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Weit besser wär's, mein Herz fühlt' Eure Liebe,
Als daß mißfällig ich Euch höflich sehe.
Vetter, steht auf, Euer Herz ist auf, das weiß ich,
So hoch zum mindesten – obwohl Ihr kniet.
König Richard II.
Beim ersten Schall der Glocke, welche die vornehmsten Edeln Burgunds und die wenigen Pairs von Frankreich, die bei dieser Gelegenheit zugegen sein konnten, zur Rathsversammlung berief, betrat Herzog Karl, begleitet von einem Theil seines mit Partisanen und Streitäxten bewaffneten Gefolges, die Halle des Herbertsthurmes im Schlosse zu Péronne. König Ludwig, welcher des Besuches gewärtig war, erhob sich und trat dem Herzog zwei Schritt entgegen, und blieb dann mit einem würdevollen Anstand stehen, den er, trotz seiner ärmlichen Kleidung und der Anspruchlosigkeit seines gewöhnlichen Benehmens, doch sehr wohl anzunehmen wußte, wenn er es für nöthig hielt. Bei der gegenwärtigen wichtigen Krisis hatte die ruhige Fassung seines Betragens einen sichtbaren Eindruck auf seinen Nebenbuhler, welcher den hastigen und ungemessenen Schritt, mit welchem er das Gemach betrat, jetzt mit einem solchen vertauschte, welcher für einen hohen Vasallen in Gegenwart seines Souveräns passender war. Anscheinend hatte der Herzog bei sich den Entschluß gefaßt, wenigstens Anfangs den König Ludwig mit den seiner hohen Stellung gebührenden Förmlichkeiten zu begrüßen; aber zu gleicher Zeit war es offenbar, daß er dabei der hitzigen Ungeduld seines Charakters keinen geringen Zwang anthat, und kaum fähig war, die Gefühle des Unwillens und den Rachedurst zu verbergen, der in seinem Innern kochte. Wiewohl er sich nun zwang, seinen äußern Bewegungen und in gewissem Grade auch seiner Sprache den Anschein von Höflichkeit und Ehrerbietung zu geben, so wechselte er doch fortwährend die Farbe – seine Stimme war kurz, rauh und gebrochen – seine Glieder zitterten, als wären sie des Zwanges müde, der ihren Bewegungen aufgelegt ward – er runzelte die Stirn und biß sich auf die Lippen, daß sie bluteten – und jeder Blick und jede Bewegung zeigte, daß der leidenschaftlichste Fürst, der jemals lebte, einem seiner heftigsten Wuthanfälle zum Raube war.
Der König bemerkte diesen Kampf der Leidenschaft mit ruhigem und festem Blicke; denn obwohl ihm des Herzogs Blicke einen Vorschmack der Bitterkeit des Todes gaben, den er als sterblicher und sündiger Mensch fühlte, so war er doch, gleich einem geschickten Steuermann, entschlossen, sich weder durch seine eigne Furcht aus der Fassung bringen zu lassen, noch vom Steuerruder zu weichen, so lang noch Hoffnung blieb, das Fahrzeug durch gewandte Leitung zu retten. Als daher der Herzog in einem rauhen und gebrochenen Tone etwas über seinen Mangel an Bequemlichkeiten äußerte, so antwortete er mit einem Lächeln, »daß er sich nicht beklagen könne, da er gefunden habe, daß Herberts Thurm schon ein weit besserer Aufenthalt für ihn geworden sei, als für einen seiner Vorgänger.«
»Man erzählte Euch die Sage also?« sagte Karl – »Ja – hier ward er getödtet – aber es geschah, weil er sich weigerte, die Kutte zu nehmen und seine Tage in einem Kloster zu beschließen.«
»So war er ein großer Thor,« sagte Ludwig, Sorglosigkeit affektirend, »denn er erwarb sich die Qual eines Märtyrers, ohne das Verdienst eines Heiligen.«
»Ich komme,« sagte der Herzog, »um Eure Majestät zu einer Rathsversammlung einzuladen, in welcher Dinge von Gewicht besprochen werden sollen, welche die Wohlfahrt Frankreichs und Burgunds betreffen. Ihr werdet derselben sogleich beiwohnen – das heißt, wenn es Euch gefällig ist« – –
»Ei, lieber Vetter,« sagte der König, »treibt die Höflichkeit nicht so weit, zu betteln, wo Ihr kühnlich befehlen könnt – zur Versammlung also, da dies einmal Euer Wille ist. Unser Gefolge ist uns etwas beschnitten,« fügte er hinzu, einen Blick auf das geringe Gefolge werfend, welches sich bereitete, ihn zu begleiten – »aber Ihr, Vetter, müßt für uns beide glänzen.«
Unter dem Vortritt des Toison d'Or, Chefs der burgundischen Herolde, verließen die Fürsten den Herbertsthurm und betraten den Schloßhof, der, wie Ludwig bemerkte, von des Herzogs Leibwachen und Geharnischten in prachtvoller Rüstung und militärischer Ordnung besetzt war. Nachdem sie über den Hof gegangen waren, betraten sie die Rathshalle, die sich in einem weit neuern Theile des Gebäudes befand, als jenem, dessen Bewohner Ludwig gewesen war, und obwohl sie in unordentlichem Zustande, so hatte man sie doch in der Eile für eine feierliche Rathsversammlung eingerichtet. Zwei Thronsessel waren unter einem Baldachin aufgestellt, und zwar der des Königs um zwei Stufen höher, als jener, den der Herzog einnehmen sollte; etwa zwanzig Herren vom hohen Adel saßen, nach ihrem Range geordnet, zu beiden Seiten des Thronsessels; sonach behauptete, nachdem sich beide Fürsten niedergesetzt hatten, die Person, zu deren Verhör, wie man es nennen konnte, der Rath berufen war, den höchsten Platz in demselben, und schien den Vorsitz zu führen.
