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Quartette von J. Verhulst, L. Spohr und L. Fuchs.
»Gab es Schuppanzigh'sche, gibt es David'sche Quartette, warum nicht auch –«, dachte ich bei mir und bat mir ein Kleeblatt zusammen. »Es ist noch nicht lange her«, eröffnete ich diesem, »daß Haydn, Mozart und noch Einer lebten, die Quartetten geschrieben: sollten solche Väter so wenig würdige Enkel hinterlassen, diese gar Nichts von jenen gelernt haben? Und könnte man nicht nachfühlen, ob ein neues Genie irgendwo unter der Knospe, das nur der Berührung bedürfe? Mit einem Worte, Verehrteste, die Instrumente stehen bereit und des Neuen gibt es Mancherlei, das gespielt werden könnte in unserer ersten Matinée.« Und ohne viel Bedenkens, wie es bügelfesten Musikern ziemlich, saßen sie an den Pulten. Gern berichte ich, unter welchen Werken uns der Morgen verflossen, wenn auch nicht im kritischen Lapidarstyl, sondern in leichter Weise den ersten Eindruck festhaltend, den jene auf mich, zugleich mit Wahrnehmung dessen, den sie auf die Quartettisten selbst gemacht, da ich einen einfachen Fluch eines Musikers oft höher anschlage, als ganze Aesthetiken.
Von einem Quartett von Hrn. J. J. H. Verhulst dürfte man eigentlich Nichts verrathen, da es eben noch warm aus der Werkstatt, noch Manuscript, und dazu das erste, das der Componist geschrieben. Indeß da die Zukunft sich manches Erfreuliche von diesem jungen Künstler versprechen darf, sein Name über kurz und lang doch der Öffentlichkeit verfallen wird, so sei er vorläufig als ein Musiker von Beruf eingeführt, dem seine Geburt als Holländer ein zweites Interesse verleiht. So sehen wir in neuer Zeit aus allen Völkerschaften junge Talente hervorsteigen: aus Rußland berichtet man von Glinka; Polen gab uns Chopin; in Bennett hat England einen Vertreter, in Berlioz Frankreich; Liszt als Ungar ist bekannt; in Belgien wird von Hansens als von einem bedeutenden Talente gesprochen; in Italien bringt jeder Frühling welche, die der Winter wieder verweht; endlich kommt auch Holland, das uns sonst nur Maler sandte, obwohl auch van Bree u. A. sich bekannt gemacht.
Das Quartett unsers Holländers zeigte Nichts vom Phlegma, das man seinen Landsleuten vorwirft, sondern im Gegentheil lebhaftes musikalisches Naturell, das sich freilich in einer so schwierigen gegebenen Form noch mit Mühe in den Schranken zu halten hatte. Erfreulich war, daß gerade der Satz, in dem sich das Dasein innerer Musik am deutlichsten bekundet, das Adagio, der gelungenste des Quartetts war. Auf solchem Wege fortgehend wird sich der junge Künstler Kraft und Leichtigkeit erringen; gegen starken Irrthum schützt ihn sogar ein großer Instinct des Richtigen und Gesetzmäßigen, und so wäre nur noch auf größere Prägnanz, auf Erhebung und Veredlung des Gedankens zu achten, was freilich weniger Sache des guten Willens als des guten Geistes.
Das Quartett spielte sich hierauf ein neues von Spohr Werk 97. vor, in dem uns mit den ersten Tacten der bekannte Meister entgegentritt. Wir kamen schnell überein, daß hier mehr auf glänzendes Hervortreten des ersten Spielers als auf kunstreiche Verwebung der Viere gesehen war. Man kann Nichts dagegen haben, wo es offenbar so und nicht anders sein soll, und es begibt sich diese Quartettweise von selbst der höhern Ansprüche. Formen, Wendungen, Modulationen, Melodieenfälle waren ebenfalls die oft gehörten Spohr's, so daß es schien, die Quartettisten unterhielten sich vom Werk wie von einem bekannten Gegenstand. Ein Scherzo fehlt, das überhaupt nicht des Meisters Stärke, wie denn das Ganze einen beschaulichen, wenn man so sagen kann, didaktischen Charakter hat. Im Rondo fesselt ein sehr artiges Thema, dem man nur ein sich mehr markirendes zweites entgegengestellt wünschte. Eine Bemerkung drängt sich mir hier noch auf und zwar durch einen Vorwurf eines der Quartettspieler veranlaßt. Junge Künstler, die immer Neues, womöglich Excentrisches wollen, schlagen jene flüchtige, so schnell empfangene wie vollendete Werke ausgebildeter Meister meistens zu gering an, und irren in ihrer Meinung, daß sie es ebenso machen können. Es bleibt immer noch der Unterschied zwischen Meister und Jünger. Jene eilig hingeworfenen Claviersonaten Beethoven's, noch mehr Mozart's, beweisen in ihrer himmlischen Leichtigkeit in eben dem Grade die Meisterschaft, als ihre tieferen Offenbarungen; das fertige Meistertalent zeigt sich eben darin, daß es die sich im Beginn des Werkes gezogenen Linien nur lose umspielt, während das jüngere ungebildete, wo es doch auch vom Boden der Gewöhnlichkeit ausgeht, die Seile immer höher anspannt und so oft verunglückt. Dies auf das Quartett von Spohr anzuwenden, so denke man sich nur den Namen des Componisten und seine berühmteren Leistungen weg, und es bleibt noch immer ein in Form, Satz und Erfindung meisterhaftes, das sich noch himmelweit von dem eines Vielschreibers oder Schülers unterscheidet. Und das ist der Lohn der durch Fleiß und Studien gewonnenen Meisterschaft, daß sie sich bis in's hohe Alter ergiebig zeigt, während beim leichtsinnigen Talent das Versäumniß der Schule doch einmal durchbricht.
Von großem Interesse für uns Alle war ein vor ungefähr einem Jahr erschienenes Quartett von L. Fuchs Werk 10.. Der Componist lebt in Petersburg, als Pfleger der edleren Kunst im engeren Cirkel, allgemein geschätzt als Lehrer des Satzes, als dessen Beherrscher er sich nun auch praktisch erweist. Das Quartett ist nicht so verwickelt, daß man mit der Partitur in der Hand, die uns vergönnt war, es nicht nach Einmal-Anhören in seinen Höhen und Tiefen übersehen könnte, und auch ohnedies müßte die Eigenthümlichkeit in Form und Gehalt darin in die Augen springen. Am ehesten möchte man an Onslow als das Vorbild des Componisten denken; doch blickt auch Studium der weiter zurückliegenden Kunst, der Bach'schen, wie der neusten Beethoven's hindurch. Es ist im Gegensatz zu dem beschriebenen Spohr'schen ein wahres Quartett, wo Jeder etwas zu sagen hat, ein oft wirklich schön, oft sonderbar und unklarer verwobenes Gespräch von vier Menschen, wo das Fortspinnen der Fäden anzieht wie in den Musterwerken der letzten Periode. Das Packende, Nachhaltende Beethoven'schen Gedankens findet man eben nicht oft, und darin steht auch das Quartett zurück; im Uebrigen aber interessirt es bis auf einzelne mattere Tacte durchweg durch seinen seltenen Ernst und seine ausgebildete Kraft im Styl. In der Form erscheint es uns ebenfalls gut, und namentlich in der Gigue und dem letzten Satze pikant. Die Gigue gehört freilich gar nicht in das Quartett, was ich sogar betheuern kann, da das Manuscript ein ganz anderes Scherzo enthält, was wohl auch mehr zu den andern Sätzen paßt, allerdings aber auch weniger interessant ist als jene; doch entstand durch diese Veränderung das andere Uebel, daß die Gigue in B dur spielt, während der folgende (letzte) Satz in C moll: eine Tonfolge, die ich in einer Form, deren Strenge eben ihre Schönheit, nicht billigen könnte. Im Andante ist, nach Art eines bekannten Haydn'schen Quartetts, der neue russische Volksgesang (v. Lwoff) eingeflochten und variirt. Man weiß, wie solch' Fremdes nur selten in den eigenen Ideengang passen will, und so hätte ich auch lieber ein Werk geliefert, das ich ganz mein nennen könnte, als wo wenigstens die höhere Kritik den patriotischen Bezug nicht anerkennen kann. Indeß mag der geschätzte Mann, wie wir hören, noch manches ihm allein angehörige Quartettwerk in Vorrath haben, mit dessen Veröffentlichung er die Freunde echter Quartettmusik baldigst erfreuen wolle.
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Quartette von C. Decker, C. G. Reißiger und L. Cherubini.
