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Das Wigwam am Natchez bot die folgenden Tage allem Anscheine nach wieder denselben Anblick düstrer und melancholischer Ruhe oder vielmehr Indolenz dar, in welcher der Indianer, wenn er zu Hause ist, seine Stunden gewöhnlich hinzubringen pflegt. Das ganze Dörfchen war im tiefsten Stillschweigen wie begraben, und selbst die jüngern Wilden schienen die Ermüdung ihrer Väter zu teilen und sich einem dumpfen Dahinbrüten zu überlassen. So schien es beim ersten Anblick; allein es bedurfte einer nicht sehr großen Aufmerksamkeit, um zu gewahren, daß diese scheinbare Ruhe einen Charakter von Ängstlichkeit und Spannung hatte, die das ganze Völkchen ergriffen und die auf irgendeine Veränderung im Schicksale desselben hinwies.
Die langen Schritte, mit denen die Erwachsenen auf das Councilhaus sich zustahlen und je zu zweien oder dreien, ohne eine Silbe zu sprechen, ihre langen braunen Hälse ängstlich der Türe zustreckten; die scheuen Haufen von Weibern und Mädchen, die minder keck in größerer Entfernung sich hielten und stieren Blicks die Jungen aushorchten oder auf die Hütte des Miko herüberstarrten: diese verschiedenen Symptome schienen anzuzeigen, daß irgend etwas Wichtiges der Gemeinde bevorstehe.
Es war, wie bereits bemerkt, auch nicht ein Laut auf der ganzen weiten Fläche zu vernehmen. Keine Silbe war aus dem Councilhause zu hören, kein Wortwechsel oder Streit. Selbst die jüngern, bereits zu Männern heranreifenden Wilden wagten es nicht einmal, sich der Türe der Ratsversammlung bis zur Gehörweite zu nähern, von der sie, der herkömmlichen Sitte zufolge, bis nach Ablegung ihrer ersten Waffentat ausgeschlossen waren. Seit der Miko zurückgekehrt, war er, nur sehr kurze Unterbrechungen ausgenommen, mit seinen Kriegern und Männern im vollen Rate versammelt gewesen. Diese Beratungen hatten bereits zwei Tage hindurch gedauert. Zu seiner Tochter hatte er noch nicht gesprochen; er hatte ihr bloß stillschweigend bedeutet, sich in ihrem Stübchen zu halten, dessen Vorhang er selbst befestigt. Das arme Mädchen schien seit dem letzten Auftritte all ihren leichten, frischen, fröhlichen Sinn verloren zu haben. – War sie mit ihrer Schwester Gefangene? Was war aus Mi-li-mach geworden, der nicht wieder zurückgekehrt, und den seine Schnelligkeit zum Liebling ihres Vaters gemacht hatte? War er vielleicht durch die Hand des Weißen in dem Kampf gefallen, den dieser gewagt, ehe er getötet wurde? Aber hinwieder hatte sie keine Trophäe, keinen Skalp, keine Trauer im Wigwam bemerkt. – Rosa ihrerseits war um vieles gefaßter gewesen – sie hatte Trost im Buche gefunden, das der Methodistenprediger Canondah gegeben. – Und häufig hatte sie ihrer Freundin Stellen daraus vorgelesen, so sehr diese auch den Kopf geschüttelt. – »Canondah«, brach sie plötzlich aus, als Rosa ihr eine lange Stelle von der einstigen Seligkeit der Auserwählten gelesen hatte, »hat den guten Häuptling der Schule sehr geliebt; nie aber hat sie ihn leiden mögen, wenn er aus dem Buche vorgelesen oder ihr sanft ins Ohr geflüstert, sich mit Wasser besprengen zu lassen. Sie ist sehr froh, daß sie ihm nicht gefolgt hat.«
