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Monsieur La Fleur.


Die Marquise Lamberti.

Für diejenigen unserer Leser, welchen die näheren Umstände von Yoricks oder Sterne's empfindsamer Reise, entfallen seyn sollten, bemerken wir, daß Sterne auf seiner Reise durch Frankreich, trotz seines warmen Attachements für seine Eliza, – eine Miß Draper aus Ostindien – doch in Calais in ein flüchtiges und pikantes Verhältniß zu einer Madame L. (Lamberti) gerieth, mit der er Hand in Hand, schweigend und voll eigenthümlicher Gedanken eine lange Weile vor ein Remisenthor seines Gasthofes zu stehen kam.

La Fleur war ein lustiger Bursche, ein desertierter Trommelschläger des Königs, der als Sterne's Bedienter eine höchst anziehende Figur in dem Buche macht. S. in der »Sentimental journey« die Abtheilungen: on the street – the remise – door etc.

La Fleur war eine Blume, die, trotz des schlechtesten Wetters, blüht und erfreuen möchte. Es hatte viel geschneit, geregnet und Schlossen geworfen während seines Lebens und seine Tage waren oft ohne Sonnenschein; aber immer hatte seine Heiterkeit und Laune geblüht; immer hatte sein Auge irgend ein sonniges Fleckchen an einem Himmel entdeckt und fest daran gehaftet. –

Er war in Burgund geboren; doch schon mit acht Jahren hatte er die Heimath verlassen; mit zehn Jahren lehrte man ihn die Trommel schlagen, und sechs Jahre lang hatte die Armee des Königs das Glück, sich der Früchte dieser seiner Erziehung erfreuen zu können. Darauf desertierte La Fleur und machte eine beschleunigte Fußreise durch einen Theil Frankreichs, bis er nach Montreuil gelangte, wo der Wirth, Monsieur Varenne, sich seiner annahm und ihn in die Dienste eines fremden reisenden Herrn brachte. Wie das zuging, habt Ihr Alle gelesen; Sentimental journey, cap: VIII. und Ihr habt Alle zugleich den guten La Fleur lieb gewonnen, wie er so voll Anstelligkeit und Willfährigkeit, in schmuckem buntem Putze, mit blühendem Gesichte, die schwarze, hagere und ernste Gestalt seines Herrn umflattert. Aber der bleiche empfindsame Herr, in dessen Dienst ihn ein gutes Geschick geführt hatte, war nach ein paar Jahren gestorben; das Schlossenwerfen und Schneien begann aufs Neue, endlich hatte La Fleur ein Obdach gefunden und zwar ein Obdach, das gut genug war für einen ehemaligen Trommelschläger des Königs, denn es war mit schöner Stuckaturarbeit verziert, ein Freskogemälde prangte mit bunten Farben in der Mitte, und die Gesimsleisten waren vergoldet. Es war der Plafond eines schönen luxuriösen Gartensaals, unter dem wir La Fleur, den ächten La Fleur Yorick Sterne's wiederfinden.

»Madame,« sagte er, »ich bin eine welthistorische Person, denn ich bin der Diener eines großen Mannes gewesen. So lange Menschen für die Meisterwerke des menschlichen Geistes ein Interesse haben werden, wird La Fleur sie erfreuen, sie entzücken. Dieser Gedanke hebt mich über alles Mißgeschick empor. Und, – sag' ich zu mir, wenn ich mich trösten will – Du magst stolz seyn, denn Du hast Deine Unsterblichkeit verdient: Du hast ihn getröstet, ihn erheitert, ihn gepflegt wie ein Sohn; Du hast ihm die Augen zugedrückt. Armer Yorick!« – La Fleur fuhr mit dem Aermel über seine Wimpern.

»Armer Yorick!« – seufzte die Dame, an welche La Fleur diese Worte richtete und die ihm gegenüber auf einer gepolsterten Ruhebank in halb liegender Stellung hingegossen lag.