Vielleicht geschah es, um diesen Kontrast und die etwa daraus entspringenden Bedenklichkeiten auszugleichen, daß Herzog Karl, nachdem er sich gegen den König leicht verbeugt hatte, die Sitzung einfach mit folgenden Worten eröffnete:
»Meine lieben Vasallen und Räthe, es ist euch nicht unbekannt, welche Unruhen in unserem Gebiete, sowohl zu unsers Vaters, als zu unsern Zeiten, aus der Rebellion der Vasallen gegen ihre Obern und der Unterthanen gegen ihre Fürsten entstanden sind. Noch jüngst hatten wir den schlimmen Beweis von der Höhe, zu welcher diese Uebel bei uns gestiegen sind, durch ärgerliche Flucht der Gräfin Isabelle von Croye und ihrer Tante, der Gräfin Hameline, die bei einer fremden Macht Zuflucht suchten, dadurch sich von ihrer Lehenspflicht gegen uns lossagten und ihre Lehen verwirkten; ein anderes noch schrecklicheres und beklagenswertheres Beispiel liefert uns der frevelhafte und blutige Mord unsers geliebten Bruders und Bundesgenossen, des Bischofs von Lüttich, und der Aufstand dieser verrätherischen Stadt, die für ihre letzte Insurrection allzugelind bestraft ward. Wir sind henachrichtigt, daß diese und ähnliche Ereignisse nicht blos durch die Wandelbarkeit und Thorheit der Weiber, und die Anmaßung übermüthiger Bürger veranlaßt wurden, sondern auch durch die Umtriebe einer fremden Macht und die Einmischung eines mächtigen Nachbars, von welchem, wenn gute Thaten freundlich zu erwidern sind, Burgund nichts als die aufrichtigste und ergebenste Freundschaft hätte erwarten können. Wenn sich dies als wahr erweisen sollte,« setzte der Herzog, die Zähne zusammenbeißend und die Ferse gegen den Boden drückend, hinzu, »welche Rücksicht soll uns abhalten (da die Mittel in unserer Gewalt sind), alsdann solche Maßregeln zu treffen, die den Quell vollkommen verschließen, aus welchem uns jene Uebel alljährlich zuströmen?«
Der Herzog hatte seine Rede mit einiger Ruhe begonnen, erhöhte jedoch gegen den Schluß seine Stimme, und der letzte Satz ward in einem Tone gesprochen, der alle Räthe erzittern und selbst den König für einen Augenblick erblassen ließ. Aber sogleich kehrte sein Muth zurück, und er redete seinerseits die Versammlung in einem Tone an, der so viel Ruhe und Fassung zeigte, daß der Herzog, obwohl er ihn gern unterbrechen oder zum Schweigen bringen zu wollen schien, doch keine schickliche Gelegenheit dazu fand.
