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Zwölftes Kapitel

Eines Morgens erhielt der Pfarrer George Lind einen Brief. Die Adresse zeigte eine flotte Handschrift, die ihm gänzlich unbekannt war. Als er den Umschlag öffnete, fand er darin eine zierliche kleine Tasche aus blauem Satin, die mit Bändern von dem gleichen Stoff verschnürt war. Er öffnete sie ebenfalls. Sie enthielt einen Brief aus parfümiertem Papier mit Goldrand, der außerdem noch geschmückt war mit der Miniaturdarstellung eines Pierrot. Der Pierrot saß mit übereinandergeschlagenen Beinen da und las in einem Buche, auf dessen offenen Seiten die Buchstaben L. V. erschienen. Der Geistliche kannte das Monogramm ebensowenig wie die Handschrift. Aber da der Brief offenbar von einer Dame kam, fühlte er einen angenehmen Schauer der Erwartung, als er ihn auseinanderfaltete.

 

Laurel Grove West Rensington,
ittwoch.

Werter Mr. George,

ich habe der armen kleinen Lucy eingeredet, Kew sei der himmlischste Platz auf der Welt, um dort einen Maienmorgen zu verbringen. Darum hat Bob versprochen, sie morgen (Donnerstag) nach dem Frühstück dorthin hinauszurudern, und ich werde von elf bis eins allein zu Hause sein. Ich weiß, das ist eine sehr kurze Zeit, aber solche Gelegenheiten sind selten, eine andere würde sich vielleicht in einem Monat nicht mehr bieten.

Ich verbleibe, werter Mr. George,
Ihre ganz ergebene
Lalage Virtue.

 

Der Pfarrer George geriet in Nachdenken und legte zerstreut den Brief auf ein kleines Gestell über dem Kamin. Dann aber fiel ihm ein, daß ein neugieriges Dienstmädchen oder die Hauswirtin ihn falsch auslegen könnte und er steckte ihn in die Tasche. Nach dem Frühstück überzeugte er sich vor dem Spiegel, daß sein Anzug in tadelloser Ordnung war, und verließ das Haus. Er fuhr mit der Bahn von Sloane Square nach West Kensington, von wo er nach Laurel Grove ging. Ein hübsches Dienstmädchen öffnete das Tor. Es war eine Regel bei Pfarrer George, daß er niemals auffällig aussehende Frauen anblickte, besonders nicht hübsche, und heute morgen war seine Sittenstrenge bei dem Auftrag, den er hatte, ungewöhnlich stark in seinen Gedanken. Er sah nicht einmal auf, während ihn das Mädchen durch den Garten in das Haus hineinführte. Durch das Gesellschaftszimmer, in dem er schon einmal bei einer früheren Gelegenheit gewesen war, gingen sie in einen kleineren Raum an der Rückseite des Hauses.

»Was ist das für ein Zimmer?« fragte er unsicher.

»Missis persisches Boudoir, Herr«, antwortete das Mädchen.

Sie öffnete die Tür. Der Geistliche trat hinein und befand sich in einem kleinen Raum, der luxuriös in persischem Stil ausgestattet war, der aber Schmuck aus allen Zeiten und Ländern enthielt, wie sie Susanna gerade nach ihrer Laune gekauft und angebracht hatte. Sie saß auf einer Ottomane in einem orientalischen Kostüm mit weiten Hosen, türkischen Pantoffeln, einer breiten Schärpe, kurzem griechischen Wams, einem langen seidenen Oberkleid mit Ärmeln und einem Turban, alles aus feinen, weichen Stoffen und von ungewöhnlichen Farben. Ihr Gesicht war sorgfältig geschminkt und das dunkle Haar so frisiert, daß es nicht zu schwer auf ihrem kleinen Kopf lag. Der Geistliche widerstand voll Scham einem natürlichen Impuls, sie zu bewundern, und hatte ein Gefühl wie der heilige Antonius, der gegen das verruchte Blendwerk eines Teufels kämpft. Er antwortete auf ihre lächelnde Begrüßung mit einer steifen Verbeugung.

»Nehmen Sie Platz«, sagte sie. »Sie dürfen nicht auf dieses lächerliche Kostüm sehen. Es gehört zu einer neuen Rolle, die ich studiere. Ich studiere immer im Kostüm. Sehen Sie, das ist die einzige Möglichkeit, mich in meine Rolle hineinzuversetzen.«

»Es scheint sicherlich eine sehr prächtige Kleidung zu sein«, sagte der Geistliche nervös.

»Ich danke Ihnen für das Kompliment –«

»Nein, nein«, sagte er hastig. »So meinte ich das nicht.«

»Natürlich nicht«, sagte Susanna lachend. »Es war eine ganz unwillkürliche Bemerkung über eine selbstverständliche Sache, ich weiß das ganz gut. Aber halten Sie es für ein passendes Kostüm?«

»In welchem Sinne, wenn ich fragen darf?«

»Ist es eine richtige orientalische Kleidung? Ich stelle eine von den Frauen irgendeines Kalifen vor. Sie haben gar keine Ahnung, wie schwierig es ist, eine zuverlässige Vorlage für ein Kostüm zu finden, wenn man nicht einen Haufen Geld darauf verwendet. Dieses ist in Paris gezeichnet worden; aber ich möchte gern ein Fachurteil haben – ein chronologisches – oder wie Sie es nennen, durch einen Gelehrten.«

»Ich weiß es wirklich nicht, Madame. Ich bin kein Orientalist, und meine Studien bewegen sich in einer von den Ihrigen ganz verschiedenen Richtung.«

»Ja, natürlich«, sagte Susanna seufzend. »Aber ich versichere Ihnen, ich wünsche mir oft Ihren Rat, besonders für meine Aussprache, die sehr fehlerhaft ist. Sie sind solch ein Meister der Kunst.«

Der Geistliche verneigte sich auf dieses Kompliment hin und begann, Mut zu fassen, denn es gehörte zu seinen täglichen Erfahrungen, daß Damen ihm auf seine ernsthaften Vorstellungen mit Schmeicheleien antworteten.