Vergleich' ich die Gesichter manches die Gewandhaustreppen hinaufsteigenden und zitternden Musikers, der etwa ein Solo vorzutragen, mit denen meiner Quartettspieler, so schienen mir letztere um Vieles beneidenswerther, da unser Quartett zugleich sein eigenes Publicum ist, folglich nicht die geringste Angst zeigte, obwohl einem vor dem Fenster lauschenden Kinde und einer hereinschmetternden Nachtigall das Zuhören keinesweges gestört wurde. Mit ordentlicher Begeisterung stimmte man also schon, sich hierauf in ein neues aus Berlin gekommenes Quartett von Hrn. C. Decker Werk 14. zu stürzen, das in der That passend genug für solche Stimmung; durchaus abkühlender Natur nämlich. Was soll man über ein Werk sagen, in dem sich sicherlich Vorliebe für edlere Muster und Streben nach Tüchtigem ausspricht und das dennoch so wenig wirkt, daß man einen Strauß um sein Talent beneiden möchte, der's aus den Aermeln schüttelt und das Gold dafür in die Tasche. Soll man tadeln? den Componisten kränken, der sein Möglichstes gethan? Soll man loben, wo man sich gestehen muß, keine rechte Freude gehabt zu haben? Soll man von weiterem Componiren abrathen? Der Componist käme dann nicht weiter. Soll man ihm zureden, mehr zu schreiben? Er ist nicht reich genug und würde es handwerksmäßig treiben. So möchten wir denn Allen, die, ohne vom Genius beseelt zu sein, nun einmal componiren, ihren Eifer für die gute Sache der Kunst bethätigen wollen, den Rath geben, fleißig fort zu schreiben, aber mit der Bitte, nicht Alles auch drucken zu lassen. Noch eher gehörten die Irrthümer eines großen Talentes der Welt an, von denen man sogar lernen und nützen kann: bloße Studien aber, erste Versuche behalte man in seinen vier glücklichen Wänden. Studien im Quartettstyl möcht' ich denn auch das Quartett dieses Componisten nennen. Manches geräth ihm: er hat den Styl, den Charakter der vierstimmigen Musik richtig erkannt; aber das Ganze ist trocken, skelettartig; es fehlt der Schwung, das Leben. Der Anfang des Quartetts ist gut und scharf gezeichnet und macht Hoffnungen; dabei bleibt es aber auch; schon das zweite Thema sticht ab und erscheint uns arm. Die Verarbeitung im Mittelsatz mit Umkehrung des Themas mag nicht getadelt werden, obwohl man ihr noch Mühsamkeit anmerkt, dagegen der Rückgang in den Grundton leicht und glücklich gelingt, auch der Schluß des ersten Satzes nur zu loben ist. Man muß eben alles Gute noch heraussuchen. Das Adagio hat dieselbe Trockenheit; dahingegen wir im Scherzo mehr Lebenselemente, einzelne sehr artige Zusammenstellungen und Widerschläge antreffen, worauf sich das Trio, namentlich bei der Wiederholung, sehr gut ausnimmt. Das Finale endlich hat dieselben Vorzüge und Mängel, die wir an den ersten Sätzen bemerkten, scheinbar auch etwas mehr Leben, was die raschere Bewegung mit sich bringt, und ebenfalls gute Einzelnheiten, Nichts aber, was uns inniger stimmte, was uns rührte oder freudiger machte. Verstand und guter Wille behalten die Oberhand; das Herz geht leer aus. Wie nun aber jeder junge Componist, der sich in einer der schwierigsten Gattungen versucht, mit Auszeichnung zu behandeln, so können wir ihm auch diese keineswegs versagen, und so schreibe er muthig weiter und ergehe sich vielleicht vorher einmal ein Jahr im schönen Italien oder sonst wo, damit der Phantasie freudige Bilder zugeführt werden, damit, was jetzt nur Blätter und Zweige, später auch Blumen und Früchte trage.
Alsbald gelangten wir zu einer neuen Erscheinung in der musikalischen Literatur, zu einem Quartett vom Capellmeister Reißiger Werk 111., und zwar dem ersten, das er edirt. Es erfreut und reizt schon, einen fertig geglaubten, in gewisse Formen eingeschriebenen Componisten etwas Anderes und Schwereres angreifen zu sehen. Man schafft nie frischer, als wo man eine Gattung zu cultiviren anfängt. Andererseits hat freilich jeder neue Versuch in einer vorher nicht geübten Form, und würde er auch von einem Meistertalent unternommen, seine Schwierigkeiten. So sehen wir Cherubini an der Symphonie scheitern, so hat selbst Beethoven, wie wir in den jüngst angezeigten Mittheilungen von Dr. Wegeler lesen, mehrmals zu seinem ersten Quartett ansetzen müssen, indem aus dem einen begonnenen ein Trio, aus dem andern ein Quintett entstanden. Und so wird uns auch Vieles in diesem ersten Quartett von Reißiger (die häufige Achtelbegleitung in der zweiten Violine und Bratsche, gewisse Orchestersynkopen etc.) an den routinirten Gesangs- und Claviercomponisten gemahnen; was wir aber sonst an ihm Liebenswürdiges kennen, gibt er auch hier aus vollen Händen: runde Formen, lebhafte Rhythmen, wohlklingende Melodieen, zwischendurch freilich viel Oftgehörtes, Vieles, was an Spohr (gleich der Anfang), an Onslow (das Trio im Scherzo), an Beethoven (der Zwischensatz in E dur in der ersten Hälfte des ersten Satzes), an Mozart (der Cis moll-Satz im Adagio) und an Anderes erinnert. Einen großen Originalwerth mag ich demnach dem Quartett nicht beilegen oder ihm ein langes Leben versprechen; es ist ein Quartett zur Unterhaltung guter Dilettanten, die noch vollauf zu thun haben, wo der Künstler vom Fach mit einem Ueberblick schon die ganze Seite herunter gelesen; ein Quartett bei hellem Kerzenglanz unter schönen Frauen anzuhören, während wirkliche Beethovener die Thüre verschließen und in jedem einzelnen Tact schwelgen und saugen. Die einzelnen Sätze anzuführen, so möchte ich dem Scherzo den Vorzug geben, namentlich dem fünften bis achten Tact im Trio; ihm zunächst dem ersten Satz, wenn er eine sich's weniger bequem machende Form und einen weniger matten Schluß hätte. Das Adagio scheint mir zu flach zu seiner Breite. Das Rondo ist aber durchaus gewöhnlich; so würde z. B. Auber auch Quartette machen.
Wir schlossen mit dem ersten der schon seit geraumer Zeit erschienenen Quartette von Cherubini Nr. l (Es dur)., über die sich selbst unter guten Musikern Meinungszwiespalt erhoben. Er betrifft wohl nicht die Frage, ob diese Arbeiten von einem Meister der Kunst herrühren, worüber kein Zweifel aufkommen kann, sondern ob das der rechte Quartettstyl, den wir lieben, den wir als mustergültig anerkannt haben. Man hat sich einmal an die Art der drei bekannten deutschen Meister gewöhnt, und in gerechter Anerkennung auch Onslow und zuletzt Mendelssohn, als die Spuren Jener weiter verfolgend, in den Kreis aufgenommen. Jetzt kömmt nun Cherubini, ein in der höchsten Kunstaristokratie und in seinen eigenen Kunstansichten ergrauter Künstler, er, der noch jetzt im höchsten Alter als Harmoniker der Mitwelt der überlegenste, der feine, gelehrte, interessante Italiener, dem in seiner strengen Abgeschlossenheit und Charakterstärke ich manchmal Dante vergleichen möchte. Gesteh' ich, daß auch mich, als ich dieses Quartett zum erstenmal hörte, namentlich nach den zwei ersten Sätzen ein großes Unbehagen überfiel; das war nicht das Erwartete; Vieles schien mir opernmäßig, überladen, Anderes wieder kleinlich, leer und eigensinnig; es mochte bei mir die Ungeduld der Jugend sein, die den Sinn in den oft wunderlichen Reden des Greises nicht gleich zu deuten wußte; denn andererseits spürte ich freilich den gebietenden Meister, und zwar bis in die Fußspitzen hinab. Dann folgten aber das Scherzo mit seinem schwärmerischen spanischen Thema, das außerordentliche Trio, und zuletzt das Finale, das wie ein Diamant, wie man es wendet, nach allen Seiten Funken wirft, und nun war kein Zweifel, wer das Quartett geschrieben und ob es seines Meisters würdig. Gewiß wird es Vielen wie mir ergehen; man muß sich mit dem besondern Geiste dieses, seines Quartettstyles erst befreunden; es ist nicht die trauliche Muttersprache, in der wir angeredet werden, es ist ein vornehmer Ausländer, der zu uns spricht: je mehr wir ihn verstehen lernen, je höher wir ihn achten müssen. Diese Andeutungen, die nur einen schwachen Begriff von der Eigenthümlichkeit dieses Werkes geben, mögen deutsche Quartettzirkel aufmerksam machen. Zum Vortrag gehört Viel, gehören Künstler. In einem Anfalle von Redacteur-Uebermuth wünschte ich mir Baillot (an den Cherubini hauptsächlich gedacht zu haben scheint) an die erste, Lipinski an die zweite Violine, Mendelssohn an die Bratsche (sein Hauptinstrument, Orgel und Clavier ausgenommen) und Max Bohrer oder Fritz Kummer an das Violoncell. Indeß dankte ich's noch freundlich genug meinen Quartettisten, die zum Schluß baldigst wiederzukommen und sich wie mich mit den andern Quartetten Cherubini's bekannt zu machen unter sich beschlossen, wo dann der neue Leser neue Mittheilungen zu erwarten hat. –
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W. H. Veit, zweites Quartett für 2 Violinen, Bratsche und Violoncello (E dur, Werk 5). J. F. E. Sobolewski, Trio für Pianoforte, Violine und Violoncello (As dur, Manuscript). Leopold Fuchs, Quintett für 2 Violinen, 2 Bratschen und Violoncello (Es dur, Werk 11).
