Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Sieh jenes Weib, verehrt von unsern Hirten,
Die's doch im Stillen fürchten, wenn um Rath
Sie fragen, ob die Liebste treu wird sein,
Und ob die Alte nächstens stirbt;
Wohin der Dieb gefloh'n, der stahl den Becher,
Und wie das Vieh zu heilen von der Seuche.
Das kluge Weib, mein Freund, ist völlig toll,
Doch in der Tollheit klug und schlau zur Gnüge,
Den Narren auszuforschen, was er denkt
Und treffend jede Frage zu erwidern.
Altes Schauspiel.
Es schien jetzt in der That, als ob Norna vollkommenes Recht habe, des Udallars Dankbarkeit für die großen Schritte zur Wiederherstellung von Minna's Gesundheit in Anspruch zu nehmen. Sie öffnete abermals das Fenster; Minna warf sich, indem sie ihre Augen trocknete, und mit liebevollem Zutrauen, ihrem Vater in die Arme und bat ihn um Verzeihung wegen der Unruhe, die sie ihm in der letzten Zeit verursacht hatte. Es ist unnöthig, hinzuzufügen, daß ihr diese mit einem überströmenden, wenn auch rauhen Ausbruche väterlicher Zärtlichkeit, und unter so vielen heißen Umarmungen des Vaters gewährt wurde, als ob sein Kind so eben aus dem Rachen des Todes errettet worden wäre. Aus Magnus' Armen warf sich Minna in die ihrer Schwester, um auch dieser, wiewohl mehr durch Küsse und Thränen, als durch Worte, zu erkennen zu geben, wie leid ihr voriges mürrisches Betragen ihr thue. Während dieser Zeit hielt es der Udallar für passend, der Wirthin, deren Geschicklichkeit so große Wunder verrichtet hatte, seinen Dank zu bezeigen; kaum hatte er aber mit den Worten angefangen:
»Sehr verehrte Verwandte, ich bin nur ein einfacher alter Norweger,« als sie ihn dadurch unterbrach, daß sie ihren Finger auf ihre Lippen preßte.
»Die Wesen sind um uns,« sagte sie, »die keine sterbliche Stimme vernehmen, keine Zeugen sterblicher Gefühle sein dürfen. – Es gibt Zeiten, wo sie sich selbst gegen mich, ihre Gebieterin, auflehnen, weil ich die Hülle der Menschlichkeit noch an mir trage. Fürchtet sie daher, und schweigt. Ich, die ich mich durch meine Werke aus dem niedern Thale des Lebens erhoben habe, wo die gesellschaftlichen Bedürfnisse und die gewöhnlichen Liebesdienste desselben zu finden sind, ich, die ich den Geber der Gabe beraubte, die er verlieh, und jetzt allein auf einer Klippe von unermeßlicher Höhe stehe, von der ganzen Erde losgerissen, ausgenommen von dem kleinen Theile, welcher meinen elenden Tritt trägt, ich allein bin im Stande, es mit diesen finsteren Genossen aufzunehmen. Fürchtet euch also nicht, aber seid auch nicht zu kühn, und begeht diesen Abend unter Fasten und Gebeten.«
Wenn der Udallar schon vor dem Anfange des Werkes nicht dazu geneigt gewesen war, den Befehlen der Sybille zuwiderzuhandeln, so kann man sich denken, daß er jetzt noch weniger dagegen einzuwenden fand, da es allem Anscheine nach einen so glücklichen Ausgang gehabt hatte. So setzte er sich denn schweigend nieder und ergriff das Buch, welches ihm zunächst lag, in keiner andern Absicht, als um die Langeweile dadurch zu vertreiben, denn zu keinem andern Zwecke hatte Magnus überhaupt je ein Buch zur Hand genommen. Dieß war indeß ein Buch, das ihm zufällig sehr zusagte: das wohlbekannte Werk des Olaus Magnus über die Sitten und Gewohnheiten der alten nordischen Völker. Zwar war dieß Buch unglücklicher Weise in lateinischer Sprache geschrieben, und das Dänische oder Holländische dem Udallar ungleich geläufiger, allein es war die schöne Ausgabe mit Abbildungen der Kriegeswagen, des Fischfanges, der kriegerischen Unternehmungen und häuslichen Beschäftigungen der Scandinavier, und so wurde die Auskunft, welche der Text dem Geiste versagte, wenigstens dem Auge, das, wie Alt und wie Jung weiß, zum Vergnügen eben so behülflich ist, als jener, und vielleicht noch mehr.
