George R. Sims
Erinnerungen einer Schwiegermutter – Zweiter Band
George R. Sims

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Fünfzehnte Erinnerung.

Mrs. Franks Mutter.

Frank Tressider und seine Frau sind, wie gesagt, jetzt in Australien; das habe ich bereits erwähnt, ehe ich noch etwas andres von ihnen erzählt habe. Wären sie noch in England, dann wäre ich nicht im stande, so offen von ihnen zu sprechen, als es meine Wahrheitsliebe, die immer eine meiner hervorragendsten Charaktereigenschaften gewesen ist, verlangt.

Ich möchte nicht gern etwas Unfreundliches über meinen Sohn Frank sagen. Wie oft hat sich mein Mutterherz nach ihm gesehnt, und wie oft haben sich meine Augen mit Thränen gefüllt, wenn ich mich zur Weihnachtszeit umsah und die Lücke wahrnahm, die seine Abwesenheit in unsren kleinen, trauten Familienkreise gerissen hat. Vielleicht ist »kleiner« Familienkreis kaum die richtige Bezeichnung dafür, denn er ist jetzt, wo die Kinder groß genug sind, um mit am Tische zu essen, ein recht zahlreicher Kreis geworden, und wir haben manchmal Schwierigkeiten mit den Stühlen. Eins der Mädchen ist wahrhaftig aus dem Dienst gegangen, weil, wie es sagte, zu viel Teller auszuwaschen seien und es sich nicht in einen Gasthof, sondern in eine Privatfamilie vermietet habe.

Dienstboten sind wirklich zu unleidlich, und in manchen Familien werden sie rasch die eigentlichen Herren, zwar nicht in meiner, denn ich will lieber betteln gehen, als daß ich mir vorschreiben lasse, was ich in meinem eigenen Hause thun soll.

Die Fragen, die sich manche Mädchen herausnehmen, wenn sie sich nach einem Platz erkundigen, wären sicher kaum von der Inquisition gestellt worden. Ihr könnt euch vorstellen, wie mir zu Mute war, als mich ein junges Frauenzimmer in einem feinen Hute eines Tages fragte, ob ich viel Gesellschaft im Hause sähe.

Ich sah mir die unverschämte Person einen Augenblick an und sagte dann: »O nein, gar keine. Der Herr wichst sich die Stiefel selbst und wir haben einen Fahrstuhl zum ausschließlichen Gebrauch für das Hausmädchen. Guten Morgen.«

Das Mädchen wurde rot, erhob sich und sprach: »Mein Fahrgeld, wenn ich bitten darf.«

»Ihr was?« fragte ich.

»Mein Fahrgeld, Sie haben mir das Fahrgeld für einen Weg versprochen, wenn ich herkäme.«

»Ja, das habe ich gethan, aber ich war der Meinung, Sie wären ein Dienstmädchen, das sich nach einer Stelle umsähe. Sie sind aber augenscheinlich eine junge Dame und nur irrtümlicherweise hierher gekommen.«

»Sie müssen mir mein Fahrgeld geben, Madame. Ich wohne in Islington, und Sie können mir nicht zumuten, daß ich es aus meiner eigenen Tasche bezahle.«

»O, gewiß nicht,« entgegnete ich, »Wenn Sie die Güte haben wollen, sich hinunter zu bemühen und einstweilen im Salon Platz zu nehmen, werden Sie ein Photographiealbum mit den Bildern der ganzen Familie finden; damit können Sie sich die Zeit vertreiben, während ich den Wagen für Sie anspannen lasse.«

»Ihren Wagen will ich nicht, ich verlange mein Fahrgeld,« antwortete das Mädchen.

»Den Wagen oder nichts; Geld bekommen Sie nicht von mir,« erwiderte ich.

