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Sechzehntes Kapitel

Unter bittern Tränen vollzog sich die weitere Flucht der Königin. Es waren der zerstörten Hoffnungen, der vernichteten Aussichten, der gefallenen Freunde auch gar zu viel, aber am meisten von allem ging ihr der Verlust Seytons und des wackern Douglas nahe, so nahe wie der Verlust des Thrones, den sie fast wiedergewonnen hatte! Katharina, ängstlich besorgt, den Mut im Herzen ihrer Gebieterin aufrecht zu erhalten, verbarg ihren Schmerz, während der Abt sich vergeblich mühte, für die nächste Zukunft einen Plan zu entwerfen, auf den sich einigermaßen bauen ließe. Bloß Rolands Mut blieb ungebeugt.

»Eure Majestät hat eine Schlacht verloren,« sagte er, »doch gedenkt Eures Ahnherrn Bruce, der sieben Schlachten hintereinander verlor, ehe er sieghaft den Thron Schottlands besteigen konnte, ehe er als Sieger auf dem Schlachtfelde von Bannockburn die Unabhängigkeit seines Vaterlandes errang. Und ist diese Heide nicht unendlich besser als das von Wasser umschlossne, modrige Schloß Lochleven? ... Können wir sie nicht frei durchschweifen? Wir sind frei, Majestät! in diesem einzigen Worte liegt ein Trost für alle Verluste!«

Eine kühne Saite war es, die er anschlug, aber sie hallte nicht wider in Marias Herzen.

»Besser, ich wäre in Lochleven geblieben,« klagte sie, »als daß ich solche Niederlage meiner treuen Untertanen durch diese Meuterer erleben mußte! Redet mir nichts von neuen Versuchen! sie möchten doch bloß Euch und allen meinen übrigen Freunden das Leben kosten! und ich könnte es nicht noch einmal ertragen, was ich in diesen Tagen gelitten habe! O, war das ein Anblick, als ich die blutdürstigen Reiter dieses Morton unter den getreuen Seytons und Hamiltons wüten sah! und weshalb sind sie gefallen im blutigen Kampfe? um meinetwillen! ... Nicht noch einmal möchte ich leiden, was ich gelitten habe, als das Blut des edlen Douglas meinen Mantel bespritzte um seiner Liebe zu Maria Stuart willen! ... und könnte ich Kaiserin werden über alle Besitztümer der britischen Krone! Nennt mir einen stillen Ort, wo ich mein Haupt verbergen kann, das Verderben bringt über alle, die mich lieben ... das möge der letzte Liebesdienst sein, den ich, Maria Stuart, von meinen Getreuen erbitte.«

Nachdem zuerst Lord Herries mit einer kleinen Schar sie eingeholt hatte, zog Maria Stuart in dieser tiefen Niedergeschlagenheit in die Abtei von Dundrennen ein, die etwa zwanzig Stunden von dem Schlachtfelde entfernt lag, das ihres Ruhmes Grab werden sollte. In diesem entfernten Winkel von Galloway waren die neuen Kirchengesetze noch nicht mit jenem Eifer und jener Strenge durchgeführt worden, wie in den der Hauptstadt näher gelegnen Stätten. Hier hausten und beteten noch einige Mönche unbehelligt in ihren Zellen, und der Prior der Abtei hieß die flüchtige Königin unter Tränen und mit tiefer Ehrerbietung an der Klosterpforte willkommen.

»Ich bring Euch Unglück, frommer Vater,« sagte die Königin, als sie von ihrem Zelter gehoben wurde.

»Solch Unglück soll willkommen sein,« erwiderte der fromme Mann.

Als die Königin zu ihren Kammerfrauen trat, betrachtete sie einen Augenblick ihren weißen Zelter mit trauriger Miene, dann sagte sie zu Roland:

»Gib acht, mein Lieber, daß die arme Rosabella nicht Not leide. Der liebe Douglas hat dafür gesorgt, daß ich mein altes treues Pferd wieder reiten konnte. Es hat dem lieben Menschen viel Mühe gemacht, es aus dem Marstall des Regenten für mich zu beschaffen. Frag Dein eignes Herz, warum ich in dieser trüben Stunde Dich um diesen Liebesdienst ersuche.«

