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Gar schön ist die Gestalt, o Herr,
Die's trägt, doch glaubet mir, – es ist ein Geist.
Der Sturm.
Nachdem der Berner seine seltsame Erzählung beendigt hatte, entstand eine kurze Stille. Arthur Philipson's Aufmerksamkeit war nach und nach immer stärker durch eine Geschichte erregt worden, die zu sehr mit den Vorstellungen des Zeitalters übereinkam, um mit der schnellfertigen Ungläubigkeit aufgenommen zu werden, der sie in späteren und aufgeklärteren Zeiten begegnet sein würde.
Der Eindruck wurde noch vermehrt durch die Art, auf welche sie von dem Erzähler vorgetragen ward. Diesen hatte der Engländer bisher blos als einen rohen Jäger oder Krieger angesehen; jetzt mußte er zugeben, daß derselbe mehr Kenntniß von der allgemeinen Lebensart der Welt besaß, als er ihm früher zugetraut. Der Schweizer stieg in seiner Meinung zu einem Mann von Talent, ohne jedoch in seiner Zuneigung den geringsten Fortschritt zu machen. »Der Eisenfresser,« sagte er bei sich selbst, »hat Hirn so gut als Fleisch und Knochen, und eignet sich besser zum Befehl über Andere, als ich früher gedacht hätte.« Dann wandte er sich zu seinem Begleiter und dankte ihm für die Erzählung, welche den Weg auf so anziehende Weise verkürzt habe.
»Und aus dieser sonderbaren Ehe,« fuhr er fort, »leitet Anna von Geierstein ihren Ursprung her?«
»Ihre Mutter,« entgegnete der Schweizer, »war Sibilla von Arnheim, das Kind, bei dessen Taufe die Mutter starb, verschwand – oder wie Ihr es nennen wollt. Die Baronie Arnheim, ein Mannslehen, fiel an den Kaiser zurück. Das Schloß ist seit dem Tode des letzten Herrn nie bewohnt gewesen und, wie ich gehört, einigermaßen in Verfall gerathen. Die Beschäftigungen seiner früheren und besonders das traurige Ende seines letzten Besitzers haben bewirkt, daß Niemand seinen Wohnort darin nehmen will.«
»Zeigte sich etwas Uebernatürliches,« sagte der Engländer, »an der jungen Baronesse, welche den Bruder des Landammanns heirathete?«
»So viel ich gehört habe,« versetzte Rudolph, »gab es sonderbare Geschichten. Man sagte, die Ammen haben in der Stille der Nacht Hermione, die letzte Baronesse von Arnheim, weinend neben der Wiege des Kindes stehen gesehen, und andere Sachen der Art. Aber die Nachrichten, nach denen ich hier rede, sind weniger genau, als die, aus welchen ich meine frühere Erzählung geschöpft.«
»Und da einer an sich nicht wahrscheinlichen Geschichte die Glaubwürdigkeit zugestanden oder versagt werden muß nach den Beweisen, die für sie beigebracht werden, darf ich Euch bitten,« sagte Arthur, »mir zu sagen, welches die Quelle ist, auf die Ihr so viel Vertrauen setzt?«
»Gern,« antwortete der Schweizer. »Wisset denn, daß Theodor Donnerhügel, der Lieblingspage des letzten Barons von Arnheim, meines Vaters Bruder war. Nach seines Herrn Tode zog er sich in seine Geburtsstadt Bern zurück und wandte seine meiste Zeit dazu an, mich in den Waffen und kriegerischen Uebungen sowohl nach deutscher, als nach Schweizerart zu unterrichten, denn er war in all' dem Meister. Er sah mit eigenen Augen und hörte mit eigenen Ohren einen großen Theil der traurigen und geheimnißvollen Ereignisse, welche ich mitgetheilt habe. Solltet Ihr einmal nach Bern kommen, so könnt Ihr den guten alten Mann besuchen.«
»Ihr meint also,« sagte Arthur, »daß die Erscheinung, welche ich diese Nacht gesehen, mit der geheimnißvollen Heirath von Anna's Großvater in Verbindung steht?«
»Ihr müßt,« erwiderte Rudolph, »nicht denken, daß ich über eine so ungewöhnliche Sache eine bestimmte Erklärung abgeben kann; ich vermag blos zu sagen, daß, wenn ich nicht eine Ungerechtigkeit gegen Euch begehen und Euer Zeugniß in Bezug auf die Erscheinung von diesem Abend in Zweifel ziehen will, daß ich dann keinen Ausweg weiß, um sie zu erklären, als wenn ich daran erinnere, daß man meint, ein Theil des Blutes der jungen Dame sei nicht von Adam herzuleiten, sondern mehr oder weniger von einem der Elementargeister, von denen man in alten wie in neuen Zeiten geredet hat. Ich kann mich aber irren. Wir wollen sehen, wie sie sich nächsten Morgen benimmt, und ob sie blaß und ermüdet aussieht, wie nach einer durchwachten Nacht. Ist dies nicht der Fall, so haben wir Grund zu der Annahme, daß Euch entweder Eure Augen auf seltsame Weise getäuscht haben, oder daß Ihr eine gespenstische Erscheinung gehabt habt, die nicht von dieser Welt ist.«
Hierauf versuchte der junge Engländer keine Erwiderung, es war auch keine Zeit mehr für eine solche; denn sie wurden unmittelbar darnach von der Wache an der Zugbrücke angerufen.