Unsere dritte Zusammenkunft erhielt durch Theilnahme eines Clavieristen und Bratschisten, die zur Aufführung eines Claviertrios und eines Quintetts nöthig waren, einen ganz besondern Glanz. Und nicht ohne meine Gründe drang ich auf solche Abwechselung. Will doch auch der Genuß des Schönen sein Maaß, wie ich mich denn leichter entschließen möchte, eine Strauß-Lanner'sche Ballmusik-Nacht zu durchleben, als eine, wo Nichts als Beethoven'sche Symphonieen aufgeführt würden, wo uns die Töne zuletzt wundsaugen müßten. Auch zum Anhören allein dreier Quartette gehört Frische, wenn nicht besondere Theilnahme an der Composition. Componisten pflegen schon nach dem ersten fortzugehen, Recensenten nach dem zweiten; brave Dilettanten allein halten etwa das dritte aus, wie mir einmal Einer erzählte, daß er, einstmals ein Vierteljahr von aller Musik abgeschnitten, im Heißhunger nach Musik in der Stadt, die ihn befriedigen konnte, drei Tage vom Morgen bis Abend Quartetten gespielt; »freilich«, fügte er hinzu, »spiele er selbst ein wenig, zweite Violine nämlich«. – Und so bestand ich darauf, daß wir auch dem Quartette Verwandtes mit in's Spiel ziehen möchten; ja man kann nicht wissen, ob nicht, umgekehrt wie in der bekannten Haydn'schen Symphonie, nach und nach Instrument nach Instrument hinzutritt, ob nicht aus dem kleinen Kleeblatt ein ganzes zur Symphonie gerüstetes Orchester herauswächst. Begnügen wir uns vor der Hand, zumal wir heute den Leser mit einigen erfreulichen Neuigkeiten bekannt zu machen haben.
Einige deutsche Städte zeichnen sich dadurch aus, daß sie nur wenig von ihren einheimischen Talenten wissen wollen; andere loben blos, wenn es gegen andere Städte sich zusammenzurotten gilt; dritte endlich wissen von den Talenten ihrer Söhne und Töchter nicht genug zu reden. Zu den letzteren gehört vielleicht Prag; man lese einen Bericht aus dieser Stadt, welchen man wolle, so findet man der eingebornen Künstler immer mit der größten Achtung, mit wahrhaft mütterlicher Begeisterung gedacht. Gewiß wird man so auch dem oben zuerst angeführten Namen begegnet sein. Und wie schon das Feld, auf dem sich der junge Componist bereits mehrmals gezeigt, einen Beweis seines seltneren Strebens im Voraus abgibt, so hörte ich, wie man überhaupt jedes sollte, auch dieses Musikwerk mit günstigstem Vorurtheil. Die Partitur ließ mich das Gespinnst noch leichter durchblicken, um so mehr sie äußerst sauber, von einer gebildeten Musikerhand geschrieben war.
Es weht nun durch das ganze Quartett ein heiterer zufriedener Ton; tiefe und trübe Erfahrungen scheinen dem jungen Künstler fremd geblieben zu sein; er steht noch im Aufgang des Lebens, die Musik ist ihm eine treue Freundin; ein leichter Glanz liegt über dem Werke. Im Bau zeichnet es sich durch nichts Besonderes aus, nicht durch Kühnheit oder Neuheit; es ist aber regelrecht und anscheinend mit schon vielgeübter Hand zu Ende gebracht. Die Harmonieführung des Ganzen, wie die einzelne der Stimmen muß man vorzüglich loben; correcter, klarer und reinlicher wird selten ein fünftes Opus geschrieben. Aus der Art, wie der Componist die Saiteninstrumente behandelt, ergibt sich, daß er sie genau kennt und selbst viel gespielt hat. Lesern, denen das Werk nicht zur Hand ist, möchte ich es als der Onslow'schen Quartettweise am nächsten stehend charakterisiren; einzelne Spohr'sche Anklänge sind Gemeingut worden; fremdartiger fallen einige Auber'sche Gänge auf. Am meisten wollte mir, neben dem Scherzo, der erste Satz zusagen, in welchem mir nur der Rückgang in der Mitte zu weitschweifig, zu wenig interessant erscheint, auch das noch zu erwähnen, daß in der vorhergehenden Verarbeitung schon einmal die vollkommene Molltonart (E moll) berührt wird, eine Harmoniefolge, die man in den Musterwerken fast durchgängig vermieden findet. Doch sind das wenig oder gar nicht störende Einzelnheiten, die bei der überwiegenden Güte des ganzen Satzes kaum in Anschlag zu bringen sind. Das Adagio wollte mir schon etwas eintönig werden, als gerade zur rechten Zeit der Componist den Hauptgesang im veränderten, aufregenden Charakter brachte; dies entschied für den Satz. Der erste Theil des Scherzo ist excellent, kunstvoll und mit Fleiß ausgearbeitet; das Trio etwas weichlicher. Der letzte Satz mochte mich am wenigsten befriedigen. Ich weiß, auch die besten Meister schließen ähnlich, ich meine in lustiger Rondoweise. Hätte ich aber ein Werk mit Kraft und Ernst angefaßt, so wünschte ich es auch im ähnlichen Sinn geschlossen, und nicht mit einem Rondo, dessen Thema hier zumal stark an ein bekanntes von Auber erinnert. In der Mitte sucht der Componist durch einige fugirte Stücke zu interessiren (wo ihn strengste Theoretiker auf die falschen Eintritte des Comes aufmerksam machen würden), aber auch dieser Art der Arbeit, die sich nicht bis über die ersten Quinteneintritte hinauswagt und höchstens Dilettanten in ein gelehrtes Staunen versetzen will, hab' ich niemals große Bedeutung abgewinnen können. Hübsch bleibt der Satz demungeachtet, ja öffentlich gespielt wird gerade er gefallen. Und so strebe der Componist fort und fort, suche sich wohl auch neue Bahnen; er hat das Seinige gelernt und wird auch auf größerem Kampfplatze mit Ehren bestehen.
Das Nächste, was wir spielten, war das obengenannte Trio von J. F. E. Sobolewski, und hier muß sich der Leser ganz auf uns verlassen, da es noch Manuscript. Daher nur das Wenige: es ließe sich Viel darüber sagen. Der Componist lebt im Norden an der Meeresküste und seine Musik zeugt davon. Das Trio ist anders als alle andern, eigen in Form und Geist, voll tiefer Melodie; es will oft gehört sein und gut gespielt. Dennoch vermag es keine Totalwirkung hervorzubringen, wie mir das Ganze auch in einer Krisis entstanden scheint, in einem Kampf zwischen alter und neuer Musikdenkweise. Auch ist der Componist auf dem Clavier nicht auf seinem Instrumente und schreibt »undankbar« genug, wie mein Clavierist meinte. Ueber die ganze Talenthöhe des Componisten nach dem einzigen Trio abzuurtheilen, wäre voreilig, zumal es auch schon vor längerer Zeit geschrieben, seitdem er vieles Größere (so ein Oratorium »Lazarus«, Cantaten u. A.) zu Tage gefördert Seit dieser Zeit hat er sich namentlich als dramatischer Componist Namen gemacht. (Zusatz v. 1852.). Doppelte Achtung dem Kritiker, als welcher er uns bis jetzt am öftersten begegnet, daß er auch ein Dichter ist.
