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IV.

So hatte denn Hans, worauf ihm vorläufig Alles ankam, einen Dienst im Dorf, in unmittelbarer Nähe seiner Grete, und das machte ihn so vergnügt, daß es ihm gar nicht schwer wurde, seiner Natur zu folgen und Alles von der guten Seite zu nehmen, zumal die Art seiner Arbeit ihm wohl zusagte. Herr Heinz hatte oben in den Bergen, nicht weit von der Landgrafenschlucht, ein tüchtiges Stück Wald, aus dem er jährlich einen Theil seines Brennmaterials schlug. Die Hauptmasse für dieses Jahr war schon geschlagen und in Kloben aufgeschichtet; es blieben nur noch ein paar Dutzend Bäume zu fällen und zuzurichten und hernach Alles ins Dorf herunterzufahren. Diese Arbeit erforderte einen starken und kühnen Mann, gerade so einen, wie der Hans war, und weil der Hans das selbst recht gut wußte und seine Stärke und Kühnheit jeden Tag aufs Neue erproben konnte, war es ihm so wohl und so leicht ums Herz, wie er sich in den zwei Jahren als Soldat niemals gefühlt hatte, obgleich er keineswegs ungern Soldat gewesen war.

Was ihm aber noch besser gefiel als die Arbeit, war, daß er den ganzen Tag im Walde zubringen durfte. Der Wald hatte es ihm angethan von Jugend auf. Schon als er noch nicht der große Hans, sondern ein ganz kleiner Junge war, hatte er sich nichts Besseres gewußt, als den halben und lieber noch den ganzen Tag im Walde zu sein. Er war noch nicht acht Jahre alt, als er jeden Weg und jeden Steg ringsum in den Bergen kannte, und wußte, wo die Heidel- und Preißelbeeren am dichtesten standen, wo es die besten Brombeeren und Hagebutten gab, wo man nach Brot- und Eierschwämmen zu suchen hatte und die mancherlei Kräuter, aus denen der Bauer seine Hausmittel macht und für die der Apotheker in Fichtenau, wenn man sie ihm in saubern Bündeln brachte, ein gutes Stück Geld gab. Ein paar Jahre später waren die Vögel seine Leidenschaft; es gab keinen geschickteren Finkler weit in der Runde, als den zehnjährigen Hans; dann kamen die Vierfüßler an die Reihe, und kein Revierförster hätte besser, als der Hans, zu sagen gewußt, wo die Hirsche standen, wo sie ihren Wechsel hatten, wo man sicher sein konnte, einen oder ein paar Hasen auf dem Anstand zu schießen, und wo Meister Reinecke vor seinem Malepartus mit dem jungen Wurf in der Sonne spielte.

Das hat der Junge von seinem Vater, sagten die Leute, und eine Schande ist's, daß der alte Taugenichts seinen Sohn auch zu einem Wilddieb macht.

So schlimm war's nun freilich nicht. Von dem Vater mochte der Junge wohl die Leidenschaft für den Wald und die Jagd haben, auch daß er ihm seiner Zeit eine Armbrust geschnitzt hatte, mit welcher Hans nach Sperlingen schoß, war nicht in Abrede zu stellen; aber mit auf seine nächtlichen Streifzüge nahm er den Jungen nicht, und es hatte ihm ja auch nie bewiesen werden können, daß er ein richtiger Wilddieb war, so oft man ihn auch chikanirt und manchmal wochenlang in Untersuchungshaft gehalten, bis er sich zuletzt dem Trunk ergab und Keiner mehr den armen verkommenen Menschen in Verdacht hatte, daß er in hellen Mondnächten seine Büchse oben in den Bergen abschoß.

