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5

Als wenn sie Bleisohlen an den Füßen hätten, schlichen die Tage, wollten kein Ende nehmen vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Und keine Ungeduld half, die Entscheidung kam nicht und kam nicht ... Am Morgen stand man auf: vielleicht heute? ... Wer der Abend kam langsam herangekrochen, es stand alles noch so ungewiß wie zuvor. In einer Art von Dämmerzustand lebte er dahin, träge und tatenlos, kaum, daß er einmal am Tag über die lange Dammallee ging, um mit dem Vogte, der an Stelle des entlassenen Verwalters die Wirtschaft führte, die dringendsten Arbeiten zu besprechen. Zuweilen überfiel ihn dabei ein Arger gegen sich selbst, daß er bei diesen Besprechungen nicht viel mehr als eine Art von nickender Pagode war ... Erst wenn man in den vielfältigen Betrieb der Landwirtschaft ein wenig schärfer hineinsah, merkte man, über wie viele Kenntnisse und Erfahrungen ein Herr verfügen mußte, der seinen Besitz selbst verwalten wollte. Und diese Kenntnisse sich anzueignen hatte er in törichtem Leichtsinn versäumt, war allerhand bunten Abenteuern nachgelaufen in der Zeit, in der andre lernten ... Dann faßte er im Augenblicke gute Vorsätze, ließ sich eifrig erklären, weshalb jetzt dieses geschehen mußte und weshalb jenes ... am Tage danach hatte er die Lust wieder verloren. Was frommte es, daß er hier mit Fleiß die Saat bestellte? Die reife Frucht gehörte ja doch einem andern ... dem, der nach ihm kam ...

Stundenlang saß er dann auf der Diele, starrte untätig durch die Scheiben der Glastür auf die lange Doppelreihe von Erlenbäumen hinaus, die sich weit hinten vor dem spähenden Auge zu einem engen Tor zusammenschloß ... Und durch dieses Tor mußte eines Tages die Entscheidung kommen, ob er ein Herr war oder ein Bettler ... Am Abend jedoch, kaum daß die erste Dämmerung sich neigte, überfiel ihn eine seltsame Unrast ... Dann ging er in den Park hinaus, löste das Boot von der Kette und ruderte nach der andern Seite hinüber, wo der See fast schon an Alten-Krakower Gebiet stieß. Eine gewaltige breitästige Eiche ragte am Ufer, ganz einsam zwischen einer niedrigen Fichtenschonung ... Er wußte genau, er wartete umsonst, aber wer mochte wissen, ob sie nicht doch vielleicht dastand, die Eine, der all seine Gedanken gehörten ... dastand und wartete ... vielleicht ... Erst wenn die Nacht mit ihren schwarzen Schatten sich über Wald und Wasser legte, ruderte er wieder heim ... vielleicht morgen ...

Der Traum von Glück war gar kurz gewesen, kaum zwei Tage hatte er gedauert ... Und er begriff es immer noch nicht ... Als er sie am ersten Abende wieder zurückruderte an die Stelle, von wo aus sie den nächsten Weg hatte nach Alten-Krakow – zur Sicherheit hatte er ihr noch ein Ende weit das Geleit gegeben, bis dicht an den Park, – hatte sie ihm unter tausend Küssen geschworen, sie wäre sein für immer, würde alles daran setzen, das verhaßte Band zu lösen, das sie noch mit der Vergangenheit verknüpfte ... Am nächsten Abend aber schon wartete er vergeblich, bis tief in die sinkende Nacht, zwei qualvolle Tage vergingen danach ohne eine Spur von Nachricht, bis der dritte endlich die Aufklärung brachte. Ein kurzes Brieflein aus Berlin. Ein paar Zeilen nur, wie ein Verzweiflungsschrei ...

»Vergiß mich, Liebster ... sie sperren mich hier ein ... erklären mich für toll ... mein Vater war fast unmenschlich in seinem Zorn ... beinahe geschlagen hat er mich, daß ich eine solche Schande über ihn bringen wollte ... und ich bin zu schwach, die Ketten zu brechen ... vergiß mich ... vergiß mich ...

Da hatte er einen schier wahnsinnigen Brief zurückgeschrieben, ein einziges, stammelndes Flehen und Bitten, sie sollte ihn nicht verlassen. Und was läge ihm an dem schnöden Geld und Gut ... barfuß sollte sie zu ihm kommen, er würde sie aufnehmen, wie es einer Braut geziemte! Und nicht fürchten sollte sie sich, er stände ja vor ihr, würde sie schützen. Ihr zuliebe wollte er in einen Vergleich willigen, den er bisher als schmachvoll zurückgewiesen hätte, ohne Sorgen könnten sie wohnen in dem kleinen Schloß, das ihr bei dem ersten Besuche so gut gefallen hätte ...

Auf diesen Brief hatte sie nicht geantwortet. Er aber fuhr jeden Abend hinüber nach dem andern Ufer ... Und zuweilen überfielen ihn die Zweifel. Ob er nicht vielleicht nur ein leichtgläubiger Tor gewesen war, der für unauslöschliche Liebe genommen, was die kleine blonde Frau bloß als müßigen Zeitvertreib angesehen hatte ... Damit aber tat er ihr bitteres Unrecht ... Sein Brief hatte sie sicherlich gar nicht erreicht, oder man hinderte sie daran, ihm zu antworten ... sie hatte ja geschrieben, man sperrte sie ein ... Und schließlich war ihm die abendliche Fahrt zur Gewohnheit geworden, wie das Hinausstarren auf das enge Tor; man wartete, dämmerte dahin und träumte ... Wie anders alles hätte kommen können, wenn er zur rechten Zeit den kecken Mut des Zugreifens gefunden hätte ... In der Hohenrömnitz drüben und hier in Vellahn ...

Das ganze Gewächshaus hatte er geplündert damals an jenem ersten Abend, um die Zimmer mit Blumen zu schmücken, und als die beiden Altchen mit verwunderten Augen seinem Treiben zusahen, hatte er sie bei den Händen gefaßt: »Freut euch mit mir, ihr beiden Getreuen, heute zieht hier eine Braut ein? Eure zukünftige Herrin, die ihr hoffentlich so lieb haben werdet wie mich« ...

»Gottvater steh' mich bei,« hatte Miken erwidert, »kann man sich denn mit einer Frau verloben, und der Mann is noch da? Und keine Scheidung is noch nich gewesen und so?« ...

»Ja, das kann man,« hatte er darauf lachend gesagt, »das ist die neue Zeit, die nicht nach altem Formelkram fragt! Die rechte Liebe muß nur da sein, von beiden Seiten« ...

Und am Abend führte er sie herein, die Zierliche, Feine ... »Da, das ist dein zukünftiges Reich« ...

Sie lief durch alle Zimmer mit ihren kleinen Füßchen, so rasch, daß der alte Lentz mit der Lampe kaum folgen konnte. »Himmlisch,« sagte sie zu allen steifen Möbeln und den dunkeln Bildern an den Wänden, »wie aus einem alten Märchenbuch geschnitten ist das« ...

Danach saßen sie an dem runden Tische auf der Diele, er aß wie ein Scheunendrescher, denn er hatte ja einen Fastentag nachzuholen, und keine Sorge mehr beschwerte ihm den Sinn, verschlug ihm den Appetit ... Sie aber nippte nur an einem Glase Wein, und mit einem Male sagte sie leise: »Schick doch diese lästige Alte fort! Wie eine Ohreule steht sie da, paßt auf jedes Wort« ... Denn er war nämlich auf die vortreffliche Idee gekommen, die Miken auf der Diele aufzustellen, als Ersatz für die mangelnde Anstandsdame gewissermaßen ...

Er schüttelte den Kopf.

»Verzeih, Liselottchen, aber das geht nicht. Du mußt dich hier schon ein bißchen unsern altmodischen Anschauungen anbequemen. Du bist meine Braut, und sie müßte ja vor ihrer zukünftigen Herrin den Respekt verlieren, wenn wir hier allein tafeln würden wie ein leichtfertiges Liebespaar« ...

»Du hast recht,« sagte sie, trank ihm mit freundlichem Lächeln zu. Nicht lange danach aber verspürte sie ein plötzliches Kopfweh, wohl noch von dem Sturze her, und da drängte er selbst zum Aufbruche. Damit sie nur ja nicht an ihrer Gesundheit Schaden nähme ...

Schweigend fuhren sie über den See, schwelgend stiegen sie aus und gingen an der niedrigen Fichtenschonung entlang, bis im Alten-Krakower Schlosse die Lichter aufblitzten. Er hatte ein paarmal besorgt gefragt, ob sie arge Schmerzen hätte, sie hatte nur abweisend den Kopf geschüttelt, es wäre nicht so schlimm. Da überkam ihn ein Bangen, ob er irgend etwas bei ihr verfehlt hätte, aber sie beruhigte ihn, es wäre nur die Sorge um die Zukunft, die sie so einsilbig machte. Aber er sollte sich darum nicht kümmern, sie würde es schon durchfechten ...

Er umfaßte sie, zog sie an sich.

»Komm, ich gehe mit dir nach Berlin, damit du nicht allein bist. Den widerwärtigen kleinen Tropf, dessen Namen du trägst, um den kümmern wir uns nicht. Vor deinen Vater aber treten wir hin, Hand in Hand ... er wird nicht nein sagen, wenn er sieht, wie rein und ehrlich wir uns lieben« ...

Sie reckte sich zu seinem Munde, küßte und biß ihn fast ...

»O du lieber großer, dummer Junge du ... Wie du dir das alles vorstellst!« ...

Sie schlüpfte aus seinen Armen, eilte davon. Noch ein halbes hundert Schritte konnte er sie sehen, dann entschwand sie ihm in der Dunkelheit ... Und schon hatte er sich zur Heimkehr gewandt, da kam es wieder heran auf leisen Sohlen ... er schrak heftig zusammen, als sie ihn mit ihrem seinen Stimmchen anrief. Sie stand verschämt da mit niedergeschlagenen Augen: »Verzeih, aber das ist unter Brautleuten wohl so ... einmal Adieu sagen reicht nicht für eine lange Nacht« ...

Da standen sie lange in seliger Umschlingung, tauschten Schwüre und Küsse, bis plötzlich ein Windstoß durch die Wipfel fuhr ... schwere Regentropfen fielen auf die trockenen Blätter, die den Boden bedeckten. Da schauerte sie zusammen, entwand sich ihm.

»Gute Nacht ... gute Nacht und adieu ... und, bitte, laß mich jetzt gehen ... morgen abend wieder warte ich hier auf dich« ...

Zwei Abende war er vergeblich hinausgefahren, am dritten Tage endlich war der Brief gekommen, er sollte sie vergessen ... Aber das ging nicht so rasch. Ein Menschenherz war keine Schiefertafel, über die man mit einem nassen Schwämme fuhr – alles war ausgelöscht ...

Und in den Stunden der Verzweiflung fragte er immer wieder, warum gerade ihm das? Weshalb schlug ihn gerade das Schicksal mit so harter Hand? War er denn so viel schlechter als all die andern ringsum? ... Die jungen Herren von Adel aus seiner Bekanntschaft spielten und tranken, liefen leichtfertigen Abenteuern nach, scherten sich um Tod und Teufel nicht, und es ging ihnen gut! Er aber hatte seines Wissens doch immer einen leidlich anständigen Lebenswandel geführt, weshalb also ersann das Wesen da oben, das die Menschengeschicke lenkte, immer neue Strafen für ihn? ... Wenn es ihn gewissermaßen mit Gewalt auf den dunkeln Weg drängen wollte, den er bisher gemieden hatte, weshalb hatte es ihn da überhaupt auf die Welt kommen lassen? ... Auf die Fragen wußte er keine Antwort, und keine Menschenseele war ringsum, mit der er sich aussprechen konnte ... Die Einsamkeit würgte ihn zuweilen, daß er fast schreien mußte vor Angst, und mehr als einmal hatte er in dieser Zeit den kalten Lauf der Waffe schon an die Schläfe gesetzt ... Eine Art von Trotz nur hielt ihm im letzten Augenblicke die Hand und eine Neugierde, welch einen neuen Schlag das Schicksal für ihn wohl noch in Bereitschaft hielt ...

 

Eines Abends – der Tag seiner Abreise jährte sich gerade zum zweiten Male – kam er von seiner gewohnten Fahrt auf dem See zurück. Es graute ihm ordentlich vor den langen Stunden in seinem einsamen Schreibzimmer ... Lesen konnte er nicht, dazu jagten ihm die Gedanken zu unruhig hinter der Stirn – es blieb nur der Trunk ... Der gute alte Rotwein, der noch vom Vater her im Keller lag ... Bei der ersten Flasche spürte man noch nicht viel, aber bei der zweiten wurden einem die Augenlider schwer, man sagte: »Gute Nacht, Lentz« und ging stumpfsinnig zu Bette ... Der Hühnerhund Hektor legte sich als Wächter auf die abgewetzte Keilerschwarte, und ein paar Stunden lang hatte man Ruhe vor allem Grübeln und Denken ...

Auf der Diele brannte längst schon die Lampe, auf dem runden Tische in der Mitte wartete das Nachtessen. Vom Kamin her trat ein schmächtiger junger Mensch in den Lichtschein.

»Guten Abend, Gräflein! Und höchste Zeit, daß Sie kommen. Ich hab' einen Hunger wie ein Wolf. Lange hätt' ich's vor all den Herrlichkeiten da nicht mehr ausgehalten!«

Er stutzte erst einen Augenblick, dann schrie er auf:

»Peter Nägelein! Malerchen! Wie kommen Sie hierher?«

Der Kleine schüttelte ihm die Hand.

»Merschtendeels zu Fuß. Ich hab' mich so durchgemalt von Basel über Frankfurt und Berlin bis hierher. Es gibt noch immer Leute, die sich für zehn Mark pro Kopf porträtieren lassen. Und Sie hatten mich doch in Genua feierlichst eingeladen damals?!« ...

»Aber natürlich, und ich freue mich von ganzem Herzen« ...