Mit Freuden gingen wir alsbald an das Quintett von L. Fuchs, von dessen Compositionen wir schon am ersten Quartettmorgen kennen gelernt und bereits in der Zeitschrift berichtet. In das Detail vermag ich leider nicht einzugehen, da mir keine Partitur zur Hand und seit jenem Morgen der Aufführung bis jetzt einige Zeit verflossen, so daß nur noch der allgemeine Eindruck, die heitere Stimmung, in die es uns versetzte, geblieben ist. Man sollte kaum glauben, wie die einzige hinzukommende Bratsche die Wirkung der Saiteninstrumente, wie sie sich im Quartett äußert, auf einmal verändert, wie der Charakter des Quintetts ein ganz anderer ist, als der des Quartetts. Die Mitteltinten haben mehr Kraft und Leben; die einzelnen Stimmen wirken mehr als Massen zusammen; hat man im Quartett vier einzelne Menschen gehört, so glaubt man jetzt eine Versammlung vor sich zu haben. Hier kann sich nun ein tüchtiger Harmoniker, als den wir den Componisten kennen, nach Herzenslust ergehen und die Stimmen in- und auseinanderwinden und zeigen, was er kann. Die Sätze sind einer wie der andere vortrefflich, das Scherzo namentlich und dann der erste Satz. Vom Einzelnen wird man überrascht, als ob man aus dem Munde eines schlichtgekleideten Bürgermannes plötzlich einen Vers von Goethe oder Schiller hörte; man sah es meinem fortbrausenden Quintett an, wie ihm die Sache gefiel, mit der man sich allerwärts bekannt machen wolle. –
Denk' ich nun freilich an die höchste Art der Musik, wie sie uns Bach und Beethoven in einzelnen Schöpfungen gegeben, sprech' ich von seltenen Seelenzuständen, die mir der Künstler offenbaren soll, verlang' ich, daß er mich mit jedem seiner Werke einen Schritt weiter führe im Geisterreich der Kunst, verlang' ich mit einem Worte poetische Tiefe und Neuheit überall, im Einzelnen wie im Ganzen: so müßte ich lange suchen, und auch keines der erwähnten, der meisten erscheinenden Werke genügten mir. Da hörten wir in den folgenden Quartett-Morgen Mehres von der Musik eines jungen Mannes, von der mir schien, sie käme zuweilen aus lebendiger Geniustiefe; doch fordert dieser Ausspruch vielfache Einschränkung, wovon wie über die ganze Erscheinung in einem der nächsten Blätter.
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So viel sich aus diesen mehr geheimen Musiksitzungen für die Oeffentlichkeit schickt, mag hier in Kürze folgen. Geheim nenn' ich sie, weil darin nur Manuscripte eines als Componist gänzlich unbekannten jungen Musikers, Hermann Hirschbach, gespielt wurden. Als Schriftsteller hat derselbe durch das Vordringende und Kecke seiner Ansichten, wie er sie in einigen Aufsätzen der Zeitschrift ausgesprochen, gewiß schon die Aufmerksamkeit des Lesers auf sich gelenkt. Durch solche Aussprüche gereizt mußte ich wohl das Außerordentlichste von ihm als Componisten fordern können, wenn ich mich auch gleich vornherein auf Verstandescalculationen gefaßt machte. Nicht ohne tiefe Theilnahme gedenk' ich seiner Compositionen und möchte mich in der Erinnerung stundenlang hineinvertiefen, dem Leser davon vorzusprechen. Vielleicht auch, daß das Doppelgängerische seiner Compositionsrichtung mit meiner eigenen (die Welt kennt sie schwerlich) gerade mich für seine Musik empfänglich machten, sie mir rasch enthüllten. So viel weiß ich aber, daß es das bedeutendste Streben, das ich unter jüngeren Talenten seit lange angetroffen. Die Worte suchen's vergeblich, wie seine Musik gestaltet ist, was Alles sie schildert; seine Musik ist selbst Sprache, wie etwa die Blumen zu uns sprechen, wie sich Augen die geheimnißvollsten Mährchen erzählen, wie verwandte Geister über Flächen Landes mit einander verkehren können; Seelensprache, wahrstes Musikleben. Es waren drei große Quartetten und ein Quintett, die wir hörten, sämmtlich mit Stellen aus Goethe's Faust überschrieben, mehr zum Schmuck als zur Erklärung, da die Musik an sich deutlich genug; ein sehnsüchtiges Drängen war's, ein Rufen wie nach Rettung, ein immerwährendes Fortstürzen, und dazwischen selige Gestalten, goldene Matten und rosige Abendwolken; ich möchte nicht gern zu viel sagen: aber der Componist schien mir in Augenblicken oft selbst jener Schwarzkünstler Faust, wie er uns sein Leben in schwebenden Umrissen der Phantasie vorüberführt. Außerdem sah ich von ihm eine Ouverture zu Hamlet, eine große Symphonie in vielen Sätzen, eine zweite bis in die Mitte vorgerückte, die in einem Athem hintereinander fortgehen soll, sämmtlich gleich phantastisch, lebenskräftig, in den Formen abweichend von allen bisher bekannten, wenn ich Berlioz ausnehme, mit einzelnen Orchesterstellen, wie man sie nur von Beethoven zu hören gewohnt, wenn er gegen die ganze Welt zu Felde ziehen und vernichten möchte. Und jetzt kommt mein »Aber«. Wie bei erster Betrachtung uns oft Bilder junger genievoller Maler durch die Großheit der Composition (auch der äußerlichen), durch Reichthum und Wahrheit des Colorits etc. völlig einnehmen, daß wir nur staunen und das einzelne Falsche, Verzeichnete etc. übersehen, so auch hier. Beim zweitenmal Anhören fingen mich schon einzelne Stellen zu quälen an, Stellen, in denen, ich will nicht sagen, gegen die ersten Regeln der Schule, sondern geradezu gegen das Gehör, gegen die natürlichen Gesetze der Harmoniefolgen gesündigt war. Dahin zähle ich nicht sowohl Quinten etc., als gewisse Ausgänge des Basses, Ausweichungen, wie wir sie oft von Weniggeübten anhören müssen. Solches wollte nun auch meinen Musikern nicht in den Kopf. Es gibt nämlich ein gewisses Herkömmlich-Meisterliches (bei Cadenzen etc.), das von der Natur anbefohlen scheint, und gründet sich darauf ein gewisser musikalischer hausbackener Verstand, der den Musikern von Profession fast durchgängig eigen. Verstößt der junge Componist gegen diesen, und wäre er noch so geistreich, so soll er nur sehen, wie sich jene vor ihm zurückziehen, ihn gar nicht wie zu den Ihrigen gehörend betrachten. Woher nun dieser Mangel an feinem Gehör, an richtiger Harmonieführung bei übrigens so großer Begabtheit, – ob der Componist vielleicht erst spät auf sein Talent aufmerksam, zu früh der Schule entnommen worden, – ob er in seiner Gedankenfülle, im Beherrschtwerden von einer meistens sehr tiefen, sinnigen Hauptmelodie der hohen Stimme die andern nicht gleichzeitig erfindet, oder ob das Gehörorgan wirklich fehlerhaft, – ist eine ebenso große Frage, als ob dem noch abzuhelfen sei. Die Welt bekömmt vielleicht nichts von diesen Arbeiten zu sehen; wenigstens würde ich, aufrichtig gefragt, ihre Herausgabe nur mit Bitte mancher Aenderung, der Ausscheidung ganzer Sätze gestatten. Dies sei denn dem Componisten anheim gestellt. Hier galt es nur auf ein Talent aufmerksam zu machen, dem ich keines der neueren mir bekannten an die Seite zu setzen wüßte, dessen den tiefsten Seelenkräften entsprungene Musik mich oft im Innersten ergriffen.
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Leon de St. Lubin, erstes großes Quintett für 2 Violinen, 2 Bratschen und Violoncell. (Es dur, Werk 38.)
L. Cherubini, Quartett für 2 Violinen, Bratsche und Violoncell. Nr. II. (C dur.)
Den erstgenannten Componisten halte ich auch nach seiner Musik für einen Emigrirten, für einen, der sein Vaterland, sei's nun freiwillig oder gezwungen, verlassen, sich ein neues Vaterland gesucht und von dessen Sitten und Sprache angenommen. Sein Quintett ist ein Gemisch von französischem und deutschem Geblüt, nicht unähnlich der Muse Meyerbeer's, der freilich von allen europäischen Nationen borgt zu seinem Kunstwerke, von dem man gar nicht wissen kann, was er Alles mitbringt, wenn er, ähnlich wie Ritter Spontini Compositions-Kunstreisen nach England, dergleichen etwa zu den Buschmännern unternimmt, sich zu neuen Schöpfungen zu begeistern und Andere durch selbige. Ich aber lobe mir meine Muttersprache, rein gesprochen, jeden Ausdrucks fähig, kräftig und klangvoll, wenn ich deshalb auch den eingewanderten Ausländer, wie St. Lubin, nicht schelten mag, der ihrer noch nicht vollkommen mächtig, und im Gegentheil schon sein Streben ehre. Von einem erhebenden Totaleindruck hinterließ somit das Quintett Nichts; man wurde hin- und hergezogen, konnte nirgends Fuß fassen. Am meisten auffallend zeigt sich der Mangel an Originalerfindung; was uns inniger ergreifen soll, scheint mir entlehnt oder läßt sich wenigstens auf Vorbilder zurückführen; und wo der Componist sich selbst gibt, wird er vag und allgemein. So ist gleich der Anfang im Grund der der G moll-Symphonie von Mozart: so liegt dem ersten Thema des letzten Satzes ein Rossini'scher Gedanke (aus Tell), so dem zweiten ein Beethoven'scher (aus der A dur-Symphonie) zum Grunde. Im Scherzo wüßte ich keine Quelle nachzuweisen; es ist aber auch nicht bedeutend. Im Adagio wurde mir aber am meisten klar, woran es dem Componisten gebricht; hier, wo der Meister den Vorrath und Reichthum innern Lebens am ersten aufdecken kann, sah es traurig still. Andererseits bekundet das Quintett eine leichte schnelle Feder, Formensinn und Harmonieenkenntniß. Immerhin war mir, nachdem ich es gehört, zu Muthe, als sollt' ich ausrufen: »Musik, Musik, gebt mir Musik«.