Die beiden Schwestern hatten unterdessen, nahe aneinander gedrängt, wie zwei Blumen, die auf einem Style wachsen, sich in die Arme genommen, als ob sie fürchteten, eine neue, unvorhergesehene Ursache der Kälte möge sie wieder von einander reißen, und die schwesterliche Eintracht, welche so eben erst hergestellt worden war, wieder zerstören. Norna saß ihnen gegenüber, zuweilen in dem großen Pergamentbande blätternd, mit dem sie sie bei ihrem Eintritte beschäftigt gefunden hatten, zuweilen die Schwestern mit einem scharfen Blicke betrachtend, in welchem ein ungewöhnlich zarter Antheil zu liegen schien, der dann und wann die starre und strenge Feierlichkeit ihrer Züge milderte. Alles war still und schweigend wie der Tod, und Brenda's kaum vorübergegangene Aufregung hatte ihr noch nicht erlaubt, nachzudenken, ob die übrigen Tagesstunden auf eben diese Art vergehen würden, als die Ruhe plötzlich durch den Eintritt des Zwerges Pacolet, oder, wie der Udallar ihn nannte, Nick-Strumpfer, unterbrochen wurde.
Norna warf dem Eintretenden einen zornigen Blick zu; dieser suchte indeß ihrem Unwillen dadurch zu begegnen, daß er die Hände emporhob und einen stammelnden Laut hervorbrachte, dann aber sogleich zu seiner gewöhnlichen Unterhandlungsweise überging, und mit seinen Fingern schnell eine Reihe von Zeichen bildete, die seine Gebieterin eben so schnell beantwortete, so daß die jungen Mädchen, welche nie von einer solchen Kunst gehört hatten, und sie jetzt von zwei so sonderbaren Wesen ausüben sahen, ihr gegenseitiges Verstehen beinahe für eine Art von Zauber hielten. Als sie sich mit einander verständigt, wandte sich Norna mit vielem Stolze zu Magnus und sagte: »Wie, mein Verwandter, habt Ihr Euch so vergessen, in das Haus der Reimkennar zu dringen, und in der Wohnung der Macht und der Verzweiflung Anstalten zu körperlicher Erfrischung, zum Gelag und zu Saus und Braus zu treffen? – Sprecht nicht – antwortet nicht,« setzte sie hinzu; »die Dauer der Heilung, welche ich so eben vollendet habe, hängt von Eurem Stillschweigen und Eurem Gehorsam ab – wechselt nur einen einzigen Blick, ein einziges Wort mit mir, und der letzte Zustand des Mädchens soll noch ärger als der erste werden.«
Diese Drohung fesselte sogleich die Zunge des Udallars, obgleich er vor Begierde brannte, sein Betragen weitläufig zu rechtfertigen.
»Folgt mir Alle,« sagte Norna, indem sie zur Thür des Gemaches schritt, »und hütet euch, zurückzublicken – wir lassen dieß Zimmer nicht leer hinter uns, obgleich wir, die Kinder der Sterblichkeit, nicht mehr darin weilen.«
Sie ging hinaus, und der Udallar gab seinen Töchtern einen Wink, ihr zu folgen und ihren Vorschriften zu gehorchen. Die Sybille stieg schneller als ihre Gäste den rohen Abhang (denn so hätte man es eher nennen können, als eine eigentliche Treppe) hinab, welcher zu dem untern Gemache führte. Magnus und seine Töchter fanden, als sie dieß betraten, ihre Begleiter über Norna's Gegenwart und Verfahren ganz versteinert.
