Charles Sealsfield
Tokeah
Charles Sealsfield

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Vierunddreißigstes Kapitel

»Ja, da wären wir«, stöhnte der Onkel darein, ein fettes behagliches Männchen mit einer beneidenswerten Kupfernase und ein paar graublinzelnden Augen, die, man hätte schwören sollen, irgendwo in Connecticut oder Massachusetts das Licht der Welt erblickt haben mußten. »Ihr habt also nichts vom Dampfschiff gehört? Wir liefen soeben ein.«

»Recht schön,« rief Virginie, »daß Sie unser nicht vergessen haben und den Silvesterabend mit uns Armen zubringen wollen. Ach, wir sitzen schon eine ganze Woche, wie die arabischen Prinzessinnen.«

»Euer Fehler«, versetzte der Onkel, sich den Schweiß von der Stirne wischend. »Warum seid Ihr nicht hinabgegangen wie wir? Sind aber froh, daß wir wieder weg sind.«

»Froh«, rief eine der drei Misses. »Aber Pa, wie können Sie nur so sagen? Wir wären gerne unten geblieben, aber Ihnen wurde bange.«

»Ja, stellen Sie sich nur vor, liebe Schwägerin,« versetzte der Onkel, »die tollen Mädchen wollten absolut unten bleiben. O Schwägerin! Sie haben keinen Begriff, wie schrecklich es da unten aussieht. Ich versichere Sie, es wird mir ganz schauerlich zumute, kein Handel, kein Wandel –«

»Aber Partien genug!« fiel ihm wieder eine der Misses ein.

»Es muß ein sehr freier Ton unten sein, Miß Georgiane«, bemerkte die Oberstin etwas ernst.

»Sehr frei, liebe Tante; die altväterische steife Manier ist ganz verschwunden. Man ist ganz sans gêne

»Was ich sehr mißbillige. Miß«, versetzte die Oberstin.

»Hörst du, Missi?« fiel ihr der Pa ein. »Ach mein Gott!« fuhr er fort, »nur Trommeln und Pfeifen zu hören. Auf dem Uferdamme nichts als Gezelte und Mannschaft – exerzierend, trommelnd, pfeifend, lärmend; und hinunter an dem Damme – Gott sei es geklagt! Wagen auf Wagen, Karren auf Karren, mit Munition, Pulver, Lebensmitteln – Neger und Milizen, Offiziere und Mannschaft, Matrosen und Generale, alles untereinander. Mußten selbst zum Dampfschiffe zu Fuß gehen. Das ist aber alles nichts, Mistreß Parker,« fuhr er sich selbst erkräftigend fort – »das ist alles nichts!« rief er nochmals, sich die Stirn trocknend. »Aber kein Schiff zu sehen, keine Brigg, nicht einmal einen armseligen Schoner. Oberhalb der Vorstadt Annunciation liegen noch ein paar abgetakelt, und das ist alles; und das Zehren auf unsere Kosten, als ob es nimmer ein Ende hätte! Das Herz möchte einem zerspringen. Wenn's noch ein halbes Jahr so fortgeht, so sind wir alle ruiniert.« Der kurzatmige Pflanzer war ganz lebendig in der Beschreibung seiner und der allgemeinen Not geworden.

»Ach!« seufzte er wieder. »Meine arme, arme Baumwolle! Stellt Euch nur vor. Habe da in der Presse Rilieux an die zweitausend Ballen, die Ernte der letzten drei Jahre. Was geschieht? Der General, mir nichts dir nichts, läßt fünfhundert Ballen herausnehmen, ohne mir nur ein Wort zu sagen. Fünfhundert Ballen! Dreißigtausend Dollar! Prime Cotton. Glaubt denn der einfältige General, meine Baumwolle komme mit den Baumstämmen den Missouri herab!«

»Ich verstehe nun«, sprach Mistreß Parker. – »Ihr ginget hinab, um Eure Baumwolle aus den Klauen des Generals zu retten. Das hättet Ihr Euch immer ersparen können. Auch wir haben fünfhundert Ballen hergegeben. Sie wurden geschätzt und werden vergütet werden.«

»Und dann, wenn einige Kugeln einschlagen, wiegt sie um so schwerer«, tröstete ihn der Kapitän, der zeitweilig von seinen Depeschen das Männchen ansah.

