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Fünftes Kapitel

Die Entscheidung des Kammergerichts war gefallen, zwar noch nicht die unwiderrufliche und letzte, die da besagte, du hast recht und du unrecht, sondern vorerst nur eine Verfügung, aus der aber doch die Stellung des obersten Gerichtshofes hervorging, und jeder Einsichtige mußte sich sagen, daß das Zünglein der Wage sich stark auf die dem Klein-Lipinsker günstige Seite zu neigen begann. In der Verfügung hieß es nämlich, dem Antrage des Klägers Baron Adalbert von Linde auf Klein-Lipinsken wäre stattzugeben, die Beklagte, Baroneß Elsbeth von Linde auf Groß-Lipinsken hätte binnen Jahresfrist die Urkunde über die Errichtung des Kunkellehens an ordentlicher Gerichtsstelle beizubringen und zu hinterlegen! Was hinterher geschah, wenn nämlich die Beklagte nicht imstande war, binnen Jahresfrist die verlangte Urkunde beizubringen, lag klar auf der Hand. Dann kam nach dieser Vorentscheidung das endgültige Urteil: Verehrte Baroneß Elsbeth, Sie haben sich die Besitznahme von Groß-Lipinsken zu Unrecht angemaßt, also bitte! Und wie die Sachen lagen, bestand nicht die geringste Aussicht, das Dokument in der gegebenen Frist herbeizuschaffen. Der Graben war durch die ganze Wiese getrieben worden, alles mögliche hatte man gefunden, verwitterte Menschengebeine, Steinbeile und Urnenreste, Silbermünzen und rostzerfressene Waffen aus der Ordenszeit, aber von der gesuchten Lade keine Spur. Und es half nichts, daß der Förster Ahrens und der Verwalter Wisotzki sich gegenseitig an dem Mißlingen die Schuld aufzuhalsen versuchten, der Effekt blieb derselbe, der Graben, den man mit so großen Hoffnungen begonnen hatte, war ein nutzloses Werk gewesen!

Gerade am ersten Mai, als die Stiftung der gesuchten Urkunde sich zum achtundneunzigstenmal jähren sollte, war die Nachricht von der Entscheidung des Kammergerichts gekommen. Man saß ganz friedlich beim Mittagessen im Groß-Lipinsker Schlosse, und weil auf Elsbeths dringende Einladung der Ostrokoller Pastor nach der Predigt mit in den Wagen gestiegen war, herrschte sogar eine ganz gemütliche Stimmung an der langen Sonntagstafel, an der nach altem Herkommen die oberen Beamten des Gutshofes mit ihren Angehörigen teilnahmen, denn der stattliche junge Prediger, dem ein paar handfeste Schmisse in der linken Backe saßen – er war ein Corpsbruder des Mechower Hans Heinrich – verstand es, die Unterhaltung nicht ins Stocken geraten zu lassen. Da saßen an der langen Tafel gleich hinter den beiden Tanten Herr und Frau Verwalter Wisotzki mit vier Kindern, der Hauslehrer und zwei Wirtschaftseleven, der Förster Ahrens mit Frau und Tochter und dicht daneben der unverheiratete Inspektor Clausius. Und nachdem der Pastor ernsthaft das Tischgebet gesprochen hatte, fand er für jeden ein freundliches Wort, das dessen eigenste Interessen berührte, ignorierte nur den Hauslehrer der Wisotzkischen Kinder, der sich inmitten seiner Zöglinge, denen er beim Essen etliche Winke erteilen mußte, ohnedies unglücklich genug vorkam, mit der jungen Schloßherrin aber machte er gewandt Konversation, sprach mit ihr über die neuen, in den Familienzeitschriften erscheinenden Romane – er erhielt die betreffenden Journale, wenn sie im Schlosse gelesen waren – und stabilierte mit überzeugenden Gründen, wie seiner Ansicht nach das Schicksal der jeweils Liebenden ausgehen müßte. Und gerade setzte der alte Diener Friedrich vor ihm die riesenhafte Kalbskeule nieder, damit er sie als Ersatzmann des noch immer fehlenden Hausherrn kunstgerecht transchierte, als draußen an der Freitreppe ein Wagen vorfuhr. Der Justizrat Kersten mit der großen schwarzen Aktenmappe unter dem Arm!

Da wurde natürlich der Kalbsbraten kalt, und die gemütliche Stimmung verflog, trotzdem der alte Justizrat, dem ein Kuvert zwischen den beiden Tanten eingeschoben worden war, nach Mitteilung der Vorentscheidung mehr als einmal versicherte, daß damit für den endgültigen Ausgang des Prozesses noch nicht viel besagt sei. Erst einmal brauchte man ja die Hoffnung nicht aufzugeben, das Dokument doch noch wiederzufinden, zweitens aber hätte er ja auch noch eine Anzahl zugkräftiger Beweisanträge in der Tasche, mit denen er bisher nur aus dem Grunde nicht hervorgetreten wäre, weil sie gewissermaßen ein halbes Eingeständnis dafür bedeutet hätten, daß die Klein-Lipinsker Ansprüche nicht a limine abzuweisen, sondern bis zu einem gewissen Grade diskutabel wären; seine eigne Zeugenvernehmung über die letzten Dispositionen des verewigten Vaters von Baroneß Elsbeth, und wie derselbe trotz des stattgefundenen Diebstahls es abgelehnt hätte, im Bewußtsein seines guten Rechts bei dem zuständigen Landgerichte in Allenberg eine Neuausfertigung der gestohlenen Urkunde zu beantragen ...

