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IV

Gegen ein Uhr nachmittags wurden sie durch Pimpi geweckt.

Fec, sich schnell ankleidend, öffnete ihm verwundert. »Wie kommst du hierher?«

»Loute hat gewußt dem Adresse.« Pimpi legte eine große Ledertasche und einen nicht weniger schäbigen Handkoffer auf den Tisch, setzte sich vergnügt und wackelte, die Hiebstelle liebkosend, empört mit dem Kopf.

»Dieses Hotel?« fragte Fec verblüfft.

»Dem Aëro. War es Gaby, welche hat aufgehetzt dem Japaner.«

Bichette rieb sich mit einem Zipfel der Bettdecke die Augen und schob sich hoch. Als sie Pimpi und ihre Koffer erblickte, trat in ihr schlaffes unausgeschlafenes Gesicht ein erschreckender Ausdruck des Erstaunens.

Dadurch erhielt auch der Blick Pimpis denselben Ausdruck.

Fec rührte sich nicht, so gespannt beobachtete er: etwas Besonderes schien sich zu begeben.

Da lachte Pimpi sein beliebtes Negerlachen, das er geradezu vorbildlich beherrschte. »Kinder, ist das gar nicht sehr wichtig, dem alles ... Nichts hat passiert, Bichette, gar nichts ... War ich soeben im Aëro. Dacht ich mir schon, daß du warst schlau und hast gewechselt, schöner Mädchen. Und weiß ich, wie sehr sehr Damen ihrem sieben Sachen brauchen, also hab ich ... Aber war es mir sehr angenehm, daß war bezahlt worden, denn anderem Falls ... et etcetera et etcetera. Kennt mich der Pariser? Er kennt mich.«

»Merci.« Bichettes Gesicht, das sich mühsam gespannt hatte, erschlaffte wieder. »Da können wir ja vorderhand hier bleiben, Fec.«

»Wir?« Pimpis Finger zuckten und verließen die Knie. »Bitt ich pardon, aber war ich doch nicht sehr sicher.«

Fec lächelte verstehend. Dann sah er Pimpi aufmerksam an.

Dessen Kopf begann von neuem zu wackeln. Sein vorzeitig gealtertes Gesicht suchte sichtlich nach einem passenden Ausdruck.

»Also Pimpi, du bist ja ein ganz blöder Kerl.« Fec schneuzte sich.

Pimpi brummte etwas, wovon nur das Wort ›Hering‹ zu verstehen war. Hierauf meinte er lustig: »Jo, ohne blöder Leute wäre gar nicht sehr hibsch auf dem Welt.«

An Pimpi vorbei, vor dessen Ohr er mit den Fingern schnalzte, ging Fec zum Fenster, das er öffnete.

Bichette, die jene Geste gesehen hatte, verzog spöttisch den Mund.

Da sprang Fec vom Fenster zurück. »Der Japaner ist unten.«

»Wo?« Bichette rutschte mit einem Ruck an die vordere Bettstelle.

»Zurück!« Fec preßte sich hinter den Fenstervorhang. »Ich kann ihn von hier aus unbemerkt beobachten ... Hast du drüben gesagt, Pimpi, daß sie kein Wort ...«

»Jo, ich auch.« Pimpi drehte sich nervös eine Zigarette. »Wird es vielleicht sein sehr gut, zu vermeiden einiger Zeit dem Landstraße und zurückzugehen in dem Wälder. Und noch dazu ...«

»Er weiß augenscheinlich nicht, was er tun soll.«

»Und noch dazu ...« Pimpi mißlang es, ein harmloses Gesicht zustande zu bringen. Mit dem Zeigefinger schichtete er, fast scheu, seine in die Stirn gekämmten pomadisierten Haare. »Weißt du, Bichette ... der Goux, der Laroche, der Cauler et etcetera, war da weiter nichts dabei, wenn warst du allein. Aber jetzt ... das ist anders, sehr anders, bitt ich zu glauben. Dann der Harry. Kennst du ihn doch. Und dann erst der Ralix, dem Hund. Kommt er in drei Tagen heraus, jo.«

»Er geht die Straße hinunter.« Fec, der alles gehört hatte, setzte sich auf den Tisch, Bichette beobachtend, die unbeweglich zu Boden sah.

