Bretterlaube saß eine Gesellschaft Herren und Damen, unter welchen letzteren ich die Oberpost-Directorin v. Dinde erkannte und die Justizräthin Scherwenzel, welche aus einem Buche halblaut vorlas. Hinter ihrem Stuhl, das Tellertuch in der Hand, die krummen Beine übereinander geschlagen, mit der heitersten Miene überlegenen Könnens und Wissens auf die Gesellschaft blickend, stand Louis. Das englische Kränzchen war also eine Thatsache geworden.
Ich schlug einen anderen Gang ein, in dessen Hintergrund ich Herrn Lindau sitzend erblickte. Er hatte die Beine auf einen zweiten Stuhl gelegt. Das Perlenbuch in der einen, den Silberstift in der andern Hand, schien er mit hintenübergebeugtem Kopfe nach den poetischen Gestalten auszuschauen, die den blauen nach oben kreiselnden Wölkchen seiner Cigarre demnächst entschweben würden. Ich hätte um Alles dieses feierliche Zwiegespräch des Dichters mit seinem Genius nicht stören mögen und schlich aus dem Garten auf mein Zimmer, der Gefährtin meines Lebens von all' den Narretheiungen, so ich beobachtet, schuldige Rechenschaft zu geben.
Der Stoff war so ergiebig, daß ich bis Mittag nicht mit dem Briefe zu Ende kam, und auch noch den Nachmittag zu Hilfe nehmen mußte. Ich mußte lachen, als ich, die Zeilen noch einmal überfliegend, überall auf die »schönen Amerikanerinnen« traf – die schönen Amerikanerinnen, die hier alle Welt – und mich nicht ausgenommen – in Athem hielten, denen zu Liebe mein treuloser Freund mich in der schnödesten Weise verlassen, um oben in den Bergen ihnen irgendwo zu begegnen. Denn daß seine Fuchsjagd weiter keinen Zweck hatte, war ja sonnenklar.
Ich hatte mir von Louis den Weg nach dem Nonnenkopfe, wo ich Egbert zu finden hoffte, beschreiben lassen, und wanderte mit dem Stock, den mir der Schlaue bei der Gelegenheit als » very fine« aufgeschwatzt hatte, rüstig in die Berge. Der mit kleinen und großen Steinen übersäete Weg war sehr steil, und zum Theil den heißen Strahlen der Nachmittagssonne ausgesetzt. Ich versuchte es mit einem Pfade, der etwas seitwärts in den Tannen in derselben Richtung führte; und hatte diesen Pfad natürlich kaum eine halbe Stunde verfolgt, als ich mich überzeugen mußte, daß ich vom rechten Wege abgekommen sei. Doch ging es immer aufwärts, und darauf kam es an; war mir doch der Nonnenkopf als der höchste Punkt des Berges bezeichnet! Und nun empfing mich ja auch der Hochwald, in den ich schließlich gelangen sollte. Ein prächtiger Wald! mächtige, zum Theil mit Moos bekleidete, vielhundertjährige Stämme, in deren schwarzen Häuptern es ehrwürdig rauschte; weicher, aus den modernden Nadeln so vieler Winter aufgehäufter, mit Moos oder Heidekraut versponnener Boden, auf den der Fuß wie auf einen Teppich lautlos trat; hier und da eine Quelle, die den Steingrund blosgelegt hatte; Waldesfrische und Waldesruhe; dann und wann ein Vogellaut, einmal das Rauschen der schweren Flügel eines Auerhahns, den der einsame Wanderer aufgeschreckt hatte, und wiederum tiefe Stille, bis aus weiter Ferne der Hornruf des Hirten, der seine Heerde heimwärts trieb, zu mir herüberklang.
Denn die rothen Sonnenlichter spielten nur noch in den höchsten Wipfeln, unten zwischen den mächtigen Stämmen wob der Abend sein dunkles Gespinnst; ich begann zu fühlen, daß ich nun schon drei Stunden lang, meist ohne Weg und Steg querwaldein herumgelaufen war. Doch vergaß ich Hunger, Durst und Müdigkeit, als ich, plötzlich zwischen den Bäumen hervortretend, mich am Saume des Waldes und zugleich am Rande einer tiefen, jäh abfallenden Schlucht fand und mir über die Schlucht hinaus auf die sich übereinanderschiebenden, im Abendlicht verdämmernden Bergreihen ein voller Blick in die herrlichste Herrlichkeit des Waldgebirges ward. Welche glanzvolle Pracht des lichtgrünen, von rosigen Wölkchen durchsegelten Abendhimmels! Welche anmuthige Schönheit der Linien dieser langhinsichstreckenden Bergrücken und ragenden Gipfel! Welches Weben der Schatten in den Gründen!