Sie waren nämlich damit beschäftigt gewesen, die Vorräthe, welche sie mitgebracht hatten, so zu ordnen, daß sie ein behagliches kaltes Mahl bildeten, sobald die Eßlust des Udallars, welche so regelmäßig wie die Fluth eintrat, ihn bestimmen würde, einige Erfrischungen zu nehmen; jetzt aber standen sie, voll Furcht und Erstaunen, halb erstarrt da, während Norna eine Sache nach der andern nahm, und, von Pacolets Diensteifer wohl unterstützt, die sämmtlichen Zurichtungen zum Mahle zu der rohen Oeffnung, welche statt eines Fensters diente, hinaus und über die Klippe, auf der sich die alte Burg erhob, in den Ocean schleuderte, der tief unten wüthete und schäumte. Vifda (getrocknetes Rinderfleisch), Schinken und eingesalzenes Schweinefleisch flogen, eines nach dem andern, in die Weite hinaus; geräucherte Gänse und eingesalzene Fische gelangten wieder in ihre heimischen Elemente, die Luft und das Wasser, die sie aber nicht mehr zum Entfliehen benutzen konnten, und das Werk der Verwüstung ging mit so großer Schnelligkeit vor sich, daß der Udallar nur mit Mühe seinen silbernen Becher zu retten vermochte; doch die lederne Branntweinflasche, welche ihn mit Vorrath von seinem Lieblingsgetränke versehen sollte, wurde dem übrigen Abendessen durch die Hände Pacolets nachgesandt, der dabei den getäuschten Udallar mit einem boshaften Grinsen betrachtete, als ob ihm, trotz seines eigenen Geschmackes an diesem Getränke, Magnus Troils Mißgeschick und Erstaunen ungleich mehr Freude gewähre, als es ihm hätte machen können, wenn er dessen Genuß getheilt hätte.
Der Untergang der Branntweinflasche erschöpfte endlich Magnus' Geduld, so daß er mit dem Tone großen Mißvergnügens ausrief: »Aber, Base, das ist ja eine zerstörende Tollheit! Wo und was sollen wir denn nun zu Abend essen?«
»Wo ihr wollt,« erwiderte Norna, »und was ihr wollt – nur nicht in meiner Wohnung, und nicht das, womit ihr sie entheiligt habt. Bringt mich nicht noch mehr auf, sondern entfernt euch Alle. Ihr seid für meine Ruhe, und vielleicht auch für die eurige, schon zu lange hier gewesen.«
»Wie, Base,« sagte Magnus, »wollt Ihr uns denn zu dieser Zeit der Nacht aus dem Hause werfen, wo selbst ein Schotte keinen Fremden von seiner Thür weisen würde? – Ueberlegt es Euch, Frau, welche Schande es über unsere Familie bringen wurde, wenn wir in dem Ungewitter, das Ihr da so eben erregt, genöthigt wären, die Taue zu kappen, und so schlecht versehen in See zu gehen.«
»Schweigt und entfernt euch,« sagte Norna. »Seid zufrieden, das erlangt zu haben, weswegen ihr herkamet. Ich habe kein Obdach für sterbliche Gäste, keine Lebensmittel, menschliche Bedürfnisse damit zu befriedigen. Unten an der Klippe ist eine Uferstrecke vom schönsten Sand, und ein Wasser, so klar, als der Quell von Kildinguie, und die Felsen tragen Moos, so gesund, wie das von Guiydin, und ihr wißt wohl, daß der Quell von Kildinguie und das Moos von Guiydin alle Krankheiten heilen, den schwarzen Tod ausgenommen.«
