George R. Sims
Erinnerungen einer Schwiegermutter – Zweiter Band
George R. Sims

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Vierzehnte Erinnerung.

Frank Tressider.

Mit Johns Frau bin ich stets gut ausgekommen, und abgesehen von dem kleinen Mißverständnis wegen des Preises des Hammelfleisches bei dem Essen, wovon ich euch erzählt habe, auch mit Williams Frau. Marion verstand mich später besser, aber ich nahm mich auch in acht, nichts zu sagen, was ihre Gefühle verletzen könnte, nachdem ich gemerkt hatte, wie empfindlich sie war. Ich weiß, viele junge Frauen haben die thörichte Meinung, die Mütter ihrer Männer seien schreckliche Personen, die sie als Eindringlinge betrachten. Ich entsinne mich, daß mir Marion gestand, nachdem wir besser miteinander bekannt geworden waren, sie habe im Anfang geradezu Todesangst vor mir gehabt, denn William sei voll Bewunderung über meine Haushaltsführung gewesen, und sie habe gewußt, daß ich in häuslichen Angelegenheiten ein sehr scharfes Auge hätte. Bei der erwähnten Tischgesellschaft hätte sie die ganze Zeit gezittert, erzählte sie mir, weil sie gewußt habe, daß ich ihr die Schuld geben würde, wenn etwas nicht klappte, und ich würde denken, William habe einen Mißgriff gemacht, als er ein Mädchen heiratete, das so wenig vom Haushalt verstehe. Aber diese Angst vor mir legte sich bald. Wir wurden sehr gute Freundinnen, und sie holte sich stets bei mir Rat, wenn sie irgend welche Unannehmlichkeiten mit den Dienstboten oder Geschäftsleuten hatte. Eine Frau, die eine große Familie aufgezogen hat, weiß natürlich mehr von der Welt, als ein junges, eben verheiratetes Ding, und ich bin der Ansicht, daß junge Frauen häufig sehr thöricht sind, wenn sie ihre Schwiegermutter nicht öfter zu Rate ziehen.

In reichen Familien und den sogenannten höheren Ständen, wo die Frau nichts zu thun hat, als hübsch auszusehen, ihren Mann anzulächeln und ihre Gäste zu unterhalten, ist das alles recht schön, aber im Mittelstand, wo es häufig vorkommt, daß die jungen Leute im Anfang ihres Ehestandes nicht allzu reichliche Mittel haben, ist die Verantwortung der Frau groß. Eine tüchtige, verständige, sparsame Frau kann sehr viel zum Gedeihen des Hauses beitragen, während eine Frau, die nicht zu wirtschaften versteht, ihren Mann zu Grunde richten kann.

Mütter, die ihre Töchter ohne Kenntnis der Haushaltsführung aufwachsen lassen, laden eine große Verantwortung auf sich. Ich habe 'mal von einer jung verheirateten Frau gehört, die, als sie ihre Bekannten von einem Puddingrezept sprechen hörte, worin das Wort Nierenfett vorkam, fragte: »Was ist denn Nierenfett?«

Stellt euch nur 'mal das Schicksal eines Mannes vor, der mit beschränkten Mitteln fürs Leben an eine Frau gefesselt ist, die nicht weiß, was Nierenfett ist. Dem Mädchen mache ich keinen Vorwurf, vielmehr tadelte ich, als mir die Geschichte erzählt wurde, die Mutter. Wäre ich der Gatte dieser jungen Frau gewesen, dann wäre ich zur Mutter gegangen und hätte ihr unverhohlen meine Meinung gesagt.

»Madame,« würde ich gesprochen haben, »Sie haben sich einer schmählichen Pflichtversäumnis schuldig gemacht. Sie haben Ihrer Tochter gestattet, zum Weibe heranzuwachsen und einen ehrlichen Mann zu heiraten, und Sie haben sie in vollständiger Unwissenheit gelassen. Sie weiß noch nicht einmal, was Nierenfett ist.«

Die Unwissenheit vieler junger Frauen, wenn sie das Haus ihrer Mutter verlassen und an die Spitze desjenigen ihres Mannes treten, ist wirklich erstaunlich. Kennte ich nicht eine Menge Geschichtchen aus eigener Erfahrung, ich würde Anstand nehmen, vieles, was ich gehört habe, zu glauben.