»Edle Herren von Frankreich und Burgund,« sagte er, »Ritter vom heiligen Geist und vom goldnen Vließ! Da ein König seine Sache als ein Angeklagter vertheidigen muß, so kann er keine ausgezeichneteren Richter wünschen, als die Blüthe des Adels und die Vorbilder und den Stolz des Ritterthums. Unser lieber Vetter hat die zwischen uns schwebende Streitfrage undeutlich gemacht, insofern ihn seine Höflichkeit abhielt, sie in genauen Ausdrücken darzustellen. Ich, der ich keine Ursache habe, solchem Zartgefühl nachzugeben, ja, da mir meine Lage dies gar nicht gestattet, bitte um Erlaubniß, deutlicher zu sprechen. Uns, seinem Lehensherrn, seinem Verwandten und Bundesgenossen, – uns hat unser Vetter, durch unglückliche Umstände verleitet, die sein klares Urtheil und seine bessere Natur täuschten, die gehässigen Beschuldigungen aufgebürdet, daß wir seine Vasallen von ihrer Lehenspflicht abwendig machten, daß wir die Einwohner Lüttichs zum Aufstande reizten und daß wir den geächteten Wilhelm von der Mark zu dem höchst frevelhaften und grausamen Morde veranlaßt hätten. Edle von Frankreich und Burgund, ich könnte mich allerdings auf die Umstände berufen, in denen ich mich jetzt befinde, welche an sich selbst einer solchen Anklage vollkommen widersprechen; denn kann man glauben, daß ich, so lange ich noch ein vernunftbegabtes Wesen bin, mich schutzlos in die Gewalt des Herzogs von Burgund begeben sollte, während ich Verrath gegen ihn schmiedete, der nothwendig entdeckt werden müßte, und, einmal entdeckt, mich dahin brächte, wo ich jetzt bin, in die Gewalt eines mit Recht erbitterten Fürsten? Die Narrheit eines Mannes, der sich ruhig auf eine Mine setzte, nachdem er die Lunte, die sofortige Explosion hervorbringen muß, bereits angezündet, würde, mit der meinigen verglichen, Weisheit heißen können. Ich zweifle nicht, daß unter den Rädelsführern bei dem abscheulichen Verrathe zu Schönwald Schurken gewesen sind, die meinen Namen mißbrauchten – aber soll ich dies verantworten, der ich ihnen das Recht dazu nicht verlieh? – Wenn zwei thörichte Frauen, unmuthig wegen irgend einer romantischen Affaire, Zuflucht an meinem Hofe suchten, folgt daraus, daß sie dies zufolge meines Rathes thaten? – Die weitere Untersuchung wird zeigen, daß ich, da mir Ehre und Ritterpflicht verboten, sie als Gefangene an den burgundischen Hof zurückzusenden (was mir, wie ich glaube, keiner der gegenwärtigen Ordensträger gerathen haben würde), daß ich diesem Ziele so nahe als möglich kam, indem ich sie den Händen des ehrwürdigen Vaters in Gott übersandte, der nun ein Heiliger im Himmel ist.« – Hier schien Ludwig sehr gerührt und drückte sein Taschentuch vor die Augen. – »Den Händen, sag' ich, eines Gliedes meiner eignen Familie, und noch näher verwandt mit der burgundischen, dessen Stellung, eine hohe kirchliche Stellung, und ach! dessen zahlreiche Tugenden ihn wohl geeignet machten, zu einem Beschützer dieser unglücklichen Flüchtlinge für eine kleine Zeit, und zu einem Vermittler zwischen ihnen und ihrem Lehensherrn. Ich sage daher, daß die einzigen Umstände, welche bei der vorschnellen Betrachtung dieses Gegenstandes meinem Bruder von Burgund den unwürdigen Verdacht gegen mich einzuflößen scheinen, von der Art sind, daß sie von den besten und ehrenhaftesten Beweggründen hergeleitet werden können; desgleichen sage ich, daß kein Wörtchen eines glaubwürdigen Zeugnisses herbeigeschafft werden kann, um die ungerechten Anklagen zu unterstützen, welche meinen Bruder verleiteten, seine freundlichen Blicke gegen einen Mann zu verändern, welcher im vollen Vertrauen der Freundschaft zu ihm kam – die ihn verleiteten, seine festliche Halle in einen Gerichtshof, und seine gastlichen Gemächer in ein Gefängniß zu verwandeln.«
»Herr, Herr,« sagte Karl, unmittelbar einfallend, so wie der König schwieg, »wenn Ihr zu einer Zeit hieher kamt, die so unglücklich mit der Ausführung Eurer Pläne zusammentraf, so kann ich dies nur durch die Vermuthung erklären, daß jene, die sich es zum Geschäft machen, Andre zu betrügen, sich selber zuweilen wunderbar täuschen. Der Ingenieur wird manchmal durch das Zerspringen seiner eignen Petarde getödtet. – Was noch folgen soll, das mag der Ausgang dieser feierlichen Untersuchung ausweisen. – Bringt die Gräfin Isabelle von Croye hieher!«