»Ich habe einem guten Menschen das Leben leichter gemacht,« fuhr La Fleur fort; »Mancher ist mit geringerer Mühe und gerade für das Gegentheil unsterblich geworden.«

»Er war ein guter und ein großer Mann,« sagte die Dame. –

»Groß? wäre sein Körper gewesen, was sein Geist, er hätte jenen Abendstern vom Himmel gelangt, und ihn zum Schmuck für Ihre Stirn in lauter Sonnengold fassen lassen, Madame!«

»Und Du hättest ihn blanker gescheuert, als er durch diese neblichte Abendluft scheint, La Fleur.«

»Mit Vergnügen, Madame; aber sehen Sie dieß Auge an, wie dort auf seinem Portrait der Künstler es so schön wiedergegeben hat; sieht es nicht aus, als blicke es aus der Region der Sterne auf uns nieder? als blicke es mit frohem Lächeln nieder, daß der Himmel die zwei Menschen zusammengeführt hat, welche ihn auf Erden am meisten lieben?«

– »Du bist ein Narr, La Fleur.« –

»Ihnen gegenüber geworden, Frau Marquise,« sagte La Fleur mit einer tiefen Verbeugung.

Die Marquise erhob sich von dem Sopha, auf dem sie geruht hatte, und sagte dann ernst und in strengerm Tone, als sie sonst mit La Fleur zu reden pflegte:

»Meinen Shawl; es wird kühl in der Gloriette.« –

La Fleur richtete sich aus der gebeugten Stellung auf, in welcher das schnell der That folgende Bewußtseyn, eine Unzartheit begangen zu haben, und seine Verlegenheit ihn gehalten hatten. Er hüllte die Dame mit all der gefälligen Anmuth, welche einem gebildeten Kammerdiener des achtzehnten Jahrhunderts zu Gebote stand, in ihren Shawl, nahm den Fächer, das Riechfläschchen und das Buch, welches aufgeschlagen vor ihr auf dem Tische lag, und warf dann mit vielem Geräusch beide Flügel der gebohnten und mit vergoldetem Schnitzwerk bedeckten Thüre offen.

Als die Marquise hindurch schritt, sagte ihm ein gütiger Blick, daß sie versöhnt sey.

Sie schritt die Treppe der Gloriette hinab und ganz langsam über die Sandpfade des Gartens, die hohen dunkelgrünen Hecken entlang, auf denen, von der Scheere des Gärtners geschaffen, eine ganze Menagerie großer aber stiller Hausthiere saß und unter dem Gefieder von Taxusnadeln schlief. Als sie bis an die Gartenthür ihres Schlosses gekommen war, wandte sie sich, denselben Weg noch einmal zu machen, und schritt dann links in einen andern Pfad, der ihren ersten queer durchschnitt und am Ende in ein großes und dichtes Gebüsch führte. –

»Madame,« sagte La Fleur, als sie im Begriff stand, dieß letztere in den Bereich ihrer Spaziergänge zu ziehen und zu betreten – »wenn die Stimme Ihres Dieners wagen darf, einen ungebetenen Rath zu äußern, so würde sie bitten, vor diesem Bosquet umzukehren.«

»Und weßhalb, La Fleur?«

»Nun – die thaufeuchten Zweige würden Sie streifen.«

»Sie sind nicht naß, glaub' ich, und was schadet es?«

»Aber die Abendluft – der Nebel!«

Die Marquise schritt ohne Rücksicht auf La Fleur's Sorge weiter.

»Madame,« rief La Fleur plötzlich aus, indem er verschmitzt lächelte und stehen blieb: »es sind Fledermäuse in dem Gehölz, Madame!« –

»Ha! Fledermäuse! warum sagtest Du das nicht gleich?« –

Sie eilte hastig zurück, bis sie wieder im Garten stand und tief aufathmete.

