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»Das war nur ein schwach geblasener Ruf,« sagte der Hagenbacher, indem er auf die Wälle stieg, von wo aus er wahrnehmen konnte, was außerhalb des Tores vorging. »Wer nahet sich, Kilian?« – »Zwei Männer mit einem Maultiere, so es Euch beliebt, edler Ritter; und wie ich meine, sind es Handelsleute. Der Aeltere ist wohlgebaut, schwarzbräunlich und mag fünfundfünfzig Jahre zählen. Der Jüngere zählt wohl zweiundzwanzig, ist länger als der andere und ein hübscher junger Geselle mit rundem Kinn und lichtbraunem Backenbart.« – »Laßt sie herein,« sprach der Vogt, indem er sich wendete, um zur Straße hinabzusteigen, »und bringt sie in die Folterkammer des Zollhauses.«
Indem er so sprach, begab er sich selbst an den eben genannten Ort – ein Gemach innerhalb des großen Turmes, der das Osttor schützte; dort befanden sich die Streckleiter und andere Torturwerkzeuge, die der grausame, raubgierige Vogt bei solchen Gefangenen anzuwenden pflegte, von denen er entweder Beute oder geheime Kunde erpressen wollte. Er trat in das Gemach, das matt erhellt war und ein hohes gotisches Dach hatte, von dem Stricke und Schlingen herabhingen.
Ein schwacher Lichtstrahl, der durch eine der zahllosen, engen Spalten oder Schießlöcher in den Mauern drang, fiel gerade auf die Gestalt und das Angesicht eines schwarzbraunen Mannes, der in einem dunklen Winkel dieses unheilvollen Gemaches saß. Seine Gesichtszüge waren nicht nur regelmäßig, sondern sogar hübsch, trugen jedoch ein besonders ernstes, finsteres Gepräge, Er trug einen scharlachroten Mantel; sein Haupt war von zottigen, schwarzen Locken umgeben, die zum Teil schon ins Graue spielten. Er war emsig beschäftigt, ein breites, doppelgriffiges Schwert zu wetzen, das von besonderer Form und bedeutend kürzer war als die ähnliche Gattung von Waffen, deren die Schweizer sich bedienten. Er war so vertieft in diese Arbeit, daß er erst auffuhr, als die schwere Türe in ihren Angeln kreischte. Das Schwert entglitt seiner Faust und fiel mit lange nachhaltendem Geklirr auf die Steinfliesen.
»Ha, Scharfrichter,« sagte der Ritter, als er in die Folterkammer trat, »bist Du bereit, Dein Amt zu vollziehen?« – »Uebel würde es Eurem Knechte bekommen, edler Herr, so Ihr ihn müßig fändet?« antwortete der Mann in rauhem, dumpfem Tone. – »Die Gefangenen sind zur Hand, Franziskus,« versetzte der Vogt, »doch es sind Schufte, für die ein tüchtiger Strick genügt, Dein Schwert trinkt nur edles Blut.« – »Desto schlimmer für den Franziskus Steinherz,« sprach der Scharlachmantel; »ich hoffte, daß Ihr, Herr Ritter, der Ihr stets ein gütiger Gebieter wäret, mich heute adeln würdet.« – »Adeln?« versetzte der Vogt. – »Du bist toll, – ich Dich adeln?«
»Und warum nicht, Herr Archibald von Hagenbach?« fragte der Blutmensch. »Mich dünkt, der Name Franziskus Steinherz vom Blutacker paßt gar wohl zum Adelstande, da er ehrlich und rechtlich so gut wie ein anderer erlangt wurde. Ei, starrt mich doch nicht so an! So einer meines Gewerkes sein grimmig Amt an neun Männern edlen Stammes mit einundderselben Waffe vollführt und jeden der neun mit einem einzigen Hiebe niederstreckte, hat er da nicht ein Recht, frei zu sein von Steuern und Gefällen und eine Adelsurkunde zu erhalten?« – »So spricht das Gesetz wohl,« sagte der Vogt, »doch ist's nicht Ernst gemeint, auch hat noch nie jemand dieses Recht gefordert.« – »Um so rühmlicher der,« sagte der Henker, »der da zuerst die Ehren begehrt, die einem scharfen Schwert und einem richtigen Hiebe gebühren! Ich, Franziskus Steinherz, will der erste Edle meines Gewerbes sein, so ich noch einen Ritter des Reiches werde hingefördert haben.« – »Du bist stets in meinen Diensten gewesen? Bist Du's nicht?« fragte der Hagenbacher.
