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(1874.)
Glücklicher Jüngling, der Du als Herold Deiner Tugenden den Homer fandest!
Es ist Alexander der Große, der gelegentlich einmal durch Cicero's Mund dem Achilleus dieses ein ganz klein wenig neidische, aber um so aufrichtigere Kompliment macht; und wahrlich, wenn, mit Schiller zu reden, »von den Erdengütern allen der Ruhm das höchste ist«, so käme ohne jenen Herold der Held um seiner Erdengüter besten Theil. Nur der Herold, ich meine: der Dichter, der Sänger, der Künstler finden den vollen höchsten Ausdruck für die große That; nur ihr Wort, nur ihr Werk überliefert ungetrübt den Spiegel einer großen Vergangenheit einer Generation der anderen als kostbares Vermächtniß.
In jenen alten Zeiten freilich! sagen die eminent praktischen Leute; aber heute! heute, wo wir tausend Stimmen haben, das Echo in den marmornen Hallen des Ruhmes zu erwecken! heute in dem Zeitalter der Telegramme, der Zeitungen, der »eigenen« Kriegskorrespondenten! Was gilt uns der Dichter, der Sänger, der Künstler! Sie sind überholt, auf die Seite geschoben, in die Rumpelkammer gestellt, wie die Postkutsche von dem Dampfwagen; welcher Reisende und welcher Held möchte heute noch, außer im schlimmsten Falle, seinen Leib oder seinen Ruhm einer Postkutsche oder einem Dichter anvertrauen! Fragt Bismarck! Er hat in einem Augenblick des Unmuths, wie er ja auch dem vergöttertsten Sterblichen kommen mag, der lauschenden Welt seine Geringschätzung selbst der Journalisten, dieser ihm und Anderen doch so überaus nützlichen, ihm und Anderen so gänzlich unentbehrlichen Menschenklasse, nicht vorenthalten: »Leute, die ihren Beruf verfehlt haben, mon cher, nichts weiter!« Schaudert es einem nicht zu denken, was wir zu sehen bekämen, wenn der große Kanzler seinen Uniformrock einmal ganz aufknöpfte? Würden wir nicht zu unserm Gram und unserer Scham erfahren, daß er in dem Herzen seines Herzens die Dichter, die Künstler und » hoc genus omne« in jenes Verdammungs-Urtheil einschließt, – den göttlichen Shakespeare vielleicht ausgenommen, der den Tack gehabt hat, bereits vor ein paar Jahrhunderten seine unsterbliche Seele auszuhauchen, so daß man ihn jetzt sehr wirkungsvoll citiren kann.
So aber dachten die Tausende nicht, welche man am 16. Juni 1871 und an den folgenden Tagen Unter den Linden, durch welche der Kaiser-König als Sieger in seine Hauptstadt wieder eingezogen war, vor einem großen Gemälde stehen sehen konnte, das als » velarium« die » via triumphalis« schmückte. Es war ein Ornament unter tausend andern Ornamenten; unter all den improvisirten riesengroßen Gestalten der Germania, der Borussia, unter all den Büsten und Portraits des Kaisers und seiner Paladine; ja es hingen in der »via« noch vier oder fünf solcher »velarien«. weshalb drängte sich die Menge ganz besonders nach diesem Einen? weshalb sah man noch in den folgenden Tagen, als die übrigen Schaustücke bereits ihre Anziehungskraft zu verlieren begannen, Hunderte und Tausende immer wieder zu diesem Bilde wallen, wie gläubige Katholiken zu einem Heiligenschrein, der die wunderthätigen Gebeine irgend eines Märtyrers einschließt?
Nun, es war in der That etwas Wunderthätiges in dem Bilde; es hatte das Wunder vollbracht, der tief aufgeregten Volksseele ihr eigen Abbild zu zeigen; ihr zu zeigen, welchen Körper sie annahm in jenem ungeheuren Augenblicke, als die Botschaft nach Berlin kam, und mit Blitzesschnelle durch das ganze Land lief, durch alle Städte und Dörfer, bis in das Häuschen des letzten Häuslers: Der Krieg ist erklärt!
Ungeheurer Augenblick! Wer, der dich erlebt – nicht auf dem Zeitungspapier in der ruhigen Sicherheit seines neutralen Bewußtseins – sondern in seinem eigenen Fleisch, das vor Entsetzen zuckte, in seinem Blute, das vor Zorn kochte, in den Augen von Tausenden, die begeistert aufblickten, in den tausend und tausend Armen, die sich zum Schwur gen Himmel streckten, in dem Donnerruf aus tausend und abertausend Kehlen, als der König an jenem schwülen Sommerabend zugleich mit der Kriegsbotschaft von Ems nach Berlin kam – wer, der das erlebt, möchte zu hoffen wagen: er könne das wiedergeben, schildern, zusammenfassen, in einem Wort oder Bild – gleichviel – aber so, daß nachwachsende Enkelgeschlechter sagen dürften: So war es, so muß es gewesen sein!