Die Frage: »Wer da?« wurde zweimal befriedigend beantwortet, ehe Siegmund der Runde verstatten wollte, über die Brücke zu gehen.«
»Esel und Maulthier, der du bist,« sagte Rudolph, »warum diese Zögerung?«
»Selbst Esel und Maulthier, Hauptmann!« gab der Schweizer zur Antwort. »Ich bin heute Nacht schon einmal auf meinem Posten von einem Gespenst überrascht worden und habe über diesen Gegenstand so viel Erfahrung erworben, daß man mich nicht leicht noch einmal fängt.«
»Was für ein Gespenst, du Narr,« sagte Donnerhügel, »würde einfältig genug sein, um seine Streiche auf Kosten eines so unbedeutenden Geschöpfes, wie du, zu spielen?«
»Du bist so wunderlich wie mein Vater, Hauptmann,« entgegnete Siegmund, »der schreit auch bei jedem Wort, das ich sage, Narr und Dummkopf; und doch habe ich Lippen, Zähne und eine Zunge zum Reden, gerade wie andere Leute.«
»Wir wollen darüber nicht streiten, Siegmund,« sagte Rudolph. »Es ist klar, daß, wenn du dich von andern Menschen unterscheidest, dies eine Eigenthümlichkeit ist, deren Auffindung oder Erkennung sich kaum von dir erwarten läßt. Aber im Namen der Einfalt, was hat dich auf deinem Posten beunruhigt?«
»Das war so, Hauptmann,« erwiderte Siegmund Biedermann. »Ich war es, siehst du, einigermaßen müde, in den hellen Mond hinaufzugucken und zu denken, aus was er im Ganzen gemacht sein könnte und wie es käme, daß wir ihn gerade so gut hier als daheim sehen, da wir doch viele Meilen von Geierstein weg sind. Ich war, sage ich, dieser und anderer verwirrenden Gedanken müde; so zog ich meine Pelzkappe über die Ohren herunter, denn ich versichere dich, der Wind blies scharf; und dann stellte ich mich fest auf die Füße, das eine Bein etwas vorwärts, und legte beide Hände auf die Partisane, die ich aufrecht vor mich hinstellte, um mich daran zu halten, und so machte ich die Augen zu.«
»Die Augen hast du zugemacht, Siegmund, und bist auf der Wache!« rief Donnerhügel.
»Laß dich das nicht anfechten,« antwortete Siegmund; »ich hielt die Ohren offen. Und doch nützte es nur wenig, denn es kam etwas auf die Brücke mit so verstohlenem Schritt wie eine Maus. Ich fuhr zusammen und blickte in dem Augenblick in die Höhe, da es mir gerade gegenüber stand, und als ich aufsah, – wen glaubst du, daß ich vor mir hatte?«
»Einen Narren, wie du,« sagte Rudolph, und drückte zugleich Philipson auf den Fuß, um ihn auf die Antwort aufmerksam zu machen. Das war aber gar nicht nöthig, denn dieser erwartete sie in der größten Bewegung. Zuletzt kam sie heraus.
