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Vierzehntes Kapitel.

Die zahlreichen Zuschauer und Müßiggänger, die sich in Ellangowan eingefunden, waren ihrem Vergnügen oder ihren Obliegenheiten – oder was sie so nannten – nachgegangen, ohne sich viel um die Leute auf Ellangowan zu kümmern, und nur wenige wußten etwas von der bedrängten Familie. Der Vater, abgeschieden, unglücklich und schwachsinnig, war seit vielen Jahren bei den Mitlebenden in Vergessenheit geraten und seine Tochter fern von der Welt. Als aber verlautete, daß dem unglücklichen Bertram, in dem Augenblick, da er die Wohnung seiner Väter habe verlassen sollen, das Herz gebrochen sei, wurde die Teilnahme plötzlich allgemein, und alles sprach mit Achtung von dem hohen Alter und dem allzeit redlichen Wandel dieses Geschlechts.

Mac Morlan erklärte ohne weiteres, daß er mit dem Verkaufe des Gutes und des übrigen Vermögens inne halten und die Tochter einstweilen im Besitz der Grundstücke des Verstorbenen lassen wolle, damit sie sich mit ihren Freunden besprechen und für die Beerdigung ihres Vaters Anstalten treffen könne.

Glossin hatte, angesichts der veränderten Sachlage, und da das allgemeine Mitgefühl gleichsam elementarisch hervorbrach, ein Paar Augenblicke lang schüchtern, dann aber dreist gemacht durch die Wahrnehmung, daß sich kein Unwille gegen ihn richte, gefordert, daß mit dem Verkaufe fortgefahren werde.

»Ich darf mich für ermächtigt halten,« sagte Mac Morlan, »den Verkauf auszusetzen und nehme die Folgen auf mich. Ich werde bekannt machen, wann mit dem Verkauf fortgefahren werden soll. Es liegt in aller Beteiligten Interesse, daß die Ländereien den höchsten Verkaufspreis erzielen, und dies läßt sich im gegenwärtigen Augenblicke gewiß nicht erwarten. Noch einmal, ich nehme die Verantwortlichkeit auf mich.« Glossin entfernte sich, heimlich und eilig, und wahrscheinlich zu seinem Glück, da Johnny eben einem zahlreichen Schwarm barfüßiger Jungen begreiflich machte, daß es hoch an der Zeit sei, den verhaßten Menschen hinauszuwerfen.

Einige Zimmer für Lucy und die Leiche ihres Vaters wurden schnell in stand gesetzt, Mannering glaubte nun, seine fernere Einmischung sei unnötig und könne vielleicht gar mißdeutet werden, zumal er bemerkte, daß ein paar Vettern und Basen, die ihren Anspruch auf adeligen Rang hauptsächlich auf die Verwandtschaft mit dem Hause Ellangowan gründeten, jetzt die Neigung verrieten, ihren Stammbäumen eine Aufmerksamkeit zu schenken, wozu sie das Mißgeschick ihrer Verwandten nie hatte bewegen können, Um die Ehre, das Leichenbegängnis des Lairds zu besorgen, stritten sich annähernd sieben angesehene, reiche Männer, von denen keiner dem Unglücklichen bei seinen Lebzeiten eine Zuflucht angeboten hatte. Der Oberst beschloß also, da seine Gegenwart entbehrlich war, eine kleine Tour zu unternehmen und erst nach vierzehn Tagen zum neuen Verkaufstermin zurückzukehren.

Vor seiner Abreise wünschte er, mit Sampson zu sprechen. Der arme Mann erschien, als er hörte, daß ein fremder Herr nach ihm gefragt habe, und seine hageren durch den Schmerz über den Verlust des alten Freundes starkvergrämten Züge verrieten einige Ueberraschung, als er Mannering jetzt ins Gesicht sah. Aber nach ein paar tiefen Verbeugungen blieb ei ruhig stehen und wartete geduldig darauf, was Mannering von ihm wolle.

»Sie ahnen wohl nicht, Herr Sampson,« sagte Mannering, »was Ihnen ein Fremder zu sagen haben könnte?«

»Wenn sich's nicht darum handelt, einen jungen Mann in nützlicher Gelehrsamkeit zu unterrichten ... Aber ich kann nicht – kann nicht – bin schon in Anspruch genommen.«

»Nein, Herr Sampson, so hoch versteigen sich meine Wünsche nicht. Ich habe keinen Sohn, und meine einzige Tochter möchten Sie wohl kaum für eine passende Schülerin ansehen.«

»Sicherlich nicht. Ich habe zwar auch Fräulein Lucy in allen nützlichen Kenntnissen unterrichtet ...«

»Schön, Herr Sampson – von Fräulein Lucy wollte ich eben sprechen. Sie erinnern sich meiner Wohl nicht mehr?«

Sampson, dessen Geist immer in anderen Regionen zu schweifen pflegte, erinnerte sich aber weder des Sterndeuters aus einer fernen Vergangenheit noch auch des Fremden, der seinen Gönner gegen Glossin in Schutz genommen ... seine Gedanken waren durch seines Freundes plötzlichen Tod in zu große Wirrnis geraten.