»Ich bin hierhergekommen,« sagte er, »um etwas sehr Ernsthaftes mit Ihnen zu besprechen.«

»Na, schön, Doktor. Schießen Sie los.«

Dieser plötzliche Einfall, ihm den Doktortitel zu verleihen, und ihr Wechsel im Ton – aus dem hervorging, daß sie sich vorher über ihn lustig gemacht hatte – verwirrte ihn. »Ich nehme an,« sagte er, »daß Sie mit dem Vorhaben Ihres Bruders bekannt sind.«

»Von Ned?« fragte Susanna mit leichtem Stirnrunzeln. »Nein. Was sollte ich von ihm wissen?«

»Oh, ich dachte, Sie wüßten es.«

»Dann haben Sie sich geirrt. Ich treffe ihn nie, außer vielleicht zufällig einmal auf der Straße. Was hat er Schlaues angefangen?«

»Er beabsichtigt, glaube ich, zu heiraten.«

»Nein!« schrie Susanna und fuhr zurück, daß ihre Armbänder und ihr Schmuck klirrten. »Gehen Sie, Doktor. Das meinen Sie nicht im Ernst.«

»Gewiß meine ich das. Es ist nicht mein Beruf, zu scherzen. Ich muß Ihnen ferner sagen, daß seine Heirat es Ihnen ganz unmöglich machen wird, hier mit meinem Vetter weiterzuleben.«

»Was? Wen will er heiraten?«

»Hm! Es ist ihm gelungen, die Zuneigung meiner Schwester zu gewinnen.«

»Was! Ihre Schwester? Marian Lind?«

»Hm – ja.«

Susanna stieß einen langen Pfiff aus. »Ich weiß mehr als ein närrisches Mädchen, das krank und traurig sein wird, wenn es das hört. Ihre Verwandten sind wohl alle entzückt?«

»Ich weiß nicht, weshalb ich das annehmen sollte. Wir haben mit der Sache nichts zu tun. Meine Schwester ist ihren eigenen Neigungen gefolgt.«

»Wirklich! Dann will ich Ihnen sagen, junger Mann, daß es Ihrer Schwester späterhin noch übel gehen kann.«

»Zweifellos. Sie werden jetzt tatsächlich einsehen, wie unmöglich es für Sie ist, daß Sie in dem gegenwärtigen – daß Sie hierbleiben.«

»Was meinen Sie?«

»Sie können nicht,« sagte der Geistliche, der gewohnt war, gegen weibliche Sünder herzhaft und streng vorzugehen, »wenn Sie Miß Linds Schwägerin sind, so wie jetzt mit ihrem Cousin leben.«

»Warum nicht?«

»Weil es ein Skandal sein würde. Ich will nichts über die gegenwärtige Sünde sagen, Sie werden darüber mit einem Größeren abzurechnen haben, als ich bin.«

»So ist's recht, Doktor. Die Sünde ist Ihnen egal, aber wenn es zum Skandal kommt –!«

»Das hab' ich nicht gesagt! Ich verabscheue die Sünde. Ich habe für die Erweckung Ihrer Seele gebetet und werde das auch weiterhin tun trotz der verderbten Verstockung des Herzens –«

»Hallo, Doktor! Machen Sie es, bitte, sanft. Sie wissen, ich bin keins von Ihren Pfarrkindern. Das ist vielleicht auch der Grund, weshalb Ihre Gebete für mich sowenig Gehör gefunden haben. Lassen Sie uns beim Geschäft bleiben, Sie können nachher soviel aus Ihrem Beruf reden, wie Sie wollen. Was wollen Sie, das ich tun soll?«

»Sofort Ihre Verbindung mit Marmaduke lösen. Glauben Sie mir, der Schritt wird nicht so hart sein, als er erscheint. Sie brauchen nur um die Kraft zu beten, es zu tun, und Sie werden sich stark finden. Es wird Ihnen sogar noch mehr nützen als dem armen Marmaduke.«

»Meinen Sie? Ich sehe es nicht ein, Doktor. Sie glauben, es wird Ihnen nützen, das ist klar genug. Aber es würde mir nicht nützen, es würde Bob nicht nützen, und es würde keinesfalls dem Kind nützen.«

»Nicht unmittelbar vielleicht, im weltlichen Sinne –«

»Das ist der Sinn, den ich meine. Lassen Sie allen andern Unsinn beiseite. Ich glaube nicht an euch Pfaffen, soweit ich sehe, habt ihr immer die schlimmsten Absichten. Sagen Sie mir nur das eine, Doktor: Ihre Schwester ist zweifellos ein sehr hübsches Mädchen, sie würde schwerlich Ned aufgeschnappt haben, wenn sie das nicht wäre. Aber warum soll alles nach Ihrem Willen gehen?«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Nun, dann hören Sie. Da ist ein junges Weib, die alle Aussichten im Leben hat, die das Glück ihr geben konnte: eine seidene Wiege, goldenes Spielzeug, Rang, Wohlstand, Erziehung, Reisen, reiche Bekanntschaften und alles, was ihr Herz begehrt. Selbst, da sie töricht genug ist, sich nach der Ehe zu sehnen, hat sie das Glück, Ned zu erobern, der ein Mann ist unter tausenden – obgleich uns Gott bewahre, daß wir viele von seiner Art haben sollten! Aber sie ist noch nicht zufrieden. Sie verlangte von mir, ich sollte mein Glück aufgeben, nur um ihrer Familie eine Freude zu machen.«

