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Der Zwerg und die Gerstenähre

Ein wohlhabender Bauer stand in seiner Scheune und schaute behaglich den mächtigen Segen an, den ihm ein günstiger Sommer gebracht hatte. Bis an den Giebel hinan waren alle Fächer gefüllt mit goldenen Garben, und das nicht allein – auf dem Felde standen noch einige stattliche Schober, die keine Unterkunft mehr hatten finden können; so reich war die Ernte gewesen. Dabei war das Stroh so lang und die Ähren so voll wie lange nicht, ja, der Hafer hatte sogar das dritte Korn, während sonst an den einzelnen Stielchen seiner Ähre nur zwei wie kleine Kanarienvögel sitzen und das dritte dazwischen gemeiniglich verkümmert. Als er nun so stand und an das Dreschen im Winter dachte und an die Wagen mit feisten Kornsäcken beladen, die er in die Stadt und an den Müller liefern würde, und im Geiste schon die vielen blanken Taler in seinem Kasten klingen hörte, da raschelte es ganz leise in einem Haufen Stroh, der auf der Tenne lag. Der Bauer glaubte, es sei eine Maus und packte seinen Stock schon fester, um ihr den Garaus zu machen, allein er verwunderte sich fast, da statt eines solchen Tierchens ein Etwas, so leuchtendrot wie Klatschmohn, aus dem Stroh hervorkam. Nun arbeitete es sich ganz zum Vorschein und stand da, nicht größer als eine Maus, die auf zwei Beinen geht. Es war ein Zwerg in grauer Kleidung mit einem roten Käppchen auf dem Haupte. Dieses lüftete der kleine Wicht gar höflich und sprach mit einem winzigen Stimmlein: »Herr Bauer, ich habe ein großes Anliegen an Euch.«

»Nun, was willst du denn, kleiner Mann?« fragte dieser. Das Zwerglein sprach: »Reichtum und Fülle ist bei Euch eingekehrt. Wolltet Ihr nun die große Güte haben, mir alltäglich um diese Zeit von Eurem Überfluß eine Gerstenähre zu schenken, so soll dies nicht zu Eurem Schaden sein.«

Der Bauer, der wohl wußte, daß man gut daran tut, sich das kleine Volk freundlich zu erhalten, sprach: »Gewiß, das soll geschehen, kommt nur alle Zeit um die Mittagsstunde, so soll Euch werden, was Ihr begehrt.«

Damit ging er an das Fach, zog eine schöne Gerstenähre hervor und reichte sie dem Männlein hin. Dieses wendete sich aber mit trübseliger Gebärde gegen das Häuflein Stroh, aus dem es hervorgekommen war, und sprach: »Ihr habt diesen großen Berg vor unsere Höhle getürmt. So er dort liegen bleibt, vermag ich nicht mit Eurer freundlichen Gabe unsere Wohnung zu gewinnen.« »Nun, wenn's weiter nichts ist!« sagte der Bauer und schob mit dem Fuße das Stroh beiseite. Es zeigte sich nun an der Wand eine Öffnung wie ein großes Mauseloch. Das Wichtlein lüftete wieder sein Mützchen und sprach in wohlgesetzten Worten seinen Dank aus. Sodann wuchtete es unter großem Schnaufen die Gerstenähre auf seine Schulter und schleppte seine Last unter ziemlichem Gestöhne von dannen. Den sperrigen Halm in das Loch hineinzubringen, ward ihm auch nicht leicht, man sah an dem Zappeln der Ähre, wie das Männlein inwendig zerrte, und wohl eine halbe Minute dauerte es, bis der letzte Zipfel in der Öffnung verschwunden war.

Der Bauer ging von nun an alle Mittage in die Scheune und gab dem Männlein seine Gerstenähre, und von dieser Zeit ab gedieh sein Vieh auf eine wunderbare Art, obwohl es weniger Pflege und Futter verlangte als sonst. Es war eine Lust, diese runden, glänzenden Schweine zu betrachten, die so fett waren, daß sie kaum aus den Augen sehen konnten und sich nur mit Mühe an ihren Futtertrog schleppten. So blanke Kühe wie auf diesem Hofe fanden sich bald weit und breit nicht. Sie gaben ohne Ende fette, sahnige Milch aus ihren strotzenden Eutern, und um die Butter, die die Bäuerin in die Stadt schickte, rissen sich die Leute, denn sie war frisch wie Morgentau und süß wie Nußkern. Obwohl die Pferde des Bauern alltäglich nur einige Hände voll Hafer und ein wenig Heu verzehrten, waren sie doch glänzend und schön, und fromm und feurig zugleich, beschafften sie vor dem Pfluge oder dem Wagen doppelt so viel als früher. Auch mit den Hühnern war es ein seltsames Ding. Sie legten und legten fast das ganze Jahr hindurch, jegliches alltäglich ein großes rundes Staatsei, zuweilen sogar mit zwei Dottern, und niemals geschah es, wenn eine Glucke gesetzt wurde, daß sich auch nur eines von den untergelegten Eiern faul erwies oder daß später von den Küchlein der Habicht oder der Weih eins erwischte. Dies alles gefiel dem Bauern und der Bäuerin gar wohl, und da sie recht gut wußten, wem sie diesen Segen zu verdanken hatten, so priesen sie das kleine Männlein alle Tage, und niemals ward die herkömmliche Gabe versäumt.