Das nächste Musikstück traf uns somit in etwas erkälteter Stimmung; aber als von der Hand Cherubini's umstrickte es uns, daß wir schnell des vorhergegangenen vergaßen. Es scheint mir dies zweite Quartett lange vor dem ersten derselben Sammlung geschrieben, und vielleicht gar die Symphonie, die, wenn ich nicht irre, bei ihrer ersten Aufführung in Wien so wenig gefiel, daß sie Cherubini nicht veröffentlichte und sie später in ein Quartett umgewandelt haben soll. So ist denn vielleicht der umgekehrte Fehler entstanden: klang die Musik nämlich als Symphonie zu quartettartig, so klingt sie als Quartett zu symphonistisch, wie ich denn aller solcher Umschmelzung abhold bin, was mir wie ein Vergehen gegen die göttliche erste Eingebung vorkömmt. Den frühern Ursprung möcht' ich am Unverzierteren erkennen, das Cherubini's ältere Compositionen vor seinen neueren auszeichnet. Freilich bin ich geschlagen, träte der Meister selbst heran und sagte: »Du irrst, Freund: beide Quartette sind zu nämlicher Zeit geschrieben und ursprünglich nichts Anderes als Quartette«. Und so kann, was ich bemerkt, nur Vermuthung bleiben und soll Andere zum Ueberdenken anreizen. Im Uebrigen erhebt sich auch diese Arbeit hoch genug über die Zahl der Tageserscheinungen, über Alles, was uns von Paris aus zugeschickt wird; und Einer, der nicht lange Jahre hintereinander geschrieben, gelernt und gedacht, wird so etwas auch nie zu Stande bringen können. Einzelne trocknere Tactreihen, Stellen, wo nur der Verstand gearbeitet, finden sich wie in den meisten Werken Cherubini's so auch hier, selbst aber auch dann noch etwas Interessantes, sei's im Satz, eine contrapunktische Feinheit, eine Nachahmung; etwas, was zu denken gibt. Meisten Schwung und meisterliches Leben tragen wohl das Scherzo und der letzte Satz in sich. Das Adagio hat einen höchst eigenthümlichen A moll-Charakter, etwas Romanzenartiges, Provençalisches; bei öfterem Anhören erschließt es sich mehr und mehr in seinen Reizen: der Schluß davon ist der Art, daß man wieder wie von Neuem aufzuhorchen anfängt und doch das Ende nahe weiß. Im ersten Satz treffen wir Anklänge an Beethoven's B dur-Symphonie, eine Nachahmung zwischen Bratsche und Violine, wie in jener Symphonie eine zwischen Fagott und Clarinette, und bei dem Haupt-Rückgang in der Mitte dieselbe Figur, wie an demselben Ort in dem nämlichen Satz der Symphonie von Beethoven. Im Charakter sind die Sätze aber so verschieden, daß die Aehnlichkeit nur Wenigen auffallen wird.
Zum Schluß dieses Musik-Morgens machten wir uns an ein im Manuscript zugeschicktes Quartett. Die erst ernsthaften Gesichter nahmen nach und nach einen Ausdruck von Ironie an, bis endlich Alles in ein fortwährendes Kichern gerieth und sämmtliche Musiker mit springenden Bogen zu spielen schienen. Ein Goliath von einem Philister starrte uns an aus dem Quartett. Wir wüßten dem Componisten, der übrigens sein Werk nach Kräften ausstaffirt, Nichts zu rathen, und danken schließlich für den guten Humor, in den er die Gesellschaft versetzt.
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Antoinette Pesadori, Einleitung und Rondo. – Const. Decker, Rondo. W.11. – C. Krebs, Einleitung und Rondo. W. 40. – F. A. Reißiger, 3 Rondino's. W. 22. – A. Hesse, zweites Rondo. W. 43. – C. Haslinger, die Luftschiffer, Rondo. W. 11. – F. W. Grund, Einleitung und Rondo. W. 25.
Aus vielen Gründen componirt man, – der Unsterblichkeit halber, – oder weil gerade der Flügel offen steht, – um ein Millionär zu werden, – auch weil Freunde loben, – oder weil Einen ein schönes Auge angesehen, – oder auch aus gar keinem. Seh' ich recht, so entstand das erste der obigen Rondo's aus dem vierten Grunde, es ist eine vollkommene Damenarbeit, ein Ruhekissen, eine Brieftasche: von Musik ist nur nebenbei die Rede. Was Hrn. Decker zur Composition und Herausgabe seines Rondo's veranlaßt, scheint ebenfalls zu errathen; seine Schüler sind's. Baten wir ihn schon in der letzten Sonatenschau, nicht gar zu trocken zu dociren, so wiederholen wir dies heute; man kann schon einmal einen Septimenaccord anbringen und etwas Phantasie; wir leben nicht mehr vor 30 Jahren. Durch gewisse Componisten seh' ich aber wie durch Fensterglas. Das folgende Rondo hat sich mit allen Schönheitsmitteln einer Coquette angethan, und doch, blickt man ihr in's herzlose Auge, wischt man die Schminke weg, spricht man vollends mit ihr und merkt, wie die eine Hälfte der Unterhaltung affectirt, die andere fad, und das Ganze aus Clauren oder Kotzebue entlehnt ist, so verdrießt Einen all' die Zärtlichkeit, mit der sie bestricken will, der nutzlos verschwendete Putz, das Vornehmthun bei angeborner Gewöhnlichkeit. Nimmt man es aber mit Rondo's nicht so genau, übersieht man dies und jenes, ist man ein Feind von Melodie und vergißt, daß Hummel auch eins in A geschrieben, so wüßte ich nicht, warum das Rondo des Hrn. Krebs nicht dem Besten anzureihen wäre, was Czerny und Kalkbrenner in ihrer letzten Blüthenzeit geschrieben, und warum es nicht zu empfehlen. – Der Componist der folgenden Rondo's ist nicht der Dresdener Capellmeister, hat aber manches Charakterverwandte und namentlich Leichtigkeit in Erfindung hübscher Melodieen mit diesem gemein. Auf den ersten Seiten geht es daher immer flink vom Zeug; im Verlauf des Stückes verfitzt er sich aber meistens in den Tonarten, und so ist keins der Rondo's fertig, ein Ganzes worden. Z. B. im ersten kömmt das D moll zu früh, das C dur, wo man F dur erwartete, das F dur (S. 3), wo man in C dur bleiben wollte, das A dur ebenfalls wenig vorbereitet, von B dur gar nicht zu reden, das besser ein ganz neues Rondo angefangen hätte. Es scheint, der Componist will zu viel anbringen, einen brillanten Passagensatz, eine Cantilene, einen Mittelsatz mit Arbeit etc., und so erdrückt eins das andere in so kleinem Raum. Gerade, was Symmetrie der Form und Klarheit des harmonischen Baues betrifft, kann er noch von seinem Namensbruder lernen.
Das Rondo des Hrn. Hesse schwankt zwischen Capriccio-, Mazurken- und Rondocharakter und wirkt daher auch nicht entschieden. Offenbar soll es ein Gesellschaftsstück sein; doch hab' ich dem Componisten nie große Erfolge im Salon prophezeit; er schreibt dazu zu gut und andererseits zu schwerfällig. Im Uebrigen versteht es sich, daß das Stück harmonisch interessant, gut abgerundet und durchdachter ist, als zwanzig der neuesten Pariser Modearbeiten.
Im Rondo von Hrn. Haslinger findet man viel artige Einfälle, leichtes, lustiges Wesen, kurz, was es sein soll, eine Luftfahrt, wo Niemand den Finger bricht, geschweige Anderes. Ordentliche musikalische Schriftsteller werden das Stück zu schildern suchen und wie (B dur, 4/4 Tact, Andante) das Publicum gespannt sei und der Ballon gefüllt werde, bis er endlich (im Allegro con moto) über die nachsehenden Köpfe auffliege, während ich lieber auf den hübschen gelenken Bau, leichten Fluß und die guten Rhythmen aufmerksam mache und manchen doppelten Contrapunkt dafür hingebe.
Einen tüchtigen Künstler, wie Hr. Grund, erkennt man überall, und wär's an einzelnen Tacten, wie sie in seinem Rondo auf S. 2, Syst. 3, im Anfang von S. 4 oder S. 5, Syst. 3 von Tact 2 an vorkommen. Aber das ganze Rondo zeigt die feste Hand, Gedanken und solide Bildung, wie man so selten findet. Der Cantilene in der Mitte hätte ich vielleicht eine bestimmtere Melodie gewünscht; im Uebrigen muß man es schön und gut heißen. Warum schreibt der geschätzte Componist so wenig?
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Carl Czerny, die Schule des Fugenspiels und des Vortrags mehrstimmiger Sätze.
Werk 400.