Der Pflanzer hatte beide mit Ungeduld angehört. »Ersparen können? schätzen? erstatten? – Ich sage Euch, es ist ein Eingriff ins Eigentumsrecht, der schrecklich ist. Sollte er nicht meine Einwilligung abgewartet –«

»Und den Feind zugleich gebeten haben, zu warten, bis Mister Bowditch diese zu geben gesonnen wäre«, fiel der Kapitän etwas spöttisch ein.

»Ich werde es ihm schon weisen«, versicherte dieser. »Stellen Sie sich vor, dieser Quasipflanzer von Nashville da, der kaum hundertundfünfzig Ballen Uplandkotton mit all seiner Generalschaft zusammenbringt, will einem Mann wie mir die Türe weisen! Ich dränge mich hindurch mit meinen Kindern. Sie wollten die Befestigung des Lagers sehen. Drei Stunden hatten wir zu gehen, zwanzigmal waren wir in Gefahr, unter die Räder zu kommen, und als ich endlich vor dem Hauptquartier ankomme, läßt er mir sagen, er habe keine Zeit, sich mit meiner Angelegenheit zu befassen.«

»Es war sehr unartig, Tante, wir können Sie versichern«, meinten die drei Misses.

Unser Exemplar, einer jener Republikaner, deren im Norden und Süden eine so erkleckliche Unzahl ist, und die, wenn es darauf ankäme, lieber den Schah von Persien zu Washington sitzen sähen, als ein Prozent ihrer Aktien oder einen Ballen ihrer Baumwolle zu verlieren, war in eine mäßige Aufwallung geraten, so viel nämlich seine komfortable Leibesbeschaffenheit und eine Affäre von dreißigtausend Dollar zuließen. Das Teegeräte, das nun aufgetragen wurde, unterbrach einigermaßen seine gerechte Erbitterung, und er gewann ein ruhigeres Aussehen; als aber die Diener sich entfernt hatten, brach er wieder los.

»Stellen Sie sich nur vor, liebe Schwägerin, Sie wissen, unter dem letzten Landhause, wo er sein Hauptquartier aufgeschlagen hat, zweihundert Schritte darunter, da liegt meine Baumwolle und noch zehn- bis zwölftausend Ballen mehr. Und alle hat er sie zur Brustwehr verwendet. Sie läuft mannshoch vom Mississippi zu den Zypressensümpfen quer durchs Land, eine halbe Meile lang. Die ganze Baumwolle ist mit Erde überworfen, davor ein Graben, acht Schuh breit und sechs tief. Auf den Flanken sind die Batterien mit Sechzehnpfündern.«

»Mister Bowditch,« versicherte der Kapitän, »Sie haben die ganze Befestigung des Lagers so bündig angegeben, daß auch der beste Militär nichts aussetzen könnte.«

Unser Pflanzer nahm eine Tasse Tee und fuhr fort: »Ich versuchte es, den Mister Parker zu einem Meeting zu bewegen, klopfte bei Floyd und Bowers an. Allen hat aber das Kanonenfieber die Köpfe so verwirrt, daß gar nicht daran zu denken ist.«

»Aber ich wundre mich nur, wie Sie selbst an so etwas denken konnten, – in einem so kritischen Zeitpunkt daran denken konnten«, bemerkte die Oberstin, mit sichtlichem Mißfallen an dem grob selbstsüchtigen Schwager.