»Na sehen Sie,« sagte Peter Nägelein, »diese Einladung war mir, wie irgend ein Dichter sagt, der Leuchtturm am Meere meines Lebens. Und jetzt werden Sie mich überhaupt nicht mehr los, hier bleibe ich, bis ich ein berühmter Mann und Präsident der Akademie geworden bin! Sie hätten damals vor Tabora nicht so leichtsinnig sein sollen, mir das Leben zu retten« ...

»Aber Peterchen,« erwiderte Malte fröhlich, »Sie halten wieder Volksreden! In der Zeit hätten Sie schon längst einen kleinen Elefanten verzehrt haben können! Und besinnen Sie sich noch, wie Ihnen der lange Rueder – Gott hab' ihn selig – das Antilopensteak vom Teller stahl? Weil Sie mit der Gabel immer in der Luft herumfochten und begeistert die Farben eines Sonnenuntergangs schilderten?« ...

»Wird mir so leicht nicht wieder passieren,« sagte der Kleine, fing an zu futtern wie ein hungriger Wolf, der aus Polen kam. Und während er sich von dem sanft geräucherten Schweineschinken ein schier daumendickes Stück schnitt, begann er zu erzählen, wie es ihm seit der Trennung ergangen war. Die dreihundert Mark, die ihm Malte in Genua geliehen, hatte er nicht lange in der Tasche behalten. Bis Berlin sollten sie reichen, aber da ging zufällig ein Zug nach Monte Carlo, und ihm kam der Gedanke, das wäre ein Wink des Schicksals. Dreihundert Mark waren ein Riesengeld, wenn man nur ein bißchen Glück hatte, konnte man damit die Bank sprengen ... In München nachher von seinen Renten leben in einer wunderbaren Marmorvilla, keinen Kitsch mehr malen, sondern nur das, wozu der Heilige Geist einen trieb. Und es hatte ja genug Leute schon gegeben, die den Räubern in Monte erheblichen Gewinn abjagten ... Aber es kam natürlich wieder einmal anders. Schon in der ersten halben Minute war die Marmorvilla flöten, es fiel schwarz statt rot, sein Geld wurde mit einer langen Harke fortgescharrt. Weil er sich nämlich mit Kleinigkeiten nicht abgab, hatte er die dreihundert gleich auf den ersten Schlag gesetzt. Da sah er, daß das Schicksal ihm nicht wohlwollte nach alter Weise, aber ein Glück war immerhin noch dabei, daß man nämlich in welschen Landen nach Franken rechnete, nicht nach den Markstücken, die er sich gepumpt hatte. Der Währungsunterschied war ihm verblieben, und er Widerstand der Versuchung, den Bau der Villa von neuem in Angriff zu nehmen es war doch kein ganz sicheres Geschäft! Die paar Groschen aber reichten wenigstens bis Deutschland zurück. Da verstanden einen die Leute doch, wenn man ihnen auseinandersetzte, wie jammerschade es wäre, wenn ihre charakteristischen Züge nicht der Nachwelt erhalten blieben ...

Peter Nägelein ging von dem Schinken zur Leberwurst über, wandte sich später dem bräunlichen Spickaal zu, dem kalten Lammbraten, der rosigen Mettwurst und dem milden Käse – schier unglaublich war es, was alles in den spindeldürren kleinen Kerl hineinging! Und während er eifrig kaute, erzählte er weiter. Wie er quer durch Deutschland gezogen, immer dem gesegneten Mecklenburg zu, um hier bei freier Verpflegung seine Schuld abzuarbeiten. Für die dreihundert Mark nämlich wollte er seinen Gastgeber zweimal porträtieren. Einmal als Kniestück und zum zweiten hoch zu Roß für die Ahnengalerie. Das würde so ungefähr den Sommer über dauern, dann aber hoffte er, dank Maltes gewichtiger Empfehlung, auf weitere Arbeit in den Schlössern ringsum. Zu höheren Preisen natürlich, aber immer bei »freier Station«. Seit er gesehen, wie herrlich man hier lebte, gedächte er aus diesem gesunden Ländchen so bald nicht wieder hinauszugehen. Und schließlich wäre es ja auch egal, wo man sich seine Marmorvilla verdiente ...

So schwatzte er fort, und Malte hörte ihm lächelnd zu. Weshalb sollte er sich und dem andern die Wiedersehensfreude mit trübem Unkenruf verderben? Die Bertreibung hier aus dem Paradiese kam ja ganz von selbst und früh genug ...

Als der kleine Maler endlich gesättigt den Teller zurückschob, drückte Malte auf die Schelle: »Jetzt vorwärts, Lentz, das Beste, was wir im Keller haben! Heute ist ein Freudentag ... Und nicht zu wenig gleich, damit du den Weg nicht noch ein paarmal zu machen brauchst!«

»Che,« sagte Lentz mit einem zweifelnden Blicke auf das schäbige Röcklein des Gastes, »da sind noch vier Flaschen 1876er Chateau Margaux da, Schloßabzug. Wir haben sie immer aufgehoben, wenn mal wer so recht schwer krank sein sollte« ...

»Hol sie nur 'rauf,« erwiderte Malte lachend, 'nem Gesunden bekommen sie erst recht. Und wir müssen uns sowieso ordentlich dranhalten, sonst geraten all die guten Tropfen hier womöglich noch in eine falsche Kehle« ...

Es gab einen langen Abend danach. Peter Nägelein wußte von seiner Wanderung noch einen ganzen Sack voll lustiger Schnurren zu erzählen, von ihren gemeinsamen Erlebnissen auf der langen Reise sprachen sie, und merkwürdig war es, wie leicht sich ihnen all die Entbehrungen und Strapazen in der Erinnerung ausnahmen. In der Wirklichkeit damals waren sie oft ganz verzweifelt gewesen, hatten zuweilen schon alle Hoffnung aufgegeben ... Und endlich, bei der dritten Flasche des köstlichen Weines, schloß auch Malte sein Herz auf, erzählte, wie feindselig ihn die so heiß ersehnte Heimat empfangen hätte; sprach von der herben Enttäuschung der letzten Wochen, und wie er danach ganz verzagt und zu Boden geschlagen wäre, sich nicht mehr zu raten noch zu helfen wüßte ...

Der kleine Maler hatte teilnahmsvoll zugehört.

»Liebes Gräflein,« sagte er nach einer kleinen Pause, »ich weiß nicht, ob Sie vor die rechte Schmiede gekommen sind, wenn Sie von mir in diesen Liebesaffären einen Rat erwarten oder einen Tip, wie die seltsame Geschichte wohl aufzuklären wäre. Ich habe darin zu wenig Erfahrung, ich hatte es bisher immer nur mit einer zu tun, der Apothekerstochter, von der ich Ihnen in Afrika drüben erzählte, wie wir einander mal die Herzen ausschütteten. Wenn Sie es interessiert ... ich hab' sie nach meiner Rückkehr wiedergesehen. Ich konnte mir's doch nicht verkneifen, den Kurs über mein Heimatstädtchen zu nehmen – Sie verstehen mich –, um mal nachzusehen, was sich dort in den zwei Jahren geändert haben mochte. Es war ein gemischtes Vergnügen. Ein paar von den würdigen Verwandten, die mir prophezeit hatten, ich würde einmal hinterm Zaun verrecken, hatten ja inzwischen selbst das Zeitliche gesegnet ... leider nicht alle! Und mein braunes Apothekertöchterlein schaukelte ein Kind. Stand am Fenster eines schönen Hauses am Markt und hielt einen strammen Jungen im Arm, lachte mit ihm und war anscheinend sehr glücklich. Oben an dem Hause aber prangte an einem großen Firmenschild der Name des Erzeugers: ›Franz Müller jr., Manufakturwaren, Wolle und Leinen ...‹ Es war schon immer ein sehr tüchtiger junger Mann gewesen, und die Frau Apothekerin hatte recht gehabt, mit Wolle und sauberer Leinwand verdiente man entschieden mehr, als wenn man diese letztere mit Ölfarben beschmierte. Ich stand einen Augenblick und rechnete nach, wann mein Liebchen mich wohl schon vergessen haben mochte, und kam zu einem recht betrüblichen Ergebnis. Kaum ein Vierteljahr hatte es gedauert, bis Herr Müller junior über mein Andenken den Sieg davongetragen hatte ... Das tat recht weh ein paar Tage lang, dann aber fing ich allmählich an, mich aufzurichten. Daß ich in eine ziemlich unzulängliche junge Dame wohl zu viel von meinem Allereigensten hineingetragen, sie auf ein Piedestal gestellt hatte, das ihr nicht zukam ... Ich hatte mich damals an dem unweigerlichen Nein ihrer Eltern fast verblutet, ging in die Wüste, sie aber tröstete sich drei Monate später schon mit einem andern ... Wenigstens meine Todesnachricht hätte sie abwarten können, oder ob nicht doch etwas aus mir würde. Sie hatte ja nur noch ein Jahr bis zu ihrer Mündigkeit und war dann frei in ihren Entschlüssen« ...

Er brach ab, sah trübsinnig in sein Glas und trank es auf einen Schluck leer, ließ es sich wieder füllen ...

»Sie haben hier bei Ihnen im Mecklenburgischen für solche Dinge ein ganz ausgezeichnetes Sprichwort: ›Dat is so, as dat Ledder is‹ ... Und vielleicht finden Sie in meiner Geschichte auch eine kleine Nutzanwendung für Ihr trauriges Erlebnis, Gräflein ... Wenn die junge Dame, von der Sie erzählten, nicht bloß ein frivoles Spiel mit Ihnen getrieben hat, wird sie wiederkommen. Unmöglichkeiten, meine ich, gibt es nicht für eine Frau, die wirklich liebt ... Ein paar Minuten am Tag wird sie doch für sich haben, um eine Zeile mit Bleistift kritzeln zu können: ›Harr aus, wart auf mich‹ ... Und auch die Möglichkeit, diese Zeile in den Postkasten zu befördern. Alles übrige ist Unsinn und faule Ausrede« ...

»Holla, Malerchen,« sagte Malte, »nicht so voreilig! Wer sagt Ihnen denn, daß sie meine Antwort auf ihren Brief überhaupt bekommen hat?«

Peter Nägelein hob die schmächtigen Schultern.

»Ich weiß nicht, es ist etwas bei Ihrer Geschichte, was mich stößt. Allerhand ... gegen die sogenannten unverstandenen Frauen hab' ich überhaupt ein Mißtrauen! Meine Wirtin in München beklagte sich auch in dieser Hinsicht, gleich am ersten Abend, und ehe ich mich versah, lehnte sie an meiner Brust ... ›Ach,‹ sagte sie nur, aber ich weckte sie aus ihrer Ohnmacht nicht auf. Nach meiner Schätzung wog sie zweihundert Pfund – ich vermochte nicht daran zu glauben, daß in einer so starken Leiblichkeit eine empfindsame Seele wohnen sollte! Und ich hatte recht. Nach zehn Minuten kam sie ganz von selbst wieder zu sich, kündigte mir wegen Lieblosigkeit zum nächsten zulässigen Termin« ...

Malte wollte zornig aufbegehren, der Kleine aber hob die Hand.

»Ich weiß schon, Gräflein, das ist ein unwürdiger Vergleich. Aber da ich neben meiner Rolle als Hanswurst zuweilen auch den ernsthaften Menschen spiele: morgen werde ich nach Berlin fahren, auf Ihre Kosten natürlich! Wenn ich wieder zurückkomme, werden wir ganz genau Bescheid wissen. Ob wir vor Freude den Tanz der Matabele aufführen dürfen – besinnen Sie sich noch, wie die schwarzen Kerle die Glieder verrenkten? – oder eine Trauerpulle trinken, am Grabe vernichteter Hoffnungen. Einverstanden?«

Und als Malte nickte, fuhr er lebhafter fort: »Das andre aber, das bißchen Hab und Gut? Du mein lieber Gott – Wer wird sich von solchen Unbeträchtlichkeiten denn gleich niederschlagen lassen?! ... Im Notfalle male ich die Schandtaten Ihres Herrn Onkels auf eine große Leinwand, wir kaufen einen Leierkasten und ziehen auf den Jahrmärkten herum. Ich verfüge über eine poetische Ader und einen leidlichen Tenor – Sie brauchen bei den Pointen nur mit dem langen Stock auf die bildliche Darstellung zu tippen! ... Aber noch sind wir ja nicht so weit. Und ich kann mir nicht helfen – einem so anständigen Kerl wie Ihnen, kann es nicht schief gehen! Der liebe Gott hat sicherlich mit Ihnen ganz was Besonderes vor, daß er Sie so schüttelt und beutelt. Eine Läuterung vielleicht, um aus Ihnen ein ausgesuchtes Musterexemplar von mecklenburgschem Edelmann zu ziehen. Irgendwas wird er mit Ihnen schon im Sinn haben« ...

»Der liebe Gott?« fragte Malte bitter. »Ich Hab' nicht viel von ihm gespürt, so lang ich auf der Welt bin.« ... Und der Kleine sagte schlicht: »Ich glaub' an ihn. Nur natürlich, er hat keine Zeit, sich um jeden Quark zu kümmern. Damals aber vor Tabora, als Sie weitermarschieren sollten mit den Niggern, da bat ich ihn so recht demütig, herzlich und inständig. Er half mir, Sie kehrten um« ...

»Das war doch selbstverständlich,« erwiderte Malte, aber er entsann sich, wie seltsam ihm damals zumute gewesen war. Fast als hätte ihn jemand am Wams zurückgerissen: »Kehr um!« ...

Danach schwiegen sie, die letzte Flasche blieb ungetrunken. Und als Malte sich auf sein Lager streckte, war ihm ein wenig leichter zu Mute. Viel helfen konnte ihm der kleine Maler ja nicht in seinen Bedrängnissen, aber es war schon eine Wohltat gewesen, sich einmal ordentlich und gründlich aussprechen zu dürfen zu einem ernsthaften und mitfühlenden Menschen, den das Schicksal auch nicht mit sanften Händen angefaßt hatte. Oder der liebe Gott ... wer mochte das wissen?– – –

 

Am andern Vormittag – die Sonne schien längst schon über Berg und Tal – wachte Malte von einem hellen Lachen auf, das unter den Fenstern seines Schlafzimmers erklang. Drei Stimmen lachten da durcheinander ... zwei davon kannte er ganz genau, die von Lentz und Miken, die dritte aber ...? Ja richtig? Peter Nägelein, das Malerchen, das gestern gekommen war ... Mit beiden Beinen zugleich stieg er aus dem Bett und lugte durch die Ritzen der Läden ...

