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V. Kurze Reue

Das Ungewohnte des langen Gefangensitzens, die harte Züchtigung, die ich erlitten, die Krankheit, die wieder ausgebrochen, die Furcht vor dem Zuchthause; – alles dies wirkte zusammen, mich sehr muthlos und niedergeschlagen zu machen. Ich ward ganz in mich gekehrt, und vermied die Gesellschaft meiner Mitgefangenen; ich fing an, mich und mein bisheriges Leben zu verwünschen. – Ich wußte eigentlich nicht, woher mir diese große Traurigkeit kam, und warum mein gewöhnliches Mittel gegen Niedergeschlagenheit, der Branntwein, mir nicht mehr helfen wollte. – Jetzt aber weiß ich es wohl: Christus, welcher gekommen ist, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist, suchte damals mein Herz. Ich kannte zwar den Heiland nicht; aber er erbarmte sich über mich unwissenden Menschen, und schickte einen Engel zu mir in's Gefängniß, der mir von Gott und seinem Worte sagen sollte.

Es war freilich kein wirklicher Engel, sondern nur ein sündiger Mensch, der wegen unvorsetzlichen Todtschlages [fahrlässigen Totschlags] sich selber den Gerichten ausgeliefert [sich selbst gestellt] hatte. Er war als Arrestant in's Stockhaus gebracht, und aus Mangel an Raum zu mir in mein Gefängniß gesetzt worden. Rußmann, so hieß der Gefangene, war beständig sehr niedergeschlagen; und wenn ich des Morgens noch im Bette lag, hörte ich ihn schon laut aus der Bibel oder dem Gesangbuch lesen, wobei er gewöhnlich sehr weinte. Dies Lesen und Weinen war mir, trotz meiner eigenen Niedergeschlagenheit, sehr lächerlich, und ich hatte einen Zeitlang meinen Spott darüber. Jener trug das mit Geduld, und ließ sich nicht stören. Bisweilen sprach er mir ganz freundlich zu, und bat mich, ich möchte nur einmal aufmerksam zuhören, so wollte er mir etwas vorlesen, das gut für mich wäre, und mich trösten könnte. Ich weiß nicht, war es die lange Weile [Langeweile], oder die sanfte Freundlichkeit des Mannes? – er überredete mich endlich, daß ich ruhig zuhörte, wenn er aus der Bibel vorlas. Bald gewann ich selber Freude am Hören, und gewann Rußmann recht lieb. – Da ward er von mir genommen, denn sein Urtheil war gefällt, daß er, wegen großer Unvorsichtigkeit, sechs mal fünf Tage bei Wasser und Brod allein sitzen sollte.

So war ich denn mit meinen Betrachtungen wieder allein gelassen; aber ich fuhr fort, in der Bibel und im Gesangbuch zu lesen; zuletzt fing ich auch an zu beten; es waren die Gebetverse, die ich als Kind von meiner Mutter gehört hatte. Ach Gott! wie viele Jahre hatte ich nicht gebetet, und war in keinem Gotteshause gewesen, und hatte von der Religion weder gehört noch gelesen! Ich bereute diese meine Gottlosigkeit bitter; denn ich dachte, wenn ich nur Gottes Wort gehört hätte, so hätte ich doch wohl nie ein so schlechter und elender Mensch werden können. Ich weinte über mich, und saß oft ganze Tage allein in großer Traurigkeit. Meine Gefängnißthür stand gewöhnlich offen; aber ich mogte [mochte] mit den andern Gefangenen nicht[s] zu schaffen haben; und zu Rußmann durfte ich nicht. Diese ganze Zeit über habe ich mich nicht mehr betrunken. Ich glaube, ich war damals auf dem Wege, ein anderer und besserer Mensch zu werden; aber das böse Zuchthaus hat meine Reue und guten Vorsätze wieder zu Schanden gemacht. Das Zuchthaus ist so recht das Feld, wo nur Disteln und Dornen aufwachsen und jedes gute Körnlein ersticken, welcher der liebe Heiland in das Herz eines armen Sünders gesäet hatte. Ja, das ist wahr, das Zuchthaus ist eine sehr böse Sache; – indeß denke ich doch jetzt manchmal darüber nach, ob es wohl einen so großen und verderblichen Einfluß auf mich würde bekommen haben, wenn ich im Stockhause zur Ordnung, Nüchternheit und zu gutem Betragen wäre angehalten worden; und – wenn ein Prediger uns Gefangenen mit Lehre und Ermahnung bisweilen zugesprochen hätte. Es will mir sonderbar vorkommen, daß Rußmann, als ein gefangener Verbrecher, der einzige Mensch war, der mir während der Zeit meiner Gefangenschaft ein Wort von Gott vorgesprochen, und mich zur Besserung ermahnt hat. Im Original folgt eine sehr lange Anmerkung von Schumacher, hier verkürzt:

Wenn es Prediger giebt, welche den Besuch im Gefängnisse, als außer ihrem Berufe liegend, ansehen, – sollte da nicht die Obrigkeit sie zu diesem hochwichtigen Theil ihrer Seelsorge anhalten? Müßte es nicht den Richtern selber, die über Freiheit und Leben unglücklicher, vielleicht blos verirrter, oder aus Unwissenheit gefallener Menschen richten sollen, höchst wichtig sein, durch geistlichen Zuspruch auf die Inkulpaten einzuwirken, ehe sie sie verdammen?


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