»Wie, was?« fragte dieser, »und Euer Meeting – He?« –

»War, ein unveräußerliches Bürgerrecht aufrecht zu erhalten.«

»Unveräußerliches Bürgerrecht! – Ei, ei, Frau Schwägerin! – oder um dem guten Mann vorläufig ein Bein unterzuschlagen, falls er es sich gelüsten lassen sollte, einst im weißen Hause wohnen zu wollen. Hab' aber nichts dagegen einzuwenden. Es steht auf dem Grund und Boden von Altvirginien und sollte eigentlich also nur Virginier zu Einsassen haben.« »Es sollte mir leid tun, wenn Sie so etwas denken könnten«, sprach Mistreß Parker mit einem Tone, dem man ansah, daß ihre Gelassenheit auf eine harte Probe gestellt wurde.

»Denken!« fiel ihr der Schwager ein. »Ich denke nichts, gar nichts. Am besten so. – Ich denke an nichts, als an meine Baumwolle. Denken mögen die, die nichts Besseres zu tun haben. Danke Ihnen für eine andere Tasse.«

»Und der General hat Ihre Bemühungen, eine Protestation gegen seine Gewalttätigkeit, wie Sie es nennen, hingehen lassen?« fragte der Kapitän.

»Hingehen lassen?« entgegnete der Pflanzer verwundert. »Wie meinen Sie dies?«

»Ich kann mich unmöglich eines gelindern Ausdrucks bedienen.«

»Sie denken also, er sollte mir haben ein Zimmerchen in der Nähe der Kathedrale im Staatsgefängnisse anweisen lassen?«

Der Militär sah ihn bedeutsam lächelnd an.

»Kapitän Percy!« sprach das dicke, runde Männchen, und es wurde ungemein ernst. »Wir nennen unser Land frei, weil jeder unverhohlen seine Meinung sagen und sich vollkommen aussprechen mag; was das Handeln betrifft, so bestimmt das Gesetz, das heißt die Mehrzahl, und die Minderzahl muß sich fügen. Wenn Sie aber meinen, daß des Generals Erklärung des Kriegsgesetzes und Belagerungszustandes mich auch nur um eine Silbe an meinen Rechten verkürzt hat oder verkürzen kann, so irren Sie sich. Ich bin ein Virginier; aber in diesem Punkte gegen die Administration und folglich gegen den Krieg und billige ganz, was die Hartford- Konvention getan hat, und habe mich auch in diesem Punkte erklärt.«

Und mit diesen Worten erhob er sich von seinem Sitze und ging in das andere Zimmer, wohin sich die jungen Damen, als die Konversation diese ernste Wendung genommen, zurückgezogen hatten. Der Kapitän selbst stand rasch auf und empfahl sich.

Die jungen Damen hatten unterdessen in dem zweiten Kränzchen ihre Herzensergießungen begonnen. –

»Und nun,« sagte die lebhafte Cousine Georgiane, »Pa wollte morgen nach Natchez hinauf; wenn ihr aber hübsch artig seid und uns zu amüsieren versprecht, so bleiben wir einige Tage. Nicht wahr, Pa?«

»O Schmerz!« rief lachend Virginie. »Sie kommen auf zwölf Stunden und wollen schon amüsiert sein. Ein sehr großes Kompliment finde ich darin für unsere annehmlichen Gaben eben nicht; damit ihr aber seht, wie wir Böses mit Gutem vergelten, so will ich mich zu Vorschlägen herbeilassen.«

»Wir sind ganz Ohr«, versicherten die drei fashionablen Schönen.

»Morgen früh denn Schau bei den indianischen Löwen.«

»Pfui, mit euern schmutzigen indianischen Löwen«, riefen die drei mit Abscheu.

»So hört doch nur,« mahnte Virginie, »einer darunter soll wirklich ein königlicher Löwe sein.«

Das Geplauder wurde in dem leichten, gefällig anmutigen Tone geführt, der gerade nicht ausgelassen, aber für die etwas bedenklichen Zeitumstände vielleicht mutwillig genannt werden konnte.

