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13. Kapitel

Nante Schnabel hatte sich wirklich ein stilles Plätzchen gesucht, um nach der reichlichen Abfütterung über den Dienst nachzudenken. Er hatte sich eine Decke mitgenommen, sich daraufgesetzt und seinen Rücken an eine Fichte gelehnt. Gerade als die ersten Traumbilder ihn zu umgaukeln begannen, schnarchte er so laut, daß er darüber munter wurde. Und da kam ihm der Gedanke, daß es doch genierlich wäre, wenn man ihn vermissen und schlafend finden würde... Nein, besser wäre es schon, wenn er sich etwas Bewegung machte. Und da kam ihm der Gedanke, daß vielleicht der Wilddieb die Gelegenheit benützen könnte... Ohne Aufsehen zu erregen, holte er sich seine Büchse vom Stand, hing sie über die Schulter und wanderte langsam davon zu den Wiesen.

Die Sonne stand schon tief im Westen. Das Rehwild war bereits ausgetreten... einige starke Böcke leuchteten schon in der roten Sommerfarbe. Sie hatten auch schon gefegt... Na, ein oder zwei würde ihn der Forstmeister doch auch schießen lassen. Dann erinnerte er sich an den Zweck seines Ganges. Wenn der oder die Wilddiebe so gerissen waren, wie sie sich bisher gezeigt hatten, dann gab es keine bessere Gelegenheit, einen Schuß anzubringen. Denn unaufhörlich knallte es vom Schießstand her. Je mehr der Abend vorrückte, desto eifriger wurden die Grünröcke. Daß sie dabei noch einen anderen Schuß vernahmen, war sehr zweifelhaft.

Er nahm die Büchse von der Schulter, spannte sie und begann vorsichtig den Wiesenrand entlang zu pirschen ... Jetzt hörte das Knallen auf. Wer wohl den Drilling gewonnen haben mochte?

Ein Rehbock, der hundert Schritt von ihm vertraut äste, warf plötzlich auf und begann weiter nach der Wiese abzutrollen. Das kam Nante verdächtig vor. Er blieb stehen und hob die Büchse, um schußbereit zu sein... Eben glaubte er ein leises Knacken zu vernehmen, als es auch schon knallte. Sein linker Arm sank kraftlos herab, er fühlte einen stechenden Schmerz in der Seite auf den Rippen. Trotzdem warf er seinen Schuß in die Richtung hin, woher er die Kugel erhalten hatte. Dann sprang er mit einem Satz hinter eine Kiefer, klemmte seine Büchse zwischen die Knie, riß das Schloß auf und lud sie von neuem ...

Seine Vorsicht war überflüssig. Nichts regte sich vor ihm. Er kniete nieder, legte sein Gewehr weg, zog sein Taschentuch heraus und faßte einen Zipfel mit den Zähnen ... Die Kugel hatte nur die Muskel durchschlagen und seine Rippen gestreift. Nun wand er mit Hilfe der Zähne das Tuch oberhalb der Wunde um den Arm und verknotete es. Dann faßte er mit der rechten Hand nach seiner linken Seite. Die Uniform war von der Kugel zerrissen, und seine Fingerspitzen fühlten das warme Blut. An eine Verfolgung des Wilderers war nicht zu denken. Langsam marschierte er nach dem Schießstand zurück ... Fünf Minuten später kamen ihm die Kollegen entgegen, und bald danach kam das Auto an. Nante stieg ein, der Assessor wollte ihn sofort nach Lasdehnen zum Arzt fahren. Die vier Grünröcke gingen weiter, sie wollten noch bis Dunkelwerden eine Streife längs der Aschwöne unternehmen, obwohl kaum anzunehmen war, daß sich der Wilddieb noch im Wald aufhielt.