So sprach der alte Justizrat beschwichtigende Worte, aber jeder an der langen Tafel fühlte, der Prozeß war verloren! Baroneß Elsbeth saß schweigend und mit zusammengezogenen Augenbrauen da, und nur für einen Augenblick lang gab es noch ein Aufflackern der gemütlichen Stimmung, als nämlich der alte Förster Ahrens in das allgemeine Schweigen die bekümmerten Worte sprach: »Ich hab' es mir schon immer gedacht. Wenn ein Gericht so weit weg ist, wie dies Berliner Kammergericht, kann man dem Frieden nie mehr recht trauen!« Eigentlich lachte aber nur Tante Lieschen über diese Bemerkung so recht herzlich, daß das ganze Zimmer schallte, die andern verzogen kaum das Gesicht, und die beiden Wirtschaftslehrlinge, die Tante Lieschens Lachen als das Signal zu einem pflichtgemäßen kurzen Heiterkeitsausbruche angesehen hatten, erhielten von ihrem Lehrprinzipal Wisotzki unter dem Tische einen verweisenden Fußtritt; Tante Amalie sagte noch halblaut: »Na ja, Partei Klein-Lipinsken« zu ihrer Schwester, danach verlief das Mittagessen unter allgemeinem Schweigen, fast wie ein Beerdigungsschmaus. Der während des justizrätlichen Vortrags kalt gewordene Kalbsbraten wurde lustlos heruntergegessen, die Enten waren durch das lange Stehen in der Bratröhre saftlos geworden, die süße Speise aber wurde gar nicht aufgetragen, denn die junge Herrin hob plötzlich die Tafel auf und ging mit dem Justizrat Kersten zu ernsthafter Konferenz in ihr Schreibzimmer hinüber. Da erst fingen die Zurückgebliebenen das plötzlich eingetretene Ereignis zu diskutieren an, der Förster und der Verwalter gerieten sich wegen des Dokumentengrabens fast in die Haare, die Verwalterskinder weinten, weil die süße Speise ausgefallen war, Klein-Fränze aber hielt sich die Ohren zu und retirierte auf ihr Zimmer. Und Tante Amalie, die sich nach dieser Vorentscheidung des Kammergerichts schon obdachlos umherirren sah, belegte den Pastor mit Beschlag und setzte ihm auseinander, daß es seine Pflicht als gemeinschaftlicher Seelsorger wäre, einmal nach Klein-Lipinsken hinüberzufahren, um dem dortigen Herrn von Linde gründlich den Kopf zurechtzusetzen. Der Mensch müßte doch einsehen, daß er im Unrecht wäre, und um den Pastor, der zu der ihm aufgetragenen, in seiner annoch immer unbestätigten Stellung recht peinlichen Mission nur »hm« gesagt hatte, mit dem gehörigen Rüstzeug zu versehen, hielt sie ihm in aller Eile einen gedrängten Vortrag aus der Lindeschen Familiengeschichte ...

Die einzige, die in dem allgemeinen Wirrwarr die Ruhe nicht verlor, war Tante Lieschen. Sie besänftigte die Wisotzkischen Kinder, indem sie versprach, ihnen allein die ganze süße Speise im Garten servieren zu lassen, entließ die beiden betreten dastehenden Wirtschaftseleven mit einer freundlichen Vertröstung auf den nächsten Sonntag, die beiden Kampfhähne aber, den Förster und den Verwalter, denen mittlerweile auch ihre Frauen zu Hilfe gekommen waren, trennte sie kurzerhand. Dirigierte jeden in eine andre Ecke des großen Speisezimmers und hieß ihn dort unter Verabreichung einer Zigarre nachdenken, was wohl Neues zur Herbeischaffung der Urkunde unternommen werden könnte, statt sich nutzlos über abgetane Dinge zu streiten. Um die jüngste Försterstochter und den Inspektor Clausius aber brauchte sie sich nicht zu sorgen, denn die beiden hatten sich nach längerem Anschmachten eben durch einen Blick verständigt, sich nach unauffälligem Verschwinden draußen im Garten zu treffen, mit den beiden feindlichen Damen aber fing sie ein möglichst neutrales Gespräch an über Wirtschaftssorgen und dergleichen. In Wirklichkeit war jedoch auch Tante Lieschens Ruhe nur eine äußerliche und gekünstelte. Von Zeit zu Zeit sah sie mit einem gespannten Ausdruck nach der Glastür hinüber, die auf die Freitreppe fühlte, und fühlte dann jedesmal nach einem Papier, das ihr in der Rocktasche knisterte ...

