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16. Kapitel

Der Forstaufseher Bauschus hatte gegen Abend den Herrn von Zaleski und seine Cousine mit einem großen Koffer wegfahren sehen und war spät abends dem Kutscher, dem Stanislaw, begegnet, der allein mit dem Wagen zurückkam. Trotzdem traute er dem Frieden nicht. Am nächsten Morgen war er mit dem Gräwing noch vor Sonnenaufgang im Revier.

Als die Sonne höher stieg und keine Gefahr mehr zu sein schien, kehrten die beiden Grünröcke beim Förster Reinbacher in Wersmeninken ein. Nach dem Frühstück ging Bauschus nach der Oberförsterei. Er wollte dem Forstmeister von seiner Begegnung mit dem Herrn von Zaleski Bericht erstatten.

Der alte Herr war sehr guter Laune, teilte ihm seine Verlobung mit und meinte lustig, nun würden seine Beamten gute Tage haben, wenn er mit seiner jungen Frau die Hochzeitsreise mache.

»Ach, Herr Forstmeister,« erwiderte Bauschus, »Sie tun doch keinem Überlast, Sie leben mit uns wie ein Vater. Wir werden uns alle bangen nach Ihnen, bleiben Sie man nicht zu lange weg.«

»Also, Sie meinen, Sie hätten sich wirklich geirrt, als Sie den Baron in Verdacht hatten«, fragte er, nachdem Bauschus seinen Bericht erstattet hatte.

»Ja, das meine ich wirklich, Herr Forstmeister. Als ich sagte, das wäre ein gemeiner Schuft, der den Schnabel angeschossen hat, da habe ich ihn ganz scharf angesehen. Nicht mit der Wimper hat er gezuckt und mir voll und ganz zugestimmt.«

»Die Sache wird immer rätselhafter«, meinte der Forstmeister kopfschüttelnd und strich ein Streichholz an, um seine Pfeife anzuzünden, die jetzt so merkwürdig oft ausging. In demselben Augenblick klopfte es. Der Hilfsaufseher Gräwing trat herein. Auf den ersten Blick konnte man es ihm ansehen, daß er ganz aufgeregt war...

»Herr Forstmeister,« stieß er hastig hervor, »es ist wieder ein Bock gewildert worden... Wie ich aus Wersmeninken nach Hause gehe und an die Schonung nach Jagen vierundsiebzig komme, höre ich einen Menschen, der ein paarmal leise hustet und dann fest auftritt. Ich wußte gleich, das tut nur einer, der dem anderen leise das Wild zudrückt... Ich also schnell zurück und im Bogen um nach dem Feld zu. Ich dachte, der Wilddieb mit der Flinte würde dort stehen. Als ich dort ankomme, knallt ein Schuß auf der anderen Seite. Ich im Galopp durch die Schonung.« Er wischte sich mit dem Taschentuch das Gesicht, auf dem er ein paar blutende Schrammen hatte...

»Na und...?«

»Ja, Herr Forstmeister, ich kam zu spät. Ich fand bloß eine frische Wagenspur...«

»Also Ihr Baron ist es nicht gewesen, lieber Bauschus, wenn er nicht inzwischen nach Hause gekommen sein sollte, was sich sofort feststellen ließe. Aber ein ganz geriebener Bursche muß es sein, der sich am Tage das Wild zudrücken läßt.«

»Aber sein Kutscher könnte das gewesen sein«, meinte Bauschus nachdenklich. »Ein pockennarbiger Kerl, etwa Mitte Vierzig. Wenn ich das bloß feststellen könnte, ob er mit dem Fuhrwerk draußen gewesen ist. Aber der fährt ja vom Hof gleich in den Wald und kommt auf demselben Wege zurück. Soll ich vielleicht bei ihm Haussuchung halten?«

»Das tut man nur, wenn begründeter Verdacht vorliegt. Die fünfhundert Mark sind Ihnen heute dicht vor der Nase vorbeigegangen. Aber nur nicht nachlassen ... Adieu, meine Herren.«

»Ich kann mir keinen Vers daraus machen«, meinte er eine Weile später zu Schnabel. »Der Naujoks ist das nicht, der geht zu Fuß in den Wald. Ich muß mal nach Pillkallen fahren und mit den lustigen Brüdern im Hotel Löffeke eine Nacht durchkneipen. Vielleicht bekomme ich da einen Fingerzeig. Da soll es mehrere sehr eifrige Jäger geben.«

Am Nachmittag desselben Tages gingen Mooslehner und Nante Schnabel selbander in den Wald. Die Sonne schien so warm, die Mücken summten, die Vöglein sangen... und die beiden Grünröcke gingen stumm nebeneinander. Es war eine Entfremdung zwischen ihnen eingetreten. Schon seit mehreren Tagen sprachen sie nur das nötigste miteinander... Sie waren eifersüchtig aufeinander.