Die Oberstin hatte schon einige Zeit mit Ungeduld zugehört. »Misses!« sprach sie etwas scharf, »ihr seid sehr vergnügt, und es freut mich; aber ich wünschte, euer Frohsinn wäre etwas mehr gedämpft; etwas mehr Zartheit, in einem Augenblicke, wo die Unsrigen in einem so ernsten Kampfe begriffen sind, dürfte nicht überflüssig sein.«

Auch Rosa schien von dem mutwilligen Tone verletzt.

»Die Löwen?« fragte sie Gabriele. »Habt ihr Löwen hier? Das müssen schreckliche Tiere sein, wenn sie so aussehen, wie sie auf dem Bilde im Speisesaale gemalt sind!«

»Du kamst ja mit ihnen«, erwiderte Gabriele.

»Ich!« rief Rosa verwundert. Sie sann eine Weile nach. »Du meinst doch nicht –« sie stockte, sie wurde blaß.

»Die Indianer«, lächelte Gabriele. »Wir nennen jede ungewöhnliche ausländische Erscheinung einen Löwen. Das ist Sprachgebrauch.«

»Das ist ein sehr grausamer Sprachgebrauch«, seufzte sie. »Ihr seid grausam und selbst in eurer Fröhlichkeit schneidet ihr tiefer ein, als die Schlachtmesser der Wilden in ihrer Wut, – stoßt ihr dem armen alten Mann den Stachel eurer Zunge in das Herz.« Sie zog sich unwillig zurück. Gabriele schlang ihren Arm um sie: »Sei nicht böse, Schwesterchen, der alte Häuptling ist ja nicht hier.«

»Aber seine Tochter ist es«, sprach Rosa.

»Seine Tochter?« fragte Mister Bowditch, der in seiner Promenade durch die beiden Abteilungen des Empfangszimmers die letzten Worte des Mädchens gehört hatte. »Wer ist doch die junge Dame?« fragte er Mistreß Parker.

»Miß Rosa, unser lieber Gast.«

»Miß Rosa – Rosa«, wiederholte der Pflanzer mit einer Stimme, die leise sein sollte, die aber in den beiden Zimmern gehört wurde.

»Ich habe Sie Ihnen bereits vorgestellt, aber Mister Bowditch schien zu sehr mit andern Gegenständen beschäftigt«, sprach die Dame mit einem sanften Verweise.

»Ach, jetzt erinnere ich mich; à propos!« Er wackelte zur Klingelschnur und zog sie. »Bringt mir doch einmal meinen Überrock aus der Vorhalle herein. Da, Mistreß Parker, sind ein halbes Dutzend Briefe, ein wenig verspätet, aber gute Nachrichten kommen nie zu spät. Muß doch sehen.« Und mit diesen Worten setzte er ohne Umstände seine Brille zwischen Nase und Ohren und fing an, eine Zeitung zu entfalten.

Die Dame hatte die Briefe in Empfang genommen, und sich für einige Augenblicke entschuldigend, verließ sie mit Virginien das Besuchzimmer.

»Da seht einmal diese Zeitungsschreiber – aber im ganzen genommen nicht so übel, nein«, rief er, indem er das Kind durch die Brille musterte, mit etwas weniger Interesse, als er wahrscheinlich einem fremden, in seine Baumwollenpresse geratenen Kottonballen bewiesen haben dürfte.

»Sehen Sie,« fuhr er fort, »da steht Ihre Lebensgeschichte schwarz auf weiß.«

»Etwas von Rosa in diesen Papieren?« fragte das aufmerksam gewordene Mädchen.

Der Pflanzer sah sie verwundert an. »Sie wissen ja, die stecken ihre Nasen in alles hinein.«

»Darf ich bitten«, sprach sie.

»Gerne«, versetzte er, ihr das Blatt reichend.