»Unter welch anderm Herrn,« versetzte der Scharfrichter, »hätte ich so fortwährender Uebung mich erfreuen können? Ich habe Euern Spruch an verdammten Sündern erfüllt, seit ich eine Geißel schwingen, die Folterbank regieren, und diese treue Waffe führen konnte, und wer mag sagen, ich tat je einen Fehlhieb oder hätte einen Nachhieb tun müssen?« »Du bist ein Gesell von besonderer Geschicklichkeit, ich leugne es nicht,« sagte der Hagenbacher. »Allein es kann nicht sein; fürwahr es kann nicht sein, daß ich soviel edles Blut hätte vergießen lassen.« – »Ich will Euch die Hingelieferten nach Stand und Namen aufzählen, edler Ritter,« fügte Franziskus, indem er eine Pergamentrolle hervorzog und unter nötigen Zusätzen herlas: »da war der Graf Willibald von Elverhoch – war mein Versuchsstück, ein süßer Junge, der wohl wie ein Christ starb.« – »Ich erinnere mich, er liebelte um meine Braut herum,« sagte Archibald. – »Herr Meinhard von der Stockenburg –« – »Er trieb mir mein Vieh weg,« warf der Ritter ein. – »Herr Ludwig von Riesenfeld –« fuhr der Rotmantel fort. – »Er wollte mein Weib verführen,« sprach der ehrenwerte Archibald. – »Die drei Jungherren von Lämmerburg, deren Vater Ihr an einunddemselben Tage kinderlos machtet –«
»Weil er mich länderlos machte,« rief der Vogt, »damit war die Rechnung ausgeglichen. Du brauchst nicht weiter zu lesen,« fuhr er fort, »ich erkenne Dein Register an, obwohl es mit Buchstaben geschrieben ward, die allzusehr ins Rote spielen. Ich hätte diese drei Jungherren nur für eine Hinrichtung angerechnet.« – »Da hättet Ihr mir um so größeres Unrecht getan,« antwortete Franziskus, »denn sie erforderten drei tüchtige Hiebe dieses guten Schwertes.«
»Sei es so, und Gott mit ihren armen Seelen!« sprach der Hagenbacher. »Dennoch muß Dein Ehrgeiz sich noch ein Weilchen schlafen legen, Scharfrichter; denn das Pack, das heute hierher kam, ist nur gut für Verließ und Halsstrick, vielleicht nur für Reckleiter oder Steigriemen; es ist keine Ehre bei ihnen zu gewinnen.« – Franziskus nahm sein der Scheide enthobenes Schwert vom Boden auf, reinigte es ehrfurchtsvoll vom Staube und zog sich zurück in einen Winkel des Gemaches, wo er sich, gelehnt auf den Griff der verderblichen Waffe, hinstellte.