Da saß Miken unten aus einem Stuhl in ihrem besten Sonntagsstaat, der Maler hatte einen großen Papierblock auf den Knien und zeichnete eifrig. Lentz aber sah ihm über die Schulter zu, schmunzelte über das ganze verwitterte Gesicht, und plötzlich lachten alle drei wieder hell auf – Peter Nägelein hatte wohl zur Kurzweil eine seiner Schnurren erzählt? ... Da ließ Malte sich kaum die Zeit, in die Kleider zu schlüpfen, und stieg eilends hinunter. Und so vereifert waren die drei, daß sie gar nicht merkten, wie er sich im dichten Haselbusch vorsichtig heranpirschte. Da stand er eine ganze Weile lang, sah mit seinen scharfen Augen, wie auf dem weißen Papier mit raschen, sichern Strichen das Bild der alten Miken entstand. Und eine Art von Neid stahl sich ihm ins Herz: der konnte etwas, der Kleine! Wie es auch kam, er verstand eine Kunst, die ihn in schweren Zeiten über Wasser hielt, später vielleicht zu Erfolgen und Wohlstand führte. Er aber hatte nichts weiter gelernt, als ein widerspenstiges Roß zu meistern und mit der Kugel ins Schwarze zu treffen. Das waren brotlose Künste – jeder Stallknecht konnte sie und jeder Jägerlehrling ... Und in diesem Augenblicke leistete er sich einen heiligen Schwur. Wenn ihn das Schicksal auf dem Platze ließ, für den er seit Anbeginn bestimmt war, wollte er lernen und lernen, um als ein rechter Herr dazustehen, der seinen Besitz zum Segen verwaltete für sich und die, die zu ihm gehörten ...

Und später, als er mit Peter Nägelein auf der Diele beim Frühstück saß, spann er denselben Faden weiter. Daß er sich einen tüchtigen Landwirt zum Verwalter nehmen wollte, wenn sich hier seine Verhältnisse endlich geklärt hätten. Bei dem aber gedächte er in die Schule zu gehen wie ein richtiger Lehrling; denn das wäre der Fehler der meisten Herren ringsum, daß sie an die Verwaltung ihrer Güter mit mangelnder Vorbildung gingen. Auf dem Kasernenhofe oder dem Exerzierplatze könnte man keine Landwirtschaft lernen, aber bei ihm wäre es ja noch nicht zu spät. Und einen gewissen Schimmer hätte er schon, allzu viel brauchte er nicht nachzuholen ...

Der kleine Maler langte nach dem gewaltigen Schinken, für den er seiner vortrefflichen Eigenschaften wegen noch vom Abend vorher eine heftige Zuneigung empfand: »Lobenswert, sehr lobenswert! Und ich wünsche Ihnen von Herzen, daß es dazu kommt. In Ihrem Interesse und dem meinigen ... es wäre schandbar, wenn wir aus diesem gelobten Land wieder auswandern müßten! ... Und eine erfreuliche Mitteilung kann ich Ihnen jedenfalls heute schon machen: wir haben eine ganze Menge Geld gespart. Die Berliner Reise fällt weg« ...

Malte hob argwöhnisch den Kopf: »Wie meinen Sie, Peterchen?«

Der Kleine zögerte ein wenig, über sein vertrocknetes Gesicht flog es wie ein mitleidiger Schimmer.

»Nun ... ich bin heute schon recht früh aufgestanden, überall herumgekrochen in meinem neuen Quartier, von außen und innen ... herrlich ist das alles! Das efeubewachsene kleine Schloß, das mal' ich uns heute noch zum Andenken. Und was da alles so unbeachtet herumsteht ... Mensch, Gräflein, die alten Zinnkrüge allein sind ja ein Vermögen wert! Wenn wir die in Berlin verkloppen, können wir zwei Jahre davon leben!«

»Gehören leider nicht mir,« warf Malte ein, »die muß ich bei der Übergabe alle abliefern. Aber Sie wollten mir doch was von der Berliner Reise erzählen?«

»Ja richtig,« sagte Peter Nägelein und schlug sich vor den Kopf. »Also ich war auch nach dem Dorf hinausgepilgert, und da habe ich eine ganz scharmante ältere Dame kennen gelernt, die Frau Förster Schwarz. Der geräucherte Schweineschinken, den sie mir vorsetzte – sie saß nämlich gerade mit ihrem Manne beim Kaffee, als ich meinen Besuch machte, und ich ließ mich nicht nötigen – ja also, der Schinken war mindestens so gut wie dieser hier! Der alte Herr mußte gleich nach dem Frühstück ins Revier, Bäume pflanzen, glaub' ich, und ich benutzte die Gelegenheit, mich bei seiner behäbigen Gattin ins Vertrauen zu schleichen. Es dauerte auch nicht lange, und sie erzählte nur allerhand. Wie hieß doch gleich das Nachbargut, auf dem dieser Berliner Bankdirektor die wenig vergnügliche Jagd gepachtet hat?« ...

»Alten-Krakow,« erwiderte Malte. Und mit einer wegwerfenden Handbewegung fügte er hinzu: »Die gute Frau Försterin klatscht gerne ein bißchen. Ich kann mir schon denken, was sie Ihnen erzählt hat. Aber ich kann ihr nicht helfen, es ging damals nicht anders. Auch heute würde es nicht gehen ... Wenn man mit allen Fasern an einer hängt ... Der einen Einzigen, da müßte man doch ein Schuft sein, wenn man vor eine andre hintreten würde ... na, ist gut, Schluß! Sie soll mich damit in Frieden lassen« ...

»Ja natürlich,« versetzte der Kleine, »habe ich mir auch gedacht!« Und er machte sich eifrig über seinen Schinken her. Es tat ihm leid, daß er angefangen hatte. Er hatte ja gestern gesehen, wie schwer der arme Kerl da drüben an dem leidigen Liebeshandel trug. Und wer mochte wissen, was besser war! Eine solche Wunde sich selbst zu überlassen oder einen Heilungsprozeß zu versuchen, dessen Ausgang zum mindesten zweifelhast war ...

Malte fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als müßte er törichte Gedanken verscheuchen, und plötzlich schien er sich auf etwas zu besinnen: »Ja aber, da war doch noch etwas andres« ...

»Nein, wirklich nicht« ...

»Nee, Peterchen, so kommen Sie mir nicht weg! Sie hatten doch was vorhin ... ja richtig, die Berliner Reise! ... Also weshalb soll die jetzt mit einemmal wegfallen?«

»Nun denn« – der kleine Maler atmete tief auf – »Sie erfahren es wahrscheinlich doch einmal ... und vielleicht ist es besser, Sie wissen es jetzt gleich ... Also, Sie erzählten mir doch gestern, Sie hätten es nicht begreifen können, daß Sie auf Ihren Brief nach Berlin ohne Antwort geblieben wären. Und Sie wüßten sich das nicht anders zu erklären, als daß man die junge Dame dort unter strenger Bewachung hielte?« ...

»Allerdings« ...

»Also denn ... also denn, das stimmt nicht ganz. Frau Steinfeld ist seit drei Tagen wieder in Alten-Krakow. Ganz allein. Von irgendeinem Kerkermeister oder so was ähnlichem ist weit und breit nichts zu sehen!«

Malte sprang aus. Dunkelrot färbte der Zorn sein Gesicht.

»Das ist eine Lüge! Eine ganz gemeine, niederträchtige Lüge« ...

Peter Nägelein zuckte mit den Achseln.

»Es ist die lautere Wahrheit! Die Frau Försterin ist dieser Dame ja nicht sonderlich wohlgesonnen, aber wie sollte sie wohl dazu kommen, etwas in die Welt zu setzen, was nicht wahr wäre? Lügen haben kurze Beine ... Sie brauchten ja nur einen Boten nach Alten-Krakow zu schicken, um festzustellen, was an der Geschichte dran ist« ...

Malte stöhnte auf.

»Drei lange Tage, und ich sitze hier wie ein Narr« ...

Der Kleine trat zu ihm, legte ihm in ehrlicher Teilnahme die Hand auf den Arm.

»So was tut weh, lieber alter Junge, ich kenn' das! ... Aber jetzt nehmen Sie Ihr Herz in beide Hände – der schwerste Hieb kommt noch! ... Nämlich die Frau Förster hat ihren Mann auf Kundschaft geschickt, um festzustellen, ob an einem ganz bestimmten Gerüchte etwas Wahres wäre. Zugleich mit der heimlichen Nebenabsicht, ihm eine gesunde Kur angedeihen zu lassen. Der alte Herr hatte sich nämlich lächerlicherweise in die verführerische junge Dame arg verschossen und ging ganz kopfhängerisch umher« ...

»Weiter!« drängte Malte ungeduldig.

»Es ist nicht mehr viel zu sagen. Gestern spät abends ist der Alte kuriert nach Hause gekommen. Frau Steinfeld war nach der andern Seite hinausgeritten von Alten-Krakow, nach dem kleinen Städtchen« ...

»Friedeberg?« ...

»Ganz recht, so heißt es. Der Förster war ihr nachgegangen, und es fiel ihm nicht schwer, sich auf ein paar Dutzend Schritte heranzupirschen. Drei Pferde standen auf der Chaussee, ein Bursche in Dragoneruniform hielt sie am Zügel. Die beiden aber« ...

Aus der Kehle des andern kam ein gurgelnder Laut, er deckte die Hand über die Augen und brach schwer auf dem Stuhle zusammen. Der kleine Maler stand mit mitleidigem Herzen daneben. Zu helfen aber war da nichts. Solche Dinge mußte jeder für sich allein abmachen, zusehen, wie er mit ihnen fertig wurde ...

Malte erhob sich schwerfällig, ein wehes Lächeln glitt über sein Gesicht.

»Entschuldigen Sie, Peterchen ... es ist mir nur eben da drinnen was kaput gegangen. Und jetzt lassen Sie mich« ... Er wandte sich zur Tür, griff auf der Vordiele nach Reitstock und Mütze, ging langsam die Dammallee entlang, deren Bäume schon die ersten krausen Blätter zeigten. Wie zarte grüne Spitzen standen sie an den bräunlich schimmernden Zweigen ... Der kleine Maler ließ ihn allein gehen, machte nicht erst den Versuch, ihm zu folgen. Er konnte sich ungefähr denken, wohin er wohl gehen würde. Es war eine Kur auf Tod und Leben. Kam er zurück, konnte er sich vielleicht langsam ausheilen ...

Der alte Diener trat ins Zimmer, um das Frühstücksgeschirr abzuräumen. Er blickte verwundert auf, wo sein Herr geblieben wäre, unterließ aber zu fragen. Und während er schweigend am Tische hantierte, formte sich in dem rastlos schaffenden Kopfe des Malers ein Bild ... »Treue« wollte er's nennen, unwillkürlich aber legte er's in längst vergangene Zeiten zurück. Vielleicht weil der Alte da ihm erzählt hatte, nach der Überlieferung wären seine Vorfahren mit den Grafen Römnitz zugleich hier ins Land gekommen, als Dienstleute ... Ein junger Reitersmann lag erschlagen im Blachfelde, sein reisiger Gefolgsmann saß am Wegrain, das Haupt des Herrn in seinem Schoß gebettet. Mit gramerfüllten Augen sah er in die sinkende Sonne, unaufhaltsam rannen ihm die Zähren über das verwitterte Gesicht, in dem sich ein kurzer weißer Schnurrbart sträubte ...

Und der Alte ließ sich gerne von ihm zeichnen. Der kleine Malersherr wußte bei der Arbeit gar zu lustige Schnurren zu erzählen. Nur vermochte er sich nicht zu erklären, weshalb er dabei in einer ganz bestimmten Stellung im Graben sitzen mußte und ein trauriges Gesicht machen. Die Miken auf ihrem Stuhle hatte es bedeutend bequemer gehabt und lachen dürfen, soviel sie wollte ...

Bei der Arbeit verfloß die Zeit, es ging schon auf Mittag, als Malte auf schaumbedecktem Gaule wieder vor der Freitreppe hielt. Er schwang sich aus dem Sattel, die Augen lagen ihm tief in den Höhlen in dem hagern Gesicht.

»Es stimmt, Peterchen,« sagte er heiser, »sie ist da.«

»Waren Sie denn drüben im Schloß?«

Malte lachte ingrimmig auf.

»Da ist mir seit einer gewissen Zeit der Eintritt verboten – ich erzähl' es Ihnen mal bei Gelegenheit! Ich hab' es anders geschafft ... ich traf einen alten Bekannten, einen Hütejungen aus Alten-Krakow, der mir schon 'mal eine Nachricht gebracht hatte. Mittlerweile ist er zum Stallburschen aufgerückt, ja, und der erzählte mir ... na ist gut! ... Und nun rasch, Kleiner, ziehen Sie sich um! In fünf Minuten hält hier der alte Fuhbel mit dem Wagen. Wir sind bald wieder zurück, ich hoffe, das andre ... na, wir werden's schon 'rauskriegen. Aber rasch, rasch« ...

Peter Nägelein sah mit trübem Blick auf sein schäbiges Röcklein hinab: »Umziehen? Ich fürchte, wegen allzu großen Längenunterschiedes dürfte mir Ihre Garderobe nicht recht passen. Und meine eigenen Sachen ... ja ... die sind noch unterwegs« ... Wenn es also bei dieser Gelegenheit auf ein besonders festliches Gewand ankommen sollte, möchte ich wohl lieber zu Hause bleiben« ...

Malte legte ihm die schwere Hand auf die Schulter.

»Das wäre vielleicht das allergescheiteste, auch für mich. Ich hätte an den drei Tagen ohne Nachricht eigentlich genug haben müssen! Aber der Mensch ist ein komisches Tier ... er kriegt nie genug, wenn es auch bitter schmeckt wie Galle! ... Das Festgewand aber – trösten Sie sich, Kleiner – in den Augen der Herrschaften, die wir da treffen werden ... also ich könnte mich in schneeweißes Leinen kleiden, ich hätte vor ihnen doch einen Klecks am Rock« ...

