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1838.
Traumbild. – Franz Schubert's letzte Compositionen. – Ouverturen für Orchester. – Erster bis sechster Quartettmorgen. – Rondo's für das Pianoforte. – Etuden für das Pianoforte. – Compositionen von Leopold Schefer. – Phantasieen für das Pianoforte (erste bis dritte Reihe). – Rückblicke auf das Leipziger Musikleben 1837-38.
Concert von C. W.
Von Oben gekommen ein Engelskind
Die Menschen, die's hörten, die haben getobt,
F. u. E. |
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Wenn Fruchtbarkeit ein Hauptmerkmal des Genies ist, so gehört Franz Schubert zu den größten. Nicht viel über dreißig Jahr alt geworden, hat er zum Erstaunen viel geschrieben, von dem vielleicht erst die Hälfte gedruckt ist, ein Theil noch der Veröffentlichung entgegensieht, ein bei Weitem größerer aber wahrscheinlich nie oder nach langer Zeit erst in's Publicum kommen wird. Aus der ersten Rubrik haben sich wohl seine Lieder am schnellsten und weitesten verbreitet; er hätte nach und nach wohl die ganze deutsche Literatur in Musik gesetzt, und wenn Telemann verlangt: »ein ordentlicher Componist müsse den Thorzettel componiren können«, so hätte er an Schubert seinen Mann gefunden. Wo er hinfühlte, quoll Musik hervor: Aeschylus, Klopstock, so spröde zur Composition, gaben nach unter seinen Händen, wie er den leichteren Weisen W. Müller's u. A. ihre tiefsten Seiten abgewonnen. Dann sind es eine Menge Instrumentalsachen in allen Formen und Arten: Trio's, Quartetten, Sonaten, Rondo's, Tänze, Variationen, zwei- und vierhändig, groß und klein, der wunderlichsten Dinge voll, wie der seltensten Schönheiten; die Zeitschrift hat sie an verschiedenen Orten genauer charakterisirt. Von den Werken, die noch der Veröffentlichung entgegensehen, werden uns Messen, Quartetten, eine große Anzahl Lieder u. A. genannt. In die letzte Rubrik fallen endlich seine größeren Compositionen, mehre Opern, große Kirchenstücke, viele Symphonieen, Ouverturen u. A., die im Besitz der Erben geblieben sind. Die zuletzt erschienenen Compositionen Schubert's haben die Titel:
Großes Duo für das Pianoforte zu vier Händen, Werk 140, und F. Schubert's Allerletzte Composition: Drei große Sonaten für Pianoforte.
Es gab eine Zeit, wo ich nur ungern über Schubert sprechen, nur Nächtens den Bäumen und Sternen von ihm vorerzählen mögen. Wer schwärmt nicht einmal! Entzückt von diesem neuen Geist, dessen Reichthum mir maaß- und grenzenlos dünkte, taub gegen Alles, was gegen ihn zeugen könnte, sann ich Nichts als auf ihn. Mit dem vorrückenden Alter, den wachsenden Ansprüchen wird der Kreis der Lieblinge kleiner und kleiner; an uns liegt es wie an ihnen. Wo wäre der Meister, über den man sein ganzes Leben hindurch ganz gleich dächte! Zur Würdigung Bach's gehören Erfahrungen, die die Jugend nicht haben kann; selbst Mozart's Sonnenhöhe wird von ihr zu niedrig geschätzt; zum Verständniß Beethoven's reichen blos musikalische Studien ebenfalls nicht aus, wie er uns ebenfalls in gewissen Jahren durch ein Werk mehr begeistert als durch das andere. So viel ist gewiß, daß sich gleiche Alter immer anziehen, daß die jugendliche Begeisterung auch am meisten von der Jugend verstanden wird, wie die Kraft des männlichen Meisters vom Mann. Schubert wird so immer der Liebling der ersteren bleiben; er zeigt, was sie will, ein überströmend Herz, kühne Gedanken, rasche That; erzählt ihr, was sie am meisten liebt, von romantischen Geschichten, Rittern, Mädchen und Abenteuern; auch Witz und Humor mischt er bei, aber nicht so viel, daß dadurch die weichere Grundstimmung getrübt würde. Dabei beflügelt er des Spielers eigene Phantasie, wie außer Beethoven kein anderer Componist; das Leicht-Nachahmliche mancher seiner Eigenheiten verlockt wohl auch zur Nachahmung; tausend Gedanken will man ausführen, die er nur leichthin angedeutet; so ist es, so wird er noch lange wirken.