Den Forstassessor hielt Mooslehner für keinen gefährlichen Nebenbuhler, obwohl er sich in kleinen Aufmerksamkeiten gegen Wera erschöpfte. Er brachte ihr auserlesene Süßigkeiten, natürlich für den kleinen Jungen, den Kurt, obwohl er dafür nie mehr als einen kühlen, gleichmütigen Dank empfing.

Aber Nante, der war in seinen Augen ein gefährlicher Bursche... Der kleine Junge hatte mit dem Dicken Freundschaft geschlossen. Er kletterte dem Onkel Nante sofort auf den Schoß und untersuchte seine Taschen. Da fand er denn immer einen kleinen, aus Kiefernborke zierlich geschnitzten Kahn oder irgendein anderes Spielzeug, das Nante mit merkwürdiger Geschicklichkeit aus den einfachsten Sachen herstellte... Und Wera machte ein so vergnügtes Gesicht, wenn ihr Junge sich so freute und sprach fast nur mit Nante.

»Mensch, Mooslehner, weshalb bist du jetzt immer so maulfaul?« brach Schnabel endlich das Schweigen.

»Die Ursache könnte dir wohl bekannt sein.«

Mit treuherziger Miene erwiderte Schnabel, er habe keine Ahnung.

»So? Weißt du nicht, daß ich schon beinahe zwei Jahre mich um Wera bemühe?«

»Schon zwei Jahre? Und dann bist du noch keinen Schritt vorwärtsgekommen? Mensch, Kollege, gib das Rennen auf. Wenn man mit einem weiblichen Wesen nicht nach vier Wochen im reinen ist, dann ist die Sache aussichtslos.«

»Ach, was du meinst. Du glaubst wohl, daß du ihr mit dem Fressen imponierst?«

»Mooslehner,« erwiderte Nante ernst, »solche Scherze verbitte ich mir, die vertrage ich nicht. Du weißt selbst, daß ich darüber unglücklich bin und daß ich nichts dafür kann. Und du solltest dich schämen, mir das vorzuhalten.«

»Na, nimm es schon nicht übel, Nante, das ist mir so in meinem Ärger 'rausgefahren. Aber du wolltest überhaupt nicht heiraten, und jetzt balzt du vor der Wera wie ein Spielhahn.«

»Ja, da hast du recht, ich wollte eigentlich nicht heiraten. Aber da Wera nun schon einen Jungen hat, so wird sie sich darüber nicht grämen, wenn nachher keine Kinder mehr kommen.«

»Eine feine Logik, lieber Schnabel«, erwiderte Mooslehner gereizt. »Ich habe gar nicht gewußt, daß du so raffiniert sein kannst. Aber du hast noch mindestens drei Jahre, bis du den Heiratskonsens bekommst.«

»Und du auch noch drei.«

Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander. Dann blieb Mooslehner stehen. »Nante... Ich ertrag' das nicht länger. Wenn du nicht damit aufhörst, dann erzähl' ich der Wera, daß du mit der Katinka...«

»Karl, Mooslehner, sieh nach deinen Worten«, unterbrach ihn Nante mit drohender Stimme. »Hältst du mich für einen Lumpen, der sich um ein Mädel ernsthaft bewirbt, während er mit einem anderen ein Techtelmechtel hat? Das dumme Frauenzimmer läuft mir nach, aber dafür kann ich doch nichts.«

»Na, weshalb nimmst du nicht, was dir geboten wird... Ein forsches junges Mädel... Katinka soll sogar Vermögen haben...«

»Ich danke für Obst und Südfrüchte«, erwiderte Nante trocken. »Aber nun laß mich in Frieden. Ich habe genau soviel Befugnis, mich um Wera zu bewerben, wie du. Wenn es dir unangenehm ist, dann sieh zu, daß du mich ausstichst. Die Bahn ist für uns alle frei.«