Die Königin wurde in ihr Zimmer geführt, und hier wurde in übereilter Beratung der verhängnisvolle Entschluß gefaßt, in England eine Zuflucht für die unglückliche Königin zu suchen. Am andern Morgen gab sie hierzu ihre Einwilligung, und es wurde zu der nächsten Grenzvogtei ein Bote gesandt mit dem Ersuchen um Aufnahme und sichres Geleit für die Königin von Schottland. Am andern Tage ging der Abt mit Roland im Abtei-Garten spazieren, und hier sprach er in heftiger Erregtheit sein Mißfallen über den gefaßten Entschluß aus. »Besser wäre es gewesen, die Königin überantwortete sich den rauhen Hochländern im Gebirge, als daß sie sich der treulosen Elisabeth ins Garn lieferte, die ja doch darauf ausgeht, sich den Thron von Schottland selbst in die Hände zu spielen! Roland,« sagte er, »Lord Herries ist treu und ehrlich und wacker, aber durch diesen Rat stürzt er seine Herrin unmittelbar ins Verderben.«

»Ja, Verderben folgt uns, wohin wir den Fuß setzen,« sprach ein Greis, der ein Grabscheit in der Hand hielt und die Kleidung eines Laienbruders trug. Der Abt hatte ihn in der Leidenschaft, mit der er sich gegen Roland geäußert hatte, nicht bemerkt. »Verderben folgt uns allen, überall. O, staunt mich doch nicht so verwundert an! ja doch, ich bin derselbe, der zu Kennaqhueir Abt Bonifazius hieß, der in Lochleven als Gärtner Blinkhoolie bekannt war und rings durch Schottland gejagt worden ist, bis er wieder Einkehr gehalten hat in jenem Kloster, wo er einst sein Probejahr bestand. Und nun seid Ihr schon wieder da, mich zu verscheuchen? Ach, für einen, dem der Frieden über alles im Leben ging, hab ich ein schreckliches Leben des Unfriedens geführt!«

»Wir wollen Euch bald von unsrer Gegenwart erlösen, frommer Vater,« sagte der Abt, »und die Königin wird nun Eure Ruhe wohl nicht mehr stören!«

»O, ganz dasselbe habt Ihr früher auch immer gesagt,« brummte der mürrische Greis, »und doch bin ich von Kinroß verjagt worden und unterwegs von Räubern ausgeplündert worden. Das Zeugnis haben sie mir geraubt, von dem ich Euch erzählte – das von dem Baron, der ein Wegelagerer war so gut wie die andern. Ihr habt so oft danach gefragt, und ich konnte es immer nicht finden, sie aber hatten's auf den ersten Griff! Es war ein Attest über die Ehe eines gewissen – ach, mein Gedächtnis läßt mich so sehr im Stich, und Pater Niklas, der hätt Euch hunderterlei Geschichten erzählen können vom Abt Ingelram, Gott hab ihn selig! – Ich geb Euch mein Wort, er war an die neunzig Jahr! und ich, ich – na, wie alt bin wohl ich?«

»Hieß der Name nicht Avenel, frommer Vater? ach, besinnt Euch doch!« bat ihn Roland, mit Ungeduld, aber in freundlichem Tone, denn er befürchtete, der Greis möchte sich beunruhigt oder gar verletzt fühlen.

»Ja, ja, Avenel!« sagte der Alte, »Julian Avenel, Ihr habt mir auf den richtigen Namen geholfen! Ich hatte, weil ich dachte, mein Gelübde erfordre es, alle Sonderbeichten aufgehoben. Und als mein Nachfolger Ambrosius davon sprach, könnt ich das Dokument nicht finden. Aber die Wegelagerer, ich sag's Euch ja, die haben's gefunden auf den ersten Griff, Und der Ritter, der schlug sich drob an die Brust, daß der ganze Panzer gerasselt hat! – grad wie eine leere Gießkanne!«

»Heilige Jungfrau!« rief Pater Ambrosius, »für wen konnte dies Dokument solche Wichtigkeit haben? Wie sah der Ritter aus? welches war sein Wappen, seine Farbe und seine Helmzier?

»Ihr verwirrt mich mit so viel Fragen! ich hab mich doch kaum getraut, ihn anzusehen, sie wollten mir schuld geben, ich beförderte Briefe an die Königin, und durchstöberten meinen Mantelsack, aber das ist alles bloß eine Folge von Eurem Treiben in Lochleven!«

»Ich hoffe zu Gott,« sagte der Abt zu Roland, der zitternd neben ihm stand, »daß dieses Schriftstück in die Hände meines Bruders gefallen sein möge! Ich hörte davon, daß er zwischen Stirling und Glasgow auf Kundschaft unterwegs sei. Hatte der Ritter nicht einen Palmzweig als Helmzier? Könnt Ihr Euch nicht besinnen, frommer Vater?«

»Ach, worauf soll ich mich nicht alles besinnen,« klagte der Greis, »zählt erst der Jahre soviel wie ich, dann wollen wir sehen, worauf Ihr Euch noch besinnen werdet!«

Da hörte man vom Ufer her ein Horn erschallen.

