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Ueber Berg und Fluthgebraus,
Ueber Fluß und Fels hinaus,
Ueber noch so tiefe Wellen,
Wie der Meergott sie läßt schwellen
Ueber Klippen, – selig bricht
Liebe sich die Bahn zum Licht.
Altes Lied.
Die Trennung Fletschers von Claudius Halcro und den Schwestern von Burgh-Westra, auf der Stelle, wo sie stattfand, war zum Theil die Folge der Erscheinung eines kleinen Haufens Bewaffneter, welche man in der Entfernung, und, von Kirkwall kommend, erblickte, die zwar dem Fernglase des Udallars durch die Unebenheit des Bodens verborgen blieb, wohl aber dem Piraten sichtbar wurde, den sie sogleich seiner Sicherheit wegen, zu einer schleunigen Rückkehr zu dem Boote bestimmte. Er wandte sich eben von ihnen ab, als Minna zu der kurzen Verzögerung, welche ihr Vater bemerkt hatte, Veranlassung gab.
»Bleib' noch!« sagte sie, »ich befehle es dir! Sage deinem Befehlshaber von mir, daß, welche Antwort er auch von Kirkwall erhalte, er sein Schiff dennoch nach Stromneß herumführen, und, wenn er dort Anker geworfen, ein Boot an's Land schicken möge, Capitain Cleveland abzuholen, sobald er einen Rauch auf der Brücke von Broisgar erblicken wird.«
Fletscher hatte sich darauf Rechnung gemacht, wie sein Kamerad, wenigstens einen Kuß für die Mühe zu erhalten, diese schönen jungen Frauenzimmer zu geleiten, und vielleicht würde weder die Furcht vor den herannahenden Kirkwallern, noch vor Minna's Waffe seine Unverschämtheit gezügelt haben; allein der Name seines Capitains, und noch mehr die Unerschrockenheit, die Würde und das Befehlende in Minna Troils Betragen hielten ihn zurück. Er machte eine seemännische Verbeugung, versprach, genau auszuschauen, kehrte zu seinem Boote zurück, und richtete seinen Auftrag am Bord aus.
Als Halcro und die Schwestern dem Haufen entgegengingen, welchen sie auf dem Wege von Kirkwall erblickten, und der ebenfalls Halt gemacht hatte, als ob er sie beobachten wollte, rief Brenda, von der Furcht vor Fletscher befreit, dessen Gegenwart bisher ihre Zunge gefesselt hatte, aus: »Barmherziger Himmel! Minna, in welchen Händen haben wir unsern theuern Vater zurückgelassen!«
»In den Händen braver Leute,« sagte Minna fest; »ich fürchte nichts für ihn.«
»So brav, wie Ihr wollt,« sagte Claudius Halcro; »aber dessenungeachtet immer gefährliche Spitzbuben. Ich weiß, daß dieser Kerl, der Altamont, wie er sich nennt – obgleich das nicht sein rechter Name ist – ein so liederlicher Hund ist, wie je nur Einer eine Scheune durch Blut und ungereimte Verse von Beifallklatschen hat wiederhallen lassen. Er fing mit Barnwell an, und Jedermann glaubte, er würde mit dem Galgen schließen, wie der letzte Auftritt im geretteten Venedig.«
»Das hat nichts auf sich,« sagte Minna; »je ungestümer die Wogen sind, desto mächtiger ist die Stimme, welche sie beherrscht. Schon der Name Cleveland hielt die Wüthendsten unter ihnen im Zaume.«
»Es thut mir um Cleveland leid, wenn er solche Gefährten hat,« sagte Brenda; »aber ich bin um ihn nur wenig bekümmert, wenn ich an meinen Vater denke.«
»Spare dein Mitleid für Die, welche dessen bedürfen,« sagte Minna, »und fürchte nichts für unsern Vater. – Gott weiß, daß jedes Silberhaar auf seinem Haupte mir so viel werth ist, als der Schatz einer neuentdeckten Goldgrube, aber ich weiß, daß er sicher ist, so lange er sich in seinem Fahrzeuge befindet, und daß er bald sicher am Ufer sein wird.«
»Ich wollte, ich sähe das erst,« sagte Claudius Halcro, »denn ich fürchte, die Kirkwaller, welche Cleveland für das halten, was ich besorge, werden ihn nicht gegen den Udallar auswechseln wollen. Die Schotten haben sehr strenge Gesetze gegen die Diebeshehlerei, wie sie es nennen.«
»Aber wer sind die Leute dort auf dem Wege vor uns?« sagte Brenda, »und warum bleiben sie dort so vorsichtig stehen?«
»Es ist eine Patrouille der Miliz,« antwortete Halcro; »der herrliche John hat diese etwas scharf mitgenommen – aber John war auch ein Jacobit –
Prahlhänse, die nichts thun, – ernährt auf uns're Kosten.
