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Elftes Kapitel.

Zur Heirath? – Zur Beschwörung eines Friedens!

König Johann.

Die Nachricht von der verlornen Schlacht, welche schnell durch die Flüchtlinge in das Dorf und das Kloster gebracht wurde, hatte unter den Bewohnern den größten Schrecken verbreitet. Der Küster und andere Mönche riethen zur Flucht; der Schatzmeister meinte, man solle das Kirchensilber anwenden, um den englischen Befehlshaber zu bestechen; nur der Abt war unerschütterlich.

»Brüder,« sagte er, »da Gott unserem Volke nicht den Sieg im Streit verliehen hat, so muß es wohl sein, daß er von seinen geistlichen Streitern verlangt, daß wir den guten Kampf des Märtyrthums kämpfen, einen Kampf, in welchem nur unsere kleinmüthige Zaghaftigkeit uns den Sieg entgehen lassen kann. Laßt uns also anlegen den Harnisch des Glaubens und uns bereit machen, im Nothfall unter den Trümmern dieser Altäre zu sterben, deren Dienste wir uns geweiht haben. Hochgeehrt sind wir Alle durch diese herrliche Bestimmung, von unserem theuren Bruder Nicolas an, dessen graue Haare erhalten worden sind, um noch mit der Krone des Märtyrthums umgeben zu werden, bis zu meinem geliebten Sohn Edward, welcher, in der letzten Stunde des Tages zum Weinberg kommend, noch die Arbeit in demselben theilen darf mit Denjenigen, welche vom Morgen an darin thätig gewesen sind. Seid gutes Muthes, meine Kinder. Ich unterwinde mich nicht, gleich meinen heiligen Vorgängern, euch zu verheißen, daß ihr durch ein Wunder werdet gerettet werden; ich und ihr, wir sind der besonderen Dazwischenkunft des Himmels nicht würdig, welche in früheren Zeiten das Schwert der Entweihung gegen die Brust der Tyrannen gekehrt hat, die es schwangen, welche die verhärteten Herzen von Ketzern durch Wunderzeichen erschreckt und die himmlischen Heerschaaren herabgesandt hat, um den Altar Gottes und der Jungfrau zu beschirmen. Doch mit Gottes Hilfe sollt ihr an diesem Tage sehen, daß euer Vater und Abt die Inful nicht schänden wird, welche auf seinem Haupte sitzt. Geht in eure Zellen, meine Kinder, und verrichtet eure einsamen Gebete. Schmückt euch mit dem weißen Meßgewand und dem Chorrock wie zu unseren höchsten Festen, und seid bereit, wenn das Läuten der großen Glocke die Annäherung des Feindes verkündet, in feierlichem Zuge ihm entgegenzugehen. Laßt die Kirche öffnen, um denjenigen unserer Unterthanen Zuflucht zu gewähren, welche um ihrer Anstrengungen im Kampfe dieses Tages oder um anderer Ursachen willen die Wuth des Feindes besonders zu fürchten haben. Sagt Herrn Piercie Shafton, wenn er aus dem Kampf entronnen ist – –«

»Hier bin ich, Hochzuverehrender Herr Abt,« unterbrach ihn Piercie; »und wenn es Euch gefällt, will ich diejenigen Leute, so diesem Scharmützel entronnen sind, zusammenrufen und den Widerstand erneuern selbst bis zum Tod. Gewißlich werdet Ihr von Allen erfahren, daß ich meine Schuldigkeit gethan habe in dieser unglücklichen Geschichte. Hätte es Julian Avenel gefallen, auf meinen Rath zu hören, besonders als ich ihm sagte, er möge sein Hauptcorps einigermaßen zurückziehen, gleichwie Ihr wohl bemerkt haben werdet, daß der Reiger dem Herabstürzen des Falken ausweicht und ihn lieber auf dem Schnabel denn auf dem Flügel empfängt, dann, denke ich, würden die Dinge eine andere Gestalt gewonnen haben, und wir hätten in streitbarerer Weise sothanen Strauß bestehen können. Nichtsdestoweniger möchte ich hier nicht so verstanden werden, als wollte ich Etwas zur Herabsetzung von Julian Avenel sagen. Denn ich habe ihn mannhaft fechtend fallen sehen, das Antlitz dem Feinde zugekehrt, und das hat aus meinem Gedächtnisse verbannt den unziemlichen Ausdruck »vorwitziger Zierling«, mit welchem es ihm gefiel, etwas unbesonnen meinen Rath zu bezeichnen, und wofür, hätte es dem Himmel und den Heiligen gefallen, das Leben dieser fürtrefflichen Person zu verlängern, ich mir auf die Seele gebunden hatte, ihn mit eigener Hand vom Leben zum Tod zu bringen.«

»Herr Piercie,« unterbrach ihn endlich der Abt, »wir haben wenig Zeit, von dem zu sprechen, was hätte geschehen können.«

»Ihr habt recht, Hochzuverehrender Herr und Vater,« versetzte der unverbesserliche Euphuist. »Das Präteritum, wie es die Grammatiker nennen, geht die schwachen Sterblichen weniger an, als das Futurum, auch betreffen unsere Gedanken in diesem Augenblick hauptsächlich die Gegenwart. Mit einem Wort, ich bin bereit, alle Diejenigen anzuführen, welche mir folgen wollen, und den Engländern, obwohl sie meine Landsleute sind, denjenigen Widerstand zu leisten, welchen Mannheit und Sterblichkeit verstatten. Und seid versichert, Piercie Shafton wird eher seine Länge, im Betrag von fünf Fuß zehn Zoll, auf dem Boden messen, wo er steht, als drei Schritt zurückweichen, wie es beim Marsch rückwärts der Fall zu sein pflegt.«

»Ich dank' Euch, Herr Ritter,« erwiderte der Abt, »und ich zweifle nicht, Euer Thun würde Euren Worten entsprechen. Allein es ist nicht der Wille des Himmels, daß fleischliche Waffen uns retten sollen. Wir sind berufen, zu leiden, nicht, zu widerstehen, und wir wollen nicht das Blut unserer unschuldigen Unterthanen vergebens verspritzen. Nutzloser Widerstand ziemt nicht Männern von unserem Beruf. Ich habe Befehl gegeben, Schwert und Spieß niederzulegen. Gott und Unsere Liebe Frau haben unsere Waffen nicht gesegnet.«

»Bedenkt Euch wohl, Ehrwürdiger Gnädiger Herr,« sprach Piercie Shafton mit großem Eifer, »ehe Ihr die noch mögliche Vertheidigung aufgebt. Am Eingang des Dorfes sind verschiedene Posten, wo tapfere Männer mit Vortheil leben und sterben können, und ich habe noch den besonderen Beweggrund, Stand zu halten, nämlich die Rettung einer schönen Freundin, welche hoffentlich den Händen der Ketzer entgangen ist.«

»Ihr verstehe Euch, Herr Piercie,« sprach der Abt, »Ihr meint die Tochter unseres Klostermüllers.«

»Hochwürdiger Gnädiger Herr,« versetzte Piercie nicht ohne Zögern, »die schöne Gretelinde ist, wie gewissermaßen behauptet werden kann, die Tochter Eines, der da auf mechanischem Wege Korn bereitet, so daß es zu Brod verarbeitet werden kann, ohne welches wir nicht bestehen könnten, der somit ein an sich ehrenhaftes, ja sogar nothwendiges Geschäft treibt. Nichtsdestoweniger, wenn die reinsten Gefühle einer großen Seele, hervorbrechend gleich den in einem Demant sich spiegelnden Sonnenstrahlen, Adel verleihen können einer Person, welche so zu sagen die Tochter eines mühlenbewegenden Handarbeiters ist – –«

»Ich habe keine Zeit für diese Sachen, Herr Ritter,« unterbrach der Abt. »Mit einem Wort: es wird mit Unserem Willen nicht länger mit fleischlichen Waffen gestritten. Wir von der Geistlichkeit wollen euch Weltleuten zeigen, wie man mit kaltem Blut stirbt, unsere Hände nicht zum Widerstand geballt, sondern zum Gebet gefaltet, unsere Seelen nicht mit grimmem Hasse gefüllt, sondern mit christlicher Sanftmuth und Versöhnlichkeit, unsere Ohren nicht betäubt, unsere Sinne nicht verwirrt durch den wilden Klang kriegerischer Instrumente, sondern vielmehr unsere Zungen gestimmt zu Hallelujah, Kyrie Eleison und Salve Regina, und unser Herz ruhigschlagend, als in Solchen, welche gedenken, sich mit Gott zu versöhnen, nicht sich an ihren Mitgeschöpfen zu rächen.«

»Gnädiger Herr Abt,« erwiderte Herr Piercie, »dieß steht durchaus in keiner Beziehung zu dem Schicksal meiner Molinara, welche ich, bemerkt dieß gefälligst, nicht im Stich lassen will, so lange goldener Griff und stählerne Klinge an meinem Schwert beisammen sind. Ich habe ihr nicht geboten, uns in's Feld zu folgen, und doch dünkt mich, ich habe sie in ihrem Edelknabengewand im Nachzug der Kämpfer erblickt.«

