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Siebentes Kapitel

Drei Tage später kam Lord Jasper zum Lunch mit einem Brief in der Hand. Marian war noch nicht da, und der Pfarrer George war verreist, sein Platz wurde durch Marmaduke eingenommen.

»Gute Neuigkeiten für dich und Constance, Mutter«, sagte Lord Jasper.

»Wirklich?« fragte die Gräfin lächelnd.

»Ja. Conolly kommt heute nachmittag, um seine Koffer zu packen und uns für immer zu verlassen.«

»Wirklich, Jasper, du übertreibst Mister Conollys Bedeutung. Die Nachricht von seinem Fortgehen kann mir und Constance weder als gute noch als schlechte Neuigkeit erscheinen.«

»Ich bin froh, daß er geht,« sagte Constance, »um Jaspers willen.«

»Danke«, antwortete Lord Jasper. »Das habe ich erwartet. Er wird mir sehr fehlen.«

»Unsinn!« sagte die Gräfin, »wenn du einen andern Arbeiter brauchst, kannst du ihn dir leicht beschaffen.«

»Was wird nun aus unsern wissenschaftlichen Studien?« sagte Elinor. »Ich behalte natürlich meinen Lehrer, aber was wird aus Marian?«

»Wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann, alter Herr,« sagte Marmaduke, »verfügen Sie in jeder Beziehung über mich. Ich habe gestern einiges von der Sache gelernt.«

»Ja«, sagte Elinor. »Während Sie fort waren, Jasper, kam er mit Constance ins Laboratorium und feuerte eine Bronzekanone mit Ihrem neuen Verschluß ab, bis er alles Pulver verbraucht und die Türtäfelung verdorben hatte. Das nennt er, etwas von der Sache lernen.«

»Nur das Experiment kann uns von der Macht der Elektrizität überzeugen«, sagte Marmaduke. »Stimmt es, Conny?«

»Ja, es ist wundervoll; aber ich hasse das Schießen.«

»Wo ist Marian?« sagte Lady Sunbury.

»Ich ließ sie in dem Sommerhaus im Obstgarten«, sagte Elinor. »Sie las gerade.«

»Sie muß die Zeit vergessen haben«, sagte die Gräfin. »Sie war die letzten Tage so traurig. Hoffentlich ist sie nicht krank. Denn sie würde nie absichtlich vom Lunch wegbleiben. Ich will sie holen lassen.«

»Ich werde gehen«, sagte Marmaduke eifrig.

»Nein, nein, Duke. Sie müssen die Tafel nicht verlassen. Ich werde ein Mädchen schicken.«

»Ich hole sie noch mal so schnell wie irgendein Mädchen. Warum soll die arme Marian keinen Lunch haben? Ich bin im Nu wieder hier.«

»Was für ein unruhiger, merkwürdiger Mensch er ist!« sagte Lady Sunbury unzufrieden, als Marmaduke hastig das Zimmer verließ. »Die Idee, ein Mann verläßt so die Tafel!«

»Er hat vermutlich seine Gründe«, sagte Elinor.

»Ich denke, es ist ganz natürlich, daß er es tut«, sagte Constance verdrießlich. »Ich sehe nichts Merkwürdiges darin.«

Marmaduke fand Marian lesend in dem Sommerhaus im Obstgarten. Sie sah ihn in mürrischem Erstaunen an, als er sich ihr gegenüber an den Tisch setzte.

»Das ist die erste Gelegenheit, daß ich mit dir allein sprechen kann, seit ich hier bin«, sagte er. »Ich glaube, du hast dich absichtlich von mir ferngehalten.«

»Nun ja, ich war der Ansicht, du brauchtest so viel wie möglich Gelegenheit, mit jemand anders allein zu sprechen. Da half ich dir, soviel ich konnte.«

»Ja, du und die andern, ihr seid ungewöhnlich rücksichtsvoll in dieser Beziehung. Ich danke auch vielmals. Aber ich werde es dir einmal gehörig eintränken, Miß Marian, jetzt, da ich dich allein habe.«

»Mir? Lieber Himmel, was habe ich getan?«

»Was du getan hast? Ich werde dir sagen, was du getan hast. Wie konntest du von allen Menschen auf der Welt gerade Conolly senden, um mir mitzuteilen, daß ich hier in Ungnade sei?«

»Ich hatte niemand anders, Marmaduke.«

»Schön, angenommen, es war sonst keiner da. Angenommen, auf der ganzen Welt außer dir, mir, ihm und Constance und Su – und Constance! Wie konntest du ihm einen solchen Auftrag geben?«

»Warum nicht? Gab es einen besonderen Grund –«

»Einen besonderen Grund! Sagte dir nicht der vernünftige Menschenverstand, daß ein Zusammentreffen zwischen ihm und mir für uns beide ganz besonders unangenehm sein müßte?«

»Nein. Wenigstens, ich –. Marmaduke, ich glaube, du mußt dir nicht einbilden, ich hätte ihm mehr erzählt, als ich es wirklich tat. Ich wußte nicht, wo du wohntest. Und da er nach London ging, und ich glaubte, du kenntest ihn so gut, und da ich sonst keine Möglichkeit hatte, dich zu warnen, so habe ich ihn gewählt. Jasper wird dir erzählen, daß er durchaus vertrauenswürdig ist. Aber alles, was ich sagte – und ich konnte wirklich nicht weniger sagen – war, daß ich fürchtete, du seist in schlechter Gesellschaft oder unter schlechtem Einfluß oder dergleichen, und ich wünschte, du möchtest sofort hierherkommen.«

