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Donné par le roi de France

1824

In Anton Schindlers Beethoven-Buche, dessen Erstausgabe von 1840, wenn man sie richtig zu lesen versteht, ein rührendes Dokument zum Leben des Meisters ist, findet man zum Jahre 1824 die Stelle:

Seit einigen Jahren hatte die italienische Oper in Wien Besitz genommen von jenen der Tonkunst geweihten Hallen, in denen seit Glucks Zeit deutsche Musik gehegt und gepflegt worden war. Als sich dort nun das erste italienische Sofeggio vernehmen ließ, war die Verabschiedung der deutschen Oper unterzeichnet. Der Strom riß alle bewußtlos mit sich fort. Geht es der Hölle oder dem Himmel zu? Gleichviel, niemand fragte, denn alles war von den Rossinischen Rouladen trunken. Nur einige Wenige entkamen dieser Flut. Und wie stand es mit unserm Beethoven? Ein Herrscher in seinem Reiche, war er von der Menge vergessen als ob er nie hätte existiert, und keine andre Ehre ward ihm mehr zuteil als die äußerliche Achtung, ein ehrfürchtiges Beiseitetreten auch der höchsten Personen, wenn er seines Weges kam. Wie tief er diesen unheimlichen Zustand der Dinge empfand und wie sehr er ihn drückte, bewies seine vermehrte Zurückgezogenheit sowie sein Entschluß, die Große Messe und die Neunte Sinfonie zuerst in Berlin aufführen zu lassen. Die Kunde davon spornte eine kleine Zahl Künstler und Kunstfreunde an, die der Kaiserstadt drohende Schmach möglichst abzuwenden. Man wandte sich mit einer Promemoria an Beethoven.

 

Am vorletzten Sonntage im Februar stellen sich in der Stunde nach dem Mittagsmahle, in der, wie man in Erfahrung gebracht, Beethoven gesprächig und zugänglich zu sein pflegt, zwei von den dreißig Unterzeichnern der an ihn gerichteten Adresse in seiner Wohnung ein. Er haust seit Mitte Oktober 1823 in der Vorstadt Landstraße in der Ungarstraße.

Die Wirtschafterin, die berühmte Frau Schnaps, meldet dem Meister den Besuch an und führt die Herren alsbald ins Arbeitszimmer, wo Beethoven nach seiner Gewohnheit bei Kaffee, Zigarre und Buch im Lehnstuhl am Fenster sitzt.

Der Meister, dem beide Herren persönlich bekannt sind, erhebt sich überrascht mit einer fragenden Geste, in voller Unkenntnis über das Begehren der Besucher.

Der Wortführer überreicht ihm die Urkunde. Beethoven nimmt sie, hält sie in der Linken und fragt:

»Ich will das Blatt in Ruhe lesen. Sagen Sie mir kurz: Um was handelt es sich?«

Verdutzt über die unerwartete Lakonie – der wortkarge Taube ist ihnen unheimlich – erklärt ihm einer der Abgesandten auf einem Zettel den Vorgang.

Beethovens Gesicht hellt sich auf, und freundlich, aber kurz angebunden wie bisher, wiederholt er seinen Willen, das Dokument für sich allein zu lesen. Wohl oder übel entfernen sich die Herren.

Schindler hat erst tags zuvor unter dem Siegel der Verschwiegenheit von der Sache erfahren. Der Erfolg dünkt ihn zweifelhaft. Er meint zu wissen, daß Beethovens Glaube an die zeitgenössische Gesellschaft stark erschüttert und sein Vertrauen auf die Berufsgenossen geradezu vernichtet ist. Um so neugieriger ist er auf Eindruck und Wirkung der Adresse.

Am Frühnachmittage eilt er nach der Ungarstraße. Er findet den Meister, das Dokument in der Hand, umherlaufend im Zimmer, in dessen Mitte die zwei Flügel stehen. Wie Beethoven den Amanuensis sieht, bleibt er stehen, berichtet in knappen Worten den Vorgang und reicht ihm das Blatt mit den Unterschriften. Während Schindler den ihm bereits bekannten Text offiziell liest, steht Beethoven am Fenster und betrachtet in merkwürdiger Gelassenheit den Zug der Wolken. Schindler, Beethovens täglicher Gefährte seit nun sieben Jahren, kennt die Bedeutung jeder Gebärde, und so weiß er, Beethoven ist tiefbewegt.

Schindler ist Schwarzseher. Die Adresse, so überschwänglich sie an einzelnen Stellen ist, mag ehrlich gemeint sein, aber Opfermut kündigt sie nicht an; im Gegenteil: sie fordert das Opfer vom Meister, indem man an sein Österreichertum appelliert. Auf dem Blatte ist keine Rede von freier Verfügung über eines der Theater oder einen der großen Säle, keine Zusicherung und Gewähr einer bestimmten fürstlich bemessenen Einnahme. Im Vorjahre hat Beethoven eine seiner treubehüteten Bankaktien verkaufen müssen, um Steiner, einen seiner Verleger, zu befriedigen, dem er 2600 Gulden Vorschüsse schuldete. Beethoven hungert nicht; kaum je im Leben hat er unter wirklichem Geldmangel gelitten, aber er steht vor dem Ende seines Schaffens, ohne Aussicht auf ein festes Alterseinkommen. Mensch, hilf dir selber! pflegt er zu sagen, wenn er Andre klagen und jammern hört. Schindler bekennt sein Mißtrauen. Nach Schindlers Meinung ist es nichts anderes als bürgerliche Rührseligkeit, wenn in der Adresse zu lesen steht:

Vorzüglich sind es die Wünsche vaterländischer Kunstverehrer, die wir hier vortragen, denn ob auch Beethovens Name und seine Schöpfungen der gesamten Mitwelt und jedem Lande angehören, darf Österreich ihn doch zunächst den Seinen nennen. Noch ist in seinen Bewohnern der Sinn nicht erstorben, für das, was im Schoße ihrer Heimat Mozart und Haydn Großes und Unsterbliches für alle Folgezeit geschaffen, und mit freudigem Stolze sind sie sich bewußt, daß die heilige Trias, in der jene Namen mit dem Ihrigen als Sinnbild des Höchsten im Geisterreiche der Töne strahlen, sich aus der Mitte des vaterländischen Bodens erhoben hat ... Entziehen Sie dem öffentlichen Genusse, entziehen Sie dem bedrängten Sinne für Großes nicht länger die Aufführung der jüngsten Meisterwerke Ihrer Hand!

 

Schweigend legt Schindler das Blatt auf einen der Flügel, abwartend, daß eine Aussprache beginnen werde. Aber Beethoven verharrt noch eine lange Weile in seiner Stellung am Fenster. Endlich wendet er sich dem Harrenden zu und spricht in ihm sonst nicht eigentümlichem hohem Tone:

»Es ist doch recht schön. Es freut mich.«

Schindler ergreift eins der Gesprächshefte und äußert seinen Glückwunsch, leider schriftlich, wie er bemerkt.

»Gehen wir ins Freie!« befiehlt Beethoven.

Gegen seine Gewohnheit auf Wanderungen – erzählt Schindler – verbleibt der Meister einsilbig; ein untrügliches Zeichen, daß in seiner Seele Sturm und Sonne miteinander kämpfen.

Im Jahre zuvor hatte Beethoven eine Subskriptions-Einladung ergehen lassen, auf die er große Hoffnungen setzte. Es galt, seine im Sommer 1819 begonnene, im Herbst 1822 vollendete Große Messe zunächst einer kleinen Gruppe reicher und mächtiger Musikfreunde in handschriftlichen Kopien zugänglich zu machen. Der Preis des Exemplars war auf fünfzig Dukaten (gleich fünfhundert Goldmark) festgesetzt. Der Meister hielt dies mächtige Werk für seine gelungenste und vollendetste Arbeit, und so rechnete er mit gewissem Recht auf einen dieser Hochschätzung gleichen wirtschaftlichen Erfolg. Er sollte sich alles in allem irren, denn es gingen nur zehn Bestellungen ein, und auch der Erstdruck – er gewann erst 1824 als Verleger dafür die Firma Schotts Söhne in Mainz – brachte ihm nur eintausend Gulden neuer sogenannter Konventions-Währung (etwa zweitausend Goldmark). Das Erscheinen der gedruckten Partitur hat Beethoven nicht erlebt; er hat niemals in ihr blättern dürfen.

Inmitten der großen Sorge über den Ausgang dieses Versuchs – so erzählt Anton Schindler – erscheint plötzlich ein geflügelter Bote vom Königlichen Hofe aus Paris und überbringt dem Meister den Widerhall seines Einladungsschreibens an Ludwig XVIII. (Die fünfzig Dukaten waren bereits gezahlt.) Seiner Majestät erster Kämmerer, der Herzog d'Achât, gibt dem Komponisten in schmeichelhaften Ausdrücken zu wissen, daß ihm der König eine goldene Medaille für die Missa solemnis zu verehren geruhe. Es ist dies eine Auszeichnung, wie dem Meister in seinem ganzen Leben keine so bedeutungsvolle zuteil geworden war.

Es läßt sich erraten – fährt Schindler fort – daß sie Beethoven im Bewußtsein seiner Größe hoch emporrichtete. Aber sie konnte andrerseits nicht verfehlen, daß er das Verhalten des Wiener Hofes gegen ihn mit dem Pariser in Vergleich stellte und überhaupt das gänzliche Nichtbeachten von Kunst und Wissenschaft seitens des Kaiserlichen Hofes und der Staatsverwaltung einer scharfen Kritik unterzog.

Diese Anerkennung seines Ruhms in Frankreich, geschehen nicht ohne Zutun von Luigi Cherubini – wie wäre es um solche Dinge in der Welt bestellt, wenn nicht wenigstens unter den führenden Geistern einer Zeit eine (wie Goethe sagt) Gemeinschaft der Heiligen bestünde? – ward dem Meister, wenige Tage nach der Überreichung jener Wiener Adresse, mit französischer Grandezza eingehändigt.

Als Beethoven die einundzwanzig Louisdors schwere Münze seinem Schindler zeigte, da sagte er nichts weiter als die sechs Worte, die auf der Rückseite der mit dem Königsbilde geschmückten Medaille stehen:

DONNÉ PAR LE ROI DE FRANCE.


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