Im Frieden eine Last, im Krieg nicht auf dem Posten:
Sieht jeden Monat man mit Lärm durch's Land sie geh n,
Doch wenn sie nöthig sind, sind nirgends sie zu seh'n.
Ich glaube, sie blieben stehen, da sie uns an dem Abhange des Hügels für einen Theil der Bemannung der Schaluppe hielten, und nun, da sie sehen, daß ihr Weiberröcke tragt, gehen sie näher auf uns zu.«
In der That kamen sie heran, und es fand sich wirklich, wie Claudius Halcro es sagte, daß es eine Patrouille war, die man ausgeschickt hatte, die Bewegungen der Piraten zu beobachten, und sie am Landen zu verhindern.
Die Leute wünschten Claudius Halcro, der mehr als Einem von ihnen wohlbekannt war, zu seiner Befreiung aus der Gefangenschaft herzlich Glück. Der Befehlshaber des Trupps konnte, während er den Damen allen möglichen Beistand anbot, nicht umhin, ihnen sein Beileid über die Lage, in welcher sich ihr Vater befände, zu bezeigen, wobei er, wiewohl auf eine sehr zarte und versteckte Art, auf die Schwierigkeiten anspielte, welche sich seiner Befreiung in den Weg stellen dürften.
Als sie in Kirkwall angekommen waren, und bei dem Bürgermeister und einem oder zwei von den obrigkeitlichen Personen Gehör gefunden hatten, war von diesen Schwierigkeiten deutlicher die Rede. »Die Fregatte Halcyon ist nahe an der Küste,« sagte der Bürgermeister; »man hat sie schon auf der Höhe von Duncansbey-Head gesehen, und obgleich ich die größte Achtung vor Herrn Magnus Troil von Burgh-Westra habe, so würde ich mich dort verantwortlich machen, wenn ich wegen der Sicherheit eines Einzelnen, der unglücklicherweise durch seine Gefangenhaltung in Gefahr schwebt, den Capitain dieses verdächtigen Schiffes aus dem Gefängniß entließe. Es ist jetzt bekannt, daß dieser Mann das Herz und die Seele dieser Buccaniers ist, und soll ich ihn wieder an Bord schicken, damit er das Land plündere, oder vielleicht das königliche Schiff angreife? – Er hätte Unverschämtheit genug, Alles zu thun.«
»Muth genug, Alles zu thun, wollt Ihr sagen, Herr Bürgermeister,« sagte Minna, die ihr Mißvergnügen nicht länger verbergen konnte.
»Nun, Ihr mögt es nennen, wie Ihr wollt, Miß Troil,« sagte der würdige Beamte, »meiner Meinung nach ist aber die Art von Muth, welche allein gegen Zwei zu streiten wagt, nicht viel mehr, als eine praktische Unverschämtheit.«
»Aber unser Vater?« sagte Brenda im Tone des angelegentlichsten Flehens, »unser Vater – der Freund, ja, ich möchte sagen, der Vater des Landes – von dem so Viele ein freundliches Wort, so Manche wirkliche Hülfe erwarten, dessen Verlust wie das Verlöschen einer Bake im Sturme sein würde – wollt Ihr in der That die Gefahr, in der er sich befindet, gegen eine solche Kleinigkeit aufwiegen, wie die, einen Mann aus dem Gefängnisse zu entlassen, um seinem unglücklichen Schicksale anderwärts entgegenzugehen?«
»Miß Brenda hat recht,« sagte Claudius Halcro; »ich bin, wie die Knaben sagen, dafür, fünf gerade sein zu lassen. Laßt es Euch nicht auf einen Freilassungsbefehl ankommen, Bürgermeister, sondern nehmt einmal eines Narren Rath an, und macht, daß der Kerkermeister vergißt, den Riegel vor die Thür zu schieben, oder eine Spalte des Fensters oder dergleichen offen läßt, und wir sind den Räuber los, und haben einen der besten, ehrlichsten Menschen in Orkney oder Shetland in fünf Stunden auf der Leeseite einer Punschbowle bei uns.«
Der Bürgermeister antwortete beinahe wie vorher, daß er die größte Achtung vor Herrn Magnus Troil von Burgh-Westra habe, daß aber seine Achtung vor irgend einem, wenn auch noch so achtbaren, einzelnen Manne ihn nicht an der Erfüllung der Pflichten seines Amtes hindern dürfe.