»Und ich weiß auch,« sagte der Udallar, »daß ich lieber verfaultes Seegras essen möchte, wie ein Staar, oder eingesalzenes Seehundfleisch, wie die Männer von Burraforth, oder Trompetenhörner, Meerflöhe und Napfmuscheln, wie die armen Schächer von Stroma, als in einem Hause, wo es mir nicht gegönnt wird, weißes Brod zu brechen und rothen Wein zu trinken. Und doch,« sagte er, sich mäßigend, »habe ich unrecht, sehr unrecht, Base, so zu Euch zu reden, und sollte Euch lieber für das danken, was Ihr gethan habt, als Euch Vorwürfe darüber machen, daß Ihr nach Eurer Art lebt. Aber ich sehe, Ihr werdet ungeduldig – wir wollen gleich Alle unter Segel gehen. Und ihr, ihr Schufte,« sagte er, indem er sich an seine Diener wandte, »die ihr so eilig mit euren Dienstleistungen bei der Hand waret, ehe wir ihrer bedurften, macht, daß ihr zur Thür hinauskommt, und sucht die Klepper zu fangen, denn ich sehe wohl, wir müssen heute Nacht in einen andern Hafen einlaufen, wenn wir nicht mit leerem Magen zu Bett gehen und ein hartes Lager haben wollen.«
Magnus' Diener, durch Norna's Ungestüm schon mehr als zu sehr erschreckt, hatten das Gebot ihres Herrn kaum vernommen, als sie auch schon die Wohnung mit aller Schnelligkeit räumten, und der Udallar, eine Tochter an jedem Arm, war im Begriff, ihnen zu folgen, als Norna mit besonderer Betonung »Halt!« rief. Sie gehorchten und wandten sich zu ihr. Sie hielt Magnus' ihre Hand hin, welche der leicht versöhnliche Udallar sogleich mit seiner gewaltigen Rechten ergriff.
»Magnus,« sagte sie, »wir trennen uns, weil es sein muß, aber wie ich hoffe, nicht im Zorn?«
»Sicher nicht, Base,« sagte der warmherzige Udallar, der über seine hastige Betheuerung, daß er keinen Groll hege, beinahe zu stottern anfing, »ganz gewiß nicht. Ich habe nie gegen Jemanden Etwas, und am wenigsten gegen eine Blutsverwandte, die mich mit ihrem Rathe so oft durch manche stürmische Fluth gelootset hat, wie ich ein Boot zwischen Swona und Stroma durch alle die Wellen, Strudel und Brandungen der Pentland-Frith lootsen würde.«
»Genug,« sagte Norna, »und nun lebt wohl; mein Segen, wie ich ihn geben darf, sei mit euch – kein Wort mehr! Mädchen,« fügte sie hinzu, »tretet näher, damit ich eure Stirn küsse.«
Minna gehorchte der Sybille mit Ehrerbietung, Brenda mit Furcht, die Eine von der Wärme ihrer Einbildungskraft, die Andere von der natürlichen Schüchternheit ihres Wesens überwältigt. Norna entließ sie nun, und bald standen sie jenseits der Brücke auf der Felsplatte, vor der alten Pictenburg, welche diesem abgeschiedenen weiblichen Wesen zur Wohnung diente. Die Nacht, denn diese war jetzt hereingebrochen, war ungewöhnlich hell. Ein Dämmerlicht, welches weit über die Oberfläche des Meeres schimmerte, entschädigte für die kurze Abwesenheit der sommerlichen Sonne, und die Wogen schienen unter seiner Hut zu schlummern, so sanft und wie vom Schlafe bewältigt war der Ton, mit welchem eine nach der andern gegen den Fuß der Klippe, auf welcher die Reisenden standen, anrollte und sich brach. Ihnen gegenüber lag die schroffe Veste, welche, in dem einförmigen Grau der Atmosphäre, so alt, so formlos und so für die Dauer begründet schien, als der Fels, auf dem sie stand. Weder Zeichen noch Ton verkündeten das Dasein menschlicher Bewohner, außer daß aus einer rohen Schießscharte die schwache Flamme der Lampe blinkte, bei deren Schein die Sybille wahrscheinlich ihre geheimnißvollen und nächtlichen Studien fortsetzte, und welcher in die Dämmerung, in der er sich bald verlor, einen einzelnen schwachen Lichtstreifen warf, der eben so einsam in der Atmosphäre verweilte, wie die betagte Frau und ihr Sklave, die einzigen Bewohner dieser Wüste, in der Einsamkeit, welche sie umgab.