»Oh, wirklich! Das war alles? Nur, daß ich in schlechter Gesellschaft sei.«

»Ich glaube, ich sagte, unter schlechtem Einfluß. Ich hörte so und habe es damals geglaubt. Hoffentlich ist es nicht wahr. Wenn es nicht wahr ist, bitte ich dich von ganzem Herzen um Verzeihung.«

Marmaduke sah sie eine Weile sehr unfreundlich an, dann sagte er mit dem ganzen Nachdruck eines Mannes, der der äußersten Unvernunft gegenübersteht: »Na, ich bin wirklich verdammt!« – sie zuckte zusammen bei dieser ungehörigen Ausdrucksweise – »du kannst mich aufhängen, wenn ich dich verstehe, Marian«, fuhr er etwas sanfter fort. »Natürlich ist es wahr. Schlechter Einfluß ist natürlich Unsinn. Aber wie verrückt, ihm so etwas ins Gesicht zu sagen. Er wußte ganz gut, daß du seine Schwester meintest. Hallo! Was ist los! Ist dir schlecht?«

»Nein, ich – bekümmere dich nicht um mich.«

»Ich soll mich nicht um dich bekümmern!« sagte Marmaduke. »Warum blickst du denn so drein?«

»Weil – es ist nichts. Ich errötete nur. Sei nicht kindisch, Duke.«

»Errötete! Warum wirst du beim Erröten nicht rot wie die andern Menschen, sondern blaß? Soll ich dir was holen?«

»Nein, nein. O Duke, warum hast du mir das nicht gesagt? Wie konntest du so herzlos sein, uns alle im Dunkeln zu lassen, während wir in seiner Gegenwart jeden Tag über dich sprachen? Oh, sprichst du im Ernst, Duke? Bitte, scherze nicht darüber. Was sagtest du von seiner Schwester? Ich wußte nicht, daß er überhaupt eine hatte. Wer ist sie? Was ist geschehen? Ich meine, als du ihn sahst?«

»Nichts ist geschehen. Ich war beim Grasmähen im Garten. Er kam gerade herein, bot mir guten Morgen, bewunderte das Haus und sagte mir, er käme mit einer Botschaft von dir, und die Sachen ständen hier sehr heiß. Dann ging er fort, so kühl wie möglich. Er schien sich nichts draus zu machen.«

»Und er warnte dich trotz alledem vor der Gefahr?«

»Ich glaube, er tat es mehr deinetwegen als meinetwegen. Und ich glaube, daß er froh war, weil er die Gelegenheit hatte, zu zeigen, wie wenig er sich daraus macht.«

»O Duke, Duke, schämst du dich nicht über dich selbst?«

»Den Teufel schäm' ich mich. Aber ich bin in Verlegenheit, und du mußt mir beistehen. Hör' mal, Marian, ich weiß, du bist ein vernünftiges Mädchen. Dir kann ich doch offen meine Lage erzählen?«

Marian sah ihn ängstlich an und gab keine Antwort.

»Weißt du, du wirst die Dinge nämlich nur noch schlimmer machen, als sie schon waren, wenn du nicht die Wahrheit weißt. Übrigens hab' ich ihr einen Heiratsantrag gemacht, aber bei meiner Seele, sie wollte nicht. Ihr wirklicher Name ist Susanna Conolly: unglücklicherweise seine Schwester.«

»Erzähl' mir nichts mehr, Duke. Es paßt sich nicht.«

»Angenommen, es paßt sich nicht, wie du dich ausdrückst. Aber was soll ich anfangen? Ich muß es dir erzählen, oder du machst unschuldigerweise noch mehr Unheil mit Constance.«

»Als ob ich ihr das sagen würde! Ich verspreche dir, daß sie es nie von mir erfahren wird. Genügt das?«

»Nein, das ist zuviel. Die volle Wahrheit ist, ich mache mir nichts daraus, ob sie es erfährt oder nicht. Ich möchte ihr durchaus zu verstehen geben, ein für allemal, daß ich sie nicht heiraten will.«

»Marmaduke!«

»Nicht, wenn ich fünfzigmal Marmaduke wäre.«

»Dann wirst du ihr das Herz brechen.«

»Hab' keine Angst! Ihr Herz ist sehr zähe, wenn sie überhaupt eins hat. In jedem Falle will ich sie mir nicht aufdrängen lassen, weder durch die Gräfin noch durch jemand anders. Wahrhaftig, Marian, sie haben alle versucht, mich in diese Ehe hineinzuziehen, Constance kann sich nicht beschweren.«

»Nein, wenigstens nicht laut.«

»Weder laut noch leise. Ich hab' ihr nie einen Antrag gemacht.«

»Nun gut, Marmaduke, es hat keinen Zweck, Tante zu tadeln oder dich selbst zu entschuldigen. Wenn du dich entschlossen hast, dann ist die Sache zu Ende.«

»Du darfst aber nicht glauben, daß ich gemein handele. Ich muß alles aufgeben, wenn ich sie aufgebe. Da ist ihr Geld; und dann muß ich mich auch auf einen Streit mit der Familie gefaßt machen, falls man das Projekt nicht still fallen läßt.«

