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Prinzessin Zitrinchen

Es war einmal eine Prinzessin, die hieß Zitrinchen, das war die niedlichste Prinzessin auf der Welt. Als sie geboren wurde, war sie nicht größer als ein kleiner Finger, und obgleich sie sich alle Mühe gab zu wachsen, da war sie doch in ihrem achtzehnten Jahre nur so groß, daß sie, wenn sie die Arme ausstreckte, gerade auf den Tisch reichen konnte. »Nun bin ich ›groß‹«, meinte Zitrinchen, »wenn ich nur nicht so klein wäre.« – Um diese Zeit sagte eines Tages die Königin zu ihrem Manne, dem König: »Nun wäre es wohl soweit.«

»Hm!« sagte der König, »ich glaube, es nimmt sie nur keiner, das Format ist zu geringfügig.«

»Man muß es versuchen«, antwortete die Königin.

»Gut«, sagte der König, »versuchen kann man es.«

Er ließ in die allgemeine Heiratszeitung für Prinzen setzen: »Es ist eine Prinzessin zu haben. Sie bekommt ein Herzogtum mit und ein schönes altes Schloß mit Hühnerhof und Springbrunnen. Ordentliche Prinzen können sich melden da und da.«

Da es nun in der Welt stets eine Menge unverheirateter Prinzen gibt, die nichts zu regieren haben und ein Herzogtum sehr wohl gebrauchen können, so kamen nacheinander eine ganze Menge in das Königreich geritten, um sich die Prinzessin anzusehen. Beinahe alle Tage kam einer und an manchen Tagen sogar zwei; wenn aber der König nach ihren Zeugnissen fragte und sie hatten keine oder es stand darin »Ungenügend« oder gar »Schlecht«, mußten sie gleich wieder umkehren und durften sich gar nicht sehen lassen.

Als die kleine Prinzessin zuerst davon hörte, daß sie heiraten sollte, da klatschte sie in die Händchen und rief: »Ach, wie nett, nun werde ich einen Mann bekommen, wenn es nur ein recht hübscher ist. Einen Schnurrbart muß er haben und goldene Sporen.«

Aber Zitrinchen sollte sich wundern.

Da kam zuerst Prinz Wasserstiefel ins Land. Er kam geritten auf einem Pferde, wenn das auftrat, da zitterten alle Fensterscheiben in der ganzen Straße, und sein gewaltiger Schnurrbart fegte zu beiden Seiten die Häuser.

»Das ist einer!« sagten die Leute und liefen an die Fenster, als er vorbeiritt, und alle Kinder sperrten den Mund auf, denn so etwas hatten sie noch nicht gesehen. Prinz Wasserstiefel aber, der gern Spaß machte, beugte sich im Reiten nieder und griff mit der einen Hand einen Knaben und mit der anderen ein Mädchen und steckte jedes oben in einen von seinen gewaltigen Stiefeln, daß nur Kopf und Arme hervorsahen, und dann zog er ein fürchterliches Messer hervor und rief: »Ihr seid schön fett, euch will ich zum Frühstück essen.« Die Kinder aber zappelten mit den Armen aus den Stiefeln hervor und schrien ganz jämmerlich, denn sie dachten, es wäre Ernst, und alle Kinder auf der Straße fingen an zu schreien, und aus allen Fenstern sahen die Mütter mit halbem Leibe hervor und riefen Hilfe, es war ein erbärmlicher Spektakel.

»Piepdinger«, sagte Prinz Wasserstiefel, »können keinen Spaß vertragen!« und dann setzte er die Kinder ganz sanft wieder auf die Straße und lachte, daß die Schornsteine von den Dächern fielen.

Als er dann die Schloßtreppe hinaufstieg, ging's bum, bum, so daß die Königin fragte, warum denn schon wieder Holz abgeladen würde, und als er durch die große Flügeltür in den Thronsaal trat, mußte er sich bücken und seinen Schnurrbart zusammennehmen, denn mit dem war er sehr eigen.