Sie nahm es und zog sich schnell in die Ecke des Sofas zurück. Sie las Wort für Wort. Bei jeder Zeile schüttelte sie das Köpfchen stärker. Sie wechselte die Farbe. Wieder las sie, eine Träne perlte in ihren Augen, und das Köpfchen senkend, schien sie alles um sich her zu vergessen. So war sie eine geraume Weile gesessen, das Blatt auf ihrem Schöße, ohne ein Wort zu sprechen. Die Damen waren herbeigetreten und sahen sie verwundert an. Unwille, beleidigtes Zartgefühl schienen in ihrem Gemüte wechselseitig zu kämpfen; die Freiheit, die man sich mit ihr genommen, schien sie tief zu verletzen.

Der Pflanzer trat an sie heran.

»Aber, mein Vater,« rief sie aufstehend, und nicht ohne Unwillen, »das ist ja nicht wahr, was hier gedruckt ist. Der weiße Mann muß sehr böse sein, der dies getan hat.«

»Pa, Vater«, wiederholte der Pflanzer. »Danke schönstens, Miss«! Hab' aber mit den dreien da genug zu tun. Glauben nicht, was die einen für Geld kosten. Da mußten drei Schals her, eine neue Erfindung irgendeines müßigen Webers in China, das uns ohnedies schweres Geld kostet. Kommen mich die drei Dinger da auf zweitausend Dollar; das gäbe vier tüchtige Neger, à fünfhundert Dollar per Stück, von denen jeder fünfzig Prozent geben muß, macht tausend Dollar per annum. Das verstehen Sie aber nicht, armes Kind«, meinte er mit einem mitleidigen, beinahe geringschätzigen Blicke. »Ja, da sind sie mir nun alle überm Hals. Die Georgiane – nun, da glaube ich, wird sich wohl mit Charles etwas machen lassen. Bin nur froh, daß Krieg ist. Haben wir doch diesen Winter mit den verdammten Bällen und Partien Ruhe. Der vorige Karneval kostete mich netto zehntausend Dollar. Wenn's meinem Kopfe nach gegangen wäre, so hätte ich Amalien noch ein Jahr in der Pension gelassen. Schickt sich besser. Sieht so sonderbar aus, wenn man zwei auf einmal aufs Tapet bringt; die jungen Leute wissen nicht, wo am ersten anzubeißen ist, und lecken nur. Ja, bin ein alter Spatz.«

Der kleine Mann hatte diese Rede, seine beiden Hände in der Tasche, in den beiden Zimmern promenierend, mit einer Selbstgefälligkeit vorgetragen, die seine drei Misses sehr zu belustigen schien, von der aber das arme Naturkind nur so viel begriff, daß sie mit einer schonungslosen Geringschätzigkeit und Rücksichtslosigkeit behandelt wurde. Ihr Busen hob sich immer beklommener.

»Nun wirklich,« fuhr der Pflanzer fort, das Blatt wieder aufnehmend, »der Artikel ist gut geschrieben, und wenn ihn irgendeine alte wohltätige Haut zu Gesichte bekommt, kann er vielleicht Ihr Glück machen. Haben Sie ihn denn auch gelesen?« Er begann:

»Wir würden Bedenken tragen, nachstehendes in unser Blatt aufzunehmen – das ist so eine gewöhnliche Formel«, unterbrach er sich. – »Bedenken tragen – die Wichte Bedenken tragen, wenn uns«, fuhr er fort, »die Wahrheit der berührten Daten nicht durch respektable Autoritäten verbürgt und wir nicht auch zugleich der Hoffnung wären, durch ihre Verbreitung nützlich zu werden und Licht und Aufklärung über einen Vorfall zu verbreiten.«

»Licht und Aufklärung über einen Vorfall verbreiten«, kommentierte er. »Er will Licht und Aufklärung über sie verbreiten. Das ist übrigens ganz recht, und es läßt sich gar nichts dawider sagen. Nur unsere Neger muß man nicht aufklären wollen.«

Das Mädchen hatte aufmerksam zugehört. »Die Worte sind süß, aber in seinem Herzen spricht er bitter«, sagte sie leise und unwillig.

