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(März 1874.)
»Die Nachwelt flicht dem Mimen keine Kränze« – das hört man immer nur citiren, mit einem Achselzucken des Bedauerns für den armen Mimen, der, wie es scheint, so um einen Theil des ihm schuldigen Tributes kommt; mit einem Stirnrunzeln der Unzufriedenheit gegen die Nachwelt, die offenbar in diesem Falle etwas unterläßt, wozu sie allerdings nicht gerade verpflichtet ist, was aber, wenn sie es thäte, ihr gut stehen würde, wie dem Schweizer seine Narben.
Nach meinem Dafürhalten liegt die Sache ganz anders.
Was den braven Mimen betrifft, so ist er, falls er nur wirklich brav ist, im Verhältniß zu den andern Künstlern eher in einer beneidenswerthen, als in einer bedauerlichen Lage.
Die Nachwelt flicht ihm keine Kränze, wohl! aber von den vielen dutzenden, die ihm die Mitwelt spendet, wie viele kommen auf den Dichter, den Musiker, den Maler, den Bildhauer – nicht einer! Und, dürften diese im Leben unbekränzten Collegen, weiter sagen, was haben wir von dem postumen Lorbeer? (vorausgesetzt immer, daß wir nicht auch post festum leer ausgehen), besonders wir Kinder des 19. Jahrhunderts (erster Hälfte, die zweiter mögen noch ein wenig warten, bevor sie in dieser Frage zum Wort gelassen werden), wir, denen Allen das grause Wort des stygischen Achill:
Lieber ja wollt' ich das Feld als Tagelöhner bestellen
Einem dürftigen Mann, ohn' Erb' und eigenen Wohlstand,
Als die sämmtliche Schaar der geschwundenen Tobten beherrschen –
aus der Seele gesprochen ist; wir, die wir in unsern stolzesten, vertrauensseligsten Stunden immer doch von einem gelinden Zweifel an der Perennität des Monuments, das wir aufgeführt haben, befallen sind, wenn wir auch die mehr als pyramidale Höhe desselben gegen eine Welt verfechten würden! Hat es die Schmerzen des kummerbeladenen Tasso je gelindert, hat es nur eine Thräne getrocknet je des geängsteten, daß er jetzt lorbeerbekränzt durch die marmornen Hallen der Geschichte wandelt und sein Abbild auf der Bühne immer wieder von neuem aus der Geliebten theuern Händen die schöne Last auf das Haupt gedrückt erhält! Aber der Schauspieler! der dreimal Selige, der die holden Verse mit dem vollen Timbre seiner so überaus wohllautenden Stimme sprechen, der mit dem ganzen Anstand, den er hat, hier sich auf das linke (oder rechte) Knie niederlassen, und während ihm Frl. X. (die übrigens in dieser Scene ganz passabel ist) den Kranz aufsetzt, sich sagt, daß er ihn dreimal verdient (er, Herr Y., der aus dem Schmachtllappen, dem Tasso, eigentlich erst was Ordentliches gemacht hat)! Und wenn nun gar das Publikum, welches heute Abend ausnahmsweise nicht ganz so bornirt ist, in fanatischen Beifall ausbricht, daß er sich wirklich die Claque hätte sparen können; wenn – es ist sein Benefiz-Abend – Kränze, richtige Kränze (außer den zweien, die er bestellt hat) auf die Bühne fliegen! o dreimal, dreimal seliger Mann, sollte auch der schöne Abend nicht bei einer Flasche, die bereits kaltgestellt ist, sondern bei einem Schoppen Bier vom Faß beendigt werden!
Nein! Herr Y., nein, Frl. X. – ich kann beim besten Willen keine Thräne des Mitleids, nicht einmal ein wehmüthiges Zucken um die Nasenflügel hervorrufen bei dem Gedanken, daß euch die Nachwelt keine Kränze flicht; ich finde, daß ihr durchschnittlich für eure Leistungen mit dem Scherflein, das euch die Mitwelt auf den Altar legt, hinreichend und manchmal mehr als hinreichend bezahlt seid; ja, ich bin ketzerisch genug, zu behaupten: wenn in diesem Proceß Mime contra Nachwelt die eine Part zu kurz kommt, so ist es nicht der Kläger, sondern die Angeklagte; und sie, nicht er, ist es, die auf Schadenersatz zu klagen hat.
Ich meine das aber so.