»Dann werde ich Sie verklagen; passen Sie nur auf, ob ich's nicht thue.«

»Sie werden verlieren. Ich bin vollkommen bereit, Sie im Wagen nach Hause zu schicken, weiter aber können Sie nichts verlangen. Das Geld, das ich Ihnen versprochen habe, war für den Omnibus, und wenn ich Ihnen meinen Wagen anbiete, dann brauche ich Ihnen doch den Omnibus nicht zu bezahlen. Thun Sie übrigens, was Ihnen beliebt.«

Das Mädchen sah, daß es seinen Meister gefunden hatte. Mit einem wütenden Blick und den Worten, ich sei keine anständige Dame, segelte es aus dem Zimmer und die Treppe hinab und schmetterte die Hausthür hinter sich ins Schloß, daß es dröhnte.

Aber wenn ich anfangen wollte, meine Erfahrungen mit Dienstboten zu schildern, so würde ich so leicht kein Ende finden. Nicht als Mutter und Hausfrau, sondern als Schwiegermutter versuche ich, auf diesen Blättern meine Pflicht gegen die Gesellschaft zu erfüllen.

Da ich aber einmal von Dienstboten spreche, will ich doch noch eine Erfahrung mitteilen. Wir hatten einmal einen Burschen – aber nur einmal. Es war Mr. Tressiders Idee; er meinte, es mache sich besser, wenn wir einen Burschen hätten, der die Hausthür öffnete, und der Junge könne außerdem die Stiefel und Messer putzen, anstatt des Kutschers, der immer darüber brummte, wobei sich Mr. Tressider natürlich so recht nach Männerart auf die Seite des Kutschers stellte.

Eines Umstandes wegen war mir die Sache ganz recht, und zwar darum, weil der Kutscher dann nicht so oft ins Haus kam. Kutscher und Stallknechte habe ich nicht gern im Hause; sie schwatzen mit den weiblichen Dienstboten, und dadurch entsteht der halbe Klatsch in der Nachbarschaft.

Wenn ich Zeit finde, werde ich 'mal die Geschichte einer Nachbarschaft schreiben, wie sie die Dienstboten erzählen. Ich glaube, die Nachbarschaft würde die Augen schön aufreißen. Ich weiß, was geschwatzt wird, und kenne die unglaublichen Geschichten, die umlaufen, durch mein Mädchen, das schon viele Jahre bei mir ist und mich manchmal mit dem unterhält, was es in der Küche und der Gesindestube des Gasthauses auf dem Lande hört, wo ich mich meiner Gesundheit wegen häufig aufhalte, denn unglücklicherweise macht diese öftere Abwesenheiten von Hause notwendig, besonders im Winter, der mit zunehmenden Jahren immer unerträglicher in London wird. Es ist heutigestags wirklich schwierig, zu sagen, welche Jahreszeit in London erträglich ist, denn sie sind sich alle gleich schlimm.

Wir versuchten es also mit einem Burschen. Er war ein ganz angenehm aussehender Junge, aber du meine Güte! Nie hat sich das Sprichwort: »Der Schein trügt!« mehr bewahrheitet.

Obgleich nur siebzehn Jahre alt, ergriff ihn eine rasende Leidenschaft für die Köchin, die zum mindesten sechsunddreißig alt war, wenn sie auch nur achtundzwanzig zugab. Sie hatte außerdem einen Schatz, einen Gardisten, der sie heiraten wollte, sobald sie Geld genug zur Einrichtung eines Häuschens erspart hätte. Infolgedessen war sie natürlich sehr kalt gegen den Burschen und ging auch nicht gern mit ihm, weil sie sich mit so einem Knirps nicht lächerlich machen wollte.

Es dauerte einige Zeit, bis ich dahinter kam, weil mein dummes Hausmädchen, das etwas überspannt war und viel Hintertreppenromane las, mit dem albernen Jungen Mitleid hatte, ebenso wie die Kammerjungfer, die die Köchin infolge einer kleinen Mißhelligkeit über ihren Regenschirm nicht leiden konnte. Die Köchin hatte nämlich eines Sonntags den Regenschirm der Kammerjungfer ohne deren Wissen geborgt und in einem Omnibus stehen lassen. Die arme Jungfer war am nächsten Sonntag in einem neuen Hute mit Straußenfedern, aber ohne Regenschirm ausgegangen, um mit ihrem Schatz zusammenzutreffen, und da es heftig geregnet hatte, waren die Federn arg mitgenommen worden, und die hellblaue Farbe, womit sie gefärbt waren, hatte sich über ihr Gesicht ergossen. Sie hatte so scheußlich ausgesehen, daß ihr Schatz bei ihrem Anblick laut gelacht hatte und das Verhältnis infolgedessen abgebrochen worden war. Die Kammerjungfer war lange Zeit untröstlich und machte der Köchin den Vorwurf, sie habe ihren Schirm genommen und ihr Herz gebrochen.

