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Bereits am folgenden Nachmittag lag Bichette, in einen gelbseidenen Peignoir gehüllt, auf einem Balkon des Hotel Ruhl und betrachtete spöttisch das Treiben auf dem Quai und die kleinen Boote auf dem Meer.
Fec, den die Mühen des Wohnungswechsels sehr müde und teilnahmslos gemacht hatten, saß, den Kopf in den Händen, die Augen stumpf ins Leere gerichtet, zufällig so, daß Bichette ihm den Rücken zukehrte. So daß er jäh zurückwich, als sie ihm ganz unerwartet ihr Gesicht zuwandte, das eigenartig zuckte. Nur ihre Augen standen still und leuchteten kalt.
Nach einiger Zeit, die beide viel länger däuchte als sie war, bemerkten sie, daß sie einander in die Augen schauten.
Fec hielt seinen Blick fest in dem ihren.
Bichette kämpfte sekundenlang mit ihrem Gesicht. Es war, als zwänge sie mit größter Anstrengung einen bestimmten Ausdruck nieder. Eine fremde Farbe entstand auf ihren Schläfen. »Was hast du, hein?«
Ganz von der Heftigkeit ihres Gesichts erfüllt, vergaß Fec, zu antworten.
Bichette versetzte ihm einen schmerzhaften Stoß in die Rippen.
Fec fuhr verblüfft zurück. »Was ist denn los ...?«
Bichettes Lippen verrissen sich nach unten. »Du hast heute etwas.«
Fec rieb sich, unwillig lächelnd, die schmerzende Seite. »Du hast etwas.«
»Ich?« Bichette schlug sich mit den Fingern unters Kinn. »Du hast etwas.«
»Eh ben, was.«
»Schlingue!« Bichette, die fühlte, daß sie sitzend unweigerlich sagen würde, was sie keinesfalls sagen wollte, stand rasch auf und trat ins Zimmer.
Fec sah ihr kopfschüttelnd nach. »Bichette, komm her!«
Sie kam nicht, sondern setzte sich, um sich zu coiffieren.
Fec trat schnell hinter sie. »Gefällt dir dieses Leben nicht? Langweilst du dich?«
»Nein. Es gefällt mir.«
»Oder haben dir meine Erzählungen den Elan genommen.«
Bichette legte sich seinen Arm um den Nacken, während sie mit der andern Hand die Brennscheere über der Flamme drehte. »Muß ich Ihnen wirklich noch sagen, Herr Baron, wie sehr ich mich über die Wiederkehr Ihres Appetits freue? Und darüber, was Sie schon alles ausgefressen haben? Ohne Laugiers indirekte Bestätigungen hätte ich vieles von dem, was Sie mir heute nacht erzählten, vielleicht doch nicht geglaubt.«
Fec, der vergeblich versuchte, sich nicht geschmeichelt zu fühlen, stutzte. »Man könnte dich ja schon sprechen lassen. Das wußte ich gar nicht, daß du ...«
»Bah, weißt noch manches nicht.« Bichette schob, höhnischer lachend als es dem Augenblick entsprach, Fecs Arm fort. »Die Ballots, die solche Geschenke machen, reden keinen Jars. Außerdem war ich zwei Jahre in einem Pensionat.«
»In einem Pensionat? Du?« Fec lachte schallend.
Bichette zog summend die Brennscheere aus den Haaren.
»Da hab ich ja auch keinen schlechten Griff mit dir gemacht.«
»Schnock!«
»Aber das mußt du mir erzählen.« Fec lachte immer noch.
»A la Saint Glinglin.« Bichette kämmte sich heftig. »Du bist vielleicht überhaupt nur wieder einmal besoffen, hein?«
»Bedaure.«
»Was ist mein Létsch wert?«
Fec schwieg betroffen längere Zeit, bevor er langsam antwortete: »Von den verkauften Stücken und denen, die du zur Toilette brauchst, abgesehen, dürften es etwa 45 000 Francs sein.«
Bichette warf den Kamm auf den Marmor. »Mehr als alle deine Weiber gehabt haben.«
»Aber Bichette, du bist ja ...« Fec nahm mit beiden Händen ihre nackte Achsel in den Mund. »Das ist ja ...«
»Guips ist das.« Bichette sprang auf. »Guips!« Sie umkrallte Fecs Hals, schüttelte ihn, daß sein Kopf wackelte, und blies ihm lachend in die Augen.