Wer von uns hat nicht ein oder das andere Mal mit Neid im Herzen zuhören müssen, wenn die ältere Generation mit jenem Enthusiasmus, der ihr so wohl stand, von den Genüssen erzählte, die ihr das Theater gewährt: wahre Nektar- und Ambrosia-Genüsse, im Vergleich, zu welchem sich unsre Theaterfreunden höchst kläglich und kümmerlich ausnahmen: »Ach! dieser Iffland, dieser Fleck, – wie sie auslagen und ihre Klinge führten! und diese Sophie Schröder und diese Catalani – das war nun zum Entzücken gar! Ja, mein Lieber, das waren andre, und, ich darf es wohl sagen: das waren schönere Zeiten! Sie sind vergangen, unwiederruflich, unwiederbringlich.« – So sangen die Alten, und wir schlugen die Augen nieder und kamen uns sehr verwaist vor, bis wir, als wir selber nicht mehr jung waren, das Lied der Alten zu singen anfingen: »Ach! dieser Devrient, der große Ludwig, der Onkel, und seine Neffen, der Carl und vor Allem der Emil! Du hast die beiden letzteren ja noch gesehen, mein Junge, aber da waren sie nur noch Schatten von dem, was sie waren. Und die Crelinger, lieber Freund, die Crelinger! es thut mir wahrhaftig herzlich leid um euch, aber: Ihr werdet nimmer ihres Gleichen sehen!«
Hatten die Alten recht gegen uns Junge? haben wir recht gegen die, die jünger sind als wir? Wer soll das entscheiden? von den Lichtern, die jenen Abenden der Seligen leuchteten, existirt nicht das kleinste Stümpfchen mehr. Der Puder ist zerstoben; kein letzter Splitter mehr von der letzten Scherbe eines Schminktopfes! Die Bäume von Pappe, die Mauern von Leinwand, denen sie so oft ihre Freuden, ihre Leiden klagten – Alles, Alles vernichtet, zu Asche geworden, wie die Häuser, ja schließlich, wie sie selbst, die Wundermänner und zaubermächtigen Frauen. Oder konnten sie nicht zaubern? konnten sie keine Wunder verrichten, so wenig, wie das jetzt lebende Geschlecht, das wir trotzdem wieder unsern Nachfolgern als Melusinen und Rattenfänger von Hameln verkaufen möchten? Wer soll da entscheiden? das Streitobject ist nicht mehr und die Acten –
Ja, da liegt's; und das ist es, weshalb ich die Mitwelt des Mimen, ich meine das Publicum, das mit ihm gelacht und geweint hat, der Nachwelt gegenüber verantwortlich machen möchte. Man hat die Acten zu liederlich, zu leichtsinnig geführt; man hat, um sich die Mühe zu ersparen, es einfach für vergebliche Mühe erklärt, die Kunst, die nur im Augenblick lebt, fixeren zu wollen; man hat sich das Götter-Mahl, das der Zufall, welcher sich mit dem Augenblick, seinem Zwillingsbruder, in die Obmacht theilt, ihnen auftischte, sorglos, achtlos schmecken lassen, und ist vom Tische aufgestanden, ohne kaum das Menu zu sich zu stecken; geschweige denn die Recepte, nach denen diese köstlichen Saucen und Speisen zubereitet waren. Und das ist doch wahrlich das Wenigste, was die verlangen können, denen man, sich behaglich die Zähne stochernd, erzählt, welch prächtiges Mahl das war, und daß sie nie so gut zu Abend speisen würden.
Nicht, als ob es nicht auch dankbare Gäste gegeben hätte! Ich würde es aus der Vortrefflichkeit der menschlichen Natur, die nicht blos egoistische Europäer, sondern manchmal auch großherzige Canadier erzeugt, a priori schließen, wenn ich nicht hier und da einem der letzteren auf meinem Lebenswege oder in meiner Lectüre begegnet wäre; unter andern dem braven Göttinger Professor Lichtenberg, dem Hogarth-Erklärer, der während seines Aufenthaltes in London die Theater gar fleißig besuchte, und von dem, was, und von denen, die er dort gesehen, uns gar fleißige Schilderungen hinterlassen hat.
Es ist lange, sehr lange her, daß ich diese Schilderungen gelesen – mindestens 20 Jahre – und ich habe sie zufällig nie wieder zu Gesicht bekommen, selbst aus meiner Bibliothek sind die betreffenden Bände verschwunden – dennoch, als ich mich kürzlich daran erinnerte, da bemerkte ich zu meinem frohen und dankbaren Erstaunen, daß Alles noch so frisch in meiner Seele stand, als hätte ich es unlängst gelesen; ja, was sage ich! daß die Bilder der Schauspieler, die er hauptsächlich schildert: Garrick, die Siddons und einen Komiker, dessen Namen ich allerdings vergessen, sich in so scharfen Umrissen und so lebendigen Farben erhalten hatten, wie ich es leider nur von denen weniger Schauspieler, die ich mit meinen eigenen Augen gesehen, sagen kann.
