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Viertes Kapitel

Der lange Hans Heinrich in Mechowen hatte gerade seinen Morgenrundgang durch Hof und Ställe beendigt, steckte sich die erste Zigarre an und überlegte zum so und so viel hundertstenmal in den abgelaufenen vierzehn Tagen, ob er bei dem bevorstehenden gemeinschaftlichen Frühstück nicht endlich das entscheidende Wort sprechen sollte: Liebe Mama, sei so gut, zieh dir heute mittag das Schwarzseidene an und fahr für mich nach Groß-Lipinsken auf die Freite. Frag die Elsbeth, ob sie mich haben will, und sie soll ja oder nein sagen, denn dieses Herumgezerge hab' ich jetzt satt. Tagelang existiert man kaum für sie, kommt sich vor wie ein Stück Luft, und ein andermal wiederum sieht sie einen so merkwürdig freundlich an, daß man sich einbildet, man braucht' nur die Hand auszustrecken: Na, Elsbeth, wie ist das nun mit uns beiden, und wann soll die Hochzeit sein? ... Also sie soll endlich sagen, wie sie gesonnen ist, denn vor lauter Grübeln und Nachdenken fang' ich schon an, meine eigne Wirtschaft zu versäumen. Hoffentlich wird sie einsehen, daß für einen ausgewachsenen Menschen das auf die Dauer ein unhaltbarer Zustand ist!...

Wenn er sich allein den gestrigen Abend vergegenwärtigte – das war so recht ein Musterbeispiel für dieses Aprilwetter jählings umspringender Launen gewesen! Zuerst, nachdem sie dem armen Kerl von Maler den Laufpaß gegeben hatte – Gott allein mochte wissen, weshalb, denn der gute Professor tat doch keinem was zu leide – saß sie mit zusammengezogenen Augenbrauen da, sprach kein Wort und hatte seinen Gruß kaum erwidert. Dann mit einem Male schien sie bemerkt zu haben, daß er ein herzlich unglückliches Gesicht machte, wurde plötzlich ganz lebhaft, fing mit ihm zu plaudern an, wie nur je in ihren freundlichsten Stunden, erkundigte sich nach dem Befinden seiner Mutter, wie weit er mit der Frühjahrsbestellung wäre und dergleichen. Und er glaubte sich nicht zu täuschen, wenn er aus allen diesen Fragen ein ganz besonders herzliches Interesse heraushörte und zugleich den Grund ihrer Fragen erriet: Wer sich mit dem Gedanken trug, einmal in Mechowen zu wohnen, der hatte natürlich auch ein Interesse daran, wie dort der Wirtschaftbetrieb ging! Da schickte er sich schon an zu sagen: Ja, liebe Elsbeth, dann kommen Sie doch mal nachmittags zu einer Tasse Kaffee herüber. Meine Mutter bangt sich schon ordentlich nach Ihnen, ich aber laß anspannen, zeig' Ihnen die Felder, und Sie werden Ihre Freude daran haben, wie gut alles durch den Winter gekommen ist. Meinetwegen können Sie dann auch gegen Abend meinen besten Rehbock abschießen, er ist jetzt noch so vertraut, daß man mit der Mütz' nach ihm schmeißen kann, wenn man vorbeifährt! Und zu dieser Einladung gedachte er sich zu versteigen, obwohl ihm innerlich Elsbeths unweibliche Jagdpassion gar nicht gefiel und er mit seinen Böcken sonst recht geizig war. Weil sie jedoch so ausnahmsweise freundlich zu ihm war, wollte er mal auch in dieser Hinsicht ein übriges tun! Während er sich aber die außergewöhnlich lange Ansprache im Kopfe zurechtlegte, geriet das bis dahin so lebhafte Gespräch ins Stocken, und als er gerade fertig war und loslegen wollte, ließ sich der Verwalter Wisotzki anmelden. Da stand sie plötzlich auf, verabschiedete sich mit flüchtigem Gruß und ging in ihr Schreibzimmer hinüber ...

