August Sperl
Herzkrank
August Sperl

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Zehntes Kapitel

Fast ein halbes Jahr war vergangen, und wieder saß Lore von Ostenhusen im Privatstübchen des alten Juweliers.

»Er ist gut aufgehoben gewesen, die Zeit her,« sagte dieser und breitete den Familienschmuck auf der Mahagoniplatte aus. »Aber sehen Sie gefälligst selber nach, ob alles in Ordnung ist, liebes Fräuleinche!«

»Herr Meier –!« zürnte Lore.

»Nee, liebes Fräuleinche, sehen Sie nur nach, Geschäft is Geschäft.«

»Ein nettes Geschäft für Sie, Herr Meier!« lachte Lore. »Sie haben mir auf ein halbes Jahr fünfzehnhundert Mark geliehen und –«

»Nu, hab' ich sie etwa verloren, meine fünfzehnhundert, oder liegen sie nicht wieder da auf dem Tisch, Fräulein Lorche?«

172 »Und wenn ich Sie nach meiner Schuldigkeit frage, dann geben Sie mir keine Antwort, Herr Meier. Ich weiß ja, daß solche Freundlichkeit, nein, solche Barmherzigkeit, für die ich Ihnen zeitlebens Dank schulde –«

»Fräulein Lorche, wollen Sie nun einen alten Mann noch mehr beleidigen, oder wollen Sie gefälligst das Mündche halten und zwar ganz geschwinde?« fragte der Juwelier, faltete behaglich die Hände und schmunzelte vergnügt auf seinen lieblichen Besuch herüber. »Still, liebes Fräuleinche, ganz still! Bin ich 'n Geldausleiher? Nee, das bin ich nicht, bin 's auch niemals gewesen. Aber 'n Geschäftsmann bin ich, und das bleib' ich und kann's mir auch nimmer abgewöhnen. Und jetzt will ich Ihnen sagen, was wir beide gemacht haben für 'n Geschäft mit dem –« er tippte auf die blauen Scheine – »mit dem toten Mammon da. Und wenn ich fertig bin, fangen Sie noch einmal an zu reden von Schuldigkeit! Also, liebes Fräuleinche, da ist vor allem Ihr Herr Vater, wegen dem Sie vorigen Sommer zu mir hereingekommen sind – mit schwerem, klopfendem Herzen, ich hab's wohl bemerkt –«

»Das weiß Gott,« bekräftigte Lore.

»Nu, es ist ja auch überstanden,« lächelte der 173 alte Mann. »Und glauben Sie mir's, Fräulein Lorche, es gäb' viel weniger nagende Sorgen in der Welt, wenn wir uns immer beizeiten offenbaren möchten einem guten Freund. Na, Sie haben's gethan, und – meinen Sie, hat er Zinsen getragen, der Mammon, für Ihren Herrn Vater? Ich denk' mir wohl. ›Wie neu geboren!‹ hat mir der Herr Hauptmann selber noch vor zwei Monaten gesagt. Aber wer kann denn dafür? Ich? Oder Sie? Oder der Mammon? Ich denk' mir, liebes Fräuleinche, wenn so was anschlagen soll, dann muß ein andrer seinen Segen geben zu dem Geschäft – also führen Sie die Zinsen ab an diesen Herrn, aber mich verschonen Sie gefälligst damit!«

Lore streckte dem alten Manne die Hand über den Tisch entgegen, während ihr die Augen voll Thränen standen.

Der Juwelier streichelte die Hand väterlich. Dann sagte er: »Der Herr läßt die Arzenei aus der Erde wachsen, und ein Vernünftiger verachtet sie nicht. Gottes Werke kann man nicht alle erzählen; und er giebt alles, was gut ist auf Erden. – Kennen Sie den Spruch? Nein? Nu, dann lesen Sie ihn nach, Sie haben ihn auch in Ihrer Bibel, im Sirach steht er und is 174 'n schöner Spruch. Jetzt aber wollen wir weiter reden von Geschäften. Und kommen also zu Ihnen selber, liebes Fräuleinche. Nu – haben Sie nicht auch 'n ganz gutes Geschäft gemacht, was?«

Lore wurde rot und zog die Hand zurück. »Aber Herr Meier, ich bitte Sie, da paßt doch der Ausdruck Geschäft –«

»Sie meinen, da paßt er nicht, liebes Fräuleinche?« sagte der alte Mann ernsthaft. »Ei, das weiß ich anders, gerade da paßt er, das Heiraten is ja 's allerallerwichtigste Geschäft auf Erden, das kann ich Sie versichern. Und wenn man bei jenem Geschäft 'n Kapital einsetzt und Kraft und Arbeit bei diesem – beim Heiraten setzt man immer das Höchste ein, was man besitzt, sich selber. Und ich kann Sie versichern, liebes Fräulein Lorche, wenn Sie und Ihr Herr Vater das wichtige Geschäft auch nicht behandelt haben als Geschäft, ich hab's für Sie gethan.«