»Doch – darauf kommt's auch nicht an,« fuhr Mannering fort. »Ich bin ein alter Bekannter Ihres verstorbenen Freundes und im stande, wie auch bereit, seiner Tochter in ihrer jetzigen Lage beizustehen. Zudem habe ich Lust, dieses Gut zu kaufen und muß also wünschen, daß das Haus in guter Ordnung gehalten werde. Wollen Sie, bitte, diese kleine Summe zu den gewöhnlichen häuslichen Bedürfnissen verwenden?«

Mit diesen Worten legte er eine Goldbörse in Sampsons Hand ... »Ko–misch!« rief Sampson ganz erschrocken – und in diesem Worte machte sich seine Verwunderung in der Regel Luft, ... »aber wenn Euer Gnaden warten wollten ...«

»Unmöglich, lieber Herr Sampson, unmöglich!« sagte Mannering, sich losreißend.

»Ko–misch!« wiederholte Sampson und folgte ihm mit der Börse in der Hand bis zur Treppe ... »Aber dieses Geld –«

Mannering eilte so schnell wie möglich hinab. »Ko–misch!« rief Sampson zum drittenmal und stand schon an der Haustür. Mannering aber hatte sich bereits aufs Pferd geschwungen und hörte ihm nicht mehr. Sampson, der nie, weder für sich, noch für andere, den vierten Teil dieser Summe, die doch nur aus zwanzig Guineen bestand, besessen hatte, ging mit sich zu Rate, was er mit dem ihm anvertrauten Gelde anfangen sollte. Zum Glück fand er einen uneigennützigen Ratgeber in Mac Morlan, der ihm mit Auskünften, wie sich das Geld am zweckmäßigsten zu Lucys Nutzen, wozu der Geber es bestimmt hatte, verwenden lasse, an die Hand ging.

Viele adelige Familien in der Nachbarschaft kamen dem verwaisten Mädchen gastfreundlich und wohlwollend entgegen; Lucy aber fühlte einen natürlichen Widerwillen gegen alle Wohltat von fremder Seite und wollte vorderhand abwarten, wie sich ihres Vaters nächste Verwandte, ein Fräulein Margarete Bertram von Singleside, gegen sie verhielte.

Das Leichenbegängnis wurde dem Range gemäß, aber in aller Stille vollzogen, und die unglückliche Waise betrachtete sich jetzt nur als einstweilige Bewohnerin des Hauses, worin sie geboren und solange als Pflegerin des greisen Vaters gelebt hatte. Aus mehreren Unterredungen mit Mac Morlan hatte sie die Hoffnung geschöpft, daß sie nicht jäh aus diesem Zufluchtsorte gestoßen würde, aber das Schicksal hatte es anders beschlossen.

Es waren nur noch zwei Tage bis zu der Frist, die für den Verkauf der Güter ihres Vaters gelassen worden war, Mac Morlan wartete ungeduldig auf Mannerings Rückkehr oder wenigstens auf eine Vollmacht, für ihn als Käufer einzutreten. Vergebens, es erschien weder der Oberst noch ein Brief. Er bereitete, als der bestimmte Tag kam, alles in seiner Wohnung für den Empfang des Gastes. Vergebliche Hoffnung! »Hätte ich das vorausgesehen,« sprach er schmerzlich, »so wäre ich durch ganz Schottland gereist, um jemand zu finden, der gegen Glossin hätte bieten können,« Aber zu spät; es schlug die Stunde, und die Kauflustigen versammelten sich in Kippletringan, wo der Verkauf vor sich gehen sollte. Mac Morlan suchte die vorläufigen Verhandlungen, so weit es anging, in die Länge zu ziehen, und las die Kaufbedingungen so langsam, als ob er sein Todesurteil verlesen hätte. Er sah sich um, so oft die Tür aufging, aber seine Hoffnungen sanken immer tiefer. Er horchte auf jedes Geräusch im Dorfe, aber alles vergebens; weder der Hufschlag eines Pferdes noch das Rasseln eines Wagens drangen an sein Ohr. Der Gedanke, daß Mannering einem andern Vollmacht gegeben haben könnte, regte sich in seinem Herzen; aber auch diese Hoffnung verschwand. Nach einer feierlichen Pause bot Glossin den Schätzungspreis für die Herrschaft Ellangowan, und als kein Mitbewerber erschien und nach Ablauf der Sanduhr die gewöhnliche Wartezeit verflossen war, mußte Mac Morlan erklären, daß der Verkauf gesetzmäßig geschlossen sei. Der wackere Beamte schlug es aus, dem glänzenden Gastmahl beizuwohnen, das Herr Glossin für die Anwesenden veranstaltete, und kehrte heim mit einer bittern Empfindung im Herzen über den Flattersinn und die Launen der indischen Nabobs, deren Entschlüsse selten über zehn Tage hinaus Bestand hätten.

Um sechs Uhr abends aber kam ein Eilbote sternhagel betrunken, wie die Hausmagd meldete, mit einem großen Briefe, den der Oberst vor vier Tagen aus seiner Stadt, ungefähr vierzig Wegstunden von Kippletringan entfernt, abgeschickt hatte, und mit einer ausgedehnten Vollmacht für Mac Morlan, die Herrschaft auf Ellangowan zu kaufen, Mannering teilte dabei mit, daß eine wichtige häusliche Angelegenheit ihn nach Westmoreland zu Arthur Mervyn in Mervyn-Hall abgerufen habe.

Mac Morlan warf unmutig den Brief auf die Seite, unterließ zwar nicht, den lässigen Boten, durch den seine Hoffnungen so empfindlich vereitelt worden, seinen Zorn fühlen zu lassen, konnte aber an der vollzogenen Tatsache selbst nichts mehr ändern.


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