Danach aber kam er sich ganz vereinsamt und verlassen vor. Die beiden alten Tanten hatten sich in eine Ecke zurückgezogen und zankten sich dort, anscheinend um den Maler, denn es war von der Zeichnung die Rede, die Elsbeth, ohne sie jemand zu zeigen, zerknittert und in ihre Rocktasche geschoben hatte; Klein-Fränze aber, die sich sonst seiner anzunehmen pflegte, saß mit aufgestützten Armen am Tische und las in einem Roman. Da fragte er schüchtern, ob sie nicht vielleicht so gut sein wollte, ihm sein Lieblingsstück »La Paloma« auf dem Klavier vorzuspielen, erhielt aber die unfreundliche Antwort, sie wäre nicht in der Stimmung. Als jedoch eine Viertelstunde später der Wisotzkische Hauslehrer den Kopf zur Tür hereinsteckte, wahrscheinlich um erst nachzusehen, ob nicht etwa der Ostrokoller Pastor da wäre, sprang sie freudig auf, begrüßte ihn ganz besonders herzlich und machte ihm Vorwürfe, daß er sich so selten sehen ließe. Und als dieser geschniegelte Bengel mit zärtlichem Augenaufschlag erwiderte, er wäre nur wegen des Pastors ausgeblieben, heute aber wäre die Sehnsucht nach ein bißchen guter Musik doch zu mächtig gewesen, da war sie auf einmal »in der Stimmung«! Setzte sich, ohne erst noch eine weitere Bitte abzuwarten, ans Klavier und spielte fünf, sechs Musikstücke, aber » La Paloma« war nicht darunter! Lauter langweiliges Zeug, das er nicht leiden mochte, Walkürenritt, Feuerzauber und dergleichen, wobei kein vernünftiger Mensch eine Melodie herausfinden konnte. Da fragte er sich wieder einmal, woran wohl ihre früher so dicke Freundschaft in die Brüche gegangen sein mochte, aber konnte trotz allem Grübeln auf seiner Seite keine Schuld entdecken. Nur, daß Fränze ihn ärgern wollte, wurde ihm klar, denn sie kannte ja seine Ansicht über diese Art von Musik, die ihm Unbehagen verursachte und der er jede Berechtigung absprach, weil erst ein jahrelanges Fachstudium nötig wäre, um ihre angeblichen Schönheiten erkennen zu können. Der Wisotzkische Hauslehrer natürlich tat so, als wäre er ein Obersachverständiger, blätterte die Noten um, und bei einzelnen Passagen, die jedem andern direkt unangenehm in den Ohren klingen mußten, verdrehte er die Augen vor Entzücken und vollführte mit der Rechten allerhand seltsame Bewegungen in der Luft ... auch natürlich nur, um ihn zu ärgern, aber den Gefallen tat er dem Bengel nicht, hatte, weiß Gott, andre Sachen zu denken! Elsbeth hätte doch schon längst an der Konferenz mit dem Verwalter Wisotzki genug haben und an den Teetisch zurückkehren können, damit er seine geplante Einladung, die er sich mittlerweile zweimal überhört hatte, endlich glücklich anbringen durfte!... Aber dieser ölige Kerl redete und redete, als könnte er kein Ende finden, und Elsbeth hörte ihm mit einer Spannung zu, als handelte es sich um die interessantesten Fragen der Welt, während der ganze Vortrag sich vielleicht um irgend einen der Nebenprozesse mit dem Klein-Lipinsker oder ähnliche Bagatellen drehte... Leute, die um Nichtigkeiten ein ganzes Brimborium von Worten zu machen verstanden, waren ihm überhaupt unsympathisch, und wenn er erst einmal hier zu befehlen hatte, wollte er sich's doch noch gründlich überlegen, ob er diesen Herrn Wisotzki hier am Ruder ließ. Ein tüchtiger Landwirt war er ja, aber manchmal wollte es ihm fast scheinen, als wenn unter seinem Regime nicht die ganzen Erträgnisse in die Hauptwirtschaftskasse flössen, als wenn das Rohr an irgend einer Stelle gründlich angezapft wäre. Was verstand denn so ein junges Mädel von dem komplizierten Rechnungswesen eines großen Wirtschaftsbetriebes? Es sah im Hauptbuche nach, ob rechts und links unten die Zahlen stimmten und basta! ...

Die beiden am Klavier hatten sich nebeneinander gesetzt, spielten ein neues Stück, vierhändig, und fast wollte es ihm scheinen, als wenn Herr Wellhausen, der Wisotzkische Hauslehrer, öfter über Fränzes Linke nach rechts hinübergriff, als nötig war, sich zuweilen mit der Schulter an sie lehnte und überhaupt seinen Sessel viel zu nahe an den ihrigen gerückt hatte. Da packte ihn ein gewaltiger Ingrimm, und nicht viel hätte gefehlt, so wäre er aufgestanden, um den widerwärtigen Burschen am Kragen zu packen: Verehrtester, wenn Sie mit der Baroneß von Linde vierhändig spielen wollen, setzen Sie sich mal erst anständig hin und nehmen Sie sich nicht solche Vertraulichkeiten heraus! Ordentlich an sich halten mußte er, um der plötzlichen Regung nicht nachzugeben, unterließ es nur, weil er ja hier noch nichts zu sagen hatte! Aber später!.. Und vorläufig wollte er mal Tante Lieschen oder besser noch Tante Amalie darauf aufmerksam machen, welche Unzuträglichkeiten aus diesem Vierhändigspielen entstehen konnten. Klein-Fränze natürlich war noch ein dummes Gör, dachte sich nichts darunter, dieser mit allen Hunden gehetzte Großstädter aber bildete sich womöglich ein, er könnte sich hier so mit Musikschwärmen und Verseschmieden die jüngere Baroneß Linde angeln! ... Aber auch die beiden alten Damen kümmerten sich nicht um ihn, waren so vereifert, daß sie alles um sich her vergaßen, nur ihre Debatte paßten sie der Musik an: Beim Piano flüsterten sie, beim Fortissimo aber erhoben sie ihre Stimmen. Und Elsbeth kam nicht und kam nicht, die Konferenz nahm kein Ende. Da schob er seinen Stuhl zurück, stand auf und sagte kurz adieu!

Elsbeth winkte ihm aus dem Schreibzimmer nur mit der Hand, Fränze wandte während des Spielens kaum den Kopf nach ihm, sagte nicht einmal auf Wiedersehen, auch Tante Amalie, sonst seine eifrigste Gönnerin, schien so angeärgert, daß sie von ihrem langen Strickstrumpfe nicht aufstand. Nur Tante Lieschen erhob sich, um ihm auf die Freitreppe hinaus das Geleite zu geben ... gerade Tante Lieschen, deren Klein-Lipinsker Gesinnungen doch sozusagen gerichtsnotorisch waren; wahrscheinlich hatte sie mit ihm in seiner Vereinsamung Mitleid empfunden. Ehe er sich in den Sattel schwang, schüttelte sie ihm die Hand.