»Ihr müßt,« entgegnete der Abt, »anderswo nach der Person suchen, deren Schicksal Euch so sehr zu Herzen geht, und jetzt möcht' ich Ew. Gestrengen bitten, in der Kirche nach ihr zu fragen, wo alle unsere kampfunfähigen Unterthanen Zuflucht gesucht haben. Ich rathe Euch, gleichfalls bei den Hörnern des Altars zu bleiben, und merkt Euch Eins, Herr Piercie Shafton: wenn Ihr zu Schaden kommt, so wird unsere ganze Bruderschaft darin verwickelt; denn ich bin überzeugt, nie wird der Geringste unter uns seine Rettung erkaufen um den Preis der Auslieferung eines Freundes oder Gastes. Verlaßt uns also, und möge Gott Euch schützen.«

Als Herr Piercie Shafton weggegangen war und der Abt im Begriff stand, sich in seine Zelle zu verfügen, kam diesem die befremdende Meldung zu, daß ein Unbekannter ihn dringend zu sprechen wünsche. Der Unbekannte wurde zugelassen, und es zeigte sich, daß es Niemand anders war, als Heinrich Warden. Der Abt fuhr auf, als er ihn erblickte, und rief zornig: »Ha! sollen die wenigen Stunden, welche das Schicksal dem vielleicht letzten Träger der Inful dieses Hauses verstattet, nicht frei sein von der Zudringlichkeit der Ketzerei? Kommst du, dein Herz an der Aussicht zu weiden, welche das Schicksal deiner unsinnigen und verfluchten Secte darbietet? – Um zu sehen, wie der Besen der Zerstörung die Herrlichkeit der alten Religion wegkehrt? – Um unsere Altäre zu schänden? – Um die Leichname unserer Wohlthäter zu verstümmeln und ihre Gräber zu verwüsten? – Um die Zinnen und das Schnitzwerk des Hauses Gottes und Unserer Lieben Frauen zu zerstören?«

»Ruhig, Wilhelm Allan!« sprach der protestantische Prediger mit ruhiger Würde; »in keiner dieser Absichten bin ich gekommen. Wohl möchte ich diese herrlichen Altäre der Götzenbilder entledigt sehen, welche, seitdem sie nicht mehr lediglich als Abbildungen der Weisen und Guten betrachtet werden, der Gegenstand gräulicher Abgötterei geworden sind. Dagegen möchte ich, daß ihre Zieren bleiben, dafern sie nicht ein Fallstrick für Menschenseelen sind oder werden. Ich verdamme jene Verwüstungen, welche die unbesonnene Wuth des durch blutige Verfolgungen zur Wuth gegen Aftergottesdienst gereizten Volkes angerichtet hat. Gegen solche muthwillige Zerstörung erheb' ich mein Zeugniß.«

»Eitler Wortkrämer!« unterbrach ihn der Abt. »Was wollen diese Unterscheidungen sagen? Was liegt an dem Vorwand, unter welchem du das Gotteshaus beraubst? Und warum willst du in der gegenwärtigen Noth den Meister desselben höhnen durch deine Unheil verkündende Gegenwart?«

»Du bist ungerecht, Wilhelm Allan,« sprach Warden, »allein dieß macht mich nicht wankend in meinem Entschluß. Du hast mich eine Zeitlang beschützt, indem du dabei deinen Rang auf's Spiel setztest und, was dir – ich weiß es – noch theurer ist, deinen guten Leumund bei deiner Secte. Unsere Partei ist jetzt oben, und ich bin das Thal herabgekommen, in welchem du mich von der Welt fern gehalten hast, um meine Verbindlichkeiten gegen dich zu erfüllen.«

»Ja wohl,« versetzte der Abt; »und wer weiß, ob nicht das weltliche und schwachherzige Mitleid, welches mich bestimmt hat, dein Leben zu erhalten, jetzt in diesem drohenden Strafgericht seine Rache findet. Wohl möchte der Himmel den irrenden Hirten geschlagen und dadurch die Heerde zerstreut haben.«

»Denke besser von den göttlichen Gerichten,« entgegnete Warden. »Nicht um deiner Sünden willen, welche deiner verblendeten Erziehung und den Verhältnissen angehören, bist du, Wilhelm Allan, geschlagen, sondern für die aufgehäufte Schuld, welche deine übelbenamte Kirche auf sich und auf die Häupter ihrer Anhänger geladen hat durch die Irrthümer und Verderbnisse von Jahrhunderten.«

»Wahrhaftig,« rief der Abt, »bei meinem festen Glauben an den Felsen Petri, du entzündest den letzten Funken menschlichen Unwillens, der in meinem Busen noch sprühen kann. Ich dachte, ich könnte nicht mehr die Regung irdischer Leidenschaft empfinden, und siehe da, deine Stimme reizt mich zum Ausbruch menschlichen Zornes! Ja, deine Stimme ist es, du, der du kommst, mich in der Stunde des Kummers zu verhöhnen mit lästerlichen Anschuldigungen gegen eine Kirche, welche das Licht des Christenthums erhalten hat von den Zeiten der Apostel bis jetzt.«

»Von der Zeit der Apostel?« entgegnete der Prediger eifrig. » Negatur Guilielme Allan. Wird in Abrede gestellt, Wilhelm Allan. Die ursprüngliche Kirche war eben so sehr von der römischen verschieden, wie das Licht von der Finsterniß, was ich, wenn es die Kürze der Zeit verstattete, bald bewiesen haben wollte. Und noch übeler urtheilst du, wenn du sagst, ich käme, dich in der Stunde der Trübsal zu verhöhnen, da ich doch, Gott weiß es, hier bin, mit dem christlichen Wunsch, eine Verpflichtung gegen den zu erfüllen, welcher mich beherbergt hatte, mich in deine Hände zu geben, während sie noch Macht haben, irgend Etwas gegen mich zu thun, und auf der anderen Seite vielleicht die Wuth der Sieger zu mildern, welche Gott gesandt hat als eine Geißel für deine Verstocktheit.«

»Ich will Nichts von deiner Fürbitte wissen,« sprach der Abt in schneidendem Ton; »die Würde, zu welcher die Kirche mich erhoben hat, würde in den Zeiten der höchsten Blüthe mein Herz nicht mit höherem Stolze geschwellt haben, als sie es in diesem verhängnißvollen Augenblicke thut. Ich verlange nichts von dir, als die Zusicherung, daß meine Milde gegen dich nicht das Mittel gewesen ist, eine Seele dem Satan zuzuwenden, und daß ich nicht dem Wolf eins der verirrten Schafe überlassen habe, welche der große Seelenhirt meiner Obhut anvertraut hat.«

»Wilhelm Allan,« antwortete der Protestant, »ich will aufrichtig gegen dich sein. Was ich versprochen, hab' ich gehalten. Ich habe selbst meine Zunge zurückgehalten, gute Dinge zu sagen. Allein es hat dem Himmel gefallen, die Jungfrau Maria Avenel zu einem bessern Verständniß des Glaubens zu berufen, als du und alle Schüler Roms lehren können. Sie hab' ich mit meiner schwachen Kraft unterstützt. Ich habe sie befreit von den Einwirkungen böser Geister, welchen sie und ihr Haus während der Blindheit ihres römischen Aberglaubens unterworfen gewesen, und, Preis sei meinem Meister, ich habe nicht Grund, zu fürchten, daß sie abermals in deinen Schlingen gefangen wird.«

»Elender Mensch!« rief der Abt, unfähig, seinen steigenden Unwillen zurückzuhalten, »vor dem Abt von St. Marien brüstest du dich, die Seele einer Bewohnerin des Stiftes Unserer Lieben Frauen auf die Pfade gräulichen Irrthums und verdammlicher Ketzerei verlockt zu haben? Treibst du mich weiter, Wellwood, als ich Geduld haben darf? Und drängst du mich, die wenigen Augenblicke von Gewalt, die ich vielleicht noch besitze, anzuwenden, um vom Angesicht der Erde einen Menschen zu vertilgen, dessen von Gott verliehene Fähigkeiten so ganz und gar zum Dienste des Satans verwandt werden?«

»Thue, was dir gefällt,« sprach der Prediger, »dein ohnmächtiger Grimm soll mich nicht hindern, meine Schuldigkeit zu thun und zu deinem Besten zu wirken, so weit es geschehen kann, ohne meinen höheren Beruf zu vernachlässigen. Ich gehe zu dem Grafen von Murray.«

Ihre Unterredung, welche in einen so bitteren Streit ausgeartet war, wurde hier unterbrochen durch das tief und schauerlich tönende Geläute der größten Glocke des Klosters. Dieser Klang, berühmt in den Jahrbüchern der Brüderschaft als Gewitter vertreibend und Teufel in die Flucht jagend, war jetzt lediglich Verkündiger der Gefahr, ohne Kraft, sie abzuwehren. Der Abt wiederholte eilig seinen Befehl, daß alle Brüder geschmückt zum feierlichen Zug sich in dem Chor versammeln sollten, und stieg auf der für ihn allein bestimmten Treppe hinauf auf den Umgang um das Dach des hohen Gebäudes: hier traf er den Küster, welcher Kraft seines Amtes das Läuten der großen Glocke angeordnet hatte.

