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'Nen Jungen sah ich einst zu meiner Zeit,
Der Wunder that. Der Kesselflicker Robin
Hatt' einen Jungen – durch ein Katzenloch
Wär' der gekrochen.
Die Narrenkappe.
Bei dem allgemeinen Gedränge und Lärmen, welches das Schloß und die Umgebungen erfüllte, war es keine leichte Sache, irgend Jemand aufzufinden; und es war um so weniger wahrscheinlich, daß er Tressilian treffen würde, den er ängstlich suchte, weil er die Gefahr wohl einsah, unter seinen Verhältnissen Aufmerksamkeit zu erregen, und es daher nicht wagte, Fragen an die Begleiter und Diener zu richten. Er erfuhr indeß durch indirekte Fragen, daß Tressilian wahrscheinlich mit einer großen Gesellschaft von Edelleuten in Begleitung des Grafen von Sussex an jenem Morgen in Kenilworth angekommen sei, welche Leicester mit den deutlichsten Zeichen formellen Respectes und Auszeichnung empfangen habe. Er erfuhr ferner, daß beide Grafen mit ihren Begleitern und vielen andern Rittern und Cavalieren vor mehreren Stunden auf Warwick zugeritten seien, in der Absicht, die Königin nach Kenilworth einzuholen.
Die Ankunft Ihrer Majestät verzögerte sich gleich andern wichtigen Begebenheiten von einer Stunde zur andern, und jetzt wurde von einem athemlosen Courier angemeldet, daß Ihre Majestät, vermöge ihres gnädigen Willens, die Huldigung ihrer Lehensleute anzunehmen, die ihr zu Warwick die Aufwartung gemacht, zurückgehalten worden, und daß sie nicht vor der Dämmerung in das Schloß einziehen werde. Diese Nachricht veranlaßte Diejenigen, welche in Erwartung der Ankunft der Königin auf ihren Posten gewesen waren, etwas nachlässiger in ihrer Wachsamkeit zu sein. Als Wayland einige Reiter in das Schloß kommen sah, hegte er die Hoffnung, daß Tressilian unter denselben sein möge. Um nicht die Gelegenheit zu verlieren, seinem Beschützer zu begegnen, stellte sich Wayland in dem großen Hofe des Schlosses in der Nähe des Mortimerthurmes auf, und beobachtete Jeden, der auf der Brücke hin und her ging. Auf diese Weise konnte Niemand aus- oder eingehen, ohne daß er ihn bemerkte, und er betrachtete genau den Anzug und die Gesichtszüge jedes Reiters, der unter dem gegenüberstehenden Galleriethurme hervorkam und entweder langsam oder in stattlichem Galopp sich dem großen Thore näherte.
Während Wayland so aufmerksam hinausblickte, um Den zu entdecken, den er nicht sah, zupfte ihn Jemand am Aermel, vor dem er sich sonst nicht hätte sehen lassen.
Es war Dickie Sludge oder Flibbertigibbet, der gleich dem Kobold, dessen Namen er führte und dem er vermöge seiner Kleidung gleichen wollte, immer in der Nähe Derjenigen war, die am wenigsten an ihn dachten.
Welches auch Waylands innere Empfindungen sein mochten, so hielt er es doch für nöthig, sein Vergnügen über dieses unerwartete Begegnen auszusprechen.