»Hast recht, mein Junge, reit nach Hause, es ist ungemütlich geworden in Groß-Lipinsken. Und ein rechter Kuddelmuddel! Aber der muß noch viel, viel größer werden, sonst gibt's hier keine Klarheit!«

Und er ritt in die dunkle Frühlingsnacht hinaus, in ganz andrer Stimmung als vor vierzehn Tagen, als ringsum im Mondschein der weiße Schnee auf den Feldern lag. Allerhand geheimnisvolle Summen lockten und warben aus dem Dunkel, ziehende Kraniche, die nordwärts flogen, schrieen oben in der Luft, kannten ihr Wegziel trotz der rabenschwarzen Nacht, er aber wußte nicht, ob auch er erreichen würde, wonach er die langenden Arme reckte, ließ sein Rößlein im Schritt gehen und fühlte sich innerlich so recht verärgert und verschlagen ...

Also diesem Zustande mußte ein Ende gemacht werden, so oder so! Gerade aber, als er mit seinem Entschluß im reinen war, die Kammerjungfer seiner Mutter trat schon auf die Freitreppe hinaus und sah sich suchend nach ihm um, zum Zeichen, daß die alte Dame bereits am Frühstückstisch saß, da kam durch das offene Hoftor ein Junge aus Groß-Lipinsken gerannt, der Filuschek, sein Pferdehalter, schrie schon von weitem: »Pan Leitnant, Pan Leitnant,« und schwenkte ein Papier in der Hand. Ihm aber strömte vor freudigem Schreck alles Blut zum Herzen, und er suchte in der Westentasche nach einem blanken Taler Botenlohn, denn woher sollte das Brieflein wohl kommen, als von Elsbeth? Sicherlich tat es ihr leid, daß er gestern mit so kurzem Abschied von dannen gegangen war, und sie schrieb ihm ein paar freundliche Worte? ...

Filuschek, von einem ganzen, runden Taler begrüßt – so viel, wie er heute, verdiente seine Mutter kaum in einer ganzen Woche – und noch ganz außer Atem vor Erstaunen und schnellem Laufen, stotterte: » Pan Professor, zo pojechal do Krolewca...«

»Was, mein Sohn?« sagte der Mechower Herr, »und auf Deutsch, wenn ich bitten darf, wir sind hier nicht in Posen!«

»Tak, tak,« erwiderte Filuschek, denn er wußte wohl, der Herr Leutnant litt es nicht, daß seine Leute polnisch zu ihm sprachen, obwohl er ihre Sprache sehr gut verstand ... »Halso, Herr Professor, wo is heute früh gefahren nach Königsberg, und ich hab' Sachen an Bannoch gebracht, er aber fährt erst an Nachmittag, weil erste Bannoch schon war fort, und er hat immer gemalen, also er schickt diese Bild. Aber nur für Herr Leitnant, sollt' ich keine andre Mensch nich zeigen!«

»So so,« sagte Hans Heinrich erheblich enttäuscht, »das ist ja sehr nett von dem Herrn Professor, daß er noch zum Abschied an mich gedacht hat, und deinen Taler hast du weg; troll dich also und kauf dir meinetwegen ein Rittergut dafür!« Und er rollte das Bild auseinander.

Was diese Künstler doch immer für Flausen im Kopfe hatten! Da ritt er, Hans Heinrich von Mechow, im mittelalterlichen Landsknechtskostüm auf seinem alten Blacklock über eine Brücke, die sich merkwürdigerweise in einen schmalen, in die freie Luft hinausragenden Balken verlor – der Gaul mit seiner Ramsnase und dem wolligen Winterhaar war ganz bewunderungswürdig getroffen – er aber jagte ihm die Sporen in die Weichen und streckte die rechte Hand in die Luft. Auf dem äußersten Ende des Balkens aber eine rollende Kugel, darüber schwebte Elsbeth, in einer, hm, etwas leichten Gewandung, und wandte grüßend den Kopf nach ihm. So weit fand er das Bild ganz nett, und, wo dem Maler seine stille Verehrung für Elsbeth ja nicht verborgen geblieben war, als Abschiedsgeschenk sehr sinnig. Nur, was sollte es bedeuten, daß Klein-Fränze sich mitten zwischen ihnen beiden auf die Brücke geworfen hatte, gerade vor die Füße von Blacklock, und das Gesicht angstvoll nach oben gewandt? Sollte das heißen, sie wäre seiner Verbindung mit Elsbeth nicht günstig gesinnt, suchte sie womöglich zu verhindern? Nach der unfreundlichen Behandlung in den letzten vierzehn Tagen fühlte er sich fast versucht, dem Maler recht zu geben!

Das Merkwürdigste aber war die Unterschrift: »Mancher sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht! Herzlichen Gruß, mein lieber langer Freund Hans Heinrich, und das Original hängt in der Berliner Nationalgalerie. Fahren Sie aber nicht nach dort, sondern reiten Sie nach Groß-Lipinsken. Gehorsamsten Handkuß an Ihre verehrte Frau Mama, die Ihnen das Bild vielleicht erklären kann, Hans Haffner.«

Da schüttelte Hans Heinrich den Kopf: »verrückt, total verrückt,« und weil die Kammerjungfer zum zweiten Male auf der Freitreppe erschien, begab er sich mit einigen langen Schritten in das Frühstückszimmer, denn seine Mutter wartete nicht gern. ... Nach den üblichen Fragen, wie sie die Nacht verbracht hätte und sich am Morgen fühlte, erstattete er kurzen Bericht über den unerfreulichen gestrigen Abend und holte das Bild hervor, denn die Neugierde nach des Rätsels Lösung ließ ihm keine Ruhe. Der Maler hatte ja geschrieben: »Ihre Frau Mama wird Ihnen das Bild erklären können.«...