»Na, dann will ich dir noch etwas sagen, aber streng vertraulich.«

»Ich bin doch kein altes Weib.«

»Also Wera ist nicht Witwe, sondern noch verheiratet. Ihr Mann ist wegen politischer Umtriebe verhaftet und in einem russischen Gefängnis verschwunden.«

»Mein Gott, die arme Frau,« meinte Nante kopfschüttelnd und sah den Kollegen mißtrauisch an, »ist es aber auch wirklich wahr? Woher weißt du das?«

»Der Hegemeister hat es mir verraten.«

»So, na dann werde ich dir etwas sagen. Das stört mich gar nicht... Entweder die Scheidung oder eine Todeserklärung. Ich werde mich jedenfalls dadurch nicht stören lassen.«

»Dann habe ich dir nichts mehr zu sagen«, erwiderte Mooslehner gereizt. »Unsere Freundschaft ist aus.«

»Mir soll's recht sein, Herr Kollege. Sie werden sich hoffentlich auch ebenso mit dem Herrn Assessor von Sperling auseinandersetzen.« Er drehte sich um und ging quer durch den Wald davon.

Die beiden alten Freunde, die Schulter an Schulter in derselben Kompanie gestanden hatten, waren entzweit. Sie vermieden, sich anzusprechen, wenn sie abends beim Hegemeister zusammensaßen. Das unnatürliche Verhältnis wurde noch dadurch verschärft, daß beide an jedem Morgen und an jedem Nachmittag selbander ins Revier gehen mußten. Aber gleich vorn im Walde trennten sie sich. Der eine ging nach rechts, der andere nach links.

Nante hatte sich in den Kopf gesetzt, daß Naujoks wieder wildern ging, wahrscheinlich mit einem Herrn aus der Stadt, der ihn mit seinem Fuhrwerk abholte und in den Wald fuhr ... Die Meinung hatte manches für sich, denn Naujoks hatte schon beim letztenmal nach der Ansicht des Gerichts, das ihn verurteilte, einen Helfershelfer und Hehler gehabt, der ihm das geschossene Wild abnahm. Denn solche Kerle pflegen erstens kein Verständnis für Wildbret zu haben, und zweitens wissen Wilddiebe, namentlich wenn sie schon mal bestraft sind, welcher Gefahr sie sich aussetzen, wenn sie das erbeutete Fleisch im eigenen Haushalt verwenden.

Getreulich pilgerte Nante jeden Tag morgens und abends zur Waldgrenze und setzte sich gegenüber dem Gehöft des Naujoks an. Er sah ihn ackern, er sah ihn nach dem Dorf gehen und zurückkommen ... aber er ließ nicht nach. Er konnte es sich nicht denken, daß ein Mann, der weniger aus Gewinnsucht als aus Passion für die Jagd wildern ging, so völlig umschlagen sollte, daß er überhaupt nicht mehr ins Revier ging.

Endlich sollte seine Ausdauer belohnt werden. Die »weißen Nächte« vor und nach Johanni waren herangekommen, in denen man bis gegen elf im Freien lesen kann ... und zur Not kann man ebensolange Korn und Kimme auf der Büchse zusammenbringen. Und morgens um halb zwei graut bereits der Tag.

Nante hatte sich ein Fünfgroschenbrot und ein Pfund Wurst gekauft, um nicht zu sehr vom Hunger geplagt zu werden. Während er langsam aß, sah er ... es war schon neun Uhr ... Naujoks aus dem Hause kommen und den Weg nach dem Walde einschlagen. Er trug eine Mütze, die er noch nicht an ihm gesehen hatte, eine kurze Jacke und an den Füßen keine Stiefel, sondern Pareetzken, weiche Schuhe aus Tuch, die mit Bändern um den Fuß und den Knöchel verschnürt waren. Sie machen den Schritt unhörbar...

Schnell verwahrte Nante seinen Mundvorrat. Naujoks war etwa hundert Schritt vor ihm in den Wald getreten. Mit der größten Vorsicht pirschte Nante ihm nach... Nach wenigen Minuten verlor er ihn aus den Augen. Nun war es gefährlich und auch unpraktisch, aufs Geratewohl vorwärtszugehen. Wenn er den Schuß fallen hörte, konnte er darauf zugehen ... Oder vielleicht war es noch besser, am Waldrand auf ihn zu lauern. Er blieb im Dickicht stehen und nahm sein Brot wieder aus dem Rucksack...