»Ich versichere Ihnen, sie weiß nichts von meinem Besuch.«

»Wenn sie es nicht weiß, wird die Sache nur um so merkwürdiger. Sie kann ihren eigenen Weg gehen, und ich gehe meinen. Ich werde sie nicht besuchen wollen, und ich glaube auch nicht, daß sie mich besuchen will. So braucht sie sich doch gar nicht mehr Sorge zu machen, als wenn eine solche Person, wie ich bin, überhaupt in der Welt nicht existierte.«

»Aber Sie werden finden, daß es sehr zu Ihrem Vorteil ist, wenn Sie dieses Haus verlassen. Es ist nicht unsere Absicht, daß Sie bei diesem Schritt pekuniären Nachteil haben sollen. Mein Vater ist reich –«

»Was geht das mich an? Er will doch nicht etwa, daß ich mit ihm leben soll?«

»Sie haben mich vollständig mißverstanden. Eine solche Idee ist niemals in unsere –«

»Halt! Gehen Sie doch. Ich sagte das nur, um Sie zu fangen, Doktor. Wie wollen Sie das anfangen, daß ich gewinnen soll, wenn ich fortgehe?«

»Mein Vater ist bereit, Ihnen, wenn Sie die Verbindung mit Marmaduke aufgeben, für das, was Sie an seinem Einkommen verlieren, Schadenersatz zu geben.«

»Also Sie wollten mich aufkaufen – tatsächlich ist es so? was für ein kluger, alter Herr muß doch Ihr Vater sein! Kennt die Welt durch und durch, was?«

»Ich hoffe, ich habe Sie nicht beleidigt.«

»Der Himmel segne Sie, Doktor! Niemand kann durch Sie beleidigt werden. Angenommen, ich tue Ihnen den Gefallen – Sie haben eine so verführerische, heilige Art an sich –, wer entschädigt aber Marmaduke für soviel von meinem Einkommen, als er durch unsere Trennung verlieren wird? Nun? Ich sehe, das macht Sie etwas stutzig. Wenn Sie einmal gerade die Miete zusammenrechnen wollen, seit wir dieses Haus gehabt haben; den Preis der Möbel; unsere Ausgaben, einschließlich meines Wagens und Marmadukes Pferd; sechshundert Pfund an Schulden, die er machte, bevor er zu mir zog; und andere Kleinigkeiten – und wenn Sie dann sich von seinem Vater sagen lassen, wieviel er in den letzten zwei Jahren bekommen hat, dann werden Sie es, glaube ich, schwerlich fertigbringen, die Rechnungen gleichzumachen. Ihr Onkel ist ein viel zu guter Mann, um Marmaduke für mich Geld zu geben; aber dafür war er nicht zu gut, mich den ganzen letzten Herbst durch, als ich meine Erholungszeit wohl gebrauchen konnte, in allen Provinzen spielen zu lassen, damit ich alles in Ordnung bringen konnte. Ich wollte, Sie sagten seiner Mutter, Ihrer lieben Tante Dora, sie sollte ihm die Garnitur Diamanten schicken, die er von seiner Großmutter geerbt hat, statt der Predigten, die er niemals liest.«

»Ich dachte, Marmaduke hätte beträchtlich mehr als tausend Pfund im Jahr, da er doch von seinem Vater unabhängig ist.«

»Tausend Pfund im Jahr! Was ist das! Und Ihr Onkel würde das ihm auch entziehen, wenn er könnte, nur damit es nicht in meine Hände käme. Sie können ihm sagen, wenn ich es nicht in meine Hände nähme, würde es schwerlich eine Woche reichen. Nur für das Kind und den Garten und für dieses ruhige Leben, das er hier führt, würde er tausend Pfund im Monat ausgeben. Und blicken Sie auf meine Ausgaben! Blicken Sie auf meine Kleider! Sie denken vermutlich, auf dem Theater trüge man Baumwollsamt und gestärkten Kattun, wie es Mistreß Siddons tat. Ich habe jetzt im Augenblick für zweihundert Pfund an Kleidern und Juwelen am Leib; und Sie brauchen nicht zu denken, daß es gegenwärtig irgendeinen Direktor gibt, der Kleider zu dem Preise findet. Im Theater glauben sie alle, ich erhalte pro Abend sieben Pfund zu viel, obgleich sie morgen schon das Haus schließen könnten, wenn mein Name vom Programm verschwände. Sagen Sie seinem Vater, was das angeht, daß ich von Bob leben soll, ich tue, was ich kann, um ihn durch meine Arbeit zu erhalten – wobei ich gar nicht die Sorgen erwähne, die immer auf die Frauen fallen.«

»Ich hatte gewiß keine Ahnung, daß die Sachen so liegen, wie Sie sie beschreiben«, sagte der Geistliche und verlor etwas seine frühere Sicherheit. »Aber wäre es dann nicht für Sie besser, wenn Sie sich trennten?«