»Es ist zum letzten Mal, daß ich mein Amt verrichte, hochwürdiger Vater und Herr,« sprach Pater Philipp; »dort kommen die Philister. Wenigstens wollte ich, daß die große Glocke von St. Marien zum letzten Mal nicht anders als ihren wahren und vollen Ton läute. Ich bin ein sündiger Mann gewesen für Einen von unserem heiligen Stand,« fügte er, aufwärts blickend, hinzu; »allein ich darf denn doch wohl sagen, nicht eine einzige Glocke auf dem Thurm des Hauses hat einen falschen Ton geläutet, so lange Pater Philipp die Aufsicht über das Glockenhaus hat.«

Ohne Etwas zu erwidern richtete der Abt seine Augen nach dem Weg, welcher, sich um den Berg herumwindend, von Südosten her nach Kennaquhair führt. In einiger Entfernung erblickte er eine Staubwolke und hörte das Wiehern vieler Pferde. Das jeweilige Funkeln der langen Reihe von Lanzen, während der Zug in's Thal herabstieg, verkündete, daß derselbe aus Bewaffneten bestand.

»Schande über meine Schwäche!« rief Abt Eustach, seine Thränen mit Heftigkeit abwischend. »Mein Gesicht ist zu blöde, um ihre Bewegungen beobachten zu können. Sieh hin, mein Sohn Edward,« (dieser, sein Lieblingsnoviz war ihm eben nachgestiegen,) »und sage mir, welche Zeichen sie führen.«

»Es sind am Ende Nichts als Schotten,« antwortete Edward Glendinning: »Ich sehe die weißen Kreuze. Es können die Westgränzer sein oder Fernieherst und sein Stamm.«

»Schau auf das Banner, und beschreibe mir das Wappen,« sprach der Abt.

»Das Wappen Schottlands,« berichtete Edward; »der Löwe mit seiner Einfassung im gevierten Schild, mit drei Kissen, glaub' ich. – Kann es die königliche Fahne sein?«

»Ach nein,« antwortete der Abt; »es ist das Banner des Grafen von Murray. Er hat nach seinem neuerlichen Sieg das Abzeichen des wackeren Randolf angenommen und hat aus seinem ererbten Wappen die Binde weggelassen, welche seine niedrige Geburt anzeigte. Gebe Gott, daß er die Erinnerung daran nicht auch aus seinem Gedächtnisse getilgt hat, und daß er nicht eben sowohl dem Namen als der Macht nach König zu sein strebe.«

»Wenigstens, Vater, wird er uns vor den Gewaltthätigkeiten der Südländer schützen,« bemerkte Edward.

»Ja, mein Sohn, gleichwie der Schäfer ein einfältiges Lamm vor dem Wolf schützt, um es seiner Zeit selber zu speisen. O, mein Sohn, böse Tage sind über uns gekommen! Ein Bruch ist in den Mauern unseres Heiligthums gemacht: Dein Bruder ist vom Glauben abgefallen. Diese Nachricht ist mir mit der letzten geheimen Meldung zugekommen. Murray hat schon davon gesprochen, seine Dienste mit der Hand von Marien Avenel zu belohnen.«

»Von Marien Avenel!« wiederholte der Noviz, dem Geländer zuschwankend und sich an einer der prächtig ausgehauenen Zinnen festhaltend.

»Ja von Marien Avenel, mein Sohn, welche gleichfalls den Glauben ihrer Väter abgeschworen hat. Weine nicht, Edward, weine nicht, mein geliebter Sohn! Oder vielmehr weine um ihren Abfall, aber nicht um ihre Verbindung. Preise Gott, der dich erweckt und aus den Hütten der Bosheit herausgerufen hat. Ohne die Gnade Unserer Lieben Frauen und Sanct Benedicts wärest du ebenfalls verloren gewesen.«

»Ich bemühe mich, zu vergessen,« sprach Edward; »aber was ich jetzt aus meinem Gedächtniß zu tilgen suche, ist der Gedanke meines ganzen früheren Lebens gewesen. Murray kann nicht wagen eine so ungleiche Heirath zu befördern.«

»Er wagt Alles, was seinen Absichten dient. Schloß Avenel ist fest und bedarf eines guten, ihm ergebenen Burgvogts. Was den Unterschied der Geburt betrifft, so wird er darüber eben so wenig Bedenklichkeiten hegen, wie über die Entstellung der natürlichen Regelmäßigkeit des Bodens, wenn er es nöthig findet, Schanzen und Gräben aufzuwerfen. Aber sei deßhalb nicht niedergeschlagen; erwecke deine Seele mein Sohn. Denke, du scheidest von einem Traum, dem du in der Einsamkeit und Unthätigkeit nachgehängt hast. Ich weine nicht – und doch, was stehe ich nicht im Begriff zu verlieren! Betrachte diese Thürme, wo Heilige gewohnt haben, wo Helden begraben liegen. Bedenke, wie ich, so kurze Zeit erst berufen, die fromme Heerde zu hüten, welche seit dem ersten Leuchten des Christenthums hier gewohnt hat, vielleicht am heutigen Tage im Buch der Zeiten eingetragen werde als der letzte Vater dieser heiligen Brüderschaft. Komm, laß uns hinabsteigen und unserem Schicksal entgegengehen. Ich sehe, sie nähern sich dem Dorfe.«

Der Abt stieg hinab. Der Noviz warf einen Blick um sich her. Aber der Gedanke an die Gefahr, welche dem ihn jetzt so nahe anziehenden, herrlichen Bau drohte, vermochte nicht, die Erinnerung an Marien Avenel zu verdrängen. »Meines Bruders Braut!« – Er zog die Kapuze über das Gesicht und folgte seinem Oberen.

Alle Glocken der Abtei vereinigten nun ihren Klang mit dem Grabgeläute der großen, welches schon lang ertönte. Die Mönche weinten und beteten, als sie sich, wie es nur zu wahrscheinlich war, zum letzten Mal zum feierlichen Zuge ordneten.

»Es ist gut,« sagte Pater Philipp, »daß unser Vater Bonifacius sich in's Binnenland zurückgezogen hat. Er hätte diesen Tag nicht verwinden können; es würde sein Herz gebrochen haben.«

»Gott sei mit der Seele von Abt Ingelram!« sprach der alte Pater Niclas; »so etwas kam in seinen Tagen nicht vor. Sie sagen, wir sollen aus dem Kloster verstoßen werden. Wie ich anderswo leben soll, als wo ich jetzt siebzig Jahre lang gelebt habe, das weiß ich nicht. Das Beste ist, daß ich nirgends mehr lange zu leben habe.«

Wenige Augenblicke nachher ging das Hauptthor des Klosters auf, und der Zug bewegte sich langsam vorwärts auf dem hohen und reich geschmückten Thorwege; Kreuz und Fahne, Schale und Kelch, Schreine mit Reliquien und duftende Rauchfässer gingen theils vorher, theils zwischen den langen Reihen der Brüderschaft in ihren langen schwarzen Gewändern und Kaputzen mit darüberhängenden weißen Scapulieren. Jeder Würdenträger des Klosters hatte das Abzeichen seines Amtes. In der Mitte des Zuges kam der Abt, umgeben und geführt von den ihm zunächst Untergeordneten. Er trug sein köstliches Feiergewand und schien so ruhig, als nähme er seine Stelle bei einer gewöhnlichen Amtshandlung ein. Hinter ihm kamen die geringeren Insassen des Klosters; die Novizen in ihren weißen Chorhemden, und die Laienbrüder, kenntlich an ihren Bärten, welche Wenige unter den Patres trugen. Weiber und Kinder, untermischt mit wenigen Männern, zogen hintennach, weinend über die drohende Verheerung ihres alten Heiligthumes. Sie bewegten sich ebenfalls in Ordnung und beschränkten die Aeußerung ihres Schmerzes auf ein leises Wimmern, welches sich mit dem gemessenen Gesang der Mönche vielmehr vermischte, als ihn unterbrach.

In dieser Ordnung gelangte der Zug auf den Marktplatz von Kennaquhair, welcher damals, wie noch jetzt, durch ein altes, kunstreich ausgehauenes Kreuz ausgezeichnet war, das Geschenk eines früheren Beherrschers von Schottland. Dicht bei dem Kreuze, viel älter und kaum weniger verehrt, stand ein mächtiger Eichbaum, der vielleicht noch Zeuge des Gottesdienstes der Druiden gewesen war, bevor das stattliche Kloster in seiner Nähe seine Kirchthürme zu Ehren des christlichen Glaubens in die Lüfte erhob. Gleich dem Bentangbaum der afrikanischen Dörfer oder gleich der in White's Naturbeschreibung von Selborne erwähnten Plaistower Eiche, war dieser Baum der Sammelplatz der Dorfbewohner, welche ihn in hohen Ehren hielten, wie man dieß bei den meisten Völkern findet und nachweisen kann vielleicht bis aufwärts zu den Tagen, wo der Erzvater die Engel unter der Eiche von Mamre bewirthete.