Als die junge Gräfin eingeführt ward, unterstützt einerseits von der Gräfin von Crèvecoeur, die von ihrem Gemahl hierzu Befehl erhalten hatte, und andrerseits von der Aebtissin des Ursulinenklosters, rief Karl, mit der gewohnten Rauhheit seines Tones und Benehmens: »So! süße Prinzessin – Ihr, die kaum Athem finden konnte, uns zu antworten, als wir Euch das letzte Mal unsre billigen und vernünftigen Befehle kund thaten, Ihr hattet doch genug Athem, um einen langen Lauf zu vollbringen, wie nur je ein gehetztes Reh – was meint Ihr zu dem schönen Streite, den Ihr zwischen zwei großen Fürsten angerichtet habt, zwischen zwei Reichen, die eben im Begriff waren, sich wegen Eures Kindergesichts zu bekriegen?«
Die zahlreiche Versammlung und Karls heftiges Benehmen vernichteten den Entschluß gänzlich, den Isabelle zuvor gefaßt hatte, nämlich sich zu des Herzogs Füßen zu werfen, mit der Bitte, ihre Güter einzuziehen und ihr zu erlauben, sich in ein Kloster zurückzuziehen. Sie stand regungslos, gleich einem erschreckten Weibe, die ein Sturm überfallen und die den Donner von allen Seiten rollen hört, bei jedem neuen Blitzstrahl den Schlag erwartend, der ihr Haupt treffen soll. Die Gräfin Crèvecoeur, eine Frau, ebenso voll Geist, wie hochgeboren, und mit Schönheit begabt, die sich auch in ihren spätern Jahren erhalten hatte, hielt es für nothwendig, das Wort zu nehmen. »Gnädigster Herzog,« sagte sie, »meine schöne Nichte befindet sich unter meinem Schutz. Ich verstehe besser als Eure Hoheit, wie Frauen behandelt werden müssen, und wir werden die Versammlung sogleich verlassen, wenn Ihr nicht einen Ton und eine Sprache anwendet, die sich mehr für unsern Rang und unser Geschlecht passen.«
Der Herzog brach in ein Gelächter aus. »Crèvecoeur,« sagte er, »deine Zahmheit hat eine gebieterische Dame aus deiner Gemahlin gemacht; aber das geht mich nichts an. Gebt jenem einfältigen Mädchen einen Stuhl – weit entfernt, feindselig gegen sie gesinnt zu sein, will ich ihr sogar die höchste Gnade und Ehre erweisen. – Setzt Euch, Fräulein, und erzählt uns mit Muße, welcher Satan Euch eingab, aus Eurer Heimath zu entfliehen und das Leben einer irrenden Dame zu führen.«
Mit vieler Mühe und nicht ohne häufige Unterbrechungen gestand Isabelle, daß sie, einer ihr vom Herzog von Burgund vorgeschlagenen Heirath ganz abgeneigt, die Hoffnung genährt habe, am französischen Hofe Schutz zu erlangen.
»Den Schutz des französischen Monarchen,« sagte Karl, – »dessen Ihr ohne Zweifel im Voraus versichert wart?«
»Ich glaubte desselben allerdings versichert zu sein,« sagte die Gräfin Isabelle, »sonst würde ich einen so entschiedenen Schritt nicht gewagt haben.« – Hier blickte Karl mit einem unaussprechlich bittern Lächeln auf Ludwig, welches dieser mit größter Festigkeit aushielt, außer daß seine Lippe etwas bleicher als gewöhnlich ward. – »Aber meine Nachricht in Betreff der Gesinnungen König Ludwigs gegen uns,« fuhr die Gräfin nach einer kurzen Pause fort, »rührte fast nur von meiner unglücklichen Verwandten, der Gräfin Hameline, her, und ihre Meinung gründete sich auf Versicherungen und Andeutungen von Personen, die ich seitdem als die elendesten Verräther und treulosesten Bösewichter von der Welt habe kennen lernen.« Dann berichtete sie mit kurzen Worten, was sie seitdem von der Verrätherei der Marthon und von Hayraddin Maugrabin erfahren hatte, und fügte noch hinzu, daß sie »nicht zweifle, daß der ältere Maugrabin, genannt Zamet, der eigentliche Rathgeber bei ihrer Flucht, jeder Verrätherei fähig sei, und auch wohl ohne Vollmacht den Charakter eines Agenten des Königs Ludwig angenommen haben könne.«
Nach einer Pause fuhr die Gräfin in ihrer Erzählung fort, die sie, obwohl in der Kürze, verfolgte, von der Zeit, da sie das burgundische Gebiet in Gesellschaft ihrer Tante verlassen, bis zur Erstürmung von Schönwald und ihrer endlichen Gefangennahme durch den Grafen Crèvecoeur.