Es klopfte.
Der Zimmerkellner brachte eine Visitkarte.
*
Nachdem Laugier sich verabschiedet hatte, nicht ohne vorher zum Diner eingeladen worden zu sein, gingen Fec und Bichette Arm in Arm auf dem Quai spazieren.
Sie erregten Sensation. Ein österreichischer Graf wies mit dem Stock auf das Paar und errötete über seine Taktlosigkeit.
Fec lächelte spitz. »Laugier ist bereits vernarrt in dich. Umsomehr, als er dich für seriös hält.«
Bichette gelang es, eine jener Körperwindungen zu unterlassen, deren Hohn so Manchen auf dem Montmartre hatte erbleichen lassen. »Seriös?« zirpte sie schließlich.
»Ich habe ihm zudem heute erzählt, daß ich dein Erster bin. Wenn wir uns für verheiratet ausgäben, wäre der Reiz um vieles kleiner. Es ist ein ganz immenser Vorteil, ein Liebespaar zu sein. Das hebt unser beider Renommée auch ins Wolkige und überzieht uns gewissermaßen mit Leim.«
»Hein?« Bichette, die irgendetwas zu ärgern schien, tat so, als hätte sie nicht verstanden.
Fec hatte die Absichtlichkeit ihrer Frage gemerkt. »Mit Leim,« wiederholte er deshalb scharf. »Auf den Leute gehen sollen, Leute ... Laugier ist bereits – gegangen.« Es machte ihm nun aber doch Mühe, den beabsichtigten sachlichen Ton zu finden, der ihm unerklärlicher Weise ebendeshalb gelang. »Er kennt Flinsparker. Von dem ... von dem läßt du dich – mir wegnehmen. Ça y est.«
Bichette empfand ein leichtes krampfähnliches Zusammenziehen der Kehle. Sie streichelte, wie um Falten zu glätten, ihre straffen Brüste. »Der mit den weißen Haaren und dem schwarz gefärbten Schnurrbart?« Ihre Stimme war so klein, daß Fec sicherlich aufmerksam geworden wäre, hätte nicht eine heftige Brise vom Meer her sie verweht.
Fecs Nase zuckte. »Meine Absicht ist ...«
»Sag mir das später!«
Als er es ihr auf einer Bank der Place Massena sagte, hörte Bichette schweigend zu, stellte dann einige zweckdienliche Fragen und erhob sich plötzlich.
»Willst du hier Blüten treiben?«
Fec stand langsam auf, ein wenig verwundert.
In diesem Augenblick stieß Bichette einem dahertrottenden Jagdhund mit dem Fuß in die Flanke, so daß er aufheulend auf sie losfuhr.
Bichette wich ihm geschickt aus.
Fec trat schnell dem Hund entgegen, der sich scheu wedelnd entfernte.
*
Zum Diner erschienen sie wieder in der Salle privée der Jetée. Bei ihrem Eintritt brach das Orchester sofort ab und begann die Valse brune, welche Bichette am Abend vorher sich hatte zweimal spielen lassen.
Der Champagner stand kaum auf dem Tisch, als auch schon das Defilée sich wiederholte. Die ambulanten Damen passierten mit neugierigen Blicken, die sie oft gar nicht zu verbergen für nötig erachteten, unterhalb der Ballustrade vorbei. Die Herren hielten sich in respektvoller Entfernung, aber stets so, daß sie das interessante Paar im Auge hatten. Nur einige wenige machten, von ihrer Unwiderstehlichkeit durchdrungen, sich in der Nähe Bichettes zu schaffen.
Man wußte bereits, daß Bichette nur mit ihrem Freund tanzte oder mit Berufstänzern, die er beim Weggehen gut bezahlte. Fec hielt viel auf diese Gepflogenheit, die einerseits den Verdacht, er könne Bichette arbeiten lassen, im Keime vernichtete, andererseits in jenem Augenblick, da eine verheißungsvolle Kombination sich präsentierte, mit umso größerem Erfolg unterbrochen werden konnte.