»Ha, bist Du es, mein Däumling, – Du Fürst der bösen Geister, – meine kleine Maus?«
»Ja,« sagte Dickie, »die Maus, welche das Netz zernagte, gerade als der Löwe, der darin gefangen war, einem Esel außerordentlich gleich sah.«
»Ei, Du kleines Duodezmännchen, Du bist ja diesen Nachmittag so scharf wie Weinessig. Aber sage mir, wie kamst Du mit jenem Riesen zu rechte, bei dem ich Dich zurückließ? – Ich fürchtete schon, er würde Dir die Kleider ausziehen, und Dich verschlingen, wie man eine geröstete Castanie ißt.«
»Hätte er das gethan,« versetzte der Knabe, »so hätte er mehr Gehirn in seinen Magen bekommen, als er je in seinem Hirnkasten hatte. Doch der Riese ist ein höfliches Ungeheuer, und dankbarer, als viele andere Leute, denen ich aus der Noth geholfen, Herr Wayland.«
»Zum Henker, Flibbertigibbet,« erwiderte Wayland, »Du bist schärfer, als ein sheffielder Taschenmesser! Ich wollte, ich wüßte, durch welchen Zauber Du jenem alten Bären den Maulkorb angelegt hast?«
»Ja, das ist so Deine Art,« antwortete Dickie; »Du denkst, schöne Redensarten sollen statt des guten Willens gelten. Indessen mußt Du hinsichtlich dieses ehrlichen Pförtners wissen, daß, als wir uns am Thor darstellten, sein Gehirn mit einer Rede überladen war, die man für ihn aufgesetzt hatte, und die seiner riesenhaften Fassungskraft zu schwer war. Diese Rede, sowie viele andere, hatte mein gelehrter Magister Erasmus Holiday aufgesetzt. Ich hatte sie oft gehört und wußte jede Zeile auswendig. Als ich ihn nun wie einen Fisch auf trockenem Lande zappeln sah, indem er den ersten Vers hersagte, wußte ich sogleich, wo ihn der Schuh drückte, sagte ihm das nächste Wort, wo er mich denn in äußerstem Entzücken emporhob, wie Ihr gesehen habt. Unter der Bedingung, Euch einzulassen, versprach ich ihm, mich unter seinem Bärenfelle zu verstecken und ihm in der Stunde der Noth beizustehen. Ich habe mir jetzt nur etwas Lebensmittel aus dem Schlosse geholt, und bin im Begriff zu ihm zurückzukehren.«
»Das ist recht, – mein lieber Dickie,« versetzte Wayland; »eile um des Himmels willen, sonst wird der arme Riese untröstlich sein, wenn ihm sein kleiner Bundesgenosse fehlt. – Fort mit Dir, Dickie.«
»Ja, ja!« antwortete der Knabe – »fort mit Dickie, wenn man das von ihm erlangt hat, was er gewähren kann. – Ihr wollt mir also die Geschichte dieser Dame nicht mittheilen, die ebensowenig Eure Schwester ist, wie ich es bin?«
»Nun, und was würde es Dir helfen, Du unartiger Kobold?« sagte Wayland.
»O, stehen wir so mit einander?« sagte der Knabe; »nun, mir liegt nicht viel an der Sache – und so guten Abend.«
»Nein, Dickie,« sagte Wayland, der die rachsüchtige Natur des Knaben zu gut kannte, um nicht seine Feindschaft zu fürchten, – »bleib', mein lieber Dickie, – trenne Dich nicht so rasch von einem alten Freunde! – Du sollst eines Tages Alles erfahren, was ich von der Dame weiß.«
»Ja!« sagte Dickie, »und dieser Tag wird wahrscheinlich sehr nahe sein. – Lebe wohl, Wayland – ich will zu meinem großgliedrigen Freunde, der, wenn er auch nicht so scharfen Witz hat, wie andere Leute, wenigstens dankbarer ist für Dienste, die man ihm leistet. Und so wünsche ich Dir nochmals einen guten Abend.«
Mit diesen Worten schlug er ein Rad, lief durch den Thorweg und über die Brücke, eilte mit außerordentlicher Schnelligkeit auf den Galleriethurm zu und war ihm im Augenblicke aus dem Gesichte.