»Gewiß nicht. Ich will mein Haus und mein Heim haben. Und er auch. Ist das Einkommen etwas knapp – es zu halbieren ist der beste Weg, es noch knapper zu machen. Nein, wenn ich Bob verließe, würde er zum Teufel gehen; und ich würde höchstwahrscheinlich auch zum Teufel gehen und Ihnen wirklich zur Schande gereichen.«

»Aber meine liebe Madame, betrachten Sie die augenblickliche Schande!«

»Welche Schande? Wenn Ihre Schwester Mistreß Ned wird, was wird dann der Unterschied zwischen ihrer und meiner Stellung sein? Nun ja, sehen Sie mich nicht so entsetzt an. Heraus damit: was wird der Unterschied sein?«

»Sie glauben doch wohl sicher nicht, sie wird auf das Sakrament der Ehe verzichten, bevor sie ihr Los mit dem Ihres Bruders verbindet!«

»Ich verwette das Gehalt der nächsten Woche, daß Sie Ned nicht dazu bekommen, eine Kirche zu betreten. Er läßt sich standesamtlich trauen. Natürlich hat Ihre Schwester im Notfall das Gesetz an ihrer Seite. Sie ist nicht unabhängig und muß vor der Möglichkeit geschützt werden, daß er sie hilflos verläßt. Ich kann mich selbst ernähren und kann morgen Bob den Rücken drehen, wenn ich will. Sie darf sich nicht gegen die Ehe auflehnen aus Angst vor der Gesellschaft. Ich schnipse mit den Fingern nach der Gesellschaft und mache mir ebensowenig aus ihr, wie sie sich aus mir macht. Und zweifellos würde Ihre Schwester auch dasselbe tun, wenn sie den Mut dazu hätte. Ich gestehe, ich könnte nicht so einen regelrechten, gesetzlichen Handel abschließen, um mit einem Mann zusammen zu leben. Ich will Liebe nicht zu einer Geldangelegenheit machen; das sieht so etwas nach Harem oder nach noch Schlimmerem aus. Der arme Bob hielt das für ehrenhaft, und er bot mir an, mich in regulärer Weise in der St.-Georges-Kirche, Hanover Square, zu kaufen, bevor wir hierherzogen. Aber ich weigerte mich natürlich, wie das jede anständige Frau in meiner Lage tun würde. Verstehen Sie mich wohl, Doktor: ich will mir durchaus keinen tugendhaften Anstrich geben oder mich brüsten, ich sei besser als Ihre Schwester. Ich kenne das Leben, und ich weiß, daß sie Ned ebensosehr deshalb heiraten will, weil sie es für recht hält, als weil sie nicht anders kann. Aber versuchen Sie nicht, mir wieder mit dem Unsinn zu kommen, daß ich Ihnen Schande bereite oder dergleichen. Ich will so bleiben wie ich bin. Ich weiß mich selbst zu achten, und es ist mir gleichgültig, ob Ihre Familie mich achtet oder nicht. Wenn Sie meine Lebensweise nicht billigen, nun – es hat Sie niemand gebeten, mit mir zu verkehren. Wenn Sie Gesellschaft wünschen, finden Sie genug davon in Ihren Kreisen. Wenn ich sie wünschte, ich könnte morgen das Haus davon vollmachen. Nicht mit einfältigen, feinen Damen, sondern mit tüchtigen Menschen, die sich durchaus nicht meiner schämen. Sehen Sie mich doch jetzt in diesem Augenblick. Ich empfange heute einen Besuch von dem vornehmsten und bekanntesten Geistlichen in Belgravia. Ich möchte wissen, was Ihre Pfarrkinder von Ihnen dächten, wenn sie Sie jetzt sähen.«

»Ich muß bekennen, ich verstehe Sie durchaus nicht. Sie scheinen alles so verkehrt zu sehen – so auf den Kopf gestellt. Sie – Ich – Sie verwirren mich, Miß Conol–«

»St! Mademoiselle Lalage Virtue, bitte. Oder Sie können mich auch, wenn Sie wollen, Susanna nennen, da wir so gut wie verwandt sind.«

»Ich fürchte,« sagte der Geistliche errötend, »wir stimmen zu wenig überein, um uns verständigen zu können. Es tut mir leid, daß ich nicht imstande bin, Sie zu beeinflussen.«

»Oh, sagen Sie das nicht. Ich habe Sie wirklich gern, Doktor, und ich würde für Sie mehr tun als für irgend sonst jemand. Hätte Ihr Vater die Dreistigkeit gehabt, hierherzukommen und mir das Geld anzubieten und so weiter, ich würde ihn vor die Türe gesetzt haben. Aber Ihnen habe ich zugehört wie ein Lamm. Was wollen Sie denn schon mit Ihrem Hut? Sie trinken doch eine Flasche Champagner mit mir?«

»Danke, nein.«

»Trinken Sie überhaupt nicht?«

»Nein.«

»Sie sollten es tun. Es würde Sie bei Ihren Predigten anregen. Ich werde Ihnen eine Kiste Champagner schicken, und Sie müssen mir versprechen, jeden Sonntagmorgen in der Sakristei, bevor Sie zur Predigt herauskommen, eine Flasche zu trinken, ich werde auch für diese Saison einen Stuhl in Ihrer Kirche mieten. Ist das nicht schön von mir?«

»Ich muß gehen«, sagte Pfarrer George, sich erhebend, nachdem er hastig auf seine Uhr gesehen. »Sie entschuldigen mich?«