Mit unbewegter Miene sah Nante dem Doktor zu, der ihm die Wunde am Arm auswusch und von beiden Seiten verklebte. Erst als Doktor Glaser den Streifschuß auf den Rippen untersuchte und zu behandeln begann, gab er Zeichen des Unbehagens von sich. »Sie können von Glück sagen, lieber Herr Forstaufseher,« meinte der Arzt, »ein Zoll weiter nach links, dann lägen Sie mausetot im Walde.«

»Der Kerl ist also nach rechts 'rausgewankt, oder er hat die Büchse etwas verkantelt«, erwiderte Nante stöhnend. »Aber es ist doch nicht so schlimm, Herr Doktor. Ich bin zu heute abend beim Herrn Assessor eingeladen und möchte nicht fehlen.«

»Na, so eine Bärennatur wie Ihre wird den kleinen Blutverlust nicht als zu schwer empfinden. Aber selbstverständlich keine alkoholischen Exzesse.«

Die ganze Gesellschaft hatte sich in der Oberförster versammelt. Als das Auto zurückkam, fuhren die Damen nach Hause. Die Männer folgten dem Assessor in sein Heim, um es einzuweihen ... Aus dem verfallenen Häuschen war ein Feenpalast geworden. Die Wände mit Tapeten verkleidet, zum größten Teil auch mit farbigen Geweben. Die schweren Möbel wirkten etwas zu stark, weil sie bis zur Decke reichten ... In den drei Zimmern war an kleinen Tischchen gedeckt. Ein alter, würdiger Herr im Frack und in schwarzen Kniehosen stand mit unbewegter Miene an der Anrichte. Ein grauköpfiger Diener servierte.

Die Gesellschaft war schon zu Anfang sehr mobil. Der frühe Nachmittag wirkte nach, und nun kam noch die Aufregung über Nantes Abenteuer hinzu. Die vier Grünröcke waren von der Streife, wie es vorauszusehen war, ohne Erfolg zurückgekehrt. Allseitig wurde festgestellt, daß nirgendswo an den Grenzen ein verdächtiger Schuß gefallen war, und die Vorliebe der Wilddiebe für das Tal der Aschwöne war auch sehr erklärlich. Denn das war die Freistatt der ganzen Oberförsterei, wo mit Ausnahme der wenigen Tage im Frühjahr, wo dort die Schnepfe am besten zog, kein Schuß fallen durfte. Da zog sich das ganze Rehwild hin und stand so vertraut wie in einem eingezäunten Park.

Man hatte sich nach der Mahlzeit bereits an den länglichrunden Tisch in dem sogenannten Eßzimmer gesetzt, als der Forstmeister plötzlich ausrief: »Bauschus, da fällt mir eben etwas ein. Die Naujoksche hat mir neulich erzählt, daß in Serbenten beim Gastwirt ein Knecht zu Ostern zugezogen ist, der ihren Mann zum Wildern verführen wollte. Kennen Sie den Kerl?«

Der Forstaufseher, der in Serbenten wohnte, zuckte die Achseln. »Das könnte nur der neue Knecht von Gwildies sein, ein fixer Bengel, adrett, hat bei den Jägern gedient. Aber das glaube ich nicht, Herr Forstmeister. Beim Gwildies ist reichlich Arbeit zu leisten, und der Alte würde sich sehr für einen Knecht bedanken, der sich die Nachmittage in der Forst 'rumtreibt. Aber... meine Herren, jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Jetzt weiß ich, wer der Wilddieb ist...«

»Na, dann schießen Sie doch los«, rief der Forstmeister ungeduldig. Der Grünrock schüttelte den Kopf und sah sich nach dem Koch um, der steif und stolz wie ein Spanier am Büfett stand. Der Assessor lachte: »Sie können ruhig sprechen. Was hier verhandelt wird, dringt nicht über die Wände dieses Hauses.«

»Na dann, Herrschaften, hören Sie zu. In Serbenten ist vor vier Wochen ein sonderbarer Vogel zugeflogen, ein Herr von Zaleski. Er hat richtige Papiere, die er dem Amtsvorsteher vorgelegt hat. Drei Tage wohnte er im Krug, dann mietete er sich das alte Grenzerhaus, das leer stand, und möblierte es fein aus.«

»Und was tut der Herr von Zaleski dort in Serbenten?« rief der Forstmeister.