»Der Totenschrei für die Herrschaft der Königin!« sagte Ambrosius. »die Antwort des englischen Grenzvogtes ist da! sie lautet sicher günstig, denn wann wurde ersehnter Beute das Türchen der Falle verschlossen? ... Doch getrost, Roland! dieser Sache soll auf den Grund gegangen werden, nur dürfen wir jetzt nicht die Königin verlassen! Folge mir, wir müssen unsre Pflicht erfüllen bis zum Ende, wenn wir den Ausgang auch Gott anheimstellen müssen. Leb wohl, frommer Vater! ich werde Dich vielleicht bald wieder besuchen.«

Sie gelangten bald zu der Stelle, wo die Königin stand, umringt von ihrem kleinen Gefolge, und ihr zur Seite stand, in reicher Amtskleidung, von Soldaten umgeben, der Sheriff von Cumberland, ein Adeling aus dem Geschlechte der Lowthes. Die Miene der Königin brachte ein wunderliches Gemisch von Bereitwilligkeit und Unlust zur Reise zum Ausdruck. Durch Worte und Gebärden sprach sie ihrem Gefolge Ermutigung und Trost zu, sie schien sich selbst einreden zu wollen, daß der gefaßte Entschluß für ihre jetzige Lage das beste sei, was sie tun könne, sie schien die Zusicherung einer freundlichen Aufnahme und Fürsorge als zureichend zu betrachten; aber das Zittern ihrer Lippen, der unstete Ausdruck ihres Auges strafte sie Lügen, denn beides verriet deutlich ihre Angst, daß sie Schottland den Rücken wenden, und ihre Bange, daß sie der zweifelhaften Treue Englands sich ausliefern solle!

»Willkommen, hochwürdiger Abt, und auch Ihr seid willkommen, lieber Roland Avenel,« sprach sie die beiden Getreuen an, »wir haben Euch erfreuliche Kunde zu melden. Der Sheriff Unsrer lieben Schwester Elisabeth bietet Uns in ihrem Namen einen sichern Zufluchtsort vor den Meuterern gegen Unsern Thron. Mir tut es nur leid, daß Wir Uns nun auf gewisse Zeit hier trennen müssen.«

»Von uns sollen Eure Gnaden sich trennen?« fragte der Abt; »soll Eure Zuflucht in England nur gewählt werden unter Einschränkung Eures Gefolges, nur unter der Bedingung, daß Ihr Euch Eurer Ratgeber entäußert?«

»Faßt es nicht so auf, frommer Herr,« antwortete die Königin, »der Landvogt Unsrer Schwester, ein getreuer Beamter, erachtet es für notwendig, dem ihm zugegangnen Befehle auf das Wort zu gehorsamen, und kann nur zugestehen, daß ich mein weibliches Gefolge mit über die Landesgrenze nehme. Ein Eilbote wird sogleich von London abgehen, der mir meinen Aufenthaltsort meldet. Ich werde unverzüglich nach Euch allen senden, sobald mein Hofstaat eingerichtet wird.«

»Euer Hofstaat drüben in England?« fragte der Abt. »Nicht, so lange Elisabeth dort auf dem Throne sitzt! Es müßte denn geschehen, daß wir zwei Sonnen am Himmel wandeln sehen!«

»Nicht doch, mein getreuer Abt, nicht doch!« erwiderte die Königin, »Wir sind des festen Glaubens, daß Wir Unsrer Schwester vertrauen dürfen. Elisabeth achtete stets die öffentliche Meinung, und was könnte ihr größern Ruhm bringen, als daß sie einer vom Unglück verfolgten Schwester die Arme öffnet? Dagegen könnte alles, was sie noch Großes und Weises vollbringen könnte, die Schmach nicht austilgen, wollte sie das Vertrauen täuschen oder mißbrauchen, das ich ihr durch diesen Schritt bezeuge ... Drum lebt wohl, meine Lieben! lieber Ritter und liebwerter Abt! wir scheiden, doch nur auf kurze Zeit.« Sie hielt Roland die Hand hin, und er bedeckte sie mit Tränen, während er sich vor ihr auf ein Knie niederließ. Die Königin küßte ihn mit Inbrunst auf die Locken. Roland war willens, auch Katharina diese Huldigung zu teil werden zu lassen, als die Königin mit einer fröhlichen Miene das Wort nahm: »Ei, ihre Lippen, närrischer Junge! und Du, Katharina, sei nicht spröde, die englischen Herren sollen sehen, daß selbst unter unserm nordischen Himmel Schönheit die Treue zu lohnen weiß!«