Mehrere Minuten standen die Reisenden, die sich so plötzlich und so unerwartet des Obdaches beraubt sahen, unter welchem sie die Nacht zuzubringen gehofft hatten, schweigend da, Jeder in seine besonderen Gedanken versunken. Minna suchte – die ihrigen auf die geheimnißvolle Tröstung gerichtet, die ihr geworden war – vergebens aus Norna's Worten einen klaren, verständlichen Sinn zu enträthseln, und der Udallar hatte sich noch nicht von seinem Erstaunen über die Vertreibung erholen können, die ihm in einem Anfall von Laune widerfahren und unter Umständen erfolgt war, welche es unmöglich machten, das als eine Beleidigung zu ahnden, was in anderer Rücksicht mit der freien Gastfreundlichkeit seines Wesens so sehr im Widerspruche stand; und so hatte er immer noch das Gefühl eines Menschen, der böse sein will, ohne recht zu wissen, wie er es anfangen soll. Brenda war die Erste, welche der Sache den Ausschlag gab, indem sie fragte, wohin sie gehen und wie sie nun die Nacht zubringen würden. Diese Frage, welche in einem Tone gethan wurde, der bei seiner Einfachheit zugleich etwas Klagendes hatte, gab den Gedanken ihres Vaters auf einmal eine ganz andere Richtung, und die unerwartete Verlegenheit, in der sie sich befanden, erschien ihm jetzt so komisch, daß er in lautes Lachen ausbrach, so daß ihm die Augen überliefen, während die Felsen um ihn her wiederhallten und die schlafenden Seevögel umherflatterten, durch den lauten, herzlichen Ausbruch seiner lärmenden Fröhlichkeit aus ihrer Ruhe aufgeschreckt.
Die Töchter des Udallars machten ihrem Vater eifrige Vorstellungen darüber, wie leicht diese Hingebung an eine unbezähmte Fröhlichkeit Norna mißfallen könnte, und vereinten ihre Bemühungen ihn von der Wohnung derselben weiter wegzuziehen. Magnus ließ sich durch ihre Anstrengungen, denen er, so schwach sie auch waren, wegen seines Lachens keinen ernsthaften Widerstand entgegensetzen konnte, eine bedeutende Strecke von der Burg wegschleppen; hier aber entsprang er ihren Händen, setzte sich auf einen großen Stein, oder ließ sich vielmehr darauf niedersinken, der sehr bequem an der Straße lag, und lachte nun abermals so lange und so gewaltig, daß seine Töchter, betreten und ängstlich, am Ende zu fürchten anfingen, in diesen wiederholten Anfällen möchte etwas Unnatürliches liegen.