Da! war das nicht Hundegebell und die Stimme von Männern hinter mir in dem Walde?
Im nächsten Augenblicke hatte ich der Herrlichkeit, in der ich noch eben geschwelgt, gefühllos den Rücken gewandt und drängte mich eilig durch die Stämme nach der Gegend hin, von der ich die Stimmen vernommen. Es währte nicht lange, so hatte ich einen Pfad erreicht, und plötzlich stand eine Gestalt vor mir, die sich mindestens ebenso gut für den Geist des Waldgebirges, als für einen Menschen von Fleisch und Blut schickte; eine in Länge und Breite riesenhafte, unten in mächtigen Stiefeln steckende, oben in eine grobe graue Joppe gehüllte, mit Flinte und Jagdtasche ausgerüstete Gestalt, die ein paar mich wüthend anbellende Teckelhunde an der Leine führte.
»He, Baumann! Nero! verdammte Thiere! wollt ihr Friede halten!« rief der Riese, als ich unwillkürlich vor den kläffenden, schnappenden Bestien ein paar Schritte zurückfuhr, und dabei fast über Egbert gefallen wäre, der nun auch zwischen den Bäumen hervortrat. Der treulose Freund versteckte seine Verlegenheit, mich hier zu sehen, hinter eine zärtliche Besorgniß für die Sicherheit meiner Waden: »Kusch Dich, Baumann; stille, Nero! Mein Himmel, wie in aller Welt kommst Du denn hierher?«
»Also wirklich auf der Jagd!« sagte ich.
»Ja, was meintest Du denn?« sagte er.
»O, ich meinte nur so«, sagte ich.
Egbert wandte sich zu dem Riesen und stellte mich ihm vor. Der Unterförster, oder, wie man es dort nennt, »Kreiser« und Chausseeeinnehmer auf dem Nonnenkopf, Herr Hans Winzig reichte mir seine ungeheure Faust und machte einen Versuch, mir den Arm aus dem Gelenke zu schütteln, bei welcher Operation er fortwährend gutmüthig über sein ganzes großes, nicht unschönes Gesicht lächelte. Dann, nachdem sich auch noch die vagabundirende Jagdhündin Diana eingefunden und jägermäßig abgestraft war, setzte sich der Zug in Bewegung. Während wir auf dem schmalen Waldpfade hintereinander rasch dahinschritten, brach das Dunkel herein und der Mond schimmerte bereits durch die Wipfel, als wir auf eine Lichtung im Walde traten, wo neben der Chaussee, welche hier die Höhe des Bergzuges erstiegen hatte, ein kleines Gehöft lag. Dies war der Nonnenkopf. Ein paar halbnackte hübsche Kinder und eine kleine, ärmlich und freundlich aussehende Frau, die dem Riesen ungefähr bis zur Hüfte reichte, nichtsdestoweniger aber seine Gattin war, empfingen uns in der Thür. Bald saßen wir in dem kahlen Gaststüblein um den Tannentisch, auf welchem Frau Winzig ein frugales Abendbrot, aus Brot, Butter und Kornbranntwein bestehend, in geschäftiger Eile servirt hatte.
Ich fand den Aufenthalt in dem öden, von einer einsamen Talgkerze matt erhellten, mit dem abgestandenen Rauch schlechten Tabacks reichlich durchdufteten Gemach nicht so anmuthig, daß ich nicht, nachdem die Begierde der Speise und des Trankes gestillt war, zum ungesäumten Aufbruch hätte mahnen sollen; aber Egbert bat, noch ein wenig zu verziehen. Er fühle sich nach den Strapazen des Tages etwas ermüdet; überdies müsse der Mond noch höher steigen, um uns auf dem Heimweg durch den dunkeln Wald hinreichend leuchten zu können. In der That sah Egbert, was mir schon gestern aufgefallen war, blaß und angegriffen aus, und seine sonst so klaren, festen Augen hatten einen düstern, unsichern Ausdruck. Er dampfte mächtig aus einer kurzen Jägerpfeife, und trank dazu mehr als billig von einem abscheulichen Gebräu, das Frau Winzig unterdessen in der Küche bereitet und Herr Winzig uns als »Grog« präsentirt hatte. Dabei überließ er, wie gewöhnlich, mir die Kosten der Unterhaltung, die ich meinerseits auf den Riesen abzuwälzen suchte, der, wie es sich jetzt mit Hilfe des »Grogs« herausstellte, ein prächtiger Bursch war mit der ganzen harmlosen Jovialität und Gesprächigkeit seiner Landsleute.