»Aber, La Fleur, ich habe keine gesehen.«

»Desto besser, Madame, so sind Sie nicht von ihnen erschreckt worden. Das Gehölz ist der Aufenthalt einer großen Anzahl dieser abscheulichen Thiere; sie fliegen Tag und Nacht darin umher, und so ist es zu keiner Stunde rathsam, hinein zu gehen.«

»Auch bei Tag? ich glaubte, nur in der Dämmerung kämen sie hervor. Aber so lass' sie doch durch meinen Jäger schießen, hörst Du, er soll mir berichten, wann ich wieder hinein gehen kann.« –

La Fleur machte eine stumme Verbeugung und die Dame schlug wieder die Richtung nach ihrem Schlosse ein, um ihren Spaziergang zu beenden.

Die Marquise war jene Dame, welche Lorenz Sterne in Calais kennen lernte und mit welcher er in ein so zartes und flüchtiges Verhältniß trat, wie es von ihm auf einigen Blättern des unsterblichen Werkes, das er »Yoricks empfindsame Reise durch Frankreich und Italien« nannte, geschildert worden ist; jenes duftig hingehauchte Frauenbild, das an einem der schönsten und denkwürdigsten Augenblicke seines Lebens so viel Antheil hatte, an dem nämlich, in welchem er Hand in Hand mit ihr und schweigend vor dem Remisenthor zu Calais stand: jene Dame, für welche er auf La Fleur's Betrieb und Dringen den Brief des lustigen Tambours an die Frau des Korporals abschrieb, als er in Amiens war; kurz, jene Lady L., deren anziehende, mit den weichsten Farbentönen und Zügen gezeichnete Gestalt Keiner von Euch vergessen hat. Sie hieß Marquise Lamberti.

Das Verhältniß Sterne's zu ihr war jedoch nicht so ganz vorübergehend und romantisch unklar geblieben, wie er es geschildert hat. So wissen wir zum Beispiel, daß die Marquise Lamberti es war, welche durch ihre Verwendung ihm aus der Noth half, als er trotz des Krieges zwischen England und Frankreich sich ohne Paß im feindlichen Lande befand. Obwohl er selber erzählt, der Graf B. (Breteuil), dem er durch seinen Landsmann Shakespeare vorgestellt worden sei, habe ihm beim Minister Choiseul diesen Dienst erwiesen.

Die Marquise lebte jetzt nach dem Tode ihrer beiden Brüder unabhängig auf einem ihrer Güter in der Landschaft, welche man damals Isle de France nannte. Verheirathet war sie nicht – entweder weil Niemand vor ihren etwas schwärmerisch schmachtenden Augen Gnade gefunden hatte – oder auch, weil Niemand von der Hoffnung, Gnade zu finden vor diesen halb verschleierten und doch so sprechenden Blicken, entflammt und herbeigezogen war.

So lebte sie einsam, nur von einer passenden Anzahl Domestiken umgeben, nur zuweilen von einer Verwandtin oder Freundin besucht, auf ihrem Landhause. Glücklich in dem stillen Walten, dem Gedanken- und Thätigkeitskreise, den weibliche Anmuth um sich zu ziehen weiß, daß er eine eigenthümliche, hier rosenroth angehauchte, dort freilich wieder feucht und neblicht verschleierte Himmelsphäre scheint, sehnte sie sich nicht in die Welt hinaus, die in Paris oder in Versailles ihr offen gestanden hätte. Sie gehörte nicht in diese Welt des achtzehnten Jahrhunderts; sie hätte sich darin überall am unrechten Orte gefühlt, und sich weder zu den geistreichen, noch zu den ausgelassenen Frauen – den Beherrscherinnen jener Zeit – gesellen können.

Die Marquise Lamberti hätte ein Jahrhundert später geboren werden müssen; sie war eine poetische Frau. Ich verstehe darunter eine Dame, die außer einem unausdrücklichen Etwas, das noch am bezeichnendsten, aber zu unzart, unbefriedigtes Schmachten genannt werden mag, – Geschmack, Phantasie und Poesie hat und nie versucht, schlechte Verse zu machen.

