Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Die Zusammenkunft.

Versammeln Fürsten sich, so möge dies
Der Astrolog als schlimmes Zeichen ansehn,
So wie des Mars und des Saturn Begegnung.

Altes Schauspiel.

Man weiß kaum, ob man es ein Vorrecht oder eine Strafe nennen soll, die vom Stande der Fürsten unzertrennlich ist, daß sie nämlich in ihren Zusammenkünften unter einander durch die ihrem Range und ihrer Würde schuldige Rücksicht genöthigt werden, ihre Gefühle und Ausdrücke nach einer strengen Etiquette zu regeln, die alle heftigen und leidenschaftlichen Aeußerungen verbietet und die, wäre der ganzen Welt nicht bekannt, daß diese erzwungene Höflichkeit nur Sache des Ceremoniells ist, mit Recht für eine große Verstellung gelten könnte. Nicht minder gewiß ist indeß, daß das Ueberschreiten dieser Gränzen des Ceremoniells, um nur den zornigen leidenschaftlichen Gefühlen freien Raum zu geben, die fürstliche Würde vor der Welt im Allgemeinen herabsetzt; so war es vorzüglich der Fall, als jene großen Nebenbuhler, Franz I. und Kaiser Karl, sich gegenseitig der Lüge zeiheten und den Wunsch blicken ließen, ihre Zwistigkeiten durch persönlichen Zweikampf zu schlichten.

Karl von Burgund, der hastigste und ungeduldigste, ja, der unklugste Fürst seiner Zeit, fand sich trotzdem in dem magischen Kreise gebunden, den ihm die Ehrerbietung gegen Ludwig, als seinen Souverain und Lehensherrn, vorschrieb, welcher ihn, einen Vasallen der Krone, der ausgezeichneten Ehre eines persönlichen Besuchs würdigte. In seinen Herzogsmantel gekleidet und umgeben von seinen höchsten Beamten und vorzüglichsten Rittern und Edelleuten, ging er in stattlichem Zuge Ludwig dem Elften entgegen. Sein Gefolge blitzte von Gold und Silber; denn da der Reichthum des Hofes von England durch die Kriege von York und Lancaster erschöpft war, und der Aufwand Frankreichs durch die Sparsamkeit des Herrschers beschränkt ward, so ward der burgundische Hof der prächtigste seiner Zeit in Europa. Das Gefolge Ludwigs hingegen war gering an Zahl und verhältnißmäßig von ärmlichem Ansehen; das Aeußere des Königs selbst, in einem fadenscheinigen Mantel und mit dem alten Hute voll Heiligenbilder, machte den Gegensatz noch schroffer. Und als der Herzog, reich angethan mit Krone und Staatsmantel, von seinem edeln Streitroß stieg und, ein Knie beugend, sich bereit machte den Steigbügel zu halten, während Ludwig von seinem zahmen Klepper stieg, so brachte dies eine fast groteske Wirkung hervor.

Die Begrüßung der beiden Herrscher war natürlich eben so voll erkünstelter Freundlichkeit und Höflichkeit, als gänzlich entfernt von aufrichtiger Gesinnung. Aber der Charakter des Herzogs machte es ihm weit schwerer den notwendigen äußern Schein in Stimme, Sprache und Benehmen zu bewahren, während beim König jede Art von Heuchelei und Verstellung so sehr mit der Natur verwachsen schien, daß selbst seine Vertrautesten nicht hätten unterscheiden können, was Wahrheit und was Schein war.

Die treffendste Vergleichung, wäre sie nicht zweier so hoher Herrscher unwürdig, dürfte vielleicht die sein, sich den König in der Lage eines Fremden zu denken, der, vollkommen bekannt mit den Gewohnheiten und dem Charakter des Hundegeschlechts, aus irgend einem Grunde Verlangen trägt, das Vertrauen eines ungeheuern Bullenbeißers zu gewinnen, der ihn argwöhnisch betrachtet und geneigt ist, ihn bei dem ersten Zeichen von Mißtrauen zu zerreißen. Der Bullenbeißer knurrt leise, sträubt sein Haar und zeigt die Zähne, scheut sich jedoch auf den Ankömmling loszuspringen, der zu gleicher Zeit so freundlich und vertrauend scheint; und daher duldet das Thier seine Annäherung, die es jedoch keineswegs friedlich stimmt, indem es vielmehr eifrig auf die geringste Gelegenheit späht, die es berechtigen dürfte, dem Freund an die Kehle zu fahren.

Ohne Zweifel merkte der König an der veränderten Stimme, dem erzwungenen Betragen und den besonderen Geberden des Herzogs, daß er ein bedenkliches Spiel zu spielen habe, und vielleicht bereute er mehr als einmal, daß er es unternommen. Aber die Reue kam zu spät, und es blieb ihm nichts weiter übrig, als jene unnachahmliche Gewandtheit und Politik, die der König zum mindesten eben so gut inne hatte, als der gewandteste, der je lebte.

Das Benehmen, dessen sich Ludwig gegen den Herzog bediente, glich ganz dem freundlichen Herzensergusse in einem Augenblicke aufrichtiger Versöhnung mit einem geschätzten und erprobten Freunde, dem er durch zufällige Umstände entfremdet war, die nun ausgeglichen sind und eben so schnell vergessen als entfernt werden. Der König tadelte sich, daß er den entscheidenden Schritt nicht eher gethan, um seinen freundlichen und guten Vetter durch ein solches Zeichen des Vertrauens zu überzeugen, daß die Mißhelligkeiten, welche zwischen ihnen stattgefunden, nichts bedeutend für ihn erschienen, wenn er sie mit der Freundschaft vergliche, die er während seiner Verbannung aus Frankreich und bei der Ungnade seines königlichen Vaters empfangen habe. Er sprach von dem guten Herzog von Burgund, wie Philipp, der Vater des Herzogs Karl, gewöhnlich genannt wurde, und führte wohl tausend Beispiele seiner väterlichen Güte an.

»Ich glaube, Vetter,« sagte er, »Euer Vater machte wenig Unterschied in seiner Zuneigung zwischen mir und Euch; denn ich entsinne mich noch, wie der gute Herzog, als ich mich zufällig auf einer Jagdpartie verirrt hatte, Euch schalt, daß Ihr mich im Walde verlassen hättet, als ob Ihr zu unbesorgt um die Sicherheit eines ältern Bruders gewesen wäret.«

Des Herzogs von Burgund Züge waren von Natur hart und streng; und als er zu lächeln versuchte, um dadurch eine höfliche Anerkennung der Wahrheit dessen, was der König sagte, auszudrücken, so war es eine wahrhaft diabolische Grimasse, was er zu Wege brachte.