»Der Häuptling hat es wohl gemeint,« versetzte Rosa, »Canondah sollte dies getan haben.«
»Wie!« sprach die Indianerin ungeduldig – »Und wenn der Miko Canondahs Haupt mit dem Tomahawk gespalten hatte, so würde sie in die Hölle unter die bösen Weißen gekommen sein, die ihre Brüder getötet und dafür heulen und zähneklappern.« – Sie schauderte. »Nein, nimmermehr!«
Rosa schüttelte den Kopf. »Der gute Gott würde Canondah unter seine Engel aufgenommen und sie ewig selig gemacht haben, weil sie einen Bruder gerettet.« –
»Engel!« wiederholte die Indianerin. – »Canondah will kein weißer Engel dafür sein, daß sie den Späher in ihr Wigwam gelassen hat. Sie will gar kein weißer Engel sein. Canondah würde nimmer froh unter den weißen Engeln sein, die ihre Brüder morden und von ihrem Lande vertreiben.«
»Aber im ewigen Leben werden sich ja die Weißen und Roten nicht mehr morden, sie werden sich freuen und ewig selig sein.«
»Ach siehst du,« sprach die Indianerin, »daß Canondah recht und der bleiche Häuptling unrecht hat. – Die weißen und roten Männer werden sich freuen ihrer Taten, die sie hier ausgeübt haben, und wegen welcher der große Geist sie in die Wiesen versetzen wird. – Aber sie werden sich nicht miteinander erfreuen.« – Sie hielt eine Weile inne und schien nachzudenken. »Nein, Canondah glaubt es nimmermehr!« sprach sie lebhaft. »Wie! der große Geist, der dem Yankee eine weiße Haut gegeben und dem Oconee eine rote, der jenen ins Land über die Salzsee gesetzt und diesen an den großen Fluß, der sie voneinander durch das Salzwasser und hohe Berge getrennt, sollte sie, wenn sie sich am Kriegspfade begegnen und töten, auf die nämliche Wiese zusammenbringen? – Es sollte keine abgesonderte Wiesen für die Weißen und Roten haben? – Nimmermehr! – Die Weißen und Roten würden nimmer vergessen, mit ihren Augen würden sie sich durchbohren, wie die wilde Katze und der Wiesenwolf. – »Nein!« frohlockte sie, »Canondah ist froh, daß sie nicht das Einflüstern gehört. Sie kann nur glücklich sein, wenn sie in die grünenden Wiesen des großen Geistes kommt, wo ewige Sonne herrscht, und ihre Voreltern wandeln und Canondah wie eine gute Tochter empfangen werden.« Sie schritt rasch und ungeduldig im Stübchen hin und her.
Auch in diesem Punkte war sie ganz Indianerin, die mit ihrem lebhaft natürlichen Geiste und kindlichen Gemüte die traditionellen Sagen ihres Stammes festhielt. – Rosa hinwieder, obwohl in der nämlichen Schule auferzogen, war ganz die gläubige fromme Seele geworden, die sich durch die Lehren des Evangeliums veredelt. Sie hatte nun das Buch auf die Seite gelegt und schien über das, was ihre Freundin gesagt, nachzudenken, als sie durch ein gellendes Pfeifen aufgestört wurde. Beide Mädchen stürzten zugleich zum Fenster, von dem jedoch Rosa eben so schnell und bleich wieder ihrem Sitze zueilte, – während die Indianerin hastig den Vorhang an der Türe von innen befestigte.