So standen die Sachen, als James (sein eigentlicher Name war Alfonso, aber so konnten wir ihn doch unmöglich nennen) sich in der ungewöhnlichsten Weise zu benehmen begann, weil die Köchin seine Aufmerksamkeiten zurückwies.

Etwa sechs Wochen, nachdem er seine Stelle bei uns angetreten hatte, bemerkte ich, daß James immer in Gedanken und sonderbar in seinem Benehmen allein ich ahnte die Wahrheit nicht. Wenn er bei Tische aufwartete und einem die Kartoffeln reichte, dann blieb er auch, nachdem man sich genommen hatte, neben einem stehen und starrte ins Leere, hielt einem aber immer die Kartoffelschüssel hin. Und wenn er nichts herumreichte, dann stand er hinter meinem Stuhl und seufzte in so unirdischer Weise, daß ich mich einige Male ganz erschreckt umwandte, in der Erwartung, einen Geist zu sehen.

Eines Tages aber wurde ich ernstlich beunruhigt, als das Hausmädchen heraufgestürzt kam.

»O, Madame, bitte, kommen Sie doch herunter. James wälzt sich in den gräßlichsten Schmerzen auf dem Boden, und ich glaube, er stirbt.«

Ich ging natürlich sofort hinunter in der Meinung, James sei krank, und fand ihn auch, wie er vor dem Herd lag, stöhnte und die Hände auf den Magen preßte.

»Was gibt's denn? Was ist denn los?« rief ich in dem Glauben, er habe vielleicht etwas gegessen, was ihm schlecht bekommen sei.

Allein er antwortete nicht, und das Hausmädchen fing an zu weinen und sagte: »Ach, Madame, fragen Sie nur die Köchin.«

Ich sah mich um, aber die Köchin war nicht da.

»Wo ist sie denn?« fragte ich deshalb. »Was weiß die denn davon?«

»Sie hat sich in der Speisekammer eingeschlossen,« antwortete das Hausmädchen.

Ich fing an zu glauben, die ganze Gesellschaft sei verrückt geworden. Als ich an die Speisekammer kam, fand ich sie verschlossen, und rappelte an der Thürklinke.

»Sind Sie drin, Maud? Was soll denn das vorstellen?«

»O, Madame,« antwortete die Köchin stöhnend, »sagen Sie nur nicht, daß er tot ist, nur nicht tot.«

»Tot? Papperlapapp! Ich weiß nicht, was mit euch allen los ist; kommen Sie sofort heraus.«

Zitternd und sich die Augen mit der Schürze wischend, kam sie zum Vorschein.

»Nun sagen Sie mir 'mal, was das alles heißen soll?« fragte ich, aber ehe sie antworten konnte, hatte sich James erhoben und trat zu mir.

»Ich glaube, ich habe mir den Magen mit Büchsenhummer verdorben, den ich zum Frühstück gegessen habe; ich habe ihn mir für mein eigenes Geld gekauft.«

»Ja, Madame, das wird's wohl sein,« setzte die Köchin hinzu, »aber, lieber Gott, er sah so furchtbar aus, daß ich glaubte, er wolle sterben, und ich habe nie jemand sterben sehen können, noch nicht einmal eine junge Katze, geschweige denn einen Menschen.«

Die Erklärung stellte mich zwar nicht ganz zufrieden, aber ich wußte, daß billiger Büchsenhummer manchmal sehr bösartige Wirkungen hat. Er solle in eine Apotheke gehen und sich etwas geben lassen, sagte ich demnach, und wenn er sich danach nicht wohler fühle, könne er sich zu Bett legen.