Fast in demselben Augenblick trat Kilian an der Spitze von fünf oder sechs Landsknechten ein, welche den älteren und jüngeren Philippson, deren Arme mit Stricken gebunden waren, zwischen sich führten. »Naht Euch meinem Stuhle,« sprach der Vogt und nahm hochfahrend an einem Tische Platz, auf welchem sich Schreibgerät befand. »Wer sind diese Männer, Kilian, und weshalb sind sie gebunden?«
»Gefall es Euch, edler Ritter, mich anzuhören,« sagte Kilian mit einer Ehrfurcht in den Gebärden, die durchaus von dem an Vertraulichkeit grenzenden Tone abwich, in welchem er vorhin mit seinem Gebieter verkehrt hatte – »wie hielten es für geraten, daß diese beiden Fremdlinge nicht bewaffnet vor Euch erscheinen, und als wir am Tore von ihnen verlangten, uns ihre Wehr zu überliefern, wie es bei Grenzbesatzungen üblich ist, ließ dieser junge Gesell sich einfallen, Widerstand leisten zu wollen. Doch gestehe ich's zu, daß er auf Befehl seines Vaters sein Schwert übergab.« – »Das ist Lüge!« rief der jüngere Philippson; jedoch sein Vater gab ihm einen Wink, still zu sein. – »Edler Ritter,« sagte der ältere Philippson, »wir sind Fremdlinge und unbekannt mit den Regeln dieser Wartburg. Ihr werdet uns entschuldigen, da wir uns hart angegriffen sahen, ohne daß wir gewußt hätten, von wem solches geschah. Mein Sohn, der jung und unbedachtsam ist, zog sein Schwert, doch hielt er inne auf meinen Befehl, ohne einen Streich damit geführt zu haben. Was mich selbst anbelangt, so bin ich ein Handelsmann und gewohnt, mich den Zöllen des Landes zu unterwerfen, in welchem ich meinem Gewerbe nachgehe. Ich befinde mich in dem Besitztum des Herzogs von Burgund und weiß, daß dessen Verordnungen und Abgaben höchst billig und gerecht sein müssen. Der Herzog ist ein getreuer Bundesgenosse Englands, drum fürchte ich nichts unter seinem Banner.«
»Hm! hm!« versetzte der Hagenbacher, den die Gelassenheit des Engländers ein wenig aus der Fassung brachte und dem vielleicht einfiel, daß der Herzog Karl von Burgund stets für einen gerechten, wenngleich strengen Fürsten gelten wollte. »Schöne Worte sind gut, machen aber selten schlimme Handlungen gut. Ihr habt das Schwert zum Aufruhr gezogen und Euch den Kriegsknechten des Herzogs widersetzt, als diese den Befehlen gehorchten, wie es ihnen als Wachhabenden geziemte.« – »Fürwahr, Herr,« antwortete Philippson, »das ist eine widernatürliche Auslegung einer ganz natürlichen Handlung. Doch mit einem Worte: so Ihr die Absicht hegt, streng sein zu wollen, so ist der Versuch, das Schwert in einer Grenzfeste zu ziehen, doch nur durch eine Geldstrafe zu büßen, und diese müssen wir demnach zahlen, wenn Ihr es verlangt.« – »Ein dummes Schaf, das freiwillig die Wolle hergibt,« flüsterte Kilian dem Scharfrichter zu. – »Die Wolle wird schwerlich als Lösegeld für seine Gurgel hinreichend sein, Herr Leibknapp,« antwortete Franziskus Steinherz, »denn seht nur, mir träumte in verwichener Nacht, daß unser Herr mich in den Adelstand erhob, und dieser Mann wird noch heute die Scheide meines guten Schwertes fühlen.« – »Du Narr,« sprach der Knappe. »Dies ist kein Edler, sondern ein schlichter englischer Bürgersmann.« – »Du täuschest Dich,« sagte der Scharfrichter, »und hast noch nimmer einen Mann gesehen, wenn es ans Sterben geht.« – »Hab ich nicht fünf Schlachtfelder gesehen?« versetzte Kilian. – »Dort erprobt sich nicht der Mut,« sprach der Scharlachmantel. »Alle Welt ficht, wenn's Mann gegen Mann geht. Der aber ist brav und edel, der einem Schafott und dem Henker, dessen gutes Schwert ihm die Seelenstärke hinwegmähen soll, so in das Angesicht blickt, als schaute er ein gleichgültig Ding; und solch ein Mann ist dieser dort. Gewiß ahnt er, was ihm bevorsteht, und weil er sich dabei so gelassen zeigt, so gibt er sich als Edelmann von Geblüt kund, oder ich selber will nie zum Adelstand erhoben sein.« – »Unser Herr scheint sich mit ihm verständigt zu haben, wie mich dünkt,« versetzte Kilian, »er blickt so lächelnd auf ihn.« – »Ist das der Fall, so schenkt mir nimmermehr Glauben,« sagte der Scharlachmantel, »es ist eine Glut in Herrn Archibalds Auge, die so gewiß auf Blut deutet, wie der Hundsstern Pestilenz weissagt.«