»Unsinn«, sagte sie, indem sie sich ebenfalls erhob und ihre Hand auf seinen Arm legte, um ihn zurückzuhalten. »Warten Sie und essen Sie etwas. Wirklich, Doktor, ich glaube, Sie haben Angst vor mir. Bitte, bleiben Sie.«

»Unmöglich. Ich habe soviel zu tun –« Hier wurde die Tür durch Marmaduke geöffnet, der an der Schwelle stehenblieb, um die zwei einen Augenblick vorwurfsvoll anzublicken. Dann sagte er:

»George, Sie setzen mich in Erstaunen. Ich habe im allgemeinen keine gute Meinung von Geistlichen, aber ich dachte wirklich, auf Sie könnte man sich verlassen.«

»Marmaduke,« sagte der Geistliche errötend und ärgerlich, »Sie wissen ganz gut, daß ich mit meinem Hierherkommen keine Absichten habe, die meines Berufes unwürdig sind. Ich will nicht, daß Sie über meinen Besuch spotten.«

»So ist es recht, Doktor«, sagte Susanna und gab ihm einen leichten Ermunterungsklaps auf die Schulter. »Lassen Sie nichts auf Ihren Stand kommen. Ich wollte, Sie blieben und äßen mit uns. Sag' du es ihm, Bob.«

»Ja, alter Junge«, sagte Marmaduke. »Kommen Sie, Sie müssen bleiben. Ich habe so lange nicht mehr mit Ihnen geplaudert. Warum in aller Welt haben Sie denn Susanna veranlaßt, sich so auszustaffieren?«

»Schweig still, Bob. Mister George hat nichts damit zu tun, daß ich im Kostüm bin. Dies ist das, was gestern abend in dem Paket ankam. Ich konnte es nicht unterlassen, es zu probieren. Also bitte, ich bin Zobeida, der Stern des Harems. Sie müssen mir Ihre Meinung über das wilde Lied sagen, Doktor. Passen Sie auf. Dies ist eine Puderquaste: ich glaube, Sie haben noch nie so ein Ding gesehen. Ich mache mich schön für einen Besuch des Sultans, und ich entschuldige mich beim Publikum, weil ich kosmetische Mittel anwende. Das französische Original ist unanständig. Ich werde Ihnen daher die englische Übersetzung geben, von dem berühmten Robinson, dem besten Übersetzer der Gegenwart:

Odaliske, du armes gefangenes Weib,
Singe und tanze und schmück' deinen Leib:
Wenn deine Schönheit verliert ihren Schein,
Steckt man dich in einen Sack hinein.
In den Bosporus kommen sie alle einmal
Aus dem Harem, Harem, Harem, Harem, harum skarum Saal.

Geistvoll – nicht?«

Susanna hatte während ihres Singens einen phantastischen langsamen Tanz ausgeführt, bei dem sie manchmal innehielt, um ein paar kleine Schallbecken, die an ihren Knöcheln befestigt waren, in klirrende Bewegung zu setzen und um den Geistlichen schelmisch anzusehen.

»Ich muß gehen«, sagte er verwirrt und kämpfte mit Marmaduke, der ihn am Arm festhielt. »Ich muß wirklich – ich habe mehrere Verabredungen. – Ich kann unmöglich warten –«

»Es tut mir leid,« sagte Susanna, indem sie plötzlich wieder das Benehmen einer Dame annahm, »daß wir Sie nicht überreden können, hier zu bleiben. Guten Morgen, Mister Lind.«

»Guten Morgen«, sagte er so überrascht, daß er ihr respektvoll die Hand gab. Sie drückte sie zärtlich und sah ihm mit ihrem bezauberndsten Lächeln in die Augen. Er riß sich von ihr los und verließ mit brennenden Wangen das Zimmer. Marmaduke folgte ihm bis zum Tor. »Besuchen Sie uns bald wieder, alter Junge«, sagte er.

»Marmaduke,« sagte der Geistliche, »Sie sind auf dem schnellsten Wege in die Hölle.«

Als er davoneilte, lehnte Marmaduke gegen das Tor und lachte, daß es von den gegenüberliegenden Villen zurückschallte.

»Es ist wirklich eine Heidenschande«, sagte er, als er ins Haus zurückgekehrt war. »Armer alter George!«

»Er hat hier nichts Schlimmeres gefunden, als er finden wollte«, sagte Susanna. »Welches Recht hat er, in mein Haus zu kommen und es mir ins Gesicht zu erklären, ich sei eine Schande für seine Schwester? Man sollte denken, ich sei ein gewöhnliches Straßenfrauenzimmer.«

»Pah, was versteht er? Er ist nur ein süßlicher Pfaffe, der arme Kerl. Er wird ihnen einen schönen Bericht über dich geben, wenn er nach Hause kommt.«

»Laß ihn«, sagte Susanna. »Jedenfalls kann er ihnen erzählen, wie wenig ich mich um ihre Ansichten kümmere.«

Der Pfarrer fuhr mit dem nächsten Zuge in die City, zum Büro der Elektromotor-Gesellschaft. Er traf dort seinen Vater und ging mit ihm in das Sitzungszimmer, das gerade frei war.

»Ich war bei diesem Weibe«, sagte der Geistliche.