Ein Fugenwerk von Czerny ist ein Ereigniß. Wir erleben's noch, daß er ein Oratorium schreibt, dachte ich bei mir, mit einiger Hast nach dem Hefte fahrend. Man kann ihm aber diesmal nichts anhaben, als daß er auf einmal des Guten zu viel will, zu viel zur Verbreitung classischen Sinnes beigetragen. Ich wenigstens würde meinen Schülern, die, nachdem sie zwei oder drei dieser Fugen gründlich studirt, nach mehr verlangten, sie ohne Gnade aus den Händen winden, nicht etwa weil die andern schlechter, sondern weil sie eben wie die ersten, über dieselbe Form gemacht sind, und weil es neben Czerny'schen auch noch andere gibt, Beethoven'sche, Händel'sche, der Bach'schen nicht zu gedenken. Frägt man nun, was man von seinen Fugen zu erwarten hat, so muß man sagen, es sind fließende, brillant und angenehm klingende, leicht und geschickt geformte Klangstücke, bei denen er sich mehr als gewöhnlich zusammengenommen, wenn auch auf sie nicht immer die Forderung jenes alten Meisters paßt, nach dem »der erste Theil einer Fuge zwar gut, der mittlere noch besser, der letzte aber vortrefflich sein müsse«. Das, worauf es ankommt, bleibt nun immer der Gedanke, der sich an die Spitze stellt. Da sucht denn Czerny nicht lange und nimmt oft geradezu Passagen, Tonleitern etc. zu Thema's. In der Mitte laufen nun freilich manchmal Tiraden und sogenannte Rosalien in Menge mit unter, indeß klingt und klappt es zusammen bis zum Schluß, wo sich unter einem Orgelpunkt die Stimmen noch in allerhand freundlich bekannten Gängen durchkreuzen. Tiefere Künste, eine Umkehrung des Themas ausgenommen in einigen, hat er sonst nicht angebracht, nicht einmal eine Augmentatio, was ihm die eigentlichen Fugenmacher übel auslegen werden. Noch muß als charakteristisch bemerkt werden, daß er den Stimmen nur selten Ruhe läßt und daß sie meistens alle vier auf einmal arbeiten. Bei Weitem werthvoller sind die die Fugen jedesmal einleitenden Präludien, ja einige der Art, daß Niemand auf Czerny als Componist rathen würde, so die Nummern 3, 4, 6, 8, 9, wenn auch in den meisten secundenlang eine mächtige Fadheit hindurchbricht, wovon ich nur Nr. 4 ausnehme, in der die bessere Natur einmal bis zum Schluß durchwaltet. Alles zusammengenommen, Czerny's Fugenwerk bleibt als Beitrag zur Geschichte des Verfassers immerhin bemerkenswerth; im ganzen Kreis der Erscheinungen ist es als eine unechte, halbwahre und gemachte Musik nicht anzuschlagen.
Es ist hier der Ort, auch der von Hrn. Czerny besorgten neuen Ausgabe des Bach'schen wohltemperirten Claviers zu erwähnen.
Czerny's Verdienst besteht dabei in einem Vorwort, in der Angabe des Fingersatzes, der Tempobezeichnung nach Mälzl, und Andeutungen über Charakter und Vortrag. Ersteres ist etwas kurz ausgefallen und flüchtig niedergeschrieben. An dies Werk aller Werke ließen sich wohl allerhand reiche Gedanken knüpfen. Was die Applicatur anlangt, so ist das Czerny's Fach, auf das er sich gut versteht; jeden einzelnen Finger haben wir natürlich nicht geprüft. In den Tempobezeichnungen und den Bemerkungen über Vortrag im Ganzen zu Anfang, und Schattirung im Verlauf des Stückes stimmen wir ziemlich zusammen; namentlich pflichten wir in letzter Hinsicht bei, da nichts langweiliger und Bach'schem Sinne zuwider, als die Fugen monoton abzuleiern und seine ganze Vortragskunst auf Hervorheben der Eintritte des Hauptgedankens zu beschränken. So eine Regel paßt für Schüler. Die meisten der Bach'schen Fugen sind aber Charakterstücke höchster Art, zum Theil wahrhaft poetische Gebilde, deren jedes seinen eigenen Ausdruck, seine besonderen Lichter und Schatten verlangt. Da reicht ein philiströses Merkenlassen des eintretenden Themas noch lange nicht aus.
Ein artiges Bild Bach's schmückt den Titel; er sieht wie ein Schulmeister, der eine Welt zu commandiren hat.
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Adolph Henselt, zwölf Etuden.
Werk 2.
Man kömmt mit Besprechung dieser Etuden recht eigentlich als fünftes Rad am Siegeswagen und hinterher; denn einmal waren sie schon vor ihrer Veröffentlichung in so Vieler Besitz, daß sie sich, wäre die Notenschrift noch nicht erfunden, wie die Homerischen Gedichte, von Mund zu Mund oder Hand in Hand fortvererbt hätten; jetzt aber, nachdem ihr Erscheinen bekannt, gibt es kaum einen guten Clavierspieler, der doch Jeder sein will, der sie sich nicht augenblicklich verschrieben und selbst studirt und geprüft. Neue Gedanken aufzubringen, wird somit freilich schwer sein, wie andererseits nichts leichter, als das Werk geradehin schön zu finden; denn es handelt sich bei ihm nur immer das Schönere herauszulesen, – von Mittelgut kann keine Rede sein.
So sind wir denn um ein treffliches Werk reicher und selten werden wohl die Meinungen über den Werth einer Erscheinung sich so ungetheilt aussprechen. Man müßte aber auch vergehen vor Unmuth, wenn im gemeinen Treiben und Rennen des Tages nicht plötzlich einmal wieder ein junger Held hervorträte, ein echter Vertreter künstlerischer Interessen, frisch und muthig seine Bahn dahinwandelnd. Auch darf er sich nicht über Gleichgültigkeit der Welt beschweren, so sehr greift das wahre Talent der Zeit gleich an Kopf und Fuß, und es sind ihm Ehren geschehen, deren sich kein Mozart zu schämen brauchte.
Der Grund nun dieses raschen Durchdringens liegt – in der anziehungskräftigsten Seite sittlichen und künstlerischen Charakters, – in der Liebenswürdigkeit unsers Helden. Seine Glieder bewegen sich frei und gefällig; sein Schwert blitzt und duftet zugleich, wie man es von den Damascenerklingen sagt; von seinem Haupte weht ein glänzender Helmbusch. So ist er mir, sah ich ihn am Clavier, auch oft wie ein Troubadour erschienen, der die Gemüther besänftigt in wilder, durcheinander geworfener Zeit, sie an die Einfachheit und Sittigkeit früherer Jahrhunderte mahnt und zu neuen Thaten ruft, und da stutzen wohl Mädchen und Jünglinge, wie er von Lied zu Lied weiter singt und kaum zu endigen weiß. Dabei vermag er aber auch den leidenschaftlicheren Naturen zu gefallen: seine Gesänge sind der innigsten Liebe und Hingebung voll, auch das Schicksal mag seine Hände nicht aus dem Spiel lassen und zwang ihn gleichsam zum Romantiker, sein ganzes Wesen ist in Liebe aufgegangen.
Wir erhalten so in seinem zweiten Werke zwölf Liebesgesänge, und mit goldener zierlicher Inschrift setzt er über jeden einzelnen den Inhalt seiner Schmerzen und Wonnen. Daß er dazu französische Worte wählte, möchte ich ihm einigermaßen verdenken, da keine Sprache so reich an Worten und Sprüchen der Liebe, als die deutsche, keine so Herzinniges, Treueigenes, Zartverhülltes aufzuweisen hat. Indessen mag auch dies als charakteristisch gelten, da das Galante, Chevalereske, sogar Männlich-Kokette, was unserm Sänger bei aller Herzlichkeit eigen, sich wohl nirgends besser ausnimmt als von französischen Lippen. Hier einige zur Probe:
Pensez un peu à moi,
Qui pense toujours à vous!
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Si oiseau j'étais,
A toi je volerais.
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C'est la jeunesse qui a des aîles dorées.
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In solchen und ähnlichen Empfindungen bewegen sich denn auch die andern Stücke, und es mag derlei wohl schon geistvoller, versteckter, tiefsinniger ausgesprochen worden sein, so zum Herzen sprechend, unverstellt und anmuthig aber gewiß nicht. Wir kommen so dem Charakter unseres Helden näher, und wie einem solchen gerade eine Kunst zusagen müsse, die Kunst der Herzenssprache vor allen andern, unsere geliebte Musik. Habe man nur ein rechtes Herz, Einiges gelernt und singe dann lustig wie der Vogel auf den Zweigen, und es wird Musik, die wahrste herauskommen. Was hilft da alles Absichteln, Abquälen! Wem die Liebe fehlt, fehlt auch die Musik, und die Glocke muß in der Freie schweben, soll sie erklingen. Also die Liebe ist unsers Sängers Thema und er macht gar kein Hehl daraus und singt's bis in die tiefe Nacht. Darum hören wir auch nur ihn immer, nur das, was gerade ihn bewegt Sollte diese Ansicht dem oben Ausgesprochenen, wo wir H. einen Troubadour nannten, zu widersprechen scheinen, so bemerken wir, daß sich jenes Bild mehr auf die Art seines Vortrags bezieht.; er will sonst nichts außer sich, nichts Außerordentliches vorstellen; er singt von sich und wir müssen's hören.