Und die alte Dame im Rollstuhl betrachtete es lange. Sie hob die schmale Hand, zum Zeichen, daß Kammerjungfer und Diener sich zurückziehen sollten, dann sagte sie leise: »Dieser Herr Haffner ist ein großer Künstler und dein wohlmeinender Freund. Noch mehr sogar, mein Junge, dein Wohltäter. Und rührend finde ich's, wie zartfühlend er dir seinen Rat erteilt hat, nicht mit plumpen Worten, und doch so deutlich!« Und als Hans Heinrich mit dem Kopfe schüttelte, fragte sie verwundert: »Ja, Junge, bist du denn niemals in der Nationalgalerie gewesen?«

»Ne, Mamachen. Immer nur auf 'n Sprung in Berlin, und dann Bilder besehen? Vormittags Sitzung im Zirkus Busch, dann Frühschoppen, Mittagessen, Kommissionsberatung, Theater oder Wintergarten, trallala, woher die Zeit nehmen und nicht stehlen?«

»Na, dann hör, mein Junge! Das ist eine Nachbildung der ›Jagd nach dem Glück‹ von Henneberg, und der Maler will dir damit einen Wink geben, wo dein wahres Glück zu suchen ist!«

»Wie soll er denn das wissen, Mama?« Und er zuckte ordentlich mißachtend mit den Schultern.

»Na, na, mein Junge, Künstleraugen sehen manchmal viel, viel schärfer, als wir gewöhnliche Sterbliche es uns träumen lassen! Und eine Frage: Wie stehst du eigentlich mit Fränzchen?«

»Na, bis vor zirka vierzehn Tagen glänzend! En bon camerade, und überhaupt ganz dicke und turmhohe Freundschaft, fehlen nur die Telegramme und die Umarmungen bei Ankunft und Abschied, sonst genau wie bei Monarchenbegegnungen! In neuerer Zeit aber ist eine Abkühlung eingetreten, fast könnte man sagen, direkter Wetterumschlag, sie behandelt mich ohne jeden ersichtlichen Grund miserabel!« Und er erzählte genau, wie Klein-Fränze ihm am gestrigen Abend zunächst » La Paloma« abgeschlagen, dann aber mit dem Ekel von Wisotzkis Hauslehrer, diesem blonden Schmachtlappen, lauter ärgerliche Sachen gespielt hätte, Wagner und dergleichen.

»So so,« sagte die alte Dame, »na, dann reit nur ruhig in die Wirtschaft. Nachmittags aber laß anspannen und mir Tante Lieschen auf eine Tasse Kaffee herüberholen.«

Hans Heinrich stand auf.

»Mama, mir ist so allmählich aufgegangen, was du denkst. Aber, jetzt mal ganz im Ernst gesprochen, du glaubst doch nicht etwa ...«

Die alte Dame lächelte und hob die Hand.

»Mein Sohn, in diesen Dingen glaub' ich gar nichts! Dazu bin ich zu alt! Aber jetzt laß mich mal eine Weile allein und für dich nachdenken. Reit du nur ruhig in deine Wirtschaft! Mich hat das Bild da ein bißchen angegriffen, wenn du zurückkommst, können wir ja weiterreden!«

Da küßte Hans Heinrich seiner Mutter die schmale Hand, ging gehorsam auf die Freitreppe hinaus, vor der sein alter Blacklock mit hängendem Zaum geduldig wartend stand. Und erst, nachdem er eine ganze Weile lang in gestrecktem Galopp durch die Felder geritten war – eigentlich ziellos, wie er sich eingestehen mußte – fand er die Worte wieder, die er hatte sprechen wollen, als ihn seine Mutter unterbrach: »Mutter, du glaubst doch nicht etwa, jemand, der die Elsbeth heiraten will, könnte sich in die unbedeutende kleine Fränze verlieben?« Nur eins störte ihn dabei, daß er bei diesem Gedanken den zornigen Wunsch verspürte, nach Groß-Lipinsken zu reiten und den musikalischen Hauslehrer so lange am Schlafittchen zu beuteln, bis er sagte: Lassen Sie's schon gut sein, Herr von Mechow, und ich will es bei Gott dem Allmächtigen nicht mehr wiedertun! Natürlich nur, so sagte er sich, weil ihm eine solche Schwägerschaft wenig behagt hätte, und weil er als zukünftiges Familienoberhaupt doch dafür sorgen mußte, daß das unerfahrene kleine Tierchen sich nicht so weit unter seinem Stand verplemperte! ... Aber auch dem Professor, wenn er ihn in greifbarer Nähe gehabt hätte, wäre es schlecht ergangen! Wie kam dieser Mensch dazu, sich in Dinge zu mischen, die ihn nichts angingen? Wenn dieses dumme Bild da nicht dazwischen gekommen wäre, hätte er seiner alten Mutter jetzt schon längst seinen Wunsch vorgetragen, und heute mittag wäre die Entscheidung dagewesen! So aber gab es nur einen höchst überflüssigen Aufenthalt, Beratungen mit Tante Lieschen, die zu nichts führen konnten, weil die Gute doch nicht mehr den geringsten Einfluß besaß, und Erörterungen, ob er nicht wider besseres Wissen eigentlich in die kleine Fränze verliebt wäre! ... Und er schlug sich vor innerem Zorn mit der geballten Faust auf den Schenkel, daß der alte Blacklock, dem er ein paar hundert Schritte ruhigen Paßganges vergönnt hatte, einen Schreck kriegte und in seinen stuckernden Halbtrab verfiel. Mit seiner Mutter sprach er doch geläufig, brauchte sich nicht zu genieren, wenn ihm mal das passende Wort für einen Gedanken fehlte, also weshalb hatte er da vorhin geschwiegen, als sie ihm mit dem vielsagenden Lächeln die Rede abschnitt? Und gleich auf der Stelle wollte er umkehren, ihr alles auseinandersetzen, was er sich auf seinem Ritte durch die Felder überlegt hatte, aber sicherlich saß sie nach der gehabten Aufregung jetzt im verdunkelten Zimmer, hatte ihre Migräne, und die Kammerjungfer mußte ihr den armen, schmerzenden Kopf halten, bis der Anfall so langsam vorüberging. Da wäre es eine unverzeihliche Roheit gewesen, sie von neuem aufzuregen, denn seinetwegen hatte die Mutter sich das quälende Leiden ja nur zugezogen. Damals, als er nach dem Sturz beim Allenberger landwirtschaftlichen Rennen für tot heimgebracht wurde, hatte es angefangen ...