 

In Moltzahn war Fohlenmarkt. Alles, was Pferdezuchttrieb im weiten Umkreise, hatte sich in dem kleinen Städtchen ein Stelldichein gegeben. Schwärzliches Gewimmel drängte in den engen Gassen, das Städtchen hatte seinen großen Tag. Auf dem weiten Marktplatze standen die jährigen Füllen in langen Reihen, die Händler, die von weither gekommen waren, aus dem Lauenburgischen, Hommerschen und aus der Mark, gingen prüfend auf und ab, ließen sich hier eines der jungen Tiere vorführen, dort ein andres. Landwirte waren es meistens, die sich mit der weiteren Aufzucht befaßten, um die Dreijährigen dann an die Heeresverwaltung zu verkaufen oder – in besondern Glücksfällen – an die Landesgestüte. Der Fohlenhandel war ein Lotteriegeschäft. Auf ein paar Dutzend Nieten gab es einen ordentlichen Treffer, und auch die erfahrensten Käufer konnten sich täuschen. Aus einem stolzen Jährling wurde zuweilen ein Krümper, während ein Unscheinbarer sich manchmal zu einem fehlerlosen Staatsgaul entwickelte. Die Herren aber, die ihn gezogen hatten, freuten sich neidlos über den Gewinn, denn das Geschäft der Züchter und Händler war streng geschieden. Beim nächsten Mal zahlte es sich wieder aus. Das Gestüt, aus dem ein ausnahmsweise hervorragender Jährling hervorgegangen war, verkaufte den ganzen Aufwuchs zu höherem Preise ...

Und an das Geschäft schloß sich ein sportliches Vergnügen. Der »Moltzahner Reiterverein« hielt auf dem Stadtanger einen Wettbewerb ab im Springen und Reiten. Ein paar bescheidene Preise wurden verteilt, die sich meistens die Herren von den Friedeberger Dragonern holten. Wenn das Vergnügen zu Ende war, löste die Wagenburg rings um den Anger sich auf, die Damen fuhren nach Hause, die Herren aber blieben zurück der geschäftlichen Abschlüsse wegen, die nach altem Brauch im »Strelitzer Hof« geregelt wurden. Herr Christian Sötebeer, der Besitzer, aber war auf der Höhe, denn der Fohlenmarkt war einer seiner großen Erntetage. Der Schweiß lief ihm in hellen Strömen über das feiste Gesicht, unermüdlich jedoch wanderten seine Äuglein von Tisch zu Tisch, jeder seiner Gäste kam zu seinem Recht. Später, wenn die würdigen alten Herren fortgefahren waren und die Karten auf dem Tische lagen, konnte er sich erholen. Dann brauchte er nur aufzupassen, daß unten im Keller der Champagner aus dem richtigen Fache geholt wurde. Aus dem deutschen. Nach dem französischen hatten die jungen Herren nur unnötigerweise am nächsten Tage dicke Köpfe ...

Als Fuhbel seine vier Rappen an das Ende der Wagenburg lenkte in kunstvoller Fahrt, war der » Concours hippique«, wie die bescheidene Veranstaltung ungefähr mit demselben Rechte genannt wurde, mit dem Herr Sötebeer seinen Schaumwein » Pommery goût américain« taufte, schon im vollen Gange. Ein Herr im bunten Dreß und zwei Friedeberger Dragoner versuchten sich mit ihren wenig trainierten Gäulen im Hochsprung. Die Richter – unter ihnen ein hochgewachsener alter Herr mit schwarzem Schnurrbarte – standen auf einer erhöhten Tribüne mit Notizbüchern in der Hand, die Damen, in lichten Toiletten, hatten sich in den Wagen aufgerichtet. Nach jedem gelungenen Sprunge klatschten sie in die Hände oder winkten begeistert mit ihren farbigen Sonnenschirmen ...

Als sein Wagen in die Reihe rückte, lachte Malte kurz auf. Er hatte es gut getroffen. Neben ihm hielt ein eleganter Sandschneider mit zwei rassigen ungarischen Juckern. Der Kutscher stand vor den unruhigen Gäulen, hielt sie fest im Zügel, die Dame im Wagen war von einem großen, mit Spitzen besetzten Sonnenschirm halb verdeckt. Beim Anfahren des neuen Besuchers jedoch wandte sie unwillkürlich den mit blonden Flechten beschwerten Kopf, ein leichtes Erschrecken glitt über ihr Gesicht. Aber es dauerte nur einen kurzen Augenblick. Gleich danach streckte sie die Hand über den Wagenschlag: »Aber nein, Herr Graf, wie ich mich freue« ... Und zugleich legte sie den breiten Sonnenschirm auf die andre Seite, damit sie vom Rücken her gegen zudringliche Blicke gedeckt war. Malte stieg schwerfällig aus seiner alten Kalesche: »Ebenfalls, gnädigste Frau. Und ich bitte sehr um Entschuldigung, falls ich Sie störe ... ich vermutete, Sie hier zu treffen, und weil wir uns so lange nicht gesehen haben, ja, da wollte ich ein paar kurze Fragen an Sie richten« ...

Das Weitere verstand Peter Nägelein nicht, die Unterhaltung zwischen den beiden wurde von da an flüsternd geführt. Er sah nur, wie die großen blauen Augen da drüben sich langsam mit Tränen füllten, zwei rote Lippen sich verächtlich schürzten und der lange Graf Römnitz den Kopf tiefer sinken ließ. Er tat ihm leid, der arme Kerl, aber zugleich fing er an zu begreifen, daß dieses holdselige Frauenbild einem Manne wohl die Sinne verwirren konnte und das Herz dazu. Wie ein zierliches Porzellanfigürchen stand sie da, wie ein Unschuldsengelchen im weißen Kleid. Nur Maleraugen sahen schärfer ... Da war um den sanft geschwungenen Mund ein Zug, der an das lasterhafte, wissende Lächeln der Frauenbildnisse erinnerte aus dem alten Florenz ...

Der Wettkampf auf dem grünen Rasen war zu Ende, der Herr von Bredow von den Friedeberger Dragonern hatte auf einem langbeinigen Schinder dank seiner überlegenen Reitkunst die Konkurrenz im Hochsprung gewonnen. Nichtendenwollendes Beifallklatschen erscholl aus der Wagenburg, während der Sieger zu der Tribüne schritt, um aus den Händen des Herrn Erblandmarschalls den Preis zu empfangen ... Malte kletterte wieder auf seinen Sitz zurück, sprach halblaut zwischen zusammengebissenen Zähnen: »Für alles hat sie eine Ausrede. Und, hol' mich der Teufel, ich kann nicht anders, ich muß ihr glauben ... Ich weiß nicht, soll ich jetzt dem Förster Schwarz das Genick abdrehen oder mir selbst? ... Frieden hat sie gestern abend gestiftet in einer befreundeten Offiziersfamilie! Morgen wird sie mir alles erklären, auch das andre, weshalb sie geschwiegen hat ... na ist gut!« ...

Er sprach mehr zu sich selbst, als zu dem andern, sah mit schwimmenden Augen starr geradeaus ...

Um die Tribüne der Preisrichter entstand eine Bewegung, ein Reitknecht in Hohenrömnitzer Livree drängte seinen abgetriebenen Gaul durch die Menge, rief seinem Herrn eine Meldung zu. Der Erblandmarschall stand erst eine Weile regungslos. Dann stürzten ihm die Freudentränen aus den Augen, er nahm den Hut ab und faltete die Hände zu inbrünstigem Gebet ...

Malte hatte nicht hingesehen, der kleine Maler zupfte ihn am Ärmel.

»Sie, Gräflein, was ist das für ein komischer alter Herr, der da drüben zwischen allen fremden Leuten betet?«

»Das ist mein Onkel Christoph. Der steht mit dem lieben Gott in einem ganz besondern Verhältnis, bespricht sich mit ihm über jeden Quark« ...

Durch die schwarzgedrängte Menschenmenge lief es wie eine Welle, eilte von Wagen zu Wagen: in der Hohenrömnitz war der langersehnte Erbe zur Welt gekommen ...

Auf der Richtertribüne riß ein Herr den Hut vom Kopfe, rief mit hallender Stimme über den Platz: »Unser allverehrter Herr Erblandmarschall, Seine Exzellenz Graf Römnitz, hat soeben eine höchst freudige Nachricht erhalten. Seine erlauchte Frau Gemahlin hat ihn vor einer Stunde mit einem Sohne beschenkt! Wir alle hier freuen uns mit dem glücklichen Elternpaar, wünschen seinem Sprößling von Herzen alles Gute und blühendes Gedeihen ... der zukünftige Erbe der Hohenrömnitz: hurra, hurra, hurra« ...

Die Menge hatte den Ruf aufgenommen, brausend rollte das dreimalige Hurra über den Platz. Hüte und Tücher wurden geschwenkt, der Herr Erblandmarschall schüttelte dem Redner die Hand und verneigte sich gerührt nach allen Seiten ...

Malte hatte regungslos zugehört, jetzt sagte er heiser: »Also es ist aus! ... Kein Geld, kein Gut, keine Ehre mehr ... nur zu einer Abschiedspulle reicht's noch. Kommen Sie, Kleiner, aber nicht mit so 'nem betrübten Gesicht! Die Leute hier brauchen es uns doch nicht anzusehen, wie sehr wir verschmettert sind« – – –

Im Strelitzer Hof war es noch leer, Herr Sötebeer hatte auf dem Festplatze zu tun, unangefochten gelangten sie in eine von dem breiten Ofen halb verdeckte Ecke. Der Kellner brachte die bestellte Flasche Sekt, schenkte ein ...

»Na prost, Peterchen,« sagte Malte, leerte sein Glas auf einen Zug. »Also es ist aus, ganz aus ... morgen geht es auf die weite Reise! ... Ich hatte es ja nicht anders erwartet, aber ganz im hintersten Winkel da innen steckte doch noch immer ein bißchen Hoffnung ... vielleicht ... aber ja, sagen Sie mal, wie wir vorhin fortgingen, hab' ich mich da wohl von Frau Steinfeld verabschiedet?«

»Ich weiß es wirklich nicht« ...

»Na, ist ja auch egal! ... Und jetzt werden wir langsam austrinken, nach Hause fahren. Aber nur nicht trösten, bitte! Das kann ich nicht vertragen« ...

Der kleine Maler sah schweigend in sein Glas. Er hatte gar nicht den Versuch gemacht, irgendein Trostwort zu sprechen. Wie es in dem andern aussehen mochte, konnte er sich denken. Und ebenso konnte er sich denken, wie danach wohl das Ende sein würde ... Billige Redensarten waren da nutzlos, und um als Kellner drüben in Amerika sein Leben zu fristen, dazu war der Graf Malte Römnitz denn doch wohl zu stolz ...

Von der Tür her erklang Säbelklirren, zwei Herren traten in die geräumige Gaststube, und weil sie sich allein glaubten, unterhielten sie sich ganz laut. Malte erkannte sie an der Stimme, es war der Herr von Lewenitz auf Tüschow und der Panschenhagener Nachgeborene, der Oberleutnant von Bredow von den Friedeberger Dragonern ...

»Kellner, zwei Glas Helles,« rief der Herr von Lewenitz durch das Lokal, »ich hab' einen Durst zum Umfallen!« Und zu seinem Begleiter gewandt, sprach er weiter: »Sie haben heute mal wieder einen Torkel entwickelt, Bredow – drei erste Preise, es ist kolossal! ... Ein Trost nur, daß wir Ihnen das nachher im Makao wieder abknöpften werden! Wer so viel Glück in der Liebe hat wie Sie« ...

Der Friedeberger Dragoner strich sich den spärlichen Schnurrbart.

»Na ja, es ist schon doll! Sie ist wieder da. Vor drei Wochen hatte ich ihr den Laufpaß gegeben ... Die Geschichte wurde mir nämlich ein bißchen sengerich, in Ansehung des Mannes. Die kleine Kröte war manchmal verdammt unvorsichtig. Aber gestern abend hat sie mich beruhigt: hei hett nix to seggen! Wir trafen uns nämlich halbwegs Friedeberg und Alten-Krakow« ...

Weiter kam er nicht. Malte war in der Ecke hinter dem Ofen so ungestüm aufgesprungen, daß er fast den Tisch umriß. Mit zwei langen Schritten stand er vor dem kleinen Reiteroffizier.

»Herr von Bredow, Sie haben sich eben erlaubt, in so nichtswürdigen Ausdrücken von einer mir nahestehenden Dame« ...

Der Friedeberger Dragoner trat einen Schritt zurück, zuckte nichtachtend mit den Achseln.

»Herr Graf Römnitz, ich bitte, mich nicht zu belästigen. Ich wünsche nicht, mich irgendwie mit Ihnen auseinanderzusetzen oder zu unterhalten.«

Auf Maltes weißer Stirn schwoll die Zornader.

»Herr Oberleutnant von Bredow, ich habe mir soeben erlaubt, Ihr Verhalten als ein nichtswürdiges zu bezeichnen?!« ...

Der Dragoner tat, als hörte er nicht. Er wandte sich mit einer gleichgültigen Frage an den Herrn von Lewenitz, aber seine Haltung war gespannt. Die Linke hielt die Säbelscheide, die Rechte lag in der Nähe des Korbes auf der Lauer ...

»Ja, also, was ich sagen wollte, lieber Lewenitz« ...

Aus Maltes Brust kam ein dumpfer Laut, schwer fiel seine Hand in das Gesicht des andern ...

»Da und da und noch einmal« ...

Der lange Herr von Lewenitz warf sich dazwischen, einen Augenblick dauerte es nur, und er flog mit dem Kopfe gegen den Ofen, blieb mit ausgestreckten Armen und dem Gesicht nach unten auf dem Boden liegen. Eine Klinge blitzte in der Luft, eine Sekunde danach war sie in Maltes Händen, brach unter seinem Fuß mit kurzem Klirren. Der Dragoner wischte sich das Blut aus dem Gesicht und sprach stammelnd: »Ich hoffe, Sie werden mir Genugtuung geben, Graf Römnitz?« ...