»Je nun, was die Indianer betrifft, da macht er freilich keine Komplimente; aber wer wird auch die mit einem Wilden machen? Wäre ungeräumt.« Er las weiter.

»Vor etwa vierzehn Jahren, in einer stürmischen Dezembernacht, stürzte plötzlich eine Horde Indianer von dem Volke der Creeks an die Behausung eines unserer Bürger, der damals im Staate Georgien, am Flusse Coosa, als von der Regierung autorisierter Zwischenhändler lebte. Aus dem Schlafe aufgeschreckt, öffnete er noch gerade zu rechter Zeit die Türe, um einen gewaltsamen Einbruch zu verhüten. Es war die Schar des berüchtigten Tokeah, der durch seine Greuel und Schreckenstaten die Langmut unserer Bürger und Regierung so sehr ermüdet, und, nachdem er sein Land verkauft, durch Gewalttaten aller Art das westliche Georgien unsicher gemacht. Die Familie, den unbändigen Sinn des Wilden wohl kennend, erwartete nichts Geringeres als augenblicklichen Tod; sei es jedoch, daß seine Raub- und Mordgier bereits durch frühere Opfer gesättigt –«

»Der Miko«, fiel ihm Rosa mit einer Heftigkeit ein, die den kleinen Mann stutzen machte, »der Miko ist kein Dieb, kein Räuber, kein Mörder. Er hat nicht sein Land verkauft. Es ist ihm gestohlen worden. Er hat nicht das Messer an die Brust meiner Milchmutter gesetzt. Er hat ihr für das, was Rosa bei ihr genossen, Felle bezahlt. Er hat Rosa nicht gestohlen. Er hat den Pfeil bittern Hohnes nie so tief in ihr Herz gedrückt, als –«

»Nun, ich will nicht streiten, Missi. Es ist immer schön, daß Sie selbst eines Wilden Partei nehmen. Ja, ja – hm, – aber der Schluß ist recht gut.«

»Wir enthalten uns aller weitern Bemerkungen bis zur gerichtlichen Aufklärung dieses mysteriösen Verhältnisses, wünschen jedoch, es möge etwas von den Ungehörigen des unglücklichen Kindes, das nun hilflos und verwaist und verwahrlost in die Welt hinausgestoßen ist, entdeckt werden, und falls diese nicht mehr am Leben wären, daß sich irgendeine mitleidige Seele desselben erbarmen möge. Wir ersuchen deshalb unsere Mitredaktoren, besonders französische und spanische, daß sie dieser Anzeige eine Aufnahme in ihre respektablen Blätter gönnen und so einer Tatsache Publizität geben, die wahrscheinlich unsäglich Trauer und Jammer in irgendeiner französischen oder spanischen Kreolenfamilie verursacht hat.«

»Rosa«, sprach sie bebend, »ist arm. Sie ist den Weißen nichts wert. Aber sie ist dem Miko wert und teuer. Sie geht zu ihm und wird den Weißen nicht beschwerlich fallen.«

»Sie, Miß, zu den Indianern zurückkehren? Eine Wilde werden? das wäre wirklich schade. Sie wollen?« fragte der Pflanzer verwundert.

»Aber mein Gott, was habt ihr denn?« rief Mistreß Parker, die von Gabrielen in der Angst ihres Herzens herbeigeholt worden war.

»Nichts«, versicherte der Onkel, »bloß das Zeitungsblatt. Sie will zu den Indianern zurück, und ich sage ihr, sie täte besser, wenn sie irgendwo unterzukommen trachtete.«

»Aber, Mister Bowditch,« rief die Dame unwillig, »wie können Sie sich doch solche Familiaritäten mit unsern Gästen erlauben!«

»Ich weiß aber nicht, was ihr da für ein Wesen macht. Sie ist doch nur ein armes Kind, und Oberst Parker selbst hat mir gesagt –«

Indem trat ein Bedienter ein. »Madame, ein sonderbarer Besuch – zwei der Indianer.«

»Sie kommen um Rosa. Lebe wohl, teure Mutter! Lebet wohl, Virginie und Gabriele!« rief sie.