Seit dem Tage nämlich, an dem der Maler das Haus verlassen hatte, um auf so merkwürdige Weise in Klein-Lipinsken eine Unterkunft zu finden, hatte sie sich auf eine Korrespondenz eingelassen, von der Tante Amalie natürlich keine Ahnung hatte, sonst hätte sie sicherlich Zeter und Hochverrat geschrieen. Heute aber bangte ihr selbst davor, ob die so fröhlich und hoffnungsfreudig, im Verein mit dem Maler angezettelte Verschwörung nicht just das Gegenteil des beabsichtigten Zweckes herbeiführen würde. Und im stillen wünschte sie, dem Justizrat Kersten wäre auf der Herfahrt von Allenberg ein Rad gebrochen oder ein Gaul gestürzt, damit er mit seiner Hiobspost um ein paar Stunden später eingetroffen wäre, denn diese unglückselige Vorentscheidung des Kammergerichts schaffte leider eine ganz veränderte Situation. Wenn, wie ursprünglich geplant, der Klein-Lipinsker Gelegenheit erhalten hätte, sich mit Elsbeth vernünftig auszusprechen, solange das Zünglein der Wage noch deutlich zugunsten der Groß-Lipinsker Seite ausschlug, hätte sie schon dafür gesorgt, daß diese erste Unterredung nicht die letzte geblieben wäre. Elsbeth konnte dann gewissermaßen Großmut üben, dem Gegner, der natürlich nur so tat, als sähe er sein Unrecht ein, verzeihen, na und der unausbleibliche Schluß wäre nach einem halben Dutzend weiterer Besuche des Klein-Lipinskers – die Anlässe dafür hätten sich schon gefunden – die Verlobung gewesen. So aber war beim besten Willen nicht vorauszusehen, wie sie den Besuch des Klein-Lipinskers aufnehmen würde. Wenn sie nach der Vorentscheidung des Kammergerichts sich womöglich einbildete, er käme als Sieger, um ihr irgend einen Vergleichsvorschlag zu diktieren, bekam sie in ihrem unbändigen Stolze es fertig, ihm durch den Verwalter Wisotzki mit einem verletzenden Bescheide die Tür weisen zu lassen ... Da wurde Tante Lieschen fast kleinmütig, und wenn es noch angegangen wäre, hätte sie ihren vertrauten Filuschek mit dem Ersuchen nach Klein-Lipinsken geschickt, die für heute nachmittag vier Uhr geplante Dankesvisite auf eine Zeit zu verschieben, bis sich hier in Groß-Lipinsken die Situation ein wenig geklärt hätte ... aber es war leider zu spät. Eben holte die alte Standuhr zum Schlagen aus, das Radwerk drehte sich surrend, und die Zeit ging unbarmherzig weiter, gleichgültig ob sie Heil oder Unheil brachte. Eine Minute danach kam Elsbeth mit dem Justizrat aus dem Schreibzimmer, im nächsten Augenblick aber betrat der alte Friedlich von der Freitreppe her das Eßzimmer, grenzenloses Erstaunen auf dem runzligen Gesicht, in der Hand aber eine Visitenkarte ...

Tante Lieschen schoß auf ihn los. Um alles in der Welt nur die Unbefangene spielen und sich nicht verraten!

»Na, was gibt's denn, Friedrich?«

Der Alte sah erst unschlüssig zu Elsbeth hinüber, dann flüsterte er: »Nämlich, wo uns doch verboten is, in der Gegenwart von der gnädigen Baroneß den bewußten Namen auszusprechen, also ›er‹ is draußen und läßt fragen, ob er seine Aufwartung machen dürfte.«

»Och ne!« tat Tante Lieschen erstaunt und schlug die Hände zusammen, »is es die Möglichkeit! Und wie kommt denn der daher ...?« Laut aber sagte sie: »Denk mal bloß an, Elsbeth, wer draußen steht! Herr Adalbert von Linde aus Klein-Lipinsken, und er läßt fragen, ob er sich die Ehre geben darf, dir seine Aufwartung machen zu dürfen!«

Einen Augenblick Totenstille, dann ein Durcheinander wie in einer hitzigen Kaffeeschlacht, über alle andern aber hinweg die schrille Stimme von Tante Amalie: »Elsbeth, ich will hoffen, du denkst daran, was du dir in einem solchen Augenblicke schuldig bist!«

Und Tante Lieschen, die den Charakter ihrer Nichte genau kannte und wußte, daß manchmal mit einem scheinbaren Widerspruch am allermeisten auszurichten war, pflichtete gleißnerisch bei: »Ja, ich finde auch, eine Taktlosigkeit! Und vielleicht ist es am besten, du läßt ihm sagen, für Leute seines Schlages wärst du eben nicht zu sprechen!«

Elsbeth hatte zuerst eine merkwürdige Wendung gemacht, fast hatte es ausgesehen, als wollte sie aus der Stube eilen. Dann aber stand sie regungslos, nur ihre seinen Nasenflügel bebten. Auf alles mögliche war sie gefaßt gewesen, nur nicht auf diesen Besuch! Und was um Gottes willen nur tun, damit niemand von allen Anwesenden, der Klein-Lipinsker am allerwenigsten natürlich, merkte, wie es in ihrem Innersten aussah. ... Da war so viel zu überlegen, mehr als eigentlich in ein paar Sekunden Platz hatte, die Begegnung am Lipinsker See, das Bild dieses taktlosen Malers, von dem der Klein-Lipinsker ja sicherlich Kenntnis hatte, und, wer mochte wissen, ob er damals, als sie ihn nach seinem Sturze hegte und pflegte, auch wirklich so ganz bewußtlos gewesen war? ... Lange nachdenken aber durfte sie nicht mehr, das fühlte sie deutlich, sonst hätten ihre überreizten Nerven ihr doch einen Streich gespielt, und sie wäre weinend auf ihr Zimmer gelaufen, da kam ihr glücklicherweise Tante Lieschen mit dem rettenden Worte zu Hilfe.