»Fürst aller Heuchler,« dachte er bei sich, »ich wollte, es vertrüge sich mit meiner Ehre, Euch zu erinnern, wie Ihr alle Wohlthaten unsers Hauses vergolten habt!«

»Und sodann,« fuhr der König fort, »wenn die Bande der Blutsfreundschaft und Dankbarkeit nicht hinreichend sind, uns aneinander zu fesseln, mein lieber Vetter, so haben wir auch die der geistlichen Verwandtschaft; denn ich bin der Pathe Eurer schönen Tochter Maria, die mir so theuer ist, wie eine meiner Töchter; und als die Heiligen (ihr geweiheter Name sei gepriesen!) mir einen kleinen Sproß sandten, der im Laufe dreier Monate verwelkte, da war es Euer fürstlicher Vater, der ihn zur Taufe hielt und die Ceremonie stattlicher feierte, als es Paris im Stande gewesen sein würde. Nie werde ich den tiefen, den unauslöschlichen Eindruck vergessen, den die Großmuth des Herzogs Philipp und die Eurige, mein theuerster Vetter, auf das halbgebrochene Herz des armen Verbannten machte!«

»Eure Majestät,« sagte der Herzog, indem er sich anstrengte, eine Antwort zu geben, »erwähnte der geringen Verbindlichkeit mit Ausdrücken, welche Alles überboten, was Burgund thun konnte, um die Ehre geziemend anzuerkennen, die Ihr seinem Fürsten erwieset.«

»Ich entsinne mich der Worte, die Ihr meint, lieber Vetter,« sagte der König lächelnd; »ich glaube, sie lauteten, daß ich, zur Vergeltung der an jenem Tage bewiesenen Güte, als ein armer Flüchtling nichts zu bieten hätte, als meine eigene Person und die meines Weibes und Kindes; – nun, mich dünkt, ich habe dieß Versprechen so ziemlich erfüllt.«

»Ich bin nicht Willens, zu bestreiten, was Ew. Majestät zu behaupten gefällt,« sagte der Herzog; »aber –«

»Aber Ihr fragt,« sagte der König, ihn unterbrechend, »wie meine Thaten mit meinen Worten übereingestimmt haben? – Genau so: der Leib meines Kindes Joachim ruht in burgundischer Erde – meine eigne Person hab' ich diesen Morgen unbedingt in Eure Gewalt gegeben – und was die meines Weibes betrifft, – wirklich, Vetter, ich denke, in Betracht der seitdem verflossenen Zeit werdet Ihr kaum darauf bestehen, daß ich in diesem Falle mein Wort halte. Sie war am Tage Mariä Verkündigung geboren (hierbei bekreuzte er sich und murmelte ein Ora pro nobis), vor etlichen fünfzig Jahren; aber sie ist nicht weiter von hier, als Rheims, und wenn Ihr darauf besteht, daß ich mein Versprechen buchstäblich erfülle, so soll sie Euch sogleich zu Befehl stehen.«

Obwohl der Herzog unwillig über den offenbaren Versuch des Königs war, einen Ton der Freundschaft und Vertraulichkeit gegen ihn anzunehmen, so konnte er doch nicht umhin, über die seltsame Antwort des Monarchen zu lachen, und sein Lachen war so mißtönend, als die abgebrochenen leidenschaftlichen Laute, in denen er oft sprach. Nachdem er länger und lauter gelacht hatte, als es in jenen Tagen (wie auch jetzt) für Zeit und Gelegenheit ziemlich schien, antwortete er im nämlichen Tone, ohne Umstände die Ehre der königlichen Gesellschaft ablehnend, erklärte jedoch zugleich, daß er mit Vergnügen des Königs Tochter aufnehmen werde, deren Schönheit berühmt war.

»Es freut mich, lieber Vetter,« sagte der König, mit jenem zweideutigem Lächeln, das oft an ihm bemerkt wurde, »daß Euer gnädiger Wille sich nicht auf meine jüngere Tochter Johanna bezieht. Denn sonst möcht' es ein Lanzenbrechen zwischen Euch und meinem Vetter von Orleans gegeben haben; und wär' ein Unglück daraus entstanden, so hätt' ich in jedem Falle einen lieben Freund und zärtlichen Vetter verloren.«

»Nein, nein, mein königlicher Herr,« sagte Herzog Karl, »der Herzog von Orleans soll durch mich nicht auf dem Pfade aufgehalten werden, den er par amours erwählt hat. Die Sache, um die ich meine Lanze gegen Orleans richte, muß schön und gerade sein.«

Ludwig war weit entfernt, diese grobe Anspielung auf die persönliche Häßlichkeit der Prinzessin Johanna übel zu empfinden. Im Gegentheil, er freute sich über die Entdeckung, daß der Herzog sich an rohen Späßen ergötzen konnte, worin er selber geübt war, und die ihm (nach der modernen Ausdrucksweise) viel sentimentale Heuchelei ersparten. Daher gründete er die Unterhaltung sogleich auf dergleichen, so daß Karl, obwohl er fühlte, es sei ihm unmöglich, die Rolle eines liebenden und versöhnten Freundes gegen einen Monarchen zu spielen, dessen schlechte Dienste er so oft empfunden hatte, und an dessen Aufrichtigkeit bei dieser Gelegenheit er so sehr zweifelte, es doch nicht schwierig fand, den herzlichen Wirth gegen einen witzigen Gast zu machen. So ward der Mangel an gegenseitiger freundlicher Gesinnung zwischen ihnen durch den geselligen Ton ersetzt, welcher zwischen zwei guten Gesellschaftern immer statt findet, – ein Ton, der dem Herzog wegen der Offenheit, und man möchte sagen, der Grobheit seines Charakters natürlich war, dem Könige aber nicht minder, weil, obwohl er jede Art geselliger Unterhaltung zu führen verstand, diese am besten für ihn paßte, in welcher sich rohe Gedanken und witziger Ausdruck vereinigen ließen.