Hans mußte oft an das Alles bei seiner Arbeit denken, und öfter noch, wenn er sein Frühstück, Brot und Speck, neben sich auf dem Baumstamm liegen hatte und einen Schluck aus der Flasche nahm. Ja, die Flasche, die Flasche! Die hatte den Alten zu Fall gebracht! Und Hans nahm sich vor, sich vor der Flasche zu hüten, um so mehr, als er recht gut seine Neigung kannte, gelegentlich einmal zu tief hineinzusehen. Nein, sagte Hans, das soll mir Keiner wieder nachsagen; ich müßte mich ja vor der Grete in Grund und Boden schämen; daß ich den Hirschen nichts thue, dafür ist schon gesorgt.

Und Hans nahm einen tüchtigen Schluck, legte die Flasche neben sich und horchte. Ein heller, vielfach gebrochener Ton schallte aus der Luft; es waren Kraniche, die gen Süden zogen. Nach dem Geschrei zu urtheilen, mußten sie schon sehr nahe sein und außergewöhnlich niedrig fliegen, vielleicht um in den Bergsumpf zu fallen, der ein paar Tausend Schritte weiter im Walde lag. Hans pochte das Herz, er griff nach dem Klafterstock, der neben ihm lehnte, und hielt ihn, wie eine Flinte, im Anschlage. Jetzt kamen die Vögel herbeigeschwingt – kaum hundert Fuß hoch, man hörte das gewaltige Rauschen der Flügel – ein prachtvoller Winkel, dessen eine Linie sich hob und senkte, einbog und wieder gerade wurde – und jetzt kam ein Vogel, der etwas zurück geblieben war, noch tiefer, als die Anderen. Hans drückte den Klafterstock fest an die Backe: Puff! schrie er.

Das gefiel' Dir wohl! sagte eine tiefe Stimme dicht hinter ihm.

Hans drehte sich um. Es war der alte Revierförster Bostelmann, mit Flinte und Jagdtasche, den Hund an der Leine.

Warum nicht? sagte Hans.

Der Revierförster Bostelmann war der schlimmste Feind von Hans' Vater gewesen, kein Wunder also, daß sich die beiden Männer nicht eben freundlich in die Augen blickten.

Also Du bist auch wieder hier? sagte der Förster.

Wie Ihr seht! sagte Hans.

Seit wie lange, wenn man fragen darf?

Seit vierzehn Tagen, wenn Ihr nichts dagegen habt.

Des Alten Gesicht verfinsterte sich zusehends; die grauen Augenbrauen hatte er dicht zusammengezogen, und den dicken Schnauzbart schob er hin und her, als ob er einen harten Bissen kaute.

So, sagte er nach einer Pause, seit vierzehn Tagen? Das stimmt ja ganz vortrefflich. Was stimmt vortrefflich? Der Alte lachte höhnisch? Die Miene kennen wir, guter Freund; aber ich will Euch einmal was sagen, das Ihr Euch hinter Eure jungen Ohren schreiben mögt. Meine alten Ohren sind noch sehr gut und kennen den Knall von Eures Vaters Büchse noch ganz wohl.

Freut mich, daß Ihr ein so gutes Gedächtniß habt, sagte Hans.

Des Alten rothes Gesicht wurde braun vor Zorn. Freut Euch das? So? rief er. Na, freut Euch immerzu. Die Freude soll hoffentlich nicht lange dauern; ich will Euch das Handwerk bald genug legen – das will ich.

Herr Bostelmann zog das Gewehr, das er an einem Riemen über der Schulter trug, kräftiger an, gab seinem Hunde, der unterdessen an Hans' Frühstück herumgeschnüffelt hatte, einen Tritt, stampfte mit seinen kurzen, in Wasserstiefeln steckenden Beinen über die Lichtung davon und verschwand in der Schneise, die von hier aus quer über den Berg nach der Landgrafenschlucht führte.

Hans blickte dem Alten so verwundert nach, daß er ausnahmsweise diesmal gar nicht zu dem Gedanken kam, der bei solchen Gelegenheiten stets sein erster war, ohne daß er ihn jemals ausführte: er hätte den Förster doch eigentlich für seine Grobheit durchprügeln müssen.

Laß den alten Narren laufen, dachte Hans bei sich und glaubte, sich so die Sache aus dem Kopf geschlagen zu haben.