»Beim heiligen Markus, es war unsere eigene Anna von Geierstein!«
»Unmöglich!« versetzte der Berner.
»Ich hätte auch so gesagt,« meinte Siegmund, »denn ich hatte in ihr Schlafzimmer hineingeguckt, ehe sie hinkam, und es war so herausgeputzt, daß eine Königin oder Prinzessin darin hätte schlafen können; und warum sollte die Dirne aus ihrem guten Quartier herausgehen, da alle ihre Freunde sie um und um bewachten, und in den Wald laufen?«
»Vielleicht kam sie blos auf die Brücke, zu sehen, wie die Nacht ablief,« sagte Rudolph.
»Nein,« entgegnete Siegmund, »sie kam aus dem Walde. Ich sah sie, als sie das Ende der Brücke erreichte und gedachte, nach ihr zu schlagen, da ich meinte, es sei der Teufel in ihrer Gestalt. Aber ich erinnerte mich, daß meine Hellebarde keine Birkenruthe ist, mit der man Knaben und Mädchen peitscht; und hätte ich Anna einen Schaden gethan, so würdet ihr Alle böse mit mir geworden sein, und die Wahrheit zu sagen, ich wäre selbst sehr unzufrieden mit mir gewesen; denn ob sie sich gleich dann und wann einen Spaß mit mir macht, so wäre unser Haus doch gar zu langweilig, wenn wir Anna verlören.«
»Esel,« antwortete der Berner, »hast du mit der Gestalt oder dem Gespenst, wie du es nennst, gesprochen?«
»Gewiß nicht, Hauptmann Superklug! Mein Vater ist immer bös mit mir, wenn ich rede, ohne zu denken, und ich konnte in dem Augenblick gerade nicht an etwas Passendes denken. Auch war keine Zeit zum Denken, denn sie ging an mir vorüber, wie eine Schneeflocke auf einem Wirbelwind. Ich ging ihr jedoch nach in's Schloß und rief sie mit Namen; so wurden die Schläfer aufgeweckt, die Männer liefen nach ihren Waffen und es war eine Verwirrung, als ob Archibald von Hagenbach mit Schwert und Spieß unter uns gewesen wäre. Und wer kam aus ihrem Schlafzimmerchen so erschrocken, als einer von uns, wer anders als Jungfer Anna selbst. Und da sie versicherte, sie habe die ganze Nacht ihr Zimmer nicht verlassen, da mußte ich, Siegmund Biedermann, die ganze Schuld haben, als ob ich die Geister der Leute verhindern könnte, spazieren zu gehen. Aber ich sagte ihr meine Meinung, als ich sah, daß sich Alle gegen mich hinstellten. ›Und, Jungfer Anna,‹ sagte ich, ›man kennt recht gut die Verwandtschaft, von welcher du herkommst, und wenn du mir noch einmal einen von deinen Doppelgängern schickst, so laß sie eiserne Kappen auf die Köpfe setzen, denn ich will ihnen die Länge und Schwere einer Schweizer Hellebarde zu kosten geben, kommen sie, in welcher Gestalt sie wollen.‹ Da schrie indessen Alles: ›Schäm' dich!‹ und mein Vater trieb mich wieder mit eben so wenig Mitleiden hinaus, als den alten Haushund, der sich von seiner Wache an den Herd hereingestohlen hatte.«
Der Berner erwiderte mit Kälte, fast mit Verachtung: »Du hast auf deinem Posten geschlafen, Siegmund, das ist ein großes militärisches Vergehen, und im Schlaf hast du geträumt. Es war ein Glück, daß der Landammann deine Nachlässigkeit nicht ahnte, sonst wärest du nicht wie ein fauler Hofhund zu deiner Pflicht zurückgeschickt, sondern als einer, der kein Vertrauen verdient, in deinen Stall nach Geierstein zurückgejagt worden, wie es dem armen Ernst wegen einer geringeren Sache geschehen ist.«
»Ernst ist doch noch nicht zurückgegangen,« sagte Siegmund, »und ich denke, er wird in Burgund so weit kommen, als wir auf dieser Reise. Ich bitte dich jedoch, Hauptmann, mich nicht wie einen Hund zu behandeln, sondern wie einen Mann, und mir einen zu schicken, der mich ablöst, statt hier in der kalten Nachtluft zu schwatzen. Wenn es morgen etwas zu thun gibt, wie ich wohl vermuthe, so wird ein Mund voll Nahrung und eine Minute Schlaf eine passende Vorbereitung dazu sein, und ich habe hier die zwei tödtlich langen Stunden Wache gestanden.«
Dabei gähnte der junge Riese fürchterlich, wie um die Gründe seiner Forderung zu verstärken.