»Ja nämlich, so würd' ich sagen, wenn nicht diese vertrackte Vorentscheidung gekommen wäre! Da könnt' er jetzt am Ende sich einbilden, wir hätten Angst vor ihm, und Feigheit ist doch hier in Groß-Lipinsken noch nie unser Fall gewesen! Nicht wahr, Elsbeth?«

Und »Feigheit« war das richtige Wort gewesen. Elsbeth richtete sich hoch auf und sagte zu Friedrich: »Ich lasse bitten!«

Tante Amalie heuchelte einen kleinen Ohnmachtsanfall, sank mit einem lauten Seufzer »ach Gott, wie wird mir?« auf dem Stuhl zusammen, da aber niemand darauf achtete, hielt sie es für geratener, wieder zu sich zu kommen. Gerade nämlich trat der Klein-Lipinsker durch die Glastür ein, und diesen historischen Augenblick mochte sie doch nicht versäumen.

Wie ein echter Grandseigneur trat er ein, mit seiner über sechs Fuß hohen und doch so ebenmäßigen Figur das Urbild ritterlicher Kraft und Männlichkeit, auf dem offenen Gesicht aber einen seltsam gewinnenden Zug ernsthafter Freundlichkeit. Ohne auf die andern in dem großen Speisezimmer Anwesenden zu achten, trat er auf Elsbeth zu, verneigte sich chevaleresk und sagte: »Verzeih, liebe Cousine, wenn ich nach unsrer letzten Begegnung auf dem Wiesenweg dir erst heute meine Aufwartung mache, ich hatte ein böses Loch im Kopfe und mehrere Brüche auszuheilen, und der Doktor legte mir einen strengen Hofarrest auf. Heute aber hat er mich zum ersten Male freigegeben, und da bin ich hierher geritten, um dir recht aus Herzensgrund für mein bißchen gerettetes Leben zu danken! Durch einen freundlichen Zufall nämlich habe ich erfahren, was du mir aus Zartgefühl hast verheimlichen wollen, also, sei bedankt, liebe Elsbeth, und vergelt's Gott kann ich nicht gut sagen, denn ich möchte dir in einer ähnlichen Situation nicht begegnen. Wer weiß, ob ich dieselbe Geistesgegenwart entwickeln würde wie du!« Bei diesen Worten trat er auf Elsbeth zu und zog mit erneuter Verbeugung ihre Hand an die Lippen.

Sie aber stand wie in einer Erstarrung und ließ es ruhig geschehen. Seine unbefangene Art des Auftretens und, mehr noch, daß er sie so ganz glatt »du« nannte und »liebe Elsbeth«, wie in jenen vergangenen Zeiten, als es noch keine Prozesse gab zwischen Groß- und Klein-Lipinsken, schien ihr ganz die Rede verschlagen zu haben. Sie fühlte, daß sie rot wurde wie ein Pensionsmädchen, und das nahm ihr vollends jede Sicherheit. Und da sie doch irgend etwas erwidern mußte, stotterte sie halb: »Na ja, ohne die andern Leuten so mißliebige Jagdpassion wär' es natürlich nicht gegangen. Aber den Dank muß ich ablehnen, ich habe gewissermaßen instinktiv und ganz ohne Überlegung geschossen!« Als sie mit dem Satze fertig war, hätte sie sich am liebsten wegen der Antwort selbst Ohrfeigen mögen, aber es war nichts mehr zu ändern, die Worte waren heraus und standen da.

Der Klein-Lipinsker stutzte erst eine Sekunde lang, als suchte er in seiner Erinnerung, dann leuchtete es in seinen Augen ordentlich übermütig auf.

»Ich verstehe, liebe Elsbeth, wenn du rechtzeitig erkannt hättest, daß gerade ich von dem durchgegangenen Gaul geschleift wurde, hättest du vielleicht nicht geschossen. An Ansehung unsres Prozesses! Aber leider, es hätte dir nichts geholfen. Ich bin nämlich wie das Ungeheuer, das der selige Herkules in den Sümpfen bekämpfte, die Hydra, nur mit dem Unterschied, daß bei mir selbst der verstorbene Griechenheld nichts ausgerichtet hätte. Hätte ich damals auf dem Wiesenwege das Genick gebrochen, wären hinter mir hundert erbberechtigte Lehnsvettern in die Höhe geschossen, und vielleicht noch mehr, denn von den Lindes, die sich gegenseitig wegen Lipinsken die Kränke wünschen, gibt es fast so viel als preußische Infanterieregimenter. Ich hab' nur das Malheur, daß ich der nächste bin, der nächste am Prozeß und deinem Zorn!« Verneigte sich noch einmal und begrüßte dann mit vollendeter Sicherheit die übrigen Anwesenden. Schüttelte Tante Lieschen mit verstohlenem Augenzwinkern die Hand, Tante Amalie aber machte er ein Kompliment über ihr geradezu glänzendes Aussehen, behauptete, sie müsse irgendwo einen heimlichen Jungbrunnen haben, denn seit ihrer letzten Entrevue vor sechs oder sieben Jahren hätte sie sich nicht verändert.