Alle blieben stumm, nachdem sie ihre kurze und abgebrochene Erzählung geendigt hatte, und der Herzog von Burgund ließ seine zornigen düstern Augen am Boden ruhen, wie einer, der einen Vorwand sucht, um seiner Leidenschaft Raum zu geben, und doch keinen hinlänglich guten Grund finden kann, der sein Benehmen in seinen eignen Augen rechtfertigen könnte. »Der Maulwurf,« sagte er endlich, die Augen erhebend, »wühlt seinen dunkeln unterirdischen Pfad unter unsern Füßen gewißlich, obschon wir ihn, da wir seine Bewegungen nicht kennen, nicht immer mit Bestimmtheit angeben können. Doch mögte ich von König Ludwig wissen, warum er diese Damen an seinem Hofe behielt, wenn sie sich nicht auf seine bestimmte Einladung dorthin begeben hatten.«
»Ich hielt sie dort nicht auf, lieber Vetter,« sagte der König. »Aus Mitleid empfing ich sie allerdings incognito in einem Privathaus, benutzte aber die erste Gelegenheit, sie unter den Schutz des verstorbenen, trefflichen Bischofs, Eures eignen Bundesgenossen, zu stellen, der (Gott hab' ihn selig!) besser als ich oder jeder andre weltliche Fürst urtheilen konnte, wie man den Schutz, den man Flüchtlingen schuldig ist, mit der Verpflichtung in Einklang bringen muß, die ein König gegen seinen Bundesgenossen, aus dessen Gebiete jene geflohen sind, beobachten soll. Kühn frage ich diese junge Dame, ob ich sie herzlich aufnahm, oder ob, im Gegentheil, auf eine Weise, die ihnen meinen Kummer ausdrückte, daß sie meinen Hof zum Zufluchtsort gewählt hatten?«
»Sie war so wenig herzlich,« antwortete die Gräfin, »daß wenigstens ich dadurch zu zweifeln anfing, ob es möglich sei, daß Eure Majestät wirklich die Einladung gemacht haben könne, deren wir durch jene, die sich selbst Eure Agenten nannten, versichert waren; denn wären sie wirklich durch Euren Befehl zu ihrem Verfahren ermächtigt gewesen, so würde sich Ew. Majestät Benehmen kaum mit dem haben in Einklang bringen lassen, welches man von einem König, einem Ritter und Edelmann erwarten darf.«
Die Gräfin warf dem Könige, während sie sprach, einen Blick zu, der wahrscheinlich einen Vorwurf enthalten sollte, aber Ludwigs Brust war gegen solche Artillerie gerüstet. Im Gegentheil schien er, langsam die ausgestreckte Hand bewegend und im Kreise umherblickend, alle Anwesende triumphirend auf das Zeugniß aufmerksam machen zu wollen, welches die Antwort der Gräfin für seine Unschuld enthielt.
Der Herzog warf ihm indessen einen Blick zu, welcher zu sagen schien, daß er, obwohl in einer Hinsicht zum Schweigen gebracht, doch noch so wenig wie vorher zufrieden gestellt sei, und darauf sagte er kurz abgebrochen zur Gräfin: – »Mich dünkt, schönes Fräulein, daß Ihr in diesem Bericht von Euren Irrfahrten gewisse Liebesangelegenheiten zu erwähnen vergaßt. – So, ha! schon erröthet Ihr? – Gewisse Ritter des Waldes waren es, die Eure Ruhe eine Zeit lang störten. Wohlan – die Sache ist uns zu Ohren gekommen, und etwas daran können wir sogleich erörtern. – Sagt mir, König Ludwig, wäre es nicht gut, bevor diese wandernde Helena von Troja, oder von Croye, noch mehr Könige uneins macht, – wäre es nicht gut, eine passende Heirath für sie auszumitteln?«
Obwohl König Ludwig wußte, welcher unangenehme Vorschlag nun folgen würde, so gab er doch ruhig und schweigend seine Zustimmung zu dem, was Karl sagte; aber die Gräfin faßte in dieser bedrängten Lage neuen Muth. Sie ließ den Arm der Gräfin von Crèvecoeur los, auf den sie sich bisher gestützt hatte, trat schüchtern aber mit würdevoller Haltung vorwärts, und redete den Herzog, indem sie vor ihm niederkniete, folgendermaßen an: »Edler Herzog von Burgund und mein Lehensherr! ich erkenne mich als schuldig an, indem ich mich ohne Eure gnädigste Erlaubniß aus Eurem Gebiete entfernte, und will mich demüthig jeder Strafe unterziehen, die Euch beliebt, mir aufzulegen. Ich überlasse meine Ländereien und Schlösser Eurer rechtmäßigen Verfügung, und bitte Euch nur, um Eurer eignen Güte und des Andenkens meines Vaters willen, zu gestatten, daß die Letzte aus dem Hause Croye ein mäßiges Einkommen erhalte, um sich dafür die Aufnahme in ein Kloster zu bereiten, wo sie den Rest ihres ganzen Lebens verleben will.«
»Was sagt Ihr zu dieser Bitte der jungen Dame?« sagte der Herzog zum König.