»Ein Mund voll und eine Minute?« sagte Rudolph. »Ein gebratener Ochse und ein Schlaf wie der der Siebenschläfer würde dir kaum wieder frische und wache Sinne geben. Aber ich bin dein Freund, Siegmund, und du darfst eines günstigen Berichtes von mir gewiß sein; du sollst gleich abgelöst werden, damit du schlafen kannst, wenn das ohne Beunruhigung durch Träumen geschehen kann. – Geht, ihr jungen Leute,« wandte er sich an die Anderen, die unterdessen nachgekommen waren, »und legt Euch zur Ruhe; Arthur von England und ich werden dem Landammann und dem Bannerherrn von unserer Runde Rapport erstatten.«
Demzufolge trat die Runde in das Schloß, und bald hörte man sie mit ihren schlummernden Genossen zusammentreffen. Rudolph Donnerhügel ergriff Arthurs Arm und flüsterte ihm, während sie gegen die Halle zugingen, in's Ohr: – »Das sind wunderliche Vorfälle! Wie meint Ihr, sollen wir sie den Gesandten beibringen?«
»Das muß ich Euch überlassen,« sagte Arthur, »Ihr seid der Hauptmann von unserer Wache. Ich habe meine Pflicht erfüllt und Euch gesagt, was ich gesehen – oder zu sehen geglaubt habe; an Euch ist es, zu entscheiden, wie weit Ihr die Sache dem Landammann mittheilen wollt; nur meine ich, sollte es ihm unter vier Augen anvertraut werden, da die Ehre seiner Familie dabei im Spiele ist.«
»Ich sehe keine Veranlassung dazu,« sagte der Berner hastig, »es kann auf unsere Sicherheit im Allgemeinen keinen Einfluß haben. Aber ich werde Gelegenheit nehmen, mit Anna später davon zu reden.«
Diese letzte Andeutung war Arthur so widerwärtig, als ihm der Vorschlag, über eine so zarte Sache völliges Schweigen zu beobachten, angenehm gewesen. Aber er fühlte, daß er sein Mißbehagen unterdrücken müsse, und erwiderte darum mit so viel Gelassenheit als möglich: –
»Ihr möget handeln, Herr Hauptmann, wie es Euch Eure Begriffe von Pflicht und Zartgefühl vorschreiben. Was mich betrifft, so werde ich schweigen über das, was Ihr die wunderlichen Vorfälle dieser Nacht nennt, und was durch den Bericht Siegmund Biedermanns doppelt wunderbar wird.«
»Also auch über das, was Ihr von unseren Hülfstruppen von Basel gesehen und gehört habt?«
»Darüber werde ich gewiß schweigen,« sagte Arthur, »nur habe ich im Sinn, meinem Vater von der Gefahr zu reden, die sein Gepäck läuft, wenn es zu La Ferrette der Durchsuchung und Wegnahme ausgesetzt ist.«
»Es ist unnöthig,« sagte Rudolph, »ich stehe mit Kopf und Hand für die Sicherheit jedes Stücks aus seiner Habe.«
»Ich danke Euch in seinem Namen,« versetzte Arthur, »aber wir sind friedliche Reisende, für die es wünschenswerther sein muß, einen Zank zu vermeiden, als Veranlassung zu einem solchen zu geben, selbst wenn wir sicher wären, aus demselben siegreich hervorzugehen.«
»Das sind die Gesinnungen eines Kaufmanns, nicht aber die eines Kriegers,« entgegnete Rudolph kalt und verdrießlich; »aber das ist Eure Sache und Ihr müßt dabei handeln, wie Ihr es für gut haltet. Nur denkt daran, daß Ihr Gut und Leben waget, wenn Ihr ohne unseren Beistand nach La Ferrette geht.«
Sie traten, während er dies sagte, in das Gemach ihrer Mitreisenden. Die Gefährten ihrer Runde hatten sich bereits zu ihren schlafenden Kameraden am unteren Ende des Zimmers niedergelegt. Der Landammann und der Bannerherr von Bern hörten Donnerhügels Rapport an, daß sein Streifzug vor und nach Mitternacht wohl und ohne Vorfälle vorüber gegangen sei, die eine Gefahr argwöhnen ließen. Dann wickelte sich der Berner in einen Mantel und legte sich auf das Stroh mit jener glücklichen Gleichgültigkeit gegen Bequemlichkeit, und jener Bereitwilligkeit, den Augenblick der Ruhe zu benützen, welche man in einem wachsamen und mühseligen Leben erwirbt. Wenige Minuten darnach lag er in festem Schlaf.