»Und was willst du, das ich für dich tun soll?«

»Ja –. Sieh mal, Marian, sei nicht grausam. Ich bin schlecht behandelt worden in dieser Angelegenheit. Sie haben mich hineingezwungen. Ich tat alles, was ich konnte, um es zu verhindern. Man hat sie mir an den Hals geworfen. Übrigens wollte ich mich wirklich eines Tages mit ihr verheiraten. Ich fand erst aus, was für ein fader, kleiner Narr sie ist, als ich eine Frau von Geschmack hatte, um sie damit zu vergleichen.«

»Sprich nicht so häßlich über sie. Ich denke, wie die Sache liegt, kannst du etwas Mitgefühl gegen sie haben.«

»Hm! Ich habe nicht viel Mitgefühl mit ihr. Die letzten paar Tage hat sie wie eine Klette an mir gehangen. Unsere besseren jungen Damen halten wunders was von sich, aber – vielleicht mit Ausnahme von dir und Nelly – weiß ich keine Frau in der Gesellschaft, die soviel Verstand in ihrem ganzen Körper hat als Susanna Conolly in ihrem kleinen Fingernagel. Ich weiß nicht, woher zum Henker ihr die Dreistigkeit habt, von Männern zu erwarten, daß sie sich mit euch unterhalten oder euch gar heiraten.«

»Vielleicht gibt es etwas, was ehrenhafte Männer höher schätzen als Klugheit.«

»Ich möchte wissen, was es ist. Wenn die Damen etwas haben, was Susanna nicht hat, so ist es weder Schönheit noch Geschmack. Wenn Conny anständig ist und Susanna nicht, dann ziehe ich Unanst–«

»Still, Duke, du hast kein Recht, zu mir in einer solchen Sprache zu reden. Wir wollen lieber an die arme Constance denken. Wie soll man ihr die Wahrheit beibringen?«

»Laß sie sie von selbst finden. Ich werde sobald wie möglich nach London zurückkehren, und die Angelegenheit wird auf die eine oder die andere Weise zum Schluß kommen. Sie wird mich ganz und gar vergessen.«

»Stets unbekümmert, Marmaduke. Ich glaube, wenn Vernachlässigung und Fernbleiben sie dazu bringen könnten, dich zu vergessen, dann wärst du schon lange vergessen.«

»Ja. Du mußt also zugeben, daß ich alles mögliche getan habe, um sie zu verhindern, sich in mich zu verlieben.«

»Ich fürchte, du bist immer nur deiner Laune gefolgt, sowohl wenn du sie vernachlässigt, als wenn du ihr Aufmerksamkeiten erwiesen hast. Je mehr du dich zu entschuldigen suchst, desto unentschuldbarer erscheint dein Benehmen. Ich weiß nicht, was ich dir raten soll. Wenn man es Constance erzählt, und du vergißt eines Tages diese ganze gegenwärtige Verblendung, dann ist eine Menge Unheil und Elend umsonst herbeigeführt worden. Wenn man es ihr nicht erzählt, dann setzest du eine grausame Täuschung fort, und sie verschwendet alle Aussichten, sich – aber sie wird nie jemand anders haben wollen.«

»Mach' es nur so, wie ich sage. Laß die Dinge im Augenblick gehen. Aber denke dran, du brauchst nicht darauf zu rechnen, daß ich meine Absichten ändere. Ich will sie nicht heiraten.«

»Ich wollte, du hättest mir gar nichts davon erzählt.«

»Ja, Marian, das mußte ich. Ich weiß natürlich, daß du nur auf unser aller Glück bedacht warst. Aber du hast diese Verbindung begünstigt und sie in Constances Gemüt, soviel du konntest, gepflegt. Nebenbei – obgleich du nicht dafür konntest – dein Mißgriff mit Conolly war zu ernsthaft, als daß ich dich nicht aufklären mußte. Sei nicht niedergeschlagen, ich tadele dich durchaus nicht.«

»Mir scheint, daß die schlimmste Absicht von der Welt immer die richtigste ist. Nelly und Jasper hatten recht in ihrer Ansicht über dich.«

»Aha! Dann sahen sie also ein, was ich fühlte. Du kannst nicht sagen, ich hätte meine Ansichten nicht deutlich genug für jede vorurteilslose Person gezeigt. Die Gräfin war entschlossen, Constance loszuwerden, Constance war entschlossen, mich zu bekommen, und du warst entschlossen, für deine Ansichten über Liebe und Zuckerkirschen einzutreten.«

»Ich war entschlossen, für dich einzutreten, Marmaduke.«

»Sei nicht unwillig: ich wußte, du wolltest auf deine Art für mich eintreten. Aber was ich zeigen wollte, ist, daß nur drei Menschen an meine ernsthaften Absichten glaubten, und diese drei hatten alle Vorurteile.«

»Ich wollte, du hättest Constance aufgeklärt und dafür alle andern getäuscht. Zweifellos habe ich mich geirrt, stark geirrt. Das tut mir sehr leid.«