Während die Helfershelfer Archibalds dergestalt geheime Zwiesprache fühlten, hatte ihr Gebieter die Gefangenen in eine Reihe verwickelter Fragen verflochten, und zwar in Betreff ihrer Geschäfte im Schweizerlande, ihrer Verbindung mit dem Landammann und der Ursache ihrer Reise nach Burgund, auf welches der Vater Philippson unumwundene und deutliche Antworten gab, ausgenommen auf die letzte Frage. – Er ginge, sagte er, nach Burgund wegen eines Handels – seine Waren ständen zur Verfügung des Vogts, der sie alle oder einen Teil derselben anhalten möchte, falls er solches bei seinem Gebieter verantworten könnte. Jedoch sein Geschäft mit dem Herzog wäre von geheimer Art, indem es gewisse besondere Handelsgegenstände beträfe, welche sowohl andere Personen als ihn selbst angingen. Dem Herzog allein, erklärte er, könnte er die Sache mitteilen, und er stellte dem Vogte ausdrücklich vor, daß, so er seiner Person oder der seines Sohnes irgend ein Uebel täte, des Herzogs strenges Mißfallen die unausbleibliche Folge davon sein würde.
Der Hagenbacher geriet durch den festen Ton seines Gefangenen in Verlegenheit und sprach mehr als einmal dem Humpen zu, der in besonders schwierigen Fällen sein nimmerfehlendes Orakel zu sein pflegte. Bereitwillig hatte Philippson dem Vogt ein Verzeichnis oder eine Faktura seiner Waren überliefert, welches so einladender Natur war, daß Herr Archibald dasselbe gleichsam verschlang. Nachdem er eine Zeitlang in tiefem Nachsinnen zugebracht hatte, erhob er das Haupt und sprach: »Ihr müßt wissen, Herr Handelsmann, es ist des Herzogs Wille, daß keine Schweizer Handelsware durch seine Besitzungen gelangen soll. Weil Ihr aber nach Eurer eigenen Aussage eine Zeitlang in der Schweiz verweiltet, auch eine Schar Männer zu Begleitern hattet, die sich eine helvetische Gesandtschaft nennen, bin ich vollauf berechtigt, zu glauben, daß diese wertvollen Gegenstände eher das Eigentum der Schweizer, als das eines einzelnen, so armselig wie Ihr einherschreitenden Mannes sind. Wenn ich Euch eine Geldstrafe als Buße auferlege, so sind dreihundert Goldstücke keine übertriebene Sühne für solche Ränke. Zahlt diese, und Ihr könnt mit Euren Waren weiter wandern, vorausgesetzt, daß Ihr sie nicht nach Burgund hin bringt.« – »Aber eben nach Burgund und an des Herzogs Hoflager geht ausdrücklich mein Weg,« sprach der Engländer. »Gelange ich nicht dahin, so ist mein Tagewerk zugrunde gerichtet und das Mißfallen des Herzogs denjenigen gewiß, die solches verursachten. Dazu gebe ich Euch zu bedenken, edler Herr, daß Euer gnädiger Fürst und Herzog bereits um meine Reise weiß und streng nachforschen wird, wo und durch wen ich aufgehalten wurde.«
Der Vogt schwieg abermals, indem er nachsann, wie er am besten seine Raubgier befriedigen könnte, ohne seine eigene Sicherheit zu gefährden. Nach etlichen Minuten des Schweigens redete er seinen Gefangenen wieder an: »Du redest sehr bestimmt, mein guter Freund, allein meine Befehle, Waren, die aus der Schweiz kommen, anzuhalten, sind nicht minder deutlich. Wie nun, wenn ich Dein Maultier mit seinem Gepäck konfisziere?« – »Lasset mir nur mein bares Geld,« antwortete der Engländer, »ohne das ich sonst nicht wohl an das Hoflager des Herzogs gelangen kann, und ich will auf meine Waren nicht mehr hinblicken, als der Hirsch nach den Geweihhörnern schaut, die er im verwichenen Jahre abwarf.«
Der Vogt zu La Ferette blickte abermals voller Zweifel auf und schüttelte den Kopf. – »Männern, die sich in einer Lage befinden wie Du, ist nicht zu trauen. Die Waren, die für des Herzogs eigene Hand bestimmt sind – worin bestehen sie?« – »Sie sind versiegelt,« sprach der Engländer. – »Trägst Du sie bei Dir?« fragte der Vogt, »Bedenke wohl, was Du antwortest – blick umher und sieh die Marterwerkzeuge, die einen Stummen zum Sprechen bringen könnten, und erwäge, daß ich Macht habe, sie anwenden zu lassen!« –»Und ich habe den Mut, sie zu ertragen,« antwortete Philippson mit derselben unerschütterlichen Kälte, die er während der ganzen Verhandlung bewahrt hatte.
