August Sperl
Herzkrank
August Sperl

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Zweites Kapitel

Irgendwo an der Küste der Ostsee herrschte zur selbigen Zeit Regenwetter; denn es ist wohl mit Vorbedacht so eingerichtet, daß die Sonne zwar gleichergestalt aufgeht über Guten und Bösen, sich aber bald über dieser, bald über jener Ländermasse verbirgt hinter triefenden Wolken.

Und es troffen die Wasser von dem hohen Dache des uralten Herrenhauses dort irgendwo an der Ostsee, sie troffen von den grünlich schimmernden Sandsteingöttern im weiten Parke, sie rieselten die breite Gasse des sauberen Dorfes entlang und eilten, nach kurzem Laufe sich zu stürzen in die nebelbedeckte See. Sie troffen auch vom Wettermantel eines Reiters, der auf seinem dampfenden Braunen vor dem Portale des Schlosses hielt.

»'n Hundewetter, Johann!«

30 »Zu Befehl, Herr Doktor, 'n wahres Hundewetter,« sagte der alte Diener.

»Schaffen Sie mir den Gaul unter Dach, Johann!«

»Und ich darf ihn wohl absatteln 31 lassen? Der Herr Doktor frühstücken doch mit uns –?«

»Jawohl, weiter nichts, Johann! Denken Sie, ich habe den lieben langen Tag nichts zu thun, als mit Ihrem Herrn zu essen und zu trinken? Wieviel Uhr ist's? Halb zwölf Uhr! Noch zehn Besuche, bis ich heimkomme, Johann. Und was dann wieder zu Hause auf mich wartet, das weiß der Henker, ich nicht.«

»Und wäre doch so nützlich, wenn der Herr Doktor etliche Stunden bei uns bleiben wollten. Das frischt uns immer ordentlich auf, Herr Doktor.«

»Zuerst kommen die Kranken, Johann, und dann die Gesunden.«

Ein Reitknecht führte das Pferd ab, und der Arzt betrat die weite, waffengeschmückte Vorhalle. »Gestatten der Herr Doktor, ich will ihn trocknen lassen!« Ehrerbietig nahm ihm der alte Mann den triefenden Mantel von den Schultern.

»Na, und wie geht's droben?«

Der Diener zuckte die Achseln: »Immer gleich, Herr Doktor. Wir liegen den ganzen Tag auf der Chaiselongue, wir machen uns keine Bewegung, und wir haben also auch keinen Appetit nich. Wir reden kaum das Nötigste und lesen den ganzen Tag in die ollen verdammten Bäuker.«

*

32 »Na, Leibfuchs, Morgen – wie geht's?«

»Das ist schön, Leibbursch, denkst auch wieder mal an mich – nimm Platz!«

Der Schloßherr richtete sich halb empor aus seiner liegenden Stellung, schob ein Buch zur Seite und reichte dem Arzte matt lächelnd die Hand.

»Na, Gelling, warum so schwach wie 'ne Wöchnerin am ersten Tage? Wieder was Neues zur Welt gebracht, 'ne neue Krankheit, meine ich?«

»Habe an der alten genug, Doktor,« kam die Antwort pikiert zurück.

Der junge Arzt rückte geräuschvoll ein Taburett an den Diwan, setzte sich, beugte sich behaglich vor, nahm seine schmutzstarrenden Kanonen hoch, strich das kleine, pechschwarze Schnurrbärtchen über den vollen roten Lippen, verzog das breite, gesunde Antlitz ein wenig spöttisch und fixierte den Kranken mit seinen durchdringenden Augen. Dann rief er in kurzer, befehlender Art: »Also los!«

»Du hast wieder so was Unerträgliches in deinem Gesicht, Doktor,« sagte der Leidende ärgerlich und zerrte nervös an seinem langen blonden Schnurrbarte.

»So?« meinte der andre trocken.