»Pah! Das macht nichts. Das geht alles einmal vorüber. Still, ich höre die Gartentür aufgehen. Es ist Constance, sie will spionieren, was ich hier bei dir mache. Sie ist so eifersüchtig wie ein Krokodil – gestern machte sie mir fast eine Szene, weil ich mit Nelly gegen sie beim Tennis spielte. Ich muß mit ihr heute nachmittag nach Bushy Copse fahren, es ist verdammt.«

»Und das willst du, nach allem, was du mir gerade gestanden hast?«

»Ich muß. Nebenbei, Jasper erzählte, daß Conolly heute abend kommen wird, um seine Koffer zu packen und zu gehen; und ich will ihm nicht in den Weg laufen, wenn er hier ist.«

»Heute abend!«

»Ja. Unter uns gesagt, Marian, Susanna und ich waren so außer uns über die kühle Art seines Benehmens, als er uns besuchte, daß wir nach seinem Fortgehen einen regelrechten Streit bekamen, der noch nicht geschlichtet ist.«

»Bitte, erzähle mir nichts davon, Duke. Hier kommt Constance.«

»Ach, hier seid ihr«, sagte Constance fröhlich, aber mit einem schnellen Blick auf die beiden. »Das ist eine hübsche Art, deine Kusine zum Lunch herzubringen, mein Herr.«

»Wir haben über dich geplaudert, meine Einzigste«, sagte Marmaduke; »und der Gegenstand war so angenehm, und die Augenblicke flohen so schnell dahin, daß wir fast eine Stunde so in aller Ruhe erzählten. Nicht wahr, Marian.«

»Zur Strafe sollst du keinen Lunch haben. Mama ist sehr böse auf euch beide.«

»Ich bin stets bereit, mich bei ihr zu entschuldigen, Conny, vorausgesetzt, daß sie dich schickt, mich zurechtzuweisen. Warum trägst du deinen Hut nicht besser?« Er setzte ihr, während er sprach, den Hut zurecht. Constance lachte und errötete. Marian schüttelte sich. »So, jetzt bist du ganz das phantasiegeträumte Du: du bist lieblich, du bist göttlich. Bist du fertig für Bushy Copse?«

Constance antwortete, indem sie sang:

»O, ganz, wie Sie wünschen, mein Herr, sie sprach: Herr, sie sprach; Herr, sie sprach:
O, ganz, wie Sie wü–ünschen, mein Herr, sie sprach.«

»Dann komm mit. Die Dame geht vor«, sagte er, indem er ihre Ellenbogen nahm, als ob sie die Arme eines Schubkarrens wären, und sie durch den engen Eingang des Sommerhauses vor sich herschob. An der Türschwelle wandte er sich noch einmal um und begegnete Marians vorwurfsvollem Blick mit einem Zunicken. Er grinste und verschwand.

Marian saß noch eine halbe Stunde allein im Sommerhaus und grübelte über den Mißgriff, den sie getan. Dann kehrte sie nach Hall zurück, wo ihr ein Mädchen mitteilte, daß Lady Sunbury mit Marmaduke und Constance nach Bushy Copse gegangen war, und daß Miß McQuench in der Bibliothek wartete. Marian ging dorthin und berichtete ihrer Kusine alles, was im Sommerhause geschehen war. Elinor hörte ihr zu, während sie auf einem Schaukelstuhl saß und rastlos ihre vorgestreckten Füße gegeneinander klappte. Als sie von Conollys Verwandtschaft zu Susanna hörte, saß sie einen Augenblick ruhig da und sah Marian mit weitgeöffneten Augen an. Dann nahm sie mit einem scharfen Lachen ihre Bewegung wieder auf. Sie machte keine Bemerkung zu Marmadukes Weigerung, Constance zu heiraten. Erst als Marian sie fragte, ob sie nicht völlig entsetzt über ihn sei, antwortete sie:

»Gewiß nicht. Ich hab' es stets gesagt. Ich hab' es immer wieder und wieder gesagt.«

»Das weiß ich, aber ich glaubte nicht, du sprächest im Ernst.«

»Ja, du begreifst nie, daß ich im Ernst bin, wenn meine Ansichten von den deinigen abweichen, bis die Ereignisse mir dann recht geben.«

»Ich fürchte, es wird Constance töten.«

»Fürchte nichts, Marian!« schrie Elinor und gab ihrem Stuhl einen heftigen Schwung.

»Ich bin ganz im Ernst. Du weißt, wie zart sie ist.«

»Ja, wenn sie an einem Gefühl stirbt, wird es das der verletzten Eitelkeit sein. Es geschieht ihr recht, weil sie damit einverstanden war, daß man einen Mann zu einer Ehe mit ihr zwang. Ich glaube, sie weiß im Innersten ganz gut, daß er sich nichts aus ihr macht. Warum ist sie sonst eifersüchtig auf mich, auf dich, auf jeden Menschen.«

»Es scheint mir, als ob ihr beide, du und Marmaduke, statt mit dem unglücklichen Mädchen Sympathie zu haben, noch an ihrem Elend Freude habt.«