Es war ein ziemlich großes Boot, ähnlich dem, in welchem der Brite gekommen war, das, durch die gewaltigen Ruderschläge von sechs Männern getrieben, den Fluß heraufglitt. Nebst diesen saßen noch zwei Männer darinnen. Das Fahrzeug war in der Bucht angekommen, wo die Kanus mit dem Boote des Briten lagen. Das letztere schien besonders einem der zwei Männer aufzufallen, der es flüchtig besah und dann seinem Nachbar einige Bemerkungen mitteilte, die dieser kopfnickend bekräftigte. Derselbe stieg auch als erster ans Land. – Er war mittlerer Größe, von nichts weniger als starkem oder üppigem Gliederbau, mit einem sonnverbrannten, braunen Gesichte, hohlen Wangen, in denen die Blattern schwarze, unangenehm auffallende Narben zurückgelassen hatten – und spitziger, etwas geröteter Nase. Aus diesem schmalen Gesicht und den ziemlich tiefliegenden Augenhöhlen funkelten ein Paar dunkelgraue Augen, die mit dem gewaltigen Schnurr- und Knebelbart dem Manne kein eben sehr anziehendes Gepräge gaben. Es schien jedoch ein gewisses Bestreben in ihm hervorzuleuchten, so anspruchslos und natürlich wie möglich zu erscheinen. Nur entglitten dem Auge zuweilen falsche Seitenblicke, und ein hämisches Lächeln spielte unwillkürlich über das zurückstoßende Gesicht hin, das er bei aller augenscheinlichen Bemühung nicht ganz unterdrücken konnte und ihm so einen widerlichen Ausdruck gab. Er trug einen kurzen blauen Rock, bis an den Hals zugeknöpft, ebensolche Pantalons und eine Kappe. Er war ganz unbewaffnet. Einige Worte sprach er noch zu den Ruderern und seinem Begleiter, der mit ihm an das Ufer gestiegen war, und dann eilte er in kurzem militärischem Schritte der Wohnung des Miko zu.
Die Ratsversammlung ging soeben auseinander; der alte Häuptling schritt ernst und langsam seiner Wohnung zu, während die Indianer in verschiedenen Richtungen ihren Wigwams zutrabten. – Es schien, als ob sie den neuen Ankömmling vermieden. – Auch nicht einer war in seinen Weg getreten, obwohl er dieses zu erwarten schien. – Er hatte schweigend dem auseinanderstiebenden Haufen zugesehen und war kopfschüttelnd in die Hütte getreten.
»Da bin ich, Freund Tokeah«, rief er mit einem gezwungenen Lächeln, seine Hand dem Miko zustreckend, der auf seinem Lager ruhig mit gesenktem Haupte saß. »Nicht wahr, ich bin ein Mann von Wort. – Kam letzte Nacht in die Bucht; doch der Teufel hole mich, wenn's mich ruhen ließ; und so ging es dann frisch drauf, die ganze Nacht und den Tag hindurch; – doch, Freundchen, ich bin hungrig wie ein Seeadvokat und trocken wie ein Delphin.« Er sprach englisch mit einem starken französischen Akzent, sonst aber ziemlich geläufig.
Der alte Mann klopfte mit seinem Finger auf die Tafel, und Canondah kam aus ihrem Stübchen heraus.
»Canondah!« rief der Mann, galant auf sie zutretend, um seinen Arm um ihren Nacken zu legen. Das Mädchen schlüpfte aber, ohne ein Wort als Willkommen zu äußern, durch die Türe.
Unser Gast schien betroffen. – Eine Weile blickte er den Alten an; dann sah er durch die Türe, die das Mädchen soeben verlassen hatte.
»Was soll das heißen, Freund Miko?« sprach er endlich, »bin ich in Ungnade gefallen? Sollte mir wahrlich leid tun. Als ich über die Wiese herkam, segelten Eure Leute an mir vorüber, als wäre ich ein Kaper. – Ihr seid kalt wie ein Nordwester, Eure Tochter so steif wie ein gefrorenes Schiffstau. – Apropos. Ihr habt einen Besuch gehabt; der junge Brite hat, wie ich sehe, bei Euch vorgesprochen.« Die Miene des Mannes fiel lauernd bei diesen Worten auf den alten Mann, der jedoch keinen Zug veränderte.
»Von wem spricht mein Bruder?« fragte der Häuptling.
»Von einem Gefangenen, einem jungen Menschen, der, während ich zur See war, entschlüpfte.«
»Mein junger Bruder ist wieder gegangen«, erwiderte der alte Mann trocken.
»Gegangen?« sprach der andere ein wenig betroffen. »Ihr wußtet vielleicht nicht, daß er von mir gekommen. – Hat nichts zu sagen«, setzte er gleichgültig hinzu.