Elsbeth aber stand neben dem Justizrat Kersten, fühlte, daß sie doch auch irgend etwas sagen müßte, irgend etwas, nur natürlich nichts so Unüberlegtes wie vorhin in der ersten Überraschung, aber so sehr sie auch nachdenken und grübeln mochte, es fiel ihr nichts Gescheites ein, alles, was ihr durch den Kopf schoß, kam ihr banal, albern und abgeschmackt vor. Und wenn es ihr jetzt nicht gelang, denselben unbefangen-leichten Ton zu finden, den er angeschlagen hatte, mußte er doch mit dem Eindrucke scheiden, daß sie ein ausgemachtes Gänschen wäre, oder sich womöglich gar einbilden, seine Gegenwart hätte sie so unbeholfen und verlegen gemacht. Sie biß sich die Unterlippe fast blutig, aber es half nichts, wie ein bleierner Nebel hatte es sich über ihre Gedanken gelegt, und jetzt kam der entscheidende Augenblick, der Klein-Lipinsker hatte seine Begrüßungstour beendigt und trat wieder auf sie zu. Also jetzt mußte sie endlich etwas sprechen, irgend etwas, nur nicht erst abwarten, bis er in seiner fast unerträglichen Sicherheit die Unterhaltung wieder eröffnete. Und weil ihr im Augenblick nichts Besseres einfiel, fragte sie: »Nicht wahr, unser früherer Maler, Herr Haffner, hält sich jetzt in Klein-Lipinsken auf? Wie gefällt es ihm denn dort?« ... Gott sei Dank, es war heraus, gerade nichts Geistreiches, aber eine Frage, bei der es ihr wenigstens gelungen war, die direkte Anrede zu vermeiden. Nicht um alles in der Welt hätte sie es über sich gebracht, ihm das verwandtschaftliche Du zurückzugeben, mit dem er sie begrüßt hatte.

Über das Gesicht des Barons von Linde flog ein warmer Schimmer, als er den Namen des Malers vernahm.

»Hans Haffner, unser Professor? Dank' schön der gütigen Nachfrage, und er wird einen Purzelbaum vor Freude schlagen, daß du so gütig warst, dich seiner zu erinnern. Er trägt schwer an deiner Ungnade, und wenn du einen Menschen glücklich machen willst, Elsbeth, so lad' ihn ein, euch mal abends wieder zu besuchen.« Und als Elsbeth darauf nichts erwiderte, fuhr er eindringlicher fort: »Er verdient es, liebe Cousine, wirklich! Ein ganz herrlicher Mensch, und ich preise den Tag, der ihn mir ins Haus geführt hat. Ohne ihn hätte ich nämlich den Weg hierher nicht gefunden. Aber da das folgende nur uns beide allein angeht, Elsbeth, so möchte ich dich bitten, mir gütigst eine Unterredung unter vier Augen gewähren zu wollen.«

Und es war nicht Verstocktheit oder übler Wille, als Elsbeth diese Bitte rundweg abschlug. Auch daß diese Ablehnung recht hochmütig klang, war nicht ihre Schuld, sie fürchtete sich nur vor dem Alleinsein und daß er dabei Dinge erörtern könnte, deren bloße Berührung ihr schon die helle Scham ins Gesicht trieb. Da richtete sie den Hochmut gewissermaßen als eine Schranke vor sich selbst auf, zugleich aber sagte sie sich, daß er sich doch auch in Gegenwart der andern bei der Erörterung der nur ihnen beiden bekannten Vorkommnisse eine gewisse Zurückhaltung auferlegen müßte. Aus dieser unbeabsichtigt hochmütigen Antwort ergab sich aber leider der so unerfreuliche Ausgang der von Tante Lieschen und dem Maler so geschickt in Szene gesetzten und so verheißungsvoll begonnenen Aktion! ...

Der Klein-Lipinsker runzelte ein wenig die Stirn.

»So so, du wüßtest nicht, was wir beide unter vier Augen zu verhandeln hätten ... schade, liebe Cousine, ich eine ganze Menge! Aber sei es denn, ich will's an deiner Empfindlichkeit nicht scheitern lassen. Also, was mir dieser prächtige Mensch und Maler zu Gemüte geführt hat, ist folgendes: Es ist durchaus nicht nötig, daß wir unsern Prozeß zugleich auch in eine unüberbrückbare persönliche Feindschaft ausarten lassen. Es ist sehr gut denkbar, daß wir ihn sozusagen als eine reine Ermittelungssache ansehen, wer von den beiden streitenden Parteien recht hat, du oder die männliche Lehnsvetternschaft der Lindes, als deren Vertreter ich fungieren muß, weil ich eben der nächste dazu bin. Also meine ich, könnten wir das jetzt vom Kammergericht vorgeschriebene Ermittelungsverfahren, ob nämlich die von deiner Seite behauptete Urkunde wirklich existiert, gemeinschaftlich betreiben, und ich glaube, unter meiner Beihilfe dürfte es möglich sein, wenigstens das Behältnis aufzufinden, das diese Urkunde umschließen soll. Wobei ich natürlich von der selbstverständlichen Voraussetzung ausgehe, daß du ebenso gesonnen bist wie ich. Von dir nehme ich an, daß du nicht eine Stunde länger Groß-Lipinsken in deinem Besitze halten würdest, nachdem du erkannt hättest, daß du dir diesen Besitz zu Unrecht zugeschrieben, von mir aber darf ich behaupten, daß ich in derselben Minute noch die Einstellung des Prozesses beantragen würde, in der ich erführe, meine Ansprüche beruhten nur auf leerer Einbildung, ich hätte kein Recht an dieses Haus, in dem ich jetzt noch als dein Gast stehe.« So hatte er aufrecht und männlich gesprochen, nur als er in den Zügen seiner Cousine auch nicht die geringste Spur von Entgegenkommen bemerkte, war er im Tone zum Schluß unwillkürlich ein wenig schärfer geworden, hatte halb wider Willen an die ihm günstige Vorentscheidung des obersten Gerichtshofes erinnert. Und jetzt stand er hochaufgerichtet da, wartete auf Antwort.