Zum Glück wußten beide Fürsten, während eines Bankets auf dem Stadthause zu Péronne, denselben Ton der Unterhaltung fortzusetzen, in welcher sie sich, wie auf neutralem Boden, begegneten, und die, wie Ludwig leicht begriff, weit mehr als jede andre fähig war, den Herzog von Burgund in dem ruhigen Zustande zu erhalten, der ihm zu eigner Sicherheit nöthig schien.

Doch verursachte es ihm Besorgniß, zu bemerken, daß der Herzog mehrere jener französischen Edelleute um sich hatte, die noch dazu sich großen Vertrauens und Ansehens zu erfreuen hatten, welche seine eigne Strenge oder Ungerechtigkeit in die Verbannung trieb. Und nur, um sich vor den möglichen Wirkungen ihrer Rache und ihres Hasses zu sichern, bat er (wie bereits erwähnt) lieber im Schloß oder der Citadelle von Péronne einquartirt zu werden, als in der Stadt selbst. Dieß gewährte Herzog Karl bereitwillig, und zwar mit jenem grimmigen Lächeln, von dem man unmöglich sagen konnte, ob es demjenigen, dem es galt, Heil oder Unheil bedeute.

Als aber der König, (indem er sich mit möglichster Delicatesse und auf die Weise, die ihm am dienlichsten schien, den Argwohn in Schlaf zu lullen, ausdrückte) fragte, ob nicht die schottischen Bogenschützen seiner Leibwache das Schloß von Péronne während seines dortigen Aufenthalts statt eines der Thore besetzen dürften, welches letztere der Herzog ihrer Obhut vertraut hatte, da erwiderte Karl mit seiner gewohnten rauhen Stimme und kurzen Ausdrucksweise, die dadurch noch heftiger erschien, als er beim Sprechen den Schnurrbart drehte, und an's Schwert oder an den Dolch griff, den er dann entblößte und wieder in die Scheide stieß: – »Bei St. Martin! Nein, mein Lehensherr. Ihr seid im Lager und in der Stadt Eures Vasallen – so nennen mich die Leute in Bezug auf Ew. Majestät – mein Schloß und meine Stadt sind die Eurigen, und meine Mannen sind ebenso die Eurigen; also ist es gleichgiltig, ob meine Krieger oder die schottischen Bogenschützen das äußere Thor bewachen, oder das Schloß besetzen. – Nein, bei St. Georg! Péronne ist eine jungfräuliche Festung – sie soll ihren Ruhm nicht durch meine Schuld verlieren. Jungfrauen muß man sorgfältig bewachen, mein königlicher Vetter, wenn man will, daß sie ihren guten Ruf behalten.«

»Gewiß, mein lieber Vetter, und ich stimme Euch völlig bei,« sagte der König, »denn ich bin in der That mehr betheiligt bei dem guten Rufe der guten kleinen Stadt, als Ihr – da Péronne, wie Ihr wißt, lieber Vetter, einer der Orte an dem nämlichen Flusse, der Somme, ist, welche Euerm Vater seligen Andenkens als Pfand eines Darlehens eingeräumt wurden und daher durch Rückzahlung desselben eingelöst werden können. Und da ich, um die Wahrheit zu gestehen, wie ein ehrlicher Schuldner komme, und alle meine Verbindlichkeiten lösen will, so habe ich einige mit Silber beladene Maulthiere mitgebracht, um die Summe zu zahlen – welche hinreicht, lieber Vetter, Euren fürstlichen und königlichen Hofstaat ganze drei Jahre zu unterhalten.«

»Ich werde keinen Pfennig davon annehmen,« sagte der Herzog, seinen Schnurrbart drehend; »die Frist der Einlösung ist verstrichen, mein königlicher Vetter; auch ward nie im Ernst die Absicht gehegt, nach dem Rechte zu verfahren; denn die Abtretung dieser Städte war der einzige Lohn, den mein Vater je von Frankreich erhielt, als er, in glücklicher Stunde für Eure Familie, sich dazu verstand, die Ermordung meines Großvaters zu vergessen, und statt seines früheren Bündnisses mit England das mit Eurem Vater einzugehen. Heiliger Georg! hätt' er das nicht gethan, so würdet Ihr selber, weit entfernt, Städte an der Somme zu haben, kaum im Besitze der jenseits der Loire gelegenen geblieben sein. Nein – ich gebe keinen Stein davon her, sollte auch jeder Stein mit Gold aufgewogen werden. Ich danke Gott und der Weisheit und Tapferkeit meiner Vorfahren, daß die Einkünfte Burgunds, obwohl es nur ein Herzogthum ist, mir meinen Hofstaat behaupten lassen, selbst wenn ein König mein Gast ist, ohne daß ich genöthigt wäre, mein Erbtheil zu verkaufen.«

»Nun wohl, lieber Vetter,« antwortete der König auf dieselbe sanfte und gefällige Weise, wie vorher, und ohne durch die laute Stimme und die heftigen Geberden des Herzogs beunruhigt zu sein, »ich sehe, daß Ihr zu viele Freundschaft zu Frankreich habt, um von etwas lassen zu können, was ihm gehört. Aber wir werden eines Vermittlers in diesen Angelegenheiten bedürfen, wenn wir sie in der Rathsversammlung verhandeln werden. – Was sagt Ihr zu St. Paul?«

»Weder St. Paul, noch St. Peter, noch sonst ein Heiliger im Kalender,« sagte der Herzog von Burgund, »soll mich beschwatzen, den Besitz von Péronne aufzugeben.«

»Ei, Ihr mißversteht mich nur,« sagte König Ludwig lächelnd; »ich meine Ludwig von Luxemburg, unsern treuen Connetable, den Grafen von St. Paul. – Ach! heilige Maria von Embrun! Wir brauchen nur seinen Kopf zu unsrer Verhandlung! den besten Kopf in ganz Frankreich und den dienlichsten, um vollkommenen Einklang zwischen uns herzustellen.«

»Bei St. Georg von Burgund!« sagte der Herzog, »ich wundere mich, Eure Majestät so von einem Manne reden zu hören, der falsch und meineidig gegen beide, gegen Burgund und Frankreich ist – ein Mann, der stets bemüht war, unsre Zwistigkeiten anzufachen, und das in der Absicht, sich selbst das Ansehen eines Vermittlers zu geben. Ich schwöre bei dem Orden, den ich trage, daß seine Sümpfe nicht länger eine Zuflucht für ihn sein sollen!«