Aber während er mächtig in die Stämme hinein hieb, mußte er immer wieder an die kuriosen Reden denken, die der Alte geführt hatte. Was meinte er nur mit den vierzehn Tagen, die stimmen sollten? und was mit dem Knall von Vaters Büchse, den er noch genau kennen wollte? Ja, wo mag die jetzt sein!

Mit dieser Büchse hatte es eine eigene Bewandtniß. Es war eine sehr schöne, kostbare Büchse gewesen, die der Vater, der als der trefflichste Scheibenschütze weit und breit berühmt war, in besseren Jahren einst bei einem Schießen gewonnen hatte. Sie war sein größter Stolz, hatte in der Wohnstube den Ehrenplatz an der Wand, und die einzigen Schläge, die Hans je von seinem durchaus gutmüthigen Vater erhalten zu haben sich erinnerte, hatte er bekommen, als er sich einmal einfallen ließ, die Büchse von der Wand zu nehmen und damit zu spielen. Als der Vater später in den Verdacht kam, ein Wilddieb zu sein, und man ihm schärfer und schärfer zusetzte, verschwand eines Tages die Büchse mit allem Zubehör und kam nicht wieder zum Vorschein. Er sagte aus, er habe sie verkauft, dann, er habe sie in den Teich geworfen, dann, der Teufel habe sie geholt. Man gab es endlich auf, die Wahrheit heraus zu bekommen, um so mehr, als der Mann, in Folge seiner Trunksucht, zuletzt für unzurechnungsfähig erachtet werden mußte. Als er dann bald starb und über sein Vermögen der Konkurs erklärt wurde, hatte man abermals nach der kostbaren Büchse eifrig gesucht und abermals nichts gefunden. Auch der Hans war eidlich zu Protokoll genommen worden, hatte aber nur, der Wahrheit gemäß, aussagen können, daß er über den Verbleib des Gewehrs so wenig wisse, wie ein Anderer. Man hatte scheel dazu gesehen; der Herr Schulze hatte gemeint, Art lasse nicht von Art und der Apfel falle nicht weit vom Stamm; aber Hans hatte sich das, im Bewußtsein seiner Unschuld, nicht weiter anfechten lassen, und als er bald darauf unter die Soldaten kam, hatte er die Geschichte mit der Büchse ganz vergessen, bis er heut Morgen auf eine sonderbare Weise daran erinnert wurde.

Was meint der Kerl nur mit der Büchse? wiederholte er sich den ganzen Tag, und ruhte heut öfter, als sonst, von der Arbeit aus und fragte, die aufgestämmte Axt zwischen den starken Händen: Was meinte er nur damit?

Aber noch auf dem Nachhauseweg sollte er über die Meinung der verfänglichen Worte aufgeklärt werden.

Als er nämlich einen jener tief eingeschnittenen Hohlwege passirte, wo der Regen und die Wagenräder im Lauf der Jahrhunderte tiefe, unregelmäßige Furchen in den nackten Stein gegraben hatten, begegnete ihm der Pantoffel-Claus, der mit seinem Hundewagen bergauf fuhr. Der Alte hatte sich in den diesmal leeren Wagen gesetzt, und Hans jammerten die armen Thiere, die, so stark sie auch waren, ihre liebe Noth hatten, den ziemlich abschüssigen Weg hinauf zu kommen.

Du könntest auch wohl nebenher gehen, sagte Hans.

Sie sind es so gewohnt, sagte Claus, rappelte sich aber doch aus seinem Fuhrwerk heraus und stand jetzt vor dem Hans – ein kleines, verhuzzeltes, graues Männchen, mit den scharfen Aeuglein zu ihm hinaufblinzelnd.

Na, Hans, wie geht's da oben? fragte er.

Ganz gut, erwiderte Hans, verwundert, daß der Alte, der sonst die Schweigsamkeit selber war, sich auf ein Gespräch einlassen zu wollen schien; denn er stopfte sich seine kurze Pfeife und bot auch dem Hans von dem Tabak an, den dieser, der ein leidenschaftlicher Raucher war, annahm.