In Elsbeths Brust aber rangen zwei widerstreitende Gefühle miteinander. Das eine trieb sie an, die dargebotene Hand zu ergreifen, und dahinter lockten allerhand törichte Träume aus der Vergangenheit, raunten ihr zu: versöhn dich mit ihm, dann nehmen wir Leben und Gestalt an, und es gibt eine einzige und nimmer aufhörende Glückseligkeit; auf der andern Seite aber stand die Bitternis der schon einmal durchlebten Enttäuschung, den Ausschlag aber gaben seine letzten Worte: Noch als dein Gast! Das sollte doch nichts andres heißen als: in einem kurzen Jahr bin ich hier der Herr und brauche nicht mehr zu bitten, sondern kann befehlen? Da richtete sie sich ebenfalls auf, und um ihre Lippen flog ein herbes, abweisendes Lächeln.

»Ein Jahr ist lang, Herr von Linde, und wer weiß, was es alles bringen kann. Eins aber dürfen Sie glauben: Ich werde nicht den Versuch machen, heimlich nach Klein-Lipinsken zu reiten, um dort nach abhanden gekommenen Dokumenten zu suchen!«

Der Baron von Linde wurde rot bis unter die Haarwurzeln.

»Ich muß es mir gefallen lassen, verehrteste Cousine, denn es ist meine Schuld, ich hätte mit diesem Punkt anfangen müssen. Also ich erkläre jetzt vor dir und allen Anwesenden auf mein Wort als Christ und Edelmann: Dieser Hufschmied Martschinowski ist ohne mein Zutun an mich herangetreten. Ich schickte ihm das Reisegeld, verabredete mich mit ihm und wollte mir den Platz der vergrabenen Truhe erst allein zeigen lassen, um sie dann am nächsten Tage mit dir zusammen zu heben. Daß ich daran verhindert wurde, ist nicht meine Schuld. Aber das muß man mir bedingungslos glauben, auf mein Wort ... einen andern Zeugen hab' ich nicht!« Unwillkürlich war der Ton seiner Stimme weicher geworden, und fast bittend sah es aus, als er jetzt seine Hand ausstreckte.

Lisbeth aber antwortete nicht. Sie wandte sich nur langsam ab. Aber nicht etwa, weil sie ihm nicht glaubte, sondern weil in seiner Stimme so etwas einschmeichelnd Herzliches lag, etwas, wogegen sie sich wehren mußte, damit es ihr nicht die Tränen in die Augen trieb. Und nicht zum letzten, weil sie sich sagte: Wozu sollte diese Versöhnung führen? Nur zu neuen Kämpfen mit sich selbst und dem törichten Ding da in der Brust, das trotz aller strengen Vorsätze und schwerer Eidschwüre noch immer seinen Kopf für sich hatte? Und weshalb ihn erst näher kennen und noch mehr lieben lernen, wo doch dieses »süße blonde Pussel« zwischen ihnen stand, sein Ideal von einer Braut, die sie schon längst, ohne sie je gesehen zu haben oder ihren Namen zu kennen, aus dem tiefsten Grunde ihrer Seele haßte ...

Der Klein-Lipinsker aber richtete sich aus der fast bittenden Stellung wieder hoch auf, und ein spöttisches Lächeln flog über sein Gesicht.

»Schade, ich hatte geglaubt, der Kleinkrieg, so mit gepfändeten Kühen und eingeschlagenen Knechtszähnen, könnte wenigstens aufhören. Aber es scheint, mein lieber Freund Hans Haffner ist ein Phantast. Er überschätzt dich, liebe Cousine, und ich habe mich von ihm leider Gottes anstecken lassen!« Sprach's, verneigte sich kurz, schritt auf die Freitreppe hinaus und schwang sich in den Sattel. Der Reitknecht, der den Gaul gehalten hatte, bekam einen blanken Taler zugeworfen und wunderte sich nicht wenig, daß der Klein-Lipinsker Herr, der bei der Ankunft ihn mit einem Scherzwort begrüßt hatte, jetzt mit finsterm Gesicht von dannen ritt, die Lindenallee entlang jagte, daß auf dem holprigen Steinpflaster die Funken unter den Eisen spritzten ...

Hans Haffner, der trotz des Sonntags eifrig beim Malen war, wandte den Kopf nach der Tür des Klein-Lipinsker Ahnensaals, in dem sein neuer Mäcen ihm ein geräumiges Atelier eingerichtet hatte.