Malte lachte höhnisch auf.

»Na und wenn nicht? ... Wenn ich nun mal ausprobieren wollte, was Sie danach tun werden? Sie und der so korrekte Herr von Lewenitz da, der mir damals nicht mal die Hand gereicht hat zum Abschied ... ich wäre wirklich neugierig!« ...

Der Dragoner stöhnte auf.

»Herr, ich bitte Sie« ...

Malte schleuderte ihm den Säbelkorb vor die Füße.

»Da! ... Eigentlich wollte ich ihn mir zum Andenken mitnehmen, aber es lohnt nicht der Mühe. Schicken Sie mir Ihre Zeugen – ich werde mich bis zum Abend zu Hause halten!« ...

Er warf dem Kellner ein Geldstück zu, schritt hinaus. Der kleine Maler folgte ihm, noch ganz betäubt. In kaum einer Minute hatte sich alles abgespielt, wie eine Windsbraut war es gekommen und vorübergezogen, ein paar Menschenschicksale lagen auf dem Weg ...

Sie saßen im Wagen, die Rappen zogen an.

»Um Gottes willen,« sagte Peter Nägelein, »liebster, bester Herr Graf, wie konnten Sie sich nur so hinreißen lassen?«

Malte schnitt mit der Hand durch die Luft.

»Das verstehen Sie nicht, Kleiner! ... Keiner kann aus der Haut heraus, die ihm mal angemessen ist ... Alle Theorieen sind Unsinn – zwei Jahre lang hab' ich auf diesen Augenblick gewartet, vielleicht ohne es selbst zu wissen ... Ich bin wieder was: zwei Herren aus altem Adel müssen sich mir wieder stellen, ganz so wie früher ... es gibt keine Ausrede, sie müssen sich mir stellen! Achselzucken und Wegsehen gibt es nicht mehr ... nur, natürlich, es wäre furchtbar, wenn ich für eine ungerechte Sache fechten würde ... aber schließlich ist auch das egal ... aus ist aus« ...

Gegen Abend kamen die Kartellträger, der Panschenhagener Majoratsherr und ein Rittmeister von den Friedeberger Dragonern.

Malte empfing sie auf der Diele, die kurze Verhandlung wurde stehend abgemacht. Er stellte seinen Sekundanten vor, den Herrn Kunstmaler Peter Nägelein, und bat um Entschuldigung, wenn er selbst sich gegen allen Brauch bei der Festsetzung der Bedingungen beteiligte. Sein Vertreter wäre in diesen Fragen nicht recht bewandert.

Die beiden Herren verneigten sich schweigend zum Zeichen der Zustimmung, jeder von ihnen sagte danach seinen Vers auf. Der Panschenhagener überbrachte die Forderung seines jüngeren Bruders, der Rittmeister die des Herrn von Lewenitz. Auf gezogene Pistolen mit Stecher, Kimme und Korn, fünfzehn Schritte Barriere und Kugelwechsel bis zur vollständigen Kampfunfähigkeit eines der beiden Kontrahenten.

Malte neigte zustimmend den Kopf. »Angenommen, selbstverständlich, meine Herren! ... Und der Ort?«

»Möglichst ungestört natürlich,« sagte der Panschenhagener. »Leider ist die Moltzahner Polizei schon argwöhnisch geworden durch den geradezu unerhörten Vorgang« ...

»Keine Kritik, bitte, Herr von Bredow« ...

»Ah, Pardon, selbstverständlich« ...

»Danke!« ... Malte verneigte sich höflich: »Ich bin der Geforderte, mir steht es zu, den Ort zu bestimmen. Ich möchte den Herren also vorschlagen, die Lichtung in meinem Jagen achtzehn. Sie kennen den Platz ja wohl noch von den Treibjagden her – wir frühstückten da immer. Wenn es Ihnen recht ist, um fünf Uhr, gegen vier ist ja schon Büchsenlicht. Ich werde meinen Förster instruieren, daß er sich bei dem Knallen nicht etwa einbildet, es wären Wilddiebe im Revier« ...

Die Herren klappten mit kurzer Verneigung die Hacken zusammen, wandten sich schweigend zur Tür. Malte hielt sie mit einer Handbewegung zurück.

»Einen Augenblick noch, wenn ich bitten darf ... Ich bin in einiger Verlegenheit um den Unparteiischen, den ich ja eigentlich stellen müßte ... mein Herr Onkel dürfte durch das freudige Ereignis in seinem Hause wohl verhindert sein« ...

Der Rittmeister von den Friedeberger Dragonern erwiderte: »Wir werden uns gestatten, Ihnen diese Sorge abzunehmen, Herr Graf. Einer meiner älteren Kameraden wird sicherlich dazu bereit sein ... in dem vorliegenden Fall ist es ja nichts weiter als eine bloße Formalität« ...

Es folgte eine neue allseitige Verneigung; eine Minute später rollte der Wagen, der die beiden Kartellträger gebracht hatte, wieder die Dammallee entlang ...

Malte reckte die starken Arme in die Luft, aus seiner Brust kam es wie ein Jauchzen ...

»Herrgott, hab Dank für diesen Augenblick! Zwei lange Jahre habe ich daran geschleppt, jetzt bin ich wieder rein« ... Er schlug mit der flachen Hand auf die Schelle, die auf dem runden Tische stand.

»Lentz!«

»Herr Graf?«

»Sieh nach, ob der Pistolenkasten in Ordnung ist! Diesmal gibt es Verwendung für die beiden alten Eisen, morgen früh« ...

In den Augen des Alten leuchtete es auf.

»Zu Befehl, Herr Graf, wird besorgt werden« – –

 

Der frühe Morgen hob sich stahlblau hinter den Fenstern, ein harter Knöchel pochte gegen die Tür.

»Auf, auf, Peterchen, es wird Zeit« ...

»Ja, sofort« ...

Der kleine Maler sprang aus dem Bett, zog sich hastig an. Kein Auge hatte er geschlossen während der ganzen Nacht, immerfort nur gegrübelt, ob es aus all dem Schrecklichen nicht einen Ausweg gäbe. Aber kein Nachdenken half, das Schicksal ging seinen Gang, er lag mit einem unter demselben Dache, der sich dem Tod geweiht hatte ... Es gab keinen Zweifel, der bevorstehende Zweikampf war dem nichts andres als eine rechte und günstige Gelegenheit, mit Ehren dahinzufahren nach einem verirrten Leben, verirrt durch fremde und eigene Schuld ... Und weil ihm ein andrer den Platz genommen hatte, auf den er sich vielleicht hätte retten können ...

Wie oft hatten sie in vergangenen Tagen da draußen gesprochen, wie sinnlos es wäre, Fragen der Ehre mit der Waffe in der Faust zu entscheiden, mit einem Zweikampfe, in dem nicht die bessere Sache siegte, sondern die geübtere Hand. Und jetzt kam der, der damals am eifrigsten gesprochen, bei der ersten Gelegenheit her, warf alle Vernunftgründe über Bord und frohlockte ordentlich, daß er wieder unter Gesetzen stand, die er früher gar nicht genug hatte verspotten können ...

Peter Nägelein kam blaß und übernächtig auf die Diele, Malte saß schon beim Frühstückstische, aß und trank mit gesundem Appetit. Als wenn ihm eine harmlose Spazierfahrt bevorstände, nicht aber eine Entscheidung um Tod und Leben ... Und ebenso gelassen schien der alte Diener. Mit ruhigem Gesichte stand er hinter dem Stuhl seines Herrn, reichte ihm die Schüsseln und antwortete auf die zur Sache gehörigen Fragen. Ob der Kutscher rechtzeitig da sein würde, und ob die Pistolen in Ordnung wären. Die Pistons richtig gereinigt und durchgeblasen, damit es nicht womöglich einen unliebsamen Versager gäbe ...

Malte winkte mit der Hand.

»Da, setzen Sie sich, Peterchen, und futtern Sie gründlich. So eine Geschichte dauert manchmal lange, und wer weiß, wann Sie wieder was zu essen kriegen ... Außerdem vielleicht, wenn Sie zurückkommen, sitzt schon hier der Vertreter meines kleinen Nachfolgers: ›Tut mir leid, Herr Nägelein, aber Sie müssen sich ein andres Quartier suchen‹« ...

Der kleine Maler schüttelte den Kopf.

»Entschuldigen Sie, Herr Graf, aber ich könnte wirklich keinen Bissen herunterkriegen« ...

»Na denn nicht« ...

Draußen fuhr der Wagen vor, Malte stand auf.

»Es wird Zeit, Lentz, ruf mir die Miken« ...

Das alte Weiblein trat über die Schwelle, die Augen vom Weinen dick verschwollen. Aber sie beherrschte sich, Lentz hatte ihr ja erklärt, um was es sich handelte, und daß es nicht anders ginge ... Ihr junger Herr umfaßte sie, küßte sie herzlich auf den Mund.

»Mein liebes altes Mikchen, hab Dank für alles. Für deine Liebe und Treue ... Es tut mir leid, daß ich für dich nicht so sorgen konnte, wie ich's gerne gewollt hätte« ...

Da verließ sie die Selbstbeherrschung. Sie warf ihre Arme um ihn und schluchzte laut auf.

»Mien lewen, lewen Jung! Dat du mi man wedderkömmst! Mien Hartblood möcht eck hingäwen, dat du mi man wedderkömmst« ...

Er entwand sich ihr sanft, aber seine Stimme klang rauh.

»Wird schon alles werden, Mikchen« ...

Der Wagen rollte die Dammallee entlang, in den Erlen zu beiden Seiten flöteten die Amseln, die am frühesten aufstanden von der ganzen Vogelschar an jedem Morgen. Und deutlich klang ihr Sang: Tirilit ... schon wieder wird es Tag ... Tag ... Tag ... die Sonne kommt, die liebe Sonne, Sonne ... tirilit ... tirilit ...

Peter Nägelein zog die Decke fester um die Kniee, ihn fror in der Morgenkühle. Und er begann halblaut zu sprechen, damit der alte Diener und der Kutscher auf dem Bocke ihn nicht hören sollten.

»Lieber Herr Graf, das ist ja verrückt, was wir da tun! Ganz unsinnig! Sie haben Ihre Genugtuung weg, mögen die beiden andern sich selbst helfen, jetzt! Und ich kann mir's nicht anders denken: Sie wollen sich den beiden als Scheibe hinstellen! Um ein sogenanntes ehrenvolles Ende zu finden. Aber das ist doch Unsinn! Sie können doch noch was machen aus Ihrem Leben! ... Etwas Nützliches! überlegen Sie sich's doch, wir werden schon was 'rauskriegen« ...

Malte schüttelte den Kopf, steckte sich die ausgegangene Zigarre wieder an.

»Da ist nichts mehr zu überlegen, das hab' ich alles heute nacht besorgt – gründlich? Soll ich vielleicht Steine kloppen gehen an der Chaussee? ... Viel mehr habe ich nicht gelernt! Ob durch meine eigene Schuld oder die eines andern – das ist jetzt egal. Ich bin ein ganz nutzloser Mensch, es ist kein Platz für mich da auf der Welt! ... Im übrigen aber sind Sie im Irrtum: ich selbst werde meinem Leben ein Ende machen, mit eigener Hand, wenn es an der Zeit ist, diese Ehre gönne ich keinem andern. Die beiden aber da, die auf mich warten, die schicke ich voran. Den einen, weil er ein nichtswürdiger Schädling ist, der mir vergiftet und besudelt hat, was mir eine Weile das Höchste und Heiligste war auf der Welt ... den andern, weil er einmal als Pharisäer sich über mich erhoben hat! Da beißt keine Maus einen Faden von ab, Schluß, aus! ... Und jetzt, bitte, keine unnützen Volksreden mehr! Ich brauche meine Ruhe wie ein Stückchen Brot – was jetzt kommt, ist kein Kinderspiel« ...

Der Wagen hielt zwischen hohen Buchenstämmen, die Herren von der Gegenpartei warteten schon. Es waren ihrer eine ganze Menge, der Unparteiische, ein Herr vom Ehrenrate der Friedeberger Dragoner, die zwei Sekundanten, ein Arzt in Uniform, der sein schweres Besteck ausbreitete, und schließlich der Oberleutnant von Bredow und der Herr von Lewenitz. Die beiden blickten finster drein, trugen im Gesichte die deutlichen Male der erlittenen Unbill, die nur im Blute des Gegners zu tilgen waren ...

Malte stieg mit seinem Sekundanten aus, der alte Lentz folgte ihnen mit dem Pistolenkasten. Es kam eine stumme Begrüßung, eine korrekte Vorstellung aller Beteiligten und die Erledigung der notwendigen und üblichen Formalitäten.

Der Unparteiische, ein älterer Rittmeister von den Friedeberger Dragonern, schritt die Distanz ab, vier abgebrochene Zweige wurden in je fünf Schritten Entfernung auf den Boden gelegt. Die Waffen wurden ausgelost, danach die beiden Plätze, der Unparteiische versammelte die Duellanten zu einer kurzen Ansprache um sich.

»Meine Herren, es ist meine gesetzliche Pflicht, einen Versöhnungsversuch anzustellen« ... Nach einer kleinen Pause, da keiner der drei Gegner eine Bewegung machte, fuhr er fort: »Die Versöhnung wird von allen Seiten abgelehnt! ... Im Namen meines Kameraden von Bredow habe ich jedoch noch eine Erklärung abzugeben. Er bedauert es aufs lebhafteste, in einem vertraulichen Gespräch die Pflichten der üblichen Diskretion verletzt zu haben. Hingegen aber versichert er auf Ehre und Gewissen, daß er sich keiner prahlerischen Lüge schuldig gemacht hat. Seine Worte entsprachen der Wahrheit. Haben Sie von dieser Erklärung Kenntnis genommen, Herr Graf Römnitz?«

Malte nickte schweigend zum Zeichen, daß er verstanden hätte; ein paar Sekunden lang wurde es ihm dunkel vor den Augen, über sein Gesicht breitete sich eine aschfahle Blässe ... Der Unparteiische sprach weiter.

