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Ich hatte zufällig erfahren, daß mein guter Freund und Studiengenosse Leberecht Hühnchen schon seit einiger Zeit in Berlin ansässig sei und in einer der großen Maschinenfabriken vor dem Oranienburger Tor eine Stellung einnehme. Wie das wohl zu geschehen pflegt, ein anfangs lebhafter Briefwechsel war allmählich eingeschlafen, und schließlich hatten wir uns ganz aus den Augen verloren; das letzte Lebenszeichen war die Anzeige seiner Verheiratung gewesen, die vor etwa sieben Jahren in einer kleinen westfälischen Stadt erfolgt war. Mit dem Namen dieses Freundes war die Erinnerung an eine heitere Studienzeit auf das engste verknüpft, und ich beschloß sofort, ihn aufzusuchen, um den vortrefflichen Menschen wiederzusehen und die Erinnerung an die gute alte Zeit aufzufrischen.
Leberecht Hühnchen gehörte zu den Bevorzugten, denen eine gütige Fee das beste Geschenk, die Kunst glücklich zu sein, auf die Wiege legte; er besaß die Gabe, aus allen Blumen, selbst aus den giftigen, Honig zu saugen. Ich erinnere mich nicht, daß ich ihn länger als fünf Minuten lang verstimmt gesehen hätte, dann brach der unverwüstliche Sonnenschein seines Innern siegreich wieder hervor, und er wußte auch die schlimmste Sache so zu drehen und zu wenden, daß ein Rosenschimmer von ihr ausging. Er hatte in Hannover, wo wir zusammen das Polytechnikum besuchten, eine ganz geringe Unterstützung von Hause und erwarb sich das Notdürftige durch schlecht bezahlte Privatstunden; dabei schloß er sich aber von keiner studentischen Zusammenkunft aus und, was für mich das Rätselhafteste war, er hatte fast immer Geld, so daß er anderen etwas zu borgen vermochte. Eines Winterabends befand ich mich in der, ich muß es gestehen, nicht allzu seltenen Lage, daß meine sämtlichen Hilfsquellen versiegt waren, während mein Wechsel erst in einigen Tagen eintreffen konnte. Nach sorgfältigem Umdrehen aller Taschen und Aufziehen sämtlicher Schubladen hatte ich noch dreißig Pfennig zusammengebracht und mit diesem Besitztum; das einsam in meiner Tasche klimperte, schlenderte ich durch die Straßen, in eifriges Nachdenken über die vorteilhafteste Anlage dieses Kapitals versunken. In dieser Gedankenarbeit unterbrach mich Hühnchen, der plötzlich mit dem fröhlichsten Gesicht von der Welt vor mir stand und mich fragte, ob ich ihm nicht drei Taler leihen könnte. Da ich mich nun mit der Absicht getragen hatte, ein ähnliches Ansinnen an ihn zu stellen, so konnte ich mich des Lachens nicht enthalten und machte ihm die Sache klar. »Famos«, sagte er, »also dreißig Pfennig hast du noch? Wenn wir beide zusammenlegen, haben wir auch nicht mehr. Ich habe soeben alles fortgegeben an unseren Landsmann Braun, der einen großen Stiftungskommers mitmachen muß und das Geld natürlich notwendig braucht. Also dreißig Pfennig hast du noch? Dafür wollen wir uns einen fidelen Abend machen!«
Ich sah ihn verwundert an.
»Gib mir nur das Geld«, sagte er, »ich will einkaufen – zu Hause habe ich auch noch allerlei – wir wollen lukullisch leben heute abend – lukullisch, sage ich.«
Wir gingen durch einige enge Gassen der Ägidienvorstadt zu seiner Wohnung. Unterwegs verschwand er in einem kleinen, kümmerlichen Laden, der sich durch ein paar gekreuzte Kalkpfeifen, einige verstaubte Zichorien- und Tabakspakete, Wichskruken und Senftöpfe kennzeichnete, und kam nach kurzer Zeit mit zwei Tüten wieder zum Vorschein.