Jenes Bild hatte eben dieses Wunder vollbracht. Was war das Bild? Was stellte es dar? Zuerst, wo ist die Scene?
Hic et ubique! Aus der Erde, in den Wolken – auf der Erde, deren echteste Söhne diese gewaltigen Kriegergestalten sind, die sich kampfesfroh gegen einen Feind stürzen, welcher vor ihren wuchtigen Streichen zusammenbricht; in den Wolken, auf denen, von zwei weißen Rossen gezogen, ein Wagen daher gedonnert kommt, der, stark wie er ist, dennoch die göttlichen Gestalten kaum tragen zu können scheint, deren starre Augen alle nur einen Ausdruck haben, deren nackte Schwerter alle nur in eine Richtung weisen! Nach dem Adler weisen, der vor dem Streitwagen voraus mitten in das schwärzeste Gewölk hinein rauscht und seine Klauen in den gallischen Hahn schlägt, daß die Federn davon stäuben.
Worte, Worte, Worte! Ich fühle es wohl, selbst vor der Quadratfuß-großen Photographie, die in diesem Moment vor mir auf meinem Schreibtisch steht, und nun gar, wenn ich an das farbenprächtige, riesengroße Original denke, auf dem der Junisonnenschein so hell lag. Wer könnte das beschreiben! Wie in den Mähnen der weißen Rosse der Sturm wühlt, wie sie mit den weit aufgerissenen Nüstern den Leichengeruch des Schlachtfeldes wittern! wie sie halb in Angst, halb in Zorn hinein wiehern in den Graus! – Und wie die nackten Jünglinge, die auf ihnen reiten, die nackten Schwerter zücken, daß man nur noch Blitze zu sehen glaubt, die aus den Wolken fahren!
Und dann der Kampf unten: der Kampf der braven deutschen Landwehr gegen Turkos und Garde, – ein paar Figuren nur: und doch glaubt man ein ganzes großes Schlachtfeld zu sehen; ja viel mehr als das. Es ist der Geist jener großen Tage, der hier leibhaftig vor uns steht, der hier verkörpert ist in den braven Jungen, die auf den Feind loshämmern, wie sie noch eben in ihrer Werkstatt auf das Eisen schlugen; in der Heldengestalt des Kronprinzen auf schwarzem Rosse, der laut rufend seine Getreuen in den Kampf führt.
Das fühlten Alle, die vor dem Bilde standen und – staunten. Wer war der Mann, der so Großes geleistet, der so wunderbar beredt zu seinem Volke sprechen konnte, daß es in dem Herzen des Gebildeten ebenso laut ein Echo gab, wie in dem Herzen des armen Bauern! Und ein Name wurde genannt, den von all diesen Tausenden kaum Einer vorher gehört, und von dem doch Alle sich sagten, daß dieser Name ihnen unvergeßlich sein werde wie dieses Bild: Anton von Werner.
Wer war Anton von Werner?
Man fragte, man forschte und man erfuhr bei denen, welche ex officio wissen, was auf dem Markte der Kunst vorgeht, nicht ohne Mühe einige Details, die ich hier zusammenstellen will.