»Miß, wohin wollen Sie?« schrie die erschrockene Dame. Doch sie war schon verschwunden. Wie eine Verfolgte flog sie durch den Korridor auf die beiden Cumanchees zu und mit diesen über das Bayou, so schnell als sie konnte, zum Gasthofe. Sie stürzte die Stiegen hinan und warf sich mit unendlicher Angst an den Hals des Miko, gleichsam als wollte sie ihn festhalten, damit er ihr nicht entrissen würde. »Armer gefangener Löwe«; flüsterte sie. »Arme Rosa, sie ist nichts wert; die Weißen haben sie mit Hohn verstoßen. Arme Rosa.« Einige Male waren ihr die Worte entschlüpft, als der alte Häuptling aufmerksam wurde und sie forschend ansah.

»Wie meint meine weiße Rosa dies?« fragte er. »Was ist der Löwe? Wer ist er?«

»Der Löwe ist eine grimmig wilde Katze, die alles tötet, und die von den Weißen gefangen und in einen eisernen Käfig gesperrt wird, wo sie dann ihrer Qual in der Gefangenschaft spotten. Sie heißen alle Gefangenen Löwen. Das ist Sprachgebrauch.«

»Und Rosa ist nichts wert?« fragte El Sol. »Wie meint meine teure Schwester dies?«

»Nichts wert sind bei den Weißen alle diejenigen, die nicht viele Dollars oder viel Gold haben.«

»Dann mag meine Schwester den Weißen sagen, daß Rosa mehr wert ist, als sie; daß sie alles Gold und alle Dollars der Cumanchees besitzt, daß El Sol und die Seinigen freudig all ihr gelbes und weißes Metall hergeben wollen, wenn es ein Lächeln auf ihrem Gesichte hervorbringt. Rosa muß den Weißen sagen, daß sie mehr silberne Dollars, mehr Gold besitzt, als viele Pferde tragen können. Sowenig der Miko und sein Sohn gefangene wilde Katzen sind, so wenig ist Rosa nichts wert. Sie ist mehr wert, als die Weißen.«

Das Mädchen sah den Häuptling, der heftig geworden war, gerührt an. »El Sol«, lispelte sie ihm zu, »ist mein Bruder, Rosa will ihm die teure Schwester sein.«

Der alte Mann war unterdessen aufgestanden und einige Male in der Stube auf und ab geschritten. Er horchte, eilte an die Türe, zum Fenster, er fing an, sich schneller zu bewegen. Im anstoßenden Zimmer wurden mehrere Stimmen gehört, und das Getöse vom Ufer und das Trommeln vor dem Wachthause verkündeten eine Bewegung unter den zurückgebliebenen Milizen, die alle in Reih' und Glied standen. Auf einmal setzten sie sich in Marsch und zogen dem Ufer zu. Das Gezische des entquellenden Dampfes verriet ihren Abzug auf dem Dampfboote. Die Augen des alten Mannes fingen an zu funkeln. Er sah starr auf die im Fackelschein sich fortbewegenden Massen, rannte wieder zur Türe und horchte. Beinahe schien es, als ob er fühle wie der König der Tiere, der, in seinem eisernen Käfig eingesperrt, rastlos vor- und rückwärts trabt und durch die Spalten seines Gefängnisses späht und einen Ausgang zu erlauern trachtet.

»Die weißen Krieger«, rief er plötzlich mit freudefunkelnden Augen, »sind gegangen. Hört mein Sohn das Kochen des feuerspeienden Kanus? Tokeah will nun gehen zu erfüllen, was ihm der große Geist hat zuflüstern lassen. Diese Nacht«, sprach er zu Rosa, »werden die roten Männer die Wigwams der Weißen verlassen; zu lange sind sie schon von ihnen im Käfig gefangen gehalten worden.«

»So laß uns eilen«, rief Rosa.