Minna wandte sich hierauf, mit dem Tone des kalten und spöttischen Mißfallens, an ihre Schwester. – »Du vergißst, Brenda,« sagte sie, »daß du von der Sicherheit eines armen unbedeutenden Udallars von Shetland zu Niemand Geringerem, als der ersten obrigkeitlichen Person der Hauptstadt von Orkney sprichst. – Kannst du wohl glauben, daß ein so großer Mann sich herablassen wird, einen so unbedeutenden Gegenstand in Erwägung zu ziehen? Es wird Zeit genug für den Bürgermeister sein, daran zu denken, ob er die ihm vorgelegten Bedingungen eingehen will – und das wird er am Ende doch wohl thun müssen – wenn die St. Magnus-Kirche über seinem Kopfe zusammenstürzt.«
»Ihr könnt immer böse auf mich sein, meine schöne junge Dame,« sagte der gutmüthige Bürgermeister Torfe, »aber ich kann Euch nicht zürnen. Die Sanct Magnus-Kirche hat schon manches Jahr gestanden, und wird wahrscheinlich mich und Euch, und noch wahrscheinlicher jenen Haufen ungehangener Hunde überleben. Ungerechnet, daß Euer Vater ein halber Orkney-Insulaner ist, und sowohl Güter als Freunde unter uns hat, würde ich, auf mein Wort, für einen Shetländer in Noth so viel als für irgend Jemand thun, einen von unsern eingebornen Kirkwallern ausgenommen, welche natürlich den Vorzug haben. Und wenn Ihr hier bei meiner Frau und mir wohnen wollt, – setzte er hinzu – so wollen wir Euch beweisen, daß Ihr in Kirkwall eben so willkommen seid, als Ihr in Lerwick oder Scalloway nur sein könnt.«
Minna würdigte diese gutmüthige Einladung keiner Antwort, Brenda aber lehnte sie höflich ab, indem sie die Nothwendigkeit vorschützte, bei einer Verwandten, einer reichen Wittwe in Kirkwall, abzutreten, die sie bereits erwartete.
Halcro wagte noch einen Versuch, den Bürgermeister von seinem Entschlusse abzubringen, fand ihn aber unerbittlich. Der Zolleinnehmer habe bereits gedroht, sagte er, ihn anzuzeigen, weil er, wie er sich ausdrückte, mit diesen Fremden unter einer Decke steckte, obgleich dieß damals das einzige Mittel zu sein schien, blutige Händel in der Stadt zu vermeiden; sollte er aber jetzt die Gelegenheit vorübergehen lassen, welche die Gefangennehmung Clevelands und die Entweichung des Verwalters darböte, so dürfte er sich wohl noch etwas Aergerem, als einem bloßen Verweise, aussetzen. Dabei kam es denn immer darauf hinaus, daß es ihm herzlich leid um den Udallar, ja sogar um den Burschen, den Cleveland, thue, der noch einige Funken von Ehre in sich habe, daß ihm aber die Pflicht gebiete, und er ihrem Gebote gehorchen müsse. Der Bürgermeister machte allen weiteren Erörterungen dadurch ein Ende, daß er sagte, eine andere Angelegenheit von Shetland aus erfordere seine unmittelbare Gegenwart. Ein Herr, Namens Mertoun, der zu Jarlshof wohne, habe eine Klage gegen den Jagger Snailsfoot erhoben, weil er einem seiner Dienstboten behülflich gewesen, einige Sachen von Werth, die man ihm in Verwahrung gegeben, zu unterschlagen, und er sei im Begriff, eine Vernehmung über den Gegenstand anzustellen, und die Sachen dem Mr. Mertoun wiedergeben zu lassen, der dem rechten Eigenthümer dafür verantwortlich sei. Bei dieser ganzen Nachricht war den Schwestern nichts anziehend, als das Wort: Mertoun, welches Minna's Herzen ein Dolchstoß war, weil sie daran dachte, unter welchen Umständen Mordaunt Mertoun verschwunden war, und wenn auch aus einem weniger schmerzlichen, doch immer noch sehr trüben Gefühle, selbst auf Brenda's Wangen eine flüchtige Röthe hervorrief und ihr Auge feucht werden ließ. Es wurde indeß bald deutlich, daß der Bürgermeister nicht von Mordaunt, sondern von seinem Vater sprach; und Magnus' Töchter, für welche seine genommenen Auseinandersetzungen wenig Anziehendes hatten, nahmen von dem Bürgermeister Abschied, um sich in ihre eigene Wohnung zu begeben.