Einmal vor vielen Jahren, als ich mit meinen Kindern in Eastbourne war, machten wir die Bekanntschaft eines jungen Ehepaares, das sich auf der Hochzeitsreise befand, und wir wurden sehr gute Freunde. Eines Tages gingen wir in den Feldern spazieren.

»Wie prächtig der Weizen steht,« sagte ich.

»Weizen? Ja, was ist denn das?« entgegnete die junge Frau. »Die Pferde fressen Hafer, und Gerste wird zu Gerstenzucker gebraucht, aber was wird denn aus Weizen gemacht?«

Ich sah sie eine Minute sprachlos an.

»Ja, aber das Brot wird doch aus Weizen gemacht,« antwortete ich endlich.

»Brot?« fragte sie. »Ich habe immer geglaubt, Brot würde aus Mehl gebacken.«

Ich habe mich eingehender mit diesen Eigentümlichkeiten einer jungen Frau beschäftigt, die nichts von dem weiß, was sie von Rechts wegen wissen müßte, und die keine Vorstellung von ihrer Verantwortung als Hausfrau hat, weil mein dritter Sohn Frank – er war ein frischer, munterer Junge – ein solches Mädchen heiratete. »Eine hübsche Puppe« nannte ich sie, aber er war rein weg und hielt sie für einen Engel auf Erden. Ich will kein Wort gegen Laura im allgemeinen sagen. Sie und Frank büßen ihre Thorheit jetzt in Australien, aber ich muß die Wahrheit über sie erzählen, denn sie kann andern jungen Männern zur Warnung dienen, die sich in ein hübsches Gesicht vergaffen und sich nicht darum kümmern, was dahinter steckt.

Frank hatte nie Lust, in seines Vaters Geschäft einzutreten – ich weiß nicht, wie es kommt, daß so viele junge Männer etwas gegen das väterliche Geschäft haben, aber es ist so – und als er die Schule verließ, wurde er auf eine deutsche Universität geschickt, um dort seine Ausbildung zu vollenden. Seinen Beruf sollte er erst später wählen. Ich hätte ihn am liebsten Geistlicher werden sehen, denn ein Geistlicher in der Familie ist meiner Ansicht nach von großem Vorteil. Es liegt so etwas durch und durch Achtbares darin, und jede Mutter kann stolz sein, die das Recht hat, zu sprechen: »Mein Sohn, der hochwürdige Pfarrer so und so.« Ich möchte lieber, daß einer meiner Söhne Geistlicher würde, als daß eine meiner Töchter einen heiratete. Die Töchter von Geistlichen verlieben sich in der Regel in arme Kandidaten, und ich habe immer gesagt, daß ich einen Kandidaten als Liebhaber meiner Töchter nicht im Hause dulden würde.

Aber ein Pfarrer als Sohn ist ganz etwas andres, und deshalb hätte ich es gern gesehen, wenn Frank Tressider der hochwürdige Frank Tressider geworden wäre.

Allein in Franks Charakter waren nie Anzeichen wahrzunehmen, daß er der Kirche zuneige. Er hatte sich zum Rechtsstudium entschlossen, und zwar dachte er mit Vorliebe an den Anwaltsstand. Als er nach Bonn ging, die deutsche Universität, die sein Vater für ihn gewählt hatte, war noch ganz unentschieden, was er werden sollte, allein was dort vorfiel, machte allen unsern Träumen, daß er jemals eine Zierde der Kanzel oder ein strahlendes Kirchenlicht werden würde, ein jähes Ende, Frank war stets ein lockerer Zeisig und ließ sich, wie ich leider zugeben muß, leicht verführen. Er ging mit dem festen Entschluß nach Deutschland, angestrengt zu arbeiten, allein unglücklicherweise war eine Menge junger Engländer und Amerikaner in Bonn. Diesen schloß er sich an, und sie brachten ihn mehr als einmal schön in die Patsche. Natürlich ließen wir, sein Vater und ich, uns damals nicht träumen, daß er, während wir ihn fleißig bei der Arbeit glaubten, mit diesen jungen Menschen auf den benachbarten Dörfern umherziehe, Bauernfeste mitmache, tanze, bis spät in die Nacht ausbleibe und rauchen, Bier trinken und Karten spielen lerne.