»Seid nicht so hitzig, Vetter,« erwiderte der König lächelnd und mit halblauter Stimme; »wenn ich des Connetables Kopf wünschte, als das Mittel, unsre kleinen Streitigkeiten zu beseitigen, so wünschte ich nicht zugleich seinen Leib, welcher ganz ruhig zu St. Quentin bleiben mag.«

»Ha! ich versteh' Euch, mein königlicher Vetter,« sagte Karl mit demselben übeltönenden Lachen, welches ihm schon ein anderer grober Spaß des Königs entlockt hatte, und dann fügte er, mit der Ferse den Boden stampfend, hinzu: »ich geb' es zu, in diesem Sinne könnte freilich des Connetables Kopf zu Péronne von Nutzen sein.«

Diese und ähnliche Gespräche, in welchen der König Winke über ernste Angelegenheiten mit Gegenständen des Scherzes und der Ergötzlichkeit mischte, folgten nicht unmittelbar aufeinander; sie wurden vielmehr, auf gewandte Weise herbeigeführt, während des Bankets im Hotel de Ville, dann während einer darauf folgenden Zusammenkunft in den Gemächern des Herzogs, und überhaupt bei jeder Gelegenheit, welche die Einführung so zarter Gegenstände leicht und natürlich machte.

In der That, wie vorschnell Ludwig auch einen Schritt gewagt hatte, dessen Erfolg der hitzige Charakter des Herzogs und die zwischen beiden bestehende eingewurzelte Feindseligkeit sehr zweifelhaft und gefahrdrohend machte, so benahm sich doch nie ein Pilot an unbekannter Küste mit mehr Festigkeit und Umsicht. Er schien mit äußerster Gewandtheit und Genauigkeit die Tiefen und Untiefen in des Nebenbuhlers Seele und Charakter zu sondiren, und ließ weder Zweifel noch Furcht blicken, als der Erfolg seiner Untersuchungen weit mehr verborgene Klippen und gefährliche Riffe enthüllte, als einen sichern Ankergrund.

Endlich ging ein Tag zu Ende, der für Ludwig, wegen der beständigen Anstrengung, Wachsamkeit, Vorsicht und Aufmerksamkeit, die seine Lage erforderte, eben so ermüdend gewesen war, als er für den Herzog zwangvoll sein mußte, da er sich genöthigt sah, die heftigen Gefühle zu unterdrücken, denen er sonst ohne Umstände freien Lauf zu lassen gewohnt war.

Kaum hatte der Letztere sich in sein eigenes Gemach zurückgezogen, nachdem er einen förmlichen Abschied für die Nacht von Ludwig genommen, als er dem Ausbruche der Leidenschaft, den er so lange unterdrückte, freien Raum ließ; und mancher Fluch und manches Schimpfwort fiel, wie sein Narr, Le Glorieux, sagte, »in dieser Nacht auf Häupter, für welche dergleichen nie gemünzt war,« – seine Hofleute nämlich erfreuten sich der Früchte seines Reichthums an Schimpfreden, die er schicklicher Weise nicht gegen seinen königlichen Gast, auch nicht einmal in dessen Abwesenheit, brauchen konnte, und die sich gleichwohl in seinem Innern zu sehr angehäuft hatten, als daß er sie völlig hätte unterdrücken können. Die Späße des Narren trugen etwas dazu bei, des Herzogs erzürntes Gemüth zu beruhigen; – er lachte laut, warf dem Spaßmacher ein Goldstück zu, ließ sich ruhig entkleiden, leerte einen vollen Becher gewürzten Weins, ging zu Bett und schlief fest ein.

Die Nachtruhe des Königs Ludwig ist bemerkenswerther, als die des Herzogs; denn der heftige Ausdruck wilder, ungebändigter Leidenschaft, die in der That mehr dem thierischen als dem intelligenten Theile unserer Natur angehört, hat wenig Interesse für uns, im Vergleich mit der Thätigkeit eines aufgeweckten und schaffenden Kopfes.

Ludwig ward zu der Wohnung, die er im Schloß oder in der Citadelle von Péronne gewählt hatte, durch die Kammerherrn und Quartiermeister des Herzogs von Burgund geleitet und am Eingange von einer starken Wache von Bogenschützen und anderen Kriegern empfangen.

Als er vom Pferde stieg, um auf einer Zugbrücke über einen ungewöhnlich weiten und tiefen Graben zu gehen, warf er einen Blick auf die Schildwachen und bemerkte gegen Comines, der ihn, nebst andern burgundischen Edeln, begleitete; »sie tragen St. Andreaskreuze – aber nicht die meiner schottischen Bogenschützen.«

»Ihr werdet sie ebenso bereit finden, in Eurer Vertheidigung zu sterben, Sire,« sagte der Burgunder, dessen kundiges Ohr in des Königs Stimme den Ausdruck eines Gefühls entdeckte, welches Ludwig sicher gern verborgen hätte, wofern es möglich gewesen wäre. »Sie tragen das St. Andreaskreuz als Zubehör der Kette von des Herzogs von Burgunds Orden.«

»Weiß ich das nicht?« sagte Ludwig, auf die Kette deutend, die er selbst zu Ehren seines Wirthes trug; »es ist eines der werthen brüderlichen Bande, die meinen freundlichen Bruder und mich umschlingen. Wir sind Brüder in der Ritterschaft, wie in geistlichen Verhältnissen; Vettern durch Geburt und Freunde durch jedes Band der Zärtlichkeit und guten Nachbarschaft. – Nicht weiter als bis in den Vorhof, meine edlen Herren! ich kann Eure weitere Begleitung nicht zugeben – Ihr habt mir genug Ehre erwiesen.«

»Wir sind vom Herzog beauftragt,« sagte D'Hymbercourt, »Eure Majestät nach Eurer Wohnung zu geleiten. – Wir hoffen, Eure Majestät werde erlauben, daß wir unsers Herrn Befehl befolgen.«