Die Mönche nahmen ihre Plätze um das Kreuz herum ein, während unter dem absterbenden Baume die Alten, Schwachen und Aengstlichen sich versammelten. Nachdem Alle sich so aufgestellt, herrschte einige Augenblicke eine tiefe und feierliche Stille. Der Gesang der Mönche und die Klagen der Laien verstummten, und Alle erwarteten in bangem Schweigen die Ankunft des ketzerischen Kriegsvolkes, welches sie so lange schon gewöhnt waren, mit Zittern und Zagen zu betrachten.

Endlich vernahm man aus der Ferne Pferdegetrappel und sah, daß die Speere durch die Bäume oberhalb des Dorfes hindurch blitzten. Die Laute wurden stärker und vereinigten sich zu einem anhaltenden Rauschen, in welchem der Huftritt der Rosse sich mit dem Rasseln der Harnische vermischte. Bald erschienen die Reisigen an dem Hauptzugang zu dem unregelmäßigen Viereck, welches den Marktplatz bildet. Sie ritten zwei Mann hoch ein, langsam und in der größten Ordnung. Die Spitze bewegte sich immer vorwärts längs den Seiten des Platzes, bis sie den äußersten Punkt erreicht hatte. Dann machten sie Halt und Front gegen den Platz. Auf diese Weise war der ganze Markt von Bewaffneten umgeben. Eine zweite Abtheilung kam nach, ritt durch eine Lücke der ersten ein und bildete, gleichfalls sich um den Platz herumziehend, eine innere Linie, so daß nun der Markt mit einer vierfachen Reihe von Reisigen umgürtet war. Es entstand eine Stille, und diese benutzte der Abt dazu, seiner Brüderschaft die Weisung zu geben, den feierlichen Gesang De profundis clamavi anzustimmen. Er blickte umher in den bewaffneten Reihen, um zu sehen, welchen Eindruck die feierlichen Töne auf sie machten. Alle beobachteten tiefes Schweigen; auf den Stirnen Einiger war Verachtung zu lesen: aus den Blicken der meisten Uebrigen sprach Gleichgültigkeit. Diese Krieger waren zu lange schon für die entgegengesetzte Sache entschieden, als daß die Schwärmerei ehemaliger Gefühle durch einen Umgang oder einen Hymnus wieder hätte aufgefrischt werden können.

»Ihre Herzen sind verhärtet,« sprach der Abt niedergeschlagen, aber nicht verzweifelnd. »Es steht nun dahin, ob ihre Führer eben so verstockt sind.«

Die Anführer zogen langsam heran; Murray im eifrigen Gespräch mit Morton ritt vor einer auserwählten Schaar, in welcher sich auch Halbert Glendinning befand. Niemand jedoch war zu ihrer Unterredung zugezogen außer dem Prediger Heinrich Warden, welcher sich unmittelbar aus dem Kloster zu ihnen verfügt hatte.

»Ihr seid also entschlossen,« sprach Morton zu Murray, »die Erbin von Avenel mit allen ihren Ansprüchen diesem jungen Mann ohne Namen und Stand zu geben?«

»Hat Euch nicht Warden gesagt, daß sie zusammen erzogen sind und sich von Kindheit auf lieben?« versetzte Murray.

»Und,« fiel Warden ein, »daß sie Beide auf fast wunderbaren Wegen dem römischen Trug entzogen und in den Schafstall der wahren Kirche geführt worden sind. Mein Aufenthalt zu Glendearg hat mich mit diesen Dingen genau bekannt gemacht. Es würde sich zu meinem Kleid und zu meinem Beruf übel schicken, mich in Freiereien und Heirathsstiftung zu mischen, aber schlimmer wäre es doch noch, wollte ich ruhig zusehen, wie Ew. Gnaden unnöthiger Weise Gefühle verletzen, welche natürlich sind und welche, wenn wir sie in Ehren und unter dem Zügel der Religion hegen, eine Quelle häuslichen Friedens hienieden und künftiger Glückseligkeit in einer besseren Welt werden. Ich sage, Ihr würdet übel thun, diese Bande zu zerreißen und diese Jungfrau dem Verwandten des Herrn von Morton zu geben.«

»Das sind schöne Gründe, Gnädiger Herr von Murray,« versetzte Morton, »mir eine so geringe Gefälligkeit, wie die Vergebung der Hand dieses einfältigen Mädchens an den jungen Bennygask zu versagen. Sprecht nur offen heraus; sagt, Ihr wollt Schloß Avenel lieber in den Händen eines Menschen sehen, der seinen Namen und sein Dasein lediglich Euch verdankt, als in der Gewalt eines Douglas, eines Verwandten von Morton.«

»Gnädiger Herr von Morton,« erwiderte Murray, »ich habe bei dieser Sache Nichts gethan, was Euch verdrießen sollte. Dieser junge Glendinning hat mir gute Dienste geleistet und kann mir noch ferner dergleichen leisten. Mein Versprechen war bereits gemacht, als Julian Avenel noch lebte, und als es schwer war, einem anderen Stück der Erbschaft, als der Lilienhand des Mädchens beizukommen. Ihr hingegen habt nicht eher an eine solche Verbindung für Euren Verwandten gedacht, als bis Ihr Julian dort todt auf dem Schlachtfeld hattet liegen sehen, und wußtet, sein Land sei herrenloses Gut, auf welches der Erste Beste die Hand legen könnte. Kommt, Gnädiger Herr, Ihr setzt Euren wackeren Verwandten herab, wenn Ihr ihm eine Braut wünscht, welche unter den Milcheimern aufgewachsen ist. Dieß Mädchen ist eine Bauerndirne in jeder Beziehung, ausgenommen in dem Zufall der Geburt. Ich dachte, Ihr hättet tiefere Achtung für die Ehre der Douglas.«

»Die Ehre der Douglas ist sicher in meiner Hut,« antwortete Morton in stolzem Ton, »der Name anderer alten Familien mag ebensowohl leiden, wie der Name von Avenel, wenn Bauern mit dem Blut unserer alten Freiherrn verbunden werden sollen.«

»Das ist leeres Geschwätz,« antwortete der Herr von Murray. »In Zeiten, wie diese, müssen wir auf Männer sehen, nicht auf Stammbäume. Hay war nichts als ein Bauer vor der Schlacht bei Luncarty; das blutige Joch hat wirklich den Pflug gezogen, ehe es vom Herold in den Schild gesetzt wurde. Zeiten des Handelns machen Fürsten zu Bauern und Bauern zu Freiherren. Alle Familien stammen von einem geringen Mann, und wohl ihnen, wenn sie nicht ausgeartet sind von der Trefflichkeit Dessen, welcher sie zuerst aus der Dunkelheit gezogen.«

»Der Gnädige Herr von Murray wird die Güte haben, das Haus Douglas auszunehmen,« versetzte Morton mit wichtiger Miene. »Man hat es als Stamm gesehen, aber nie als junges Reis, – als Strom, aber nie als Quelle. In unseren ältesten schottischen Jahrbüchern war der schwarze Douglas mächtig und ausgezeichnet wie jetzt.«

»Ich beuge mich vor der Herrlichkeit des Hauses Douglas,« sprach Murray etwas spöttisch. »Ich weiß, wir von dem königlichen Hause haben wenig Grund, mit ihnen die Würde zu messen. Wenn wir auch ein paar Menschenalter hindurch Kronen und Scepter getragen haben, so geht doch unser Geschlechtsregister nicht weiter zurück, als bis auf den unbedeutenden Alanus Dapifer.«

Mortons Wange röthete sich, als er antworten wollte. Aber Heinrich Warden bediente sich der Freiheit, welche die protestantische Geistlichkeit besaß, um eine Erörterung zu unterbrechen, welche zu hitzig und persönlich wurde, als daß sie länger hätte freundschaftlich sein können.