Besonders hatte er ein Spiel gelernt, das Skat genannt wurde, und wofür er förmlich schwärmte. Er lehrte es nach seiner Rückkehr seine Brüder und einige Freunde, und sie spielten es oft in unsrem Hause. Dabei sprachen sie immer vom ältesten Jungen, und dann dachte ich an meinen Sohn John, während sie den Treffbuben meinten, oder wie er im Skatspiel heißt, den Eichel-Wenzel. Es war überhaupt ein ganz komisches Spiel. Sie reizten sich immer und wurden doch nicht wütend, außer wenn einer mauerte, wie sie es nannten, doch was sie damit meinten, weiß ich nicht. Ich wäre bei diesem ewigen Gereize sofort ärgerlich geworden.

Wir erfuhren erst, daß etwas nicht in Ordnung war, als er um Geld nach Hause schreiben mußte. Es war eine ziemlich bedeutende Summe, die er verlangte, und er gestand, daß er Schulden in der Stadt gemacht und Geld im Spiel verloren habe.

Natürlich waren wir sehr bekümmert, und ich sagte zu meinem Manne, es sei seine Pflicht, nach Bonn zu reisen und selbst 'mal zu sehen, wie es dort eigentlich hergehe. Das that er auch, und die Folge war etwas sehr Verständiges. Er bezahlte Franks Schulden, sagte ihm aber gleichzeitig, er sei offenbar noch nicht Mann genug, selbständig in der Fremde gelassen zu werden, und er gab ihn einem Lehrer ins Haus, der junge Engländer zähmte und dem er unbeschränkte Gewalt über Frank einräumte. Er meinte, das werde wenigstens den nächtlichen Trink- und Spielgelagen ein Ende machen.

Frank war noch nicht lange dort, als er in eine Sache verwickelt wurde, die dazu führte, daß er Bonn Lebewohl sagen mußte. Die jungen Leute bei Doktor Blumberg, das war der Name des Lehrers, hatten viel Freiheit, aber sie mußten unabänderlich um zehn Uhr abends zu Hause sein, wenn sie nicht besondere Erlaubnis zu längerem Ausbleiben hatten, die nur bei Einladungen zu befreundeten Familien gegeben wurde.

Eines Tages fand in Poppelsdorf, einem nicht weit von Bonn gelegenen Dorfe, die sogenannte Kirmeß statt, und Blumbergs junge Leute beschlossen, alle hinzugehen. Sie baten um die Erlaubnis, die jedoch verweigert wurde, doch als sie abends ausgingen, kehrten sie nicht um zehn nach Hause zurück, sondern machten die Kirmeß mit und kamen ganz unverfroren erst um zwölf wieder.

Doktor Blumberg war wütend und that in seiner Wut etwas sehr Unkluges. Er behauptete, Frank sei der Rädelsführer gewesen, und als dieser am nächsten Abend nach seinem Zimmer ging, um sich zum Ausgehen anzukleiden, folgte ihm Blumberg, schloß die Thür von außen und sagte: »So, mein Söhnchen, da können Sie wegen Ihrer Unverschämtheit von gestern abend einstweilen 'mal bleiben.«