Vor zehn Jahren also würde ich diese zuletzt erschienenen Werke ohne Weiteres den schönsten der Welt beigezählt haben, und zu den Leistungen der Gegenwart gehalten sind sie mir das auch jetzt. Als Compositionen von Schubert zähle ich sie aber nicht in die Classe, wohin ich sein Quartett in D moll für Streichinstrumente, sein Trio in Es dur Die Symphonie in C war zur Zeit, als Obiges geschrieben wurde, noch nicht bekannt., viele seiner kleinen Gesangs- und Clavierstücke rechne. Namentlich scheint mir das Duo noch unter Beethoven'schem Einfluß entstanden, wie ich es denn auch für eine auf das Clavier übertragene Symphonie hielt, bis mich das Original-Manuscript, in dem es von seiner eigenen Hand als »vierhändige Sonate« bezeichnet ist, eines Anderen überweisen wollte. »Wollte« sag' ich; denn noch immer kann ich nicht von meinem Gedanken. Wer so viel schreibt wie Schubert, macht mit Titeln am Ende nicht viel Federlesens, und so überschrieb er sein Werk in der Eile vielleicht Sonate, während es als Symphonie in seinem Kopfe fertig stand; des gemeineren Grundes noch zu erwähnen, daß sich zu einer Sonate doch immer eher Herausgeber fanden, als für eine Symphonie, in einer Zeit, wo sein Name erst bekannt zu werden anfing. Mit feinem Styl, der Art seiner Behandlung des Claviers vertraut, dieses Werk mit seinen andern Sonaten vergleichend, in denen sich der reinste Claviercharakter ausspricht, kann ich mir es nur als Orchesterstück auslegen. Man hört Saiten- und Blasinstrumente, Tutti's, einzelne Soli's, Paukenwirbel; die großbreite symphonische Form, selbst die Anklänge an Beethoven'sche Symphonieen, wie im zweiten Satz an das Andante der zweiten von Beethoven, im letzten an den letzten der A dur-Symphonie, wie einige blassere Stellen, die mir durch das Arrangement verloren zu haben scheinen, unterstützen meine Ansicht gleichfalls. Damit möchte ich das Duo aber gegen den Vorwurf schützen, daß es als Clavierstück nicht immer richtig gedacht sei, daß dem Instrument etwas zugemuthet wird, was es nicht leisten kann, während es als eine arrangirte Symphonie mit andern Augen zu betrachten wäre. Nehmen wir es so, und wir sind um eine Symphonie reicher. Die Anklänge an Beethoven erwähnten wir schon; zehren wir doch alle von seinen Schätzen. Aber auch ohne diesen erhabenen Vorgänger wäre Schubert kein Anderer worden; seine Eigenthümlichkeit würde vielleicht nur später durchgebrochen sein. So wird, der einigermaßen Gefühl und Bildung hat, Beethoven und Schubert auf den ersten Seiten erkennen und unterscheiden, Schubert ist ein Mädchencharakter an Jenen gehalten, bei Weitem geschwätziger, weicher und breiter; gegen Jenen ein Kind, das sorglos unter den Riesen spielt. So verhalten sich diese Symphonieensätze zu denen Beethoven's und können in ihrer Innigkeit gar nicht anders als von Schubert gedacht werden. Zwar bringt auch er seine Kraftstellen, bietet auch er Massen auf; doch verhält es sich immer wie Weib zum Mann, der befiehlt, wo jenes bittet und überredet. Dies Alles aber nur im Vergleich zu Beethoven; gegen Andere ist er noch Mann genug, ja der kühnste und freigeistigste der neueren Musiker. In diesem Sinne möge man das Duo zur Hand nehmen. Nach den Schönheiten braucht man nicht zu suchen; sie kommen uns entgegen und gewinnen, je öfter man sie betrachtet; man muß es durchaus lieb gewinnen, dieses liebende Dichtergemüth. So sehr gerade das Adagio an Beethoven erinnert, so wüßte ich auch kaum etwas, wo Schubert sich mehr gezeigt als Er; so leibhaftig, daß Einem wohl bei einzelnen Tacten sein Name über die Lippen schlüpft, und dann hat's getroffen. Auch darin werden wir übereinstimmen, daß sich das Werk vom Anfang bis zum Schluß auf gleicher Höhe hält; etwas, was man freilich immer fordern müßte, die neuste Zeit aber so selten leistet. Keinem Musiker dürfte ein solches Werk fremd bleiben, und wenn sie manche Schöpfung der Gegenwart und vieles Andere der Zukunft nicht verstehen, weil ihnen die Einsicht der Uebergänge abgeht, so ist es ihre Schuld. Die neue sogenannte romantische Schule ist keineswegs aus der Luft herabgewachsen; es hat Alles seinen guten Grund.