»Gnädige Herren,« sprach er, »ich muß kühn sein, wenn ich das Gebot meines Meisters erfüllen will. Es ist eine Schmach und ein Aergerniß, zwei große Herren, deren Hände so thätig gewesen sind im Werke der Reformation, in Streit gerathen zu sehen um solcher Thorheiten willen, wie sie jetzt Eure Gedanken beschäftigen. Bedenkt, wie lange ihr mit einem Sinn gedacht, mit einem Auge gesehen, mit einem Ohr gehört, – wie ihr durch eure Verbindung die Einigung der Kirche gestärkt, durch euer vereinigtes Ansehen die Einigung des Antichrist geschreckt habt, und ob ihr jetzt euch verunreinigen wollt um ein altes verfallenes Schloß und ein paar kahle Hügel, um die Liebschaft eines unbedeutenden Reisigen mit einer, in eben so großer Niedrigkeit erzogenen Jungfer, oder um die noch nichtigeren Fragen von Abstammung?«

»Der gute Mann hat Recht, edler Douglas,« sprach Murray, ihm die Hand reichend; »unsere Vereinigung ist zu wichtig für die gute Sache, als daß sie um so unbedeutender Mißhelligkeit willen aufgelöset werden sollte. Ich bestehe darauf, dem Glendinning in dieser Sache zu Willen zu sein – ich habe mein Wort darauf gegeben. Die Kriege, an welchen ich Theil genommen, haben manche Familie in's Unglück gestürzt; ich will nun sehen, ob ich nicht wenigstens eine glücklich machen kann. Es gibt Jungfrauen und Güter genug in Schottland. Ich verspreche Euch, mein edler Bundesgenosse, der junge Bennygask soll eine reiche Frau haben.«

»Gnädiger Herr,« nahm Warden das Wort, »Ihr sprecht als ein edler Mann und als ein Christ. Leider ist dieß ein Land des Hasses und des Blutvergießens. Laßt uns nicht aus demselben die letzten Spuren sanfter häuslicher Liebe verbannen. Und Ihr, Gnädiger Herr von Morton, seid nicht so begierig nach Reichthum für Euren edlen Verwandten, denn Ihr seht ja, daß Zufriedenheit im Ehestand nicht daran geknüpft ist.«

»Wenn Ihr auf mein häusliches Glück anspielt,« sprach Morton, dessen Gemahlin von ihm um ihres Vermögens und Ranges willen geehelicht und wahnsinnig war, – »dann soll das Kleid, welches Ihr tragt, und die Freiheit, oder vielmehr Keckheit, Eures Standes Euch nicht vor meinem Zorn schützen.«

»Ach edler Herr,« erwiederte Warden, »wie empfindlich und reizbar ist doch unsere Selbstliebe! Wenn wir Prediger im Eifer unseres hohen Berufes auf die Fehltritte unserer Herrscherin hinweisen, wer lobt dann unsere Kühnheit mehr, als der edle Morton! Berühren wir aber den wunden Fleck an ihm, welcher vornehmlich der Behandlung bedürfte, so fährt er entsetzt und ungeduldig und zornig vor dem treuen Arzte zurück.«

»Genug hiervon, guter und ehrwürdiger Herr,« sprach Murray, »Ihr überschreitet die Gränzen der Klugheit, die Ihr selber so eben empfohlen habt. – Wir stehen jetzt vor dem Dorf, und der stolze Abt ist an der Spitze seines Schwarmes ausgezogen. Ihr, Warden, seid ein guter Fürsprecher für ihn gewesen, sonst würde ich die Gelegenheit wahrgenommen haben, das Nest zu zerstören und die Krähen zu verjagen.«

»Thut das nicht,« sagte Warden. »Dieser Wilhelm Allan, den sie Abt Eustachius nennen, ist ein Mann, dessen Unglück unserer Sache mehr schaden würde, als sein Wohlergehen. Ihr könnt nicht Schlimmeres über ihn verhängen, als er bereit ist zu leiden, und je mehr er fähig ist zu dulden, desto größer wird der Einfluß seiner Geistesgaben und seines Muthes sein. Auf seinem Klosterthron wird man ihn gleichgültig ansehen, vielleicht selbst mit Widerwillen und Neid. Aber verwandelt sein goldenes Crucifix in ein hölzernes, laßt ihn das Land durchwandern, als einen unterdrückten und verarmten Mann, und Ihr werdet sehen, seine Geduld, seine Beredsamkeit und Gelehrsamkeit wird der guten Sache mehr Herzen abwendig machen, als alle infulirten Aebte Schottlands in den letzten hundert Jahren vermocht haben.«

»Psch! Psch!« entgegnete Morton, »die Einkünfte des Stiftes würden an einem Tage mehr Männer, Spieße und Rosse in's Feld bringen, als sein Predigen sein ganzes Leben lang. Die Tage Peters des Einsiedlers sind vorüber, wo Mönche Heere von England nach Jerusalem konnten ziehen lassen; aber Gold und gute Thaten richten noch immer eben so viel oder mehr aus, als je. Hätte Julian diesen Morgen zwanzig oder vierzig Mann mehr gehabt, so sollte Herr Hans Foster einen schlimmeren Willkomm gefunden haben. Ich sage: Zieht des Mönchs Einkünfte ein, und Ihr zieht ihm die Fangzähne aus.«

»Brandschatzen wollen wir ihn schon,« sagte Murray – »und ferner wird er wohl thun, den Piercie Shafton herbeizuschaffen, dafern er in seiner Abtei bleiben will.«

Während er so sprach, gelangten sie auf den Marktplatz. Man erkannte sie an ihrer vollständigen Rüstung, an ihren hohen Federn und an ihrem zahlreichen Gefolge, welches ihre Farben und Abzeichen trug. Diese beiden mächtigen Landherren, besonders aber der dem Thron so nahe stehende Murray, hatten einen Haushalt und eine Dienerschaft, welche der königlichen nicht viel nachgab. Während sie auf dem Markte einritten, sprengte ein Herold aus ihrem Gefolge seitwärts zu den Mönchen und rief: »Der Abt von St. Marien erhält die Weisung, vor dem Grafen von Murray zu erscheinen.«

»Der Abt von Sanct Marien,« entgegnete Eustach, »steht auf dem Grundgebiete seines Klosters über jedem weltlichen Herrn. Wenn der Graf von Murray nach ihm verlangt, so mag er sich zu ihm bemühen.«

Murray empfing diesen Bescheid mit höhnischem Lächeln. Er stieg ab und ging, begleitet von Morton und mit seinem Gefolge hinter sich, auf die um das Kreuz versammelte Schaar der Mönche zu. Man sah, wie ein großer Theil derselben zusammenfuhr bei der Annäherung des so gefürchteten und so mächtigen ketzerischen Landherrn. Der Abt warf einen strafenden und ermuthigenden Blick auf sie und trat vor, wie ein herzhafter Anführer, welcher sieht, daß er seine persönliche Tapferkeit zeigen muß, um den sinkenden Muth seiner Leute aufzufrischen. »Herr Jakob Stewart,« sprach er, »oder Graf von Murray, wenn das Euer Titel ist, ich, Eustachius, Abt von Sanct Marien, frage, mit welchem Recht Ihr unser friedliches Dorf mit diesen Schaaren von Bewaffneten besetzt und unsre Brüder mit denselben umringt habt? Wenn Gastfreiheit gesucht wird, so wisset, daß dieselbe auf höfliche Forderung nie verweigert worden ist; hat man Gewaltthätigkeit im Sinn gegen friedliche Männer der Kirche, so laßt uns den Vorwand und das Ziel des Vorhabens kennen.«

»Herr Abt,« versetzte Murray, »Eure Sprache würde sich besser passen in einem anderen Zeitalter und in Gegenwart einer geringeren Person, als der Unsrigen. Wir sind nicht hieher gekommen, um auf Eure Fragen zu antworten, sondern um von Euch zu erfahren, warum Ihr den Frieden gebrochen habt, indem Ihr Eure Lehenleute in Waffen versammelt und die Unterthanen der Königin aufgeboten habt, in Folge dessen viele Männer erschlagen worden sind, und Wahrscheinlichkeit vorhanden ist, daß vieles Ungemach, vielleicht selbst ein Bruch der Freundschaft mit England entstehen möchte.«

» Lupus in fabula Der Wolf in der Fabel.!« antwortete der Abt spöttisch. »Der Wolf beschuldigte das Schaf, daß es den Bach trüb mache, während er oberhalb desselben trank – und das diente ihm zum Vorwand, dasselbe aufzufressen. Die Unterthanen der Königin aufzubieten! Ich habe es gethan, um das Land der Königin wider Ausländer zu vertheidigen. Ich habe damit lediglich meine Schuldigkeit gethan, und ich bedaure, daß ich nicht die Mittel hatte, es mit größerem Nachdrucke zu thun.«

»War es auch Eure Schuldigkeit, einen Verräther an der Königin von England aufzunehmen und zu beherbergen, und einen Krieg zwischen England und Schottland zu veranlassen?« fragte Murray.