Anton v. Werner ist am 9. Mai 1843 zu Frankfurt a. O. geboren, steht also jetzt auf der Höhe seines Ruhmes in dem beneidenswerthen Alter von 31 Jahren. Siebzehn Jahre alt, bezog er die Berliner Akademie, die aber in der traurigen Verfassung, in welcher sie sich damals befand und leider noch befindet, einem Kinde, das so kräftige Nahrung verlangte, wie dieses hier, keine alma mater sein konnte. So folgte er denn gern einer Einladung des Professor Ad. Schrödter in Carlsruhe, des in weiten Kreisen durch seine geistreichen Don Quixote-Bilder bekannten Malers, der die seltene Begabung des jungen Mannes richtig erkannt hatte und sich in ihm einen Schüler heranbilden wollte. Nun, der Schüler hat den Meister überflügelt, das ist so der Weltlauf, »dem großen Talent folget ein größeres nach«; aber der Meister hat es ihm nicht verübelt; er gab ihm, als die Zeit kommen war, seine älteste Tochter zur Frau. Die Zeit aber kam erst zehn Jahre später. Damals hatte der Jüngling an andere Dinge als an heirathen zu denken; hatte eifrig zu arbeiten und zu studiren in dem Atelier des Meisters und anderer Meister, wie C.F. Lessing und Hans Gude; und zu lernen in dem Umgang mit bedeutenden Dichtern, wie J. v. Scheffel, dessen Werke zu illustriren, eine seiner ersten Aufgaben wurde. Doch auch größere Bilder entstanden: ein »Luther vor Cajetan« (1865), ein »Conradin von Hohenstaufen und Friedrich von Baden, das Todesurtheil hörend« (1866) mit lebensgroßen Figuren. Ich habe diese Bilder nicht gesehen; aber sie können nicht schlecht gewesen sein – das Genie macht nichts Schlechtes – und sie sind wahrscheinlich gut gewesen, denn der Künstler gewann mit ihnen den Preis der berliner Michael Beer'schen Stiftung für Historienmaler, der es ihm möglich machte, nach Frankreich und Italien zu gehen und dort seine Studien fortzusetzen, neue Illustrationen zu andern Werken des Freundes zu entwerfen, unter andern die berühmten zum »Trompeter von Säckingen«, und ein größeres Bild zu malen: »Heinrich's IV. Raub durch Hanno von Köln.«
Das erste Jahr des Krieges 1870 findet ihn in Kiel, wo er für die Aula des dortigen Gymnasiums zwei große Wandbilder malt: »Luther vor dem Reichstage in Worms« und »Die nationale Erhebung von 1813.«
Es ist ein altes schönes deutsches Wort: Gott führt seine Heiligen wunderbar! Welche dankbareren Stoffe konnten in dieser Zeit den Mann beschäftigen, welchen der Genius unseres Volkes zu dem Maler seiner größten Thaten auserwählt hatte! Und ist nicht auch ein Stück Vorsehung in dem Umstand, daß der Fürst, an dessem Hofe der junge Künstler ein gern gesehener Gast war, der Schwager des Mannes sein mußte, dessen Heldengestalt die Blicke seines Volkes zagend und jubelnd in den Pulverdampf von Wörth und Sedan begleitet hatten, und der in diesem Augenblick (Herbst 1871) vor Paris lag mit seiner Armee und den jungen Maler, den ihm sein Schwager so eifrig empfohlen, zu sich in sein Hauptquartier nach Versailles rief!
Dort blieb A. v. Werner bis zum 7. März 1871 und – wir wissen jetzt, wo er den Geist einathmete, der so überwältigend, so alle Welt in seinen Bann zwingend, aus dem großartigen Bilde des velarium sprach.
Seit jenem Tage des 16. Juni 1871 war A. v. Werner's Name der Nation theuer geblieben und in dankbarer Erinnerung, und als es sich zwei Jahre später darum handelte, wer das große Fresko-Gemälde in der Halle der Siegessäule auf dem Königsplatze ausführen solle, da war alle Welt, vom Kaiser bis zu dem letzten Spießbürger, darüber einig, daß dies nur ein Mann sein könne: A. v. Werner.
Man kennt die Geschichte dieser Siegessäule, die in ihre Bestimmung hineingewachsen ist, ein wenig wie ein Junge in seines Vaters Kleider. Man weiß, wie die Säule ursprünglich ein Denkmal sein sollte des schleswig-holsteinischen Krieges, den wir 1864 mit Oesterreich zusammen führten; wie sie dann auch die Siege verherrlichen sollte, welche wir zwei Jahre später über eben jenes Oesterreich davontrugen; und wie nun schließlich im Jahre 70 der französische Krieg losbrach, vor dessen Donner das Echo der Kanonen von Düppel und Königgrätz verstummte, wie das Geheul der andern Bestien in der Menagerie, wenn der Löwe brüllt.
Ist es die ermüdende Länge der Zeit, während man sich mit der Idee dieses Denkmals getragen, ist es die komplizirte und konfuse Abstammung, – das Denkmal hat kein Kunstwerk in dem Sinne werden wollen, auf welchen die Nation Schlüter's, Schinkel's, Cornelius', Rauch's ein Anrecht hat. Dem sei nun wie ihm wolle. Die innere Wand der runden, von 16 Säulen getragenen Halle, welche sich über dem granitnen, quadratischen Unterbau erhebt – die Halle hat einen Durchmesser von 50 Fuß – wird ein Gemälde schmücken, das den »Siegesspargel« wieder zu Ehren bringen und zu einem Wallfahrtsort der patriotischen Menge machen wird.
Dieses Gemälde ist: » Der Kampf mit Frankreich um die deutsche Einheit« von Anton v. Werner.