Es war aber, als ich diese Bemerkung machte, auf dem langen Wege nach Hause vom Wallner-Theater, wo ich Helmerding als Gottlieb Weigelt in »Mein Leopold« gesehen hatte.
Ich komme selten in das Wallner-Theater. Der Ton, auf welchen die Possen, die dort gegeben werden, meistens abgestimmt sind, bringt eine schrille Dissonanz in mein sonstiges Seelenleben; ich habe manchmal Tage gebraucht, um nach einem Wallner-Abend die Harmonie in mir vollkommen wiederherzustellen. So war denn die zweiundachtzigste Wiederholung von »Mein Leopold« angesetzt, bis ich mich entschließen konnte, ein Stück zu sehen, das mir auch sonst als ein gutes in seinem Genre bezeichnet wurde, und in welchem Helmerding ganz brillant sein solle. Ich fand, daß man mir nur die Wahrheit gesagt. Das Stück ist gut und Helmerding ganz brillant.
So brillant, daß ich auf dem Nachhausewege darüber nachdachte, ob es nicht möglich, genauer: ob es mir nicht möglich wäre, Denen, welche nur noch von Carl Helmerding hören werden, ein lebendig Bild dieses in seiner Art unübertrefflichen Künstlers zu machen. Ich fand, daß ich die Reihenfolge der Scenen noch gut im Kopfe hatte und in jeder dieser verschiedenen Scenen den Mann in den verschiedenen Situationen, in seinem Mienenspiel, seiner Haltung, seinen Geberden deutlich vor mir sah. Ich nahm mir vor, daß, wenn heute Morgen die Linien sich nicht verwischt hätten, die Farben nicht abgeblaßt wären, ich versuchen wolle, das, was ich gesehen, zu beschreiben.
Und hier ist nun dieser Versuch.
Aber der Leser außerhalb Berlins kennt »Mein Leopold« nicht. Die Geschichte – und das ist ein großer Vorzug des Stückes – ist so einfach, daß man sie, soweit es für unsern Zweck nöthig, in den wenigsten Worten erzählen kann. Ein reich gewordener, gänzlich ungebildeter Schuhmachermeister, Berliner Vollblut, liebt von seinen beiden Kindern nur »seinen Leopold« mit einer solchen Vor- und Affenliebe, daß er um des Herrn Referendar willen, der natürlich für das Zuchthaus reif ist, seine Tochter verstößt, und sich um sein ganzes Vermögen bringt. Schließlich Versöhnung zwischen dem Alten, der zum Flickschuster herabgekommen, und dem braven Schwiegersohn, der sich in eine ähnliche Position hineingearbeitet, als in welcher wir im Anfang den Alten fanden; auch der Sohn, der unterdessen in Amerika »fern im West« die Träber der Reue, Buße und Besserung gegessen, wird zurückkehren, und die sittliche Weltordnung ist wieder hergestellt.
Selbstverständlich spielt Helmerding den alten Weigelt, und ebenso selbstverständlich ist ihm die Rolle auf den Leib geschrieben.
Dabei ist nur merkwürdig, daß dem Manne schon so viele verschiedenste Rollen auf den Leib geschrieben sind, und daß ihm alle diese Rollen passen – ich hätte beinahe gesagt: als ob sie ihm auf den Leib geschrieben wären.
Dieser Leib muß also von einer proteischen Natur sein.
Ein kurzer Leib, 5' 2" bis 3", nach meiner Taxe, untersetzt und »völlig«, wie wir in Pommern sagen, ohne irgend dick zu sein, breite Schultern, und auf den breiten Schultern einen großen Kopf mit einem Gesicht, dem die Bestimmung dieses Mannes als Spieler chargirter Rollen so deutlich aufgeprägt ist, wie einem Menschengesicht nur die Bestimmung des betreffenden Menschen überhaupt aufgeprägt sein kann: eine ganz ungewöhnlich starke Vorwölbung der Augenbrauenknochen, so daß die kräftige Nase, die unmittelbar unter der Vorwölbung ansetzt, nothwendig die Form der Ramsnase bekommt – so etwas von einer Carricatur des Zeus von Otricoli. Dabei laufen die Nasenwinkel aus Opposition gegen die Nasenspitze, die zu weit heruntergesunken, wieder eben so viel zu weit nach oben, und wiederum die Winkel des Mundes, der nicht klein und von breiten Lippen gebildet wird, nach unten, so daß das ganze Gesicht, das schließlich auf einem breiten, viereckigen Kinn ruht, nach allen Richtungen auseinander zu gehen scheint, und trotzdem einen seltsam einheitlichen Charakter hat, so daß man es, wenn man es einmal gesehen, nicht wieder vergessen kann.