»In meinen jüngeren Tagen, Gnädiger Herr,« versetzte der Abt mit immer gleicher Unerschrockenheit, »war ein Krieg mit England keine so gefürchtete Sache, und nicht nur ein infulirter Abt, welcher durch seine Regel verbunden ist, Gastfreiheit gegen Alle zu üben und Jedem eine Freistätte zu gewähren, sondern selbst der ärmste schottische Bauer würde sich geschämt haben, Furcht vor England anzugeben als Grund, warum er einem verfolgten Verbannten seine Thür verschlossen. Aber in jenen alten Tagen sahen die Engländer selten das Gesicht eines schottischen Großen anders als durch die Stangen seines Visirs.«

»Mönch!« rief der Graf von Morton in schneidendem Ton, »diese Keckheit wird dir wenig helfen. Die Tage sind vorüber, wo es Roms Priestern freistand, Fürsten ungestraft Trotz zu bieten. Gib uns diesen Piercie Shafton heraus, oder, bei meines Vaters Wappen, ich will deine Abtei in hellen Flammen aufgehen lassen!«

»Und wenn du das thust, Graf von Morton, werden ihre Trümmer auf die Gräber deiner eignen Ahnen einstürzen. Möge der Ausgang sein, wie es Gott gefällt, der Abt von St. Marien liefert Keinen aus, dem er Schutz zugesagt hat.«

»Abt!« rief Murray; »besinne dich, ehe wir genöthigt sind, unglimpflich zu handeln. Die Hände dieser Männer,« sprach er, auf das Kriegsvolk deutend, »werden übel zwischen den Altären und in den Zellen hausen, wenn wir genöthigt wären, nach diesem Engländer zu suchen.«

»Ihr sollt es nicht nöthig haben,« rief eine Stimme aus der Menge, und mit feinem Anstand vor die Grafen hintretend, warf der Euphuist den Mantel von sich, in welchen er gehüllt war. » Via die Wolke, welche Shafton beschattete!« rief er. »Schaut, Gnädige Herren, den Ritter von Wilverton, welcher euch den Frevel von Gewaltthätigkeit und Tempelschändung erspart.«

»Ich protestire vor Gott und Menschen gegen jede Verletzung der Freiheiten dieses Hauses durch den Versuch, Gewaltthätigkeit zu üben an der Person dieses edlen Ritters,« sprach der Abt. »Wenn noch ein Funke von Muth in einem schottischen Parlament ist, sollt Ihr weiter von dieser Sache hören.«

»Sparet Eure Drohungen,« versetzte Murray. »Was wir mit Herrn Piercie Shafton vorhaben, ist vielleicht nicht das, was Ihr meint. – Verhafte ihn, Herold, als Unseren Gefangenen auf Auslösung oder Nichtauslösung.«

»Ich ergebe mich,« sprach der Euphuist, »und behalte mir das Recht vor, meinen Gnädigen Herrn von Murray und meinen Gnädigen Herrn von Morton zum Zweikampf zu fordern, so wie ein Edelmann von dem andern Genugthuung fordern mag.«

»Ihr sollt Leute finden, die Eurer Herausforderung entsprechen, Herr Ritter,« antwortete Morton, »ohne daß Ihr Euch zu Männern über Eurem Rang versteigt.«

»Und wo soll ich diese hochherrlichen Kämpen finden, deren Blut reiner fließt, als das von Piercie Shafton?« fragte der englische Ritter.

»Da, Herr von Morton, ist ein Flug nach Eurem Geschmack!« sprach Murray. »Schwingt Euch auf!«

»Ein Flug, wie ihn nur je ein wilder Gänserich gemacht hat,« rief Stawarth Bolton, der jetzt vor die Front trat.

»Wer hat es gewagt, dieß Wort auszusprechen?« fragte zornglühend der Euphuist.

»Still, Männchen!« erwiderte Bolton. »Mache gute Miene zum schlechten Spiel. Deiner Mutter Vater war halt ein Schneiderlein, der alte Ueberstich von Holderneß. Wie? weil du ein dummstolzer Vogel bist und deine Abkunft verschmähst, und dich in unbezahlter Seide und Sammt brüstest, und dich mit Windmachern herumtreibst, deßwegen sollten wir unser Gedächtniß einbüßen? Deine Mutter, Mimi Ueberstich, war die feinste Dirne in jener Gegend; sie wurde geheirathet vom wilden Shafton von Wilverton, der mit den Piercie's auf der verkehrten Seite des Leintuchs verwandt war.«

»Verhelft dem Ritter zu einem Riechfläschchen,« rief Morton. »Er ist von einer solchen Höhe herabgestürzt, daß er ganz betäubt ist von dem Fall.«

In der That sah Herr Piercie Shafton aus wie ein vom Donner gerührter Mann. Trotz des Ernstes des bisherigen Auftrittes konnte Keiner der Anwesenden, selbst der Abt nicht, sich enthalten, über den Ausdruck von Zerknirschung und Demüthigung in seinem Gesicht zu lachen.

»Lacht nur zu,« sprach er endlich, »lacht nur zu, Ihr Herren; ich darf es nicht übel nehmen. Doch möchte ich gern wissen, wie dieser Edelknecht, der mit am lautesten lacht, dazu gekommen ist, diesen unglücklichen Flecken in einer sonst reinen Abstammung zu entdecken, und zu welchem Zweck er ihn bekannt gemacht hat?«

» Ich ihn bekannt gemacht?« fragte erstaunt Halbert Glendinnig – denn an ihn war die bewegliche Aufforderung gerichtet. – »Ich höre es jetzt zum ersten Mal.«

»Wie? hat dieser alte rohe Söldner es nicht von dir erfahren?« fragte der Ritter mit zunehmender Verwunderung.

»Wahrhaftig nicht,« sprach Bolton. »Ich habe diesen jungen Mann nie vor diesem gesehen.«

»O doch, ehrenwerther Herr, Ihr habt ihn allerdings gesehen,« fing Dame Glendinning an, indem sie ihrerseits aus der Menge heraustrat. »Mein Sohn, dieß ist Stawarth Bolton, dem wir unser Leben und die Mittel, es zu fristen, verdanken. Wenn er Gefangener ist, wie es das Ansehen hat, so verwende dich bei diesen edlen Herren, daß sie den Freund der Wittwe mit Wohlwollen behandeln.«

»Wie? meine Dame aus der Schlucht?« sprach Bolton. »Euer Gesicht sowohl, wie das meinige, ist ein wenig eingefallen, seitdem wir uns zum letzten Mal gesehen haben, aber Eure Zunge besteht noch besser die Probe, als mein Arm. Eure Zunge da hat mich diesen Morgen gehörig ausgeschmiert. Der braune Schalk ist ein so handfester Reitersmann geworden, wie ich prophezeihet hatte. Aber wo ist das Weißköpfchen?«

»Ach!« erwiderte die Mutter, die Augen niederschlagend, »Edward ist in den Orden eingetreten und ein Mönch dieser Abtei geworden.«

»Ein Mönch und ein Kriegsmann! Beides üble Geschäfte, gute Dame. Besser wär' es gewesen, Einen davon zu einem guten Schneidermeister zu machen, wie der alte Ueberstich von Holderneß war. Ich habe geseufzt, als ich Euch um die beiden hübschen Kinder beneidete, aber jetzt seufze ich nicht darum, den Mönch oder den Kriegsmann mein nennen zu dürfen. Der Kriegsmann stirbt im Feld, der Mönch lebt kaum in dem Kloster.«

»Theure Mutter,« sprach Halbert, »wo ist Edward? Kann ich nicht mit ihm sprechen?«

»Er ist so eben von uns weggegangen,« antwortete Pater Philipp; »er hat Etwas für den Abt zu besorgen.«

»Und Marie, liebe Mutter?« fragte Halbert weiter. – Maria Avenel war nicht weit entfernt, und diese Drei standen bald abgesondert von der Menge und erzählten sich ihre Schicksale.

Während dieß von den untergeordneten Personen geschah, hatte der Abt eine ernstliche Erörterung mit den beiden Grafen. Indem er theilweise ihnen nachgab, theilweise mit Geschick und Beredsamkeit ihren Forderungen widerstand, gelang es ihm, einen Vergleich abzuschließen, welcher vorläufig das Kloster in seinem bisherigen Stande beließ. Die Grafen hatten um so weniger Lust, die Sache aufs Aeußerste zu treiben, da Eustach erklärte, wenn sie ihm mehr abzwingen wollten, als er mit gutem Gewissen bewilligen könne, werde er das ganze Stiftsland der Königin in die Hände werfen, damit diese nach Gefallen darüber verfüge. Damit würde den Grafen schlecht gedient gewesen sein, und darum begnügten sie sich vor der Hand mit einem mäßigen Opfer an Geld und Land. Nachdem die Sachen so weit erledigt waren, ließ sich der Abt das Schicksal von Herrn Piercie Shafton angelegen sein und bat um Gnade für ihn.