Frank lachte anfänglich, trat ans Fenster, das sich im dritten Stock befand, öffnete es und wartete, bis die andern aus dem Hause kamen. Dann rief er ihnen zu, was vorgefallen war. Diese trafen ihre andern Freunde und erzählten ihnen, der alte Blumberg habe Frank in seine Stube eingesperrt. Als es dämmrig war, blickte Frank, der bis dahin geraucht und überlegt hatte, was er thun solle, zum Fenster hinaus und sah zufällig einen seiner Freunde, einen jungen Amerikaner Namens Lathrop, vorübergehen. Er winkte ihm zu, stehen zu bleiben, und schrieb auf einen Zettel: »Kann ich bei dir übernachten, wenn es mir gelingt, herauszukommen?« Als Lathrop nickte, schrieb Frank auf einen zweiten Zettel: »Komm um Mitternacht wieder hierher.« Er bediente sich des schriftlichen Weges, weil er fürchtete, Blumberg könne im Zimmer darunter sein und hören, wenn er Lathrop etwas zuriefe.

Um Mitternacht ist es in Bonn sehr still und nicht eine Menschenseele auf den Straßen.

Lathrop kam um zwölf wieder und mit ihm eine Menge andrer junger Engländer, die neugierig waren, zu sehen, was Frank anfangen werde. Dieser war bereit. Er hatte seine Betttücher zusammengebunden, das Bett dicht ans Fenster geschoben und ein Ende der Leintücher an einem Beine der Bettstelle befestigt. Nun ließ er das andre Ende zum Fenster hinaus, um zu sehen, wie weit sie reichten, und als sich herausstellte, daß sie noch lange nicht die Erde berührten, zog er sie wieder in die Höhe, riß sie der Länge nach durch und knüpfte die so gewonnenen vier Stücke aneinander. Jetzt reichten sie bis etwa vier Fuß vom Boden. Er warf nun seinen Hut, Ueberrock und ein kleines Handköfferchen, das etwas Wäsche enthielt, zum Fenster hinaus und ließ sich sodann unter dem lauten Beifall seiner Zuschauer an den Tüchern hinunter. Aber dieser Beifall wurde ihm verhängnisvoll, denn kaum war er unten angelangt, als Doktor Blumberg aus der Hausthür herausgestürzt kam. Frank sprang zu Boden und, ich bedauere, es sagen zu müssen, versetzte Blumberg einen Faustschlag auf die Nase, so daß dieser zurücktaumelte und ihn nicht festhalten konnte. Aber der Lärm hatte die Aufmerksamkeit eines Gendarmen erregt, der am Ende der Straße vorbeiging und nun herbeieilte. Blumberg rief ihm zu, Frank zu verhaften, und der Gendarm versuchte das auch, allein Frank, ein starker junger Mensch, schlug wild um sich und entfloh. Die andern verhinderten Blumberg und den Gendarmen an der Verfolgung, und Frank rannte mit seinem Freund Lathrop, so rasch sie ihre Füße tragen wollten, davon.

Allein sie saßen in einer bösen Patsche, In der Stadt konnten sie nicht bleiben, denn Frank wurde sicher verfolgt und überall gesucht. Sie liefen also zur Stadt hinaus und eilten auf der Koblenzer Straße nach dem nächsten Dorfe. Hier klopften sie an eine Thür, bis ein nur mit Unterrock und Halstuch bekleidetes Mädchen öffnete und sie nach ihrem Begehr fragte. Sie sagten, sie seien Engländer, die, auf einer Fußreise begriffen, den Weg verloren hätten, und baten um Unterkunft für die Nacht. Nach einigen Verhandlungen rief das Mädchen seinen Vater, einen Arbeiter. Er ließ die jungen Leute eintreten und gestattete ihnen, in einem leeren Zimmer zu bleiben, und da schliefen sie die Nacht auf etwas Stroh. Am andern Morgen mußten sie sich, wie mir Frank später erzählte, in einem Eimer waschen, was zwar sehr romantisch, aber keinesfalls sehr bequem war. Dann bezahlten sie sehr freigebig für ihr Nachtlager und machten sich wieder auf den Weg.