Leberecht Hühnchen wohnte in dem Giebel eines lächerlich kleinen und niedrigen Häuschens, das in einem ebenso winzigen Garten gelegen war. In seinem Wohnzimmer war eben so viel Platz, daß zwei anspruchslose Menschen die Beine darin ausstrecken konnten, und nebenan befand sich eine Dachkammer, die fast vollständig von seinem Bette ausgefüllt wurde, so daß Hühnchen, wenn er auf dem Bette sitzend die Stiefel anziehen wollte, zuvor die Tür öffnen mußte. Dieser kleine Vogelkäfig hatte aber etwas eigentümlich Behagliches; etwas von dem sonnigen Wesen seines Bewohners war auf ihn übergegangen.
»Nun vor allen Dingen einheizen«, sagte Hühnchen, »setze dich nur auf das Sofa, aber suche dir ein Tal aus. Das Sofa ist etwas gebirgig; man muß sehen, daß man in ein Tal zu sitzen kommt.«
Das Feuer in dem kleinen eisernen Kanonenofen, der sich der Größe nach zu anderen gewöhnlichen Öfen etwa verhielt wie der Teckel zum Neufundländer, geriet bei dem angestrengten Blasen meines Freundes bald in Brand, und er betrachtete wohlgefällig die züngelnde Flamme. Dieser Ofen war für ihn ein steter Gegenstand des Entzückens.
»Ich begreife nicht«, sagte er, »was die Menschen gegen eiserne Öfen haben. In einer Viertelstunde haben wir es nun warm. Und daß man nach dem Feuer sehen und es schüren muß, das ist die angenehmste Unterhaltung, die ich kenne. Und wenn es so recht Stein und Bein friert, da ist er herrlich, wenn er so rot und trotzig in seiner Ecke steht und gegen die Kälte anglüht.«
Hiernach holte er einen kleinen rostigen Blechtopf, füllte ihn mit Wasser und setzte ihn auf den Ofen. Dann bereitete er den Tisch für das Abendessen vor. In einem kleinen Holzschränkchen befanden sich seine Wirtschaftsgegenstände. Da waren zwei Tassen, eine schmale hohe, mit blauen Vergißmeinnicht und einem Untersatz, der nicht zu ihr paßte, und eine ganz breite flache, die den Henkel verloren hatte. Dann kam eine kleine schiefe Butterdose zum Vorschein, eine Blechbüchse mit Tee und eine runde Pappschachtel, die ehemals Hemdenkragen beherbergt hatte und jetzt zu dem Rang einer Zuckerdose aufgestiegen war. Das köstlichste Stück war aber eine kleine runde Teekanne von braunem Ton, die er stets mit besonderer Vorsicht und Schonung behandelte, denn sie war ein Familienerbstück und ein besonderes Heiligtum. Drei Teller und zwei Messer, die sich so unähnlich waren, wie das für zwei Tischmesser nur irgend erreichbar ist, eine Gabel mit nur noch zwei Zinken und einer fatalen Neigung, ihren Stiel zu verlassen, sowie zwei verbogene Neusilberteelöffel vollendeten den Vorrat.
Als er alle diese Dinge mit einem gewissen Geschick aufgebaut hatte, ließ er einen zärtlichen Blick der Befriedigung über das Ganze schweifen und sagte: »Alles mein Eigentum. Es ist doch schon ein kleiner Anfang zu einer Häuslichkeit.«
Unterdes war das Wasser ins Sieden geraten, und Hühnchen brachte aus der größeren Tüte fünf Eier zum Vorschein, die zu kochen er nun mit großem Geschick unter Beihilfe seiner Taschenuhr unternahm. Nachdem er sodann frisches Wasser für den Tee aufgesetzt und ein mächtiges Brot herbeigeholt hatte, setzte er sich mit dem Ausdruck der höchsten Befriedigung zu mir in ein benachbartes Tal des Sofas und die Abendmahlzeit begann.