»In dieser geringfügigen Sache,« sagte der König, »werdet Ihr hoffentlich zugeben, daß mein Befehl den seinigen überwiege, obwohl ihr seine Lehensunterthanen seid. – Ich bin etwas unwohl, meine Herren, – etwas ermüdet. Großes Vergnügen hat seine Mühe ebensowohl, wie große Arbeit. Ich hoffe, Eure Gesellschaft morgen besser zu genießen, – vorzüglich auch die Eurige, Herr Philipp von Comines – man sagt mir, Ihr seid der Annalist unserer Zeit – wir, die wir einen Namen in der Geschichte wünschen, müssen Euch gute Worte geben, denn man erzählt, Eure Feder habe eine scharfe Spitze, wenn Ihr's wollt. – Gute Nacht, meine edeln Herren, gute Nacht Allen und Jedem.«

Die burgundischen Herren zogen sich zurück, sehr erfreut von Ludwigs huldvollem Benehmen und der gewandten Vertheilung seiner Aufmerksamkeiten; der König blieb zurück, blos mit ein Paar Personen seines eignen Gefolges, unter dem gewölbten Eingang zum Vorhofe des Schlosses zu Péronne, wo in einem der Winkel ein hoher Thurm zu sehen war, welcher zum Hauptgefängniß des Platzes diente. Dies hohe, düstre und starke Gebäude erschien jetzt in dem nämlichen Mondlicht, welches, wie der Leser weiß, Quentin Durward's Weg zwischen Charleroi und Péronne mit ganz eigenthümlich schönem Glanze erleuchtete. Dieser große Gefängnißthurm glich in seiner Form beinahe dem weißen Thurme in der Citadelle von London, war aber von weit älterer Bauart und rührte, wie man versicherte, aus den Tagen Karls des Großen her. Die Mauern waren von furchtbarer Stärke, die Fenster sehr schmal und mit Eisenstäben vergittert, und die gewaltige, schwerfällige Masse des Gebäudes warf einen dunkeln, unheilweissagenden Schatten über die ganze Breite des Hofes.

»Ich soll doch nicht dort wohnen!« sagte der König mit einem Schauder, der etwas Ahnungsvolles hatte.

»Nein,« erwiederte der grauköpfige Senechal, der ihn barhäuptig begleitete – »behüte Gott! – Ew. Majestät Zimmer sind in diesen niedrigern Gebäuden bereitet, welche daneben stehen und in denen König Johann zwei Nächte vor der Schlacht bei Poitiers schlief.«

»Hm – das ist eben kein gutes Zeichen« – murmelte der König; »aber was ist's mit dem Thurme, mein Freund? und warum batet Ihr den Himmel, daß ich nicht dort wohnen möchte?«

»Ei, mein gnädigster Fürst,« sagte der Senechal, »ich weiß im Allgemeinen nichts Schlimmes von dem Thurme – nur daß die Schildwachen sagen, es würden Nachts Lichter drin gesehn, und seltsames Geräusch vernommen; und allerdings sind Gründe vorhanden, daß dieß der Fall sein kann, denn vor Alters war es als Staatsgefängniß gebraucht, und es gibt so manche Sagen von Thaten, die darin vorgegangen sind.«

Ludwig that keine weitere Frage; denn kein Mensch war mehr verpflichtet als er, die Geheimnisse eines Gefangenenhauses zu achten. An der Thür der für ihn bestimmten Gemächer, die, obwohl neuern Ursprungs als der Thurm, doch noch alt und düster genug waren, stand eine kleine Abtheilung der schottischen Garde, welche der Herzog, obwohl er Ludwig den Platz nicht einräumen wollte, dorthin beordert hatte, um der Person ihres Herrn nahe zu sein. An ihrer Spitze stand der treue Lord Crawford.

»Crawford – mein ehrlicher, treuer Crawford,« sagte der König, »wo bist du den Tag über gewesen? – Sind die Herren von Burgund so ungastfreundlich, um den wackersten und edelsten Herrn, der je an einen Hof kam, zu vernachlässigen? – Ich sah Euch nicht beim Banket.«

»Ich lehnte es ab, mein Fürst,« sagte Crawford – »die Zeiten haben sich mit mir verändert. Es gab eine Zeit, wo ich es mit dem besten Zecher in Burgund aufnehmen konnte, und das im Safte seiner eigenen Rebe; jetzt werfen mich schon vier Pinten um, und ich denke, Eurer Majestät Dienst verlangt, daß ich in dergleichen meinen Untergebenen ein Beispiel gebe.«

»Du bist sehr vorsichtig,« sagte der König; »aber gewiß ist ja doch Eure Mühe geringer, da Ihr hier so wenig Leute zu befehligen habt? – Und eine Zeit der Festlichkeit verlangt nicht so strenge Selbstverläugnung von Euch, wie eine Zeit der Gefahr.«

»Wenn ich wenige Leute zu befehligen habe,« sagte Crawford, »so ist es um so mehr nöthig, die Schelme in guter Ordnung zu halten; und ob diese Sache sich mit Schmausereien oder Raufereien enden wird, das weiß Gott und Ew. Majestät besser, als der alte John von Crawford.«

»Ihr besorgt doch keine Gefahr?« sagte der König hastig, doch mit leiser Stimme.

»Ich nicht,« antwortete Crawford; »ich wollte, ich thäte es; denn, wie der alte Graf Tineman zu sagen pflegte, besorgte Gefahren sind meist abgewendete Gefahren. – Das Losungswort für die Nacht, wenn's Eurer Majestät gefällig ist?«

»Es mag Burgund sein, zu Ehren unsers Wirthes und eines Getränkes, das Ihr liebt, Crawford!«

»Ich will weder gegen den Herzog, noch gegen das Getränk dieses Namens etwas haben,« sagte Crawford, »vorausgesetzt, daß beide stets ächt sind. Ich wünsch' Ew. Majestät eine gute Nacht!«

»Gute Nacht, mein treuer Schotte,« sagte der König und ging nach seinen Gemächern.

An der Thür seines Schlafgemachs stand der Balafré Schildwache. »Folge mir,« sagte der König, als er vorüberging, und der Bogenschütze, gleich einer Maschine, die ein Künstler in Bewegung setzt, schritt ihm nach in das Zimmer und stand dann fest, schweigend und regungslos, der Befehle des Königs gewärtig.