»Ja«, sagte er, als ich mich mit bescheidener Neu gier nach seinen Verhältnissen erkundigte, »es geht unser Einem kümmerlich genug: viel Arbeit, geringer Verdienst, sechs Kinder und eine kränkliche Frau; indessen man muß zufrieden sein; es geht Anderen noch viel schlechter, und so lange der liebe Gott einem das Wenige gesegnet –«
»Was er bei Ihnen in höchst auffallender Weise zu thun scheint«, sagte ich.
Der Riese legte seine ungeheure Faust auf den Tisch und lachte, daß das kleine Gemach erdröhnte.
»Ei freilich!« rief er, »sie nennen mich überall auf dem Walde den starken Hans. Manchmal freilich ist es ein bischen unbequem, so groß und breit zu sein; ich habe mir schon hundertmal an unseren niedrigen Thüren den Schädel beinahe eingerannt, und man will in kein Bett recht passen, so daß ich am liebsten auf der glatten Diele, und am besten im Walde schlafe – einmal aber ist es mir doch gut bekommen, daß ich mein Hauskreuz tragen konnte, ehe noch der Pfaff Ja und Amen dazu gesagt hatte.«
»Wie meinen Sie das?« sagte ich, indem ich dem Riesen mein Glas zuschob.
Der leerte es auf einen Zug, wischte sich mit dem Aermel über den Mund und wollte eben anheben zu erzählen, als Egbert, der während dessen an das Fenster getreten war, sich zu uns wandte und sagte: »Wir müssen aufbrechen, es ist die höchste Zeit.«
»Wollen Sie nicht warten, bis die hübschen Damen wieder zurückkommen?« fragte der Riese.
Egbert antwortete nicht; der Riese, dem sein entsetzlicher Grog in den Kopf gestiegen sein mochte, steckte die Zunge in die linke Backe und wies mit dem Daumen über die rechte Schulter auf Egbert, der schon wieder am Fenster stand. Ich blickte ihn ob dieses Uebermaßes von Vertraulichkeit streng an, was aber keinen Eindruck auf seine umnebelte Fassungskraft zu machen schien, denn er schnitt nur eine noch groteskere Fratze, und schüttelte sich vor innerem Lachen, wobei ihm das Blut in beängstigender Weise in den dicken Kopf stieg. Ich fand nun auch, daß es hohe Zeit sei, aufzubrechen.
Die frische, kühle Waldluft that unendlich wohl nach der dumpfen Luft der Gaststube im Nonnenkopf. Der Mond schien glänzend vom blauen, fast wolkenlosen Himmel, einzelne Stellen der Chaussee lagen hell in seinem Schein, das Meiste im Schatten der hohen Tannen. Wo sie weniger dicht standen, webte zwischen den riesigen Stämmen ein zauberhaftes Zwielicht, das, mit Elfen und Nixen zu bevölkern, es gar nicht einmal einer Anstrengung der Phantasie bedurfte. Ich schwelgte in der Herrlichkeit der Nacht; Egbert ließ mich reden; er wünschte offenbar, daß ich ihm Gelegenheit zu einer Erklärung geben möchte, deren seine »Fuchsjagd« reichlich bedurfte, aber ich war entschlossen, ihm diesen Gefallen nicht zu thun.
Vielleicht war es Aerger über diese meine Mitleidslosigkeit, daß er jetzt, als ich auf den Niesen zu sprechen kam, dessen Geschichte ich gern gehört hätte, bitter an zu lachen fing und rief: »Was lobst Du den Kerl? Ich bin überzeugt, er prügelt seine Frau, so oft ihm der Schnaps zu Kopf steigt, und ich glaube, das passirt ihm nur zu oft. Pah! Das Menschenpack ekelt einen ordentlich an, wenn man das mit ansieht! wenn man sieht –«
»O«, rief ich in pathetischem Ton, indem ich wüthend mit meinem Stock auf das Tannicht an der Wegseite schlug; »es ist eine nichtsnutzige, miserable, faule, erbärmliche Welt! O des Jammers, des Jammers! O, o!«
»Bist Du toll geworden?« rief Egbert.