»Warum hast du mir nicht gesagt, daß du hingehen würdest?« sagte Mr. Lind unwillig. »Nun, was sagt sie?«

»Sie ist eine gänzlich verwahrloste Person. Sie freut sich ihrer Schande. Nie in meinem Leben hab' ich ein solches Beispiel von vollständiger und gewissenloser Verworfenheit gesehen. Dabei ist sie nicht ohne Reiz. Es steckt sogar etwas wunderbar Feines selbst in ihrer Gemeinheit, und das ist auch zum großen Teil an ihrem Einfluß auf Marmaduke schuld.«

»Zweifellos. Aber abgesehen von ihren persönlichen Reizen, auf die ich nicht neugierig bin, will sie uns helfen?«

»Nein. Ich konnte überhaupt keinen Eindruck auf sie machen.«

»Nun, das läßt sich nicht ändern. Hast du irgend etwas davon gesagt, daß Conolly seine Anrechte hier verkaufen und das Land verlassen soll?«

»Nein«, sagte der Geistliche mit dem plötzlichen Gefühl, etwas versäumt zu haben. »Ich vergaß es. Ich hatte tatsächlich kaum Geleg–«

»Mach' dir keine Gedanken. Es ist gerade so gut, daß du es nicht getan, es hätte vielleicht Schaden gestiftet.«

»Ich glaube nicht, daß es den geringsten Zweck hat, ihr weitere Vorschläge zu machen. Übrigens könnte ich das auch nicht noch einmal in die Hände nehmen.«

»Darf ich dich fragen,« sagte Mr. Lind plötzlich, »was du dagegen hast, daß wir in dieser Sache Marians Wünschen nachkommen.«

Der Pfarrer George wich sprachlos zurück.

»Ich bin allerdings der Ansicht,« sagte Mr. Lind etwas sanfter, »Marian hätte auf mein Nachgeben rechnen sollen, statt daß sie in ein Mietshaus davonlief und die Nachricht allen Leuten mitteilte. Aber ich muß doch sagen, ich habe einige sehr schöne Briefe darüber erhalten. Jasper beglückwünscht mich aufs wärmste. Das Hofjournal bringt diese Woche eine durchaus freundliche Notiz darüber. Conolly ist ein ganz hervorragender Mann, und wie das Hofjournal richtig genug bemerkt, hat er in der Republik von Kunst und Wissenschaft einen hohen Rang erworben. Als Liberaler kann ich Marians Wahl nicht mißbilligen, und ich glaube auch bestimmt, daß man sie in der Gesellschaft nur als eine brillante ansieht.«

»Ich fürchte, er hat sehr bedenkliche Grundsätze«, sagte Pfarrer George, indem er seinen Vater zweifelnd ansah.

»In einer neuen Sphäre wird er bald diesen Schwulst, der ihn bei seinen Arbeitskollegen beliebt machte, verlieren.«

»Ich hoffe es. Habe ich dich recht verstanden, daß ich jetzt von dieser Heirat als von einer beschlossenen Sache reden kann?«

»Warum nicht, bitte?«

»Natürlich, da du es wünschest und man nichts daran ändern kann –« Der Geistliche warf seinem Vater einen nicht sehr respektvollen Blick zu. Dann sagte er, da er fühlte, daß sie im Begriff waren, sich, zu streiten: »Ich muß jetzt gehen. Ich habe noch meine Predigt für nächsten Sonntag zu schreiben.«

»Natürlich. Laß dich nicht abhalten. Adieu.«

Der Pfarrer George kehrte nach seiner Wohnung zurück und wechselte seinen langen Tuchrock mit einem seidenen Jackett. Dann setzte er sich an sein Pult und schrieb folgende Predigt:

»Geliebte Zuhörer: Bei St. Markus im dritten Kapitel, dreiundzwanzigsten Vers finden wir diese Frage: › Wie kann Satan den Teufel austreiben?‹ – Wie kann Satan den Teufel austreiben? Wenn ihr das Folgende leset, findet ihr, daß diese Frage nicht beantwortet wird. Meine Lieben, es gibt keine Antwort darauf: es hat nie eine Antwort gegeben und wird auch nie eine geben.

In diesen jüngeren Tagen, da sich die Macht des Satans so ausgebreitet hat, da sein Reich und sein Thron sich in unserer Mitte erheben, so daß die Gläubigen durch den weiten, großen Schatten, der von ihm ausgeht, zu Boden gedrückt werden, da unzählige Tempel für seine Verehrung geöffnet sind, ist es nicht verwunderlich, daß viele schwache Seelen ihr halbes Herz dem Beelzebub geben und hoffen, durch den Fürst der Teufel Teufel auszutreiben. Ja, das ist es, was täglich in unserer Mitte vor sich geht. O ihr, die ihr dieses Buch vor ungläubigen Philosophen verteidigen wollt, indem ihr zeigt, wie leicht eine glatte Zunge sie mit der sogenannten Wissenschaft versöhnen kann, ich sage euch, nicht die Bibel, sondern die Wissenschaft wird eine Verteidigung gebrauchen an dem großen Tage des Zornes. Und darum, meine Geliebten, muß ich euch ernsthaft vor jedem Versuch warnen, das Wort Gottes zu verteidigen, indem ihr es mit den Phantasien der Wissenschaftler in Übereinstimmung bringt. Wie kann Satan den Teufel austreiben? Er kann es nicht, aber er kann euch zu der Sünde verführen, den Worten dieses Buches etwas hinzuzufügen oder fortzunehmen. Er kann die Pest unter euch verbreiten und euch euren Sitz in der heiligen Stadt fortnehmen.