Sie schwankten lange, wohin sie sich wenden sollten, schlugen aber schließlich die Richtung nach dem Rheine ein, fuhren in einem kleinen Boote nach Königswinter hinüber und gingen von da nach der Spitze des hinter dem Drachenfels gelegenen Petersberges. Dort befindet sich ein kleines Wirtshaus, wo sie vorläufig zu bleiben beschlossen.

Da die Reisezeit vorüber war, so war außer ihnen kaum jemand da. Einige Tage verhielten sie sich ruhig, dann ging Lathrop nach der Stadt, um zu hören, wie die Sachen standen. Blumberg schien der Angelegenheit keine weiteren Folgen geben zu wollen, aber unter den jungen Engländern wurde von nichts andrem gesprochen, und sowie sie erfuhren, wo sich Frank aufhielt, kamen einige von ihnen herauf, um ihn zu besuchen, und ihm die Zeit mit Kartenspielen totschlagen zu helfen.

Allein auf der Spitze dieses einsamen Berges wurde es bald langweilig. Eines Tages meinte Frank, er könne sich hinunter wagen, und begab sich nach der Stadt, um mit seinen Freunden im Englischen Hofe zu essen. Während sie ganz fröhlich beim Mahle saßen, trat aber plötzlich Blumberg in Begleitung eines Gendarmen ein, und dieser sagte Frank, er habe sich wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt als verhaftet anzusehen. Er wurde auf die Polizei geführt und zu fünfzig Thaler Strafe verurteilt. Das ist etwa sieben Pfund zehn, und da Frank »ratzenkahl« war, wie er sich fein ausdrückte, mußte er das Geld von einem Freunde borgen und nach Hause um Hilfe telegraphieren. Blumberg hatte schon an Mr. Tressider geschrieben und ihm mitgeteilt, Frank sei durchgegangen, und als nun Franks Telegramm kam, sprach ich zu meinem Manne: »Der Junge muß nach Hause.« Er schickte ihm also genügende Geldmittel, um alles zu berichtigen, und befahl ihm, sofort nach Hause zu kommen, was er auch that.

Ich würde diese Jugendstreiche Franks nicht so ausführlich erwähnt haben, wenn sie nicht einen großen Einfluß auf sein späteres Leben gehabt hätten, denn während seines Aufenthaltes in Bonn hatte er die junge Dame kennen gelernt, die er nachher heiratete. In Bonn wohnten in jener Zeit sehr viele englische Familien, denn das Leben war dort damals billig. Diese pflegten kleine Tanzgesellschaften zu geben, wozu namentlich auch die in Bonn studierenden Engländer eingeladen wurden. Bei Gelegenheit einer solchen Tanzgesellschaft im Hause eines Oberst Willings, eines Herrn mit elf Töchtern, der in Bonn sparen wollte, machte Frank die Bekanntschaft einer Mrs. Helston und ihrer Tochter. Laura Helston war ein sehr schönes Mädchen, aber ihre Mutter war eine der modernen Kranken, eine der Damen mit unbeschränkten Ansprüchen, aber sehr beschränktem Einkommen, die es ihrer Gesundheit wegen notwendig finden, auf dem Festlande zu leben. Witwe geworden, als ihre Tochter zwölf Jahre alt war, hatte sie nach ihres Mannes Tode alles verkauft, und da sie fand, daß er sehr wenig hinterlassen hatte, weil ihre Verschwendungssucht ihn gezwungen hatte, über seine Mittel hinaus zu leben, reiste sie von Pension zu Pension, gewann sich durch ihr bestechendes Wesen viele Freunde und Bekannte, dachte aber im übrigen mehr an ihr eigenes Behagen, als an ihrer Tochter Zukunft.

Einem jungen Mädchen, das sein Leben vom zwölften bis zum zwanzigsten Jahre in Pensionen und Gasthöfen zubringt, kann man vielleicht keinen großen Vorwurf machen, wenn ihm der Sinn für Häuslichkeit verloren geht, und das habe ich immer bedacht, wenn mich Laura Helston, später Laura Tressider ärgerte.