»Meine Herren, die Regeln sind Ihnen bekannt. Der Vorschrift gemäß annonciere ich jedoch, ich werde ›fertig‹ sagen, danach langsam von eins bis fünf zählen, ›halt‹ rufen. Nach fünf darf nicht mehr geschossen werden. Herr Oberleutnant von Bredow, als der erst Beleidigte, Herr Graf Römnitz – ich bitte, sich auf die ausgelosten Plätze zu begeben!«

Malte stützte sich schwer aus die Schulter seines Sekundanten, als er über die spärliche Grasnarbe der Lichtung schritt.

»Das letzte war infam, das schmeißt alles um, was ich mir vorgenommen hatte ... Also leben Sie wohl, Peterchen ... auf meinem Schreibtische liegen die Briefe. Den einen, an Frau Steinfeld, bitte ich zu vernichten. Es steht einiges darin, was ich ... ja was ich vor dieser Erklärung da eben geschrieben hatte ... Alles ist mir da drinnen beschmiert und besudelt ... na egal, erledigt! Und jetzt heulen Sie nicht ... Da drüben, zehn Schritte neben meinem Gegner ist Ihr vorgeschriebener Platz ...«

Der kleine Maler verschluckte mannhaft seine Tränen, einer der Herren mußte ihn hinführen, er fand sich allein nicht zurecht. Ihm war, als müßte er schreien: »Das ist ja verrückt, was ihr hier treibt, das ist das leichtfertige Frauenzimmer ja gar nicht wert« ... aber kein Laut drang aus seiner Kehle, wie gelähmt stand er in Erwartung des nahenden Unheils ...

Es kam eine kurze Pause des Schweigens, der Morgenwind hatte sich plötzlich aufgemacht, strich durch die Buchenwipfel, wie Rauschen von schweren Schwingen hörte es sich an ...

Der Unparteiische stellte die üblichen Fragen.

»Sind die Herren Duellanten auf ihren Posten?« ... Als die Antworten zurückgekommen waren, sagte er ›fertig‹ und fing an langsam zu zählen ...

Malte stand regungslos mit schlaff herabhängendem Arm. Der Oberleutnant von Bredow hob rasch und exakt die Pistole – den Bruchteil einer Sekunde stutzte er, als der andre nicht die geringsten Anstalten zur Gegenwehr traf ... Dann ein kurzes, scharfes Zielen, ein reißender Knall, ein leichtes Wölkchen vor der Mündung der Waffe ... der junge Graf Römnitz sank in die Kniee, schlug dumpf wie ein gefällter Baumstamm zu Boden – durch die lichten Buchenzweige kam über die Höhe der erste Sonnenstrahl ...

Peter Nägelein schrie laut auf, die Tränen schossen ihm in die Augen, er stolperte, raffte sich auf und rannte hin ... Der am Boden Liegende versuchte, sich auf den Arm zu stützen ... sah um sich, deutlich kam das Wort »Ehre« aus seinem Munde, ein Röcheln folgte danach, blutiger Schaum trat auf seine Lippe». Kraftlos sank er zurück, lag regungslos. Nur die Brust hob und senkte sich ...

Die Herren ringsum standen schweigend, die Augen lagen tief in den bleich gewordenen Gesichtern. Dem Oberleutnant von Bredow klappten die Zähne aufeinander, er stammelte: »Herrgott, himmlischer Vater ... aber er hat mir doch ins Gesicht geschlagen« ...

Der Regimentsarzt hatte sich neben dem Gefallenen hingekniet. Nach kurzer Untersuchung stand er auf, trocknete sich die blutige Hand am Taschentuche. Er zuckte mit den Achseln und sagte halblaut zu dem Unparteiischen: »Schwerer Lungenschuß, Herr Rittmeister ... ich glaube, wir quälen ihn bloß unnütz ... Höchstens eine Viertelstunde, glaube ich, kann es noch dauern ... Wenn wir nur etwas hätten, ihm den Kopf zu stützen« ...

Der alte Lentz hatte sich zu Boden gesetzt, das Haupt seines Herrn in den Schoß genommen. Während er ihm die roten Schaumblasen von den Lippen wischte, rannen ihm die klaren Tränen in den sturen weißen Schnurrbart ... Die andern standen ringsum, warteten schweigend auf das Ende ...

Und plötzlich lachte der kleine Maler mitten im Weinen zornig auf.

»Sie ›glauben‹, Herr Doktor, Sie ›glauben‹! Ich aber habe es gesehen, wie einer nach solchem Schuß in drei Wochen wieder auf den Beinen war, drüben in Afrika. Die andern Nigger hatten ihm nur ein paar Graspfropfen in die Schußlöcher gesteckt. Und der da ist mehr wert als ein armseliger Nigger, mehr wert als wir alle zusammen hier ... Er selbst war vom Fieber ausgemergelt bis auf die Knochen, und doch hat er mich im Sonnenbrand weitergeschleppt, und da soll ich ihn hier« ... Die Stimme schlug ihm über, er konnte nicht weitersprechen.

Der Regimentsarzt hob die Schultern.

»Ob's so zu Ende geht, oder so ... Aber wenn wir ihn im Wagen transportieren sollten ... bei den schlechten Wegen und den unausbleiblichen Erschütterungen« ...

Der lange Herr von Lewenitz trat vor, rauh kamen die Worte aus seiner Kehle.

»Wenn's weiter nichts ist ... ein paar junge Buchenstangen sind bald abgeschlagen ... Wir legen die Wagenkissen drüber ... und, ja, es ist nicht nur darum, weil ich auch noch eine Rechnung mit ihm habe« ...

Die Trage war gerichtet, der Todwunde aufgeladen. Peter Nägelein wollte bei dem Transporte helfen, aber er langte nicht hoch genug hinauf. Der alte Lentz und die drei mecklenburgischen Herren, die die Stangen mit der schweren Last auf ihre Schultern gehoben hatten, waren zu lang. Da ging er hinterher und machte sich auf andre Weise nützlich. Betete im stillen zu dem, an den er glaubte: »Herrgott, himmlischer Vater, hilf ... hilf, wie du mir damals geholfen hast ... Glaub mir doch, er ist zu schade, daß er so hundsföttisch zugrunde geht ... Rechne ihm nicht an, daß er von dir nichts wissen wollte, er wird dich schon finden ...« Die Tränen liefen ihm aus den Augen in den Mund, er schluckte sie unter und betete weiter, gleich als könnte das Leben da vor ihm nicht aus seiner reglosen Hülle weichen, solange er betete ...

Der traurige Zug kam durch das Dorf, Männer, Frauen und Kinder schlossen sich schweigend an, folgten ihm über die Dammallee, die vom festen Lande zum Schlosse führte ... Im Vorgarten, über dem die helle Morgensonne schien, standen sie dichtgedrängt und stumm wartend, bis der alte Lentz auf die Freitreppe trat.

»Ju könnt wedder to Hus gahn, uns' Herr Graf lewt noch. De Dokter säd, hei künn nix seggen, hei stünn in Gottes Hand ... Also, Lüd, denn makt dat Gesangbook up, da steiht 'n goodet Gebet in: ›Für die gnädige Herrschaft, wenn sie in Not oder Gefahr befindlich ist!‹ ... Dat bed ju so recht bünnentlich und hartlich! ... Wenn een äwerst nich lesen kann, da geiht denn dat ook woll mit 'n Vaterunser« ...

Die Menge löste sich langsam auf, die Männer gingen wieder zur Arbeit zurück. Über die Dammallee kam ein Wagen gefahren, vier schlank trabende Braune davor, die ein Kutscher in weißer Livree und rotem Kragen vom Sattel aus lenkte. Der Herr Erblandmarschall schien es gar eilig zu haben, das dem Neffen gegebene Wort einzulösen! ... Neben ihm saß sein Rechtsbeistand mit dem Hohenrömnitzer Oberinspektor, ein Landreiter auf dem Bocke. Der Vertreter der Polizeigewalt jedoch sah sorgenvoll drein trotz des schweren Säbels zwischen seinen Knieen. Sein Vorgesetzter hatte ihm befohlen, Seine Exzellenz bei der Besitzergreifung des Lehngutes Vellahn zu unterstützen, etwa sich regendem Widerstande des bisherigen Insassen kräftig zu begegnen. Das aber war leichter gesagt als getan – er kannte den jungen Grafen Malte! Wo der hinschlug mit seiner groben Faust, wuchs kein Gras. Und der Kellner im Strelitzer Hof hatte ja bei der Vernehmung erzählt, wie unglimpflich er mit zwei starken Herren zugleich umgesprungen wäre, dem Herrn Oberleutnant von Bredow und dem Baron von Lewenitz, der sechs Fuß hoch in seinen Stiefeln stand. Da würde er mit einem kleinen Polizeibeamten wohl noch viel weniger Federlesens machen ...

Dem Herrn Erblandmarschall fiel es auf, daß vom Schlosse her so viel Leute kamen. Er ließ den Wagen halten und sprach einen der Tagelöhner an: »Was ist denn da drüben los? Hat's da vielleicht eine Volksversammlung gegeben?«

Der Angeredete riß die Mütze vom Kopfe, nahm die Hacken zusammen.

»Halten zu Gnaden, Exzellenz, nein! Vorhin haben sie den Herrn Grafen Malte auf einer Bahre gebracht, er lag da wie tot und rührte sich nicht. Da sind wir mitgegangen, aber der Lentz sagte eben, es wär' noch ein büschen Leben in ihm, wir sollten für ihn beten. Und da gehen wir jetzt wieder nach Haus« ...

Der Kutscher wollte weiterfahren, ein Zuruf ließ ihn wieder halten. Der Herr Erblandmarschall schloß ein paar Sekunden lang die Augen ... Der Herr da oben, der die Menschenschicksale lenkte, meinte es gut mit ihm, stand ersichtlich auf seiner Seite. Nach dem unermeßlichen Gnadengeschenke von gestern nahm er ihm heute die einzige Sorge vom Herzen, die ihn noch drückte ... Von einem Sterbenden brauchte er keine Feindseligkeiten mehr zu befürchten für sich und seinen kleinen Sohn! ... Nur hätte es sich natürlich vor den Leuten übel ausgenommen, wenn er in einem solchen Augenblicke rücksichtslos von seinem Rechte Gebrauch gemacht hätte ... Da ließ er den Herrn Rechtsanwalt und die beiden Beamten aus dem Wagen steigen, fuhr allein zum Schlosse. Der Landreiter aber mit seinem langen Säbel sprang so hurtig vom Bocke, daß er fast hingefallen wäre. Auch ihm war erheblich leichter zumute als noch vor wenigen Minuten. Er hatte eine Frau und sechs kleine Kinder zu Haus. Da dankte man seinem Schöpfer, wenn er einen vor der Ausführung gefährlicher Amtshandlungen bewahrte ...

Der Rittmeister von den Friedeberger Dragonern, der als Unparteiischer fungiert hatte, empfing den Herrn Erblandmarschall auf der Diele, erstattete ihm kurzen Bericht über den Verlauf des Zweikampfes und seine Veranlassung; fügte hinzu, er hätte mit den andern Herren sein möglichstes getan, den Verletzten ohne Erschütterungen ins Schloß zurückzuschaffen, der Ausgang aber natürlich stände in Gottes Hand ...

Der Herr Erblandmarschall hatte mit schmerzbewegtem Gesichte zugehört.

»Die Wege des Höchsten sind unerforschlich,« sagte er, »uns geziemt nur, in Demut das Haupt zu beugen« ...

Bei jedem einzelnen der Herren bedankte er sich für die seinem Neffen geleistete Hilfe, ging ins Nebenzimmer, in dem der Regimentsarzt um den Todwunden bemüht war. Ein hagerer kleiner Mensch saß am Kopfende des Bettes, hielt eine mit blutigem Wasser gefüllte Schüssel, die alte Miken jedoch stand unnütz dabei. Sie hätte gerne geholfen, aber vor Tränen konnte sie nichts sehen, und die dummen alten Hände versagten ihr den Dienst ...

Der Arzt war mit seiner Arbeit zu Ende. Auf einen fragenden Blick des Herrn Erblandmarschalls zuckte er mit den Achseln.

»Ich glaube kaum, Exzellenz,« sagte er flüsternd. »Oder vielmehr, ich halte es leider für gänzlich ausgeschlossen. Aus der Literatur sind mir ja einige günstig verlaufene Fälle bekannt, aus dem russisch-japanischen Feldzuge. Da wurde verschiedentlich berichtet, daß Lungenschüsse wieder ausheilten. Bei denen aber handelte es sich um glatte Schußkanäle mit einer Breite von etwa acht Millimetern. Hier jedoch – es tut mir leid, daß Exzellenz nicht etwas früher gekommen sind, sonst hätten Sie sich persönlich davon überzeugen können – ja, hier also ist der Ausschuß ungefähr wie ein Zweimarkstück so groß! Ich habe mich darauf beschränkt, das Loch zu verschließen, wundere mich aber offen gestanden, daß der Patient noch immer ... ja, er muß über eine selten widerstandsfähige Natur verfügen!«

Der Herr Erblandmarschall bedankte sich auch bei dem Herrn Regimentsarzte, bat ihn, seine schätzenswerte Kunst und Erfahrung dem Patienten bis zuletzt zu widmen. Dann trat er an das Lager seines Neffen, sah lange auf das wachsbleiche Gesicht hinab und bewegte die Lippen in stillem Gebet. Verzieh dem Sterbenden und empfahl seine Seele der Obhut des Höchsten ... Als er wieder aufblickte, glaubte er zu bemerken, daß der hagere kleine Mensch am Kopfende des Bettes ihn mit seltsam höhnischen Augen ansah. Aber das war wohl nur eine Täuschung gewesen. Der Kleine erhob sich, machte eine respektvolle Verneigung.

»Peter Nägelein ist mein Name, Exzellenz, ich war mit Ihrem Herrn Neffen in Afrika. Und ich glaube, ich kann Sie beruhigen. Ich bin zwar nur Laie, aber ich habe gesehen, wie da drüben noch ganz andre Löcher zuheilten, trotz Schmutz, Insekten und – nicht zu knapp wahrscheinlich – Bazillen. Und wer zwei Jahre Afrika ausgehalten hat ... ja also, ich hoffe es wird schon wieder werden, Exzellenz!« ...