Mit diesem Gesicht macht der Mann nun, was er will. Er hat es ebenso vollkommen in der Gewalt, wie seinen Körper, welcher jetzt der eines alten, gebrechlichen, steifen Mannes und ein andermal der eines Equilibristen ist. Das Merkwürdigste aber, was dieser Mann in der Dienstbarmachung seines Körpers unter sein schauspielerisches Genie geleistet hat, ist seine Stimme: sie ist von Natur schwach, rauh und unbiegsam und heiser, und der allergeringsten Modulation fähig; wenn er singt, so ist es ein sonderbares Mittelding zwischen Sprechen und Krächzen. Und nichtsdestoweniger weiß er mit dieser Stimme jede humoristische Nuance wiederzugeben, vom breitesten rohesten Lachen bis zu dem innigsten Herzenston der Empfindung.
Er hat in dieser Rolle Gelegenheit, die ganze humoristische Scala hinauf und hinab zu spielen. Herr Schuhmachermeister, Rentier Weigelt ist ein ordinärer Kerl, dessen natürliche Gutmüthigkeit mit dem Reichthum arg in's Gedränge gekommen und dabei sehr den Kürzeren gezogen hat, bis das Unglück – aber das kommt erst im letzten Act.
Im ersten sehen wir ihn in der höchst unliebsamen Gestalt eines hartherzigen Berliner Hauswirths: Jeder Zoll der reichgewordene Mann aus der Werkstatt alten Styls, der seine Abstammung nicht verleugnen kann, der Jeden schon durch sein Kostüm an das erinnert, was er selbst gern vergessen machen möchte. Wie haben sich die bürgerlich schlichten, vom Staub der Werkstatt und dem Mangel an Pflege starr gewordenen Haare so gar nicht in den rechten Schnitt bringen lassen wollen, und stehen hinten über die steife schwarze Halsbinde so ungeniert widerspenstig einen Zoll weit in die Luft! Wie will der Rock immer von den Schultern herunter, die nur an die bequemere Bedeckung der Hemdsärmel gewöhnt sind! wie kläglich prahlt die breitgestreifte Sammetweste mit der dicken goldenen Uhrkette und das schlechtsitzende zerknitterte Vorhemde (offenbar nur Coulisse) mit dem großen Diamant als einzigem Knopf! Wie paßt der braune runde Sammethut in der Farbe so gar nicht zu dem übrigen Kostüm, dafür aber der Stock mit dem großen goldenen Knopf desto besser zu der Uhrkette und dem Brillanten in der Chemisette. Der Mann, der so vor uns tritt, ist noch rüstig; aber man sieht deutlich an den kleinen Schritten, an der Weise, wie er sich schwer auf den Stock stützt, wie er sich steif, zögernd setzt, daß es ein alter Mann ist. Er vertraut uns in einem drolligen Monologe, daß er kaum lesen und schreiben kann, und daß »seine einzige Passion sein Leopold.«
Er giebt uns alsbald eine Probe seiner »Passion.« Er will einen Hofmiether exmittiren (»exmistiren« sagt Herr Weigelt hartnäckig), um seinem Leopold Platz für einen Pferdestall zu schaffen. Er setzt einem seiner Miether, der Stadtrichter und Decernent in der Sache ist, den Fall auseinander, ohne im Mindesten zu zweifeln, daß der Mann auf seine (des Hauswirths) Seite treten muß und wird. Unendlich drollig nun ist die naive Unverschämtheit, mit welcher er dem Beamten die sträflichste Parteilichkeit zumuthet, und ihm dabei immer näher mit dem Stuhle rückt, während Jener im Gefühl seiner stadtrichterlichen Würde vor der Berührung mit diesem plebejischen Egoismus instinktiv zurückweicht. Denn es ist immer der Plebejer, den wir vor uns haben; keine leiseste Spur vornehmer Hinterlist. Was er denkt, fühlt, das sagt der Mann grade heraus. Wenn er sagt: »es handelt sich um meinen Sohn Leopold«, so zieht er die Augenbrauen vornehm in die Höhe, und gleich darauf grinst er im innigsten Wohlbehagen solcher Vaterschaft über das ganze groteske Gesicht. Und dann schlägt er dem Gerichtsrath vertraulich auf die Kniee und dann wieder, wenn die Unterredung zu Ende ist, diese Würde und Höhe, mit der er dem sich Entfernenden nachruft: »Ich hoffe, Sie wissen, was Sie als Miether Ihrem Wirthe schuldig sind.«