»Wenn du dich über mich lustig machen willst, Doktor, dann kannst du's aus der Ferne thun. Thust's auch, jawohl, thust's ausgiebig! Oder 33 habt ihr nicht neulich beide über mich gelacht, du und der Stackelhofen, da drunten vor der Rampe?«

»So?« wiederholte der andre im gleichen Tone. »Na, wenn auch, so ist's doch unter Bundesbrüdern geblieben. Rege dich gefälligst wieder ab, Leibfuchs. Dreiundzwanzig ehrenwerte Mütter mannbarer Töchter innerhalb zweier 34 Quadratmeilen sorgen sich krank von wegen deiner Gesundheitsverhältnisse, und gewisse Landhäuser umgehe ich nur noch in weitem Bogen, weil man bereits in den Kot der Straße rennt, meinem Pferde in die Zügel fällt und in allen Tönen flötet: ›Ach liebster, bester Doktor, sagen Sie nur, wie steht's denn wohl mit dem guten Gelling?‹«

»Infamer Spott!«

»Bluttriefender Ernst! Und ich hülle mich dann immer in den Wettermantel der ärztlichen Pflicht, setze ein geheimnisvolles Gesicht auf und zucke tiefbekümmert die Achseln. Wartet da neulich, vorgestern, die alte Reckelingen im Regen am Kreuzweg mit ihren drei Kücken Rosa, Korona und Gunda unter zwei ungeheuern Familiendächern. Ich halte an, ziehe den Hut: ›Gnädigste befehlen?‹ – ›O nichts, lieber Doktor, nur eine Frage – und bitte, Sie nehmen mir's nicht übel, daß ich Sie aufhalte? Aber sagen Sie, was fehlt denn nur unserm lieben, allverehrten Gelling?‹ – Denk' ich mir, na warte! ›Gnädigste Frau, die meisten menschlichen Uebel haben ihren Sitz bekanntlich im Innern, gnädigste Frau entschuldigen, wenn ich mich medizinisch ausdrücke: es kommt zur Erhaltung des menschlichen Lebens alles an auf die peristaltische Bewegung der Gedärme.‹ – ›Ach ja, wie interessant, lieber 35 Doktor! Aber Rosa, sei doch so gut und bring mir mein Tuch, es zieht hier!‹ Die Jüngste hüpft errötend unter einem der beiden Regendächer von dannen, ich aber beuge mich teilnehmendst herab zu dem Reste der Familie, der sich unter dem andern Regendache zusammendrängt. ›O, daß sich doch die gnädigste Frau nicht erkälten, ich finde auch, es zieht hier.‹ – ›Nein, nein, bitte, weiter, lieber Doktor!‹ – ›Zu Befehl, meine Gnädigste. Es kommt also im Leben viel, ja, bei rechtem Lichte besehen, alles auf die gute Verdauung an; daher der enorme Erfolg der Apotheker-Richard-Brand-Schweizerpillen –.‹ Die Gnädige wirft mir einen durchaus ungnädigen Blick zu, als wollte sie sagen: hast du's vorhin noch nicht kapiert, Dickohriger? – ›Korona, bitte, sieh doch, wo Röschen so lange bleibt!‹ – Und die Arme hüpft davon im triefenden Regen. – ›Es ist also nichts Besorgniserregendes, lieber Doktor, das freut mich sehr!‹ Und das ›lieber Doktor‹ sagt sie so spitzig, als wollte sie mir's in den Leib rennen. ›Besorgniserregend?‹ Ich mache nun ein nachdenkliches Gesicht. ›Je, wie man's nimmt, meine Gnädigste; schon Freidank sprach bekanntlich im dreizehnten Jahrhundert:

Der Mensch, so schön er außen ist,
Ist er von innen vuller . . . .‹

36 Weiter komme ich nicht, die alte Reckelingen dreht mir ein paar empörte Augen hin, nickt hochmütig zu mir Elendem empor, der ich wieder mit tiefgezogenem Hute auf meinem Gaule sitze, und schnarrt, ja schnarrt: ›Danke, Herr Doktor, aber ich finde nun, daß es hier ganz unausstehlich zieht. Komm, Gunda!‹ Und fort waren sie.«

Herr von Gelling nagte an seiner Unterlippe.

»Na, und warum lachst du nun nicht?«

»Weil mir nicht lachhaft zu Mute ist.«

»So? Auch recht!«

Der Doktor griff nach dem Buche, das auf den Teppich herabgeglitten war. »Du gestattest! – Aeh, heiliger Strohsack, nun wird aber die Sache kritisch – Buch der Lieder!« Er blätterte.