»Na, Adalbert, schon zurück« – in der Zwischenzeit nämlich, an einem Abend mit reichlichem Grog und besonders herzlicher Aussprache, so über dieses und jenes, hatte der Klein-Lipinsker ihm Schmollis angetragen – »und was hat es gegeben?«

Der Baron von Linde warf Reithandschuhe und Peitsche auf eine alte Eichentruhe an der langen Wand, ließ sich in einen Sessel fallen und streckte mißmutig die Beine von sich.

»Was wird es gegeben haben! Essig! Und total verfehlte Invite!«

»Wieso? Hat sie dich nicht angenommen?«

»O ja, gewiß! Aber nur, um mich hinterher um so eklatanter an die Luft zu setzen!«

»Schade,« sagte der Maler und wischte die ölfarbenbekleckste Hand – zuweilen nämlich malte er mit dem Daumen – an dem leinenen Kittel ab, um sich den Kopf zu Katzen. »Und ich horchte schon immer nach dem Telephon, ob es nicht endlich heißen würde: ›Bim, bim, bim, hier Tante Lieschen. Und, Professor, marsch in das Samtjackettlein, in einer halben Stunde wird Kaffee getrunken. Aber bringen Sie Ihre Gitarre mit, gegen Abend könnte es möglicherweise eine Verlobung geben!‹«

Adalbert von Linde sagte nur »Phantast« und steckte sich eine Zigarre an. Danach aber stellte er sich vor das Bild, um nachzusehen, ob der Maler während seiner Abwesenheit auch fleißig gewesen wäre, aber in seinem Betrachten lag nicht die gewohnte Hingebung und Aufmerksamkeit! Sonst hatte er stets seiner hellen Freude Ausdruck gegeben, daß das Bild von Tag zu Tag zusehends Fortschritte machte – der Hintergrund war fertig mit den hellgrünen Wiesen und dem blaßblauen Frühlingshimmel, die daherrasende Fohlenherde mit dem Schimmel an der Spitze stand schon in Untermalung und Umrissen fest – und zuweilen hatte er auch einen klugen Ratschlag geäußert: »Du, Meester, die Farbenzusammenstellung ›knallt‹ mir zu sehr,« oder »Der junge Hammel da tollt mir nicht genug. Kann's nicht sagen, woran es liegt, mir scheint nur, er freut sich nicht so wie die übrigen.« ... Heute aber war er offenbar nicht recht bei der Sache. Sah sich das Bild nur ganz oberflächlich an und wandte sich dann wieder zu dem Maler zurück.

»Also, Hans, wir müssen irgend etwas unternehmen! Irgend etwas, nur 'raus aus der Burg! Wollen wir nach Allenberg fahren, die Dragoner alarmieren und bis zum hellen Morgen Mattheus Müller trinken und im Hotel zum Kronprinzen Lust'ge Sieben spielen? Bis man den Knobelbecher von 'ner Sektflasche nicht mehr unterscheiden kann?«

»Ne,« sagte Hans Haffner, »da tu' ich nicht mit. Ich bin dem Doktor verantwortlich, und der hat dir für die nächsten sechs Wochen jeden Katzenjammer verboten!«

»Na ja,« knurrte der Klein-Lipinsker zurück, »der Deuwel soll dies Leben holen, und weshalb habt ihr beide, du und Tante Lieschen, so lange an mir herumgebohrt, bis ich glücklich hinübergeritten bin?«

Danach versank er in Schweigen, Hans Haffner aber hütete sich, weitere Fragen zu stellen. Ohne Fragen erfuhr man in der Regel weit mehr, also trat er wieder vor sein Bild und begann auf der Palette eine ganz besondere Nuance von Rotbraun zu mischen, die er für den Hals des Braunen »Ali« brauchte, der sich mitten in der Herde auf der Hinterhand emporrichtete ...

Eine Weile lang sah ihm der Klein-Lipinsker zu, sog an seiner Zigarre, dann warf er sie unmutig auf den Boden.

»Hör schon auf mit der Malerei, mach für heute Feierabend, ich hab' dir doch gesagt, wir wollen irgendwas unternehmen! Irgendwas, nur ärgern muß sie sich darüber!«

»Wer?« fragte Hans Haffner scheinbar ganz harmlos.

Und »wer?« äffte Adalbert von Linde ihm nach. »Vielleicht die Kaiserinwitwe von China? Wohin bin ich denn heute nachmittag geritten?«

»Ach so! Und entschuldige nur, aber ich war so ganz wieder in meiner Arbeit ...«

»Na ja, in die Tinte reiten könnt ihr einen, aber wenn's nachher ... na also, ist gut!« Und während er sich eine frische Zigarre anzündete: »Also, zu Anfang ging alles ganz programmgemäß, ich furchtbar liebenswürdig, sie total in Verlegenheit, weil ich ›du‹ zu ihr sagte und ›Liebe Elsbeth‹, dann aber latenter Widerstand, und mich muß der Deuwel reiten, pathetisch zu werden und die Kabinettsfrage zu stellen. Tante Lieschen wollte schon anscheinend den Kaffee reichen lassen, und ich Esel, statt die Unterhaltung so scherzando weiter zu führen wie ein gewesener Regimentsadjutant und vereidigter Kotillonmaitre, um der schönen Cousine so allmählich alles Wissenswerte beizubringen und zum Schluß mit einer Einladung zum Wiederkommen abzuschließen, also ich laß mich verleiten, mit Ehrenwörtern um mich zu schmeißen!«

»So so,« sagte Hans Haffner, »aber in dem einen Punkt gibst du mir doch wenigstens recht. Schön ist sie, was?«

Adalbert von Linde reckte die Arme in die Luft.