»Auch bedenke,« sprach der Hagenbacher, »daß ich Deine Person ebenso genau wie Deine Felleisen und Beutel durchsuchen lassen kann.« – »Ich vergesse nicht, daß ich gänzlich in Deiner Gewalt bin, und damit ich Dir keinen Vorwand lasse, Zwangsmittel gegen einen friedfertigen Reisenden anzuwenden, so will ich Dir bekennen,« sagte Philippson, »daß ich das Päckchen für den Herzog im Busen unter meinem Wams trage,« – »Hol es hervor!« herrschte der Vogt ihn an. – »Das erlaubt mir weder die Ehre noch die Fessel. Durch beides sind mir die Hände gebunden,« entgegnete Philippson.
»Zieh es aus dem Wamse hervor, Kilian!« sprach Archibald, »laß uns den Kram sehen, von dem er schwatzt.« – »Könnte Widerstand hier frommen,« entgegnete der kecke Handelsmann, »Ihr solltet mir eher das Herz aus der Brust reißen. Doch bitte ich alle, die anwesend sind, wahrzunehmen, daß die Siegel alle ganz und unverletzt sind, bis zu dem Augenblicke, wo man mir das Päckchen gewaltsam abnimmt.«
Indem er dies sagte, blickte er umher auf die Landsknechte, an die Hagenbach gar nicht mehr zu denken schien. – »Wie, Hund!« rief Herr Archibald, indem er seinem Grimm freien Lauf ließ, »willst Du Meuterei unter meinen Reisigen erregen? Kilian, laß die Knechte draußen harren.« –Indem er dies sagte, steckte er flugs unter sein eigenes Gewand das kleine, jedoch eigentümlich zusammengebundene Päckchen, das Kilian dem Engländer unter dem Wamse weggenommen hatte. Die Reisigen zogen ab, jedoch zögernd, indem sie rückwärts schauten, gleich Kindern, die man von einem Schauspiele entfernt, ehe es noch zu Ende ist.
»So, Bursch!« begann jetzt der Hagenbacher wieder. »Nun sind wir unter uns. Willst Du nun ebenen Bodens mit mir gehen und gerade heraus sagen, was in diesem Päckchen ist, und von wannen es kommt?« – »Könnte Eure gesamte Turmwache in diesem Gemache versammelt werden, ich vermöchte doch nur zu antworten, wie vorhin. Den Inhalt kenne ich nicht – und die Person, von der ich gesendet ward, werde ich nimmer nennen.« – »So wird vielleicht Euer Sohn gefälliger sein,« sagte der Vogt. – »Er kann Euch nicht sagen, was er selbst nicht weiß,« sagte der Handelsmann.
»Vielleicht verleiht die Streckleiter Euch beiden Sprache, und wir wollen sie zunächst an dem jungen Burschen versuchen, Kilian. Wir haben Männer gesehen, die ihre eigenen alten Sehnen mit Standhaftigkeit dem Marterwerkzeuge preisgegeben hätten, aber doch zusammenschauderten, als sie die ausgerenkten Gelenke ihrer Kinder erblickten,« – »Ihr mögt den Versuch machen,« sagte Arthur, »und der Himmel wird mir Kraft zur Ausdauer geben.« – »Und mir Mut zum Anschauen!« sprach der Vater.