»Das ist kein Geheimnis. Er läßt schmuggeln. Schwere Kisten gehen fast täglich über die Grenze. Ich glaube, da sind bloß Papiere oder Gewehre drin.«

»Und Sie meinen, daß der Mann noch Zeit hat zum Wildern?«

»Jetzt, wo ich alles gehört habe, was sich hier zugetragen hat, möchte ich das wirklich glauben. Er hat Wagen und Pferde, zwei ungarische Zucker, und fährt jeden Nachmittag mit seiner Cousine spazieren.«

»Eine Cousine hat er auch?« warf der Assessor dazwischen.

»Ja, ein forsches, bildschönes Weib.«

»Hat er vielleicht auch einen weißen Foxterrier?« fragte Mooslehner.

»Nein, er hat nur eine mächtige gefleckte Dogge.«

»Wie sieht er denn aus?«

»Ein großer, schlanker Mann, Herr Forstmeister, das Gesicht etwas verlebt ... mit tiefliegenden schwarzen Augen. Er muß viel Geld haben, denn er gibt es mit vollen Händen aus ...«

»Das kann ich mir denken, daß dabei etwas abfällt. Aber nun müssen Sie sich, Bauschus, etwas mehr um den Mann und sein Treiben kümmern.«

»Das werde ich schon besorgen, Herr Forstmeister. Er fährt ja immer an meinem Haus vorbei. Da setze ich mich aufs Rad und fahre ihm nach.«

»Ich schaffe mir auch ein Rad an, ich kann schon fahren«, rief Mooslehner eifrig.

»Na, ob das praktisch ist?« meinte Nante Schnabel. »Ich war in voller Bereitschaft und bekam doch die Kugel.«

»Ja, ja, Schnabel hat recht«, entschied der Forstmeister. »Wir haben es mit einem ganz gefährlichen Burschen zu tun, der aus dem Dickicht herausschießt ... Also Vorsicht, meine Herren, und keine Nachsicht. Es handelt sich jetzt nicht bloß um das Wild, sondern um uns selbst. Und da wollen wir uns doch unserer Haut wehren. Besprechen Sie sich das heute. Streifen werden nur zu zweien unternommen, und jeder Schuß, der im Revier fällt, wird mir gemeldet. Sie brauchen sich gar keine Beschränkung aufzuerlegen, wenn sie mal einen Schuß abgeben wollen, aber er muß gemeldet werden.«

Schrader stand auf und ging an den Spieltisch, wo ihn die beiden Gutsbesitzer bereits sehnsüchtig zum Skat erwarteten ... Unterwegs hielt ihn der Assessor auf. »Darf ich mir noch einen Vorschlag erlauben, Herr Forstmeister? Ich möchte Ihnen einen Beitrag zur Verfügung stellen als Prämie für die Ergreifung des Wilddiebes.«

»Das ist ein guter Gedanke, Herr von Sperling. Ich gebe hundert Mark; wenn Sie noch etwas dazutun wollen ...«

»Ich möchte noch etwas höher gehen, Herr Forstmeister. Darf ich die Summe zu einem halben Tausend ergänzen? Selbstverständlich geht die Sache nur von Ihnen aus.«

»Das ist sehr reichlich, aber wenn Sie wollen, habe ich nichts dagegen.« Er trat wieder zu den Grünröcken. »Noch eins, meine Herren, für die Ergreifung des Wilddiebes sind fünfhundert Mark Belohnung ausgesetzt.«

»Daß ihr mir ihn bloß nicht vorher greift, ehe ich meine linke Hand gebrauchen kann«, rief Nante vom Nebentisch, wo er noch immer unter Mithilfe des Dieners futterte. Sein Appetit war infolge des Blutverlustes auf das Doppelte gestiegen. Und vor diesen Leistungen hielt selbst die Wohlerzogenheit des Dieners und des alten Kochs nicht stand. Ihr Herr hatte sie zwar vorbereitet, aber daß ein Mensch solche Mengen Speisen vertilgen konnte, hatten sie bis dahin noch nicht für möglich gehalten. Der Diener lachte über das ganze Gesicht, als Nante sich zum Nachtisch noch drei Brote mit Käse belegt ausbat.