Hast den Förster heut oben gesehen? fragte der Alte, indem er den brennenden Schwamm auf den Tabak legte und mächtig zu dampfen begann.

Diese Frage brachte Hans auf das Thema, das er den ganzen Tag lang, ohne demselben beikommen zu können, behandelt hatte. Er erzählte seine Begegnung mit Herrn Bostelmann, und welch' kuriose Reden Herr Bostelmann geführt habe.

Kann Dir's erklären, Hans, sagte der Pantoffel-Claus, der, ohne eine Miene in seinem alten runzligen Gesicht zu verändern, aber mit großer Aufmerksamkeit zugehört hatte, es sind seit einiger Zeit ein paar Hirsche oben verschwunden, die der Bostelmann nicht gebucht hat, und da denkt er denn, weil Du doch nun einmal Deines Vaters Sohn bist und ja die Büchse von ihm geerbt hast –

Aber zum Kukuk, rief Hans ungeduldig, fangt Ihr nun auch noch an? Ich sagt's Euch ja, daß ich nicht besser weiß, wo Vaters Büchse in diesem Augenblicke ist, als Eure Hunde es wissen.

Der Pantoffel-Claus lächelte ungläubig. Nun, nun, sagte er, ich meinte ja nur so; ich bin ja kein Revierförster, gegen mich kann man schon ein Wörtchen fallen lassen; der alte Claus kann schweigen, ja, das kann er. Hab' mit Deinem Vater selig so manches Geschäft gemacht; die Hunde da und der Karren könnten ein Wort mitsprechen, indessen, wie Du willst, Hans, wie Du willst.

Der Alte rief den Hunden, die mit lechzenden Zungen dagelegen hatten, und schritt neben ihnen her mit für sein Alter bewundernswerther Geschwindigkeit, den Weg aufwärts.

Hans blickte der kleinen grauen Gestalt nach, und als dieselbe zwischen den Tannen verschwand, wurde es ihm mit einem Male so seltsam zu Muthe, daß er mit langen Schritten, fast laufend, von dem Orte wegzukommen suchte, wo die Unterredung mit dem unheimlichen Alten stattgefunden hatte.

Also der meint auch, daß ich die Büchse habe, sagte er bei sich. Ich meine, die Leute sind närrisch.

Hans war ein mittheilsames Gemüth, und so konnte er nicht unterlassen, als er heut Abend mit dem Bäcker vor der Hausthür stand, auf dessen steinernen Stufen die Bäckerin und ihre drei Töchter Flachs klopften, jenem zu erzählen, was ihm mit dem Förster begegnet war. Und nun geschah es zu seiner großen Verwunderung und nicht geringem Aerger, daß der Meister ebenso ungläubig lächelte, wie der Pantoffel-Claus, und lächelnd sagte:

Je weniger Du davon sprichst, Hans, desto besser ist es, und wenn Du die Büchse mal verkaufen willst – hier kannst Du sie ja doch nicht wieder sehen lassen, nachdem Du sie abgeschworen hast – ich selbst gehe nicht mehr auf die Jagd, seitdem ich mich mit dem Repke erzürnt habe; denn ich denke immer, der Kerl schießt dich einmal aus Versehen todt – aber mein Bruder in Mäusebach möchte gern ein gutes Gewehr haben, wenn er's billig bekommen kann, und Du wirst ja unter diesen Umständen keinen hohen Preis machen.

Ja, da kommst Du schön an, sagte die älteste Tochter, deren Schlägel, während die Männer sprachen, geruht hatte; der Hans ist ein vornehmer Herr, bei dem ist Alles kostbar.

Ich habe Dir noch nichts verkaufen wollen, sagte Hans.

Nähme auch von Dir nichts, und wenn ich's geschenkt bekommen könnte, sagte das Mädchen und lachte laut.

Die Anne bleibt Dir keine Antwort schuldig, sagte der Bäcker schmunzelnd.

Darum frage ich sie auch nicht, erwiderte Hans.