»Herr Meier, das verstehe ich nun absolut nicht.«

»Nu, liebes Fräuleinche, ich will's Ihnen auch erzählen, aber Sie dürfen nicht böse werden mit einem alten Mann, darum hören Sie mich ganz ruhig an.«

175 Gespannt blickte Lore auf das kluge, runzelige Gesicht.

»Also, wie Sie mir geschrieben haben von der Verlobigung, Sie erinnern sich ja wohl, da hab' ich Ihnen zuerst gar nichts geantwortet.«

»Ja, das weiß ich, Herr Meier; und es war auch gar nicht hübsch von Ihnen. Nichts als einen höflichen Gruß und Glückwunsch haben Sie mir damals durch Ida wissen lassen.«

Der alte Herr lächelte in sich hinein. »Nu und hernach? Bin ich dann nicht, etwa 'n Monat später, mit dem Schlot auf'm Kopf zu Ihnen gekommen und hab' Ihnen meinen Besuch gemacht mit Glacéhandschuhen? Nu? Und wissen Sie, warum ich so spät erst gekommen bin? Ich will's Ihnen sagen: ›E Badeverlobigung?‹ hab' ich gebrummt, wie ich Ihren Brief gelesen hab'. ›Nee, das ist mir aber doch zu gefährlich.‹ Und ist mir den ganzen Tag nicht aus dem Kopf gegangen. ›Wie kann er alles, was zu so 'm Geschäft gehört,‹ hab' ich mich gefragt, ›wie kann er alles besorgt haben in der kurzen Zeit, der kranke Mann im Bade? Und kann sie nu nicht am Ende recht, recht unglücklich werden für ihre kindliche Lieb', das Lorche? Meier, hab' ich mir gesagt, und zuletzt bist du selbst noch schuld daran, 176 weil du ihr das Geld dazu geborgt hast!‹ Und bin nimmer zur Ruhe gekommen, bis ich mich hingesetzt hab' und hab' e Stücker drei oder vier Briefe geschrieben – sind Sie ganz ruhig, im tiefsten Vertrauen an gute Freunde, und das ist bei unsereinem 'ne ganz gewöhnliche Sache, und war ja auch noch gar nicht öffentlich, Ihre Verlobigung. Und ich sag' Ihnen, ich hab' in dem Geschäfte gehandelt, als hätt' er um mein eignes Kind angehalten, der Herr von Gelling. Und nach vier Wochen, liebes Fräuleinche, hab' ich aber auch 's Würzelche gewußt und bin mit Freuden in meinen schwarzen Rock geschlüpft –«

Mit niedergeschlagenen Augen saß Lore und reichte dem alten Herrn zum zweitenmal die Hand über die Tischplatte hin.

»– und hab' Ihnen von Herzen gratuliert.« Er hielt inne und räusperte sich. »Das aber sag' ich Ihnen, liebes Fräulein Lorche, und geb's Ihnen notariell auf Verlangen: Hätt' ich was erfahren über den Herrn Rittergutsbesitzer, was mir nicht hätte gefallen können, dann hätt' ich gegen ihn gehandelt, wie man handelt gegen einen Räuber, – feindselig.«

»Nun, das ist ja, wie Sie versichern, nicht nötig gewesen,« lächelte Lore. Dann sagte sie 177 herzlich: »Sie haben's gut gemeint, Herr Meier, und ich danke Ihnen auch dafür. Hoffentlich hat mein Bräutigam nichts davon erfahren.«

Der Juwelier erwiderte ernsthaft: »Er kann nichts erfahren haben. Aber auch wenn – das Geschäft ist mir zu wichtig gewesen.«

Nun stand er auf, ging um den Tisch, trat neben die Braut, ergriff ihre Hand und streichelte sie zärtlich, und während ihm die glitzernden Tropfen in den Bart fielen, schloß er langsam und stockend: »Und – Zinsen hat's mir doch gebracht, das Kapitälche – nicht, verstehen Sie mich nicht falsch, Fräulein Lorche, um Gottes willen nicht – aber Sie wissen ja doch, was ich Sie damals gebeten hab', ganz beiläufig? Und nu – ich kenn' mein Idche gar nimmer, seit sie so viel umgeht mit Ihnen. Nee, lassen Sie nur, ich weiß, was ich weiß! Und denken Sie, such' ich da gestern meinen alten zerrissenen Schafpelz – ich muß mir 'n immer über die Kniee legen – schau mal her, hat mir mein Idche aus ihrer Sparbüchs – – einen kostbaren Pelz gekauft für meine alten, eiskalten Beine. Ich – Fräulein Lorche – das Herz hat mir geklopft, sag' ich Ihnen, daß ich geglaubt hab' – ich muß am End' auch noch nach – – Sprudelingen.«

 

 


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