»Sie tut mir leid, die arme, elende Kreatur. Aber ich habe keine Sympathie für sie. Sie ist eine armselige Närrin, die sich eine Grube gegraben hat und hineingefallen ist. Marmaduke tut mir gar nicht leid: wenn ihn die ganze Familie schneidet, geschieht ihm nur recht. Aber mit ihm sympathisiere ich. Wunderst du dich, daß ich ihn vorziehe? Als wir letzten Juni uns dieses Weib ansahen, habe ich ihn beneidet. Da stand sie, tüchtig, unabhängig, erfolgreich, sich behauptend in der Welt, imstande, sich selbst zu ernähren und eine Menge Menschen bezaubernd, während wir armseligen, achtbaren Nullen dasaßen und uns stellten, als ob wir sie verachteten – wir, die wir doch nur darauf warten, bis ein Mann, der einen weiblichen Sklaven braucht, uns Kost und Unterkunft anbietet und das Recht gibt, für unsere lebenslänglichen Dienste seinen adeligen Namen mit ›Missis‹ davor zu führen. Du kannst mir mit so vielen Backfischgeschichten kommen, wie du willst, aber ich bestreite, daß du mir einen Grund sagen kannst, warum sich Marmaduke für immer an so ein kleines, nichtiges Ding wie Constance ketten soll, wenn er sich der Gesellschaft einer tüchtigen Frau erfreuen kann, die auf ihre Art ein Genie ist.«

»Unsinn, Nelly! Du solltest wirklich nicht so etwas sagen!«

»Ja. Ich sollte beide Augen fest geschlossen halten, damit ich zufrieden auf dem Platze bleibe, auf den mich Gott gestellt hat.«

»Stelle dir nur vor, daß er ihr einen Antrag gemacht hat, Nelly! Ich bin geradeso schlecht wie du. Denn ich bin ganz glücklich, daß sie ihn abgewiesen hat; obgleich ich nicht begreife, warum sie das tat.«

»Vielleicht«, sagte Miß McQuench und wurde erregt, »weigerte sie sich, weil sie zuviel Geschmack besaß: ja, und zuviel hergebrachte Sittsamkeit, um es anzunehmen. Es ist ja sehr gut für uns glückliche, zu nichts nütze Geschöpfe, daß wir zur Prostitution unsere Zuflucht nehmen –«

»O Nelly!«

»– Ich sage, zur Prostitution, um uns ein Heim und ein Einkommen zu verschaffen. Neulich hat es einer offen im Parlament ausgesprochen, die Ehe sei das wahre Geschäft der Frauen. Sie ist auch ein Geschäft, und davon abgesehen, daß sie ein schwieriger Handel für beide Parteien ist, und daß die Gesellschaft für sie eintritt, sehe ich nicht ein, worin sie sich von dem unterscheidet, was wir – Gott segne unsere tugendhafte Entrüstung! – als Prostitution brandmarken. Ich werde mich niemals verheiraten, das kann ich dir sagen, Marian. Ich würde eher sterben, ehe ich mich für immer an einen Mann verkaufte und vor einem Haufen Volk in der Kirche stände, während George oder sonst jemand diese zynische, offenherzige Eheschließung ausspräche.«

»Höre auf, Nelly! Bitte, höre auf! Wenn du nur einen Augenblick nachgedacht hättest, würdest du nie solche schrecklichen Worte gesprochen haben.«

»Ich dachte, wir wären uns schon längst darüber einig, daß Heiraten ein Fehler ist.«

»Ja, aber das ist sehr verschieden von dem, was du jetzt sagtest.«

»Ich sehe nicht ein –«

»Bitte, stille, Nelly. Sprich nicht wieder in diesem Tone. Es ist nicht recht, und es macht mich ganz elend.«

»Schön, wenn du irgend etwas gegen meine Ansichten einzuwenden hättest, würdest du mir nicht Schweigen gebieten. Übrigens, wenn du von Conollys armer Schwester wie von einem lasterhaften Ungeheuer sprichst, muß ich sie denn doch verteidigen.«

»Wenn ich doch nur so vernünftig gewesen wäre, von ihr nicht zu sprechen, als George herunterkam! Wenn ich doch nur gewußt hätte!«

»Wie? Hast du sie vor ihm heruntergemacht? Das hast du mir ja noch gar nicht erzählt.«

»Ja, zuerst sagte ich etwas über ihre Tüchtigkeit; und dann fürchtete ich so sehr, er möchte glauben, ich bewunderte sie, und mich deshalb geringschätzen, daß ich mir alle Mühe gab, ihn zu überzeugen, ich hätte einen Abscheu vor ihr – was auch wirklich der Fall ist. Lache nicht. Wenn du meine Ansichten darüber kenntest, würdest du es nicht tun.«

»Ich fange an, sehr zu zweifeln, welche Ansichten ich über Conolly selber habe, Marian.«

»Warum?«

»Nun, das ist gleichgültig. Wenn du dich einmal in ihn verlieben solltest, mußt du es mir erzählen, nicht wahr?«

»Oh, wer macht jetzt Geschichten aus gar nichts, Nelly?«

»Ich nicht. Ich habe dich einfach nur etwas gefragt. Das einzige, was dazu gehört, einer Frau Liebe einzuflößen, ist Männlichkeit. Conolly hat das, und er könnte für einen Aristokraten gelten, wenn er seine Arbeitsinteressen aufgäbe. Er ist ein wackrer Bursche, wie man in der guten alten Zeit zu sagen pflegte. Übrigens, was schadet ein kleiner Rangunterschied? Man erzählt, daß man die Mutter der Gräfin in ein Asyl hat sperren müssen, weil sie sich immer in ihre Diener verliebte.«

Marian erhob sich und wandte sich verachtungsvoll zum Fenster.