Die Anne war ein großes, starkes, schönes Mädchen mit prächtigen Zähnen und grauen, lachlustigen Augen. Dem Hans kam es heut Abend nicht zum ersten Mal so vor, als ob diese Augen mit Wohlgefallen auf ihn blickten. Und darin hatte sich denn Hans auch nicht getäuscht; ja noch mehr, der Bäcker hätte nichts dagegen einzuwenden gehabt, wenn aus den Beiden ein Paar geworden wäre. Er war ein wohlhabender Mann in seiner Art; aber er hatte fünf Kinder und er wußte recht gut, daß ein Paar Arme wie die, über welche der Hans verfügen konnte, schon ein kleines Vermögen aufwogen. Ueberdies hatte die Anne, die ihren Kopf für sich hatte, schon ein paar Bewerber laufen lassen und war nicht mehr jung genug, um noch lange warten oder große Ansprüche machen zu können. Wollte sie also den Hans – und daran zweifelte Meister Heinz nicht – und wollte der Hans sie – was nicht ebenso gewiß war – nun denn – Meister Heinz war ein guter Vater und konnte, wenn ihm Jemand konvenirte, über die etwaigen Schwächen und Mängel desselben ein Auge zudrücken.

So ließ sich nicht leugnen, daß Hans' Ruf, trotzdem sein Militärpaß sehr gut lautete und er sich während der ganzen Zeit, daß er bei dem Bäcker diente, nicht das Mindeste hatte zu Schulden kommen lassen, keineswegs der beste war. Man konnte ihm nicht vergessen, daß er sich gleich den ersten Tag als Schalksnarren eingeführt hatte; man trug ihm die Scherz- und Witzreden nach, mit denen er freilich nur zu freigebig war; man erzählte sich, daß selbst der Herr Pfarrer es für ein Unglück erklärt hätte, wenn solche wüste Menschen, wie der Hans, unter den jungen Gesellen in der Gemeinde den Ton angäben; und als gestern Abend der Förster Bostelmann im Wirthshause gesagt hatte, daß seit vierzehn Tagen die Wilddieberei wieder heillos im Gange und es nothwendig Einer aus dem Dorfe sei, da hatten die um den Förster Versammelten sogleich an den Hans gedacht und die Köpfe zusammengesteckt, und der Schulze Eisbein hatte gemeint, er habe es ja immer gesagt, der Apfel falle nicht weit vom Stamm.

Aber Meister Heinz war ein aufgeklärter Mann und machte sich den Pfifferling aus solchem Altweibergeschwätz, wenn es in seinen Kram nicht taugte. Er hatte nun einmal herausgebracht, daß der Hans für seine Anne der rechte Mann sei, und so war er denn auch heut Abend ganz besonders freundlich gegen ihn, und redete mit ihm ein Langes und Breites über das Holz und über den sechsjährigen Schimmel, den er gestern in Schwarzenbach gekauft hatte, da der alte Fuchs die schwere Arbeit doch nicht mehr bewältigen könne.

Während der ganzen Zeit stand der Hans wie auf Kohlen; denn die Stunde, wo ihn Grete an dem Teich unter den Pappeln erwartete, hatte geschlagen; er mußte fürchten, sie zu verfehlen, wenn er länger blieb. So gähnte er denn einmal über das andere, that, als ob er vor Müdigkeit sich nicht mehr halten könne, und sagte endlich gute Nacht, ohne sich an den Spott der Anne zu kehren, die hinter ihm herrief, ob sie ihm zu Weihnacht eine Schlafmütze stricken solle?

Hans ging langsam die schmale Gasse hinauf bis an sein Haus; da sah er sich vorsichtig um und schlüpfte dann in den engen Gang, der zwischen seinem Hause und der Scheune des Bäckers direkt nach dem Teiche führte. Dort stahl er sich, lautlos fast, von Baum zu Baum, um den halben Teich herum zu dem Platz, bis zu welchem Grete ihm entgegenzukommen pflegte.