»Wollte Gott, ich wäre wohlbehalten wieder aus diesem Schlosse,« sagte Wayland zu sich selber; »denn jetzt, da dieser boshafte Kobold die Pastete mit seinem Finger berührt hat, kann sie nur eine Speise für den Teufel sein. Ich wollte nur, Herr Tressilian käme bald!«
Tressilian, den er so ängstlich von jener Richtung her erwartete, war vermöge des anderen Einganges nach Kenilworth zurückgekehrt. Freilich hatte er am Morgen die Grafen bei ihrem Ritte nach Warwick begleitet, nicht ohne die Hoffnung, in jener Stadt Etwas von seinem Abgesandten zu erfahren. Da diese Erwartung nicht eintraf, und er Varney unter Leicesters Begleitung bemerkte, der die Absicht zu haben schien, sich ihm zu nähern und ihn anzureden, so hielt er es unter den gegenwärtigen Umständen für das Klügste, ihm auszuweichen. Er verließ daher das Audienzzimmer gerade, als der Obersheriff der Grafschaft mitten in seiner pflichtschuldigen Anrede an ihre Majestät war, bestieg sein Pferd, ritt auf einem Umwege nach Kenilworth zurück, kam zu einer kleinen Pforte in der westlichen Mauer, wo er sogleich als Begleiter des Grafen von Sussex eingelassen wurde, gegen die Leicester die äußerste Höflichkeit anzuwenden befohlen hatte. So traf er Wayland nicht, welcher ungeduldig seine Ankunft erwartete, und den er wenigstens ebenso gern gesprochen hätte. Nachdem er sein Pferd seinem Diener überlassen hatte, ging er eine Zeitlang auf dem Vorplatze und im Garten auf und ab, mehr um allein seinen Gedanken nachzuhängen, als um die ausgesuchte Schönheit der Natur und Kunst zu bewundern, welche Leicesters Prachtliebe hier vereint hatte. Der größere Theil der Leute von Stande hatte das Schloß verlassen, um sich dem Reiterzuge des Grafen anzuschließen. Andere, welche zurückgeblieben waren, befanden sich auf den Zinnen, auf den äußeren Mauern und Thürmen, begierig, das glänzende Schauspiel des königlichen Einzuges zu sehen. Der Garten war daher ganz verlassen, während jeder andere Theil des Schlosses von menschlichen Stimmen ertönte, und man hörte dort nichts weiter, als das leise Rauschen der Blätter, den Gesang der Bewohner eines großen Vogelhauses, sowie den ihrer glücklicheren Gefährten, welche noch die freie Luft bewohnten, und das Plätschern der Fontainen, die aus Bildwerken von seltsamer Gestalt emporstrahlten und in die großen Bassins von italienischem Marmor herabfielen.
Tressilians schwermüthige Gedanken warfen einen düstern Schatten auf alle Gegenstände, von denen er umgeben war. Er verglich die prachtvollen Scenen, durch die er dahin schritt, mit den dunklen Wäldern, welche Lidcote Hall umgaben, und Emma Robsarts Bild schwebte gleich einem Phantom durch jede Landschaft, die sich seiner Einbildungskraft darstellte. Vielleicht ist nichts gefährlicher für das künftige Glück der Menschen von tiefen Gedanken und zurückhaltenden Gewohnheiten, als eine frühe, langgehegte unglückliche Neigung. Sie prägt sich häufig dem Gemüthe so tief ein, daß sie der Gedanke des Tages und der Traum der Nacht wird – vermischt sich mit jeder Quelle des Interesses und der Freude, und wenn endlich alle Hoffnung vernichtet ist, so scheint es, als wären auch die Quellen des Herzens mit vertrocknet. Dieser Schmerz des Herzens, dieses sehnsüchtige Verlangen nach einem Schatten, welcher alle seine Heiterkeit und Färbung verloren hat, dieses Verweilen bei der Erinnerung an einen Traum, aus dem wir auf rauhe Weise erweckt sind, ist die Schwäche eines edlen und großen Herzens, und ein solches besaß Tressilian.
Er sah endlich selber die Nothwendigkeit ein, sich mit andern Gegenständen zu beschäftigen, und zu diesem Zwecke verließ er den Garten, um sich unter das lärmende Gedränge an den Mauern zu mischen und die Vorbereitungen zu den Festspielen mit anzusehen. Doch als er den Garten verließ und das geschäftige mit Musik und Gelächter vermischte Gesumme hörte, welches ihn umgab, empfand er eine unwiderstehliche Abneigung, sich unter die Gesellschaft zu mischen, deren Gefühle von den seinigen so verschieden waren, und beschloß, sich auf das ihm angewiesene Zimmer zurückzuziehen und sich mit Lectüre zu beschäftigen, bis das Läuten der großen Glocke ihm die Ankunft der Königin verkünden werde.