»Ich bin häßlich heute, nicht wahr?« fuhr Elinor sanft fort. »Aber ich verstehe deinen Seelenzustand sehr gut. Aber womit soll ich dich trösten? Der Schaden ist nun einmal nicht zu heilen. Und je mehr ich ihn ans Licht ziehe, desto unsympathischer erscheine ich. Weißt du, daß Conolly heute nachmittag hierherkommt, um Jasper adieu zu sagen und sein Gepäck abzuholen?«

»Marmaduke erzählte es mir.«

»Wir werden ihn, glaube ich, nicht mehr wiedersehen; was schadet es da, was geschehen ist! Außer um deinetwillen tut es mir leid, daß er geht. Er ist das einzige menschliche Wesen hier, das nicht lästig ist. Wie ich die Mittelklassen um all ihre tüchtigen Menschen beneide.«

»Ja, wir werden unsere Vormittage im Laboratorium vermissen.«

»Warum? Können wir nicht mehr hingehen? Jasper ist doch da.«

»Natürlich, das vergaß ich.«

»Wirklich? Nun, nehmen wir einmal an, er besäße die Frechheit, dir einen Antrag zu machen, welche Antwort würdest du ihm geben, Marian?«

»Wem? Jasper?«

»Nein, nicht Jasper. Conolly!?«

»Wenn er sich jemals verheiratet, wird er sich nach einer nützlicheren und besser erzogenen Frau umschauen, als ich es bin.«

»Wirklich, du glaubst, er würde sich nicht herablassen.«

»Ich glaube – doch was reden wir für einen Unsinn, Nelly. Raten, was geschehen würde, wenn etwa Herr Soundso einen Antrag machte, das wollen wir den Hausmädchen überlassen. Was willst du diesen Nachmittag anfangen?«

»Ich werde schreiben. Ich habe ein großes Verlangen, heute zu schreiben, und ich betrachte es als ein Geschenk der Vorsehung, daß die Gräfin und Constance nicht da sind.«

»Ich wollte, es wäre morgen. Ich bin ganz verschlissen, ach ja! Ich werde etwas spazierengehn, während du unser beider Glück mit der Feder machst.«

Es war ein schöner Nachmittag, und Marian wandelte umher, bis die Sonne den Horizont berührte. Als sie müde durch die Pflanzung zurückkehrte, wurde sie durch das Glühen des Abends und den leisen Wind, der durch die Zweige strich und die Blätter herabstreifte, in verlorenes Vorgefühl von Ruhe und Schlaf eingehüllt. Ein Geräusch, das jemand machte, der schnell den Weg hinter ihr herkam, störte sie in unangenehmer Weise. Sie schaute zurück, aber da sie gerade die Biegung passiert hatte, konnte sie nicht erkennen, wer da näher kam. Dann kam ihr der Gedanke, es könnte wohl Conolly sein. Da sie nach dem, was geschehen war, vor einer Begegnung mit ihm Angst hatte, stahl sie sich etwas zur Seite unter die Bäume und setzte sich auf einen Stein, in der Hoffnung, er möchte vorbeigehen, ohne sie zu sehen. Den nächsten Augenblick kam er um die Wegbiegung. Er sah so entschlossen und frisch aus, daß ihr Herz verzagte, als sie ihn anblickte. Gerade gegenüber der Stelle, an der sie saß, hielt er inne. Er konnte jetzt auf einige Entfernung den Weg vor sich klar übersehen und schien erstaunt. Marian hielt den Atem an. Er blickte nach links durch die Bäume, dann nach rechts, wo sie war.

»Guten Abend, Miß Lind«, sagte er ehrerbietig und zog seinen Hut.

»Guten Abend«, sagte sie zitternd.

»Sie sehen nicht sehr gut aus.«

»Ich bin so weit gegangen und fühle mich etwas ermüdet. Darum habe ich mich auch hingesetzt. Ich werde mich gleich wieder erholt haben.«

Conolly setzte sich Marian gegenüber auf einen gefällten Baumstamm. »Das ist mein letzter Besuch in Sunbury Park«, sagte er. »Ohne Zweifel wissen Sie, daß ich für immer fortgehe.«

»Ja«, sagte Marian. »Ich – ich bin Ihnen sehr verbunden für alle die Mühe, die Sie sich mit mir im Laboratorium gegeben haben. Sie waren sehr geduldig. Ich glaube, ich habe Ihnen oft unvernünftigerweise die Zeit gestohlen.«

»Nein«, sagte Conolly ungezwungen. »Sie haben mir nicht die Zeit gestohlen: das lass' ich mir von niemand tun. Meine Zeit gehört Lord Jasper, nicht mir. Aber das ist Nebensache. Ich hatte das Vergnügen, Ihnen Unterricht zu geben. Aber obgleich ich der empfangende Teil war, muß ich Ihnen verbindlich sein.«

»Es war sehr interessant.«

»Ich glaube, da Sie mir einmal ein edelmütiges Anerbieten bezüglich meiner Arbeit gemacht haben, so bin ich wohl verpflichtet, Ihnen mitzuteilen, daß ich endlich etwas erreicht habe. Es ist jetzt noch ein Geheimnis, aber wenn mich die elenden Patentgesetze nicht zugrunde richten, werde ich wohl binnen kurzem einiges Aufsehen in der Welt erregen.«

»Das freut mich sehr zu hören. Ich hoffe, Sie werden mich aber auch beim Wort halten.«

»Es tut mir halb leid, daß ich es nicht nötig habe. Ich möchte, ich stände mit meiner Erfindung irgendwie in Ihrer Schuld. Aber nach allem ist es Ihre Bereitwilligkeit und nicht die Tat, die mich ermutigt. Darf ich Sie fragen, ob Mister Marmaduke Lind gekommen ist?«

Marian, die gerade angefangen hatte, sich wohl zu fühlen, errötete und bekam einen Schwindelanfall.