»Oder, Bichette, geh allein weg ... einiger Zeit.« Pimpi ärgerte sich aber sofort über diesen Vorschlag. Deshalb schmiß er die Zigarette in den Eimer, daß es aufspritzte, und reichte Fec und Bichette energisch die Hand. »Gefällt mir sehr von dieser Hering. Legt er schwerem Japaner um und meckert keiner Silbe daherüber und nicht über meinem Berührung von dieser gelber Aff.« Er nahm seinen Hut von dem Blechleuchter. An der Tür wandte er sich um. »Wenn braucht ihr was, aber keinem Münze, der kleiner Pimpi immer schläft er noch bei Fécamp. Also good by.« Er warf die Tür hinter sich zu.

Von der Treppe her erscholl sein Negerlachen.

*

»Ich glaube nicht, daß Gaby den Japaner aufhetzte,« sagte Fec nach einer Weile.

»Wie sie mich reizte, das war gar nicht so guips.«

»Eine Art weiblicher Pimpi.«

»Nur nicht so aufrichtig.«

»Ich sagte ja auch – weiblicher ...«

Bichette packte Fec an den Schultern, stieß ihn auf einen Stuhl nieder und schmetterte ihm in die Augen: »Was willst du damit sagen, hein?«

Fec schwieg geringschätzig, die Hände in die Hosentaschen steckend.

»Du glaubst, daß ich mit Pimpi ...«

Fec blickte gleichgültig zur Seite.

»Das ist aus. Längst. Oder glaubst du, daß ich allerhand verheimliche ...?«

Fecs Lippen spielten mokant. »Hab ich nach etwas gefragt?«

»Antwort will ich! ... Nein, aber du tatest so, als ob ich ...«

»Was soll denn das alles!« Fec machte eine unwillige Kopfbewegung.

Bichette, deren Augen nicht von seinem Gesicht wichen, packte ihn fester. »Oder glaubst du vielleicht, daß ich ...«

»Ich glaube gar nichts. Das war nie meine Schwäche.«

Bichette schluckte und ließ seine Schultern los. Sie hakte ihren über und über verknitterten Rock auf, streifte ihn ab und stieg heraus. Dann stellte sie das Lavabo auf den Stuhl und goß in weitem Bogen Wasser ein. »Fec, ich weiß nicht, ob du dich noch erinnerst, was du gestern ... heute morgen bei ›Léon‹ ... Bitte, reich mir das Handtuch! ... Du erinnerst dich?«

»Ja.«

»An jedes Wort?«

Fec, der seine Schuhe putzte, nickte.

Bichette beendete schweigend ihre Toilette.

»Warum fragtest du?« Fec betrachtete ihre starken steilen Beine.

»Couçi couça.« Bichette zog ihre schmutzige Bluse aus, warf sie zu Boden, ließ ihre kurze Seiden-Combinaison fallen und stieg auf die Kommode, um ihren Akt im Spiegel sehen zu können.

Fec wurde ärgerlich. »Ich war besoffen.«

»Scheinst dich zu entschuldigen.« Bichette hatte sich ihm schnell zugekehrt. Als sie ihn fast verwirrt dastehen sah, sprang sie höhnisch lachend herunter. »Er entschuldigt sich! Schlingue!«

Fec lächelte widerwillig. »Muß ich das nicht?«

Bichette ließ eine Schnur um ihre Hand spielen. Die andere liebkoste ihre Brust. »Nein.«

Fec erstaunte. »Wirklich nicht?«

»Nein.« Bichettes Augen umglitten ihn forschend.

»Wirklich?«

»Nein.« Ihre Augen blieben mit einem flachen Ausdruck stehen.

Fec wurde so neugierig, daß er unsicher lachte. »Eh ben, dann ist es also abgemacht?« Eine peinigende Verlegenheit, die ihn ganz unvermittelt überfiel, kaum daß er die Frage getan hatte, zwang ihn jedoch, Bichettes Blick zu meiden.

Bichette rieb achtlos ihre Nägel. »Ja. Aber ...«

»Aber ...?«

»Ich ... ich weiß doch nicht ...«

»Was.«

»Nicht ganz ...«

»Was!«

»Wie du ...«

»Was denn, zum Teufel!«

»Wie du dir das alles denkst ... wie ...«

»Du bist nicht aufrichtig.«

»Hein? Nicht aufrichtig?«

»Ja.«

»Schlingue!« Bichette hieb mit der Faust auf den Tisch, daß es krachte, und begann, ununterbrochen halbe Worte ausstoßend, wild darauf herumzukramen. Endlich fand sie den Schlüssel, sperrte die Ledertasche auf und warf Ketten, Armbänder, Colliers und Etuis kunterbunt auf den Tisch. »Da, da, da, da ...« Ihre zuckenden Finger rissen die Etuis auf und leerten sie aus wie Tüten. Ohrgehänge und Brillantringe rollten umher. Einiges fiel zu Boden. »Glaubst du, du ... daß ich diesen Létsch da mag? Kein Mensch hat mich noch so was tragen sehen.«

Fec trat auf sie zu, versetzte ihr, von einer Wut gepackt, die ihn selbst dumpf erstaunte, einen Faustschlag auf die Schulter und schleuderte sie aufs Bett.