Tressilian ging daher an der ungeheuren Reihe von Küchen und an der großen Halle vorbei, und stieg in das dritte Stockwerk des Mervynthurmes. Als er die Thüre des ihm angewiesenen kleinen Zimmers öffnen wollte, war er erstaunt, sie verschlossen zu finden. Dann erinnerte er sich, daß der Unterkämmerer ihm einen Hauptschlüssel gegeben, und ihm gerathen habe, bei der jetzigen Verwirrung im Schlosse, seine Thüre soviel als möglich verschlossen zu halten. Er steckte daher den Schlüssel in das Schloß, die Thür öffnete sich, er trat ein und sah in demselben Augenblicke eine weibliche Gestalt im Zimmer sitzen – es war Emma Robsart. Sein erster Gedanke war, daß seine erhitzte Phantasie ihm dieses Bild vor Augen stelle; sein zweiter, daß er eine Erscheinung sehe – die bleibende Ueberzeugung war, daß es Emma selber sei, freilich blässer und abgezehrter, als in den Tagen ihres unbefangenen Glückes, als sie die Gestalt und Gesichtsfarbe einer Waldnymphe mit der Schönheit einer Sylphide vereint hatte; doch war es immer Emma, und an Liebenswürdigkeit unübertroffen von Allem, was er je gesehen.
Das Erstaunen der Gräfin war kaum geringer, als das, welches Tressilian empfand, obgleich von kürzerer Dauer, da sie bereits von Wayland gehört hatte, daß er sich im Schlosse befinde. Sie war bei seinem Eintritte aufgesprungen und stand ihm jetzt gegenüber, indem die Blässe ihrer Wange in ein hohes Roth überging.
»Tressilian,« sagte sie endlich, »wie kommt Ihr hieher?«
»Wie kommt Ihr hieher, Emma?« erwiderte Tressilian, »wenn Ihr nicht endlich den Beistand in Anspruch nehmen wollt, der Euch sogleich zu Theil werden soll, so weit das Herz und der Arm eines Mannes ihn gewähren kann.«
Sie schwieg einen Augenblick und erwiderte dann mehr in kummervollem als ärgerlichem Tone: »Ich fordere keinen Beistand, Tressilian, und es würde mir mehr Schaden als Nutzen bringen, wollte ich von Eurer Güte Gebrauch machen. Glaubt mir, ich bin in der Nähe eines Mannes, den Gesetz und Liebe verpflichten, mich zu beschützen.«
»So hat Euch der Schurke also die einzige Gerechtigkeit widerfahren lassen, die in seiner Macht stand,« sagte Tressilian, »und ich sehe also Varney's Gattin vor mir?«
»Varney's Gattin!« versetzte sie mit dem Ausdrucke der vollen Verachtung; »Herr, mit welchem niedrigen Namen brandmarkt Ihr die – die – die –« – sie stockte, senkte ihren Blick und schwieg verwirrt, denn sie bedachte, welche unheilvolle Folgen daraus entstehen könnten, wenn sie » die Gräfin von Leicester« hinzugesetzt hätte, denn das waren die Worte, die sich ihr aufgedrängt hatten. Sie würde dadurch das Geheimniß, wovon nach der Versicherung ihres Gemahls sein Glück abhängig war, an Tressilian, an Sussex, an die Königin und den ganzen versammelten Hof verrathen haben. »Nimmermehr,« dachte sie, »will ich mein Wort brechen. Lieber will ich mich jedem Verdachte aussetzen.«
Thränen füllten ihre Augen, als sie schweigend vor Tressilian dastand, der sie mit Kummer und Mitleid ansah und sagte: »Ach Emma, Eure Augen widersprechen Euren Worten. Diese reden von einem Beschützer, der fähig und bereit ist, Euch zu überwachen; doch jene sagen mir, daß Ihr von dem Elenden, an den Ihr Euch angeschlossen habt, verlassen und in's Unglück gestürzt seid.«
Sie sah ihn mit Blicken an, worin sich Zorn mit ihren Thränen mischte, begnügte sich aber damit, das Wort » Elender!« mit verächtlicher Betonung zu widerholen.