»Ich möchte es vermeiden, mit ihm zusammenzutreffen,« fuhr Conolly fort, »und vielleicht wissen Sie genug von dem, was er für heute abend vor hat, um mir dabei zu helfen. Es macht nicht viel aus, aber ich habe einen Grund.«

Marian fühlte einen Krampf in der Kehle, als sie zu sprechen versuchte. Aber sie überwand ihn und sagte:

»Mister Conolly, ich kenne Ihren Grund. Ich habe ihn vorher nicht gewußt und bin auch sicher, daß Sie es nicht anders von mir annehmen. Ich habe einen schrecklichen Verstoß begangen.«

»Warum!« sagte Conolly, etwas unwillig, »wer hat es Ihnen seitdem erzählt?«

»Marmaduke«, sagte Marian, indem sie die Energie des Fragenden zu einer schnellen Antwort trieb. »Er wollte nicht indiskret sein. Er dachte, ich wüßte es.«

»Dachte! Er hat noch nie in seinem Leben einen Gedanken gehabt, Miß Lind. Aber es freut mich um meiner selbst willen, daß Sie die Wahrheit wissen, denn es erklärt mein seltsames Benehmen, als wir uns das letztemal trafen. Ich wußte von dem Geschehenen nichts, bis Sie es mir unschuldigerweise verrieten. Und dann fiel ich unter dem Einfluß einer unterdrückten Erregung auf alte Theatertricks, die ich als Kind aufgeschnappt habe. Sie müssen mich entschuldigen, Miß Lind. Sie wissen, ich bin kein Gentleman. Auf der Straße und in der Oper wuchs ich auf, und wenn ich meine gewöhnliche Fassung verliere, greife ich instinktiv nach der alten Manieriertheit des Don Alfonso und dergleichen.«

»Sie sind sehr nachsichtig, hoffentlich halten Sie mich nicht für aufdringlich, wenn ich Ihnen sage, wie außerordentlich es mir leid tut, daß Ihnen dieses Unglück zugestoßen ist.«

»Welches Unglück?«

Marian verlor wieder ihr Selbstvertrauen und sah ihn in schweigender Bestürzung an.

»Sicherlich«, fiel er schnell ein, »weiß ich es. Aber Sie haben es mir ganz aus dem Kopf gebracht. Ich bin Ihnen sehr verbunden. Nicht, als ob ich mich viel darum kümmere. Sie werden das vielleicht als ein Beispiel für die gewöhnliche Gesinnung meiner Klasse ansehen, Miß Lind. Aber ich bin keiner von den Menschen, die aus Liebe zu ihren Verwandten von diesen denken, sie ständen außerhalb des natürlichen Verlaufs der Dinge. Ich wußte, was eines Tages kommen würde, obgleich, wie gewöhnlich, meine Voraussicht mich nicht vor einer kleineren Erregtheit bewahrte, als das Ereignis eintrat. Sie kennen den Beruf meiner Schwester. Sie haben mir gesagt, was Sie empfanden, als Sie sie spielen sahen – und es wird Sie beruhigen, wenn ich Ihnen gestehe, daß ich selbst fast ebenso empfand, als ich sie auftreten sah. Und nun sagen Sie mir offen und ohne sich lange zu überlegen, ob mich Ihre Antwort persönlich trifft, möchten Sie sie überhaupt im Privatleben kennenlernen, wenn Sie auch nichts von ihrer ungünstigen Lage gehört hätten? Würden Sie sie in Ihr Haus einladen oder zu einer Gesellschaft gehen, in der sie sich voraussichtlich befinden würde? Würden Sie ihr junge Damen vorstellen, wie Sie sie Miß McQuench vorstellen würden? Halten Sie sich nicht dabei auf, sich außergewöhnliche Gelegenheiten vorzustellen, unter denen Sie so etwas tun könnten. Sagen Sie mir ja oder nein, würden Sie es tun?«

»Sie wissen, Mister Conolly, daß ich wirklich nie eine Gelegenheit hätte, das zu tun.«