Als sie in dem Hause ihrer Verwandten ankamen, war es Minna's erstes Geschäft, auszukundschaften – so weit sie dieß thun konnte, ohne Verdacht zu erregen – in welcher Lage sich der unglückliche Cleveland befände. Diese war, wie sie bald fand, sehr mißlich. Der Bürgermeister hatte ihn allerdings nicht, wie Claudius Halcro vermuthete, in engen Verwahrsam bringen lassen, da er sich vielleicht der für ihn sprechenden Umstände erinnerte, unter denen er sich ergeben, und, wenigstens bis auf den äußersten Augenblick, nicht ganz wortbrüchig gegen ihn werden wollte. Obgleich er also dem Anscheine nach ziemlich viel Freiheit hatte, wurde er doch scharf von wohlbewaffneten und ausdrücklich dazu ernannten Leuten bewacht, welche den Befehl hatten, ihn mit Gewalt zurückzuhalten, wenn er die Grenzen zu überschreiten wagen sollte, welche ihm vorgeschrieben waren. Man hatte ihm ein festes Zimmer in dem sogenannten königlichen Castell zur Wohnung angewiesen, und während der Nacht wurde die Thür seines Gemaches von außen verschlossen, und eine starke Wache davor gestellt, um sein Entweichen zu verhindern. Er genoß also nur des Grades von Freiheit, den die Katze bei ihrem grausamen Spiele zuweilen der Maus vergönnt, welche sie in ihren Klauen hat, und doch war die Furcht vor den Hülfsquellen, dem Muthe und der Wildheit des Piraten-Capitains so groß, daß der Zolleinnehmer und mehrere andere weise Bürger von Kirkwall den Bürgermeister tadelten, daß er den Gefangenen überhaupt frei herumgehen lasse.
Man kann leicht denken, daß Cleveland unter diesen Umständen keine große Sehnsucht hatte, irgend einen öffentlichen Versammlungsort zu besuchen, da er wußte, daß er der Gegenstand eines gemischten Gefühles von Neugier und Schrecken sei. Sein Lieblingsspaziergang war deßwegen der in den äußeren Seitengängen der Sanct Magnus-Kathedrale, von welcher nur das östliche Ende zum Gottesdienste eingerichtet ist. Dieses ehrwürdige alte Gebäude hat, nachdem es den Zerstörungen entgangen, welche die ersten Bewegungen der Reformation begleiteten, noch immer einen äußeren Schein bischöflicher Würde behalten. Der Platz zum Gottesdienste wird durch eine Halbwand von dem Schiffe und dem westlichen Kreuzflügel geschieden, und das Ganze wird in einer Reinlichkeit und in einem Anstande erhalten, welche den stolzen Tempeln von Westminster und St. Paul wohl zum Muster dienen könnten.
In diesem äußeren Theile der Kathedrale durfte Cleveland spazieren gehen, um so mehr, da seine Wächter, wenn sie den einzigen Eingang im Auge behielten, mit wenig Mühe jeden Versuch zur Flucht vereiteln konnten. Der Ort selbst paßte zu seiner traurigen Lage sehr wohl. Die hohe gewölbte Decke ruht auf Pfeilern von sächsischer Bauart, und von gewaltiger Stärke, von denen vier, noch dicker als die übrigen, einst den hohen Thurm trugen, welcher, nachdem er vor langer Zeit durch eine äußere Veranlassung zerstört wurde, nach einem verhältnißlosen und verstümmelten Plane wieder aufgebaut worden ist. Das Licht fällt an dem östlichsten Ende durch ein hohes, reich verziertes, gothisches Fenster von schönem Verhältnis, und der Fußboden ist mit Inschriften von verschiedenen Sprachen bedeckt, welche die Gräber edler Orkney-Insulaner bezeichnen, deren Gebeine zu verschiedenen Zeiten in diesen heiligen Räumen beigesetzt wurden.