Er ist natürlich mit seiner Klage abgewiesen und kommt vom Gericht nach Hause. Man erkennt den Mann kaum wieder. Schwere Falten über der Ramsnase; das ganze groteske Gesicht wie von Zornesröthe übergossen, die Augen kaum sichtbar durch dieses Zorngewölk, so stürzt er in's Zimmer, so diktirt er seiner Tochter einen von gröbsten Injurien strotzenden Brief an den Stadtrichter, und unterbricht sich dann selbst, um sich zur Belohnung für einen Einfall, den er für besonders geistreich hält, zusammenknickend mit flacher Hand auf die Kniee zu schlagen, während er dabei einen Laut ausstößt wie ein ungezogener Lehrjunge. Und dann pustet er, auf und ab schreitend und diktirend, wie eine Lokomotive, die Dampf ausläßt, und beugt sich über den Schreibtisch, sich zeigen zu lassen, wo dies oder jenes besonders gravirende Wort steht. – Die verständige Tochter (die sich nebenbei inzwischen mit dem Altgesellen verlobt hat), sagt ihm, daß er den Brief nicht abschicken könne. Er geräth außer sich; er will sie schlagen, der Altgeselle springt aus der Werkstatt nebenan zwischen Vater und Tochter und sagt dem Ersteren in derber Altgesellenmanier die Wahrheit. Nun ist es wieder ein klassischer Anblick, wie der Alte, nachdem er vergeblich seine hausväterliche und meisterliche Autorität geltend zu machen versucht hat, und den muthigen Gesellen nun doch wohl oder übel mit anhören muß, die Augen schließt, als könne er sich damit auch die Ohren schließen, und wie er sich jetzt auf den Ballen und Hacken wiegt, und gelegentlich höhnisch lacht, oder sich auf die Brust schlägt, als wollte er sagen: ja, komm Du mir nur! und wie dabei sein altes, dummes Gesicht immer älter und dümmer und länger wird in dem Schatten der kommenden Ereignisse, welchen der prophetische Altgeselle heraufbeschwört.
Die Ereignisse sind im zweiten Akt, der zwei Jahre später spielt, zum Theil bereits eingetreten oder stehen auf der Schwelle. Herr Weigelt hat sich vom Geschäfte zurückgezogen; er verdient nichts mehr; er giebt nur noch aus »für seinen Leopold«, er wirft das Geld zum Fenster hinaus »für seinen Leopold.« Das Kapital ist schon bedenklich angegriffen, ebenso wie der Mann, der in gelbseidenem Schlafrock mit rothen Aufschlägen, eine brennende Cigarre im Munde, aus seiner Schlafstube in das Frühstückszimmer tritt. Er scheint jetzt, was er ist, ein alter Mann, der seine Glieder erst wieder zum Tagesgebrauch einrenken muß, und an seiner Cigarre schwächlich hüstelt. Es soll ein schlimmer Morgen für ihn werden. Eine Menge Rechnungen sind eingelaufen, die er sich von Minneken, der jungen Haushälterin, vorlesen und erklären läßt. Es ist ein wenig stark, besonders in Anbetracht – aber es ist ja für »seinen Leopold.« Und nun springt der alte Mann ganz vergnügt auf, und, nach rechts an die Rampe chassirend, ahmt er, tänzelnd und mit den Schößen seines Schlafrocks wehend, den Damen nach, die sich die Hälse verrenken »nach seinem Leopold.«
Das saubere Bürschchen kommt zum Frühstück. Es ist aus triftigen Gründen in schlechtester Laune, die es an dem guten alten Vater ausläßt. Weshalb der Vater das Geschäft aufgegeben hat? Wie sich ein noch rüstiger Mann ohne zu arbeiten, wohl fühlen könne! Dem Alten fällt die Tasse aus den zitternden Händen: so hat sein Leopold noch nie mit ihm gesprochen. Er sagt es ihm, sagt es ihm in einem Ton, der einem in's Herz schneidet, trotzdem der alte Thor sich ja selbst die Grube gegraben. Wie die Worte stockend, zögernd kommen! und wie das in dem alten dummen Gesicht schmerzlich arbeitet! und wie die Blicke, um Liebe, um Gnade flehend, sich auf den harten Sohn richten und sich dann scheu wieder wegwenden! und – als der Herr Sohn, der einen Heirathsantrag für sich gemacht haben will, schließlich eine Art von Entschuldigung vorbringt, wie zärtlich er da »seinem Leopold« auf die Schulter klopft, und – »wie werd' ich Dir böse sind!« Das sind dann so Töne aus dem tiefsten Herzen!