Danach hörte ich lange Zeit nichts mehr, und ich hatte die Geschichte fast vergessen, als die Köchin eines Tages selbst ins Zimmer gestürzt kam.

»O, Madame,« rief sie, »James hat sich mit einem Strick in die Stiefelkammer eingeschlossen, und auf dem Küchentische hat er einen Zettel liegen lassen, auf dem steht, er wolle sich aufhängen, und wir sollten ihn nicht eher abschneiden, als bis er ganz tot sei.«

»Allmächtiger Himmel!« rief ich aus. »Was soll denn das nun wieder heißen? Ich muß der Geschichte auf den Grund kommen.«

So schnell ich konnte, rannte ich die Treppe hinab und fand das Hausmädchen und die Kammerjungfer vor der Stiefelkammer knieend, die von innen verschlossen war. Sie weinten, schluchzten und flehten James durchs Schlüsselloch an, sich doch nicht aufzuhängen, sondern an seine Mutter zu denken.

Ich schob sie zur Seite und donnerte an die Thür.

»James, sind Sie da drin?« fragte ich.

Nur ein tiefes Stöhnen erhielt ich zur Antwort.

»Laufen Sie hin und holen Sie rasch einen Schutzmann,« sagte ich zu einem der Mädchen.

Das mochte den jungen Herrn erschreckt haben, denn er öffnete die Thür. Da stand er in der Mitte des kleinen Raumes und von einem Haken in der Decke hing ein Strick herab mit einer Schlinge am Ende, und darunter stand ein Stuhl.

Ich nahm den Nichtsnutz bei den Schultern und schüttelte ihn ordentlich.

»Na, was soll denn das heißen?« fragte ich.

Er antwortete nicht, sondern sah mich nur dumm an und räusperte sich.

»Bitte, Madame,« sprach nun die Kammerjungfer, »die Köchin ist an allem schuld; sie ist dem armen Jungen zuerst entgegengekommen und hat ihm dann das Herz gebrochen.«

»Nein, aber so was! So'n freches Frauenzimmer!« schrie die Köchin. »Wie können Sie sich unterstehen, zu sagen, ich wäre ihm entgegengekommen? Habe ich das gethan, James?«

»Nein, Maud, wenn Sie das gethan hätten, dann ständen die Sachen jetzt anders,« antwortete der Junge.

»Sie dummer Junge,« rief ich nun sehr ärgerlich. »Sie wollen doch nicht sagen, daß Sie sich Mauds wegen aufhängen wollten?«

»Ja, Madame, das war allerdings meine Absicht, aber ich bitte um Verzeihung, daß ich sie in Ihrem Hause ausführen wollte. Wenn Sie das gütigst entschuldigen, dann will ich jetzt gehen und es wo anders thun.«

Es sei nicht sehr wahrscheinlich, daß ich ihn mit der ausgesprochenen Absicht, sich das Leben zu nehmen, aus dem Hause lassen werde, entgegnete ich. Meine Pflicht sei, alsbald einen Schutzmann kommen zu lassen und ihn in dessen Obhut zu geben.

Köchin, Hausmädchen und Kammerjungfer fingen nach diesen Worten an zu schluchzen und mich zu bitten, doch sein junges Leben nicht zu Grunde zu richten, indem ich ihn verhaften ließe, was natürlich nicht im entferntesten meine Absicht war. Ich erklärte mich also bereit, vom Holen eines Schutzmanns Abstand zu nehmen, wenn er mir ein feierliches Versprechen gebe, keine albernen Dummheiten mehr zu machen; statt dessen wolle ich seine Mutter rufen lassen, die ihn mit nach Hause nehmen könne.

Nachdem er uns das verlangte Versprechen gegeben hatte, ließ ich ihn auf einen Stuhl im Hausflur niedersitzen, wo ich ihn sehen konnte, und schickte dann das Hausmädchen mit einem Briefchen an seine Mutter.