Frank lernte, wie schon erwähnt, die Helstons in einer Tanzgesellschaft bei Oberst Willings kennen, verliebte sich in Laura und wußte es so einzurichten, daß er häufig mit ihr zusammen kam. Als er Bonn verlassen mußte, war es hauptsächlich der Gedanke, daß er sie nicht mehr sehen sollte, der ihm Kummer machte, und wie es scheint, gingen die beiden thörichten jungen Leute am Abend vor seiner Abreise am Rhein spazieren und verlobten sich heimlich. Miß Helston versprach Frank, ihm zu schreiben und ihm mitzuteilen, wenn sie ihren Aufenthaltsort wechselten, und Frank schwur, daß sein Herz niemals eines andern Mädchens Bild beherbergen und daß er kommen und sie als sein Weib heimführen werde, sobald er mündig sei.

Nachdem Frank nach Hause zurückgekehrt war, wunderte ich mich immer über die große Zahl ausländischer Briefe in offenbar weiblicher Handschrift, die er erhielt, allein ich bin in Hinsicht auf meiner Söhne Briefwechsel nie ungebührlich neugierig gewesen und legte der Sache keine Wichtigkeit bei.

Mr. Tressider las Frank ordentlich den Text und machte ihm ernste Vorwürfe über seinen Leichtsinn. Er müsse sich von Grund aus ändern, sagte er ihm, wenn er sich eine geachtete Stellung im Leben schaffen wolle, Frank schien seine Thorheit aufrichtig zu bereuen und sich ihrer zu schämen. Er sprach den Vorsatz aus, ein andres Leben anfangen zu wollen und sich mit allem Eifer auf den erwählten Beruf vorzubereiten.

Wir hatten nichts gegen seinen Wunsch, Rechtsanwalt zu werden, und nachdem er ein Jahr in London studiert hatte, währenddessen er wirklich sehr gesetzt und fleißig war, trat er bei unsrem Familiensachwalter, Mr. Benjamin Jones, in Lincolns Inn Fields als Hilfsarbeiter ein.

Allein sehr bald schien ihm die Rechtswissenschaft nicht mehr zu gefallen. Eine Zeitlang arbeitete er sehr fleißig, aber ich sah, daß er nicht glücklich war. Eines Abends, als wir allein waren, fragte ich ihn, was ihm fehle. Nun gestand er mir, er fürchte, er habe sich geirrt und werde der Juristerei nie Geschmack abgewinnen können, und es sei die reine Zeitverschwendung, daß er zu Mr. Jones gehe. Lincolns Inn Fields allein könne einen schon verrückt machen, und die Schreibstube eines Rechtsanwalts sei für einen Menschen mit einem etwas poetischen Gemüt ein trostloser Aufenthalt.

Natürlich bekümmerte mich das tief, denn ich sah, daß Frank ein rollender Stein war, der kein Moos ansetzt, aber ich besprach die Sache mit seinem Vater. Dieser ging am nächsten Tage zu Mr. Jones, und das Ergebnis ihrer Unterredung war, daß Mr. Tressider sich überzeugte, Frank werde es als Rechtsanwalt nie zu etwas Ordentlichem bringen, und Mr. Jones sich bereit erklärte, Frank von seinen eingegangenen Verpflichtungen zu entbinden.

Allein ehe die Sache geordnet war, fragten wir Frank, was für Pläne er für seine Zukunft habe, da wir nicht die Absicht hätten, ihn müßig im Hause leben zu lassen; eine Beschäftigung müsse er haben.

Zu unsrer Ueberraschung war sein Plan fix und fertig. Er hatte in Bonn einen jungen Franzosen kennen gelernt, dessen Vater ein Geschäft in Paris hatte. Dieser suchte einen jungen, der deutschen und französischen Sprache mächtigen Engländer als eine Art Privatsekretär, und Franks Freund hatte sich an diesen gewandt und ihn gefragt, ob er ihm jemand empfehlen könne.