Da bedankte der Herr Erblandmarschall sich auch bei Herrn Nägelein für den trostreichen Zuspruch, fuhr nach gemessener Frist wieder nach der Hohenrömnitz zurück. Und er war höchlichst zufrieden, daß es ihm vergönnt gewesen war, statt unnachsichtiger Strenge verzeihende Milde walten zu lassen. Im übrigen aber verstand ein Arzt wohl mehr als ein Laie, er brauchte den bisherigen Inhaber des Lehngutes Vellahn nicht austreiben zu lassen, dem wies ein Höherer den Weg ... Und nur rein menschlich erschien es ihm, wenn er sich jetzt einer dankbaren und gerechten Freude hingab. Da drüben hinter dem dunkeln Saume des Waldes, wo die weiß-rote Fahne im Winde flatterte, schlief sein kleiner Sohn. Gar winzig waren noch seine Glieder, aber der Herr, der ihm so weit geholfen hatte, würde sie groß werden lassen und stark ... auch ihm selbst noch etliche Jahre schenken in Rüstigkeit und Gesundheit, damit er über den ersten Schritten des Werdenden wachen könnte ... Das Vergehen einer dunkeln Stunde war ihm verziehen, hell schien die Sonne der Gnade über ihm und seinem Haus ...

Auf dem Heimwege überholte er die Vellahner Förstersfrau, die ein kleines Wäglein selbst kutschierte, einen speckfetten Gaul mit der Peitsche vorwärts trieb in den tiefen Geleisen.

»Wohin denn so eilig, Frau Schwarzin?« fragte er leutselig.

»Bloß nach Moltzahn, Exzellenz, ein paar Einkäufe besorgen« ...

Die elegante Equipage mit den vier raschen Braunen davor flog vorüber, die rundliche Frau Försterin sah ihr ingrimmig nach.

»Dat war eck di grad up de Näs hängen, wat eck in Moltzahn to dohn hebb,« sagte sie feindselig, zog ihrem Rößlein eins über den speckigen Rücken, daß es für ein paar hundert Schritte in eine beschleunigte Gangart fiel. Eine lange Depesche trug sie in der Tasche, die nach Wiesbaden gehen sollte. Ungefähr drei Taler würde sie wohl kosten, war eigentlich schon ein Brief, aber es stand alles drin. Auch daß dieser Friedeberger Soldatendoktor anscheinend einen Quark verstände und daß die Frau Baronin daher einen ordentlichen Arzt mitbringen sollte. Die Kosten würden gedeckt werden, denn es läge noch eine Menge Weizen und Roggen auf dem Speicher – – –

 

Die Flagge über dem Burgfried der Hohenrömnitz wehte halbmast seit vier Tagen schon, die blanke Fahnenspitze war in schwarzen Flor gehüllt. Es war anders gekommen, als der Herr Erblandmarschall es sich gedacht hatte ... Ein kleines Menschenlichtlein, das vom ersten Augenblicke an nur mühselig geflackert, war erloschen, wie von einem Windhauche ausgeweht ... Keiner der berühmten Ärzte, die um die eichengeschnitzte Wiege standen, hatte helfen können – einer, der ein Herr hatte werden sollen über tausend Menschen und eine weite Strecke Land, lag als ein verwesendes Klümpchen Fleisch zwischen starrer weißer Seide und Blumen gebettet ... In der weiten, schwarz ausgeschlagenen Halle stand der kleine Katafalk, sechs Lichter brannten zu Häupten und Füßen ... schweigend sahen die Herren und Damen aus dem Geschlechte der Römnitze von den Wänden herab. Und sie spürten kein Mitleid mit dem Greis, der seit Wochen sich weder Haar noch Bart geschoren hatte, mit tränenlosen Augen neben seinem toten kleinen Sohne saß ... Dort unten hatten sie auch einmal gelegen, die Welt ging weiter ihren Gang ... ein neues Bild fügte sich an die schon fast endlose Reihe ... Aber es gehörte nicht zwischen sie, der Kleine da unten war ein Eindringling gewesen aus fremdem Blut ... ein Eid war gebrochen worden, ehe er zur Welt kam ... Und deshalb schlug ihn Gott, der Herr, ihn und den Vater ...

Allerhand Gerüchte gingen durch das Land, von denen niemand wußte, ob sie wahr oder falsch waren ... Zwei Tage und Nächte hätte der Herr Erblandmarschall die Leiche seines kleinen Sohnes in den Armen getragen, geschrien und gebetet, bis der Schloßpfarrer ihn mit sanftem Zuspruchs zur Vernunft zurückgebracht. Danach aber hätte eine Austreibung begonnen, all das welsche Volk hätte das Schloß verlassen müssen. Von fürchterlichen Szenen erzählte man sich zwischen dem Erblandmarschall und seiner Gemahlin ... Den alten Kammerdiener Paalzow hätte das Gewissen getrieben, seinem Herrn zu offenbaren, was er erspäht hätte in argwöhnischem Sinn ... Daß man mit einem vertrauensseligen Greis ein freventliches Spiel getrieben ... Der angebliche Bruder der jungen Schloßherrin wäre einer gewesen, der ihr näher stand ... eine ganze Gesellschaft von fremdländischen Abenteurern hätte sich zusammengetan, um einen frechen Raubzug zu unternehmen, einen Raubzug, der nun, im letzten Augenblicke, sozusagen glücklich vereitelt worden war ...

So schwirrten die Gerüchte, und die Beteiligung an dem Leichenbegängnisse war stärker als sonst bei so unbeträchtlichem Anlasse. Schon viele kleine Kinder waren in der Hohenrömnitz zur Welt gekommen und gestorben, niemals jedoch zuvor hatte sich ein so zahlreiches Trauergefolge eingefunden ...

Aber die Neugierigen kamen nicht auf ihre Kosten. Und wieder einmal konnte man sich überzeugen, wie wenig solchen unsichern, aus dem Nichts entstandenen Gerüchten zu trauen war. Die fremde Dienerschaft stand an ihrem Platze wie sonst, zur Seite des kleinen Sarges aber saß der Herr Erblandmarschall mit seiner ganzen Familie ... als der Schloßpfarrer seine ergreifende Predigt hielt, gab es ein einziges einträchtiges Schluchzen. Sogar der Geistliche konnte seine Rührung nicht bemeistern, sprach mit tränenerstickter Stimme, als er daran erinnerte, welch ein Jauchzen durch die andächtige Gemeinde gegangen wäre noch vor wenigen Wochen. Hosianna und Lob und Preis hätte sie gesungen dem allgütigen Herrn, der dem Hause Hohenrömnitz den Erben schenkte! Derselbe Herr hatte ihn sich wieder zurückgeholt in sein himmlisches Reich ... nur Menschenfürwitz fragte, warum und weshalb? ...

Die ganze Trauerversammlung stand gerührt bei den herzbewegenden Worten, bloß der Herr Erblandmarschall sah starr geradeaus mit tränenlosen Augen. Er hatte wohl schon genug geweint in den Tagen und Nächten vorher ...

Der lange Zug setzte sich in Bewegung, der kleinen Dorfkirche zu, unter deren Fußboden in weitem Gewölbe die Römnitze den letzten Schlaf schliefen. Die Gruft war geöffnet, der kleine Sarg glitt an den Leinentüchern langsam hinab. Der Pfarrer sprach mit halblauter Stimme die letzten Geleitworte: »Der Herr sei mit dir, segne deinen Eingang und Ausgang« ... Da aber geschah etwas Seltsames. Der Herr Erblandmarschall schrie plötzlich mit gellender Stimme: »Es ist nicht wahr, er läßt sich nicht spotten ... den ungetreuen Knecht schlägt er mit schwerer Hand« ...

Der alte Kammerdiener Paalzow sprang zu, fing den Umsinkenden in seinen Armen auf. Die Trauerversammlung aber stand bestürzt, ging in einiger Verstörung auseinander. Die Glocken oben im Turm läuteten noch, als die Wagen schon in dichter Folge über die Schloßbrücke rollten ... Und bei der Heimfahrt sprach man mit Bedauern davon, daß der übermäßige Schmerz dem Herrn Erblandmarschall wohl den Sinn verwirrt hätte ...

Nur zwei Gäste verweilten noch länger, sahen sich mit spähenden und hungrigen Augen in den reichen Besitztum um. Von weither waren sie zu dem Begräbnis gekommen, die beiden Herren von Römnitz aus der Nebenlinie, die der Todesfall am nächsten anging. Ein ältlicher Major außer Diensten in Zylinder und schwarzen Handschuhen, dazu sein ältester Sohn, ein lang ausgeschossener Infanterieleutnant mit einer schwarzen Binde um den blauen Ärmel ... Drei hatten vor kurzem noch gestanden zwischen ihnen und der Hohenrömnitz ... Jetzt lag der eine sicher unter kaltem Gestein, der zweite war ein niedergebrochener Greis, und der dritte rang in dem kleinen Schlößchen Vellahn mit dem Tode. Nach allen zuverlässigen Berichten war es nicht anzunehmen, daß er wieder hochkam, dazu war die Verwundung zu schwer gewesen ... Ein weites Tor tat sich vor ihnen auf zu Reichtum, Glanz und Besitz, nicht mehr so lang war der Weg ... ganz in der Nähe wirkte die rosige Hoffnung, die jahrhundertelang nur wie ein wesenloser Nebelstreif am fernen Horizonte gehangen hatte ... Was eine Sage fast nur gewesen war, wurde Wirklichkeit, und wohlverwahrt war die Urkunde, die der weit in die Zukunft blickende Ahn sich hatte ausfertigen lassen, ehe er aus der Hohenrömnitz zog, um dem Markgrafen von Brandenburg gegen die trotzigen Junker zu Hilfe zu reiten – ?

 

Auf Pfingsten ging es, im Vellahner Park blühte der Flieder, was in Sträuchern und Hecken schlüpfte, war längst schon beim Nesterbauen. Drinnen in dem kleinen Schlößchen aber hatte es lange und bange Wochen gegeben, und gar oft hatte es aus des Messers Schneide gestanden, ob der trübe Unkenruf des Regimentsarztes recht behalten sollte oder die helle Zuversicht des Malerchens. Aber endlich kam ein Tag, an dem Malte Römnitz nach langer Bewußtlosigkeit zum erstenmal wieder die Augen aufschlug, klar und ein wenig verwundert um sich blickte, als wenn er eine Frage auf dem Herzen hätte. Weshalb unter denen, die um sein Bett standen, eine fehlte, deren Nähe er zuweilen doch deutlich verspürt hatte. Ihre sanfte Stimme hatte er gehört und ihre leichte Hand auf seiner heißen Stirn gefühlt, aber nur drei standen da, Lentz, die alte Miken und Peter Nägelein. Die eine fehlte ... Der kleine Maler lachte zwar übers ganze Gesicht, aber er machte eine drohende Handbewegung: »Hier wird noch nichts gesprochen, hier wird nur geschlafen, hat der Herr Professor befohlen!« ...

Da schloß Malte gehorsam wieder die Augen, ein schmerzlicher Zug flog über sein blaßgewordenes, abgemagertes Gesicht. Das waren nur Träume gewesen, er hatte sich's gleich gedacht! ... Die saß ja weit fort von hier in Wiesbaden, deren Hand zu spüren er vermeint hatte ... er hatte ja damals selbst gesehen, wie sie mit dem Wagen voll von Kisten und Koffern zum Bahnhofe fuhr ...

Eine schlanke junge Dame, die hinter dem Kopfende des Bettes gesessen hatte, stand auf, verließ leise das Zimmer. Peter Nägelein ging ihr nach und schüttelte ihr freudestrahlend die Hand: »Ich glaube, wir haben's jetzt geschafft, aus dem Gröbsten ist er 'raus!«

Sie nickte lächelnd, auch in ihrem Gesicht stand helle Freude.

»Ich glaube auch. Aber meine Zeit ist um, ich muß wieder fort« ...

»Um Gottes willen, Frau Baronin,« sagte er erschreckt, »jetzt wollen Sie uns verlassen? Wo es endlich auf die Genesung geht?« ...

»Gerade deshalb! Es lag doch nur an einem Zufall, daß er mich vorhin nicht ebenso gesehen hat wie Sie und die beiden andern. Und ich möchte Sie herzlich bitten, daß es bei unserm Abkommen bleibt. Daß Sie's ihm nicht sagen, daß ich hier bei seiner Pflege ein wenig geholfen habe ... Ich bin ja überhaupt nur gekommen, weil ich ... nun weil die Frau Försterin mir depeschiert hatte, er läge im Sterben. Sonst ... da ist denn doch zu vieles und Schweres geschehen« ... Sie brach ab. denn sie fühlte, daß ihr die Tränen kamen. Sonst war sie nicht so weichmütig, aber die letzten Wochen mit allen Anstrengungen und Sorgen hatten sie mürbe gemacht und schwer mitgenommen.

Peter Nägelein sah trübselig vor sich hin.

»Tut mir leid, aber ich kann es verstehen. Er selbst hat mir zweimal davon gesprochen. Das erstemal, als ich ankam, und dann kurz vor dem Zweikampfe« ... Er machte eine kleine Pause und hob den Kopf: »Ja aber, meine verehrteste Frau Baronin, jetzt hilft das nichts! Immer mit dem verdammten Zartgefühl und bloß so halben Worten, da kommt man nicht vom Fleck. Wenn Sie mir also nicht die Erlaubnis geben, frei von der Leber weg reden zu dürfen« ...

Sie errötete bis unter die Haarwurzeln: »Ich bitte darum« ...

Er holte tief Atem: »Nun denn ... also von der blöden Torheit, die ihm fast das Leben gekostet hat, war er schon kuriert, ehe er sich diesem Herrn Oberleutnant von Bredow als Scheibe hinstellte. Daß er sich in diese Berliner Dame aber verliebt hatte, dürfen Sie ihm nicht nachtragen. Die konnte auch andern Leuten den Kopf verdrehen. Und über eins darf ich Sie jedenfalls beruhigen, sie hat sich in unserm braven Malte getäuscht. Der hat überhaupt gar nicht verstanden, was sie eigentlich« ...

Die junge Baronin Perkwald errötete noch heftiger, hob die Hand.