»Ja, ich bin es«, rief ich, mich mitten auf den mondbeschienenen Weg stellend und zum Himmel gesticulirend, »kannst Du es mir verdenken, wenn ich es bin! Ich habe diese Frau Försterin geliebt vor zwanzig Jahren, als sie noch keine sechs Kinder hatte, sondern vielmehr selbst ein schlankes Kind war und Gretel hieß. Ach, wie habe ich sie geliebt! Ich hätte ihr sämmtliche Sterne in ihr schimmerndes Gewand sticken und den Mond als Medaillon um den Hals hängen können. Und da mußte der ungeschlachte Riese kommen, und mir armen Jüngling meine Liebe rauben! O, o, o!«
»Um Gotteswillen, sei still!« rief Egbert.
»O, o!«
»Schweig, Unglücksmensch; ich bitte Dich, schweig!«
Und dabei zog er mich mit kräftigem Arm von der hellen Chaussee in das Tannendunkel, so schnell, so leidenschaftlich, daß ich unwillkürlich still wurde und mit ihm in die Nacht hineinlauschte.
Ein Wagen kam auf der gerade an dieser Stelle etwas ansteigenden Chaussee hinter uns her; es dauerte nicht lange, so traten die Pferde und der Wagen in das Helle. In dem Wagen – einer großen offenen Chaise – saßen nur zwei Personen; der Kutscher ging neben den Pferden. Die im Wagen waren, wie ich bei der großen Klarheit des Mondscheins deutlich sah, eine ältere Dame und ein älterer Herr, beide bis an die Nasen in Shawls gehüllt. Das Alles war ohne Zweifel nicht sehr merkwürdig und rechtfertigte durchaus nicht den festen Griff, mit welchem mich Egbert an der Schulter hielt; aber jetzt kam die Erklärung für unsere Banditenposition in Gestalt, oder vielmehr in den Gestalten zweier Damen in lichten Gewändern und eines sie begleitenden Herrn, die etwa dreißig Schritte hinter dem Wagen hergingen.
Ich weiß nicht, ob das Zittern von Egbert's Hand, die noch immer auf meiner Schulter lag, sich auf mich fortpflanzte – aber mein Herz schlug lebhafter in der athemlosen Stille und meine Blicke hingen wie gebannt an den leicht dahingleitenden hellen Gewändern und an den Gesichtern, besonders der einen Dame, die, allein an der Wegseite gehend, ganz nahe an uns vorüberkam: ein reizendes, wie es mir schien, etwas bleiches Gesicht, in dessen großen, nach oben gerichteten Augen das Mondlicht schimmerte, – an uns vorübergleitend, wie ein schönes Traumbild.
Die Chaussee lag wieder in ihrem stillen Scheine vor uns, das Geräusch der sich jetzt schneller bewegenden Räder erstarb in der Ferne; Egbert athmete tief auf, und ließ die Hand von meiner Schulter; wir traten unter den Tannen hervor. War es, daß eine Wolke über den Mond zog, oder war sonst ein Schatten herabgesunken, aber es schien mir irgendwie in den letzten Minuten dunkler geworden. Wir gingen schweigend neben einander hin.
»Egbert«, sagte ich, »dies war hochromantisch; aber wie viel romantischer wäre es gewesen, wenn wir, anstatt, wie bängliche Kinder athemlos unter den Bäumen zu stehen, mit Juchheirassassa hervorgebrochen wären, die Alten aus dem Wagen geworfen, Dich und Deine Schöne hineingesetzt, den Pferden die Köpfe gewandt und –«
»Du bist unerträglich!« sagte Egbert.
»Wohl möglich«, sagte ich, »aber recht hat er doch:
Und kenn' zwei blaue Augen,
Aus denen scheint der Mond!«
Aus der vierten Strophe des Gedichts »Zwielicht«, von Friedrich Spielhagen selbst; es war publiziert worden in »Blüthen und Perlen deutscher Dichtung. Für Frauen ausgewählt von Frauenhand.« Carl Rümpler Verlag. 1851. Wieder veröffentlicht in: Friedrich Spielhagen: Gedichte. L. Staackmann. 1892. S. 44.
»Mensch, willst Du mich rasend machen!« rief Egbert, indem er mich an beiden Schultern packte und schüttelte.
»Du rasest schon«, sagte ich.