»Sie mag aus einer heiligen und demüthigen Regung entspringen,« sagte der König, »welche ohne Zweifel von der Gnade eingegeben ist, welcher man nicht widerstehen oder entgegenhandeln sollte.«
»Die Bescheidnen und Demüthigen sollen erhöhet werden,« sagte Karl. »Steht auf, Gräfin Isabelle – wir meinen es besser mit Euch, als Ihr selber. Wir denken weder Eure Güter einzuziehen, noch Euren Rang zu schmälern, sondern, im Gegentheil, wir wollen beide noch vergrößern.«
»Ach, mein Fürst,« sagte die Gräfin, ohne aufzustehen, »es ist eben diese wohlgemeinte Güte, die ich mehr fürchte, als Eurer Hoheit Ungnade, da sie mich nöthigt« –
»Heiliger Georg von Burgund!« sagte Herzog Karl, »muß jedesmal unser Wille verworfen, unserm Befehl widersprochen werden? Auf, sag'ich, Närrchen, und zieht Euch für jetzt zurück. Wenn wir Zeit haben, deiner zu denken, so wollen wir die Sache so angreifen, daß Ihr, Teste-Saint-Gris! uns gehorchen, oder das Aergste befahren sollt!«
Trotz dieser harten Antwort blieb die Gräfin Isabelle zu seinen Füßen, und würde ihn wahrscheinlich durch ihre Hartnäckigkeit zu noch weit strengern Ausdrücken gereizt haben, hätte nicht die Gräfin Crèvecoeur, welche des Fürsten Charakter besser kannte, ihre junge Freundin aufgehoben und aus der Halle geführt.
Quentin Durward mußte nun erscheinen und stellte sich dem König und dem Herzog mit jener zwanglosen Haltung vor, eben so fern von blöder Zurückhaltung als zudringlicher Anmaßung, wie es sich für einen jungen Mann von edler Geburt und guter Erziehung ziemt, der Ehre gibt, wem sie gebührt, ohne sich durch die Gegenwart derjenigen, denen er Ehrerbietung zu erweisen hat, blenden oder verwirren zu lassen. Sein Oheim hatte ihn mit den Mitteln versehen, sich wieder mit den Waffen und der Kleidung eines schottischen Bogenschützen der Leibgarde zu zeigen, und seine Miene, seine Haltung und sein Benehmen stimmten völlig mit jener glänzenden Ausstattung überein. Auch seine große Jugend gewann ihm die Gunst aller Versammelten, um so mehr, da Niemand leicht glauben konnte, daß der schlaue Ludwig einen so jungen Mann zur Vollziehung politischer Intriguen erlesen haben möchte; und so zog der König, in diesem wie in andern Fällen, beträchtlichen Vortheil aus der seltsamen Wahl seiner Agenten, sowohl was ihr Alter als ihren Stand betraf, wodurch eine solche Wahl wenigstens unwahrscheinlich erscheinen mußte. Auf Befehl des Herzogs, welchem auch der König beistimmte, begann Quentin die Erzählung von seiner Reise mit den Damen von Croye bis in die Nähe von Lüttich, nachdem er eine Nachricht von König Ludwigs Instructionen vorausgeschickt hatte, welche dahin lauteten, die Damen wohlbehalten nach dem Schlosse des Bischofs zu geleiten.
»Und Ihr gehorchtet meinen Befehlen?« sagte der König.
»Ich that es, Sire,« erwiderte der Schotte.
»Ihr übergeht einen Umstand,« sagte der Herzog. »Ihr wurdet im Walde von zwei irrenden Rittern angehalten.«
»Es kommt mir nicht zu, mich dieses Vorfalls zu erinnern, noch seiner zu erwähnen,« sagte der Jüngling, bescheiden erröthend.