»Erlauben Sie, Miß Lind, das heißt nein. Ehrlich gesagt nun, was hat Susanna zu verlieren, wenn sie sich an Ihre Sittenregeln nicht kehrt? Selbst wenn sie durch eine Heirat sich den Ansichten Ihrer Klasse unterwürfe, sie würde dadurch nur einem Mann das Recht geben, sie zu mißhandeln und ihr Geld auszugeben, ohne daß sie selbst dafür ein Entgelt empfinge. Ihres Trauscheins wegen würden Sie nicht mit ihr verkehren. Natürlich habe ich ihre Selbstachtung ganz außer Betracht gelassen, weil das, wie ich denke, nur sie selbst und ihr Gewissen angeht, uns aber nicht kümmern kann. Glauben Sie mir, weder Künstlerinnen noch sonst Menschen kümmern sich um die Ansicht einer Gesellschaft, die absolut nichts von ihnen wissen will. Vielleicht ist es unpassend, daß ich mit Ihnen hierüber rede, aber nach Ihrer Erziehung denken Sie das Schlimmste von meiner Schwester, und ich fühle mich verpflichtet, Ihnen mitzuteilen, daß sich auch etwas zu ihren Gunsten sagen läßt. Ich habe kein Recht, sie zu tadeln, denn sie hat mir nichts zuleid getan. Ihre Aufführung könnte nur insofern meine Aussichten beeinflussen, weil sie eine nicht erwünschte Schwägerin wäre, wenn ich einmal heiratete.«

»Wenn die Dame, die Sie wählen, deswegen schwankt, so können Sie sie ohne Bedauern gehen lassen«, sagte Marian. »Sie wäre Ihrer Betrachtung nicht würdig.«

»Ich bin dessen nicht so sicher«, sagte Conolly lachend. »Sehen Sie, Miß Lind, wenn meine Erfindung durchschlägt, werde ich möglicherweise ein berühmter Mann; und es ist heutzutage in der Gesellschaft Mode, Genies zu protegieren, die einige neue Dinge herausbringen von dem, was die Leute die Wunder der Wissenschaft nennen. Ich bin ehrgeizig. Als Berühmtheit könnte ich vielleicht die Zuneigung einer Herzogin gewinnen, wer weiß das?«

»Ich würde Ihnen nicht raten, eine Herzogin zu heiraten. Ich kenne nicht viele und bin eine verhältnismäßig niedriggestellte Person. Aber ich glaube sicher, Sie würden sie nicht leiden können.«

»Jawohl. Und möglicherweise würde auch eine Dame von vornehmer Herkunft mich nicht leiden mögen.«

»Im Gegenteil, tüchtige Menschen sind in der Gesellschaft so selten, daß Sie, glaube ich, bessere Aussicht haben als die meisten Männer.«

»Glauben Sie, mein Benehmen würde durchgehen? Ich habe Tanzen und Verbeugungen von dem erfahrensten Meister in Europa gelernt, bevor ich noch zwölf Jahre alt war, und ich verkehrte mit allen Gräfinnen, Herzoginnen und Königinnen in der Operngesellschaft meines Vaters, ohne die feinen Leute zu erwähnen, die ich in Romanen kennenlernte.«

»Sie machen sich lustig, Mister Conolly. Ich glaube nicht, daß man Ihre Manieren im geringsten beanstanden könnte.«

»Und Sie glauben, daß ich mir mit der Zeit – falls ich sonst in der Öffentlichkeit Erfolg habe – auf die Hand einer Lady Hoffnung machen kann?«

»Gewiß, Sie kennen soviel von der Welt wie ich. Warum sollten Sie keine Lady heiraten, wenn Sie Lust hätten?«

»Ich glaube, schließlich wird das Klassenvorurteil doch zu stark für mich sein.«

»Ich glaube nicht. Wieviel Uhr ist es jetzt, Mister Conolly?«

»Es fehlen zehn Minuten bis sieben.«

»Oh!« rief Marian und erhob sich. »Miß McQuench vermutet gewiß, ich sei ertrunken und verloren. Ich muß nach Hall zurück, so schnell, wie ich kann. Sie sind jetzt schon von Bushy Copse zurück, und sie haben sicher nach mir gefragt.«

Conolly erhob sich schweigend und ging mit ihr bis zur Stelle, an der sich der Pfad in zwei Arme schied.

»Dies ist mein Weg, Miß Lind«, sagte er. »Ich muß zum Laboratorium. Wollen Sie so gütig sein, mich Miß McQuench zu empfehlen. Ich werde sie nicht mehr sehen, denn ich muß mit dem letzten Nachtzug zur Stadt zurückkehren.«

»Und Sie kommen nicht zurück – überhaupt nicht, meine ich?«

»Gar nicht.«

»Oh«, sagte Marian langsam.

»Es tut mir leid, daß ich meinen Unterricht nicht mehr weiterführen kann, aber Lord Jasper wird gern meinen Platz übernehmen.«

»Es ist schade, daß Sie gehen. Ich hätte gerne die Stunden fortgesetzt.«

»Da Sie so gütig sind, mir das zu sagen, werden Sie mir vielleicht auch erlauben, wenn ich Sie in Zukunft einmal durch Zufall treffe, mich nach Ihren Fortschritten in der Elektrotechnik zu erkundigen.«

»Aber sicherlich. Sie dürfen Ihre alten Freunde nicht vergessen, wenn Sie berühmt sind.«

»Ich werde sie nicht vergessen. Aber ich darf Sie nicht vom Diner abhalten, adieu, Miß Lind.«

Er wollte wie gewöhnlich seinen Hut ziehen, aber Marian reichte ihm lächelnd ihre Hand. Er nahm sie zum erstenmal, sah sie einen Augenblick ernst an und ging weg.

Um nicht einer den andern dabei zu überraschen, sahen sich beide nicht um, als sie ihre verschiedenen Wege gingen.


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