Während er dort saß, behielt ich ihn wohl im Auge, aber ich war doch froh, als seine Mutter kam, da es sehr unbequem für mich war, alle Minuten aufzustehen und ans Treppengeländer zu treten, um nachzusehen, ob James nicht wieder irgend einen Selbstmordversuch mache.

Als seine Mutter kam, ließ ich sie in mein Zimmer treten und erzählte ihr das Vorgefallene, und die arme Frau weinte und sagte, sie fürchte, Alfonso sei nicht ganz richtig im Kopfe. Sein Vater wäre auch mehrere Monate im Irrenhause gewesen, und einer von dessen Brüdern sei noch drin.

Die arme Frau that mir leid, aber ich war natürlich sehr entrüstet darüber, daß mir eine solche Familiengeschichte verschwiegen worden war, als ich den Jungen in Dienst genommen hatte, und ich konnte nicht umhin, meine Meinung darüber offen auszusprechen. Wenn sie ihrem Jungen erlaube, einen Dienst anzunehmen, sagte ich ihr, während er offenbar erbliche Anlage zum Wahnsinn habe, könne sie erleben, daß sie wegen Mordes angeklagt werde, oder wenigstens der Beihilfe dazu, oder wie es die Juristen nennen.

Sie versprach mir, sie wolle den Jungen eine Zeitlang zu Hause behalten und für ihn sorgen, worauf ich ihr den fälligen Lohn für einen Monat gab. Als sie dann die Hausthür von außen zumachten, und James, unser erster und letzter Bursche – das kann ich euch versichern – verschwunden war, fühlte ich eine große Erleichterung.

»Ich will keine männlichen Dienstboten mehr im Hause wohnen haben,« sagte ich am Abend zu John Tressider, »und wenn Spink« (das war der Kutscher) »die Stiefel nicht gern putzt, dann wollen wir sie abends, ehe wir zu Bett gehen, vor die Hausthür stellen und einen Stiefelwichser annehmen, der sie jeden Morgen putzen kann.«

Allein es kam nicht so weit, denn Spink sprach seine Bereitwilligkeit aus, sie wieder zu putzen; er wolle alles thun, »was die Herrin verlange«.

O ja, Meister Spink that alles, was die Herrin verlangte! Ich bezweifle nicht einen Augenblick, daß Mr. Tressider für das Stiefelwichsen heimlich seinen Lohn erhöht hat, nur damit ich nicht sagen könnte, er fürchte sich vor seinem eigenen Kutscher. Meine Erfahrungen mögen ungewöhnlich sein, allein ich habe gefunden, daß Männer im allgemeinen von der Behandlung der Dienstboten nichts verstehen und daß ein pfiffiger Bedienter seinen Herrn um den Finger wickeln kann. Das Frauenzimmer, das mich um den Finger wickeln könnte, soll aber erst noch geboren werden.

Aber meine Dienstbotenerinnerungen haben mich ganz von Frank und seiner Frau abgebracht. Im letzten Kapitel habe ich erzählt, wie er die Rechtswissenschaft aufgab und als Privatsekretär zu einem angesehenen Kaufmann nach Paris ging, und wie er nach Hause schrieb, daß die Stellung ihm gefalle und daß er zufrieden sei. Laura Helston und ihre Mutter waren in Paris; das lag, wie ihr ohne Zweifel schon geahnt habt, der ganzen Geschichte zu Grunde.

Während er in Paris war, erteilte Lauras Mutter ihre Einwilligung zur Verlobung, aber uns sagte er noch nichts davon, bis er einmal auf vierzehn Tage nach Hause kam, wo er uns dann ganz unverfroren eröffnete, er sei im Begriffe, in Paris zu heiraten, und mich und seinen Vater zur Hochzeit einlud.