Folgen ein paar Scenen, die, wie sie vom Verfasser nicht eben geschickt componirt scheinen, so auch dem Helden kein rechtes Feld für sein Talent bieten. Der Schwiegervater in spe seines Sohnes kommt, ein zugeknöpfter, methodischer Kaufmann, an den er seine Liebenswürdigkeit verschwendet. Denn er will liebenswürdig sein, er will dem wichtigen Mann zeigen, daß es an ihm nicht liegt, wenn aus der Verbindung nichts wird. Aber wie sollte nichts daraus werden! handelt es sich doch »um seinen Leopold.« Ist jener zugeknöpft – er trägt den grauen sommerlichen Hausrock, in welchen er sich unterdessen geworfen, weit offen; er macht aus seiner weißen Weste kein Hehl; er streckt die Beine in den gelben Beinkleidern mit den breiten braunen Streifen so vertrauensselig weit von sich. »Eine Flasche Röderer zu 3 Thalern! Eine Cigarre zu 200 Thalern, das heißt das Tausend!« Da ist jedes Wort, jeder Ton, jede Bewegung der Plebejer, der zu Gelde gekommen, und sich nun aufbläht und Rad schlägt, wie der Pfauhahn, und mit den plumpen ungeschickten Füßen rechts und links tritt, ohne die mindeste Rücksicht, wohin das wohl etwa sein und wem er dabei auf die Zehen treten möchte. Dann, während der zugeknöpfte Kaufmann ihm seine Ansicht von der Lage der Dinge mittheilt, steigt wieder der Schatten von vorhin in seinem Gesichte auf; die Augenbraunen ziehen sich in die Höhe, die Mundwinkel nach unten; so sitzt er in sich versunken da, und fährt dann auf und ruft in der alten jovialen Weise: »es ist mir eine große Ehre!« und als der Kaufmann das Zimmer verlassen: »dieser Schwalbach ist ja ein reizender Mensch« – Alles in einer unnachahmlichen Mischung von Geldprotzigkeit, Jovialität, Bornirtheit, Gutmüthigkeit.
Kommt die Katastrophe. Leopold ist unter erschwerenden Umständen durchgegangen; der Vater rettet seinen ehrlichen Namen mit der Aufopferung seines letzten Thalers, und als der Vorhang zum dritten und letzten Male (5 Jahre später) wieder in die Höhe geht, sieht man in einer armseligen Mansarde einen Mann, der eine besondere Beschreibung verdient.
Es ist ein alter Mann mit einem weißen Gesicht, von jener gräulichen Weiße, wie sie nur Hunger und Kummer und Nachtarbeit und ein acht Tage alter grauer Bart – Wochenbart sagen die Schwaben – hervorbringen können. Der alte Mann trägt die wollene Jacke des Arbeiters, eine grobe gelbgraue Schürze und ebensolche Beinkleider von Sacklinnen. Er sitzt rechts im Vordergrunde, so daß das Licht durch die Dachluke auf den niedrigen Tannenholztisch fällt, der mit seinen jämmerlichen Schuhflickerwerkzeugen und den Schuhen, die er flicken soll, bedeckt ist. Er arbeitet eifrig, ach, so eifrig! mit Ahle und Pechdraht, und nur von Zeit zu Zeit sehen wir das alte kummervolle graue Gesicht aufblicken und es spielt wie ein freundlicher Morgenschein darüber hin, während er auf die Töne eines Liedes hört, das eine jungfrische Frauenstimme irgendwo in seiner Nachbarschaft singt. Es ist unser alter Freund; denn unser Freund ist er geworden; wir haben den alten Thoren lieb gewonnen, trotz alledem; wir möchten ihm helfen, wenn wir nur wüßten, wie; wir sind auf die Tochter, auf den Schwiegersohn böse; er hat die Tochter verstoßen, den Schwiegersohn tödtlich beleidigt – ja! aber sie durften, sie durften diesen alten guten Mann nicht so verkommen lassen.