»Er ist ein Zierling, Gnädige Herren,« sprach er; »aber er ist ein edelmüthiger, wenn auch eitler, Narr. Ich bin fest überzeugt, Ihr habt ihm heute weher gethan, als wenn Ihr ihm einen Dolch in den Leib gerannt hättet.«

»Eine Nadel in den Leib gerannt, meint Ihr, Abt,« fiel der Graf von Morton ein. »Bei meiner Ehre, ich dachte, dieser Enkel eines Wamsmachers wäre wenigstens der Abkömmling eines gekrönten Hauptes.«

»Ich bin der Meinung des Abtes,« sprach Murray. »Es wäre wenig Ehre dabei, ihn an Elisabeth auszuliefern; aber er muß an einen Ort gesandt werden, wo er ihr keinen Schaden zufügen kann. Unser Herold und Bolton sollen ihn nach Dumbar geleiten und nach Flandern einschiffen. Doch still, da kommt er, und wenn ich recht sehe, hat er ein Weib an der Hand.«

»Gnädige Herren und Andere,« sprach der englische Ritter mit großer Feierlichkeit, »macht Raum für die Gemahlin von Piercie Shafton – ein Geheimniß, welches ich nicht hatte bekannt machen wollen. Allein das Schicksal, welches verrathen hat, was ich vergebens zu verbergen strebte, läßt mich nicht mehr so sehr wünschen, das zu verhehlen, was ich Euch hiermit ankündige.«

»Meiner Seel', es ist Gretel Happer, die Müllerstochter!« quiekte Tibb Tacket. »Da kriegt die Ehre der Piercie's einmal ein Loch.«

»Es ist in der That die liebreizende Gretelinde,« sprach der Ritter, »deren Verdienste um ihren ergebenen Diener höheren Ranges würdig sind, als er zu verleihen hat.«

»Ich vermuthe jedoch,« bemerkte Murray, »daß wir Nichts von der Verwandlung der Müllerstochter in eine Gnädige Frau gehört haben würden, wenn sich nicht herausgestellt hätte, daß der Gestrenge Herr der Enkel eines Schneiders ist.«

»Gnädiger Herr,« versetzte Piercie Shafton, »es ist ein armseliger Heldenmuth, auf den einzuhauen, der nicht wieder schlagen kann. Ich hoffe, Ihr werdet erwägen, was Ihr nach Kriegsrecht einem Gefangenen schuldig seid, und fernerhin nichts mehr über diesen gehässigen Punkt sagen. Wenn ich einmal wieder mein eigener Herr bin, will ich einen neuen Weg zu Würden finden.«

»Einen zuschneiden, denk' ich,« verbesserte der Graf von Morton.

»Nein Douglas, auf diese Art werdet Ihr ihn wahnsinnig machen,« sprach Murray. »Ueberdem haben wir andere Dinge zu thun. Ich muß dafür sorgen, daß Warden den Glendinning mit Marien Avenel traut und muß ihn unverweilt in Besitz des Schlosses seiner Frau setzen. Es ist am besten, wenn es geschieht, bevor unser Kriegsvolk diese Gegend verläßt.«

»Und ich,« sprach der Müller, »habe ähnliches Mehl zu mahlen, denn ich hoffe, Einer der guten Patres wird mein Weibsbild mit ihrem schmucken Bräutigam trauen.«

»Ist nicht nöthig,« entgegnete Shafton; »die feierliche Handlung ist bereits vollzogen.«

»Ein nochmaliges Beuteln könnte Nichts schaden,« versetzte der Müller; »es ist immer gut, daß man sicher geht, pfleg' ich zu sagen, wenn ich zwei Mal Multer aus demselben Mehlsack nehme.«

»Stoßt den Müller von ihm weg, oder er würgt ihn zu Tode,« sprach Murray. – »Gnädiger Herr, der Abt bittet uns in seinem Kloster zu Gaste; ich schlage vor, uns dorthin zu verfügen, Herr Piercie, und wir Alle. Ich muß das Fräulein von Avenel kennen lernen – morgen muß ich Vatersstelle bei ihr vertreten. Ganz Schottland soll sehen, wie Murray einen treuen Diener belohnen kann.«

Maria Avenel und ihr Geliebter vermieden es, den Abt zu sehen, und nahmen einstweilen ihre Wohnung in einem Hause des Dorfes. Am folgenden Tag legte hier der protestantische Prediger in Gegenwart der beiden Grafen ihre Hände ineinander. An demselben Tage gingen Herr Piercie und seine Braut nach der Küste ab, unter einem Geleite, welches ihre Einschiffung nach den Niederlanden zu besorgen hatte. In der Frühe des nächsten Morgens setzten sich die Schaaren des Grafen nach Schloß Avenel in Bewegung, um den Neuverehlichten in das Erbe seiner Frau einzusetzen. Das Schloß ergab sich ohne Widerstand.

Aber nicht ohne jene Vorbedeutungen, welche sich bei jeder wichtigen Begebenheit dieser gefeiten Familie zeigten, nahm Maria Avenel Besitz von der Burg ihrer Vorfahren. Dieselbe Kriegergestalt, welche mehr als ein Mal zu Glendearg erschienen war, wurde von Tibb Tacket und von Martin gesehen, als diese ihrer jungen Gebieterin nach dem alten Wohnsitze folgten. Die Gestalt schwebte vor dem Zug her, als derselbe über den Damm ritt, stand bei jeder Zugbrücke still, und winkte, gleichsam triumphirend, mit der Hand, als sie unter dem düsteren Thorweg, über welchem das Wappen von Avenel stand, unsichtbar wurde. Die zwei treuen Diener erzählten ihre Erscheinung bloß der Dame Glendinning, welche, die Brust von Stolz geschwellt, ihren Sohn begleitet hatte, um ihn seinen Platz unter den großen Herren des Landes einnehmen zu sehen. »O, liebes Kind!« rief sie nach Anhörung der Geschichte, »die Burg ist ein großes Haus; aber ich wollte, Ihr möchtet Euch nicht in die stillen Berge von Glendearg zurückwünschen, bevor das Spiel ausgespielt ist.« Diese natürliche, aus mütterlicher Besorgniß entspringende, Betrachtung wurde jedoch bald vergessen über dem angenehmen und zerstreuenden Geschäft, die neue Wohnung ihres Sohnes zu untersuchen und zu bewundern.

Während diese Dinge vorgingen verbarg Edward sich und seinen Kummer in dem väterlichen Thurm von Glendearg, wo jeder Gegenstand, den er erblickte, ihm reichen Anlaß zu bitteren Betrachtungen gab. Der wohlwollende Abt hatte ihn hierher gesandt unter dem Vorwand, einige der Abtei gehörige Papiere geheim und sicher zu verwahren, in der That aber, um ihn nicht Zeugen des Triumphes seines Bruders sein zu lassen. Durch die unbewohnten Gemächer voll der schmerzlichsten Erinnerungen schlich der unglückliche Jüngling wie ein unzufriedenes Gespenst, bei jedem Schritt neuen Anlaß zu Kummer und Selbstpeinigung findend. Zuletzt ward ihm sein gereizter Zustand mit den quälenden Erinnerungen unerträglich. Er rannte hinaus und schritt hastig die Schlucht hinauf, als wollte er die Last abschütteln, welche auf seiner Seele ruhte. Die Sonne war eben am Untergehen, als er den Eingang der Corrie-nan-shian erreichte. Plötzlich fiel ihm ein, was er gesehen, als er zum letzten Male diese Höhle besucht hatte. Seine Gemüthsstimmung war der Art, daß er lieber Gefahr suchen als meiden wollte.

»Ich will diesem geheimnißvollen Wesen in's Auge sehen,« sprach er. »Sie hat das Schicksal vorherverkündet, welches mich in dieß Gewand gehüllt hat; – ich will sehen, ob sie mir etwas Weiteres von einem Leben berichten kann, welches nothwendig elend sein muß.«

Wirklich sah er an ihrem gewöhnlichen Platz das Weiße Fräulein sitzen. Sie sang in ihrem gewöhnlichen sanften, leisen Tone. Während des Singens schien sie kummervoll auf ihren goldenen Gürtel zu sehen, welcher jetzt zur Feinheit eines Seidenfadens verdünnt war.

»Lebe wohl du grüne Eich'!
Selten mehr wird dein Gezweig'
Schimmernd auf und ab sich neigen,
Grüßend mein Herniedersteigen.
Daß entsetzt der Landmann flieht,
Der ohne Wind dich schwanken sieht.

»Leb' wohl Quell! nun nicht mehr lang
Murmelst du zu meinem Sang,
Während die krystallnen Blasen
Tanzen nach des Liedes Maßen,
Schwellen, schwinden und vergeh'n,
Wie Menschenwerk in Sturmesweh'n.

»Geschlungen ist des Schicksals Band,
Das Fräulein reicht dem Knecht die Hand.
Fruchtlos war mein Zauberwalten,
Ihn von ihr entfernt zu halten.
Dorre Busch, versiege Quell,
Hin ist stolzes Avenel!«

Die Erscheinung schien zu weinen, während sie sang. Ihre Worte erweckten in Edward die traurige Ahnung, daß die Verbindung Mariens mit seinem Bruder unheilvoll für Beide sein möchte.