»Ja, der Elende!« sagte Tressilian; »denn wäre er etwas Besseres, würdet Ihr wohl hier allein in meinem Zimmer sein? Warum wurden keine passenden Vorkehrungen zu Eurer ehrenvollen Aufnahme getroffen?«
»In Eurem Zimmer?« wiederholte Emma; »in Eurem Zimmer? Das soll sogleich von meiner Gegenwart befreit sein.« Sie eilte auf die Thüre zu; doch die traurige Erinnerung ihrer verlassenen Lage drängte sich sogleich ihrem Gemüthe auf, und auf der Schwelle stillstehend, setzte sie in unaussprechlich rührendem Tone hinzu: »Ach! ich hatte vergessen – ich weiß nicht, wohin ich gehen soll.«
»Ich durchschaue Alles,« sagte Tressilian, indem er zu ihr eilte, und sie zu dem Sitze zurückführte, auf dem sie niedersank. – »Ihr bedürft des Beistandes – Ihr bedürft des Schutzes, obgleich Ihr es nicht gestehen wollt. – Nehmt meinen Arm an, als den des Bevollmächtigten Eures trefflichen, tief bekümmerten Vaters, am Schloßthore sollt Ihr Elisabeth begegnen, und die erste That, die sie in den Hallen von Kenilworth vollbringt, soll eine Handlung der Gerechtigkeit gegen ihr Geschlecht und ihre Unterthanen sein. Meiner guten Sache und der Gerechtigkeit der Königin gewiß, soll die Macht ihres Günstlings meinen Entschluß nicht erschüttern, ich will sogleich Sussex aufsuchen.«
»Um des Himmels willen nicht,« sagte die Gräfin sehr beunruhigt, indem sie die Nothwendigkeit einsah, wenigstens Zeit zur Ueberlegung zu gewinnen. »Tressilian, Ihr pflegtet großmüthig zu sein, – gewährt mir eine Bitte, und glaubt, wenn es Euer Wunsch ist, mich vom Elend zu erretten und mich vor Wahnsinn zu schützen, daß Ihr, wenn Ihr mir das geforderte Versprechen leistet, mehr für mich thun werdet, als Elisabeth mit all' ihrer Macht thun kann.«
»Fordert Alles von mir, wozu Ihr vernünftige Gründe habt,« sagte Tressilian, »aber fordert nicht von mir –«
»Beschränkt Eure Güte nicht, lieber Edmund,« rief die Gräfin, – »Ihr wolltet ja einst gern, daß ich Euch so nennen sollte – beschränkt Eure Güte nicht auf die Vernunft; denn meine Sache ist so widersinnig, daß der Wahnsinn die Rathschläge angeben muß, die mir allein frommen können.«
»Wenn Ihr so phantastisch redet,« sagte Tressilian, dessen Erstaunen wieder seinen Kummer und seine Entschlossenheit überwältigte, »so muß ich Euch in der That für unfähig halten, für Euch selber zu denken und zu handeln.«
»O nein,« rief sie, indem sie sich auf ein Knie vor ihm niederließ, »ich bin nicht wahnsinnig, – ich bin nur ein unaussprechlich unglückliches Wesen und vermöge der seltsamsten Verhältnisse durch den Arm dessen an einen Abgrund geschleppt, der mich von demselben fern halten will. – Ja, selbst durch Euch, Tressilian, – durch Euch, den ich ehrte, achtete, nur nicht liebte, – und doch auch liebte, Tressilian, – obgleich nicht so, wie Ihr es wünschtet.«
Es lag eine Kraft – eine Selbstbeherrschung – eine Hingebung in ihrer Stimme und in ihrem Wesen, indem sie sich ganz seiner Großmuth überließ, was ihn tief rührte. Er erhob sie vom Boden und bat sie in gebrochenen Tönen, sich zu beruhigen und zu trösten.