Natürlich erbat ich mir einige Einzelheiten, und als ich hörte, die junge Dame habe ihr Leben in Pensionen und Gasthöfen verbracht, sprach ich: »Nun, Frank, das ist meiner Ansicht nach keine sehr gute Schule für eine Frau. Was kann sie da vom Haushalt lernen?«

»O, Mutter,« entgegnete er stolz, »ich verlange von meiner Frau nicht, daß sie kochen und sticken solle; ich heirate kein Dienstmädchen, sondern eine Dame.«

Nun, er heiratete seine Dame, und wie ich erwartet hatte, wurde sie und ihre Mutter Paris sehr bald müde. Schon nach kurzer Zeit hörten wir, Frank kehre nach London zurück. Es sei ihm die Londoner Vertretung des Pariser Hauses angeboten worden. Natürlich kam Mrs. Helston mit.

Er schrieb an seinen Bruder William und bat ihn, ihm ein eingerichtetes kleines Haus zu mäßigem Preise zu mieten, und dieser fand wirklich ein sehr hübsches Häuschen in der Nähe von Westbourne Park. Ich ließ mich keine Mühe verdrießen und sah selbst nach allem, namentlich dem Tafelgeschirr und Haushaltsleinen. Auf Franks Wunsch ging ich auch nach unserm Gesindevermietungsgeschäft und besorgte eine Köchin und ein Hausmädchen, die ich, nachdem ich mich vergewissert, daß sie ausgezeichnete Zeugnisse besaßen, ins gemietete Haus schickte, damit alles in schönster Ordnung wäre, wenn Frank, seine Frau und seine Schwiegermutter ankämen.

Daß die Schwiegermutter im selben Hause mit ihnen wohnen sollte, war mir nicht ganz recht. Wenn die Mutter der Frau mit dem jungen Paare im nämlichen Hause wohnt, gibt's in der Regel Unfrieden.

Ich nahm mir indessen vor, jeden Schein von Einmischung zu vermeiden, und ging deshalb am Tage ihrer Ankunft nicht hin, sondern machte meiner neuen Schwiegertochter und ihrer Mutter erst am folgenden Tage einen Anstandsbesuch.

Mein erster Eindruck war nicht günstig, Mrs. Frank Tressider war eine sehr feine und schöne Frau, aber ihre Mutter war eine alberne und einfältige Person. Schubjacke kann ich nicht ausstehen. Das Wort mag, von einer Schwiegermutter auf die andre angewandt, etwas stark sein, aber wenn es jemals einen Schubjack gegeben hat, dann war er Mrs. Helston. Alles an dieser Frau war gekünstelt, gefälscht. Blendwerk und Schein. Ihre Ziererei und Großthuerei waren mir widerwärtig, und ich ließ sie bald merken, daß sie mir nichts vormachen könne. Wenn man einen Russen kratzt, kommt gleich der Tartar zum Vorschein. Ich bin zwar keine Russin, aber es gehört wenig Kratzen dazu, bei mir den Tartaren zum Vorschein zu bringen. Sowie Mrs. Helston ihre feine Miene aufsetzte, sich als hervorragendes Glied der feinen Gesellschaft aufspielte und anfing, an dem von William gemieteten Hause herumzunörgeln und zu sagen, sie könne englische Dienstboten nicht leiden, weil sie so gemein seien, und als sie immer französische Brocken ins Gespräch mischte, wurde ich ziemlich deutlich. Ich sagte ihr, ich spräche kein Französisch, da ich es seit meinen Schuljahren nicht geübt hätte, und mein Einkommen, Gott sei Dank, immer groß genug gewesen sei, in England leben zu können. Ich zöge es deshalb vor, englisch zu sprechen, und ich bezweifelte nicht, daß es ihr fremd vorkomme, ein ganzes Haus zur Verfügung zu haben, nachdem sie so viele Jahre auf ein kleines Schlafzimmer in einer Pension beschränkt gewesen sei. Auch daß sie sich nur schwer an unsre englischen Dienstboten gewöhnen könne, nachdem sie die Sorte Mädchen um sich gehabt habe, die man gewöhnlich in den ausländischen billigen Pensionen antreffe, fände ich begreiflich.

Ich hatte nicht die geringste Absicht, anzüglich zu sein, aber ich konnte doch meines Sohnes Schwiegermutter nicht auf mir herumtrampeln und so thun lassen, als ob sie sich einer großen Herablassung schuldig gemacht hätte, als sie ihrer Tochter gestattete, meinen Sohn zu heiraten. Wahrhaftig, wenn Miß Helston eine reiche Erbin oder die Abkömmlingin (kann man diese weibliche Form von Abkömmling bilden?) eines vornehmen Geschlechts gewesen wäre, sie hätte nicht großartiger thun können.