Die Sonaten sind als das letzte Werk Schubert's bezeichnet und merkwürdig genug. Vielleicht daß anders urtheilen würde, wem die Zeit der Entstehung fremd geblieben wäre, – wie ich selbst vielleicht sie in eine frühere Periode des Künstlers gesetzt hätte, und mir immer das Trio in Es dur als Schubert's letzte Arbeit, als sein Eigenthümlichstes gegolten hat. Uebermenschlich wäre es freilich, daß sich immer steigern und übertreffen sollte, wer wie Schubert so viel und täglich so viel componirte, und so mögen auch diese Sonaten in der That die letzten Arbeiten seiner Hand sein. Ob er sie auf dem Krankenlager geschrieben, ob nicht, konnte ich nicht erfahren; aus der Musik selbst scheint man auf das erstere schließen zu dürfen; doch ist auch möglich, man sieht mehr, wo die Phantasie durch das traurige »Allerletzte« nun einmal vom Gedanken des nahen Scheidens erfüllt ist. Wie dem sei, so scheinen mir diese Sonaten auffallend anders als seine andern, namentlich durch eine viel größere Einfalt der Erfindung, durch ein freiwilliges Resigniren auf glänzende Neuheit, wo er sich sonst so hohe Ansprüche stellt, durch Ausspinnung von gewissen allgemeinen musikalischen Gedanken, anstatt er sonst Periode auf Periode neue Fäden verknüpft. Als könne es gar kein Ende haben, nie verlegen um die Folge, immer musikalisch und gesangreich rieselt es von Seite zu Seite weiter, hier und da durch einzelne heftigere Regungen unterbrochen, die sich aber schnell wieder beruhigen. Ob in diesem Urtheile schon meine Phantasie durch die Vorstellung seiner Krankheit verführt scheint, muß ich Ruhigeren überlassen. So aber wirkten sie auf mich. Wohlgemuth und leicht und freundlich schließt er dann auch, als könne er Tages darauf wieder von Neuem beginnen. Es war anders bestimmt. Mit ruhigem Antlitz konnte er der letzten Minute entgegentreten. Und wenn auf seinem Leichenstein die Worte stehen, daß unter ihm »ein schöner Besitz, aber noch schönere Hoffnungen« begraben lägen, so wollen wir dankbar nur des ersteren gedenken. Nachzugrübeln, was er noch erreichen können, führt zu Nichts. Er hat genug gethan, und gepriesen sei, wer wie er gestrebt und vollendet.
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Kalliwoda, J. W., fünfte Ouverture. W. 76. – Hesse, A., Ouverture Nr. 2. W. 28. – Weyse, C. F. E., Ouverture zur Oper Kenilworth zu vier Händen für Pianoforte eingerichtet. – Bennett, W. St., Die Najaden. Ouverture zu vier Händen für's Pianoforte. W. 14.