An diesem Abend nun erfolgte eine solche Unterbrechung. Fec lud den jungen Londoner Bankierssohn Watt-Wayler, den Laugier ihm vorgestellt hatte, ein, sich an seinen Tisch zu setzen, und verließ diesen bald darauf, um ihn nach wenigen Minuten zu seinem absichtlich nur schlecht verborgenen Erstaunen leer zu finden und schließlich, scheinbar enorm perplexiert, Bichette im Arm Watt-Waylers durch den Saal tanzen zu sehen.
Das Platznehmen Bichettes und ihres Partners vollzog sich deshalb unter gespanntester Aufmerksamkeit aller Anwesenden, die freilich nicht auf ihre Rechnung kamen, da Fec sich nicht die kleinste Blöße mehr gab, wohl wissend, niemand im Saal würde so auch nur daran zweifeln, daß sein Herz gleichwohl höllisch litt.
Als bald nachher Fec wieder mit Bichette tanzte, ließ man sie zum ersten Mal nicht solo, was bisher wie auf eine geheime Verabredung hin stets der Fall gewesen war, sondern tanzte sogar näher an sie heran, als erforderlich war. Der Bann war gebrochen. Und die Neugierde, die ein Drama witterte, losgelassen.
Laugier erschien verspätet, entschuldigte sich aufgeregt und wagte es fast nicht, Bichette anzusehen.
Diese begann, zum ersten Mal, mit ihm zu reden, was ihm den Rest gab, und wünschte nach einer halben Stunde, der jungen Dame vorgestellt zu werden, die am Tisch Flinsparkers saß.
Eine kleine Promenade in den Hauptsaal bot Laugier den Vorwand, Flinsparker zu begrüßen und Bichette, die neben ihm stand, vorzustellen. Sie ließ sich sofort in ein eifriges Gespräch mit der jungen Dame ein und führte sie, Laugier Flinsparker überlassend, ohne Schwierigkeiten an Fecs Tisch.
Als Laugier ihr folgte, war er von Flinsparker begleitet, der den mit respektvoller Liebenswürdigkeit geäußerten Wunsch Fecs, doch an seinem Tisch Platz nehmen zu wollen, jovial erfüllte.
Beim Aufbruch standen acht leere Champagnerflaschen auf dem Tisch, Flinsparker fast Freudentränen in den Augen und Laugier und Watt-Wayler der Verstand still. Beide hatten nämlich bemerkt, wie Flinsparker, während er ihr den Mantel hielt, Bichette auf den nackten Oberarm küßte.
Laugier begann erst wieder aufzuleben, als Fec ihn bat, noch für ein Plauderstündchen ins Hotel mitzukommen.
Daselbst ließ er ihn in der Hall allein mit Bichette, welche ihm, nicht ohne zuvor über Fec ein wenig sich beklagt zu haben, vereinbarungsgemäß solche Avancen machte, daß er ihr bebend seine Liebe gestand. Sie willigte, sichtlich nach langen inneren Kämpfen, in ein Rendez-vous für den folgenden Nachmittag auf dem Quai. Sie würde allein sein.
*
Nachher im Zimmer stürzte sich Bichette, die Lippen schief auf einander gepreßt, auf Fec, riß ihm, daß es nur so knatterte, Kragen und Krawatte herunter, zerrte kreischend an seinen Haaren, zerfetzte ihm Hemd und Weste, schlug ihn, kratzte ihn, bespie ihn und stöhnte und ächzte.
Fec, völlig überrumpelt und außer sich vor Überraschung, hatte sich zu Boden werfen lassen.
Regungslos ließ er alles mit sich tun. ›Wenn sie mir die Augen auskratzen wollte, ich würde es vielleicht geschehen lassen,‹ dachte er und starrte, von sich selber verwirrt, in die rasenden Augen Bichettes.
Endlich sank sie erschöpft über ihn hin.
Minutenlang lagen sie so.
Dann suchte sie sich seine Lippen und begann verrückt zu lachen.
*
Diese Nacht wurde die wildeste. Es gab Augenblicke, wo Fec nicht mehr wußte, was er von all dem denken sollte. Bichette raste. Und schrie einmal dermaßen, daß der Zimmerkellner ängstlich klopfte. Aber sie sprach kein Wort. Und auch Fec schwieg.
Nur gegen Morgen, während sie urinierte, sagte sie, wie vor sich hin: »Schlingue!«