Also herrscht denn auch die Melodie der einzelnen Stimme beinahe in sämmtlichen seiner Liebesstudien über die andern, nicht gerade zufälligen, aber auch nicht nothwendigen vor; ja es ließen sich viele vom Anfang bis Ende einstimmig aufzeichnen und man würde den Schmuck der Harmonie von selbst dazu finden. Dieser Einzel-Gesang erscheint aber so aus dem Kern in's Ganze gewachsen, hat eine solche Fülle im einzelnen Ton, wie in der Masse eine Rundung und Wucht, daß man, ohne zu brechen, kaum daran zu biegen wagen darf. Finden sich doch selbst in den Melodieengängen guter Meister kleine Risse, Sprünge, manches Widerhaarige, das sich zum Vortheil ändern ließe; in den ganzen Etuden aber wüßte ich, höchstens zwei bis drei kleine Stellen ausgenommen, keine Note anders zu richten, als sie dasteht.
Und hierin hat seine Cantilene in der That Aehnlichkeit mit der Gluck's, wie denn auch die Widersprüche der Zeiten einige Aehnlichkeiten aufzeigen könnten, und, wenn man dem einfach grandiosen Styl Gluck's den kühn labyrinthischen Sebastian Bach's entgegen stellte, man im engen Bezirk der Claviermusik die klare Weise Henselt's der verschleierten Chopin's gegenübersetzen müßte. Damit sei nun aber nicht ausgesprochen, Gluck habe die Musik höher gebracht, oder Henselt ließe Chopin hinter sich zurück. Da müßte Henselt die Brust verleugnen, an der er selbst getrunken, da müßte man Chopin nicht kennen in seiner um so viel zärteren Schwärmerei, seiner götterleichten Beweglichkeit, seiner ganzen unendlich feineren Organisation. Ja, viele der Henselt'schen Etuden würden ohne den Vorgang Chopin's gar nicht da sein. Dies beiläufig, um einer Undankbarkeit zu begegnen.
Henselt's reizende Melodieen werden's aber nun vollends durch das heimliche Figurenwerk, in das er jene versteckt; reiche Früchte aus grüner Zweig- und Blätterfülle herausquellend. Und hier müssen wir uns namentlich seines sorgsamen Fleißes erfreuen, mit dem er (aber nicht in melodischem Betracht, sondern im ausfüllenden harmonischen) die Bässe und Mittelstimmen behandelt, die Gewissenhaftigkeit, mit der er Alles anordnet, daß sich das Ganze vortheilhaft ausnehme und dabei das Einzelne sich fein und gehörig unterscheide. Namentlich ist ihm eine Figur eigen, deren erste Wurzel ich in der in diesem Hefte leider nicht enthaltenen Etude in H dur zu erkennen glaube, und die er zu wiederholten Malen anwendet und immer äußerst wohlklingend.
Höre man dies nun Alles von ihm selbst, wenn er sich zu guter Stunde manchmal an's Clavier setzt (er behauptet zuweilen, er wäre der elendeste Spieler), ordentlich hineinwachsend in sein Instrument und Eins mit ihm werdend, Ort und Zeit vergessend, unbekümmert ob Künstler oder Fürsten neben ihm stehen, wie er dann wohl auch plötzlich laut aufsingt, unverwüstlich und sich steigernd bis zum Schlußaccord und dann wieder von vorn anfangend, und man wird ihn einen gottbeseelten Sänger nennen müssen. Da fühlt man den Finger des Genius.
Mannichfache Betrachtungen ließen sich noch an die Erscheinung dieses gelobten Künstlers knüpfen: – die freudigsten, da er, um zu schaffen, nur die Hand auf die Tasten zu legen braucht, – auch einige bedenkliche, da andererseits das Aufenthaltlose, Zerstreuende des Virtuosenlebens dem höhern Forschen und Schaffen Eintrag thut, zu dem Glück und tiefste Einsamkeit gehört. Doch steht er noch im ersten Glanz der Jugend, und so hoffen wir ihm bald wieder zu begegnen, wo wir uns über manches heute Zurückgehaltene noch des Bessern auszusprechen gedenken.
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C. V. Alkan, drei große Etuden.
Werk 15.
Der Geschmack dieses Neufranken ist nach einem flüchtigen Blick in das Heft zu erkennen und schmeckt sehr nach Eugene Sue und G. Sand. Man erschrickt vor solcher Unkunst und Unnatur. Liszt carrikirt wenigstens mit Geist; Berlioz zeigt trotz allen Verirrungen hier und da ein menschliches Herz, ist ein Wüstling voll Kraft und Keckheit; hier aber finden wir fast Nichts als Schwäche und phantasielose Gemeinheit. Die Etuden haben Ueberschriften: » Aime-moi, le Vent« und » Morte«, und zeichnen sich auf ihren sämmtlichen 50 Seiten dadurch aus, daß sie nur Noten ohne alle Vortragsbemerkung enthalten; die Caprice möchte nicht getadelt werden, zumal man ohnedies weiß, wie solche Musik am besten vorzutragen; aber die innere Leerheit prunkt, und auch noch mit äußerer, und was bleibt übrig? Im » Aime-moi« eine wässerige französische Melodie mit einem Mittelsatz, der gar nicht zur Ueberschrift paßt, im » Vent« ein chromatisches Geheule über einen Gedanken aus der A dur-Symphonie von Beethoven, und im letzten Stück eine widerwärtige Oede, wo Nichts als Holz und Stecken und Sünderstrick, das letztere noch dazu aus Berlioz entlehnt. Wir beschützen das verirrte Talent, ist nur überhaupt welches da, bleibt nur etwas Musik übrig; wo aber jenes eben noch zweifelhaft und von dieser nichts zu erblicken als Schwarz hinter Schwarz, müssen wir uns unmuthig abwenden. –
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Eduard Franck, zwölf Studien. Zwei Hefte.
Das erste gedruckte Werk eines noch sehr jungen Musikers, der sich auf dem Titel als einen Schüler Mendelssohn's einführt; das letztere ließe sich sogar errathen und sich an vielen der Etuden die Quelle bezeichnen, an welcher der Schüler vielleicht ohne sein Wissen und Wollen geschöpft hat, wie es im Umgang mit solch' umstrickendem Meister sogar natürlich erscheint. Es sind somit mehr Studien für den Autor selbst, wie der Maler seine Entwürfe ja auch Studien nennt, als sie es für Andere sein können, die sich lieber gleich an das Original halten. Die meiste Bildungskraft und Eigenthümlichkeit scheint mir in der ersten Nummer des zweiten Heftes und der letzten des ersten zu liegen; jene muß man geradezu trefflich und gelungen heißen: im letzten Drittel des Satzes geht es sogar, Florestan'isch zu reden, »über die Dächer«, d. h. in's höhere, feinere Element; die andere erhebt sich ebenfalls freier und selbstständiger und hat Kraft und Saft. In den meisten andern aber vermisse ich die Spitze, oder, will man, da der Künstler überhaupt mehr in die Tiefe als in die Höhe strebt, den Schwerpunkt, der Einen nachzöge; man ist fertig, ehe man sich's versieht, es ist zu nichts Entscheidendem gekommen, man verlangt mehr nach der ersten Anlage, die einen größeren Inhalt erwarten ließ. Im Ganzen muß aber der Ernst der Ansicht, der sich in diesen Skizzen durchgängig offenbart, die Kunstmäßigkeit des Satzes, die Leichtigkeit der Combination, wie man sie bei jungen Künstlern in solchem Grad nur selten antreffen wird, mit den freudigsten Hoffnungen für die Zukunft des Componisten erfüllen, wie sie gewiß ein sicheres Zeugniß des Fleißes geben, mit dem er in die Geheimnisse der tieferen deutschen Kunst eingedrungen. Mit dem letzteren meinen wir nicht sowohl die Fuge, die wir sogar unterdrückt wünschten, als die kleinen Wendungen oft (bei Rückgängen in den Anfang etc.), an denen das Studium der Muster zu erkennen ist, zu deren Höhe sich der junge Künstler mit der Zeit selbst aufarbeiten möge.
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C. E. F. Weyse, vier Etuden.
Werk 60.