Etwas mehr Geduld und Nachsicht meinerseits wäre vielleicht ganz am Platze gewesen, aber da ich wußte, daß sie ihrer Tochter nicht einen roten Heller mitgegeben hatte (sie besaß ohne Zweifel nicht mehr, als was sie selbst brauchte, und auch das kaum) und daß der verstorbene Mr. Helston seine Laufbahn in London als Hausknecht begonnen und wahrscheinlich seines Großvaters Namen nicht gekannt, obgleich er später eine angesehene Stellung eingenommen hatte, war ihr Benehmen mehr, als Fleisch und Blut ertragen konnten.

Ich ging mit der Absicht hin, das kann ich ehrlich versichern, so liebenswürdig als möglich zu sein, und ich kann, wenn ich will, sehr liebenswürdig sein, und wenn vielleicht einige meiner Kinder anders denken, so gibt es doch Leute genug, die meine große Selbstbeherrschung unter den erschwerendsten Umständen oft bewundert haben. Ich war aber noch nicht fünf Minuten im Hause, als das Frauenzimmer meine Federn gegen den Strich zu bürsten anfing, und zwar wie mir schien, absichtlich. Sie merkte indes bald, daß, wenn Krieg zwischen uns herrschen sollte, sie einen ihrer Klinge würdigen Feind vor sich habe, und sie hatte wahrscheinlich ihre Gründe, daß ich vom inneren Leben in Franks Hause nicht mehr sehen sollte, als unumgänglich nötig war. Sie hatte den armen Jungen vollständig unter dem Daumen und war die eigentliche Herrin im Hause. Ohne Zweifel fürchtete sie mich, denn sie zitterte vor dem Einfluß, den ich auf meinen Sohn hatte. Ihn konnte sie hinters Licht führen und täuschen, mich nicht.

Da Franks Frau während unsrer Unterredung anwesend war, sprach ich so wenig als möglich, aber was ich sagte, traf den Nagel auf den Kopf, wenn es auch nicht mit französischen Brocken gespickt war, und ich schmeichle mir, daß die gnädige Frau mich vollständig verstanden hatte.

Ich war froh, als die Zeit kam, wo ich mich anständigerweise wieder empfehlen konnte, als ich aber auf dem Heimwege alles nochmal überdachte, da wurde ich sehr traurig, denn ich mußte mir sagen, daß meines Sohnes Glück auf Sand gebaut sei. Die junge Frau stand vollständig unter dem Einfluß ihrer Mutter. Als Frank mich besuchte, sagte ich nicht viel, denn ich wollte ihm nicht wehe thun, aber etwas mußte ich mich doch aussprechen.

»Mein lieber Junge,« sprach ich, »ich würde an deiner Stelle Mrs. Helston nicht allzuviel Macht im Hause einräumen. In der Trauungsformel heißt es: ›Das Weib soll Vater und Mutter verlassen und dem Manne anhangen,‹ davon, daß er auch ihre Mutter mitnehmen soll, steht nichts darin.«

»O, Mrs. Helston ist gar nicht so übel,« entgegnete er lachend, »sie hat in mancher Hinsicht sonderbare Ansichten, weil sie so lange im Ausland gelebt hat, aber ich kann sie doch nicht gut auf die Straße setzen. Sie ist so kränklich, weißt du.«

»Kränklich!« dachte ich bei mir. »O ja, ich könnte auch so kränklich sein, wenn ich wollte. Es ist ganz schön, sich bedienen zu lassen und in allem seinen Willen zu haben, weil man sich und andre überredet hat, daß man kränklich sei.«

Ich bin ganz sicher, es war lediglich dem Einfluß ihrer Mutter zuzuschreiben, daß Franks Frau und ich uns entzweiten; allein das soll den Gegenstand einer andern Erinnerung bilden.


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