»Ich kann und will mich nicht beruhigen,« sagte sie, »bis Ihr mir meine Bitte gewährt! Ich will so offen reden, wie ich darf, – ich erwarte jetzt die Befehle eines Mannes, der ein Recht hat, sie zu geben, – das Dazwischentreten einer dritten Person – besonders, wenn Ihr es seid, Tressilian – wird mein gänzliches Verderben herbeiführen. Wartet nur noch vierundzwanzig Stunden, und vielleicht hat dann die arme Emma die Mittel zu zeigen, daß sie Eure uneigennützige Freundschaft zu schätzen weiß und zu belohnen vermag, – vielleicht ist sie dann glücklich, und hat die Mittel, Euch ebenfalls glücklich zu machen. – Es ist doch wohl der Mühe werth, eine so kurze Zeit zu warten.«
Tressilian schwieg, und erwog bei sich selber die Möglichkeit, daß ein gewaltsames Einschreiten von seiner Seite für Emma's Glück und Ruf eher gefährlich, als vortheilhaft sein könne. Auch bedachte er, daß ihr innerhalb der Mauern des Schlosses Kenilworth nichts zu Leide geschehen könne, während die Königin sich dort aufhalte und der Ort mit Kriegern und Dienern angefüllt sei; und daß er ihr vielleicht einen schlimmen Dienst leisten würde, wollte er sich ihretwegen an Elisabeth wenden. Er sprach seinen Entschluß indessen vorsichtig aus, da er zu wissen wünschte, ob Emma's Hoffnung, sich aus dieser schwierigen Lage zu ziehen, auf etwas Mächtigeres gerichtet sei, als auf die blinde Anhänglichkeit an Varney, den er für ihren Verführer hielt.
»Emma,« sagte er, während er sein schwermüthiges aber ausdrucksvolles Auge auf das ihrige richtete, »ich habe immer bemerkt, daß, wenn Andere Dich kindisch und eigensinnig nannten, unter jenem äußeren Scheine jugendlicher und eigensinniger Thorheit, tiefer Sinn und hohes Gefühl verborgen war. Darauf will ich mich verlassen, und in dem Zeitraume von vierundzwanzig Stunden Dein Schicksal Deinen eigenen Händen anvertrauen, ohne mich durch Wort oder That darein zu mischen.«
»Versprecht Ihr mir dies?« sagte die Gräfin. »Ist es möglich, daß Ihr noch jetzt so viel Vertrauen in mich setzen könnt? Versprecht Ihr es mir, so wahr Ihr ein Cavalier und Mann von Ehre seid, Euch weder durch Wort noch Handlung in meine Angelegenheit zu mischen, wenn sich auch Etwas ereignen sollte, was Euch dazu aufzufordern scheint? – Wollt Ihr mir soweit vertrauen?«
»Das will ich, bei meiner Ehre,« sagte Tressilian; »doch wenn dieser Zeitraum zu Ende ist –«
»Wenn dieser Zeitraum zu Ende ist,« sagte sie ihn unterbrechend, »soll es Euch frei stehen, nach Eurem eigenen Urtheile zu handeln.«
»Kann ich sonst weiter nichts für Euch thun, Emma?« sagte Tressilian.
»Nichts,« sagte sie, »als mich verlassen, – das heißt, wenn – ich erröthe, meine Hülflosigkeit zu bekennen, indem ich darum bitte – wenn Ihr mir für die nächsten vierundzwanzig Stunden dieses Zimmer überlassen könnt.«
»Dies ist sehr wunderbar,« sagte Tressilian; »welche Hoffnung, oder welchen Einfluß könnt Ihr in einem Schlosse haben, wo Ihr nicht einmal über ein Zimmer zu gebieten habt?«
»Denkt nicht darüber nach, sondern verlaßt mich,« sagte sie, und setzte hinzu, als er sich langsam und wider Willen entfernte: »Edler Edmund! vielleicht kommt die Zeit, wo Emma zeigen kann, daß sie Deine edle Anhänglichkeit verdiente.«