Bichette schnellte mit tierischer Behendigkeit hoch.

Und schon rauften sie. Bösartig. Verbissen. Keuchend. Aber sie schlugen einander nicht ins Gesicht.

Ein ganz heller spitzer Schrei, der ihm gefährlich klang, ließ Fec zurückfahren.

Bichette stand schwer atmend da. Ihre Arme hingen wie in allen Gliedern gebrochen. Ihre schwarzen Seidenstrümpfe waren zerrissen. Ihre rot gewordenen zerkratzten Brüste zitterten. Ihr Gesicht war erdfahl. An einem ihrer Halbschuhe fehlte der Absatz. Sie begann zu taumeln.

Fec, fast erschrocken, umfaßte sie mit beiden Armen und legte sie vorsichtig aufs Bett. »Was hast du ... Was ist ...«

Bichette bewegte verneinend ein wenig den Kopf. Dann drückte sie die Hände langsam auf Fecs Wangen, zog ihn zu sich nieder und küßte lange und heiß in seinen Mund hinein.

*

Nachher kleideten sie sich schweigend an.

Nach einigem Zögern hob Fec die Bijous auf, legte sie sorgsam in die Ledertasche, schloß diese ab und wollte eben den Schlüssel daneben auf den Tisch legen, als es ihn zwang, zur Seite zu blicken.

Bichettes Augen waren lauernd auf ihn gerichtet.

Fec steckte, die Achseln zuckend, den Schlüssel ein.

Bichette lachte unbestimmt und umhalste ihn. »Aber sag mir jetzt, warum ich nicht aufrichtig war.«

»Nicht weil du nicht weißt, wie ich mir das alles denke, sondern ... Crotte, wozu auch ...« Fec machte sich unwillig los.

»Sondern ...« Bichette stampfte mit dem Fuß. »Ich will es wissen. Also ... sondern ...«

» ... sondern weil du fürchtest, du könntest es vielleicht nicht durchführen.« Fec wußte nicht, weshalb er das überhaupt sagte.

Bichette trat von ihm weg. »Vielleicht.« Ihr Körper zog ihre Hand von Fecs Schulter. »Aber ich versichere dir, daß es nicht ganz so war. Auf jeden Fall muß das alles noch genau besprochen werden. Dann werde ich schon wissen, ob ich es kann. Aber glaub nur nicht, daß ich schwach bin oder nicht aufrichtig. Ich hab noch immer alles herausgekotzt.«

Fec unterließ ein kaum begonnenes Lächeln, als er sah, wie Bichettes Augen flogen.

»Wir müssen uns jetzt schnell entscheiden, Fec.« Bichette begann sich hastig zu schminken. »Pimpi hat recht. Es ist das Beste, zu verschwinden. Wenigstens für einige Zeit.«

»Hm. Wie wärs mit – Bagnolet.« Fecs Stimme klang übelgelaunt.

»Ausgeschlossen.« Bichette scheitelte mit den Fingern ihr herrliches Haar und warf es mit einem Ruck des Kopfes nach hinten. »Paris bleibt Paris.« Sie puderte sich so heftig Brust und Nacken, daß eine weiße Wolke sich um sie erhob. »Nizza. Was meinst du?«

»Nizza? Eh ben.« Fec wurde jedoch nervös, weil er zugestimmt hatte, wiewohl es weder erwogen war, noch seinem Gefühl nach wirklich unausweichlich. »Da liegt ja noch ein Armband.«

»Verkaufs.« Bichettes Hände hasteten vor dem Spiegel an ihrem Kopf. »Und komm rasch wieder.« Sie puderte sich, vorsichtig tupfend, Nase, Wangen und Stirn! »Es reicht ja sonst doch nicht.« Sie korrigierte mit der Zungenspitze die Schminklinien der Lippen. »Inzwischen esse ich hier. Arthur holt mir schon was.« Sie wandte sich lächelnd um. »Bin ich schön so?« Ihr Lächeln floß triumphierend durchs ganze Zimmer.