Endlich hatte seine Lustigkeit sich selbst und des Udallars Kräfte erschöpft. Er stöhnte tief auf, wischte sich die Augen, und sagte, nicht ohne einige Anwandlung, sein tobendes Gelächter noch einmal anzufangen: »Wahrhaftig, bei den Gebeinen des heiligen Magnus, meines Ahnherrn und Namensverwandten, man sollte denken, zu dieser Zeit des Nachts aus dem Hause geworfen zu werden, müßte ein herrlicher Spaß sein, denn ich habe darüber gelacht, daß mir die Seiten weh thun. Da saßen wir für die Nacht ganz gut aufgehoben, ich eines guten Abendessens und eines guten Trunkes so gewiß, als ich ihrer nur je war, und da sind wir auf einmal Alle, wo wir waren – und dazu der armen Brenda klägliche Stimme und ihre traurige Frage: was soll nun geschehen und wo werden wir schlafen? Wahrhaftig, wenn nicht einer von den Schuften, die die arme Frau durch ihr Auftragen, ehe es befohlen worden war, so aus der Fassung brachten, seine Schuld dadurch wieder gut machen kann, daß er uns einen ordentlichen Hafen auf unserer Seeseite nachweist, so bleibt uns kein anderer Cours, als daß wir im Zwielicht nach der Lage von Burgh-Westra steuern und uns, so gut wir können, wieder dahin zurückfinden. Es thut mir nur um euch leid, Mädchen; denn ich bin auf manchem Kreuzzuge gewesen, wo wir noch weniger hatten, als wir jetzt wahrscheinlich haben werden. Ich wünschte nur, ich hätte für euch einen Bissen zu essen und für mich einen Schluck zu trinken gerettet; dann hätten wir uns nicht sehr beklagen wollen.«
Beide Schwestern versicherten den Udallar, daß sie nicht die geringste Eßlust hätten.
»Nun, das ist ganz gut,« sagte Magnus, »und da dieß der Fall ist, so will ich auch meiner eigenen Eßlust weiter nicht erwähnen, obgleich sie größer ist, als daß Einem dabei ganz wohl sein könnte. Und der Schurke, der Nick-Strumpfer – was für einen Seitenblick mir der Bösewicht zuwarf, als er die Flasche mit gutem Franzbranntwein so in die See schleuderte! Er grinsete, der Schuft, wie ein Seehund auf der Klippe – hätte ich nicht gefürchtet, meine arme Verwandte Norna zu sehr aufzubringen, ich hätte, so wahr Sanct Magnus in Kirkwall begraben liegt, seinen ungeschlachten Leib mit seinem ungestalten Kürbiskopf darauf meiner ehrlichen Flasche nachgeschickt!«
Die Diener waren unterdessen mit ihren Kleppern zurückgekommen, die sie sehr bald eingefangen hatten, indem diese klugen Thiere auf der Weide, wo man sie losgelassen, nichts so Anziehendes gefunden hatten, daß es sie gegen die Aufforderung, sich abermals das Joch des Sattels und Zaumes auflegen zu lassen, taub gemacht hätte. – Die Aussichten der Reisenden erheiterten sich überdieß dadurch, daß man erfuhr, die Ladung der Saumpferde sei nicht ganz zerstört worden, und ein kleiner Korb der Wuth Norna's und Pacolets entgangen, indem einer der Diener ihn mit großer Behendigkeit ergriffen und in Sicherheit gebracht habe. Derselbe Diener, ein gewandter kluger Kerl, hatte am Ufer, nicht weiter als etwa drei Meilen von der Burg, und etwa noch eine Viertelmeile von dem geraden Wege, ein verlassenes Skio, oder Fischerhütte, entdeckt, und den Rath gegeben, daß man für den übrigen Theil der Nacht dort ein Unterkommen suchen möge, damit die Pferde abermals weiden könnten, und die jungen Damen bei der kalten Nachtluft doch unter Dach und Fach wären.