Und derweilen das Alles in unserer Seele sich regt, und uns fast die Thränen in die Augen steigen wollen, arbeitet der Alte immerfort eifrig, eifrig mit Ahle und Pechdraht und Hammer und nur von Zeit zu Zeit blickt er auf und wie ein freundlicher Morgenschein spielt's über das alte graue kummervolle Gesicht.
Hat ihn denn alle Welt vergessen?
»Minneken« erlöst uns von diesem Zweifel; Minneken (die ehemalige leichtlebige junge Wirthschafterin, die unterdessen ihren Unterofficier geheirathet und ein Boutikergeschäft angefangen) Minneken kommt; man hört, man sieht und man dankt ihr, daß sie nicht zum ersten Mal kommt, daß in ihrem großen Herzen außer für alle Welt auch Raum für ihren alten Herrn ist. Der arbeitet unverdrossen weiter, »Du bist mir nicht böse, wenn ich mir nicht stören lasse. Na, nu sage mal, wie geht es denn?« Minneken hat ihm ein Stück von einer gebratenen Gans mitgebracht, die sie ihren Gästen vorsetzen will und über die sie nothwendig des alten Mannes Urtheil haben muß. Der alte Mann ist hungrig, sehr hungrig; bei dem Anblick des verführerischen Packets legt er endlich das Arbeitszeug weg und reibt sich die Hände übereinander und bewegt die Lippen; aber so discret! so wie ein guter alter Mann, der einer guten jungen Frauensperson, die sein Urtheil über einen Gänsebraten verlangt, nicht zeigen will, – wie hungrig er ist.
»Minneken« ist gegangen; die sangeslustige Nachbarin kommt; sie ist die Tochter eines seiner früheren Miether, die einen Musiklehrer geheirathet hat, Freundin seiner Tochter. Sie wünscht zu wissen, was das für ein sonderbares Geräusch ist, welches man da halbe Nächte lang über ihrem Kopfe vollführt; sie hat keine Ahnung davon, wer ihr unruhiger Nachbar ist, es dauert eine geraume Zeit, bis sie begreift, daß der alte Flickschuster, der bei ihrem Eintritt aufgestanden ist, und sich die Hände an der Schürze abgewischt, und die Schürze abgebunden und die Aermel der wollenen Jacke heruntergestreift hat, – daß dieser alte verhuzzelte Mann – »irre ich mich nicht? sind Sie es denn wirklich?«
Er hat, während die junge Frau auf ihn einredet, dagestanden, die schwieligen Hände über einander gefaltet, den Blick auf den Boden gesenkt. Jetzt hebt er das Gesicht; es ist so voll bis in die letzte Falte von Kummer und Bitterniß, und »Ne, Sie irren sich nich!« Es sind nur fünf Worte; aber es liegen die fünf Jahre d'rin, die er hier oben verbracht hat, mit den schlaflosen Nächten und der Sorge um seinen ehrlichen Namen, und dem Kummer um seinen verlorenen Sohn. Nicht als ob das seine Absicht gewesen wäre! »Zu bedauern? warum? ick will gar nicht bedauert sind.« Es ist ein trefflicher Griff des Verfassers, daß er seinem Helden diese Standhaftigkeit im Unglück leiht, ja, ihm ein Stück gesunden Humors gelassen hat; aber wie beutet der Künstler auch diesen Zug aus!
Die junge Frau hat ihm von sich selbst, von seiner Tochter erzählt; es ist das Alles schmerzlich für den Alten, aber er kann es tragen; jetzt fängt sie an von seinen Enkelkindern zu sprechen, deren einer nach ihm genannt ist: Gottlieb! da ist's mit seiner Kraft zu Ende. Er sinkt langsam auf seinen Schemel, die Ellnbogen auf dem niedrigen Tisch. »Es muß hier roochen!« sagt er aufblickend; aber die Thränen lassen sich nicht zurückhalten und das Gesicht in die Hände gedrückt, weint er. Ich glaube, da sind wenig Augen thränenleer geblieben; ich weiß es freilich nicht; mir waren für einige Momente die Bühne und das Publikum hinter einem dichten Schleier verschwunden.
Folgt die letzte Scene, in der sich natürlich Alles zum Guten wendet; der Alte thut den Kniefall, auf den sich sein Schwiegersohn festgeschworen, indem er jenem Maß zu einem paar Stiefel nimmt. Ja, »seine einzige Passion« wird gerettet; Leopold wird zurückkehren als gebesserter Mensch; und der Vorhang fällt über dem glückseligen Gesicht eines alten Mannes, dem wir von Herzen gut geworden sind und dem wir alles Gute wünschen für die paar Jahre, die er im besten Falle noch zu leben hat.