»Der Miko wußte,« sprach der alte Mann in festem Tone, »daß sein junger Bruder dem Häuptling der Salzsee entwischt. Mein Bruder hätte ihn nicht gefangennehmen sollen.«
»Sonderbar! Würde der Miko der Oconees nicht den Yankee gefangennehmen, der in sein Wigwam kommt, ihn auszuspähen?«
»Und war mein junger Bruder ein Yankee?« fragte der alte Mann, ihn mit einem durchdringenden Blicke fixierend.
»Das nicht; aber ein Feind –.«
»Mein Bruder«, sprach der alte Mann, »hat zu viele Feinde – die Yankees, die Krieger des großen Vaters der Kanadas.«
Der Mann biß sich in die Lippen. »Pah« – sagte er endlich – »Ihr habt die Amerikaner auf der unrechten Seite Eures Herzens, und ich beide.« –
»Der Miko«, sprach der alte Häuptling, »erhebt die Kriegsaxt, um die Seinigen gegen die Weißen zu schützen und das Blut seiner erschlagenen Brüder zu rächen. – Mein Bruder hat den Tomahawk gegen alle erhoben und bestiehlt, wie ein Dieb, Weiber und Kinder.« Eine brennende Röte überfuhr das Gesicht seines Gastes. Seine Zähne knirschten. »Fürwahr, Miko, Ihr sagt mir da Dinge, die mein Magen eben nicht leicht verdauen dürfte.« – Er maß den Alten vom Kopf zu den Füßen. – Plötzlich jedoch wieder sein voriges Lächeln annehmend, sprach er: »Torheit! Werden uns da einer solchen Bagatelle halber streiten; – jeder tut, was ihm beliebt und wofür er haften muß.«
»Als der Miko der Oconees dem Häuptlinge der Salzsee seine Rechte darbot und ihn als Freund in sein Wigwam aufnahm, da glaubte seine Seele einen Bruder zu empfangen, der dem Yankee den Krieg erklärt. Hätte er gewußt, daß dieser ein Dieb ist« – .
»Monsieur Miko!« unterbrach ihn der Seeräuber drohend.
»Würde er ihn nicht als Freund empfangen haben. Tokeah«, fuhr er mit Würde fort, »hat als Miko den Tomahawk gegen die Weißen erhoben, der Häuptling der Salzsee hat ihn zum Räuber gemacht. Was soll er, der Häuptling der Oconees, dem Krieger des Yankee sagen, wenn er in seine Schlingen fällt? Sie würden ihn an einem Baume aufhängen.«
Die Wahrheit, furchtlos und bestimmt vom alten Manne ausgesprochen, machte Eindruck auf den Seeräuber. Er ging einige Male rasch in der Stube auf und ab und stellte sich dann wieder vor den alten Mann hin. »Lassen wir das, Freund, ich habe die Skalps nicht gezählt, um die ihr die Schädel der Yankees betrogen, und Ihr werdet nicht mit mir rechten. Was geschehen ist, ist geschehen. Die Zukunft wird vieles ändern. Ich meinerseits bin vollkommen entschlossen, dem wüsten Leben zu entsagen, und dann wollen wir uns hinsetzen und ein paradiesisches Leben, halb à l'indienne, halb à la française führen. Lustig und fröhlich!«
Der alte Mann, ohne eine Miene zu verziehen, sprach: »Der Miko der Oconees hat noch nie seine Hand in das Blut seiner Freunde getaucht. Er ist arm; aber seine Rechte hat nie berührt, was ihm nicht gehörte. Seine Väter würden mit Kummer auf ihn herabblicken, wenn er das Band der Freundschaft mit einem Diebe knüpfen, der große Geist würde unwillig sein Gesicht vor ihm verhüllen, wenn er sein Volk durch einen Bund mit dem Räuber entehren wollte.«
Der Franzose hatte die Worte ruhiger, als es sich erwarten ließ, vernommen; nur zuweilen zuckte es in seinem Gesichte. Plötzlich wandte er sich.