Mooslehner war zum Abendbrot nach Hause gekommen. Aber die helle Nacht und der Mondschein dazu ließen ihm zu Hause keine Ruhe, obwohl der Assessor bei Wera saß und ihr sehr eifrig den Hof machte ... Der Hegemeister saß an seinem Schreibtisch und stellte für die Holzschläger die Lohnzettel aus.

Bald nach dem Abendbrot brach Mooslehner wieder auf. Er ging bis zu den Wiesen, überschritt die Brücke der Aschwöne und stellte sich am Waldrand auf. Ob Nante noch im Revier war, wußte er nicht. Wahrscheinlich war er zu Hause, hatte sich den Leib vollgeschlagen und lag nun behaglich verdauend in seinem Bett ...

Eine Stunde mochte Mooslehner gestanden haben. Vor ihm äste auf der Wiese ein Sprung Rehe, ein kapitaler Bock darunter. Langsam zogen sie an ihm vorbei in eine Wiesenschlenke hinein, die sich weit in die Forst hinein erstreckte. Dabei kam ihm der Gedanke, daß die schmale Schlenke für den Wilddieb viel bequemer sein müßte als die weite, vom Mond hell beschienene Wiesenfläche. Langsam pirschte er den Rehen, die vorwärts zogen, hinterdrein.

Mit seinem Glas suchte er das Gelände vor sich ab, soweit es ihm möglich war. Da stand eine einsame dicke Eiche mitten in der Schlenke ... und dahinter ... nein, das war keine Täuschung, da stand ein Kerl, mit dem Gewehr im Anschlag. Der konnte ihm nicht entgehen, wenn er ihm bloß noch fünfzig Schritt näher kam. Denn dann hatte er ihn, mochte er nach links oder rechts den Wald zu erreichen suchen, vor seiner sicheren Büchse... Fünf Minuten später backte er hinter einer Buche sein Gewehr an und rief: »Gewehr weg. Hinter der Eiche vorkommen, wer da ist!«

Keine Antwort... Eine Viertelstunde verging, ohne daß sich was rührte... Etwa fünfzig Schritt hinter der Eiche lief ein tiefer Graben durch die Wiese. Wenn der Kerl, durch den Baum gedeckt, rückwärtsgekrochen und ihm entwischt war? Er bog sich zur Seite, um das festzustellen. Da krachte ein Schuß. Die Kugel streifte seinen linken Arm und ritzte ihm die Haut... Sofort war er wieder in Deckung ... Was nun?

Keine fünfzig Schritt von beiden entfernt stand Nante im Dickicht am Wiesenrand. Er hatte Mooslehners Ruf vernommen und sich langsam angepirscht. Der Gedanke kroch ihm ins Gehirn: du brauchst hier bloß abzuwarten, was geschehen wird. Der Wilddieb, in dem er trotz des geschwärzten Gesichts Naujoks erkannte, war im Vorteil. Er lag platt auf der Erde, aber nicht hinter der Eiche, wie sein Gegner vermutete, sondern hinter einem kleinen Strauch neben dem Baum. Wenn Mooslehner die geringste Unvorsichtigkeit beging, hatte er die Kugel ...

Die Hände begannen Nante zu flattern, so regte ihn der Gedanke auf. Er mußte an Wera denken... Wenn ihn der Zufall von dem Nebenbuhler befreite ...

Das Herz schlug ihm bis zum Halse hinauf. Er hörte sein Blut in den Schläfen hämmern. Und dann schlug ihm die Lohe ins Gesicht, die Scham, daß ihm überhaupt so ein Gedanke hatte kommen können. Er biß die Zähne zusammen und straffte die Muskeln, um seinen Körper zur Ruhe zu zwingen ... Jetzt stand die Büchse zwischen seinen Händen wie in einem Schraubstock...

Er dachte gerade, es wäre nicht nötig, den Kerl totzuschießen ... da ließ Naujoks fahren. In demselben Augenblick, so schnell, daß Mooslehner den Doppelknall nicht vernehmen konnte, schoß Nante. Der Wilddieb blieb, ohne eine Bewegung zu machen, liegen. »Wahrscheinlich Kopfschuß«, murmelte Nante vor sich hin und sprang auf die Wiese.

»Nante, sieh dich vor!« rief Mooslehner.

»Ohne Sorge, Karl, der beißt nicht mehr« ...


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