»Gieb her!« sagte der andre drohend. »Gieße mir deinen Spott nicht auch noch über diese Blätter!«

»Nichts da, diese Blätter sind Eigentum der Nation!« rief der Arzt mit Pathos. »Und ich denke, an den Spott da drinnen reicht mein armer Spott noch lange nicht.«

Dann stand er auf, ging an einen Schaukelstuhl, setzte sich behaglich zurecht und begann:

»Und als ich so lange, so lange gesäumt,
In fremden Landen geschwärmt und geträumt –«

»Leibbursch!« rief der andre drohend herüber.

37 Unbeirrt aber las der Doktor:

»Da ward meiner Liebsten zu lange die Zeit,
Und sie nähete sich ein Hochzeitskleid,
Und hat mit zärtlichen Armen umschlungen
Als Bräutigam den dümmsten der dummen Jungen.«

»Doktor –!« Der Herr des Schlosses erhob 38 sich von seinem Ruhelager. »Es giebt Grenzen auch zwischen Leibbursch und Leibfuchs!«

»Gewiß, mein Junge, das habe ich dir schon in der Burschenschaft vor zwanzig Semestern einzupauken versucht,« lachte der Doktor.

»Leibbursch, wenn du dich unterstehst, noch weiter in meinen Gefühlen herumzutrampeln –«

»Dann, Leibfuchs, errichtest du eine Warnungstafel mit der Inschrift: Betteln, Hausieren und Schuttablagern verboten!«

Der Schloßherr begann erregt im Gemache auf und ab zu gehen, mit festen, energischen Schritten. Mit halbgeschlossenen Augen beobachtete ihn der Arzt und murmelte: »So ist's recht, haben wir ihn wenigstens einmal in der Höhe!« Dann las er weiter:

»Das Menschenvolk mich ennuyieret,
Sogar der Freund, der sonst passabel; –
Das kömmt, weil man ›Madam‹ titulieret
Mein süßes Liebchen, so süß und aimabel.«

Herr von Gelling blieb stehen und stampfte, daß die Scheiben klirrten: »Doktor, es ist mir leid, es kommt mich hart an, aber – das ist eine Roheit.«

»Das läßt mich kalt, Leibfuchs,« grinste der Arzt und klappte das Buch zu, »schneekalt, Leibfuchs! Und im übrigen erfreust du dich eines recht kräftigen Trittes, und das ist ein gutes Symptom.«

39 »Doktor, wie kann einer nur so unempfindlich sein –!«

»– beim Anblick eingebildeter Leiden,« vollendete der Arzt und erhob sich.

»Eingebildeter Leiden!« Der große, breitschultrige Schloßherr lachte bitter auf.

»›Unempfindlich‹ ist übrigens commentmäßiger als ›Roheit‹, und so können wir ja auf dieser Basis weiter verhandeln,« sagte der Doktor, legte das Buch auf den Schreibtisch, nahm eine Photographie von der Platte und begann sich in ihren Anblick zu vertiefen.

Der andre hatte seine Wanderung wieder aufgenommen und achtete nicht mehr auf den Besuch.

»Gelling!«

»Was?«

»Gelling, weißt du, daß der Sollenhausen in der Klappe liegt?«

»Was kümmert's mich?«

»Nu, Gelling, 's ist gerade kein Katarrh – soviel ich weiß, haben ihn seine Aerzte aufgegeben.«

Der andre fuhr herum: »Aufgegeben? Und was ist's denn?«

»Herz!« kam die Antwort zurück.

»Also auch Herz? Die arme Frau!« rief Gelling.

»Ja, die arme Frau!« Der Arzt lachte hart auf.

40 »Leibbursch, thu mir den Gefallen und stelle das Bild an seinen Platz!«

»Entschuldige – noch einen Augenblick, Leibfuchs. Es interessiert mich das Bild – die arme Frau! Es interessiert mich Zug um Zug.«

»Doktor, gieb her!«

»Gelling, weißt du, wer den Sollenhausen geliefert hat?« Er pochte mit dem Fingerknöchel hart auf das Glas des Bilderrahmens. »Die da, Gelling, sein Weib!«

»Leibbursch, du faselst! Die Taube –?«

»Leibfuchs, wann hast du die Sollenhausenschen zum letztenmal gesehen?«

»Sei still und erinnere mich nicht daran! Vor drei Jahren. Und ich entfloh.«

»Ich habe ihn vor einem halben Jahre zum letztenmal gesehen, Gelling. Brrr! Hohlwangig, angegraut, gebeugt, müde. ›Wenn das Glück der Ehe so aussieht, dann kaufe ich mir einen zweiten Gaul, pachte mir eine Jagd und bleibe ledig auf immer,‹ so dachte ich damals. Und jetzt ist er gar fertig.«