»Guten Tag«, sagte er. »Ich habe gehört, es soll hier eine Prinzessin zu haben sein; kann man sie wohl zu sehen bekommen?«

»Du lieber Himmel«, sagte Prinzessin Zitrinchen, als sie den mächtigen Freiersmann erblickte.

»Was piept da?« fragte Prinz Wasserstiefel. »Ist da was?«

»Es ist die Prinzessin«, sagte der König; »sie bekommt ein Herzogtum mit und ein schönes altes Schloß mit Hühnerhof und Springbrunnen.«

»Wo?« fragte der Prinz. »Wo ist sie? Ich denke, man darf sie sich ansehen?«

Endlich entdeckte er Prinzessin Zitrinchen, die auf ihrem kleinen Thronsessel saß und sich mit ihrem Elfenbeinfächer heftig fächerte, denn die Sache gefiel ihr nicht.

»Das da?« sagte Prinz Wasserstiefel, und er fing an, so unbändig zu lachen, daß sich alle Hofdamen die Ohren zuhielten und allen Kammerherren die Knie zitterten. »Da will ich nur lieber gleich wieder nach Hause reiten«, sagte er, »von der Prinzessin kann ich keinen Gebrauch machen, die ist mir zu unbeträchtlich, ich könnte sie unterwegs verlieren!«

Und dann trappte er wieder aus dem Saal hinaus und die Treppe hinab, und von Zeit zu Zeit hörte man sein furchtbares Lachen wie den fernen Donner eines abziehenden Gewitters. Am Abend saß er aber im Gasthofe zum Goldenen Elefanten und trank Bier aus Fässern, denen er den Boden einschlug, und erzählte allen, die es hören wollten, so etwas sei ihm im ganzen Leben noch nicht vorgekommen.

»Das war nun der erste«, sagte Prinzessin Zitrinchen; »es ist am Ende ganz gut, daß er mich nicht genommen hat, ich glaube, es wäre mir auch nicht bekommen!«

Der nächste Prinz, der vorgelassen wurde, war Prinz Silberstiefel. Der war schwermütig und trug Locken und bekam manchmal das Versemachen. Er ritt auf einem weißen Maultier und hatte eine Laute an silbernem Bande umgehängt. Am meisten liebte er Mondschein und Eisbaisers. Als er Zitrinchen gesehen hatte, sagte er, sie sei zierlich wie eine Gazelle des Morgenlandes, und er wolle am anderen Tage wiederkommen. Er kam aber nicht wieder, sondern saß im Gasthof zum Weißen Lamm die ganze Nacht und schrieb auf rosa Papier ein langes Entsagungsgedicht und schickte es am anderen Morgen mit dem königlichen Postboten.

»Es reimt sich ordentlich«, sagte Zitrinchen, »aber haben will er mich auch nicht. Einen Schnurrbart hatte er nicht und auch keine goldenen Sporen, aber wunderschöne blonde Locken.«

Und nach und nach kamen immer mehr Prinzen ins Land, blonde, braune und schwarze, dumme und kluge, kurz Prinzen von allen Arten, aber Prinzessin Zitrinchen bekam keinen von allen. Der letzte war Prinz Knickstiefel. Der hatte einen Rock an, der schon dreimal gewendet war und kam zu Fuß, denn: »Ein Pferd ist ein unvernünftiges Tier«, sagte er, »und kennt nichts als Fressen und Saufen, und überdies ist zu Fuße gehen viel gesünder.«

Vor der Stadt stäubte er seine Stiefel ab und band sich einen reinen Hemdenkragen um und ging dann in den Gasthof zum Billigen Mann, wo er in einem Dachstübchen vier Treppen hoch Quartier bestellte. »Hier hat man eine schöne Aussicht«, meinte er, »und was Treppensteigen kräftigt, das glaubt man gar nicht.«

»Guten Tag«, sagte er, als er in den Saal trat, »es soll hier ein Herzogtum zu haben sein.«

»Es ist eine Prinzessin zu haben!« sagte der König, »sie bekommt ein Herzogtum mit und ein schönes altes Schloß mit Hühnerhof und Springbrunnen.«

»Schön«, meinte der Prinz, »wie ist es denn mit dem Herzogtum, hat es eine gute Lage?«

»Es liegt an der Sonnenseite«, sagte der König, »und das Schloß ist erst im vorigen Jahre neu tapeziert.«

»Und neue Gardinen«, sagte die Königin.