»Meint Ihr so?« sprach er endlich. »Ihr glaubt also besser ohne Lafitte zu fahren. Habe nichts einzuwenden. Hätte ich's nur früher gewußt, würde ich mir die Mühe erspart haben, Eure Grobheiten anzuhören, und Euch – sie mir zu sagen. Adieu, Monsieur Miko!«
»Mein Bruder!« sprach der Indianer plötzlich und beinahe erschrocken aufstehend, »hat Hunger; er muß essen; Canondah hat ihm sein Lieblingsgericht bereitet.«
»Und dann mag sich Lafitte um ein Haus weiter umsehen?« fragte der Seeräuber lauernd.
»Mein Bruder ist willkommen im Wigwam des Miko. Seine Hand verschließt sich nie, wenn sie sich einmal geöffnet hat«, sprach der alte Mann besänftigend.
»Nun, das läßt sich hören; dacht ich's doch, mein alter Freund habe eine Art Spleen vom Briten angezogen; hoffe, es wird wieder vorübergehen. Unterdessen wollen wir sehen, was die Damen machen.« Er schritt dem Vorhang zu, wollte diesen öffnen, doch vergebens. »Ist es nicht erlaubt?« fragte er den alten Mann.
»Mein Bruder muß sich eine andere Squaw suchen. Rosa wird nicht in sein Wigwam gehen.«
Im Stübchen ließ sich ein sonderbarer Ton hören. Er klang wie ein Freudenruf; bald aber sank er in ein leises Lispeln. Es schien das Lispeln einer Betenden.
Der Seeräuber war verblüfft vor dem Vorhange und dem Miko eine Weile gestanden. »Kein Band knüpfen, die Türe vor der Nase verschlossen«, brummte er. » Eh bien, nous verrons, nun gut, wir werden ja sehen.«
Und mit diesen Worten verließ er die Hütte.
Der alte Mann war, ohne aufzublicken, ruhig sitzengeblieben. Zuweilen hatten seine harten Züge während des Wortwechsels ein verachtendes Lächeln blicken lassen; dies war jedoch nur vorübergehend, und er behielt seinen gewöhnlichen Ausdruck; nur zuletzt schien dieser Mitleiden mit dem Zustande des Seeräubers zu bezeugen.
»Ihr habt doch nichts einzuwenden,« fragte dieser, seinen Kopf zwischen die Türe steckend, »wenn ich über mein Boot disponiere? Dürfte leicht sein, daß ich während meiner Abwesenheit einen Besuch von unwillkommenen Gästen erhalte.«
»Wenn der Häuptling der Salzsee auf dem Kriegspfade ist, so wird er wissen, seinen Feinden zu begegnen.«
»Das ist einmal vernünftig gesprochen«, erwiderte dieser.
»Mein Bruder ist hungrig«, sprach der Miko, auf seine Tochter weisend, die nun mit mehreren Gerichten in die Stube trat.
»Werde kommen, – der Dienst geht vor.« – Und mit diesen Worten eilte er dem Ufer zu, auf dem sein Gefährte mit verschränkten Armen auf und ab ging, ein kleiner aber untersetzter Mann, von dessen schwärzlichem, olivenfarbigem Gesichte, – in einem ungeheuren schwarzgrauen Backenbarte begraben – man nichts als eine lange glühende Bardolphsnase erblicken konnte. Der Mann, als er des Seeräubers ansichtig wurde, nahm eine weniger ungenierte Haltung an, und seine Hände sanken in die einen Untergebenen bezeichnende Lage.
»Leutnant!« sprach der Ankommende.
»Kapitän!« war die Antwort. –
»Nichts vorgefallen?«
»So wenig, daß ich zweifeln würde, ob wir uns auch im Wigwam des Miko befinden, wenn meine Augen mich dessen nicht so deutlich versicherten. Was hat das zu bedeuten, Kapitän? – Um Vergebung.«
»Das wollte ich Sie fragen«, versetzte dieser mürrisch.
»Sonst hatten wir bei unserer Ankunft den fröhlichsten Jahrmarkt, heute ist keine Seele zu sehen. Die Weiber und Mädchen schienen Lust gehabt zu haben; aber sie wurden von den Männern zurückgewiesen.« Der Leutnant hielt inne; denn der Mann, dem er seinen Rapport mitteilte, schien sichtlich mehr und mehr verstimmt zu werden.