»Es ist gut, Herr Nägelein ... Und das habe ich ihm schon verziehen. Es war noch etwas andres dabei. Sie wollte vielleicht auch mich treffen, weil ich mich von ihr fernhielt und auf die Freundschaft nicht eingehen wollte, die sie mir – viel zu überschwenglich für meinen Geschmack – gleich in den ersten Tagen angeboten hatte ... Sonst nämlich, ja ... sonst wäre es doch ganz unverständlich, weshalb sie mir den Brief geschickt hat, den Malte ihr« ...

Peter Nägelein schrie fast auf.

»Den Brief haben Sie gelesen und sind doch gekommen?!« ...

Sie nickte nur, die Tränen schossen ihr unaufhaltsam aus den Augen. Peter Nägelein stand ein paar Augenblicke ratlos, dann flog ein heller Schimmer über sein Gesicht.

»Sie brauchen sich nicht zu schämen, meine liebe Frau Baronin. Das ist ... ja also, Donnerwetter nochmal, was sind Sie für ein prachtvolles Frauenzimmer! ... Das heißt, ich bitte um Entschuldigung, das ist mir nur so herausgefahren! Aber man könnte vielleicht noch etwas andres dazu sagen. Ein paar Worte, die einer gesprochen hat, der in seinem Hauptberuf Apostel war, im Nebenamt ein Dichter: ›Sie verträget alles, sie glaubet alles, sie hoffet alles, sie duldet alles!‹ Und die Hauptsache schließlich: ›Sie höret nimmer auf‹« ...

»Na ja,« sagte die junge Baronin Perkwald und trocknete sich die Augen – »wenn wir schon so offen darüber sprechen – sonst wäre ich auch nicht gekommen! ... Aber nur Dankbarkeit will ich nicht. Und deshalb muß ich jetzt fort« ...

»Verstehe ich voll und ganz,« erwiderte der kleine Maler ernsthaft, aber der Schalk lachte ihm dabei schon wieder aus den Augen: » Der Gefahr dürfen Frau Baronin sich nicht aussetzen! ... Aber es braucht doch nicht gleich bis Wiesbaden zu gehen, Alten-Krakow ist um diese liebe Frühlingszeit ja auch ganz schön. Jedenfalls hätte es unser Patient da näher, wenn der Herr Professor es ihm endlich erlaubt, aus die Brautschau zu fahren« ...

Danach lachten sie beide, schüttelten sich herzhaft die Hand. Gute Freundschaft hatten sie längst schon geschlossen in den bangen Stunden am Krankenbette. Jetzt aber verknüpfte sie ein noch engeres Band, die Liebe zu einem, der ihnen gleichermaßen teuer war – – – –

Als der berühmte Rostocker Chirurg, der von der Baronin Perkwald zur Behandlung gerufen worden war, seine nächste Krankenvisite machte, war er mit dem Patienten wenig zufrieden. Zwar die Wunde war über alles Erwarten gut zugeheilt, die Atmung in dem verletzten Lungenflügel funktionierte vorzüglich, und man durfte annehmen, daß das Narbengewebe sich im Laufe der Zeit von selbst abstoßen würde. Aber zur vollständigen Genesung gehörte mehr. Der Geist mußte sich wieder aufrichten in dem geschwächten Körper, sonst blieb sie nur Stückwerk. Und daran fehlte es dem jungen Grafen Römnitz. Ganz teilnahmlos lag er da, nicht mal ein Lächeln flog über sein Gesicht, als er hörte, daß er gesund wäre, nun langsam wieder aufstehen dürfte ... Da nahm der Herr Professor sich den kleinen Maler vertraulich beiseite.

»So geht das nicht, Herr Nägelein, mit Kraftbrühe und sonstigen Stärkungsmitteln kriegen wir ihn nicht hoch. Lachen muß er wieder, Sie müssen ihm nichts als lustige Geschichten erzählen, damit er wieder blanke Augen kriegt.«

»Hm,« sagte der Maler, »daß ihm inzwischen die kleine Konkurrenz um das Majorat weggestoßen ist, ist das vielleicht lustig genug?«

»Für den Anfang gewiß,« erwiderte der Professor, »aber es muß noch viel dicker kommen. Und, sagen Sie mal, da war hier doch immer eine reizende junge Dame zur Pflege, die verwitwete Frau Baronin Perkwald?! ... Weshalb ist die eigentlich nicht mehr da?«

»Das erzähle ich Ihnen ein andermal. Das sind, wie man hierzulande sagt, ›olle Kamellen‹. Ich glaube, sie genieren sich voreinander. Und ich trage vom medizinischen Standpunkte aus ebenfalls Bedenken, sie wieder zusammenzubringen. Die Frau Baronin würde es ja wohl aushalten, er aber hat doch einen immerhin noch der Schonung bedürftigen Lungenflügel« ...

Der Herr Professor lachte.

»Wenn es weiter nichts ist? So eine ausgeheilte Lunge hält viel aus. Namentlich Freude. Da verträgt sie eine ganze Masse!«

»Vielleicht schon morgen?«

»Auch heute! Setzen Sie ihn in einen Rollstuhl ... Das Wetter ist wie geschaffen dazu. Na und wenn es so weit ist, vergessen Sie mich nicht mit der Verlobungsanzeige!« ...

Der Herr Professor fuhr in guter Laune davon, Peter Nägelein aber sah ihm, in Gedanken verloren, nach. Er war ein ehrlicher Makler, aufs Ungewisse hin unternahm er nichts. Dazu war die junge Baronin zu schade ... Und danach beschloß er zu handeln ...

Er ging in das Krankenzimmer zurück.

»Holla, Gräflein, jetzt hat's mit dem Faulenzen geschnappt! Der Professor hat 'ne Luftkur verordnet. Und sehen Sie mal, wie draußen die Sonne lacht! Das Herz kann einem aufgehen dabei« ...

Malte hob mit müder Abwehr die Hand, aber es half ihm nichts, er wurde warm angekleidet, in einen Rollstuhl gesetzt und in den blühenden Park gefahren. Hilflos wie ein Kind mußte er sich's gefallen lassen. Die Arme und Beine, an denen die straffen Muskeln gestanden hatten in stolzer Pracht, waren wie Zaunstecken so dünn, nichts als Haut und Knochen ...

Der alte Lentz schob den Rollstuhl, Miken tappte hinterdrein, wie ein mit Speck abgeriebenes Osterei glänzte ihr Gesicht vor Freude. »Herrgott, himmlischer Vater,« murmelte sie zwischen den welken Lippen, »daß du mich das noch erleben läßt?!« ...

An einem sonnigen Platze vor blühenden Fliederbüschen ließ Peter Nägelein halten. Unten am Ufer trieben leise blaue Wellen an den Sand, durch eine Lücke zwischen den Parkbäumen bot sich eine schöne Aussicht auf den Hohenrömnitzer Burgfried und eine lange Stange, an der die leicht sich blähende Fahne immer noch halbmast hing zum Zeichen der Trauer ... Er lehnte sich mit dem Arme leicht auf den Rollstuhl und beschloß, vorsichtig zu Werke zu gehen, mit Unwichtigem anzufangen, die großen Kanonen aber zuletzt anzufahren ...

»Sagen Sie mal, Gräflein,« begann er, »Sie haben in diesen Wochen öfter den Namen des Herrn von Lewenitz genannt. Darf ich fragen, in welchem Sinne?«

Malte hob matt die Hand.

»Sie waren doch dabei im Strelitzer Hof. Er hat noch ein Recht an mich. Sagen Sie ihm, wenn ich wieder auf meinen Füßen stehen könnte, würde ich mich ihm stellen. Aber er sollte besser treffen als dieser Stümper von Dragoner« ...

»Na na na,« sagte der kleine Maler, »vielleicht gibt es da etwas, wobei es ohne Knallen abgeht. Ich habe inzwischen Euren Ehrenkodex gewälzt, weiß mächtig Bescheid darin. Es ist ein arg verwickelter Fall ... ich war doch Augenzeuge und weiß beim besten Willen nicht zu sagen, bei wem der letzte Hieb sitzen geblieben ist! ... Wohingegen bombensicher feststeht, daß der lange Tüschower bloß durch einen Zufall dazwischengeriet, als Sie sich mit dem Leutnant so gröblich auseinandersetzten. Da hat also nach meiner bestimmten Zeugenaussage das hochwohlweise Ehrengericht entschieden, es käme jetzt nur noch auf Sie an. Wenn Sie erklären, Sie hätten eigentlich den Herrn von Bredow gemeint, als Sie den Herrn von Lewenitz nach dem Ofen beförderten, kann dieser letztere auch weiterhin am Königsgeburtstag einen bunten Rock tragen, ohne Ihnen vorher ein Loch in den Bauch schießen zu müssen« ...

»Meinetwegen,« gab Malte gleichgültig zurück. »Wenn er es wünscht, bitte ich sogar ab ... es ist ja so egal« ...

»Schön,« sagte Peter Nägelein, »Punkt eins meiner Sorgen wäre erledigt! ... Jetzt zum zweiten! Entsinnen Sie sich vielleicht, daß Sie in Ihren Fieberphantasien erhebliche Kämpfe mit einem alten Herrn ausfochten, der Ihnen durchaus Vellahn wegnehmen wollte und ein Wort, von dem Sie hartnäckig behaupteten, es wäre verbrannt? ... Nicht? ... Na denn sehen Sie mal da über den See ... wie hängt wohl drüben über dem alten Turm die Flagge?« ...

Malte versuchte sich aufzurichten.

»Um Gottes willen, mein Onkel Christoph« ...

»Nee, zuerst mal bloß sein kleiner Sohn,« versetzte der Maler herzlos und in gesundem Egoismus ... »Wat dem een sien Uhl, dat is dem annern sien Nachtigall – es ist, Gott sei Dank, niemand mehr da, der uns hier 'rausjagen kann! Und entschuldigen Sie, wenn ich mich mit erwähne, aber ich habe es Ihnen ja schon vor langen Wochen gesagt: ehe ich nicht Akademiepräsident bin, kriegen Sie mich hier nicht los« ...

Malte hatte geraume Zeit schweigend gesessen, jetzt machte er eine müde Handbewegung.

»Es ist gut! ... Meine Ehre habe ich wieder ... mein Recht an dem bißchen Erde« ...

»Ich verstehe schon,« sagte Peter Nägelein lächelnd, »es fehlt noch etwas! Bei Ihrer Trauung werde ich dem Pastor einen Tip geben, daß er das betreffende Kapitel aus dem Korintherbrief zum Text seiner Rede nimmt! ... Aber ehe ich Ihnen jetzt die Lichter an dem Weihnachtsbaum anstecke, möchte ich eine ganz reelle Auskunft haben. Welche von den beiden jungen Damen meinten Sie eben, als Sie das Wort ›Liebe‹ nicht aussprachen? Die Berlinerin oder die Baronin Perkwald?«

Der andre sah wirr um sich, machte eine gewaltige Anstrengung, sich auf die Füße zu stellen.

»Ich hab' nicht bloß geträumt, sie ist wirklich hier?«

»Nee,« versetzte der kleine Maler, »so rasch geht das nun nicht. Aber sie ist erreichbar ... Telefonieren Sie mal nach Alten-Krakow, Herr Lentz. Sagen Sie der Frau Baronin einen schönen Gruß von mir und ich ließe sie bitten, hier jetzt wieder die Pflege zu übernehmen! Ich garantiere ihr dafür, sie darf es wieder tun« ...

»Aber gern, Herr Nägelein,« sagte der Alte, setzte sich in Trab, um auch nicht eine einzige Minute zu versäumen ...

Malte ließ sich in den Stuhl zurückfallen, schlug die Hände vors Gesicht, die hellen Tränen quollen ihm zwischen den Fingern hindurch: »Lieber Vater im Himmel, das hab' ich nicht verdient« ...

Und der Kleine ließ ihn ruhig gewähren. Freude war ja gesund, hatte der Herr Professor gesagt! ... Erst nach einer Weile spann er den Faden weiter.

»Nee, weiß Gott, verdient haben Sie's nicht, Gräflein. Aber der Herr gibt's den Seinen im Schlaf ... ich hab' Ihnen ja schon einmal auseinandergesetzt, daß er wohl ganz was Besonderes mit Ihnen vorhat. Und wenn ich ihn recht verstehe, hat er mich hier als eine Art von Hofhund eingesetzt. Damit ich aufpasse – der Deuwel holt Sie nämlich, wenn Sie jetzt nicht ein Musterexemplar werden von Herr und Ehegemahl?!« ...

Der andre nickte nur, sprechen konnte er nicht ... Und Peter Nägelein begann zu erzählen, was sich alles in diesen langen Wochen zugetragen hatte. Erzählte möglichst genau und ausführlich, denn es galt, eine ganze lange Zeit der Erwartung auszufüllen. Selbst bei raschem Zufahren brauchte man von Alten-Krakow bis Vellahn reichlich dreiviertel Stunden ... Aber schon nach wenigen Minuten kam ihm die laue Frühlingsluft zu Hilfe: ein gleichmäßiges Schnarchen begleitete den geläufigen Fluß seiner Rede – der im Rollstuhl neben ihm war sanft eingeschlafen! ... Da schwieg er natürlich, und unwillkürlich stahl sich ihm ein wenig Neid in die lautere Seele. Er hatte es nicht so gut getroffen, daß ihm eine die Treue hielt ... Die junge Dame fern im Thüring'schen hatte sich gar rasch mit einem andern getröstet ...

Auf dem gelben Kies des Parkweges erklang ein leichter Schritt, der kleine Maler rüttelte den Schlafenden an der Schulter.

»Holla, aufgeschaut, da kommt wer« ... Und er trat rückwärts durch die Fliederbüsche ...

Malte Römnitz blickte wirr um sich ... »Gertrud!« schrie er auf, breitete die Arme. Sie eilte zu ihm, drückte ihn sanft in den Stuhl zurück. Und sie küßte ihn nicht auf den Mund, sondern auf eine kleine Narbe, die wie ein weißer Fleck sich auf seiner linken Wange abzeichnete. Er verstand sie ... Die letzte Spur alten Hasses war ausgelöscht ... Frühling war um sie und Liebe – – –


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