Arthur blieb nur etwas länger auf, um einen neugierigen Blick auf die Zimmerthüre Anna's von Geierstein zu werfen und über die wunderbaren Ereignisse des Abends nachzudenken. Aber sie bildeten ein verworrenes Geheimniß, zu welchem er keinen leitenden Faden entdecken konnte, und die Nothwendigkeit einer augenblicklichen Unterredung mit seinem Vater zwang ihn, seine Gedanken nach dieser Richtung hinzulenken. Er mußte Vorsicht und Heimlichkeit bei Ausführung seiner Absicht beobachten. Darum legte er sich neben seinen Vater nieder. Das Lager desselben war mit der Gastfreundlichkeit, die er seit dem Beginn seines Verkehrs mit dem gutherzigen Schweizer erfahren, an der Stelle des Gemachs hergerichtet worden, welche man für die bequemste hielt und etwas abseits von den Andern. Er schlief fest, erwachte aber von der Berührung seines Sohnes, der ihm größerer Vorsicht wegen auf englisch zuflüsterte, daß er wichtige und geheime Nachrichten für ihn habe.
»Ein Angriff auf unsern Posten?« sagte der ältere Philipson; »werden wir von unsern Waffen Gebrauch machen müssen?«
»Noch nicht,« antwortete Arthur; »und ich bitte Euch, nicht aufzustehen oder Lärm zu machen. – Die Sache geht uns allein an.«
»Sag' es mir gleich, mein Sohn,« versetzte sein Vater; »du sprichst mit einem, der mit der Gefahr zu vertraut ist, um von ihr zu erschrecken.«
»Es ist ein Fall, den Eure Klugheit bedenken soll,« sagte Arthur; »ich habe, während ich die Runde mitmachte, sichere Nachricht erhalten, daß der Gouverneur von La Ferrette sich Eures Gepäckes und Eurer Waaren unter dem Vorwand bemächtigen wird, er erhebe Abgaben, auf die dem Herzog von Burgund Ansprüche zustehen. Ebenso habe ich erfahren, daß die uns begleitenden Schweizer Jünglinge entschlossen sind, diesen Erpressungen sich zu widersetzen, und die Meinung hegen, ihre Zahl und ihre Mittel reichen hin, dies mit Erfolg zu thun.«
»Beim heiligen Georg, das darf nicht sein!« versetzte der ältere Philipson. »Das wäre eine schlechte Vergeltung für den treuherzigen Landammann, wenn ich dem hitzigen Herzog einen Vorwand zu dem Kriege verschaffte, den der treffliche alte Mann so ängstlich zu vermeiden wünschte, wenn es möglich ist. Eine Forderung, wenn sie auch unbillig ist, will ich gerne bezahlen, aber wenn sie mir meine Papiere wegnähmen, so wäre ich völlig zu Grunde gerichtet. Ich habe das theilweise gefürchtet, und das machte mich abgeneigt, mich des Landammanns Gesellschaft anzuschließen. Jetzt müssen wir sie verlassen. Dieser räuberische Statthalter wird gewiß keine Hand an die Gesandtschaft legen, weil sie den Hof seines Herrn unter dem Schutze des Völkerrechts aufsucht; aber ich sehe leicht ein, daß er unsere Anwesenheit bei ihnen zum Vorwande für einen Streit machen könnte. Dies wäre sowohl seiner eigenen Habsucht angemessen, als dem Wunsche der hitzigen jungen Leute, die Veranlassung zu einem Angriff suchen. Eine solche darf nicht durch uns herbeigeführt werden. Wir werden uns von den Abgeordneten trennen und warten, bis sie vorangegangen sind. Ist dieser Hagenbach nicht der unbilligste aller Menschen, so werde ich Mittel finden, ihn zufrieden zu stellen, sofern wir einzeln dabei betheiligt sind. Indessen will ich gleich den Landammann wecken,« sagte er, »und ihm unsere Absicht mittheilen.«
Dies geschah sofort, denn Philipson war nicht langsam in Ausführung dessen, was er beschlossen. In einer Minute stand er neben Arnold Biedermann, der auf den Ellbogen gestützt seinen Vortrag anhörte. Ueber die Schulter desselben erhob sich der Kopf und der lange Bart des Deputirten von Schwyz. Seine großen, hellen, blauen Augen glänzten unter einer Pelzmütze hervor und waren auf das Gesicht des Engländers gerichtet, dann und wann aber warf er einen verstohlenen Seitenblick auf seinen Amtsgenossen, um den Eindruck zu beobachten, welchen das Gesagte auf diesen hervorbrachte.