»Habt Ihr von dem irrenden Paladin, Eurem Neffen, gehört?« sagte der König; »denn wir haben ihn aus dem Gesichte verloren, seit er uns, wie ein junger, auf die ersten Abenteuer ausziehender Ritter, zwei Gefangene heimsandte, als die ersten Früchte seiner Ritterthaten.«

»Sire, davon hab'ich etwas gehört,« sagte Balafré; »und ich hoffe, Ew. Majestät werden glauben, daß, wenn er unrecht gethan hat, dies auf keine Weise von meinen Lehren und meinem Beispiel herrühre, da ich nie so kühn war, Jemand aus Eurer Majestät hoher Familie aus dem Sattel zu heben, denn ich kenne meine Verhältnisse zu gut, und« –

»Schweig von dieser Sache,« sagte der König; »Euer Neffe erfüllte darin seine Pflicht.«

»Darin,« antwortete Balafré, »hat er sich wirklich nach mir gerichtet. – Quentin, sagt' ich zu ihm, was auch kommt, immer bedenke, daß du zur schottischen Leibwache gehörst, und thue deine Pflicht, was auch daraus entsteht.«

»Ich dacht es wohl, daß er einen so vorzüglichen Lehrer hatte,« sagte Ludwig; »aber ich will, daß Ihr meine erste Frage beantwortet – habt Ihr neuerdings von Eurem Neffen gehört? – Tretet zurück, meine Herren,« fügte er, gegen die Hofcavaliere gewandt, hinzu, »denn dies gehört für mein Ohr allein.«

»Allerdings, Ew. Majestät,« sagte Balafré. »Ich sah heut Abend den Reitknecht Charlot, den mein Neffe von Lüttich abfertigte, oder vielmehr von einem Schlosse des Bischofs, das nahe dabei liegt, und wohin er die Damen von Croye sicher gebracht hatte.«

»Nun, unsere Frau im Himmel sei dafür gelobt!« sagte der König. »Weißt du es gewiß, bist du der guten Nachricht ganz sicher?«

»So sicher, als man von etwas sein kann,« sagte der Balafré; »der Kerl hatte, glaub' ich, Briefe für Ew. Majestät von den Gräfinnen von Croye.«

»Schnell, hole mir sie,« sagte der König – »gib deine Waffe einem von diesen Leuten, dem Oliver, oder sonst einem. – Nun sei unsere Frau von Embrun gepriesen! und Silber soll ihren Hochaltar einfassen!«

Ludwig nahm in diesem Anfall von Dankbarkeit und Frömmigkeit, wie gewöhnlich, den Hut ab, wählte eine von den Figuren, die ihn schmückten, und zwar diejenige, die sein Lieblingsbild, die heilige Jungfrau vorstellte, setzte es auf einen Tisch, und niederknieend wiederholte er andächtig das gethane Gelübde.

Der Reitknecht, welcher der erste Bote war, den Quentin von Schönwald abschickte, ward nun mit seinen Schreiben eingeführt. Sie waren von den Damen von Croye an den König gerichtet, und dankten ihm nur in sehr kalten Ausdrücken für die an seinem Hofe empfangenen Artigkeiten, und dann etwas wärmer für seine Erlaubniß, sich zu entfernen und auf ihre Besitzungen zurückkehren zu dürfen; Ausdrücke, über die Ludwig herzlich lachte, statt sich beleidigt zu fühlen. Darauf fragte er Charlot sehr theilnehmend, ob sie keinen Angriff auf der Reise zu bekämpfen gehabt hätten? Charlot, ein einfältiger Mensch, und dieser Eigenschaft wegen eben erwählt, gab eine sehr confuse Nachricht von dem Angriffe, bei welchem sein Kamerad, der Gascogner, getödtet ward, wußte jedoch von keinem andern. Sodann fragte Ludwig genau und umständlich nach dem Wege, den die Gesellschaft nach Lüttich genommen hätte; und seine Theilnahme schien sich zu steigern, als ihm die Antwort ward, daß sie in der Nähe von Namur die geradere Straße nach Lüttich am rechten Maasufer eingeschlagen hätten, statt jener am linken Ufer, welche die Instruktion vorschrieb. Der König gab sodann dem Manne ein kleines Geschenk und entließ ihn, indem er seine an den Tag gelegte Besorgniß damit zu bemänteln suchte, als habe sie sich nur auf die Sicherheit der Damen von Croye bezogen.

Aber diese Neuigkeiten, obwohl sie das Fehlschlagen eines seiner Lieblingspläne anzeigten, schienen dem König gleichwohl mehr innere Zufriedenheit zu gewähren, als er wahrscheinlich im Falle eines glänzenden Erfolgs hätte blicken lassen. Er seufzte gleich einem, dessen Brust sich von einer schweren Last befreit fühlt, murmelte seine frömmelnden Danksagungen mit einer sehr andächtigen Miene, erhob seine Augen und beeilte sich, neue und gewisse Pläne der Ehrfurcht zu erfinden.

In dieser Absicht verlangte Ludwig die Gegenwart seines Astrologen, Martius Galeotti's, welcher mit seinem gewöhnlichen Ansehn erkünstelter Würde erschien, doch nicht ohne einen Schatten von Besorgniß auf seiner Stirn, als hätte er an des Königs freundlichem Empfange gezweifelt. Dieser war indeß gnädig und noch weit freundschaftlicher, als es bei irgend einer frühern Zusammenkunft der Fall gewesen. Ludwig nannte ihn seinen Freund, seinen Vater in den Wissenschaften – den Spiegel, mittelst dessen ein König in die ferne Zukunft sehen dürfte – und er schloß damit, daß er ihm einen Ring von beträchtlichem Werth an den Finger steckte. Galeotti, der die Umstände nicht kannte, welche seinen Charakter so plötzlich in der Achtung Ludwigs erhoben hatten, verstand dennoch sein eignes Gewerbe zu gut, als daß er diese Unkenntniß hätte blicken lassen sollen. Er nahm mit würdevoller Bescheidenheit Ludwigs Lobsprüche auf, die, wie er sagte, nur der edlen Wissenschaft gebührten, welche er übte, einer Wissenschaft, die um so größere Bewunderung verdiene, da sie ihre Wunder mittelst eines so schwachen Werkzeugs, wie er selber sei, wirken könne; und so nahmen er und der König mit größerer Zufriedenheit von einander Abschied, als es je zuvor geschehen war.

Als der Astrolog gegangen war, warf sich Ludwig in einen Stuhl, und entließ, da er sehr erschöpft schien, die Uebrigen seines Gefolges, mit Ausnahme Olivers, welcher, ihn mit gefälliger Emsigkeit und unhörbarem Schritte umschleichend, ihm in den Vorbereitungen zur Ruhe behilflich war.