Frank schien der Ansicht zu sein, daß die Stelle sich für ihn selbst sehr eigne, und sagte seinem Vater, sie wäre wie gemacht für ihn, da sie ihm Gelegenheit biete, mancherlei geschäftliche Erfahrung zu sammeln, die ihm später von großem Nutzen sein würde; jedenfalls könne es nichts schaden, wenn er es 'mal ein Jahr lang versuche, da das mit der Stelle verbundene Gehalt sehr ansehnlich sei.

Mein Mann war etwas überrascht, weil Frank sich früher immer ziemlich wegwerfend über das kaufmännische Leben ausgesprochen hatte, aber nachdem er sich in der City nach dem in Rede stehenden Pariser Geschäft erkundigt und gehört hatte, daß es in hohem Ansehen stehe, gab er seine Einwilligung, und er fühlte sogar eine gewisse Befriedigung, daß Frank so eifrig darauf bedacht war, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Kaum war die Sache geordnet, da war Frank wie verwandelt, und ich habe nie eine solche Veränderung in einem jungen Manne wahrgenommen. Er jubelte förmlich und konnte die Zeit der Abreise kaum erwarten. Acht Tage, nachdem sein Vater eingewilligt hatte, schüttelte er den Staub von Lincolns Inn Fields von seinen Füßen und reiste mit wohlgefüllten Koffern nach Paris ab.

Sehr bald danach erhielten wir einen Brief von ihm, worin er uns sagte, er sei sehr glücklich und seine Stelle gefiele ihm ganz außerordentlich. Er werde vorwärts kommen und ein Geschäft kennen lernen, das ihm in Zukunft nur förderlich sein könne. Ich schüttelte den Kopf über diesen Brief, denn ich kannte meinen Frank, dem ich oft genug die Wahrheit des Sprichworts zu Gemüte geführt hatte: »Viel Rutschen macht die Hosen blöd'.«

Ich war vollkommen darauf vorbereitet, daß, wenn der Reiz des Neuen erst vorbei sein würde, Franks Klagen wieder beginnen würden, und daß seine Briefe dann weniger begeistert sein würden.

Allein ich irrte mich. Monate gingen hin, und Frank schrieb immer noch in demselben Ton, und schon fing ich an mich zu beglückwünschen, daß ich Franks Abneigung gegen die Rechtswissenschaft entdeckt hatte und so das Mittel gewesen war, ihm eine ihm zusagende Laufbahn zu eröffnen.

Arme, bethörte Mutter, die ich war! Wie wenig ahnte ich die Wahrheit! Später, als ich dahinter kam, verstand ich Musje Franks Abneigung gegen Lincolns Inn Fields und seine Eile, nach Paris zu kommen, besser.

Das Mädchen und seine Mutter waren dort!

Nachdem Mrs. Helston ein Jahr in Deutschland umhergewandert war und Heilung für ihre eingebildeten Leiden gesucht hatte, war sie auf sechs Monate nach Paris gegangen, wovon ihre Tochter Frank in Kenntnis gesetzt hatte. Natürlich war er glücklich, und natürlich war er zufrieden – für den Augenblick. Allein es war nicht seine Stelle, worein er verliebt war, es war Laura Helston. Er war nicht nach Paris gegangen, um sein Glück zu machen, sondern um seiner Liebsten nahe zu sein, und da ich meinen Einfluß auf seinen Vater gebraucht hatte, um ihm die Erlaubnis zu verschaffen, nach Paris zu gehen, war es mein eigenes Werk, das mir die einzige Schwiegertochter gab, die mir jemals wirklichen Aerger und ernste Sorge gemacht hat.

Wenn ihr hört, wie sie mich behandelte, werdet ihr wohl schwerlich der Ansicht sein, daß ich für das, was kam, zu tadeln bin. Vielleicht ist es ganz gut, daß sich Mrs. Frank Tressider in Australien befindet, denn ich kann mich so mit größerer Freiheit über sie aussprechen, als wenn sie in der Nähe wäre.


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