In diesem großen London, das wir bewohnen, sind schlimme Zeiten über uns gekommen. Die Wut der Gotteslästerer, das Lachen über die Spöttereien, der gedankenlose Lippendienst der Weltkinder und die leichte Tändelei der Töchter der Musik werden zu jeder Stunde auf tausend Baalsaltären allein in diesem unserm Pfarrbezirk dargebracht. Ich möchte die Frage an einige von euch richten, welche die Abende an Schaustätten verbringen, die sich gleich Unkraut in dem üppigen Dünger menschlicher Sünden entwickeln, welche Entschuldigung könnt ihr euch geben, wenn ihr in den einsamen Stunden der Nacht keinen Schlaf findet und euer Gewissen euch zuruft: › Warum zogst du aus, das zu sehen?‹ Ihr werdet dann die Bitternis des Lebens beklagen und über die veredelnde Wirkung der Musik schwätzen. Ihr werdet eine Hebung religiösen Geistes darin sehen, wenn auf öffentlichen Schaubühnen, auf denen man Gottes Welt verspottet, im letzten Akt ein kurzer, armseliger Triumph erheuchelter Sittsamkeit all die abscheulichen Dinge, die vorhergegangen sind, wieder gutmachen soll. Und durch wen seht ihr dort die Tugend, die ihr in euren Herzen vor der Besudelung durch das Theater bewahren solltet, dargestellt? Ist es nicht irgendein Weib, dessen Privatleben der anstößige Gegenstand eurer geflüsterten Unterhaltung ist, deren schamloses Gesicht euch aus den Schaufenstern jener Bilderläden anlächelt, die eine Schande für unsere nationale Moral sind? Wollt ihr von einer solchen Person lernen, religiös zu sein? Erscheint sie vor der sündigen Menge reuerfüllt, die Stirn mit Asche bedeckt, die Glieder gehüllt in Sackleinen? Nein! Ihr Gesicht glüht in unauslöschlichem Feuer, um den Holzstoß anzuzünden, den der Teufel in euren Herzen errichtet hat. Ihre Kleidung ist ein goldenes Gewand, und sie ist nicht bedeckt damit. Nackt und schamlos lächelt sie, und sie weint in Verspottung der Tugend, deren Bild sie nach euren Vorstellungen sein soll. Soll der Anblick ihrer Augen, die Stimme ihres Mundes, das Ebenmaß ihrer Schritte, die Musik und der Tanz, die nie in ihrem Tempel aufhören, euch religiöses Gefühl lehren? Wie kann Satan den Teufel austreiben? Wen gedenkt ihr zu täuschen, indem ihr ein Grab übertüncht? Euch selbst? Der Teufel hat euch schon verblendet. Oder Gott? Wer wird etwas vor ihm verbergen? Ich sage euch, wer aus der Tugend einen Luxus macht, wer vor der Sünde flieht, nicht zum Altar, sondern in ein Theater, der treibt die Teufel aus durch Beelzebub, den obersten der Teufel.

Wenn ich in dieser Kirche um mich blicke, sehe ich viele Dinge, die berechnet sind, das fleischliche Auge zu erfreuen. Würde das Geld für alle diese köstlichen Kleider, diese eleganten Kopfbedeckungen, diese Wolken von Seide, Satin, Spitzen und glitzernden Juwelen, würde der Preis von allen diesen Dingen in die Schatzkammer dieser Kirche gebracht, wie laut würde das Evangelium hinausschallen in die Lande, auf deren verdorrte Gestade und tropische Sonnenglut noch nicht der Schatten vom Kalvarienberg gefallen ist. Aber ihr werdet sagen, es ist eine gute Sache, anmutig zu sein im Hause des Herrn. Der Anblick des Schönen erhebt die Seele, Unsauberkeit ist ein Laster. – Nun, das also ist der Weg, auf dem ihr Unsauberkeit bekämpfen wollt? Nicht durch Gebet und reines Leben. Nicht, indem ihr den Überfluß in den Schoß der Armen ausschüttet und den engen und schmalen Pfad in einfacher Kleidung ohne Saum betretet. Nein. Durch totes und verfluchtes Gold, durch Purpur und Scharlach, durch den Glanz der Augen, der geboren ist aus jungem Wein, durch gezierten Gang und behandschuhte Finger, durch Moschus- und Zibetgeruch, anstatt durch Weihrauch und Myrrhen: so versucht ihr die Unsauberkeit zu vertreiben. Aber wird das gelingen? Kann Satan den Teufel austreiben? O nein, meine Lieben! Denn ob du dich wäschest mit Salpeter und noch so viele Seife nimmst, deine Missetat ist nicht verborgen vor mir, spricht der Herr unser Gott. Es wird ein Tag kommen, da werden eure Spitzen und Federn so schwer an euch hangen wie Ketten von Gold, und sie werden euch hinunterziehen zu dem, in dessen Namen ihr die Teufel habt austreiben wollen. Glaubt nicht, daß diese Dinge harmlose Nichtigkeiten seien. Nichts kann das Menschenherz erfüllen und harmlos sein. Wenn eure Gedanken nicht Gottes sind, werden sie eure Seelen so sicher seiner Gnade berauben als die schwärzesten Ausgeburten des Verbrechens. Kann eine Jungfrau ihres Schmuckes vergessen, oder eine Braut ihres Bräutigams? Aber mein Volk hat meiner vergessen durch zahllose Tage, spricht der Herr unser Gott. Ja, eure Seelen sind zu eng, um den ganzen Dienst Gottes in sich aufzunehmen: glaubt ihr, daß sie Platz genug haben, um daneben noch den Götzendienst Baals zu beherbergen? Und ihr dürft erst recht nicht behaupten, daß der Baalsaltar zur Ehre Gottes errichtet ist, damit ihr lieblich und rein vor seine Augen tretet. Es ist erst ein paar Tage her, da stand ich vor einem Weibe, das sich rühmte, sie trüge an ihrem Leibe den Wert von zweihundert Pfund in unserm Gelde. Ich fragte wenig nach dem Wert des Geldes, das sie an sich trug. Aber was soll ich sagen zu dem Gewicht der Sünde, das ihr Putz darstellte? Denn dieser kostbare Schmuck war der Lohn der Sünde – der versteckten, schamlosen, verdammten Sünde. Und doch sehe ich vor mir kein kostbareres Kleid und kein schöneres Gesicht als ihres. Wollt ihr, meine Schwestern, der Lieblichkeit des Antlitzes und der Pracht der Kleidung vertrauen, wenn ein solches Weib euch darin übertreffen kann? Wollt ihr fortfahren, eure Teufel durch Beelzebub, den obersten der Teufel, auszutreiben? Ich warne euch, solange es Zeit ist. Fraget euch immer und immer wieder: kann Satan den Teufel austreiben?