Aber wer war an diesem ärgerlichen Zwischenfall schuld? Nur dieser vertrackte Maler! Sicherlich hatte er sich auch bei Elsbeth in ähnlicher Weise mißliebig gemacht, ihr womöglich – er konnte den Gedanken, der ihm plötzlich aufstieg, kaum zu Ende denken – genau das gleiche Bild gezeichnet wie ihm ...

Ihm wurde so heiß, daß er den Rockkragen aufreißen mußte. Das war natürlich das Ende! Wenn sie sich auch einbildete, er wäre eigentlich in die kleine Fränze verliebt. ... Und je mehr er grübelte, desto klarer wurde ihm, daß der Maler ihnen beiden dasselbe Bild gewidmet hatte. Den Laufpaß hatte sie ihm gegeben, weil er sich erfrecht hatte, sie in einem Kostüm zu zeichnen, das man kaum noch als »mythologisch« bezeichnen konnte, denn, soweit er sich aus seiner Schulzeit erinnerte, waren selbst die Göttinnen Griechenlands nicht so tief dekolletiert gegangen – ihm selbst war es peinlich, sich Elsbeth, die Stolze, in einer solchen Gewandung zu denken! Und er war doch ein aufgeklärter Mensch, der was vom Leben kannte: Hatte sein Jahr bei den Gumbinner Ulanen abgedient, danach vier Semester Landwirtschaft studiert mit gleichzeitigem Aktivsein bei den Königsberger Balten, einem Korps, bei dem stramm gefochten, flott kommersiert, nach den inoffiziellen Kneipen aber just nicht Trübsal geblasen wurde. Ganz abgesehen von den herrlichen Sonntagnachmittagen, an denen man in corpore und Farben erst den Renommierbummel auf die »Hufen« machte, sich von den jungen Mädchen bewundern ließ, um spät abends, in der »Dohle« Schwarzer Hut. natürlich, die nachmittags angesponnenen zarten Fädchen weiter zu drehen! Also, er kannte schon wirklich was vom Leben, und wie er sich jetzt den vergangenen Abend deutete, war es folgendermaßen zugegangen: Erst hatte Elsbeth sich über das unpassende Kostüm geärgert, dann aber war sie hinter die eigentliche Bedeutung des Bildes gekommen, und die ungewohnt liebenswürdigen Fragen waren gewissermaßen Fühlhörner gewesen, die sie ausstreckte, um sich zu vergewissern, ob dieser Maler doch nicht vielleicht recht hätte. Na, und da ihm im entscheidenden Moment natürlich wieder einmal die passenden Worte fehlten, er sich erst überhören mußte, um die so selbstverständliche Einladung herauszubringen, hatte sie die irrtümliche Schlußfolgerung gezogen, und das Erscheinen des Verwalters Wisotzki war ihr nur ein willkommener Vorwand gewesen, ihre Enttäuschung zu verbergen. So und nicht anders war es gewesen! Und jetzt wunderte es ihn auch gar nicht, daß sie ihm beim Abschied nur so lässig mit der Hand zugewinkt hatte. Ein junges Mädchen, dem man fast ein Jahr lang offensichtlich seine Huldigungen dargebracht hat, wird durch einen nichtsnutzigen Maler mit einem Male auf die Idee gebracht, das alles gilt nicht dir, sondern deiner Schwester! ... Der Mechower Hans Heinrich »schustert« sich bei dir nur, gewissermaßen, damit du als Familienoberhaupt nicht nein sagen sollst, wenn er um deine jüngere Schwester werben kommt; sie sah sich mit ihren zweiundzwanzig Jahren sozusagen in der wenig erfreulichen Rolle einer Schwiegermama, der ein junger Mann, auf den sie selbst ein Auge geworfen hatte, der Tochter wegen mit liebenswürdigem und falsch gedeutetem Wurf nach der Speckseite den Hof machte! Dabei, wie es in dem seligen, einem auf der Prima durch die viele Syntax fast verekelten Horaz hieß: Mater pulchrior filia? ...

Aber dieses Mißverständnis sollte bald aufgeklärt werden! Noch war nach Filuscheks Aussage der Maler im Ländchen, und nötigenfalls transportierte er ihn mit Gewalt nach Groß-Lipinsken zurück, um dort die erforderlichen Aufklärungen zu geben: Ich hab' mir unter dem Bild nichts weiter gedacht, mir nur einen höchst unziemlichen Scherz erlaubt! ...