Ich habe darauf verzichten müssen, eine Beschreibung des velarium zu geben, das auf verhältnißmäßig wenig Quadratmetern aus vielleicht einem halben Dutzend Personen bestand. Wie sollte ich den Versuch wagen, ein Bild Zu beschreiben, das auf mehr als tausend Quadratfuß zur Lösung einer solchen Aufgabe – ich weiß nicht – wie viele Personen nöthig hat.
Aber nicht so viel als man denken möchte. Das Wunderbare dieses Meisters in, daß er mit einer kühnen Symbolik in ein paar Figuren sagt, wozu Andere ganze Gemälde brauchen würden. Er kennt aus dem Grunde das große Geheimniß der » representative men.« Da ist auf diesem Riesengemälde Germania, die sich drohend diesseits des Rheines erhebt über den Ufern, an welchen ein Fischer ängstlich seine Netze einzieht. Da schwebt von Jenseits aus den Lüften eine bleiche Cäsarengestalt den Hunger und die Pest und den Tod in ihrem Gefolge. Da stürmt von Diesseits die deutsche Jugend herbei, zu Fuß und zu Roß, und den Reitern sprengt eine Gestalt voran, die Niemand anderes als der kühne Reiterführer Prinz Friedrich Karl sein kann. Und dann ist der Rhein verschwunden, und auf dem Schlachtfeld, über Leichen und Trümmern reichen sich Süd- und Nord-Deutschland in den Gestalten zweier Ritter hoch zu Roß, von denen der eine unser Kronprinz, der andere der bairische General v. Hartmann ist, die Hände. Und dann sind wir im Schlosse von Versailles, das durch ein Paar Säulen angedeutet wird, und die deutschen Fürsten und die Paladine des Reiches, die Bismarck, Moltke, und wie die erlauchten Namen lauten, und die Repräsentanten des Heeres rufen Wilhelm den Ersten zum deutschen Kaiser aus, am 18. Januar 1871 – gerade 170 Jahre nachdem sich König Friedrich I. aus einem Kürfürsten von Brandenburg zu einem König von Preußen gemacht hatte. Der alte Barbarossa im Kyffhäuser erwacht und die Raben, die den Berg jahrhundertelang umkrächzt, fliegen davon.
Man hat dem Künstler von einigen Seiten diese Herbeiziehung symbolischer und allegorischer Elemente zum Vorwurf gemacht; und es ist ja nicht zu leugnen, daß auf dem Wege eine Gefahr liegt; aber ich behaupte, daß er dieser bisher glücklich entgangen ist, und immer entgehen wird. Die Allegorie ist nur für die wirklich gefährlich, die keine anderen Ausdrucksmittel oder andere Ausdrucksmittel nicht in ausreichender Fülle haben; wer über alle directen Mittel der Kunst so souverän verfügt, wie Anton v. Werner, der darf, wo diese zu Ende sind, keck zum Zeichen seine Zuflucht nehmen. Und was Werner als realistischer Maler leisten kann, hat er längst auf das glänzendste bewiesen. Da ist ein wunderbares Porträt Moltke's in seinem Arbeitszimmer zu Versailles, auf welchem der große Schweiger vor uns steht, wie er leibt und lebt; da ist ein Moltke zu Pferde mit seinem Stabe, Paris observirend, wo die hurrahrufenden Kanoniere und der französische Lehm, der von den preußischen Kanonenrädern in dicken Klumpen herunterfällt, dem enragirtesten Realisten genug thun. Da ist endlich das Gemälde, das ich kürzlich im Atelier des Künstlers in der Untermalung eine ganze Wand einnehmen sah: abermals die Szene im Versailler Schloß, aber ohne Kaiser Rothbart und Raben und Walkyren und sonstigen symbolisch-allegorischen Apparat, dafür aber mit unseres Kaisers greiser Heldengestalt, die auf dem Siegesdenkmal mit allzugroßer Bescheidenheit der Borussia Platz gemacht hat.
Dieses letzte Gemälde schenken die deutschen Fürsten ihrem Kaiser, und es wird, wenn es vollendet, in dem Weißen Saale im kaiserlichen Schlosse seine Stelle finden, demselben Saale, in welchem die deutschen Reichstage eröffnet und geschlossen werden.
So haben die Fürsten und das Volk durch ihr einstimmiges Votum Anton v. Werner, den dreißigjährigen jungen Mann, zum Herold ihrer Ruhmesthaten feierlich bestätigt; und die Muse der Geschichte wird kein Veto sprechen, sondern den Namen ihrerseits in ihre Ruhmestafeln auf immer eintragen.
Und wenn ich das bedenke, möchte ich des ehrgeizigen Macedoniers Ausruf also wenden: Glücklicher Mann, der Du für die Entfaltung Deines Genius solche homerische Thaten gefunden hast!
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