Hiermit schließt der Erste Theil von des Benedictiners Handschrift. Ich habe mich vergebens bemüht, die Jahre und Tage der Geschichte zu ermitteln. So wie sie in derselben angegeben sind, lassen sie sich nicht genau mit denen der bewährtesten Geschichtsbücher in Uebereinstimmung bringen. Es ist wirklich zum Erstaunen, wie nachlässig die utopischen Schriftsteller in diesen wichtigen Punkten sind. Ich bemerke, daß der gelehrte Herr Lorenz Templeton in seinem neulich veröffentlichten Werk, betitelt, Ivanhoe, nicht nur das Ehebett Edwards des Bekenners mit einem, in der Geschichte unbekannten, Abkömmling gesegnet hat, benebst etlichen anderen Schnitzern dieser Art, sondern daß er sogar die Ordnung der Natur umgekehrt und seine Schweine im hohen Sommer mit Eicheln gefüttert hat. Alles was von den glühendsten Bewunderern dieses Schriftstellers zur Entschuldigung vorgebracht werden kann, ist dieß, daß die Punkte, gegen welche die Einwendungen erhoben werden, gerade eben so wahr sind, wie die übrige Geschichte. Diese Vertheidigung scheint mir aber (besonders in Betreff der Eicheln) gar nicht stichhaltig, und der Verfasser wird wohl thun, sich den Rath des Hauptmanns Schlechterdings an seinen Diener zu Herzen zu nehmen, und nie mehr Lügen zu sagen, als schlechterdings nothwendig sind.

Anmerkungen zum eilften Kapitel.

1.

Der geistreiche und fleißige Alterthumsforscher, Georg Chalmers, hat die Ruhmredigkeit des Hauses Douglas oder vielmehr des Geschichtschreibers desselben, Hume von Godscroft, zurückzuweisen gesucht, hat aber dabei nicht seine gewohnte Genauigkeit bewährt. Im ersten Band seiner Caledonia führt er die Stelle aus Godscroft an, um sie zu widerlegen.

Der Geschichtschreiber (der Douglas) ruft aus: »Wir kennen sie nicht in der Quelle, sondern nur im Strom, nicht in der Wurzel, sondern nur im Stamm; denn wir wissen nicht, wer der geringe Mann war, welcher sich über das gemeine Volk erhob.« Diese Bemerkung hält Chalmers für übel angebracht und erklärt, wenn es dem Geschichtschreiber mehr um Forschung als um Rednerei zu thun gewesen wäre, hätte er leicht den ersten geringen Mann dieser berühmten Familie finden können. Dieser sei gewesen ein gewisser Theobaldus Flammaticus oder Diebald der Flamänder, welchem Arnold, Abt von Kelso, zwischen den Jahren 1147 und 1160 Ländereien am Douglaswasser verlieh mittelst einer Urkunde, in welcher Chalmers das erste Glied der Kette von Besitzurkunden in Betreff des Douglasthals erblickt. Diesemnach (sagt er) muß die Familie entweder auf ihr Stammgut verzichten oder diesen unbedeutenden Flamänder als ihren Vorfahren anerkennen. Allerdings hat Diebald Fleming nicht selber den Namen Douglas geführt, aber sein Sohn und Erbe Wilhelm nannte sich selbst de Douglas und ward von Andern so genannt, wie zu ersehen aus verschiedenen Urkunden. (Hier führt Chalmers die Urkunden an. Siehe Caledonia Bd. I. S. 579).

Chalmers hat hier eine Behauptung aufgestellt, welche ein Schotte nur ungern und nur auf unverwerfliche Zeugnisse hin zugeben wird. Allein in der That läßt sich dieselbe gar sehr anfechten, und Schreiber Dieses will, mit aller Achtung vor Chalmers' eifrigen und erfolgreichen Forschungen, diese Gelegenheit ergreifen, um einige annehmbare Gründe für die Meinung anzuführen, daß das Verhältniß von Theobaldus Flammaticus, als Vater zum ersten Wilhelm de Douglas, ja daß überhaupt jeder Zusammenhang desselben mit der Familie Douglas höchst zweifelhaft ist.

Der Schluß, daß Theobaldus Flammaticus der Vater Wilhelms de Douglas gewesen sei, beruht lediglich auf dem Umstand, daß Beide Besitzungen an dem Flüßchen Douglas hatten, dagegen läßt sich mit Fug anwenden: Wenn der Vater Fleming hieß, warum sollte der Sohn einen andern Namen angenommen haben? Und zweitens: Der Name Diebald kommt nicht ein einziges Mal in dem langen Stammbaum der Douglas vor, und dieß würde schwerlich der Fall sein, wenn der Stammvater diesen Namen geführt hätte. Diese Gründe sind zwar an sich nicht sehr gewichtig, wohl aber insofern, als sie es unmöglich machen, irgend etwas zu Gunsten von Chalmers Behauptung beizubringen, welche auf dem mehr behaupteten als erwiesenen Satz beruht, daß die, dem Diebald Fleming verliehenen, Ländereien dieselben sind, welche Wilhelmen de Douglas überlassen waren, und die ursprüngliche Herrschaft dieser mächtigen Familie bildeten.

In der That sind die, von dem Abt von Kelso an Theobaldus Flammaticus verliehenen Ländereien keineswegs die nämlichen, welche Wilhelm de Douglas besaß. Denn vergleicht man die Urkunde für Diebald, so ersieht man, daß die darin aufgeführten Besitzungen, obwohl am Flüßchen Douglas gelegen, solche sind, welche nie einen Theil der Freiherrschaft dieses Namens ausgemacht haben, mithin nicht diejenigen, welche im folgenden Menschenalter in der Hand Wilhelms de Douglas waren. Ist sonach Wilhelm de Douglas nicht der Erbe Diebalds gewesen, so ist nicht mehr Grund, ihn für seinen Sohn zu halten, als wenn Beide in verschiedenen Landschaften gewohnt hätten. Folglich sind wir eben so weit davon entfernt, den ersten geringen Mann der Familie Douglas entdeckt zu haben, wie es Hume von Godscroft im 16. Jahrhundert war. Wir überlassen die Frage Alterthums- und Geschlechtskundigen.

Um dem Andenken des gelehrten und unermüdlichen Chalmers einige Genugthuung dafür zu geben, daß wir gewagt haben, seinen genealogischen Satz in Betreff der Abkunft der Douglas anzugreifen, fühlen wir uns verbunden, unseren Dank gegen ihn auszusprechen für das Licht, welches er auf den Ursprung des für Schottland viel wichtigeren Hauses Stuart geworfen hat.

Die scharfe Feder von Lord Haile's, welche gleich dem Speer Ithuriel's, so viele Schatten aus der schottischen Geschichte weggebannt, hat unter anderen auch die von Banquo und Fleance ausgewiesen. Durch die Verwerfung der mit diesen Namen verbundenen Fabeln hatte die erlauchte Familie Stewart diejenigen Ahnen verloren, welche weiter zurückgehen als Walter, angeblich Sohn des im Text erwähnten Allan Truchseß. Die Untersuchungen unseres gelehrten Chalmers haben ermittelt, daß Walter zwar ein Abkömmling Allan's, aber Sohn Flaald's war, welcher von Wilhelm dem Eroberer die Burg Oswestry in Shropshire erhielt und durch seinen ersten Sohn Wilhelm Stammvater eines erlauchten englischen Geschlechtes, durch seinen zweiten Sohn Walter aber der Ahn des königlichen Hauses Stewart geworden ist.

 

2.

Der Gedanke, die reizbare Eitelkeit von Herrn Piercie Shafton durch Vorhaltung einer Nadel, als des Zeichens seiner Abkunft von einem Schneider, verletzen zu lassen, ist aus Tieck's Novelle »Das Petermännchen« entlehnt. Das Wesen, von welchem die Erzählung den Namen hat, ist der Burggeist einer deutschen Familie, welcher er sowohl mit seinem Rath an die Hand geht, als auch das Schloß durch seine übernatürliche Macht vertheidigt. Aber das Petermännchen ist ein so unheilvoller Rathgeber, daß all seine Rathschläge, obwohl sie unmittelbar günstigen Erfolg haben, am Ende doch Unglück und Frevel herbeiführen. Der junge Freiherr, Eigenthümer der Burg, verliebt sich in die Tochter eines benachbarten Grafen. Dieser, stolz auf seinen höheren Stand, verweigert ihm die Hand des Fräuleins. Der schnöde zurückgewiesene Liebhaber fragt sein Petermännchen, wie er es anstellen soll, um dem Grafen den Mund zu stopfen. Der Zwerg gibt ihm ein Hufeisen und weiset ihn an, es bei der nächsten Gelegenheit dem Grafen zu überreichen, wenn dieser wider großthue mit seiner Abkunft. Der Erfolg bleibt nicht aus. Der Graf findet in der Handlung des Freiherrn eine Anspielung auf die Mißheirath eines seiner Vorfahren mit der Tochter eines Hufschmiedes, und geräth in furchtbaren Zorn gegen den Liebhaber. Die Folgen sind: Verführung des Fräuleins und Tödtung ihres Vaters.

Wenn wir annehmen, daß das Petermännchen den verderbten Theil der Menschennatur vorstellt, »das Gesetz in unseren Gliedern, welches streitet wider das Gesetz in unserem Gemüthe,« dann bildet dieß Werk eine geistreiche Allegorie.

 

Ende des dritten und letzten Theiles.

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Druck von Carl Hoffmann in Stuttgart.

 


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