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VI. Das Zuchthaus

»Wenn der unsaubre Geist von dem Menschen ausgefahren ist, so durchwandelt er dürre Stätte, suchet Ruhe, und findet sie nicht. Da spricht er denn: Ich will wieder umkehren in mein Haus, woraus ich gegangen bin. Und wenn er kommt, so findet er es müssig und gekehrt und geschmückt; so geht er hin, und nimmt zu sich sieben andre Geister, die ärger sind, als er selbst; und wenn sie hineinkommen, wohnen sie allda; und wird mit demselben Menschen ärger hernach, denn es vorhin war.« Luc. 11, 24 – 26.

Am 9. April 1838 ward ich in's Glückstädter Zuchthaus abgeliefert. Die Wärter, die mich empfingen, führten mich schweigend in einen einsamen Kerker, und schlossen die Thür hinter mir zu. Ich glaubte, ich sollte die ganzen 18 Monate, die ich im Zuchthause sein sollte, in dieser Einsamkeit zubringen. Da fing ich an zu zagen, und betete inbrünstig, daß Gott doch bei mir bleiben möge. Nach einer Stunde indeß wurde ich aus diesem Gefängniß hinausgeführt, mußte mich baden, und bekam Zuchthauskleider an; danach ward ich in die Werkstube gebracht, wo ich spinnen mußte, und Gesellschaft genug hatte. Unter den vielen Züchtlingen [Strafgefangenen], die hier an Spinnrädern und Webestühlen arbeiteten, sahen manche so finster und tückisch, und andre wieder so frech und trotzig aus, daß mir bei ihnen noch unheimlicher wurde, als vorhin in dem einsamen Kerker. –

Es war eben die stille Woche, und ich wunderte mich über die vielen Festtage, die ich früher nie recht beachtet hatte. Vom Gründonnerstage bis zum Ostermontage wurde ich mit den andern Züchtlingen viermal in die Zuchthauskirche geführt. Es machte dieser Gottesdienst, der für lauter Verbrecher gehalten ward, einen starken Eindruck auf mich. Ich schämte mich, daß ich zu so schlechter Gesellschaft gehörte; und freute mich doch, daß Gott solchen Menschen noch so gnädig sein wollte. Ich war aufmerksam auf die Predigt, und betete herzlich, und nahm mir vor, mich völlig zu bekehren; und wenn ich wieder aus dem Zuchthause entlassen würde, so wollte ich ein ganz andres und bessres Leben anfangen. Es war mir, als wenn mit diesen Vorsätzen der Friede Gottes, den ich nie gekannt hatte, in mein Herz einzöge. Seit meiner Kindheit war ich nicht so ruhig und heiter gewesen. Aber ach! welch ein schlechtes und wetterwendisches Geschöpf ist doch der Mensch! Wie bald nahm der Feind alle guten Vorsätze von meinem Herzen wieder hinweg; und es ward ärger mit mir, als zuvor! Nach jenen heiligen Festtagen habe ich nie wieder in der Kirche gebetet.

Nach beendigtem Feste machte ich mit den andern Züchtlingen auf der Werkstube Bekanntschaft. Anfangs ärgerte ich mich an [über] ihren frechen und gottlosen Reden, und daß sie ihren Spott hatten über den Prediger und den Gottesdienst. Als aber meine Kameraden meinen Aerger sahen, so ging es über mich her, und sie neckten und verspotteten mich so lange, bis ich, um nur Ruhe zu haben, mir Mühe gab, meinen Unwillen zu verstellen, und eben so frech zu scheinen, wie sie waren [wie die anderen]. Da erfuhr ich es, daß wenn man dem Teufel einen Finger giebt, er bald die Hand und den ganzen Menschen hat. Unvermerkt kam ich dahin, daß ich den Gotteslästerungen ohne Mißfallen zuhörte; und nicht lange, so ergötzten sie mich, und ich stimmte von Herzen mit ein. Ach, wie bald war der schwache Docht meines Glaubens da erloschen! – und als der letzte Funke todt war, konnte es wohl nicht anders sein, als daß die Gedanken und die Werke der Finsterniß wieder Macht über mich erhielten. – Außer den Gotteslästerungen bestand die Unterhaltung, die ich mit meinen Kameraden hatte, fast in nichts Anderem, als daß Jeder seine Verbrechen erzählte und rühmte; und wer unter uns der bösesten Thaten sich rühmen konnte, der war der beste Mann.