»Guter Freund und Wirth,« sagte der ältere Philipson, »wir haben für gewiß gehört, daß unsere unbedeutenden Waaren auf unserem Durchzug durch La Ferrette einer Besteuerung oder der Wegnahme unterworfen werden, und ich möchte doch gerne alle Ursache zum Streit vermeiden, sowohl um meinet- als um Euretwillen.«
»Zweifelt Ihr, daß wir Euch beschützen können und wollen?« erwiderte der Landammann. »Ich sage Euch, Engländer, der Gast eines Schweizers ist so sicher neben ihm, als ein junger Adler unter dem Flügel seiner Mutter; und wenn Ihr uns jetzt verlasset, weil Gefahr im Anzug ist, so macht Ihr unserem Muth oder unserer Beständigkeit ein schlechtes Kompliment. Ich wünsche den Frieden, aber nicht einmal der Herzog von Burgund selbst dürfte einen meiner Gäste beleidigen, so lange es meine Macht verhindern könnte.«
Hier zeigte der Gesandte von Schwyz über seines Freundes Schulter her eine geballte Faust, so groß wie das Kniestück eines Stiers.
»Eben um das zu vermeiden, mein werther Gastfreund,« versetzte Philipson, »habe ich die Absicht, mich von Eurer freundlichen Gesellschaft früher zu trennen, als ich wünsche oder als ich früher mir vorgenommen hatte. Bedenkt, mein wackerer und werther Gastfreund, Ihr seid ein Gesandter und sucht Frieden für Euer Vaterland; ich bin ein Handelsmann, der eigenem Gewinn nachgeht. Krieg oder Streitigkeiten, die einen solchen veranlassen können, sind Eurer und meiner Absicht gleich verderblich. Ich gestehe Euch offen, daß ich geneigt und im Stande bin, ein bedeutendes Lösegeld zu zahlen, und wenn Ihr abgereist seid, will ich über den Betrag desselben unterhandeln. Ich werde in Basel bleiben, bis ich auf ordentliche Bedingungen mit Archibald von Hagenbach übereingekommen; und wenn er auch so habsüchtig ist und solche Erpressungen verübt, wie Ihr von ihm sagt, so wird er doch etwas gnädig mit mir verfahren, um nicht seine Beute völlig zu verlieren, wie es geschehen müßte, wenn ich umkehrte oder einen andern Weg einschlüge.«
»Ihr redet verständig, Herr Engländer,« sagte der Landammann; »und ich danke Euch dafür, daß Ihr mir meine Pflicht in's Gedächtniß zurückruft. Aber Ihr sollt doch keiner Gefahr ausgesetzt sein. Sobald wir vorwärts gehen, steht das Land wieder den Verwüstungen der burgundischen Reisigen und Lanzknechte offen, und sie werden das Land in allen Richtungen durchstreifen. Die Basler sind unglücklicherweise zu ängstlich, um Euch zu schützen; sie würden Euch auf den ersten Wink des Gouverneurs ausliefern, und Gerechtigkeit oder Milde dürfet Ihr in der Hölle eher erwarten als von Hagenbach.«
»Es gibt, wie man sagt, Beschwörungen, welche die Hölle selbst zittern machen,« entgegnete Philipson; »und ich besitze die Mittel, um selbst den von Hagenbach zu besänftigen, vorausgesetzt, daß ich mit ihm selbst unter vier Augen sprechen kann. Aber von seinen ausgelassenen Reisigen, gestehe ich, habe ich nichts zu erwarten, als daß sie mich todtschlagen, blos um meinen Mantel zu bekommen.«