Unter Männern genierte er sich ja nicht, da fehlten ihm auch nicht im Ernstfälle die passenden Worte. Und – in der Wirtschaft war ohnedies nicht viel los, alles ging nach der ersten Anstellung am frühen Morgen seinen geregelten Gang – nach dem Bahnhof Ostrokollen waren es im schlanken Trab kaum fünfundzwanzig Minuten, dort aber oder irgendwo in der Umgebung mußte der Missetäter anzutreffen sein! Also gab er seinem alten Blacklock links die Hilfe, ließ ihn wieder in Galopp übergehen und wandte im langen Bogen querfeldein nach der Ostrokoller Landstraße, denn jähe Wendungen auf der Hinterhand vortrug der Gaul, der schon seinen Vater getragen hatte, nicht mehr. Er selbst aber hatte nach dem Sturze damals seiner Mutter in die Hand schwören müssen, nie mehr auf ein junges Pferd zu steigen...

*

»Den Malprofessor, Herr Baron,« sagte der geschäftige Bahnhofswirt, »nein, den hab' ich selbst nicht gesehen. Erst hat der Filuschek – Sie wissen doch, Herr Baron, der jüngste Jung' von der alten Olschewskin – allerhand Mappen gebracht, gerade war ich mit meiner Frau dabei, die Bilderchen zu besehen – unsereins, wo zehn Jahre in Königsberg gewesen is als Zimmerkellner im Deutschen Haus und später als Zapfer bei Domscheit und hat immer die Kunstausstellungen im Moskowitersaal mitgemacht, also man traut sich schon ein Urteil zu über Kunstmalerei und so was. Dafür, daß es einem später schlecht gegangen, daß man auf so 'ner armsel'gen Bahnhofswirtschaft gestrandet is, kann man doch nichts – immer noch die ›Fahne der Wissenschaft‹, wie die Herren von der Baltia sagten, und, liebes Gottchen, was hab' ich gerade die Herren immer so gern bedient ...«

»Na, schon Schluß, Schluß,« sagte Hans Heinrich ungeduldig.

»Bin ja schon auf dem besten Wege, Herr Baron,« erwiderte Herr Pokroppa freundlich, »und entschuldigen Sie, auf 'nem Sekundärbahnhof, und es gehen gerade keine Blitzzüge ab, also da nimmt man es mit der Schnelligkeit nicht so genau. Und, pardong, wo waren wir doch gleich stehen geblieben?«

»Bei den Mappen des Herrn Haffner.«

»Richtig, Herr Baron, und wegen der Vergeßlichkeit bin ich auch bloß so weit gekommen, indem ich nämlich mit dem Herrn Domscheit in Streit geriet wegen lumpigen sechs Achtelchen Münchener, und das gab nachher eine Gerichtsverhandlung so mit Geisteszustand und dergleichen, und ich kam natürlich frei, aber ich seh' schon, Herr Baron, heut haben Sie keine Zeit, also meine Frau und ich besehen die Mappen! Gerade sag' ich: Siehst du, Mutter, dieser sogenannte Malprofessor is auch einer von diesen gemeinen Naturalisten, wo jetzt so viel in der Zeitung dagegen geschrieben wird. Statt die Fohlen so recht schön und anmutig zu malen, zeichnet er jeden Fehler, daß man bei seiner Bekanntschaft mit der Groß-Lipinsker Fohlenkoppel sofort den ›Berserker‹ 'rauserkennt mit dem zu langen Hals, die ›Irmgard‹ mit der Anlage zum Kronentritt, und in Wirklichkeit is einem das gar nich so aufgefallen! Also, ich will sagen, eine solche Kunst is doch sehr verwerflich, nich wahr, Mutter? Und da kommt auf eins der Woytek aus Klein-Lipinsken vorgefahren, sagt, er soll dem Maler seine Sachen abholen! Ich zu ihm: ›Mensch, is das auch kein Irrtum, du gehörst doch nach Klein-Lipinsken?‹ Er aber darauf: ›Tak, tat, Panie Pokroppa, und Maler, was früher is gewesen in Groß-Lipinsken, hat erst Kaffee getrunken, dann aber Herr Baron hat gesagt, er soll dableiben für zwei Jahre!‹ Ladet die Mappen auf und fährt fort, jetzt vielleicht vor 'ner Viertelstunde! Ich aber kann mich noch gar nich davon erholen: Ein Mensch, der es sich ein Jahr lang in Groß-Lipinsken hat gut schmecken lassen, und dann geht er mit einem Mal in das feindliche Lager über! Da steckt doch was dahinter, Herr Baron, sag' ich mir, und paß auf, Mutter, hab' ich zu meiner Frau gesagt, wir werden hier noch allerhand Sachen erleben, wovon die Welt sich nichts träumen läßt! Hab' ich nicht recht, Herr Baron?«