Auch ich mußte erzählen, was mich in's Zuchthaus gebracht hatte. Da ward ich denn wieder recht geneckt und ausgelacht, daß ich von dem Hehler Im Original: Jude in Friedrichstadt mich um mein Geld hatte prellen lassen; und daß ich durch Androhung von Stockschlägen mich zum Bekenntniß hatte bringen lassen. Dann nahmen mich einige in die Schule, und belehrten mich, wie ich Alles viel klüger hätte anfangen, und vor Allem im Verhör meine That hätte leugnen müssen. Ich war sehr lernbegierig bei diesem Unterricht. Dann wurden auch Pläne gemacht, wie das Stehlen und Rauben erst recht wieder sollte getrieben werden, wenn wir aus dem Zuchthause würden entlassen sein. Wenn wir aber von solchen Dingen nicht mehr zu sprechen wußten, so kam die Rede auf Trunkenheit, Schlägereien, Hurerei und Ehebruch; und Einer wußte immer noch mehr als der Andre sich aller Laster zu rühmen. Das waren so unsre täglichen Gespräche bei der Arbeit, und noch mehr in den Freistunden.

Ich hatte einen Schlafkameraden, welcher Abends, wenn wir allein waren, Pläne für die Zukunft, wenn wir frei sein würden, mit mir entwarf. Wir wollten in einen grossen Wald gehen, und uns da eine Hütte unter der Erde bauen. Des Tages wollten wir uns darin verbergen, und des Nachts zum Stehlen und Rauben ausgehen. Auch wollten wir uns Säbel und Pistolen anschaffen, um, im Fall der Noth, uns vertheidigen zu können; und wenn wir genug zusammen geraubt hätten, so wollten wir in ein anderes Land gehen, und da wie die Herren leben. Mein Kamerad wußte mir viele Geschichten zu erzählen, von Räubern, die es also getrieben. Er hätte diese Geschichten gedruckt gelesen, sagte er; darum wüßte er, daß sie wahr wären; – und ich hörte ihm gern zu, und freute mich auf die Zeit, da wir unser Vorhaben ausführen würden. – Nach einigen Wochen aber entzweiten wir uns, und da war es mit unserm Planmachen aus.

Nachdem ich acht Monate in der Werkstube gearbeitet hatte, wurde ich bei der Wäscherei angestellt, wo ich mit vier andern Züchtlingen die Wäsche für alle übrigen Züchtlinge besorgen mußte. Die Arbeit war nicht leicht; aber ich hatte es doch besser, als vorher; denn ich bekam zehn Loth [etwa 150 Gramm] Brod täglich mehr, und genoß manche Freiheit. Es ist eine, im Lande ziemlich verbreitete Ansicht, als wenn die Sträflinge es im Zuchthause so gut hätten, daß sie, einmal da gewesen, auf's Neue Verbrechen zu begehen pflegen, um auf's Neue in's Zuchthaus, als in eine gute Versorgungsanstalt, zu kommen. Dem kann man aber keinen Glauben schenken, wenn man hört, daß ihnen, der Regel nach, das Brot weniger zugetheilt wird, als sie essen mögen. Satt essen ist doch das wenigste, was zu einem sinnlich behaglichen Zustande gehört. Daß entlassene Züchtlinge so gewöhnlich wieder neue Verbrechen ausüben, scheint seine Ursache vielmehr darin zu haben, daß sie im Zuchthause in einer Verbrecherschule waren, und das Gelernte nur zu bald ausüben wollen. Im Garten konnte ich frei umhergehen, und wurde manchmal sogar in die Stadt geschickt, um Gewerbe zu bestellen [um Angelegenheiten für das Zuchthaus zu erledigen]; da bekam ich manches Glas Branntwein, das mir im Zuchthause nicht geboten ward.