Währenddessen kehrte und wendete der Vogt das Päckchen in der Hand herum und erforschte neugierig jede Falte desselben, doch hinderte ihn das Siegel daran, die Beschaffenheit des Schatzes zu erkennen, der zuverlässig darin enthalten war. Endlich rief er die Reisigen wieder herein, übergab ihnen die beiden Gefangenen und befahl, sie getrennt von einander zu halten und besonders auf den Vater ein wachsames Auge zu haben.
»Ich nehme Euch alle hier zu Zeugen,« rief der ältere Philippson, indem er die drohenden Gebärden des Hagenbachers verachtete, »daß der Vogt mir ein Päckchen genommen hat, das an seinen allergnädigsten Herrn und Fürsten, den Herzog von Burgund, gerichtet ist.« – Der Vogt von La Ferette schäumte vor Wut. – »Und sollt ich's nicht zu mir nehmen?« rief er mit einer vor Grimm tonlosen Stimme. »Kann nicht irgend eine höllische Bündlerei gegen das Leben unseres allergnädigsten Herrn mittels Giftes und dergleichen in diesem verdächtigen Päckchen verborgen stecken, dessen Ueberbringer höchst verdächtig ist? Und sollen wir, die wir, wie ich wohl sagen darf, den Eingang zu den Staaten des Herzogs hüten, etwas hineinlassen, das imstande sein könnte, Europa des Stolzes seiner Ritterschaft, Burgund seines Fürsten und Flandern seines Vater zu berauben? – Nein, hinweg mit diesen Uebeltätern, Ihr Knechte! hinab mit ihnen in die tiefsten Verließe!«
So raste Herr Archibald Hagenbach mit erhobener Stimme und flammendem Angesicht, indem er sich der blinden Leidenschaft des Zornes hingab, bis die Schritte der Kriegsknechte und das Geklirr ihrer Waffen nicht mehr hörbar waren. Als er nun allein war mit Kilian und dem Rotmantel, der fortwährend im Hintergrunde stand, ward er bleicher, als es ihm sonst zu geschehen pflegte, seine Stirn zog sich in angstvolle Furchen, und mit leiser Stimme wendete er sich an seinen Knappen. – »Kilian, wir stehen auf schlüpfrigem Brette, und neben uns brauset ein Sturm. Was ist zu tun?«
»Ei, vorwärts, mit entschlossenem, jedoch klugem Schritte,« antwortete der listige Kilian. »Es ist widerwärtig, daß alle diese Burschen das Päcklein gesehen haben und von dem stahlnervigen Hausierer zu Zeugen aufgerufen worden sind. Wie die Dinge stehen, wird es in jedem Fall heißen, Ihr hättet die Siegel aufgebrochen; denn wenn Ihr das Ding auch unversehrt, wie es von Anbeginn war, zurückgebt, so wird man doch argwöhnen, Ihr hättet die Siegel schlau wieder darauf getan. Laßt uns also sehen, was das Päcklein enthält, bevor wir beschließen, was mit demselben anzufangen sei. Die Sachen darin müssen von seltsamem Werte sein, da der schurkische Handelsmann alle anderen Waren hingeben wollte, nur um dieses kostbare Päcklein zu behalten.« – Der Hagenbacher sagte nichts weiter, sondern zerschnitt die Fäden des Päckchens, das er die ganze Zeit über in der Hand gehalten hatte, und indem er die Umwickelung abnahm, kam ein kleines Kästchen aus Sandelholz zum Vorschein. – »Der Inhalt,« sprach er, »kann kaum viel mehr wert sein, da er in so kleinem Behältnisse ruht.« – Indem er dies sagte, drückte er an eine Feder, und das aufspringende Kästchen zeigte einen Halsschmuck von Diamanten, die sich durch Glanz und Größe auszeichneten und, wie es schien, von außerordentlichem Werte waren. – Die Augen des geizigen Vogts und seines nicht minder raubsüchtigen Knechtes wurden von dem ungewöhnlichen Glanze so geblendet, daß beide eine Zeitlang nichts als Freude und Ueberraschung ausdrücken konnten.