»Wenn das der Fall ist,« antwortete der Landammann, »und Ihr Euch nothwendigerweise von uns trennen müßt, wofür Ihr allerdings kluge und triftige Gründe angegeben habt – warum wollt Ihr nicht Grafslust zwei Stunden vor uns verlassen? Die Straßen werden sicher sein, da man unser Geleite erwartet; wenn Ihr Euch früh auf den Weg machet, werdet Ihr den von Hagenbach wahrscheinlich nüchtern antreffen, und so fähig Vernunft anzuhören, als er immer ist, d. h. seinen eigenen Vortheil wahrzunehmen. Hat er aber einmal sein Frühstück mit Rheinwein hinuntergespült, und er trinkt solchen jeden Morgen ehe er die Messe hört, so verblendet seine Wuth selbst seine Habgier.«
»Alles, was ich brauche, um diesen Plan auszuführen,« versetzte Philipson, »ist, daß Ihr mir ein Maulthier leihet, um mein Felleisen zu tragen, welches bei Eurem Gepäck ist.«
»Nehmt die Mauleselin,« sagte der Landammann; »sie gehört hier meinem Bruder aus Schwyz; er wird sie Euch gerne geben.«
»Und wäre sie zwanzig Kronen werth, so würde ich es thun, wenn es mein Kamerad Arnold verlangte;« gab der weißbärtige alte Mann zur Antwort.
»Ich nehme sie lehnungsweise mit Dank an;« erwiderte der Engländer. »Wie könnt Ihr aber das Thier entbehren? Ihr habt nur noch eins übrig?«
»Wir können unserem Bedürfniß leicht von Basel aus abhelfen,« entgegnete der Landammann. »Ja, wir können diesen kleinen Aufschub für Eure Absicht benützen, Herr Engländer. Ich habe die erste Stunde nach Tagesanbruch als die Zeit unserer Abreise bestimmt; wir werden sie auf die zweite Stunde verschieben, und da bleibt uns Frist genug, um ein Pferd oder Maulthier zu bekommen, und Ihr, Herr Philipson, habt Zeit, um La Ferrette zu erreichen. Dort werdet Ihr, wie ich zuversichtlich hoffe, Euer Geschäft mit Hagenbach zu Eurer Zufriedenheit beendigen und dann wieder mit uns zusammentreffen, wenn wir durch Burgund reisen.«
»Wenn unsere beiderseitigen Zwecke unser Zusammenreisen gestatten, würdiger Landammann,« gab der Kaufmann zur Antwort, »so werde ich es für ein großes Glück halten, Euer Begleiter zu werden. – Und nun legt Euch wieder zur Ruhe nieder, die ich unterbrochen habe.«
»Gott segne Euch, kluger und treuherziger Mann,« sagte der Landammann, indem er aufstand und den Engländer umarmte. »Sollten wir nicht mehr zusammentreffen, so werde ich mich noch des Kaufmanns erinnern, der den Gedanken an Gewinn aufgab, um den Pfad der Weisheit und Rechtschaffenheit einzuschlagen. Ich kenne keinen Andern, der nicht einen Strom von Blut vergossen hätte, um fünf Unzen Gold zu erlangen. – Leb' auch du wohl, wackerer junger Mann. Du hast unter uns gelernt, am Rande eines Schweizerfelsens fest zu stehen, aber Niemand kann dich so gut wie dein Vater lehren, durch Sümpfe und Abgründe des menschlichen Lebens einen geraden Pfad einzuhalten.«
Dann umarmte er seine Freunde und nahm herzlichen Abschied. Hierin ahmte ihn wie gewöhnlich sein Freund aus Schwyz nach. Er berührte mit seinem langen Bart die rechte und linke Wange der beiden Engländer und bot ihnen nochmals herzlich die Benützung seines Maulthieres an. Dann legten sich Alle für die bis zum Grauen des Herbstmorgens noch übrige Zeit zur Ruhe nieder.