Wenn in einer großen Stadt Sünde für Geld begangen wird, ist da nicht die Schuld auf der Seite dessen, der das Geld hingibt? Ich sage, es ist mehr als Schuld, es ist ein Verbrechen. Hoffentlich sind wenige unter euch, die ein solches Verbrechen begangen haben. Doch ich weiß sehr wohl, daß über das heutige London gesagt werden kann: Du bist voll Lärm, du lustige Stadt; deine gefallenen Männer sind nicht mit dem Schwert erschlagen, noch gefallen in der Schlacht. Nein, unsere jungen Männer fallen durch das Gift Beelzebubs, des obersten aller Teufel. Auch die schlaue, alte Ausflucht fehlt hier nicht. Es gibt Verlorene in der Stadt, die sagen, durch uns wird für die Wohlhabenden die Tugend bewahrt: wir mildern die verruchte Lust, die sonst die Gesellschaft vernichten würde! Es gibt Männer, die sich brüsten, sie hätten ihre Sünde nur in die Häuser der Schande getragen, und mitten in ihrem Schmutz die Reinheit geschont. Solche Dinge muß es geben, sagen sie: ›laßt uns in Frieden, damit nichts Schlimmeres folge.‹ Wenn sie ganz angefüllt sind mit Sünde, rufen sie aus: ›Siehe da! unser Appetit ist von uns gegangen, und wir sind rein!‹ Sie wollen die Lust durch Genießen überwinden, aber sie nicht mit Gebet bekämpfen. Sie treten ein Weib in den Schmutz, und sprechen sich frei, weil das Kleid ihrer Schwester fleckenlos ist. Wie nichtig ist diese verlogene Verneigung vor der Tugend! Wie kann Satan den Teufel austreiben?

O meine Lieben, diese Heuchelei ist der Fluch und die Gefahr unserer Zeit. Der Atheist, nicht länger ein Abscheu, ein Erstaunen, ein Fluch und ein Vorwurf, spielt jetzt den Menschenfreund und den Streiter für das Recht. Solche, die die letzten und schrecklichsten Verwünschungen aus diesem Buche verdienen, handeln im Namen jener Wahrheit, nach der sie zu forschen vorgeben. Die Kunst verbirgt in ruchloser Weise ihre sinnliche Nacktheit unter den Attributen der Religion und verkleidet ihre Lasterhaftigkeit so gewandt, daß sie wie die Tugend in den trägen Augen derjenigen erscheint, die es versäumen, fortwährend zu wachen und zu beten. Das eitle Weib behängt sich mit Schmuck, um das Werk ihres Schöpfers zu ehren; der lüsterne Mann wirft seine Seele fort, damit die Gesellschaft rein erhalten bleibt; es gibt keine Sünde in diesen jüngeren Tagen, die nicht vorgibt, an dem Heil der Welt zu arbeiten, noch ein Mann, der sich nicht schmeichelt, daß die Sünde des einzelnen die Läuterung vieler sei. Solchen sage ich: Sieh auf deine eigene Seele, über keine andere brauchst du Rechenschaft zu geben. Es wird ein Tag kommen, an dem ein Feuer angezündet wird unter euren Göttern. Der Herr wird dieses Land nehmen, wie der Schäfer seine Kleidung. Sei versichert, wenn du dann sagst: ›Ich war ein Teufel, aber ich habe viele Teufel ausgetrieben‹, so wird er dir antworten: Wie kann Satan den Teufel austreiben? Wer wird dir auf diese Frage zu einer Antwort verhelfen? Nein, wenn er dir in seiner unendlichen Güte tausend Jahre zum Suchen gäbe, und wenn er vor dir alle Bücher der Wissenschaft und Soziologie, in denen du stets Entschuldigungen für deine Sünden gefunden hast, ausbreiten würde, was würde es dir nützen? Wird Spotten oder Witzeln über eine zweifelhafte Stelle dich zum Ziele führen? Nein. Du kannst nicht spotten, während deine Zunge vor Angst an deinem Gaumen klebt, und an jenem Tage wird es keine einzige zweifelhafte Stelle mehr geben in allen Schriften; denn das Licht vom Antlitz des Herrn wird über allen Dingen sein.«


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