»Bloß schön? Hinreißend, sag' ich dir, mein Junge, und wenn du dir einbildest, du hättest in deiner Ölskizze etwas von diesem Zauber auf die Leinwand gebracht – na, ich will dich nicht beleidigen, Pferde malst du besser! Deswegen aber hat sie doch noch lange nicht das Recht, mich so zu beleidigen! Einem schönen Mädel kann man ja manches hingehen lassen, aber ich, Adalbert von Linde, geb' mein Ehrenwort, und sie dreht mir den Rücken zu, läßt mich stehen wie einen dummen Jungen? Vielleicht nur aus Dummheit ... ja, ja, verlaß dich drauf, mein Alterchen, ich kann auch Menschen beurteilen – zum mindesten darf ich sagen, daß sie den Geist und die Schlagfertigkeit, die du an ihr rühmst, in der entscheidenden Viertelstunde sehr sorgfältig zu verstecken gewußt hat! Hab's ihr auch angedeutet zum Schluß ... na, ist egal, aus, erledigt. Und was du mit der braven Tante Lieschen herausgefunden hast, sie war' heimlich in mich verliebt ... also das ist der Gipfel der Lächerlichkeit. Umgekehrt wird ein Schuh daraus, mich hat's gepackt wie ein Fieber, und jetzt haben wir den Salat!«

Hans Haffner sprang strahlend auf.

»Adalbert, Mensch, Mäcen und Gönner, aber dann ist ja alles in der schönsten Ordnung!«

»So, meinst du?« versetzte der Klein-Lipinsker ironisch. »Soll mir wohl deine Gitarre umhängen, vor ihr Kammerfenster schleichen und ›leise flehen meine Lieder‹? Nein, mein Junge, jetzt fangen bei mir die Repressalien an, jetzt wird sie angeärgert, meine schöne Cousine!« Er stand auf und ging mit großen Schritten in dem Saale auf und ab. »Fast dreißig Jahre alt, zehn Jahre Königsberger Kürassier, Reitschule in Hannover, mehrmaliges Kommando nach Berlin oder Spandau, was dasselbe sagen will, tausend hübsche Mädels geschwenkt und bis auf ein paar leichte Fälle kalt geblieben wie eine Hundenase! Und jetzt müßt ihr mich dahin bringen, nach Groß-Lipinsken zu reiten, also der Deuwel dank's euch, dir und Tante Lieschen! Außerdem, eins sag' ich dir, Maler, diese Schriftstellerei nach drüben hört mir auf. Kein Wort über diesen akuten Anfall von temporärer Paranoia amorosa an Tante Lieschen, sonst dreh' ich dir den Hals um, und sie wird schon wieder vergehen, nämlich diese Verrücktheit! Aber wie ärger' ich sie nur an, damit sie gar nicht auf die Vermutung kommt, sie hätte auch nur die Spur von Eindruck auf mich gemacht?« ... Und mit einem Male blieb er stehen: »Hans, ich hab's! Bersten vor Zorn wird sie darüber, wenn sie's erfährt! Aber jetzt fix, zieh dir einen alten Kittel an, denn wir müssen durch dick und dünn gehen, vielleicht auch ein Ende auf dem Bauch kriechen. Ich will mich nur rasch fertig machen, und dann vorwärts!«

»Schön,« sagte der Maler, »und ich bin zu allen Schandtaten bereit!« Ging auf sein Zimmer und vertauschte den langen Malkittel mit dem Samtjackett zweiter Garnitur. Und da sein Gastgeber weit umständlicher Toilette machte, fand er genügend Zeit, das verbotene Brieflein zu schreiben und es durch seinen vertrauten Gärtnerburschen nach Groß-Lipinsken zu senden. Die erste Seite zeigte wie üblich eine bildliche Darstellung – diesmal ein pfeildurchbohrtes, flammendes Herz, dann erst kam das Schreiben.

»Verehrteste, teuerste Freundin,

so, wie vorstehend abgebildet, ist er zurückgekommen, es brennt lichterloh. Aber man lernt doch nie aus im Leben: Seine erlauchten Vorfahren schlugen tausend Sarazenen tot, um bei der Heimkehr ein gnädiges Lächeln der Angebeteten zu ernten, er aber sinnt darauf, sie gründlich anzuärgern. So ändern sich die Zeiten! Womit er seinen Zweck erreichen will, werde ich erst erfahren, wenn es für die Absendung dieses Briefleins schon zu spät wäre. Er hat nur gesagt, wir müßten eine deutsche Meile weit auf dem Bauch kriechen, also wundern Sie sich nicht, wenn morgen früh in Groß-Lipinsken sämtliche Hammel gestohlen sind oder die Laternen ausgedreht. Wie er die Baroneß Elsbeth damit ärgern will, habe ich nicht zu untersuchen. Im übrigen beurteile ich die Situation sehr rosig, hoffe auf ein Stimmungsbildchen aus dem sogenannten gegnerischen Lager und verbleibe in Sehnsucht ersterbend

Ihr allergetreuester
Hans Haffner.«


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