»Aber mir kommt es nicht zu, ihn zu vergessen,« sagte der Herzog von Orleans. »Dieser Jüngling vollzog seinen Auftrag männlich, und that seine Pflicht auf eine Weise, deren ich lange gedenken werde. – Kommt auf mein Zimmer, Bogenschütz, wenn diese Angelegenheit beendigt ist, und Ihr sollt erfahren, daß ich Euer tapfres Betragen nicht vergessen habe: ich freue mich jetzt, zu sehen, daß demselben auch deine Bescheidenheit gleichkommt.«
»Auch zu mir kommt,« sagte Dunois. »Ich habe einen Helm für Euch, denn mich dünkt, ich bin Euch einen schuldig.« Quentin verbeugte sich vor beiden und die Untersuchung ging weiter. Auf Befehl des Herzogs Karl zeigte er die schriftlichen Instructionen vor, die er für die Reise erhalten hatte.
»Folgtet Ihr diesen Instructionen buchstäblich, Soldat?« sagte der Herzog.
»Nein, mit Ew. Hoheit Erlaubniß,« erwiderte Quentin. »Sie befahlen mir, wie Ihr ersehen könnt, bei Namur über die Maas zu gehn; ich blieb aber auf dem linken Ufer weil dies der nähere und sicherere Weg nach Lüttich war.«
»Und weßhalb diese Aenderung?« sagte der Herzog.
»Weil mir die Treue meines Wegweisers verdächtig vorkam,« antwortete Quentin.
»Nun merkt auf die Fragen, die ich Euch zunächst vorlegen werde,« sagte der Herzog. »Beantwortet sie aufrichtig und fürchtet den Unwillen keines Menschen. Wenn du aber stockst oder zweideutig in deinen Antworten bist, so laß ich dich lebendig an einer eisernen Kette am Thurme des Rathhauses aufhängen, wo du den Tod manche Stunde ersehnen sollst, eh' er kommt, dich zu erlösen.«
Hier folgte eine tiefe Stille. Endlich, nachdem er, seiner Meinung nach, dem Jüngling Zeit gelassen hatte, die Umstände zu erwägen, unter welchen er sich befand, verlangte der Herzog von Durward zu wissen, wer sein Wegweiser war, von wem er ihn erhalten, und warum er Argwohn gegen denselben gehegt habe? Die erste dieser Fragen beantwortete Quentin Durward, indem er Hayraddin Maugrabin, den Zigeuner, nannte; die zweite: daß ihm der Wegweiser durch Tristan l'Hermite empfohlen worden war; und zur Beantwortung des dritten Punktes erwähnte er, was sich im Franciskanerkloster bei Namur ereignet hatte, wie der Zigeuner aus dem heiligen Hause getrieben worden war, und wie er selbst, Durward, sein Betragen beargwöhnend, ihm dann zu einem Stelldichein mit einem Lanzknechte Wilhelms von der Mark nachgeschlichen sei, wo er die Besprechung eines Planes belauscht habe, wie man die unter seinem Schutz stehenden Damen überfallen wolle.
»Nun höre ferner,« sagte der Herzog, »und gedenke nochmals, daß dein Leben von der Wahrhaftigkeit deiner Rede abhängt – erwähnten jene Schurken, daß sie von diesem König, – ich meine von diesem König Ludwig, ermächtigt wären, die Begleitung dieser Damen zu überfallen und sie selbst hinwegzuführen?«
»Wenn solche ehrlose Menschen dergleichen behauptet hätten,« erwiderte Quentin, »so weiß ich nicht, wie ich ihnen hätte glauben können, da ich des Königs eigenes Wort dem ihrigen entgegensetzen konnte.«
Ludwig, der bis hieher mit gespanntester Aufmerksamkeit zugehört hatte, konnte nicht umhin, jetzt tief Athem zu holen, gleich Einem, der seine Brust plötzlich von einem schweren Gewicht befreit fühlt. Der Herzog blickte wieder unbefriedigt und mißlaunig; darauf befragte er Quentin noch genauer, ob er nicht aus dem Gespräch dieser Männer so viel verstanden habe, daß ihre beabsichtigten Anschläge König Ludwigs Genehmigung hätten?