»Wir brauchen weder die Macht schottländischer Schönheit, noch die Gewalt schottländischer Tapferkeit zu lernen,« bemerkte mit viel Höflichkeit der Landvogt von Cumberland, »Aber darf ich Eure Majestät in Erinnerung rufen, daß die Flut in rascher Abnahme begriffen ist?«

Der Landvogt faßte die Hand der Königin, und schon hatte sie den Fuß auf das Brett gesetzt, das vom Lande hinüber in das Boot führte, als der Abt wie aus einer Betäubung aufwachte, in die ihn Schmerz und Staunen versetzt hatten. Mit einem Satze war er im Wasser und griff nach ihrem Mantel.

»Sie hat es vorher gesehen!« rief er, »gewiß, gewiß! sie hat Eure Flucht in ihr Königreich erwartet und hat, in Voraussicht dieses Ereignisses, ihre Befehle erteilt, Euch so zu empfangen, wie Ihr jetzt empfangen werdet ... Verblendete Fürstin! irre geführte und dem Verderben geweihte Fürstin! Wenn Du den Fuß von diesem Strande setzest, so ist Dein Urteil unterschrieben. Königin von Schottland, Du darfst nicht aus Deinem Kronlande, darfst nicht aus Deinem Erbreiche scheiden. Alle, so in Treue zu Dir halten, müssen Dich hindern an der Ausführung solches unheimlichen Entschlusses, müssen sich hiergegen empören und auflehnen, müssen Dich retten vor Gefangenschaft und Tod, solange es noch Zeit ist. Fürchte nicht die Speere und Bogen, die nur eines Winkes vom Munde dieses Mannes in reicher Amtstracht gewärtig sind! Mit Gewalt wollen wir uns widersetzen. O, schütze uns der Arm meines kriegerischen Bruders! Roland von Avenel, zieh Dein Schwert!«

Unschlüssig, zagend stand die Königin, mit einem Fuße auf der Planke, die nach England hinüber führte, mit dem andern Fuße am Strande ihres Heimatlandes, das sie für immer zu verlassen im Begriff stand.

»Was soll diese Widersetzlichkeit, Herr Priester?« fragte der Landvogt. »Ich kam hierher auf den Wunsch Eurer Königin, ihr zu Dienst zu sein. Und sobald sie es befiehlt, entferne ich mich wieder, denn so lautet die Weisung, die ich aus London erhielt. Ist es zu verwundern, daß bei den Wirren, die Euer Land zerfleischen, die Weisheit unsrer huldvollen Königin solchen Schritt ihrer königlichen Schwester voraussah? .. Ist sie zu tadeln, weil sie es für weise und gerecht hielt, ihrer königlichen Schwester gastfreie Aufnahme zu entbieten, aber einem geschlagenen Heere den Uebertritt über die Landesgrenzen zu verbieten?«

»Ihr hört es,« sprach Maria, indem sie huldvoll lächelnd ihr Gewand aus den Händen des Abtes freimachte ... »Ihr hört es, daß Wir aus freier Wahl dieses Ufer verlassen, und sicher wird es Unserm Willen auch unbenommen bleiben, Uns hinüber nach Frankreich zu begeben, je nachdem Wir Uns in Zukunft zu entschließen für angemessen erachten werden. Zudem ist es jetzt zu spät, Unsern Entschluß noch zu ändern. Euren Segen, frommer Vater, und dann lebt wohl! lebt alle wohl!«

»Herrgott, erbarme Dich ihrer!« betete der Abt inbrünstig, »Herrgott, behüte sie und gehe nicht von ihr! ... Aber mein Herz sagt mir, ich sah Dich zum letzten Male, huldvollste aller Königinnen!«

Die Segel wurden gespannt, die Ruderer ließen die Riemen ins Wasser fallen, und schnell durchflog das Fahrzeug den Frith, der die Grenze zwischen Schottland und England bildet, oder im engern Sinne genommen, zwischen Galloway und Cumberland. Aber so lange das Fahrzeug noch in Sicht blieb, so lange verweilten die bekümmerten, ihres Dienstes entlassnen Begleiter der schönsten und doch unglücklichsten aller Königinnen am Gestade. Und noch lange, noch lange unterschieden sie in der Ferne das Tuch ihrer Fürstin, mit dem sie der Heimat und den getreuesten ihrer Getreuen ihr letztes Lebewohl, das Lebewohl auf Nimmer-, Nimmerwiedersehen zuwinkte!.


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