Hier ging Cleveland auf und ab, in Nachdenken über die Begebenheiten eines schlecht angewandten Lebens versunken, das noch in der Blüthe seiner Jahre wahrscheinlich ein gewaltsames und schimpfliches Ende nahm. »Bald,« sagte er, indem er auf den Fußboden blickte, »werde ich zu diesen Todten gehören, – aber kein heiliger Mund wird einen Segen über mich sprechen – keine Freundeshand eine Inschrift entwerfen – kein stolzer Nachkomme das Wappen auf dem Grabe des Piraten Cleveland aushauen lassen. Meine bleichenden Gebeine werden in den Galgenketten an einem wilden Ufer oder einem einsamen Vorgebirge schweben, das, meinetwegen, für verderblich und verwünscht gehalten wird. Wenn der alte Seemann die Meerenge hinunterfährt, wird er den Kopf schütteln, und von mir und meinen Handlungen seinen jüngeren Kameraden, als einem warnenden Beispiel, erzählen. – Aber Minna! Minna! Was wirst du denken, wenn du die Nachricht hörst? Wollte Gott, sie wäre von dem tiefsten Strudel zwischen Kirkwall und Burgh-Westra verschlungen worden, ehe sie ihr Ohr erreicht! Und wollte Gott, daß wir uns nie gesehen hätten, da wir einander nun nie wieder sehen können!«
Mit diesen Worten schlug er die Augen auf, und Minna Troil stand vor ihm. Ihr Gesicht war bleich, und ihr Haar aufgelöst, aber ihr Blick ruhig und fest, mit seiner gewöhnlichen Mischung tiefsinniger Schwermuth. Sie war noch in den Mantel gehüllt, den sie umgeworfen hatte, als sie das Schiff verließ. Clevelands erste Bewegung war die des Erstaunens, die nächste die der Freude, nicht ohne eine Beimischung scheuer Ehrerbietung. Er war im Begriff, seinem Gefühle durch einen Ausruf Luft zu machen – sich zu ihren Füßen zu werfen – allein sie gebot ihm, indem sie den Finger erhob, zugleich Stillschweigen und Mäßigung, und sagte in gedämpftem, aber befehlendem Tone: »Seid vorsichtig – wir werden beobachtet – es sind Leute draußen – sie ließen mich nur mit großer Schwierigkeit hereintreten. Ich darf nicht lange bleiben – sie würden denken – sie möchten glauben ... O, Cleveland! ich habe Alles gewagt, Euch zu retten!«
»Mich zu retten? Ach, arme Minna!« antwortete Cleveland, »es ist unmöglich, mich zu retten – genug, daß ich dich noch einmal gesehen habe, wäre es auch nur, um von dir auf ewig Abschied zu nehmen.«
»Wohl müssen wir von einander Abschied nehmen, denn das Schicksal und Euere Schuld trennen uns auf ewig. – Cleveland, ich habe Eure Gefährten gesehen – brauche ich noch mehr zu sagen, daß ich jetzt weiß, was ein Pirat ist?«
»Du bist in der Gewalt der Bösewichter gewesen?« sagte Cleveland mit einem Blicke der Todesangst; »wagten sie ...«
»Cleveland,« erwiderte Minna, »sie wagten nichts – Euer Name war ein Zauber für sie, und das war das Einzige, was mich an die Eigenschaften erinnerte, die ich einst bei meinem Cleveland voraussetzte!«
»Ja,« sagte Cleveland stolz, »mein Name hat immer eine Gewalt über sie gehabt, und wird sie haben, und wenn sie in ihrer höchsten Wildheit wären. Hätten sie dich nur durch ein unziemliches Wort beleidigt, so hätten sie finden sollen – doch, was rase ich – ich bin ja ein Gefangener.«
»Ihr sollt es nicht länger sein,« sagte Minna; »Eure Sicherheit – die Sicherheit meines theuern Vaters, Alles heischt Eure augenblickliche Freiheit. Ich habe einen Plan zu Eurer Befreiung entworfen, der, mit Entschlossenheit ausgeführt, nicht fehlschlagen kann. Es ist draußen Halbdunkel – hüllt Euch in meinen Mantel, und Ihr werdet leicht durch die Wache kommen – ich habe ihnen Etwas gegeben, um sich gütlich zu thun, und sie sind jetzt vollkommen beschäftigt. Eilet nach dem See von Stennis, verbergt Euch, bis der Tag grau't, und zündet dann ein Feuer an der Stelle an, wo das Land, das von beiden Seiten in den See hineinragt, ihn bei der Brücke von Broisgar beinahe in zwei Hälften theilt. Euer Fahrzeug, das nicht weit davon liegt, wird ein Boot an das Land schicken – verliert keinen Augenblick!« –
»Aber du, Minna! – Wenn dieser seltsame Plan gelingen sollte« – sagte Cleveland – »was soll aus dir werden?«
»Was meinen Antheil an Eurer Flucht betrifft,« antwortete das Mädchen, »so wird die Rechtlichkeit meiner Absicht – mich in den Augen des Himmels rechtfertigen, und die Sicherheit meines Vaters, dessen Schicksal von dem Eurigen abhängt, in denen der Menschen.«
Mit wenigen Worten erzählte sie ihm die Geschichte ihrer Gefangennehmung und deren Folgen. Cleveland hob seine Augen und Hände zum Himmel, voll Dank für die glückliche Befreiung aus den Händen seiner bösen Gefährten, und fügte dann hastig hinzu: »Aber du hast recht, Minna, ich muß auf jeden Fall fliehen, deines Vaters wegen muß ich fliehen. So scheiden wir denn also hier – doch, wie ich hoffe, nicht auf immer.«
»Auf immer!« – antwortete eine Stimme, welche wie aus einem Grabesgewölbe ertönte.