»Wie viele Köpfe haben wir unten im Sabinersee?«
»Dreißig« – war die Antwort – »die andern werden mit dem Aufräumen morgen fertig sein.«
»Giacomo und George«, befahl der Seeräuber kurz gebieterisch, »gehen hinab und bringen diesen die Order, heraufzukommen. Zwei bleiben unten und warten auf den Nachzug, mit dem sie zugleich über den Sabine gehen. Die Mannschaft kommt mit Musketen, Bajonetten, Pistolen und Fängern bewaffnet, und hält sich, bis auf weitere Order, im großen Bogen zwei Meilen unterhalb des Wigwams verborgen. – Sehen Sie nicht hinab, sondern mich an«, fuhr er verweisend den Leutnant an, der in der Richtung des Flusses hingeschaut hatte.
»Wohl, Kapitän!«
»Der junge Brite ist hier gewesen.«
»So sehe ich, Kapitän.«
»Und der Alte hat ihn gehen lassen.«
»Aber so taten auch Sie, Kapitän, mit seinen Kameraden. Ich hätte es nicht getan.« –
»Monsieur Cloraud hätte vieles nicht getan,« versetzte der Seeräuber spöttisch; – »wir konnten die fünf doch nicht einpökeln. Was nun mit ihnen zu tun, da wir unsere Rechnung abgeschlossen? Wer dieser Laffe da hat eine Konfusion gemacht.«
»Um Vergebung, Kapitän, hat sich sonst etwas ereignet?«
»Nichts Besonderes, als daß der Alte unserer Allianz müde ist.«
»Pah, wir brauchen ihn nicht mehr und mögen wohl den Unsrigen eine fröhliche Stunde gönnen.«
Der Blick des Kapitäns fiel mit einem unnennbaren Ausdruck von Spott und Verachtung auf den Mann. – »Deshalb also, meint Monsieur Cloraud, lasse ich die Leute kommen? – Diese Stunde wäre wahrscheinlich teuer erkauft, Herr Leutnant! – Ich hasse dumme, tolle Streiche. – Das Weitere werden Sie erfahren.« Die Verbeugung des Leutnants verriet, daß der zügellose Seeräuber selbst mit seinem ersten Offiziere nichts weniger als auf vertrautem Fuße stehe und seiner Kapitänswürde gehörige Achtung zu verschaffen wußte. Sein Offizier wandte sich nun zu den Ruderern, die noch im Boote saßen, und erteilte ihnen die ihm zugekommenen Orders. In wenigen Sekunden schoß das Boot den Fluß hinab.
»Nun wollen wir zum Essen. Lassen Sie Wein bringen, Leutnant!«
Der Leutnant winkte einem der zurückgebliebenen Ruderer, und dieser erhob sich mit mehreren Bouteillen in seinen Händen, um den beiden Befehlshabern zur Hütte des Häuptlings zu folgen.
»Sie lassen sich nichts merken, Leutnant,« sprach sein Chef; »so ungezwungen als möglich, selbst spöttisch. Müssen doch herausfinden, was der alte Kauz eigentlich im Sinne hat.« Beide waren in die Stube getreten, wo sie an der Tafel Platz nahmen. Diese war mit einem dampfendem Haunch vom wilden Büffel besetzt, dem deliziösesten Roastbeef, das auch der Gaumen eines Königs nicht verschmähen dürfte. Die Indianerin hatte es mit Sorgfalt unter dem Rasen gedämpft.
»Ihr werdet mir doch nicht versagen anzustoßen?« sprach der Seeräuber, drei Gläser füllend, von denen er eines dem Häuptling anbot.«
»Tokeah ist nicht durstig«, erwiderte dieser.
»Wohl denn, Rum,« versetzte jener; »Leutnant, lassen Sie eine Bouteille bringen.«
»Tokeah ist nicht durstig«, sprach der Häuptling lauter.