»Ja.« Fec schloß den Rock und schlang sich das Tuch um den Hals.

Bichettes Gesicht verbitterte sich. »Du sagst das so ... so ...« »Du weißt es doch.« Fec zog ein gelbes Päckchen aus der Tasche und zupfte eine Zigarette heraus.

»Also geh schon!«

Fec rauchte lässig. »Willst du so lange hier warten?«

»Hast wohl den gelben Affen schon vergessen?« Bichette setzte sich, an den Fingern zerrend, aufs Bett. »Aber beeil dich! Und gib acht! Zeig dich nicht unnötigerweise!«

»Ich geh in die Rue du Temple. Der alte Chabert zahlt am besten. Aber er lamentiert. Das dauert.« Fec öffnete mißmutig die Tür.

»Fec!« Bichette sprang auf, warf sich ihm an den Hals, streichelte seinen Kopf und reichte ihm die offenen duftenden Lippen.

Fec küßte sie langsam und so lange, wie sie wollte. Dann ging er wortlos. Als er auf die Treppe trat, war ihm alles gleichgültig.

»Halt-là!« rief Bichette ihm durch die Tür nach. »Zwei Röcke sind noch drüben. Und drei Paar Schuhe.«

*

Es war dunkel geworden, als Fee, leicht angetrunken, zurückkam.

Bichette lag am Boden, auf dem Bauch, trank Wein und rauchte.

Fec stieg über ihre Beine hinweg.

»Du bists.« Bichette drehte lächelnd den Kopf nach oben. Fee warf ihre Röcke aufs Bett, die Schuhe zu Boden. »War jemand da?«

»Wer soll denn dagewesen sein.« Bichette drückte die Zigarette auf der Diele aus.

»Ich frag doch nur.« Fec ließ sich müde aufs Bett fallen.

»Wie viel hast du?«

»Fünfhundert.«

»Also wir fahren.« Bichette stemmte sich hoch. »Du riechst nach Regen.«

»Ja, es regnet.«

Bichette trat dicht neben ihn hin und sah ihm ins Gesicht. »Und nach Cric.«

»Crotte alors!« Fec stand auf. »Fahren wir doch sofort.«

»Darauf warte ich doch nur, du ... Rhinozeros.« Bichette kniff ihn neckisch in beide Wangen und spuckte ihm dreimal auf die Lippen.

*

Der Nacht-Rapide ging in vierzig Minuten ab.

Der Koffer war im Nu gepackt ...

Kaum daß das Taxi sich in Bewegung gesetzt hatte, sprang Bichette, wie von einem plötzlichen Rausch erfaßt, Fee auf die Knie, preßte ihm die Hände fest auf den Kopf und sagte in lustbebendem Flüsterton: »Fee, jetzt gehörst du mir. Mir allein. Und ich gehöre dir. Dir ganz allein. O, das haben wir fein gemacht! Und wir werden alles machen. Alles. Ich hab dich ganz genau verstanden. Und auch du hast mich ganz genau verstanden. Wir werden uns nichts vortrillern. Wir werden sap bleiben. Wir werden uns nichts vormachen. Wir werden alles machen. Hart und klarmachen, ja, machen, machen ... machen, macheln, maffeln, maffeln, maffeln, maffeln ...« Es war, als stopfte sie in dieses vergewaltigte Wort alles, was sie an Willen besaß.

Fec, völlig mitgerissen, roch mit unsäglichem Genuß ihren Atem. Er zitterte, als er ihren Namen aussprach: »Bichette ... Ja, das, was die andern schwächt und schließlich doch gegen einander bringt und unter die Pfeifen, das soll uns eine ganz ungeahnte Kraft geben. Die größte Kraft. Den letzten Elan. Hart bis unter die Haare und klar wie das Nichts, auf das allein wir bauen, werden wir nie schwach werden, nie dumm. Und wenn wir untergehen sollten (denn die Natur, das Leben ist das Dümmste und Roheste, das existiert), werden wir nicht durch uns untergegangen sein. Und das ist es, was nicht nur das Leben, sondern auch den Tod der andern vergällt: das dumpfe Bewußtsein, nicht alles getan zu haben, um die Niederlage zu vermeiden, schwach gewesen zu sein, dumm. Wir aber werden anders untergehen. Vielleicht mit jenem hellen spitzen Schrei auf den Lippen, den du ... Bichette, Bichette, bitte hau mir eine herunter!«

Bichette tat es augenblicklich. Und schrie auf vor Vergnügen.


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