Eines Tages im Winter aber, als es bei hellem Sonnenschein so recht Stein und Bein fror und die Eiszapfen wie gläserne Keulen von den Dächern hingen, saß der Bauer recht behaglich in seinem Sorgenstuhl am warmen Ofen und wartete auf sein Mittagessen. Es gab sein Lieblingsgericht, Schweinsrippenbraten mit Pflaumen und Äpfeln gefüllt, und süße Düfte diese köstlichen Gerichtes wehten jedesmal, wenn die Tür geöffnet wurde, verheißungsvoll aus der Küche hervor. Da er nun in der Erwartung des Guten so behaglich in der Wärme saß, empfand er eine Abneigung, hinauszugehen in den eisigen Wintertag und in die kalte Scheune, nur um der einen kleinen Gerstenähre willen. Er rief deshalb seinen Knecht und sagte ihm, was er tun solle. Dieser, ein vorwitziger Gesell, hatte schon lange Begehren getragen, das sonderbare Männlein, darüber man im Dorfe die wunderlichsten Dinge erzählte, zu sehen, und ging eilfertig in die Scheune, wo er das Wichtlein schon wartend antraf. Als er ihm den Halm nun darreichte, konnte er sich nicht enthalten, das kleine Geschöpf wie zufällig ein wenig mit den spitzen Grannen der Ähre ins Gesicht zu kitzeln, also daß es sehr prustete und wunderliche Gesichter zog. Darüber wollte sich der Knecht vor Lachen innerlich ausschütten. Als er nun aber sah, wie der kleine Mann mit schwerem Gestöhn den Halm auf die Schulter wuchtete und unter Schnaufen davonschleppte, da erschien ihm solches dermaßen lächerlich, daß er sich nicht enthalten konnte zu rufen: »Nun sieh einer das Krabauterding, wie es sich hat, als wenn der Halm ein Bindebaum wäre!« Sodann schlug er mit den Händen mehrfach auf die Knie seiner Lederhosen und lachte unbändig. Zwischendurch aber rief er, wie die Zimmerleute tun, wenn sie schwere Balken bewegen: »Holz komm! Holz komm!« und höhnte das Männlein auf alle Weise.

Dieses aber ward im Gesichte so blutrot wie seine Mütze und warf zornig funkelnde Blicke um sich. Es schleppte, so rasch es vermochte, den Halm in das Loch hinein, und an dem hastigen Hin- und Herfliegen des vorstehenden Endes konnte man wohl bemerken, mit welcher Wut es inwendig zog und zerrte, bis der letzte Zipfel verschwunden war.

Am anderen Tage, als der Bauer selbst kam, um dem Wichtlein die Gerstenähre zu geben, wartete er vergebens, es erschien niemand. Er rief es mit schmeichlerischen Worten und gab ihm die schönsten Namen, allein alles war umsonst. Auch am folgenden Tage kam es nicht, und sooft auch der Bauer um die Mittagszeit noch sein Heil versuchte, das Männchen war und blieb verschwunden.

Wie oft hat es der Bauer noch bereut, daß er damals nicht selbst gegangen ist und seinem Knechte vertraut hat, denn von nun ab ging alles quer. Das Vieh stand an den Raufen und fraß und fraß Berge von Futter in sich hinein, und wenn alles verschlungen war, sah es sich mit glühenden, hungrigen Augen nach mehr um. Dabei ward es jedoch immer rauher und magerer, die Kühe gaben wenig dünne und blaue Milch, und den Pferden standen die Hüftknochen also vor, daß der Knecht seinen Hut dort hätte aufhängen können, wenn er gewollt hätte. Die Schweine wurden hochbeinig und dünn, und wenn sie einmal aus dem Stall gelassen wurden, da rannten sie wie die Windhunde auf dem Hof umher, was für ein Schwein eine ganz törichte Kunstfertigkeit ist. Und mit den Hühnern war's auch vorbei. Sie kriegten den Pips und legten Windeier, und wenn sie mal ein ordentliches zu Gange brachten, so fraßen sie es auf.

Als der Bauer nun sah, wie alles hinter sich ging, verlor er ganz die Lust an seinem Anwesen, und als er ein gutes Angebot erhielt, verkaufte er es. Er ist dann weit fortgezogen.


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