»Wie es gefällig ist«, murmelte dieser. »Ist es nicht sonderbar,« fuhr er zu seinem Leutnant gewendet fort, »daß der ganze Saft und die Kraft des Tieres gleichsam in diesem buckelichten Auswuchse konzentriert ist? Wenn die Indianer auf ihren jenseitigen Wiesen diese Rinder finden, dann möchte man wahrlich zum Wilden werden. Immer sind diese Seligkeiten reeller, als unsere magern Pfaffenlügen.«
Der Leutnant lachte pflichtschuldigst aus vollem Halse.
Der Miko war in seiner gewöhnlichen Stellung gesessen, hatte sein Haupt auf die Brust gesenkt und in seine beiden Hände gestützt. Er erhob dieses, blickte den Seeräuber einige Augenblicke an, versank aber wieder in sein voriges Hinbrüten.
»Lassen Sie sich's schmecken, Leutnant«, mahnte der Kapitän. – »Solche Leckerbissen dürften wir nicht viele mehr über unsere Zunge bringen. Der große Geist würde sein Angesicht verhüllen, wenn wir seine Gaben verschmähen. Aber nun, Freund Miko,« fuhr er zu diesem gewendet fort, »werdet Ihr nicht versagen, auf das Wohl eines Gastes ein Glas zu leeren; sonst müßte dieser noch heute nacht aufbrechen. Er liebt ein wenig Stolz; aber zu viel ist ungesund.«
»Mein Bruder«, sprach der Miko, »ist willkommen; Tokeah hat nie sein Tomahawk gegen einen erhoben, den er in seine Hütte aufgenommen, noch hat er die Sonnen gezählt, die er in dieser geblieben.«
»Ich bin überzeugt,« sprach der Franzose, »daß Tokeah mein Freund ist, und wenn irgendeine böse Zunge Unkraut auf den Pfad, der zwischen uns liegt, gesäet hat, so wird der weise Miko über dieses hinweggehen.«
»Die Oconees sind Krieger und Männer,« sprach dieser; »sie hören die Rede des Miko, aber ihre Hände sind frei.«
»Ich weiß es, Ihr habt eine Art Republik, in welcher Ihr eine Art erblicher Konsul seid. Morgen wollen wir etwas mehr von der Sache sprechen. Wohlan, stoßt an; Friede und Freundschaft!«
»Die Hand des Miko«, sprach dieser, »ist geöffnet und wird sich nicht schließen; aber die Stimme der Oconees muß gehört werden.«
»Diesen will der Häuptling der Salzsee etwas in die Hände drücken, das seine Worte wie Musik in ihren Ohren ertönen machen soll«, erwiderte der Seeräuber. »Ich habe ganz artige Dinge für die Männer, Squaws und Mädchen mitgebracht. Auch für Euch etwas, in dem Ihr Euch wahrhaft mikomäßig – zum Verlieben – ausnehmen sollt.«
Der Leutnant hatte sich zurückgezogen, und die Nacht war hereingebrochen, der Halbmond schwand eben hinter den westlichen Baumgipfeln hinab, der alte Mann war aufgestanden und trat schweigend mit seinem Gaste vor die Türe. »Mein Bruder«, sprach er mit bewegter Stimme, »ist nicht mehr jung; aber seine Zunge ist närrischer, als die eines törichten Mädchens, das zum ersten Male Glasperlen an seinen Hals hängt. Mein Bruder hat Feinde genug; er hat nicht vonnöten, sich den großen Geist noch zu einem zu machen.«
»Nun was das anbetrifft, mit dem wollen wir schon fertig werden«, sprach der Seeräuber lachend.