»Möglich,« sagte Hans Heinrich, denn auch ihm kam dieser Schritt des Malers ganz unbegreiflich vor, und im Augenblick wußte er nichts weiter dazu zu bemerken. Hans Haffner im Lager des Erbfeindes? Dahin konnte er ihm natürlich nicht nachreiten, obwohl er für seine Person mit dem Klein-Lipinsker nicht gerade feindlich stand; nur als zukünftiger Herr von Groß-Lipinsken hatte man eben gewisse Rücksichten zu nehmen! Als er aber bei dem Heimritte ganz unwillkürlich in den nach den Lipinsker Wiesen führenden Weg einbog – um diese Zeit pflegte nämlich Elsbeth schon längst bei den Erdarbeitern am »Dokumentengraben« zu halten – stellte sich ihm für das Verhalten des Malers, den er bislang für einen anständigen Menschen gehalten hatte, endlich die richtige Erklärung ein. Solchen Leuten, die aus dem Dunkeln kamen und wegen ihrer Künstlerschaft eine Art von Ausnahmestellung in der Gesellschaft einnahmen, war eben nie ganz zu trauen. Eine Zeitlang hielten sie sich auf dem Niveau, betrugen sich ganz stubenrein, und mit einem Male kam der gewesene Schneidergesell heraus! Da verübten sie dann solche zeichnerischen Pamphlete, weil sie wegen übermäßiger Verwöhnung den Maßstab verloren hatten, fuhren von dannen und lachten sich ins Fäustchen, daß sie an der Stelle, wo sie fast ein Jahr lang Wohltaten erfuhren, alles so recht durcheinandergebracht hatten!... Ihn und die kleine Fränze zusammenbringen, wie töricht und albern! Aber aus der Sphäre des geschmacklosen Scherzes erhob sich ein solches Beginnen in das Bereich des groben Unfugs, wenn Elsbeth die gleiche Zeichnung erhalten hatte. Und das wollte er durch eine geschickte Fragestellung an der entscheidenden Stelle bald herausbekommen, um dann natürlich mit einigen passenden Worten den frivolen Maler gänzlich ad absurdum zu führen. Fehlte nur, daß er diese »entscheidende Stelle« auch möglichst bald antraf, ehe sich bei ihr die Nachwirkungen des Bildes so festgesetzt hatten, daß ihr der einmal gehabte Eindruck nicht mehr auszureden war!

*

Und das Glück war ihm günstig. Schon von weitem sah er Elsbeth auf ihrem hochbeinigen Schweißfuchs hinter der Kolonne der Erdarbeiter halten, eine Karte in den Händen, neben ihr aber den alten Förster Ahrens und den Verwalter Wisotzki, die heftig gestikulierten und aufeinander einzureden schienen. Da setzte er seinem alten Blacklock die Sporen ein, nahm die letzten fünfhundert Schritte über die Wiese im Kurzgalopp, denn die Ansprache, mit der er sein Erscheinen zu entschuldigen gedachte, hatte er so oft memoriert, daß er sie fehlerfrei hersagen konnte. »Guten Tag, Elsbeth, und wenn Sie sich vielleicht wundern sollten, mich hier zu sehen: Ich hatte zufällig in Ostrokollen zu tun und da erfuhr ich, denken Sie sich bloß, daß der Maler, dem Sie gestern den Laufpaß gegeben haben, sozusagen mit klingendem Spiel in das feindliche Lager übergegangen ist!« Danach aber ergab sich das übrige ganz von selbst. Sie mußte doch irgend etwas antworten, und dann gedachte er mit einem geschickten Übergänge auf die taktlose Zeichnung zu kommen ...

Aber, wie so oft im Leben, es kam wieder einmal anders. Elsbeth rief ihn schon von weitem an, ritt ihm ein Stück entgegen und ließ ihn gar nicht zu Worte kommen.

»Guten Tag, Hans Heinrich, und da, bitte, sehen Sie mal her, was die beiden Herren ›Sachverständigen‹ geschafft haben! Die ganze Arbeit ist umsonst.«

Wieso? wollte Hans Heinrich fragen, aber der Förster und der Verwalter, die ihrer jungen Herrin gefolgt waren, redeten fast gleichzeitig auf ihn ein. Der alte Ahrens, er hätte die Linie nach der Konstellation von Halbmond und Morgenstern über dem Ostrokoller Kirchturm ganz genau auf der Karte eingetragen, während der Graben mindestens zweihundert Meter zu weit nach Süden gelegt worden wäre, so daß er im ungünstigsten Falle nicht einmal zu Drainagezwecken gebraucht werden könnte; und der Verwalter verteidigte sich, er hätte ebenso genau nach den ihm gemachten Angaben gearbeitet, beide aber verlangten von ihm die Entscheidung, wer nun eigentlich recht hätte. Da jedoch diese Entscheidung im Augenblick nicht so leicht zu treffen war, denn weder Mond noch Morgenstern standen am Himmel, nur der schlanke Kirchturm mit dem runden Knauf ragte am Horizont in die Höhe, so beschränkte Hans Heinrich sich auf einige Bemerkungen allgemeiner Natur. Für die Drainage müßte ein genaues Nivellement vorgenommen werden, wenn's aber nur um die Lade mit dem Dokumente ginge, müßte man eben noch ein Ende weiter graben. Und weshalb man eigentlich die Nachforschungen nach dem Hufschmied Martschinowski nicht fortsetzte, denn das wäre doch die einfachste Lösung. Mit diesen Ausführungen aber hatte er es keinem von allen dreien recht gemacht. Die beiden Beamten versicherten, es wäre alles mögliche versucht worden, des so spurlos Verschwundenen habhaft zu werden, und bekamen es auch darüber von neuem mit dem Zanken, Elsbeth aber zuckte nur mit den Achseln, »wenn das Ihre ganze Weisheit ist, Hans Heinrich?!« ritt an die Spitze der Arbeiter, hielt dort unbeweglich und sah gespannt zu, wie Fußbreit um Fußbreit des weichen Wiesenbodens ausgehoben wurde, gleich als könnte sie den Spatenstich, der endlich auf die gesuchte Lade stoßen mußte, gar nicht erwarten ...