Er warf sich an meine Brust und rief: »Verzeihe mir! ich liebe sie; ich liebe sie!«
»Armer Freund«, sagte ich, »es sieht beinahe so aus. Und Du hast recht: es ist, so viel ich habe bemerken können, ein holdes, liebliches, liebenswürdiges Geschöpf.«
»Ja, das ist sie«, rief Egbert; »ein holdes, holdes Geschöpf, und ich bin der unglücklichste der Menschen.«
»Ich wüßte nicht, warum«, sagte ich; denn ich sehe durchaus nicht ein, weshalb Du das reizende Mädchen – wie heißt sie übrigens?« –
»Ellen« – sagte Egbert.
»Also weshalb Du die schöne Ellen nicht heirathen solltest, wenn Du nur willst. Aber freilich! Die Hände in den Schooß legen, im Stillen seufzen, die Augen nicht zu erheben wagen, und banditenmäßig im Hintergrund lauern – das wird Dich eben so weit nicht bringen. Da sieh den Hasenfuß von Kaufmannsknaben! Seine ganze Ausstattung ist sein bischen Englisch und seine edle Dreistigkeit, und damit spaziert und fährt er hin mit den schönen Mädchen wie ein junger Gott. Ich habe Dir gestern angeboten, Dich die Sprache Deines Engels zu lehren« –
»Und bis ich so weit bin, sagen zu können: ich liebe Dich, ist sie vielleicht schon drei Jahre verheirathet.«
»Wenn Du so langsam lernst – freilich. Indessen: ich hoffe, es soll schneller gehen. Bis dahin werde ich für Dich sprechen; ich werde ihr sagen –«
»Um Himmelswillen, mach' mich nicht unglücklich! Du sprichst von ihr wie ein Blinder von der Farbe.«
»Ich habe sie allerdings noch nicht bei Tage geschaut, indessen ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich behaupte, daß sie in der That blaue Mondscheinaugen hat, ein sanftes, zartes Gesicht, einen schlanken Wuchs –«
Egbert seufzte tief.
»Egbert«, sagte ich, stehen bleibend, und des Gefährten Hand ergreifend und schüttelnd: »Du sollst sie haben; Garantie wird nicht übernommen, Kosten möglicherweise sehr bedeutende verursacht; aber haben sollst Du sie!«
Egbert lächelte, weniger vermuthlich über meinen Scherz, als über die enge Copulirung des Subjectes »du« mit dem Objecte »sie«, die für Leute in seiner Situation immer etwas Berauschendes hat.
So stiegen wir die nach Tannenburg zu steiler sich senkende Chaussee hinab, und gelangten in das Dorf. Es war heute später, als gestern, und so war es auch stiller auf der Gasse. Nur vor dem linken Flügel des Kurhauses – ich wohnte in dem rechten – standen ein paar Bursche und Mädchen, die zu einem offenen Fenster in dem zweiten Stock emporschauten und auf eine gar nicht üble Tenorstimme lauschten, die zu den Tönen einer Guitarre sang Das folgende Gedicht hat Spielhagen in seine »Gedichte« unter dem Titel »Serenade« aufgenommen (aaO., S. 45). Auffällig ist, dass u.a. die dritte Zeile der ersten Strophe, die aus einem Gedicht von Heinrich Heine entlehnt ist (»Nachts in der Kajüte«, V. 47f., aus dem »Buch der Lieder«), verändert wurde zu »Leuchten dir, du liebes Mädchen«, während die zweite Zeile nun lautet: »Halten Englein fromme Wacht«. Diese Zitate sind auch ein selbstironischer Rückblick des Autors auf seine romantischen Anfänge.:
Gute Nacht! Die Sterne blinken
Droben her in stiller Pracht;
Und sie blinken und sie winken:
Gute Nacht! gute Nacht!
Gute Nacht! An deinem Kissen
Halten tausend Englein Wacht.
Tausend Menschenherzen beten:
Gute Nacht! gute Nacht!
Schließe zu die blauen Augen,
Die mir heut so lieb gelacht!
Schlummre sanft, du einzig Holde:
Gute Nacht! gute Nacht!
»Es scheint, Egbert«, sagte ich, »daß er sich jetzt definitiv entschieden hat.«
Egbert schwieg.
»Denn siehst Du, Egbert, sich entscheiden ist Alles. Dann streicht man an der Geliebten Seite durch mondbeglänzten Wald, oder wandelt wenigstens mit ihrem Schatten in den elysäischen Gefilden der Poesie.«
»Gute Nacht!«
»Gute Nacht!«