»Aber, Doktor, wie ist denn das alles gekommen?«

»Wie? Nun, wie solche Sachen zu kommen pflegen – gradatim. Es ist ja auch recht lustig zugegangen in Sollenhausen während des vorletzten 42 Manövers. Nur soll der Hausherr nicht so ganz die ihm gebührende Rolle gespielt haben. Und so was legt sich aufs Herz, das ist nicht zu verwundern. Zudem, einer von den Starken war der Sollenhausen niemals, und so hat sie ihn allmählich untergekriegt. Er dauert mich. War doch 'n guter Kerl, wenn er sie dir auch gewissermaßen vorm Munde – na, jetzt hat er's. Gelling – weißt du, was man sich ganz laut und offen von der da« – er pochte abermals hart auf das Glas des Bilderrahmens – »von der da erzählt in der Gegend?«

»Doktor –?« Herr von Gelling stand vornübergebeugt, mit offenem Munde vor dem Freunde.

»Sie geniert sich sogar nicht, ihren kranken, wehrlosen Mann bei Gelegenheit – nun, sagen wir, etwas rauh zu tätscheln mit den Sammethändchen.«

»Doktor!« Es war ein schmerzliches Stöhnen, mit dem sich der andre abwandte.

»Je nun –

Die Welt wird schöner mit jedem Tag–
Wer weiß, wie das noch werden mag?

Die letzte Konsequenz gewisser Auswüchse einer modernen Bewegung – sonst nichts.«

Der andre stöhnte.

»Und da liegt nun dein Götzenbild!« sagte der Arzt plötzlich und ließ das Bild auf das Parkett 43 fallen, daß sein Glas klirrend zerbrach. »Pardon. Und im übrigen zur Genesung, Leibfuchs. Vergieb, zuweilen müssen wir unsre Patienten rauh anpacken. Und morgen um diese Zeit komme ich wieder.«

*

Des andern Tags trat der Schloßherr seinem Arzte matt und bleich entgegen.

»Na, wie geht's? Gut geschlafen, Gelling?«

»Ach was – gut geschlafen! Hat sich was mit dem gut schlafen. Aber eines, Doktor: thu mir den Gefallen und sprich nimmer von dem andern. Ich bin ganz krank davon.«

»Selbstverständlich, abgethan, fertig! Aber krank davon? Im Gegenteil, gesund solltest du sein, dächt' ich. Also, wo fehlt's?«

»Komm, Leibbursch, setze dich da her zu mir und laß uns vernünftig reden! 's ist ja immer dasselbe, Doktor, es ist mir oft, als ob einer mit einem heißen Plätteisen über mein Herz führe –«

»Anschauliches Bild!« brummte der andre. »Etwas nervös, mein Lieber, sonst nichts! Stehe früh um vier Uhr auf, tauche einen Schwamm in kaltes Wasser, wasche die Herzgegend energisch, frottiere sie und dann lege dich noch ein paar Stunden aufs Ohr. Das hab' ich dir neulich schon empfohlen, ich empfehle dir's wieder.«

»Hab's gethan, hilft alles nichts. Weißt du, 44 Leibbursch, du magst ja, nein, du bist ja 'n vortrefflicher Arzt –«

»Danke ergebenst.«

»– aber alle Finessen hast du doch auch noch nicht los.«

»Bitte, bitte, geniere dich nicht!«

»Ich meine nur, was so die selteneren Krankheitsbilder sind, z. B. komplizierte Herzleiden, kommen dir doch außerdem kaum jemals unter.«

»Gewiß, niemals, gnädiger Herr,« bekräftigte der Arzt und verzog sein Gesicht. »Die Bauern und Taglöhner, unter denen ich für gewöhnlich mein Wesen treibe, die tragen alle ein Schwarzwälder Uhrwerk unterm Kittel, das nimmt man von Zeit zu Zeit heraus, putzt und schmiert es, und dann rumpelt's wieder weiter.«

»Es ist aber doch ein Unterschied zwischen Organismus und Organismus, Doktor,« beharrte der andre. »Und daß ich herzkrank bin, das steht mir fest, namentlich seitdem ich das Buch vom gesunden und kranken Herzen gelesen habe, felsenfest.«

»Daß doch der Henker neunmal neunundneunzigmal die populären medizinischen Schmöker hole!« brauste der Arzt auf.