An Kalliwoda haben wir das erfreuende Beispiel eines schnell zur Blüthe und Anerkennung gekommenen Talentes, und das traurige eines ebenso raschen Verblühens und Vergessenwerdens. Er hatte viele Hoffnungen erweckt, viele erfüllt. Seine Symphonieen, wenn auch natürlich keine Beethoven'schen Diademe, so doch weißen, durchsichtigen Perlen zu vergleichen, werden sich unter seinen Werken der Zukunft am längsten erhalten. Was er aber außerdem und namentlich in der letzten Zeit zu Tage brachte, war kaum mehr als Flittergold, unechter Schmuck; wir sind wohl Alle darüber einverstanden. So auch diese fünfte Ouverture, ein hübsches Stück für Dilettantenorchester, nicht schwer, klingend instrumentirt, im Ganzen gewöhnlich und aus den bekanntesten Redensarten zusammengesetzt. Der Componist wird ihr wohl selbst kein Gewicht beilegen.
Die Ouverture von A. Hesse, ein früheres Werk dieses Componisten, mag sich gut zur Eröffnung etwa eines Kotzebue'schen Stückes schicken; sie hat ein allgemeines comfortables Gesicht, rundet sich, wie alle Arbeiten von Hesse, sehr glücklich ab und ist in guter Stunde gemacht. Der alten Richtschnur entgegen, nach der das zweite Thema nach der Dominante mußte, weicht dieses in der Ouverture in eine ziemlich entlegene Tonart, nämlich in die kleine Terz der Dominante aus. Es wäre dem, wo so geschickt wie hier modulirt ist, gar nichts anzuhaben; aber die Thema's sind eigentlich gar nicht verschieden und das, was wir das zweite nannten, nur eine geringe Veränderung des ersten, der Arrangeur müßte denn die Melodie, die zum zweiten Gedanken sehr wohl gedacht werden kann, im Clavierauszug nicht haben anbringen können.
Der Componist der Ouverture zu Kenilworth ist als ein kraft- und geistvoller Mann bekannt. Doch hätte ich nach der Handlung, der die Ouverture zur Einleitung bestimmt ist, ein phantastischeres, complicirteres Gemälde vermuthet. Es kömmt wieder auf den Streit hinaus, ob die Ouverture ein Bild des Ganzen geben oder nur einfach einleiten soll. Zu beiderlei finden sich bekanntlich Muster. Hier scheint keins von beiden Principien beobachtet. In der Wiederholung des Adagio in der Mitte könnte man vielleicht Amy Robsart'sche Anspielungen finden, im Ganzen aber hat die Musik nur einen festlichen, gastlichen Charakter, als ob die Oper, die uns nämlich unbekannt, ihren Mittelpunkt im Fest auf Kenilworth hätte. Abgesehen davon ist sie durchweg klar und gediegen, vielleicht etwas zu lang und jedenfalls, wie die vorige Ouverture, in den beiden Hauptthemen zu wenig contrastirend.
Die Bennet'sche Ouverture, die Najaden genannt, wurde schon früher einmal erwähnt und dort als ein »reizendes, reich und edel ausgeführtes Bild« bezeichnet; das ist sie, frisch, wie eben gebadet und, trotz ihrer Stoffähnlichkeit mit der Mendelssohn'schen Melusine, der eigenthümlichen Züge voll, die wir schon mehrfach an diesem musikalischsten aller Engländer hervorhoben. Es gehört wenig Phantasie dazu, und jede irgend lebhafte wird es von selbst, während des Hörens der Ouverture sich allerhand schön verschlungene Gruppen spielender badender Najaden zu denken, wie denn die weichen Flöten und Oboen auf umstehende Rosenbüsche und kosende Taubenpaare gedeutet werden können; prosaischen Köpfen kann man aber wenigstens einen jenem ähnlichen Eindruck versprechen, den Goethe mit seinem »Fischer« bezweckt, das Gefühl des Sommers nämlich, das sich in den Wellen abkühlen will, so wohlthuend und spiegelhell breitet sich die Musik vor uns aus. Eine gewisse Monotonie war ihr indeß schon früher vorgeworfen worden; es mag dies auch zum Theil in den vielen Parallelstellen, Wiederholungen einzelner Perioden in der obern und untern Octave etc. ihren Grund haben, eine sehr leichte Art der Gestaltung, die aber, wenn wir sie bei andern Tonsetzern oft als einen Schlendrian bezeichnen müssen, bei unserm weniger eine Folge vom Nachlaß der Erfindung, als ein Festhalten an gewisse Lieblingsgedanken und Wendungen zu nennen ist.