Sie fuhren auf, blickten umher und sahen dann einander an. Es schien, als ob das Echo des Gebäudes Clevelands letzte Worte wiederholt hätte, allein die Worte waren mit zu deutlicher Aussprache wiederholt worden.
»Ja! auf immer!« sagte Norna von Fitful-Head, indem sie hinter einem der starken sächsischen Pfeiler hervortrat, welche die Decke der Kathedrale tragen. »Hier treffen sich der blutrothe Fuß und die blutrothe Hand, – wohl euch Beiden, daß die Wunde geheilt ist, aus welcher das Blut kam – wohl für Beide, aber am besten für den, welcher es vergoß. Hier also trefft ihr euch – und trefft euch zum letzten Male!«
»Nein,« sagte Cleveland, als ob er Minna's Hand ergreifen wollte, »mich von Minna loszureißen, während noch ein Funke des Lebens in mir ist, kommt nur ihr selbst zu.«
»Hinweg!« sagte Norna, indem sie zwischen Beide trat, »hinweg mit dieser eitlen Thorheit! – Gebt keinen leeren Träumen von künftigem Wiedersehen Raum – ihr scheidet hier, und auf immer. Der Falke kann sich mit der Taube paaren – die Schuld darf sich nie zur Unschuld gesellen. Minna Troil, du siehst diesen kühnen Verbrecher zum letzten Male – Cleveland, du siehst Minna zum letzten Male.«
»Und glaubt Ihr,« sagte Cleveland unwillig, »daß Eure Mummerei einen Eindruck auf mich mache, und daß auch ich zu den Thoren gehöre, welche in Eurer vorgeblichen Kunst mehr als ein eitles Gaukelspiel sehen?«
»Halt' ein, Cleveland, halt' ein!« – sagte Minna, deren angeborene Ehrfurcht vor Norna durch ihre plötzliche Erscheinung noch gewachsen war. – »Halt' ein, sie ist mächtig, sie ist nur zu mächtig. Und du, Norna, bedenke, daß meines Vaters Sicherheit mit der Clevelands auf das Engste verknüpft ist.«
»Wohl Euch, Cleveland, daß ich dieß bedenke,« sagte die Seherin, »und daß ich, wegen Eines von euch hergekommen, Beiden zu helfen vermag. Du, mit deinem kindischen Plane, Jemanden von seiner Größe und Gestalt, in einen elenden Umhang von Wadmaal gehüllt, hindurchbringen zu wollen – was würde deine List ihm zugezogen haben, als eine augenblickliche Belastung mit Eisen und Fesseln? Ich werde ihn retten – ich werde ihn sicher an den Bord seiner Barke bringen. Doch mag er diese Küste auf immer meiden, und anderswo die Schrecken seiner schwarzen Flagge und seines noch schwärzeren Namens verbreiten; denn wenn die Sonne zweimal aufgeht und ihn noch vor Anker findet, so komme sein Blut auf sein eigenes Haupt! – Ja – blickt einander an – es ist der letzte Blick, welchen ich der menschlichen Neigung gestatte, und alsdann sagt, wenn ihr es könnt, einander auf immer Lebewohl!« –
»Gehorche ihr,« stammelte Minna; »widersprich nicht, sondern gehorche ihr!«
Cleveland ergriff ihre Hand, küßte sie inbrünstig, und sagte dann, aber so leise, daß nur sie es hören konnte: »Lebewohl, Minna, aber nicht auf immer!«
»Und nun, Mädchen, entferne dich,« sagte Norna, »und überlaß das Uebrige der Reimkennar.«
»Nur ein Wort noch, und ich gehorche Euch – sagt mir, ob ich recht gehört habe – ist Mordaunt Mertoun sicher und wohl?«
»Wohl und sicher,« sagte Norna, »wehe sonst der Hand, die sein Blut vergoß!«
Minna ging langsam der Thüre der Kathedrale zu, und wandte sich nur von Zeit zu Zeit, um auf die schattenähnlichen Umrisse Norna's und Clevelands kräftige und kriegerische Gestalt zu blicken, wie sie in dem immer tiefer sinkenden Dunkel der Kathedrale neben einander standen. Als sie zum zweiten Male umblickte, folgte Cleveland der Matrone, während sie mit langsamen und feierlichen Schritten gegen einen der Seitengänge hinglitt. Als Minna zum dritten Male umschaute, waren die Gestalten nicht länger sichtbar. Sie sammelte sich, ging auf die östliche Thüre zu, durch welche sie hereingekommen, und hörte einen Augenblick der Wache zu, welche draußen auf- und abging.