»Nein, meine Tochter kann nicht mitgehen,« erwiderte er; »der Pfad ist rauh, der Miko muß eilen, damit er erfülle, was ihm geboten worden. Die Füße meiner Tochter sind zart.«

»Nicht mitgehen? Der Miko will seine Tochter verlassen?« rief das Mädchen entsetzt.

Der alte Mann schüttelte das Haupt. »Die weiße Rosa ist Tokeah sehr lieb; aber sie ist vom Rosse getragen worden auf dem Pfade, der zwischen dem Natchez und dem endlosen Flusse liegt. Die Dornen des Weges, den ihr Vater nun geht, würden ihre Füße verwunden.«

»Sie werden stark werden«; versicherte sie ihn.

»Rosa, meine Schwester, muß bleiben, bis der Miko und sein Sohn zurückgekommen. Die Brüder El Sols, die Häuptlinge der Cumanchees, werden ihre Schritte bewachen und sie schützend umstehen.«

»Und Tokeah und El Sol wollen wirklich gehen, ohne Rosa mitzunehmen?« sprach sie, beinahe unwillig. »Vater,« bat sie, sich an den Hals des alten Miko werfend, »nimm Rosa, deine Rosa, mit dir.«

»El-kotah«, sprach dieser, »wird dem Miko sein Mahl bereiten. Aber Rosa muß bei den Weißen bleiben, bis er zurückkommt. Tokeah weiß,« fuhr er fort, »daß ihre Herzen nicht schlagen, wie die der roten Männer; sie klappern, weil nur Dollars darinnen sind; sie zählen die Bissen, die meine Tochter in ihren Mund steckt; aber Rosa mag beim Händler mit Feuerwasser bleiben. Tokeah wird mit Dollars bezahlen. Ocht-it-lan hat ihrer viele für sie, und das gelbe Metall –«

Es klopfte an die Türe, und der Wirt trat ein und sprach mit Rosen, die mit ihm die Stube verließ.

Sie erschien ungemein ernst und bewegt nach einigen Minuten wieder.

»Also muß Rosa bleiben?« fragte sie nochmals.

»Meine Tochter weiß, wie teuer sie dem Miko ist. Sie ist die einzige Weiße, die seinem Herzen teuer ist. Aber Rosa kann nicht auf dem Pfade gehen, den er nun wandelt.«

»So will Rosa wieder zu den Weißen. Sie darf nicht beim Händler mit Feuerwasser bleiben, wo bloß Männer sind. Es geziemt der Jungfrau nicht, unter diesen zu sein. Die Weißen sind kalt; aber sie sind auch klug, sie wissen, was geziemt.«

»Meine Tochter ist weise,« sprach der alte Mann in demselben gelassenen Tone, »der große Geist der Weißen ist in ihr; sie wird seiner Stimme folgen und tun, was er ihr heißt, und ihr Herz ihrem Vater bewahren.«

»Möge der große Geist dich begleiten, Vater!« lispelte sie ihm zu. »Du bist Rosen teuer. Das einzige, was ihr von Canondah übrig ist. Rosa wird den großen Geist bitten, daß er die Dornen von deinem Pfade tilge.«

Sie fiel ihm bewegt um den Hals, und der alte Mann legte seine Stirne auf die ihrige; dann erhob er sich, und beide Hände auf ihrem Haupt faltend, sprach er im tiefsten Gefühle: »Der große Geist bewahre dich, meine Tochter!«

Der junge Häuptling stand in ehrfurchtsvollem Schweigen. Als der Miko seinen Segen ausgesprochen hatte, faßte er ihre Hände und, sie an sein Herz drückend, sah er ihr eine Weile in die Augen und wandte sich dann rasch weg.

Rosa schaute ihn verwundert an und verließ dann gedankenvoll die Stube.


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