Sechs Monate hatte ich in der Wäscherei gearbeitet, als ich abermals eine andre Anstellung bekam; ich mußte dem Speisemeister in der Küche behülflich sein, und hatte nun den Vortheil, daß ich immer von dem besten Essen bekam. Im Mai 1839 war ich in die Küche gekommen, und am 9. Juli, Morgens zwei Uhr, brach Feuer im Zuchthause aus. Es war ein fürchterlicher Brand. Der Lärm, das Leuchten und die Hitze der Flammen weckte die Schläfer; aber ihr Schreien und Jammern, als sie nicht herauskommen konnten, war fürchterlich anzuhören. Einigen gelang es, die Thüren von innen aufzubrechen; zu Andern drangen die Wärter, unter Gefahr ihres Lebens [Lebensgefahr], um aufzuschließen. Nur zur Krankenstube wagte sich Keiner hin, da der Gang dahin mit erstickendem Rauch angefüllt war. Gegen [Etwa] hundert Menschen waren in der Krankenstube eingeschlossen. Die Stube lag oben, im zweiten Stock; die Fenster waren mit eisernen Stäben fest vergittert. Die unglücklichen Menschen hatten die Scheiben eingeschlagen, um nicht in Hitze und Dampf zu ersticken; sie hingen sich an das eiserne Gitterwerk, denn der Fußboden war zum Theil schon durchgebrannt, und drohete, unter ihnen wegzusinken. Wir verzweifelten an der Möglichkeit ihrer Rettung [waren verzweifelt, weil wir nichts tun konnten, um sie zu retten]. Aber Gott wollte nicht, daß so viele Menschen in ihren Sünden umkommen sollten. Mit Hülfe von Leitern gelang es, von außen die dicke Mauer durchzubrechen; durch diese Oeffnung wurden Alle herausgelassen, und es ist kein Mensch bei diesem fürchterlichen Brande um's Leben gekommen. Nach wenigen Stunden war das ganze Gebäude ein rauchender Schutthaufen.

Während des Brandes noch waren die Züchtlinge unter militairischer Bedeckung [bewacht von Soldaten] hinweggeführt, und untergebracht, wo und so gut es gehen konnte [kamen in die Zellen, die bei dem Brand weitgehend unversehrt geblieben waren]. Natürlich aber konnten wir jetzt nicht so von einander gesondert, und so gut und sorgfältig beaufsichtigt werden, als vorher. War also der Ton unter uns vorher schon nicht gut gewesen, so wurde er jetzt noch viel schlimmer; und wie die Aufführung der Züchtlinge im Allgemeinen sehr roh und zügellos ward, so ward besonders auch mein Betragen von Tag zu Tage schlechter und trotziger; denn mein altes Laster, die Trunksucht, fand bei der allgemein einreißenden [um sich greifenden] Unordnung leicht und oft Befriedigung. Weder in der Küche, noch bei der Wäsche, wollte man länger meine Dienste (be)nutzen, und ich kam wieder in die neu eingerichtete Werkstube, und zur Gesellschaft der schlimmsten Sträflinge zurück.

Zum Ablauf meiner Strafzeit fehlten mir noch einige Monate; während dieser Zeit aber wurde zwischen mir und meinen Kameraden wenig Andres besprochen, als was Alles unternommen und ausgeführt werden sollte, wenn wir wieder frei sein würden. Der Beschluß, daß ich das Rauben und Stehlen als eigentliches Gewerbe treiben wollte, stand bei mir fest; und der Eine wußte mir diesen, der Andre jenen Anschlag zu geben [Gaunertrick zu verraten]. Es wurde von uns ausgerechnet, daß eben am Tage meiner Befreiung in Marne, einem Dit[h]marscher Flecken, vier Meilen von Glückstadt, Jahrmarkt sein würde; und man beschrieb mir die Leichtigkeit, dort zu stehlen, so reizend, daß ich den Tag kaum abwarten konnte.

Am 9. October 1839 nahm ich von meinen Kameraden Abschied, und wurde über die Gränze [Grenze] der Stadt gebracht. Durch meine Arbeit im Zuchthause hatte ich vier Mark erübrigt; und wohlgemuth setzte ich von der Stadtgränze meinen Weg nach Marne allein fort.


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