»Das shetländische Mädchen bleibt lange bei dem Piraten-Kerl,« sagte der Eine. »Ich hoffe, sie haben von nichts Anderem mit einander zu reden, als von dem Lösegelde für ihren Vater.«
»Ja wohl,« antwortete ein Anderer, »die Mädchen haben immer mehr Mitleid mit einem hübschen, jungen Piraten, als mit einem alten bettlägerigen Bürger.«
Ihr Gespräch wurde in diesem Augenblicke durch die unterbrochen, von der sie sich unterhielten, und, wie auf der That ertappt, zogen sie die Hüte, machten ihre ungeschickten Bücklinge, und sahen etwas verwirrt aus.
Minna kehrte in das Haus zurück, in welchem sie wohnte, im Ganzen über den Erfolg der Unternehmung erfreut, welche ihren Vater aus der Gefahr zu befreien versprach, und ihr zugleich eine Bürgschaft für Clevelands Entkommen und des jungen Mertouns Sicherheit gegeben hatte. Sie eilte, beide Nachrichten Brenda mitzutheilen, welche in ihren Dank gegen den Himmel einstimmte, und jetzt selbst beinahe an Norna's überirdische Kräfte zu glauben schien, so sehr war sie über die Art ihrer Anwendung erfreut. Es war einige Zeit vergangen, ehe Beide aufhören konnten, einander Glück zu wünschen, und die Thränen einer mit Besorgniß kämpfenden Hoffnung zu vermischen, als spät am Abende noch Claudius Halcro, mit einer gewissen unruhigen Wichtigkeit, an welcher aber auch die Furcht ihren Antheil hatte, ihnen die Nachricht brachte, daß Cleveland, der Gefangene, aus der Kathedrale verschwunden sei, und daß der Bürgermeister, dem man gesagt, Minna sei ihm zur Flucht behülflich gewesen, in großer Verlegenheit herkomme, um über die genaueren Umstände Erkundigung einzuziehen.
Als die würdige Magistratsperson eintrat, machte ihm Minna durchaus kein Geheimniß daraus, daß es ihr aufrichtiger Wunsch sei, Cleveland möchte entkommen sein, da dieß das einzige Mittel bliebe, ihren Vater aus der drohenden Gefahr zu erretten; daß sie aber irgend einen thätigen Antheil an der Flucht gehabt, läugnete sie hartnäckig, und sagte, daß sie schon vor mehr als zwei Stunden von Cleveland in der Kathedrale geschieden sei, und ihn in Gesellschaft einer dritten Person zurückgelassen hätte, deren Namen zu nennen sie sich nicht für verpflichtet hielte.