Da ritt er ihr nach, und noch nie war sie ihm so schön vorgekommen als jetzt in diesem Augenblick. So recht als eine Herrin hielt sie aus dem edlen Trakehner, den Hut mit dem leicht vom Winde bewegten Schleier auf dem vollen braunen Haar, die schlanken Glieder in dem knappen Reitkleide und auf dem gegen früher etwas schärfer gewordenen, feingeschnittenen Gesicht eine fast leidenschaftliche Spannung. ... Da hätte er ihr so gern gesagt: »Geh, Mädel, sorg dich doch nicht so um dieses vertrackte Dokument, Mechowen hat mit Gottes Hilfe auch an zehntausend preußische Morgen, und wenn du dort erst die Herrin bist, kannst du schließlich und im schlimmsten Falle den Verlust von Lipinsken verschmerzen,« aber, wie immer in Elsbeths Gegenwart, er kriegte die Worte nicht zusammen, und die Gedanken konnte sie ihm leider nicht von der Stirn ablesen.

Elsbeth wandte flüchtig den Kopf nach ihm.

»Sie sind noch da, Hans Heinrich?«

»Ja,« sagte er und gedachte nun anzufangen, wie er sich's vorhin überdacht hatte, Elsbeths wenig freundliche Frage brachte ihn aber aus dem Konzept, so daß er die Einleitung vergaß und mitten in die Sache hineinsprang: »Ja, nämlich, was mich eigentlich hergeführt hat, die ‹Jagd nach dem Glück‹. Und kennen Sie das Original, Elsbeth? Es soll in der Berliner Nationalgalerie hängen.«

Sie sah ihn an, als zweifelte sie an seinem Verstande. Der verwunderte Blick machte ihn aber ganz konfus, und er wußte nichts weiter hervorzubringen als: »Ja, eigentlich wollte ich sagen, daß Sie gestern abend ganz recht hatten, als Sie den Professor vor die Tür setzten. Wer so unpassende Bilder malt, nicht wahr, dem gehörte es eigentlich ...«

Elsbeth ließ ihn nicht ausreden. Sie war mit einem Male ganz dunkelrot geworden, denn sie dachte natürlich an eine andere Freveltat Hans Haffners: das Bild, auf dem sie sich über das Antlitz des Klein-Lipinskers mit einem Kusse neigte ...

»Was wissen Sie davon? Hat Tante Amalie es Ihnen etwa auch gezeigt?«

Und gerade wollte er verwundert fragen, was Tante Amalie mit der ganzen Geschichte zu tun hätte, als Elsbeth plötzlich die Zügel in der Linken versammelte, sich vornüber neigte und ihrem Schweißfuchs den Sporn einsetzte, daß er sich aus dem Stand hoch aufbäumte, um dann in gestrecktem Galopp davonzuschießen, daß das Wasser in den Wiesenlachen unter seinen Hufen spritzte. Da sah er ihr kopfschüttelnd nach, denn diese plötzliche Flucht erschien ihm unbegreiflich, selbst wenn er, wie er sich jetzt sagen mußte, die Sache nicht gerade mit diplomatischem Geschick behandelt hatte. Und eine Weile lang grübelte er noch darüber, weshalb Elsbeth so ohne jeden Grund vor einer weiteren Erörterung des Falles ausgerissen sein mochte, dann aber gab er es auf. Er hatte an dem einen Morgen mehr gedacht, als sonst in Wochen, und der Kopf tat ihm weh. Also war es am besten, er gehorchte der Mutter und bat Tante Lieschen, am Nachmittag auf eine Tasse Kaffee nach Mechowen zu kommen. Da mochten die beiden alten Damen zusehen, wie sie mit diesen Frauenzimmergeschichten fertig wurden. Er aber konnte hinterher ja noch immer sagen: Was ihr da miteinander bekunkelt habt, paßt mir nicht, oder ich bin meinetwegen damit einverstanden, je nachdem ...

Nur ein verquerer Gedanke schoß ihm noch durch den Kopf, als er längst schon gemächlich auf dem Wege nach Groß-Lipinsken dahinritt, und beunruhigte ihn eine Weile lang, wie eine hartnäckige Bremse seinen alten Blacklock: Wie, wenn die Zeichnung des Malers nicht so, wie bisher geschehen, sondern umgekehrt aufzufassen wäre? Nicht, daß er sich unbewußtermaßen in die kleine Fränze verliebt haben sollte, sondem umgekehrt, sie in ihn? Er aber hätte es nur nicht gemerkt? ... Da sagte er ganz laut »Unsinn« vor sich hin, denn er verstand sich doch schließlich auch auf Mädchenherzen. Wenn sie sich etwas aus ihm machte, hätte sie gestern abend seine Bitte erfüllt und die Paloma gespielt! Aber es war ganz gut, daß er auf den Gedanken gekommen war. Wenn er jetzt Tante Lieschen die Einladung überbrachte, konnte er sie zugleich bitten, auf diesen Wisotzkischen Hauslehrer ein wachsames Auge zu haben. Womit natürlich nicht ausgeschlossen war, daß er ihn sich bei passender Gelegenheit auch einmal selbst vorband: »Sie, Bejammernswertester aller Sterblichen, versetzen Sie mich als Fränzes zukünftigen nächsten Anverwandten nicht in die Lage, Ihnen beim Vierhändigspielen den Takt schlagen zu müssen!«


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