»Ich wiederhole, daß ich nichts hörte, was mich ermächtigen könnte, dies zu behaupten,« antwortete der junge Mann, welcher, obwohl innerlich von des Königs Antheil an Hayraddin's Verrätherei überzeugt, es doch nicht mit seiner Pflichttreue verträglich hielt, seinen persönlichen Argwohn in dieser Sache zu äußern; »und hätt' ich von solchen Menschen eine solche Behauptung gehört, so wiederhole ich, daß ich ihr Zeugniß nicht gegen des Königs Instructionen auf die Wagschale gelegt haben würde.«
»Du bist ein treuer Bote,« sagte der Herzog höhnisch; »und ich wage zu behaupten, daß du durch Befolgung der Instructionen des Königs seine Erwartungen auf eine Weise getäuscht hast, daß es dir übel dafür ergangen sein dürfte, hätten die folgenden Ereignisse deine stierköpfige Treue nicht zu einem guten Dienste gestempelt.«
»Ich verstehe Euch nicht, Herr,« sagte Quentin Durward; »Alles was ich weiß, ist, daß mir mein Herr, König Ludwig, auftrug, diese Damen zu schützen, und dies hab' ich auch gethan, so weit meine Kräfte reichten, sowohl während der Reise nach Schönwald, als während der Scenen, die darnach folgten. Ich konnte die Instructionen des Königs nur für ehrenvoll ansehen, und ich habe sie ehrenvoll ausgeführt; wären sie andrer Art gewesen, so hätten sie sich für keinen meines Namens oder meiner Nation geeignet.«
» Fier comme un Ecossais,« sagte Karl, der, wie unzufrieden er auch mit Durward's Antwort sein mochte, doch nicht ungerecht genug war, um seine Kühnheit zu tadeln. »Doch hör' an, Bogenschütze, wessen Instructionen schrieben dir vor, in den Straßen Lüttichs, wie uns einige unglückliche Flüchtlinge von Schönwald berichteten, an der Spitze jener Meuterer zu paradiren, die hernach ihren weltlichen Fürsten und geistlichen Vater grausam ermordeten? Und warum hieltest du, nachdem der Mord vollbracht war, eine Rede, worin du dich für einen Agenten Ludwigs ausgabst, um unter jenen Schurken, die soeben eine solche Schandthat verübt hatten, Ansehn zu erlangen?«
»Herr,« sagte Quentin, »es sind Viele vorhanden, die bezeugen könnten, daß ich in der Stadt Lüttich den Charakter eines französischen Gesandten nicht annahm, sondern daß mir dieser durch das beharrliche Geschrei des Volkes beigelegt ward, welches alle meine Protestationen dagegen nicht gelten ließ. Ich berichtete dies auch den Beamten des Bischofs, nachdem ich aus der Stadt entflohen war, und empfahl ihnen, für die Sicherheit des Schlosses Sorge zu tragen, wodurch das Unglück und die Schreckensscene der folgenden Nacht hätten vermieden werden können. Allerdings ist es wahr, daß ich mich in der äußersten Gefahr des Einflusses bediente, den mir mein vermeinter Charakter gab, um die Gräfin Isabelle zu retten, mein eignes Leben zu schützen und so viel als möglich die Mordlust zu bändigen, die sich bereits durch eine so schreckliche That kund gethan hatte. Ich wiederhole und will mein Leben dafür zum Pfande setzen, daß ich vom König von Frankreich keinen Auftrag irgend einer Art in Bezug auf die Einwohner Lüttichs hatte, und noch weniger Instructionen, sie zur Meuterei zu reizen; und wenn ich mich endlich meines vermeintlichen Charakters bediente, so handelte ich gleich einem Manne, der, um sich zu schirmen, im Augenblicke der höchsten Bedrängniß ein Schild ergreift und es braucht, so wie ich allerdings that, um mich und Andere zu vertheidigen, ohne erst zu fragen, ob ich ein Recht auf die Wappenbilder hatte, die es zeigte.«
»Und darin,« sagte Crèvecoeur, der jetzt nicht länger zu schweigen vermochte, »handelte mein junger Begleiter und Gefangener mit eben so viel Muth als Geistesgegenwart; und sein Verfahren kann billigerweise dem König Ludwig nicht zum Tadel gereichen.«
Ein Beifallsgemurmel lief jetzt durch die Reihen des versammelten Adels, welches für die Ohren König Ludwigs eben so erfreulich, als für Karl ärgerlich war. Er schaute zornig umher, und jene allgemein von so vielen unter dem höchsten Adel und den weisesten Räthen ausgesprochne Gesinnung hätte ihn vielleicht nicht abgehalten, seinem heftigen und despotischen Gemüthe nachzugeben, hätte nicht Comines die drohende Gefahr dadurch verhütet, daß er plötzlich einen Herold von der Stadt Lüttich ankündigte.
»Ein Herold von Webern und Nagelschmiden?« rief der Herzog – »doch, laßt ihn sogleich vor. Bei unsrer Frau, von diesem Herold will ich mehr über seiner Absender Hoffnungen und Pläne erfahren, als mir dieser junge französisch-schottische Krieger sagen zu wollen scheint!«