Als mein Freund das erste Ei verzehrt hatte, nahm er ein zweites und betrachtete es nachdenklich. »Sieh mal, so ein Ei«, sagte er, »es enthält ein ganzes Huhn, es braucht nur ausgebrütet zu werden. Und wenn dies groß ist, da legt es wieder Eier, aus denen nochmals Hühner werden und so fort, Generationen über Generationen. Ich sehe sie vor mir, zahllose Scharen, die den Erdball bevölkern. Nun nehme ich dies Ei und mit einem Schluck sind sie vernichtet! Sieh mal, das nenne ich schlampampen!«
Und so schlampampten wir und tranken Tee dazu. Ein kleines, sonderbares, gelbes Ei blieb übrig, denn zwei in fünf geht nicht auf, und wir beschlossen, es zu teilen. »Es kommt vor«, sagte mein Freund, indem er das Ei geschickt mit der Messerschneide ringsum anklopfte, um es durchzuschneiden, »es kommt vor, daß zuweilen ganz seltene Exemplare unter die gewöhnlichen Eier geraten. Die Fasanen legen so kleine gelbe; ich glaube wahrhaftig, dies ist ein Fasanenei, ich hatte früher eins in meiner Sammlung, das sah gerade so aus.«
Er löste seine Hälfte sorgfältig aus der Schale und schlurfte sie bedächtig hinunter. Dann lehnte er sich zurück und mit halb geschlossenen Augen flüsterte er unter gastronomischem Schmunzeln: »Fasan! Lukullisch!«
Nach dem Essen stellte sich eine Fatalität heraus. Es war zwar Tabak vorhanden, denn die spitze blaue Tüte, die Hühnchen vorhin eingekauft hatte, enthielt für zehn Pfennig dieses köstlichen Krautes, aber mein guter Freund besaß nur eine einzige invalide Pfeife, deren Mundstück bereits bis auf den letzten Knopf weggebraucht war, und deren Kopf, weil er sich viel zu klein für die Schwammdose erwies, die unverbesserliche Unart besaß, plötzlich herumzuschießen und die Beinkleider mit einem Funkenregen zu bestreuen.
»Diese Schwierigkeit ist leicht zu lösen«, sagte Hühnchen, »hier habe ich den Don Quijote«, der, nebenbei gesagt, außer einer Bibel und einigen fachwissenschaftlichen Werken, seine ganze Bibliothek ausmachte und den er unermüdlich immer wieder las, »der eine raucht, der andere liest vor, ein Kapitel ums andere. Du als Gast bekommst die Pfeife zuerst, so ist alles in Ordnung.«
Dann, während ich die Pfeife stopfte und er nachdenklich den Rest seines Tees schlürfte, kam ihm ein neuer Gedanke.
»Es ist etwas Großes«, sagte er, »wenn man bedenkt, daß, damit ich hier in aller Ruhe meinen Tee schlürfen und du deine Pfeife rauchen kannst, der fleißige Chinese in jenem fernen Lande für uns pflanzt und der Neger für uns unter der Tropensonne arbeitet. Ja, das nicht allein, die großen Dampfer durchbrausen für uns in Sturm und Wogenschwall den mächtigen Ozean und die Karawanen ziehen durch die brennende Wüste. Der stolze millionenreiche Handelskönig, der in Hamburg in einem Palast wohnt und am Ufer der Elbe einen fürstlichen Landsitz sein nennt, muß uns einen Teil seiner Sorge zuwenden, und wenn ihm Handelskonjunkturen schlaflose Nächte machen, so liegen wir behaglich hingestreckt und träumen von schönen Dingen, und lassen ihn sich quälen, damit wir zu unserem Tee und unserem Tabak gelangen. Es schmeckt mir noch einmal so gut, wenn ich daran denke.«
Ach, er bedachte nicht, daß wohl der größere Teil dieses Tees an dem Ufer eines träge dahinfließenden Baches auf einem heimatlichen Weidenbaum gewachsen war, und daß dieser Tabak im besten Falle die Uckermark sein Vaterland nannte, wenn er nicht gar in Magdeburgs fruchtbaren Gefilden von derselben Rübe seinen Ursprung nahm, die die Mutter des Zuckers war, mit dem wir uns den Tee versüßt hatten.
Danach vertieften wir uns in den alten, ewigen Don Quijote und so ging dieser Abend heiter und friedlich zu Ende.