Denn daß dieser alte Mann Carl Helmerding ist, den wir auf und von der Bühne so oft gesehen haben und noch zu sehen hoffen – daran erinnert man sich nur nach einiger Anstrengung: so gründlich hat der Proteus die Verwandlung vollzogen. Da ist an dem Löwen kein Flecken mehr von dem Pardel, kein Haar mehr von dem Waldschwein; es ist alles echt; der Zauber hält; und hält, weil Alles echt ist.
Ich meine so:
Das Geheimniß dieses großen Meisters ist das Geheimniß aller großen Meister: daß sie ganz bei der Sache sind, daß sie ihre Seele in die Sache legen, so daß diese mit ihrer Seele erfüllte Sache sie selbst sind. Daraus entspringt die Bruchlosigkeit und Folgerichtigkeit des Werkes, und daraus wieder die überzeugende Kraft, die von dem Werke ausstrahlt. So ist es in aller Kunst, von der ungefügen, welche den Memnon in der thebaischen Ebene schuf, bis zu der vollendeten eines Raphael. So ist es vor Allem auch in der Schauspielkunst. Der Schauspieler, der nicht in seiner Rolle lebt, ist ein tönendes Erz und eine klingende Schelle, das Erz mag noch so laut tönen, die Schelle noch so hell klingen. Er trifft den Herzenston nicht; und was trifft er noch alles nicht! alle jene kleinen, scheinbar ganz gleichgiltigen Züge, die dem Laien durchaus entgehen, weil sie sich eben von selbst verstehen, weil das ja gar nicht anders sein kann! Ich glaube, ich habe auf diesen Blättern dem Leser schon so manche Probe dieser durchaus selbstverständlichen Kunst unseres großen Komikers gegeben; es fallen mir immer noch neue Einzelnheiten ein. Ich will von der technischen Genauigkeit, mit welcher er seine Schusterwerkzeuge handhabt, nicht sprechen: dergleichen versteht sich wirklich bei einem solchen Meister von selbst; aber man nehme Folgendes, das ich auf gut Glück aus der Fülle meiner Beobachtungen herausgreife. Als ihm die Flucht seines Sohnes mitgetheilt wird – die Scene spielt in einem Restaurant – will er sich nicht merken lassen, wie furchtbar ihn der Schlag getroffen; er greift nach dem Bierglase und trinkt und wie er das Glas wieder hinsetzen will, da wird es ihm dunkel vor den Augen und er findet die Tischplatte nicht. Nicht, als ob er sie suchte! Gott bewahre! er setzt das Glas nur einfach gleichsam daran vorbei, zweimal, bis er es beim dritten Male glücklich los wird, um sich mit beiden Händen nach den verdunkelten Augen zu fahren. – Und wie er in jener rührenden Scene im letzten Act über seinen Tisch gebeugt sitzt, da faßt er nach dem Herzen – nicht prahlerisch, man sieht es kaum; er thuts auch vielleicht gar nicht in der Absicht, daß man's sehe; aber wenn einem das Herz zum Weinen voll ist, muß man wohl danach greifen, man mag wollen oder nicht.
Nur noch Eins! es war, wie ich vorhin schon sagte, die 82. Vorstellung, der ich beiwohnte. Man rechne die Proben dazu; man rechne dazu die Arbeit des Memorirens einer so großen Rolle. Es ist gewiß noch zu niedrig gegriffen, wenn man annimmt, daß er gestern die Rolle zum Hundersten Male repetirte: Scene für Scene, Wort für Wort, Ton für Ton!
Und keine Spur von Ermüdung! Ich glaube genau Acht gegeben zu haben, und kann versichern: keine Spur von Ermüdung! das ist eine Leistung, die jener berühmten der Ameise Tamerlans würdig zur Seite steht; ja, dieselbe wohl noch übertrifft. Denn wenn das mit dem Weizenkorn beladene Thierchen hundertmal an dem glatten Stein in die Höhe kroch, bis sie den Gipfel endlich erreichte, so folgte es eben einem unwiderstehlichen dunklen Triebe –
Heiliger Plato! als ob der Künstler nicht unter der Allmacht dieses dunklen Triebes stünde, als ob er wüßte, was er thut, warum er es thut! noch dazu der Schauspieler, der Arme, der nur Eines weiß: daß ihm die Nachwelt keine Kränze flicht.
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