Wenn wir aus einer großen und ernsthaften Gefahr befreit werden, so ist unsere Stimmung (oder sollte es wenigstens sein) in der Regel ernst, je nachdem das Unheil, dem wir entgangen sind, bedeutend war, und der Dank, den wir der schützenden Vorsicht abstatten müssen, innig sein sollte. Wenige Dinge aber erhöhen die Fröhlichkeit auf eine natürlichere oder harmlosere Art, als wenn wir plötzlich aus einer der unbedeutenderen Verlegenheiten des Lebens befreit werden, und dieß war der Fall in dem gegenwärtigen Augenblicke. Sobald der Udallar von der Besorgniß über die Ermüdung seiner Töchter durch zu große Anstrengung, und über das Mißverhältniß zwischen seiner Eßlust und dem vorhandenen Vorrathe befreit war, fing er an, norwegische Lieder zu singen, während er seinen Bergen durch die Dämmerung so munter und rüstig dahin spornte, als ob er diesen Nachtritt aus freien Stücken machte. Brenda vereinigte ihre Stimme zuweilen mit dem Chor, der in rauheren Tönen auch von den Dienern wiederholt wurde, da es in jenem einfachen Zustande der menschlichen Gesellschaft nicht für ehrfurchtswidrig gehalten ward, wenn sie ihre Stimmen mit in den Gesang mischten. Minna war einer solchen Erhebung noch nicht wieder fähig: indessen zwang sie sich, bei der allgemeinen Fröhlichkeit nicht ganz verschlossen zu bleiben, und schien – gegen ihr bisheriges Betragen, seit dem verhängnißvollen Morgen, der das Sanct Johannisfest beschloß – den gewöhnlichen Antheil an Allem zu nehmen; ja, sie beantwortete selbst freundlich und gutwillig die wiederholten Fragen über ihre Gesundheit, mit denen der Udallar seinen Gesang zuweilen unterbrach. So zogen sie in der Nacht dahin, mit weit froheren Gefühlen, als die, mit denen sie am vorigen Morgen den Weg zurücklegten, ohne der Beschwerden der Reise zu achten, und in der Hoffnung auf Obdach und eine behagliche Nacht in der verlassenen Hütte, der sie sich jetzt näherten, und die sie als einen dunkeln und einsamen Aufenthaltsort zu finden erwarteten.
Es war indeß das Loos des Udallars, sich an diesem Tage mehr als einmal in seinen Berechnungen zu täuschen.
»Und in welcher Richtung liegt denn die Hütte, von der du uns erzählt hast, Laurie?« sagte der Udallar zu dem gewandten Bedienten, dessen wir so eben erwähnten.
»Dort muß sie sein,« erwiderte Laurence Sholey: »vorn an dem Voe – aber, meiner Treu, wenn das der Ort ist, so ist schon Jemand darin. Gott und der heilige Ronan gebe nur, daß es Menschen sind.«
In der That war ein Licht in der verlassenen Hütte, stark genug, um durch jede Spalte der Schindeln und des Treibholzes zu schimmern, aus denen sie erbaut war, und dem ganzen Häuschen das Ansehen einer Schmiede zu geben, wenn man sie bei Nacht sieht. Der gewöhnliche Aberglaube der Shetländer bemeisterte sich jetzt Magnus' und seiner Begleiter.
»Es sind Trows,« sagte eine Stimme.
»Es sind Hexen,« murmelte ein Zweiter.
»Es sind Meerjungfern,« brummte ein Dritter vor sich hin; »man höre nur den wilden Gesang!«
Alle hielten an, und in der That vernahm man einige musikalische Töne, welche Brenda zwar mit etwas zitternder Stimme, aber doch nicht ohne unterdrückten Spott, bald für die einer Geige erklärte.
»Geige oder böser Geist,« sagte der Udallar, der zwar an die nächtlichen Erscheinungen glaubte, welche ein solches Schrecken unter seinen Begleitern verbreitet hatten, sie aber doch gewiß nicht fürchtete – »Geige oder böser Geist, mich soll der Teufel holen, wenn mich heute Abend eine Hexe zum zweiten Male um mein Abendbrod bringt.«
Mit diesen Worten stieg er ab, nahm seinen Pallasch in die Hand, und ging, nur von Laurence begleitet, auf die Hütte zu, während der übrige Theil des Gefolges bei seinen Töchtern und den Pferden am Ufer des Voe's stehen blieb.