»Sehr schön«, erwiderte Prinz Knickstiefel, »sind auch kalekutische Hühner da?«

»In dem Hühnerhof«, sprach die Königin, »sind sowohl kalekutische Hühner als Brahmaputra, und der Springbrunnen ist der schönste im ganzen Lande.«

»Lassen wir den Springbrunnen«, sagte Prinz Knickstiefel, »ich lege kein Gewicht darauf. Was die Prinzessin betrifft, so bitte ich um ihre Hand.«

»Aber Ihr habt sie ja noch gar nicht gesehen«, sagte der König, und Prinzessin Zitrinchen ward ganz rot und fächerte sich, daß es nur so rauschte.

»Die wird nicht viel essen«, dachte Prinz Knickstiefel, als er die Prinzessin bemerkte. Dann beugte er vorsichtig, ohne den Erdboden zu berühren, ein Knie und sprach: »Schönste Prinzessin, ich liebe Euch!«

Zitrinchen hätte gar zu gern einen Prinzen geheiratet, aber diesen wollte sie doch auch nicht.

»Ich danke Euch, Herr Knickstiefel«, sagte sie, »aber Ihr könnt wieder nach Hause gehen. Es tut mir sehr leid, daß Ihr die weite Reise gemacht habt.«

Als er fort war, sagte der König: »Ich habe es ja gleich gesagt, es nützt nichts«, und dann ließ er in die Zeitung setzen, es wäre nun gut und die Sache hätte ein Ende.

Prinzessin Zitrinchen ward aber sehr traurig und saß in ihrem Zimmerlein und weinte, und kein Mensch tröstete sie, denn die Eltern wurmte es, daß sie eine Tochter hatten, die niemand haben wollte.

»Einen Prinzen muß ich haben, und wenn ich ihn mir aus der Erde graben soll«, sagte Zitrinchen, und eines Morgens in der Frühe, als die Eltern noch schliefen, sattelte sie sich selbst ihr Pferdchen Schlenkerbein und rief ihr Hündchen Trippeltripp, kletterte mit Schemel und Stuhl auf das königliche Bett ihrer Eltern, küßte sie leise unter vielen Tränen zum Abschied und ritt fort in die weite Welt hinaus.

Wie ist es ihr denn da ergangen?

Wenn man viele, viele Meilen in der Welt immer geradeaus reitet, da kommt man an das Meer, und wenn man über das Meer ist und immer weiter reitet, dann gelangt man an ein großes, viele Meilen langes Gebirge. Und wenn man links um das Gebirge herumgeritten ist, so ist da eine fürchterliche Wüste, wo kein Baum und kein Strauch und kein Wasser ist, nur Sand und Luft, so weit man sehen kann. Und am Ende der Wüste liegt eine hohe Mauer, die ist ganz steil und glatt, und dahinter liegt das Märchenland. In dem Märchenlande ist es wunderherrlich, und jeder findet dort, was er sich am meisten gewünscht hat. Dort lebt Prinzessin Zitrinchen mit dem niedlichsten Prinzen von der Welt in Herrlichkeit und Freuden, und wer's nicht glaubt, mag sie selbst besuchen.

Aber das ist nicht so leicht. Denn wenn man auch in dem Meere nicht ertrunken oder im Gebirge nicht von den wilden Tieren gefressen oder in der Wüste nicht verhungert oder verdurstet ist, so ist noch immer die furchtbare Mauer da. Und gelingt es auch, die Mauer zu ersteigen, so streicht dicht über sie hin der schneidend scharfe Wind der Wirklichkeit, der einem gleich den Kopf abreißt, sowie man ins Märchenland schauen will. In der Mauer aber ist nur ein einziger Eingang, verborgen und unsichtbar unter Geklüft und Geröll, und er ist sehr schwer zu finden.


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