Endlich hatte es sich bei ihm gestopft. Er stand auf und ging an den Nebentisch, wo Krummhaar bereits im besten Erzählen war. Es waren zwei junge Hilfsaufseher in der Gesellschaft, die ihn noch nicht genauer kannten; aber auch die älteren Kollegen hörten ihm gern zu, weil er sich fast nie wiederholte.

»Ohm Adam,« rief Nante, »erzähle uns doch mal deine berühmte Entengeschichte.«

»Ach ja, Krummhaar, die Entengeschichte...«

Der Hegemeister zwinkerte vergnügt mit den Augen, tat erst einen tiefen Trunk und wischte sich den eisgrauen Schnurrbart. »Also, meine Herren, ich war als junger Heideläufer nach Rußland verschlagen worden. Wenn ich daran noch denke, an die Wölfe und Bären...«

»Die du uns aufgebunden hast«, rief Schwarzkopf dazwischen.

»Wenn ihr mich ewig unterbrechen wollt, dann halt ich lieber das Maul, oder wer nicht hören will, kann sich auch wegsetzen... Na, dann weiter. Eines Tages im Sommer war ich zu einer Entenjagd eingeladen worden. Ich fuhr hin und fand bereits eine große Gesellschaft versammelt. Nach einem kräftigen Frühstück ... Nante, das wäre so was für dich gewesen... Kaltes Geflügel, ein mächtiger Schweineschinken, roh, ein zweiter in Brot gebacken... Fische kalt in Gelee und geräuchert, ein Tönnchen Kaviar von zehn Litern...«

»Ohm Adam, mich reizt das jetzt nicht, ich bin wirklich satt.«

»Na, jedenfalls hatte es uns sehr gut geschmeckt. Endlich brachen wir auf. Mitten im Walde lag ein See, rund wie ein Eierkuchen, etwa sechzig Morgen groß, ringsum von schwimmenden Wiesen umgeben. Ihr wißt ja, was das heißt: eine dünne Grasnarbe über unergründlichen Moder. Der See selbst ein Moderloch, zur Hälfte zugewachsen. Wir waren rings um den See aufgestellt. Die Hunde fangen an zu arbeiten. Ich schieß drei, vier Enten, sie fallen ins Schilf, kein Köter denkt daran, zu apportieren.«

Er stärkte sich durch einen Schluck und fuhr dann fort: »Ich ärgerte mich darüber ... Da sehe ich links von mir einen Kahn stehen, so 'nen richtigen Seelenverkäufer ... über die Wiese waren ein paar Stangen gelegt. Ich turne auf ihnen zum Kahn, schöpfe das Wasser aus und fahre los. Es waren so viele Enten da, daß ich nicht dazu geriet, meinen Vorderstopfer zu laden. Mit einem Male sehe ich, daß mein Kahn zur Hälfte voll Wasser ist. Ich nehme das Ruder und stoße mich nach dem Lande zu. Es zerbricht mir in der Hand. Nun wurde es mir ungemütlich. Ich fange also an zu schreien, die nächsten Schützen kommen nach mir zu gelaufen. Ich rufe ihnen zu, sie sollten mir eine Pferdeleine mit einem Stein zuwerfen. Während sie weglaufen, schöpfe ich Wasser, aber es wurde nicht weniger, sondern immer mehr.

Jetzt wurde mir unheimlich zumute ... Endlich wird mir die Leine zugeworfen ... Ja, der Kahn rückt und rückt sich nicht. Was tun? Das einzige, daß ich mich allein durch das Schilf 'rausziehen lasse. Ich rufe das den Menschen am Ufer zu, werfe mich platt aus dem Kahn, die Kerle rucken mit einem Male an, und die Leine gleitet mir aus der Hand. Ich fühle, wie ich schnell im Moder versinke.« Er machte eine Kunstpause und nahm einen Schluck ... In höchster Spannung hatten ihm alle zugehört ... Der Assessor war leise hinzugetreten.

»Was geschah denn nun mit Ihnen, Herr Hegemeister?«

In dumpfem Ton gab Krummhaar zur Antwort: »Ich ersoff.«

In das dröhnende Gelächter rief der Forstmeister vom Nebentisch: »Sind Sie glücklich auf die Pointe 'reingefallen, Herr Assessor?«


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