Während sich der König so bedienen ließ, war er, ganz gegen seine Gewohnheit, so schweigsam und leidend, daß sein Diener über diese ungewöhnliche Veränderung seines Benehmens höchlich betroffen war. Die schlechtesten Gemüther haben oft noch einen guten Zug – Banditen erweisen ihrem Hauptmann Treue, und mancher protegirte und beförderte Günstling hat wohl zuweilen eine aufrichtige Theilnahme für den Fürsten gehegt, dem er seine Größe verdankte. Oliver der Teufel, der Schlechte (oder mit welchem Namen er sonst noch seiner argen Eigenschaft wegen belegt sein mochte), war demungeachtet nicht ein so ganz eingefleischter Satan, daß er nicht etwas von dankbarer Regung hätte empfinden sollen, als er seinen Herrn in so sonderbarem Zustande sah, während das Schicksal desselben ein bedenkliches und seine Kraft erschöpft zu sein schien. Nachdem er eine Weile dem König schweigend die Dienste geleistet, die ein Kammerdiener gewöhnlich verrichtet, so konnte er endlich sich nicht enthalten, mit der Freiheit, die ihm seines Herrn Nachsicht unter solchen Verhältnissen gestattete, zu sagen; » Tête-dieu, Sire, Ihr seht aus, als ob Ihr eine Schlacht verloren hättet; und doch sah ich, der ich den ganzen Tag in Ew. Majestät Nähe war, Euch nie ein Schlachtfeld so tapfer vertheidigen.«

»Ein Schlachtfeld!« sagte König Ludwig aufblickend und sein gewohntes kaustisches Benehmen und Sprache wieder annehmend; » Pasques-dieu! mein Freund Oliver, sag' ich hätte den Platz in einem Stiergefechte behauptet; denn ein blinderes, stupideres, unbezähmbareres, unumgänglicheres Thier, als unser Vetter von Burgund, hat nie existirt, außer in der Gestalt eines murcianischen Ochsen, der für's Gefecht gezogen wird. – Nun wohl, lassen wir das – ich bin brav mit ihm umgesprungen. Aber Oliver, freue dich mit mir, daß meine Pläne in Flandern fehlgeschlagen sind, sowohl in Bezug auf die beiden irrenden Prinzessinnen von Croye, als auch auf Lüttich – Ihr versteht mich?«

»In Wahrheit, Sire, ich versteh' Euch nicht,« erwiderte Oliver; »es ist mir unmöglich, Ew. Majestät zum Fehlschlagen Eurer Lieblingspläne zu gratuliren, wofern Ihr mir nicht einen Grund für die Umwandlung Eurer Wünsche und Absichten angebt.«

»Ei,« antwortete der König, »im Allgemeinen ist kein Wechsel in meinen Absichten eingetreten. Doch, Pasques-dieu, mein Freund, ich habe heute den Herzog Karl besser kennen gelernt, als ich ihn zuvor kannte. Als er Graf von Charolais war, zur Zeit des alten Herzog Philipp und des verbannten Dauphin von Frankreich, tranken, jagten und schwärmten wir zusammen – und manch wildes Abenteuer gab es da. Aber er hat sich seitdem verändert – er ist ein hartnäckiger, tollkühner, anmaßender Streitkopf geworden, der immer Verlangen trägt, Alles auf's Aeußerste zu treiben, wenn er das Spiel in Händen zu haben glaubt. Ich sah mich genöthigt, so sanft über jede Sache wegzugleiten, die ihn beleidigen konnte, als ob ich glühendes Eisen hätte berühren können. Ich deutete nur auf die Möglichkeit hin, daß jene irrenden Gräfinnen von Croye, ehe sie Lüttich erreichten (denn ich gestand offen, daß sie meines Wissens dorthin gegangen) in die Hände eines wilden Schnapphahns an den Gränzen fallen könnten, und, Pasques-dieu! das war, als hätte ich von Kirchenraub geredet. Ich brauche Euch nicht zu berichten, was er sagte, und es reicht hin, zu sagen, daß ich meines Kopfes Sicherheit für sehr schwankend gehalten haben würde, wenn in demselben Momente Nachrichten gekommen wären, daß dein Freund, Wilhelm der Bärtige, seinen und deinen Plan, sich durch Heirath zu verbessern, glücklich vollführt habe.«

»Nicht mein Freund, wenn Eure Majestät erlaubt,« sagte Oliver – »weder mein Freund noch mein Plan.«

»Wahr, Oliver,« antwortete der König; »dein Plan ging nicht dahin, einen solchen Bräutigam zu verheirathen, sondern zu scheren. Nun gut, du wünschtest ihr einen eben so schlechten, als du bescheidentlich dich selbst in Vorschlag brachtest. Indeß, Oliver, wohl dem Manne, der sie nicht hat; denn hängen, ersäufen und viertheilen waren die mildesten Worte, die mein sanfter Vetter in Bezug auf den sprach, der die junge Gräfin, seine Vasallin, ohne seine höchste Erlaubniß heirathen würde.«

»Und ohne Zweifel ist er eben so eifersüchtig auf alle Störungen in der guten Stadt Lüttich?« fragte der Günstling.

»Ebenso oder noch weit mehr,« erwiderte der König, »wie Euer Verstand leicht errathen kann; aber seit ich mich entschloß, hieher zu kommen, sind meine Botschafter in Lüttich beschäftigt gewesen, für den Augenblick jeden Aufstand zu unterdrücken; und meine sehr geschäftigen und rastlosen Freunde Rouslaer und Pavillon haben Befehl, mäuschenstill zu sein, bis diese glückliche Zusammenkunft meines Vetters mit mir vorüber ist.«

»Wenn ich demnach Eurer Majestät Berichte gemäß urtheile,« sagte Oliver trocken, »so ist das Höchste, was sich von dieser Zusammenkunft hoffen läßt, daß sie Eure Lage nicht schlimmer macht? – Sicherlich ist das wie mit dem Kranich, der seinen Kopf in des Fuchses Rachen steckte, und seinem guten Glücke gern dankte, daß er nicht abgebissen ward. Dennoch scheint auch jetzt Ew. Majestät dem weisen Philosophen sehr verpflichtet, der Euch aufmunterte, ein so hoffnungsreiches Spiel zu spielen.«