»O, ich kann mir's schon denken, Leibbursch, daß euch Aerzten zuweilen medizinisch gebildete Laien und Patienten unbequem sind, aber diese 45 Werke, die du Schmöker zu nennen beliebst, haben doch auch ihr Gutes.«

»Leibfuchs, du jammerst mir. Sei so gut und zieh deinen Rock und deine Weste aus! Ich will dich zum fünfundzwanzigstenmal abhorchen.«

»Um dann zum fünfundzwanzigsten Male mit deinem mokantesten Gesicht zu erklären, daß ich kerngesund sei.«

»Gelling, ich erfreue mich einer kreuzerstrickstarken Geduld, aber –«

»Doktor, daß ich mich kurz fasse: seit gestern steht mir's unabänderlich fest, ich muß etwas für mein Herz thun, solange noch Zeit ist, ich muß nach Sprudelingen.«

Der schwarze Doktor lachte hell auf: »Nach Sprudelingen? Ei, da soll doch –! Bist du verrückt?«

»Ist Sprudelingen nicht berühmt als Bad für Herzleidende?« fragte der andre spitzig.

»Gewiß – für Herzleidende, Gelling.«

»Nun also!« rief der Schloßherr. »Ich kann dir sagen, es freut mich sehr, daß du auch einmal meiner Meinung bist.«

»Sprudelingen?« wiederholte nun der Arzt und ordnete sein Gesicht in ernste Falten. »Wenn ich mir's überlege, es ist am Ende gar nicht so übel, daß du nach Sprudelingen willst.«

46 »Nicht wahr?«

»Gar nicht so übel. Du kommst 'n wenig heraus da aus deinem Fuchsbau, siehst neue Gesichter –«

»Ach, ich werde dort ein sehr eingezogenes Leben führen,« versicherte der Schloßherr mit melancholischem Lächeln.

»Na, und wann soll's denn auf die Reise gehen?«

»Ich denke, je bälder, desto besser, Leibbursch.«

»Ganz meine Ansicht. Ich werde mich heute Abend hinsetzen und für deinen Badearzt einen ausführlichen Krankenbericht schreiben.«

»Einen Krankenbericht?« fragte Herr von Gelling und beobachtete mißtrauisch die unbewegten Züge des Doktors. »Ist das üblich?«

»Aber gewiß, allgemein! Wir überweisen solchergestalt unsre Kranken dem behandelnden Badearzte in aller Form.«

»Und diese Krankenberichte werden verschlossen mitgegeben?«

»Na und ob, Gelling!«

»Nein, lieber Leibbursch, erlaube, daß ich auch hierin meinen eignen Weg einschlage!« erklärte nun der Schloßherr mit Festigkeit. »Ich werde ohne Krankenbericht nach Sprudelingen reisen, ich werde mir dort einen der bedeutendsten Aerzte 47 auswählen und vor ihn treten inkognito, gleichsam als unbeschriebenes Blatt. Ich danke dir für dein freundliches Anerbieten.«

»Na, dann kann ich ja gehen. Habe die Ehre, Herr von Gelling, empfehle mich, gehorsamster Diener, guten Abend, gute Nacht!«

»Aber Leibbursch, du wirst doch – du wirst mir doch keine Geschichten machen – Leibbursch, du kannst mir's wohl nicht übelnehmen, hattest du nicht stets nur Spott und Hohn für mein Leiden? – Leibbursch – bitte!«

»Na, weißt du, Leibfuchs, dein Leibarzt bin ich nun allerdings gewesen; daran läßt sich nichts mehr ändern. Aber dein Leibbursch – damit ist's ja was andres. Dein Leibbursch will ich trotz alledem auch fernerhin bleiben, denn das ist unser älteres Verhältnis, und du bedarfst meiner. Und darum ade! Und schicke mir auch mal eine Ansichtskarte aus Sprudelingen. Ich bin Sammler.«

»Leibbursch, du wirst mir wohl die Hand geben zum Abschied?«

»Auch dieses! Und noch eins: erzähle mir mal brieflich oder mündlich, wieviel Aerzte dich dort aus der Thür geworfen haben mit deinem – Herzleiden, mein Sohn!« 48

 


 


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