»Das ist auch nicht nöthig, Miß Minna Troil,« antwortete der Bürgermeister Torfe, »denn obgleich man Niemand, als diesen Capitain Cleveland und Euch an diesem Tage hat in die St. Magnus-Kirche gehen sehen, so wissen wir doch sehr wohl, daß Eure Base, die alte Ulla Troil, welche ihr Shetländer Norna von Fitful-Head nennt, zu Lande und zu Wasser, und ich glaube, auch in der Luft, in Booten, auf Kleppern, und vielleicht auf Besenstielen, auf- und abkreuzt, und daß hier auch ihr stummer Drow aus- und eingegangen ist, und Alles ausspionirt hat. Und das ist ein vortrefflicher Spion, denn er hört Alles, und sagt nichts wieder, seiner Gebieterin ausgenommen. Und außerdem wissen wir ebenfalls, daß sie in die Kirche kommen kann, wenn auch alle Thüren verschlossen sind, und daß man sie mehrmals dort gesehen hat. Gott behüte uns vor dem Bösen! Und so schließe ich denn, ohne mich genauer erkundigen zu wollen, daß es die alte Norna gewesen ist, die Ihr mit dem Haudegen in der Kirche zurückgelassen habt, und wenn das ist – nun, so fange sie, wer da kann. Ich muß aber sagen, meine schöne Miß Minna, daß ihr Shetländer Gesetz und Evangelium ganz aus den Augen zu setzen scheint, wenn ihr zur Hexerei eure Zuflucht nehmt, um Verbrecher aus einem gesetzmäßigen Gefängnisse zu befreien; das Geringste, was Ihr, Eure Base, oder Euer Vater jetzt thun könnt, ist, daß ihr alle eure Gewalt über diesen jungen Mann anwendet, um ihn zu vermögen, sich sobald als möglich zu entfernen, ohne der Stadt oder den Handelshäusern etwas zu Leide zu thun, und dann soll das, was geschehen ist, gern vergessen sein; denn der Himmel weiß, daß ich den armen Burschen nicht um sein Leben bringen wollte, wenn ich ihn nur, ohne Verantwortlichkeit für mich, los werden könnte, und noch weit weniger wollte ich, daß dadurch dem würdigen Magnus Troil von Burgh-Westra irgend ein Leid geschehen sollte.«
»Ich sehe, wo Euch der Schuh drückt, Herr Bürgermeister,« sagte Claudius Halcro, »und ich kann für meinen Freund, Mr. Troil, wie für mich einstehen, daß wir Beide Alles sagen und thun werden, um Cleveland zu bewegen, daß er sich sogleich von der Küste entferne.«
»Und ich,« sagte Minna, »bin überzeugt, was Ihr da uns empfehlt, ist so sehr zum Besten aller Parteien, daß ich mit meiner Schwester morgen früh sogleich nach dem Hause von Stennis aufbrechen werde, wenn Mr. Halcro uns begleiten will, um dort meinen Vater bei seiner Landung zu empfangen, ihm Eure Wünsche zu eröffnen, und endlich unseren ganzen Einfluß anzuwenden, jenen unglücklichen Mann zu vermögen, daß er das Land verlasse.«
Der Bürgermeister Torfe blickte sie mit einigem Erstaunen an. »Wahrhaftig,« sagte er, »ich glaube, daß sich wenig junge Frauenzimmer freiwillig dem Piraten bis auf acht Meilen nähern würden.«
»Wir laufen keine Gefahr,« warf Halcro ein; »das Haus von Stennis ist stark, und mein Vetter, dem es gehört, hat Leute und Waffen; die jungen Damen sind dort so sicher, als in Kirkwall, und aus der schnelleren Verständigung zwischen Magnus Troil und seinen Töchtern kann viel Gutes entstehen. Ich bin nur glücklich, zu sehen, daß, was Euch anbetrifft, mein guter alter Freund – wie der herrliche John sagt:
– nach langem Streit
Der Mensch, und nicht das Amt, des Sieges sich erfreut.«
Der Bürgermeister lächelte, nickte mit dem Kopfe, und so viel, als er es schicklicherweise thun konnte, gab er zu verstehen, wie glücklich er sein würde, wenn der Liebling des Glückes, mit seinem zügellosen Schiffsvolke, Orkney ohne weitere Schritte und Gewaltthätigkeit von beiden Seiten verlassen wollte. Daß sie hier vom Lande aus mit Lebensmitteln versehen würden, könnte er, sagte er, nicht zugeben; aus Furcht oder aus gutem Willen würden sie aber in Stromneß gewiß genug bekommen. Der friedliche Bürgermeister nahm hierauf von Halcro und den beiden Damen Abschied, welche am nächsten Morgen ihren Aufenthalt nach dem Hause von Stennis zu verlegen gedachten, das an dem Ufer des Salzsee's desselben Namens lag, und ungefähr vier Meilen zu Wasser von der Rhede von Stromneß entfernt war, wo das Schiff des Seeräubers lag.