»Kein Spiel,« sagte der König mit scharfem Tone, »gestattet Verzweiflung, so lang es noch nicht verloren; und daß ich das letztere nicht zu erwarten habe, werd' ich beweisen. Im Gegentheil, wofern nichts eintritt, was die Wuth dieses rachsüchtigen Tollkopfs aufstachelt, so bin ich des Siegs gewiß; und gewiß bin ich der Kunst nicht wenig verpflichtet, welche zu meinem Agenten als Führer der Damen von Croye, einen Jüngling erkor, dessen Horoskop so sehr mit dem meinigen übereinstimmt, daß er mich von Gefahr befreite, sogar durch Ungehorsam gegen meine Befehle, indem er einen Weg wählte, wo er Wilhelms von der Mark Ueberfall vermied.«

»Eure Majestät,« sagte Oliver, »kann viele Agenten finden, die Euch gern unter solchen Bedingungen dienen, wo sie mehr nach ihrem eignen Belieben, als nach Euren Instructionen zu handeln brauchen.«

»Nein, nein; Oliver,« sagte Ludwig ungeduldig, »der heidnische Dichter erwähnt Vota diis exaudita malignis, – das heißt, Wünsche, die uns die Heiligen in ihrem Zorn gewähren; und unter diesen Umständen würde es so mit dem glücklichen Ueberfall Wilhelms von der Mark gewesen sein, wenn dieser jetzt stattgefunden hätte, während ich mich in der Gewalt des Herzogs von Burgund befinde. – Und dies sah meine eigne Kunst voraus – und die des Galeotti bestätigte es; – das heißt, ich sah nicht das Mißlingen von Wilhelms von der Mark Unternehmen voraus, sondern ich sah nur, daß die Sendung jenes jungen schottischen Bogenschützen glücklich für mich enden würde – und dies ist der Fall gewesen, obwohl auf ganz andre Weise, als ich erwartete; denn die Sterne, obwohl sie im Allgemeinen Erfolge vorher verkündigen, schweigen doch über die Mittel, wodurch jene zu erreichen sind, indem diese oft den erwarteten, oder selbst erwünschten, ganz entgegengesetzt sind. – Doch, was schwatze ich von diesen Geheimnissen mit dir, Oliver, der du in dieser Hinsicht schlimmer als der Teufel, dein Namensvetter, bist, denn dieser glaubt und zittert; so bist du nun ungläubig in Religion wie in Wissenschaft, und wirst so bleiben, bis dein eigen Geschick erfüllt ist, welches, wie dein Horoskop und deine Physiognomie mich versichern, mittelst des Galgens geschehen wird!«

»Und wenn es wirklich so sein soll,« sagte Oliver mit resignirter Stimme, »so wird es deshalb geschehn, weil ich ein zu dankbarer Diener war, um mit Ausführung der Befehle meines königlichen Herrn zu zögern.«

Ludwig rief mit seinem gewöhnlichen sardonischen Lachen: »Du hast deine Lanze trefflich mit mir gebrochen, Oliver; und, bei unserer Frau, du thatest recht, denn ich forderte dich dazu auf. Aber ich bitte dich, sag' mir im Ernste, ob du etwas in den Maßregeln dieser Leute gegen uns entdeckst, was Argwohn erregen könnte?«

»Mein Fürst,« erwiderte Oliver, »Ew. Majestät und jener gelehrte Philosoph suchen die Prophezeihung unter den Sternen und himmlischen Heerschaaren – ich bin nur ein Erdenwurm, und betrachte bloß die Dinge, die mit meinem Beruf zusammenhängen. Nun dünkt mich, hier findet ein Mangel an der gehörigen Aufmerksamkeit gegen Eure Majestät statt, welche diese Menschen einem willkommnen Gaste, der so hoch über ihnen steht, erweisen sollten. Der Herzog schützte heute Nacht Müdigkeit vor und begleitete Eure Majestät nur bis auf die Straße, indem er seinen Hofbeamten das Geschäft überließ, Euch in Eure Wohnung zu geleiten; die Gemächer hier sind hastig und ohne Sorgfalt eingerichtet – die Tapete ist verkehrt aufgehangen – und auf einem der Stücke sind, wie Ihr bemerken könnt, die Figuren umgedreht und stehen auf den Köpfen, während die Bäume mit ihren Wurzeln nach oben wachsen.«

»Ei Pfui! Zufall und Wirkung der Eile,« sagte der König. »Wann hab' ich mich je um dergleichen Kleinigkeiten bekümmert!«

»Nicht ihrer selbst wegen sind sie der Erwähnung werth,« sagte Oliver; »aber deswegen, weil sie den Grad der Achtung anzeigen, den die Hofbeamten bei ihrem Herzog gegen Euch bemerkt haben. Glaubt mir, hätte er den Wunsch blicken lassen, daß Euch in Allem die gewissenhafteste Aufmerksamkeit erwiesen werden sollte, der Eifer seiner Leute würde in Minuten das Werk von Tagen vollbracht haben – und wann,« setzte er hinzu, auf ein Waschbecken und einen Wasserkrug deutend, »wann war Eurer Majestät Toilettengeräth je von anderm Stoffe, als Silber?«

»Nun,« sagte der König mit erzwungenem Lächeln, »diese letzte Bemerkung über die Rasir-Utensilien, Oliver, ist zu genau mit deiner eignen Beschäftigung im Zusammenhang, um bestritten werden zu können. – Wahr ist freilich, daß, als ich nur ein Flüchtling und Verbannter war, man mich mit Goldgeschirr auf Befehl desselben Karl bediente, welcher Silber als zu schlecht für den Dauphin hielt, obwohl er dies Metall zu kostbar für den König von Frankreich zu halten scheint. Wohlan, Oliver, wir wollen zu Bett. – Unser Entschluß ward gefaßt und ausgeführt; es bleibt nichts übrig, als das Spiel männlich zu Ende zu spielen, welches wir begonnen haben. Ich weiß, daß mein Vetter von Burgund gleich andern wilden Stieren die Augen schließt, wenn er seinen Anlauf nimmt. Diesen Augenblick brauch ich nur zu beobachten, gleich den Stierfechtern, die wir zu Burgos sahen, und sein Ungestüm wird ihn meiner Gnade unterwerfen.«



 << zurück weiter >>