»Potztausend,« sagte Kilian, »der starrköpfige alte Gesell hatte guten Grund zu seiner Keckheit. Meine eigenen Gelenke hätten etliche Angriffe abgehalten, bevor ich solches Gefunkel, wie dies da, herausgegeben haben würde. – Und jetzt, Herr Archibald, wie gedenkt Ihr, diese Beute zwischen dem Herzog und dessen Vogt zu teilen?« – »Traun, wir wollen annehmen, Kilian, die Besatzung sei erstürmt worden, und in einem Sturme nimmt, wie Du weißt, der erste Finder alles – versteht sich mit geziemender Rücksicht auf seine Begleiter.«
»Deren ich einer bin, zum Exempel,« rief eine Stimme aus dem fernen Winkel des Gemaches. – »Still, wir werden behorcht!« sprach der Vogt auffahrend, indem er die Hand an den Dolch legte. – »Nur von einem treuen Begleiter,« sagte der Scharfrichter, indem er langsam hervorschlich. – »Schurke, was belauerst Du mich hier?« sprach Archibald von Hagenbach.
»Beunruhigt Euch darob nicht, Herr Ritter,« sagte Kilian. »Der ehrliche Steinherz hat keine Zunge zum Reden, kein Ohr zum Hören, als nur zu Eurem Gefallen. In der Tat müssen wir ihn zu Rate ziehen, denn jene beiden Männer müssen bald aus der Welt geschafft werden.«
»Freilich,« sprach der Ritter; »tote Leute haben weder Zähne noch Zunge, sie beißen nicht und erzählen keine Geschichten. Du wirst die beiden abtun, Scharfrichter.« – »Ich will's, Herr, unter der Bedingung, daß, wenn sie im Verließ abgetan werden müssen, die Hinrichtung mir angerechnet werde, als hätte ich in echtem und gerechtem Amte den Streich an hellem Tage mit dieser meiner guten Klinge geführt.«
Hagenbach starrte den Rotmantel an, als verstände er nicht, was dieser meinte; worauf Kilian erklärte, daß der Scharfrichter infolge des freimütigen, furchtlosen Benehmens, welches der ältere Gefangene zeigte, des festen Glaubens lebe, derselbe sei ein Mann von edler Geburt. – »Er mag recht haben!« sprach Archibald, »denn hier findet sich ein Streiflein Pergament, worauf der Ueberbringer dieses Halsgeschmeides dem Herzoge empfohlen, auch dieser gebeten wird, den Boten in alledem Glauben zu schenken, was derselbe ihm im Namen derer sagen wird, die ihn sendeten.« – »Von wem ist das Brieflein unterzeichnet?« sprach Kilian. –»Es steht kein Name auf dem Blatte, man muß vermuten, daß der Herzog denselben aus den Steinen oder vielleicht aus der Handschrift erkennt.« – »An keinem von beiden wird er sobald Gelegenheit haben, seinen Scharfsinn zu üben,« sprach Kilian. – »Doch wolltet Ihr nicht lieber die Hinrichtung dieser beiden Männer so lange verschieben, bis dieselben erst über die Schweizer Gefangenen ausgesagt haben, die dann sofort in unserer Gewalt sein werden?« – »Es geschehe, wie Du sagst,« antwortete Hagenbach, indem er mit der Hand abwehrte, als legte er irgend ein unangenehmes Ding beiseite. »Doch laß mich nichts eher wieder davon hören, als bis alles abgetan ist.«
Die finsteren Satelliten gelobten Gehorsam, und der Blutrat ging auseinander. Mit einer, groben Verbrechern nicht ungewöhnlichen Seelenschwäche schauderte Hagenbach vor dem Gedanken an seine eigene Niederträchtigkeit und Grausamkeit zurück und war bemüht, das Gefühl der Schande von sich zu bannen, indem er die unmittelbare Ausführung seiner Untat auf seine ihm untergebenen Helfershelfer wälzte.