Von einem frühern Etudenwerk desselben norddeutschen Componisten war schon in einem ältern Bande der Zeitschrift die Rede und dort des Lobes genug gesagt. Gestehe ich, daß mir das neue zurückzustehen scheint gegen jenes. Wer bis zur Eigenthümlichkeit durchgebrochen, wird sie nie wieder verleugnen können, wenn er nicht geradezu Jahre lang feiert; und so auch hier. Aber über das eine Werk waltet mehr Segen, als über das andere, und diese Ruhe und Zufriedenheit, die uns nach dem Genuß des in Weihe empfangenen Kunstwerkes erfüllt, ist mir bei diesen neuen Tonstücken nicht zu Theil worden. Merkwürdig an ihnen erscheint das Auflehnen gegen die enge Form, daher sie sich oft in das Gebiet der phantastischeren Caprice verlieren und nur mißmuthig wieder in das Gleis einlenken. Etwas Aehnliches bemerkten wir schon bei dem früheren Hefte; doch geschah es dort nicht mit Aufopferung der schönen Form, die wir einmal von der Etude fordern müssen, und auch nicht mit Hintansetzung eines klar ausgeprägten mechanischen Zweckes, wie wir ebenfalls von dieser Compositionsgattung verlangen dürfen. Wie dem sei, so haben diese Musikstücke doch so viele eigene und kühne Züge aufzuweisen und unterscheiden sich scharf genug von allen andern Etuden, daß sie sich Spieler, denen es an Kenntniß des ganzen Reichthums der Gattung wie an Vielseitigkeit der Bildung liegt, allerdings ansehen müssen. Besondere Auszeichnung verdient die letzte; ein düsteres Bild, wie das eines Meisters, der seine Leiden durch Töne bannen will, großen Ausdrucks voll.
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Charakteristische Studien für das Pianoforte von J. Moscheles.
Werk 95.
Die späteren Etudenwerke der bekannteren Etudenschreiber haben, wie uns die Erfahrung sagt, sich nicht die Gunst und den Einfluß erringen können, als ihre früheren. Von denen von Cramer kennen nur Wenige, was er außer seinen zwei ersten Heften geliefert; ebenso von denen von L. Berger, Weyse, Chopin, A. Schmitt u. A. Die Gründe sind wohl aufzufinden. Einestheils sind jene späteren Sammlungen in Wirklichkeit unbedeutender, denn der Componist erschöpft sich endlich in solcher kleinen Form, oder er bringt Aelteres wieder zum Vorschein; dann verlangt das Publicum auch Steigerung, wo keine mehr zu erreichen; endlich durchkreuzen sich gerade in dieser Gattung die Erscheinungen so rasch und vielgestaltig, daß sich nur das Ausgezeichnetste über dem Strome zu halten vermag. Kurz, wir sehen auf den Clavieren die beiden ersten Hefte der Cramer'schen, Chopin'schen etc. Etuden weit öfter als die späteren. Auch diese neue Sammlung von Moscheles wird die alte berühmte nicht vergessen machen, und soll es auch nicht. Der verehrte Componist spricht sich in einem beinah' zu kurzen Vorwort über den Zweck seiner neuen Etuden, über das, was sie von den ältern unterscheidet, selbst aus. Mechanische Ausbildung der Hand, die vielseitigste, wird natürlich schon vorausgesetzt; ebenso wünscht er Kenntniß seiner älteren Etuden.
»Der Spieler ist besonders darauf angewiesen, durch seinen Vortrag diejenigen Regungen, Leidenschaften und Empfindungen auszudrücken, die dem Verfasser beim Schreiben dieser Tonstücke vorgeschwebt und die er durch die charakteristischen Namensbezeichnungen, die einem jeden der Stücke vorgesetzt sind, sowie durch die den Vortrag bezeichnenden Kunstwörter, die im Laufe des Werkes vorkommen, nur leise andeuten konnte« etc.
Man hat diese Ueberschriften über Musikstücke, die sich in neuerer Zeit wieder vielfach zeigen, hier und da getadelt und gesagt: »eine gute Musik bedürfe solcher Fingerzeige nicht«. Gewiß nicht: aber sie büßt dadurch ebenso wenig etwas von ihrem Werth ein, und der Componist beugt dadurch offenbarem Vergreifen des Charakters am sichersten vor. Thun es die Dichter, suchen sie den Sinn des ganzen Gedichtes in eine Ueberschrift zu verhüllen, warum sollen's nicht auch die Musiker? Nur geschehe solche Andeutung durch Worte sinnig und fein; die Bildung eines Musikers wird gerade daran zu erkennen sein.
So erhalten wir denn in den vorliegenden Etuden zwölf charakteristische Bilder, deren Bedeutung durch die Ueberschriften eher gewinnt. Wir können sie nach ihrem Inhalt in vier Abtheilungen bringen. In der einen werden uns bekannte, und zwar mythologische Charaktere geschildert; dahin gehören die mit »Juno« und »Terpsichore« bezeichneten Nummern; in der andern Scenen aus dem Leben und nach der Natur: das »Bacchanal«, die »Volksfestscenen« und »Mondnacht am Seegestade«; in der dritten psychische Zustände: »Zorn«, »Widerspruch«, »Zärtlichkeit«, »Angst«, Versöhnung«; in der letzten Classe stellen sich als verwandt dar: »Kindermährchen« und »Traum«. Im Hefte selbst stehen die Stücke in bunter Mischung, hier und da, um sie hintereinander spielen zu können, vom Componisten durch kurze, die Tonarten überleitende Zwischenspiele verbunden, die wir manchmal vielleicht ausgeführter wünschten.
Auf die Nummern der ersten Abtheilung möchte ich umgekehrt die Goethe'schen Worte anwenden: »je mehr du fühlst ein Mensch zu sein, je ähnlicher bist du den Göttern«. Gerade in diesen Bildern, die den Namen zweier Himmlischen tragen, erscheint die Phantasie des Künstlers gefesselt; gerade in diesen vermiss' ich Leben und Wärme der Musik. Die Formen sind schön und richtig, die Charaktere mit denen der Mythologie in Uebereinstimmung zu bringen; im Ganzen aber blicken die Stücke kalt wie Statuen und wirken unter allen am wenigsten, wie ich wiederholt an mir wie an Andern erfahren. Dagegen hat die Musik Macht und Mittel, der Phantasie Bilder zuzuführen, wie sie uns durch die Ueberschriften der andern Abtheilung näher bezeichnet werden. Das » Bacchanal« ist ein griechisches classisches und hat einen sehr charakteristischen Grundton. In den » Volksfestscenen« rollt der Componist ein lebendiges Gemälde auf, in das ich vielleicht auch einen Mandolinenspieler hineinwünschte, ich meine als Gegensatz zu dem vielstimmigen Durcheinander eine leiser gehaltene Cantilene. Das Stück ist der interessantesten Züge voll. Was man von der » Mondnacht am Seegestade« zu erwarten hat, sagt die Musik am besten. Die Tonart ist As dur und das Stück sieht sich schon romantisch an. Bennett hat in seinen Skizzen, in der mit » the Lake« überschriebenen, etwas sehr Aehnliches gegeben.
Unter den Nummern, die uns psychische Zustände malen, möcht' ich dem » Widerspruch« den Preis zuerkennen. Die leichte, sichere Zeichnung, der Ausdruck des feinen Spottes, der diese Musik charakterisier, und in musikalischem Betracht die geistreiche harmonische Verwebung machen sie zu einer der ausgezeichnetsten und wirkungsvollsten der Sammlung. Ebenso ist die mit » Zorn« überschriebene ein vortreffliches Musikstück, obgleich ich in seinem Charakter eine edlere Regung, mehr kühnen Stolz, energisches Auflehnen legen möchte und es in diesem Sinn vorgetragen wünschte. Die Nummern » Zärtlichkeit« und » Versöhnung« sind mehr geistreich gedacht als gemüthlich; in letzterer herrscht jedoch ein besonders schöner Wohllaut. Das mit » Angst« überschriebene Stück, das letzte des Heftes, erfüllt Alles, was die Ueberschrift sagt.
Es bleiben noch das » Kindermährchen« und der » Traum« übrig, die mir als die zartesten und poetischsten der Sammlung gelten. Hier, wo sie in's Uebersinnliche, in das Geisterreich hinüberspielt, übt die Musik ihre volle Gewalt. Namentlich ist das Kindermährchen ein höchst ergötzliches Bild, in glücklichster Stunde erfunden, äußerst sauber und nett ausgeführt; keine Note darf hier anders stehen; auch die Überschrift trifft den Charakter der Musik auf's Genauste. Im » Traum« fließt es Anfangs dunkel auf und nieder: man weiß, wie die Musik träumen, wie man in ihr träumen kann; erst in der Mitte ringt sich ein entschlossenerer Gedanke los; dann verschwindet Alles wieder in das erste leise Dunkel.
Von den frühem Etuden unterscheiden sich diese neuen allerdings; funfzehn Jahre, die während des Niederschreibens jener verflossen, machen wohl einen Unterschied. Der Styl ist womöglich gedrungener, die Harmonie combinirter, gewählter, überall herrscht mehr der Gedanke vor, während die älteren wie natürlich den Vorzug größerer Jugend, lebhafterer Empfindung voraus haben. Inzwischen hat der Componist auch manche Mittel der neusten Schule nicht unversucht gelassen, wie denn auch von ihrer romantischen Färbung in seinen Gedanken hier und da durchschimmert. Ein vortrefflicher Künstler zeigt er sich hier wie dort.
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