»Mein Bruder«, fuhr dieser fort, »hat die Augen des Miko lange getäuscht; aber der große Geist hat sie ihm geöffnet, um sein Volk vor dem zu bewahren, der seiner und der Gebeine seiner Väter spottet. – Sieh,« sprach er, indem er auf die Mondsichel hinwies, die über den Gipfeln der Bäume schwebte, und seine hagere Gestalt schien sich ins Riesenartige zu verlängern; »dieses große Licht scheint auf die Ufer des Natchez, und es scheint über den Dörfern der Weißen; weder der Häuptling der Salzsee, noch der Miko der Oconees haben es gemacht; es ist der große Geist, der es angezündet. Hier« – indem er auf das schlanke Palmettofeld hinwies, dessen Säuseln wohltönend zu ihnen herüberrauschte – »seufzet der Atem der Ahnen des Miko; in den Wäldern, wo er geboren wurde, heult er im Sturme; beide sind der Atem des großen Geistes – die Winde, die er in den Mund unserer Voreltern legt, die seine Boten sind. Der große Geist hat die Haut Tokeahs rot, die seiner Feinde weiß gefärbt, er hat ihnen zwei Zungen gegeben, und sie verstehen sich nicht; aber der große Geist versteht sie, und er erhört die Bitten der weißen und der roten Männer; sie lispeln mit verschiedenen Zungen, so wie hier unser Rohr lispelt, und unsre Eiche im Geburtsland des Miko knarret und kracht. Höre!« sprach er nun, und wieder richtete er sich auf lang und langsam, und seine verwitterte Gestalt glich einem Wesen jener Welt; »der Miko der Oconees hat Euer Lebensbuch gelesen, er hat Eure Buchstaben gelernt, als er bereits zum Manne geworden; denn er sah, daß die Verschlagenheit der Weißen von ihren toten Freunden kam. Auch dieses Buch sagt, was seine Vorfahren ihm kundgetan, daß ein großer Geist, ein großer Vater lebe. Höre ferner« – sprach er – »der Miko war von seinem Volke zum großen Vater des weißen Volkes gesandt worden, und als er mit den übrigen Häuptlingen in die Dörfer kam, wo die Weißen den großen Geist in großen Councilwigwams verehren, fand er sie sehr gütig, und sie nahmen ihn und die Seinigen als Brüder auf. Tokeah hatte ein Gespräch mit dem großen Vater – sieh, dies ist von ihm« – er zeigte ihm eine große silberne Medaille mit dem Bilde Washingtons. »Er hat den großen Vater, der ein sehr großer Krieger und ein weißer Vater war, gefragt, ob er an den großen Geist seines Buches glaube, und derselbe hat ihm gesagt, daß er glaube, und daß dieser große Geist derselbe sei, den die roten Männer verehren. Das war die Rede des größten und gerechtesten Vaters, den die Weißen je hatten. Höre!« – fuhr er fort – »als der Miko in sein Wigwam zurückkehrte und gegen die untergehende Sonne kam, da gedachte seine Seele der Worte des großen Vaters, und er hielt sein Auge weit offen. Solange als er die hochaufgemauerten Councilwigwams sah, wo die Weißen ihren großen Geist anriefen, da wurden die roten Männer als Brüder empfangenen; aber sobald sie diese Councilwigwams nicht länger sahen, und sie gegen ihre eigenen Wälder zukamen, da wurden die Antlitze der Weißen finster, weil der große Geist sie nicht erleuchtete. Tokeah hat sich überzeugt, daß die Männer, die den großen Geist nicht anrufen, keine guten Menschen sind. Und mein Bruder spottet des großen Geistes und lacht seiner Vorväter in den seligen Wiesen? – Und er will ein Freund der Oconees sein, denen er den einzig glänzenden Pfad rauben würde? Er will der Freund des Miko sein, der unter seiner Last gesunken wäre, wenn ihm seine Väter nicht herübergewinkt hätten? Geh?« sprach der alte Mann, sich mit Abscheu von ihm wendend; »er würde dem Miko und seinem Volke seine letzte Hoffnung nehmen.«
»Gute Nacht!« sprach der Seeräuber gähnend. »An Euch ist ein Methodistenprediger verdorben.«
Er wandte sich dem Councilwigwam zu, seiner Wohnung während seines jedesmaligen Aufenthaltes im Dörfchen der Indianer.
Tokeah kehrte kopfschüttelnd in seine Hütte zurück. Kein Nachtgesang hellte die trübe Stimmung des gepeinigten Greises auf, und nur das grelle Pfeifen der Wache, die vor der Wohnung des Seeräubers und am Ufer sich alle zwei Stunden hören ließ, deutete auf das Dasein lebender Wesen im Wigwam.