Grete war nicht da; aber das Licht in dem Küchenfenster von des Schulmeisters Hause brannte noch – und das war das Zeichen, daß Grete möglicherweise noch kommen werde. So setzte sich denn Hans auf den Baumstumpf und starrte nach dem Licht und horchte auf jedes Geräusch, das sich vernehmen ließ.

Der Abend war so finster, wie ein Abend im Anfang des Oktober nur sein kann. Kein Stern war am Himmel, der Wind raschelte in den dürren Blättern der Pappeln. Von Zeit zu Zeit bellte ein Hund, oder eine Kuh brüllte dumpf aus ihrem Stall; hoch oben von der Landgrafenschlucht herab rauschte der Wald, und unten zu seinen Füßen gurgelte der Bach.

Hans hörte das Alles mit seinen scharfen Ohren; manchmal richtete er sich auf, denn es war ihm, als ob er Grete's leisen Fußtritt vernommen hätte; aber es war nur das Laub am Boden gewesen, das durcheinander wirbelte. Endlich fielen ihm von dem angestrengten Spähen die Augen zu; er hörte nur noch das Gurgeln des Wassers, aber auch das immer dumpfer und dumpfer, sein Kopf sank auf die Brust.

Er träumte, er sei wieder oben im Walde und Grete schaute zwischen den Tannen hervor. Er rief ihr zu, sie solle herankommen; sie rief zurück: komm' Du doch! Er lief auf sie zu, sie eilte vor ihm fort, und je schneller er lief, desto schneller floh sie durch die Tannen; zuletzt hatte er sie fast erreicht; aber wie er den Arm ausstreckte, sie zu greifen, war es nicht mehr die Grete, sondern der Pantoffel-Claus mit seinem Hundewagen. Der Wagen war bedeckt mit einem groben Laken. An dem Laken war Blut. Was hast Du da? fragte Hans. Was Rares, sagte der Pantoffel-Claus und zog das Laken weg. Da lag im Wagen ein stattlicher Hirsch, den die Kugel auf's Blatt getroffen hatte, und neben dem Hirsch lag eine schöne Büchse. Hans erkannte sie gleich, denn es war des Vaters Büchse. Die gehört mir, sagte Hans und griff nach der Büchse. Oho, sagte der Alte, so schnell geht das nicht, und stieß ihn zurück. Hans griff wieder nach dem Gewehr, der Alte zog an der anderen Seite, da ging der Schuß los und Hans stand kerzengrade neben dem Baumstumpf, auf dem er gesessen hatte, und rieb sich die Augen.

Das war doch ein kurioser Traum, sagte er.

Da – aber das war wirklich ein Schuß; das war keine Täuschung. Oben in der Landgrafenschlucht war der Schuß gefallen, rechter Hand, denn das Echo kam links von der Felswand zurück.

Hans stockte der Athem in der Brust. Und jetzt hörte er es quer über die Landgrafenschlucht kommen. Er konnte nichts sehen, aber er wußte es so gut, als ob er es gesehen, daß es ein großer Hirsch in voller Flucht war, aus dem Tempo der Sprünge und aus der Kraft, mit welcher die Läufe aufschlugen, daß die losen Steine herabklirrten, einer bis dicht vor Hans' Füße. Dann war Alles wieder still.

Hans schüttelte sich vor Frost und Grauen. Der Traum und die nächtige Jagd – das hatte Alles so in einander gegriffen; es war ihm, als müsse der Pantoffel-Claus jeden Augenblick hinter der nächsten Pappel hervortreten.

Er sah sich scheu um: die Mondsichel zeigte sich eben über den Bergen zwischen schwarzen, jagenden Wolken. Es mußte schon nach Mitternacht sein. Das Licht in Gretchens Küche war erloschen. Hans lief, als ob er gejagt würde, an dem Teiche hin nach seinem Hause, stahl sich, wie ein Dieb, die morsche Treppe hinauf in seine Kammer, und betete, was er lange nicht gethan, ein Vaterunser, als er die Decke über die Ohren zog.



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