Das unbefriedigte Schmachten der Marquise, das hier besser Sehnsucht hieße, ließ ihr Auge auf der hohen Denkerstirn und den milden, bleichen Zügen eines großen, abgezehrten und ganz schwarz gekleideten Mannes haften, dessen Bildniß von der Hand des besten Meisters in Frankreich gemalt, sie von den Wänden ihres Wohn- und ihres Schlafzimmers herab mit all seiner gutmüthigen Satyre und verzweifelt ernsthaften Lustigkeit anschaute, dessen Büste in Carrarischem Marmor auf dem Kaminsims ihres Speisesaales prangte; dessen Schriften endlich, prachtvoll in rothen Sammt gebunden, immerwährend auf ihrem Tische oder dem ausgespannten Stickrahmen vor ihr lagen. Ihre Sehnsucht war der gefühlvolle Fremde zu Calais, der sanfte Abbé aus England, war Lorenz Sterne.

Der Kultus des Genius ist älter, als das neunzehnte Jahrhundert, sieht man; aber wenn die Marquise Lamberti als Anhängerin eines solchen Kultus genannt werden muß, so soll ihr dennoch Keiner deshalb zu nahe treten. In ihrem Herzen, wie in dem so manches anderen weiblichen Wesens, war Andacht genug, um Jedem das Seine geben zu können. Gott segne sie! – sie war eine weiche, duftige Seele, zu kindlich, um des Glücks oder des Unglücks recht bewußt zu werden, zu gläubig und harmlos, um je über getäuschte Illusionen lang klagen zu dürfen. Ihr Herz war voll Liebe und Mitleid, schwere Pflichten zu erfüllen hätte sie nicht Federkraft genug in sich gehabt, aber die leichten ihrer Lebensstellung erfüllte sie so, daß ihre Guts-Unterthanen sie vergötterten – und nebenbei thaten, was sie wollten. Uebrigens hat Niemand je wie sie der armen Maria von Moulines Schmerz mitgefühlt, Niemand so viel Thränen über die Geschichte von Le Fevre vergossen, Niemand endlich sich so tief hineingedacht in das Leid des langnasigen Fremden in Straßburg.

Aber es war auch Niemand, der mit mehr Interesse und Spannung zu enträthseln gesucht hätte, wer denn Eliza sey, die Dame, für welche Sterne in seiner empfindsamen Reise mehr als eine begeisterte Verehrung an den Tag legte. Sie hatte sich lebhaft darnach erkundigt und überall, wo es ohne Aufsehen zu erregen geschehen konnte; aber ohne Erfolg. Ihre Bekannten fanden es sehr gleichgültig, wer die Geliebte eines englischen Klerikers sei, von dem sie nicht viel mehr wußten, als daß er Bücher und Predigten geschrieben habe, wie viele Abbés in Frankreich dasselbe thaten. Die öffentlichen Blätter kümmerten sich nicht wie jetzt um die Schriftsteller und ihre Verhältnisse, obwohl es gerade die Zeit war, worin ihr weltgeschichtlicher Einfluß begann, gefühlt zu werden. So las die Marquise in den Zeitungen denn nur eine Nachricht, worin der Tod Sterne's gemeldet wurde; über Eliza keine Sylbe. –

Es war ein Mann in Frankreich, der ihr hätte Auskunft geben können, doch der gehört in das Ende unserer Erzählung und die Marquise kannte ihn jetzt noch nicht. So war sie nach und nach zu der tröstenden Ueberzeugung gekommen, Eliza sey eine Dichter-Phantasie, eine Schöpfung der Einbildungskraft, und wenn Sterne je – seine Jugend vielleicht ausgenommen – wenn er je Gefühle einer rosenfarbenen und romantischen Art gehegt habe, so sey sie, in deren Antlitz er mit so innigem und schwärmerischem Ausdrucke geblickt, nicht ohne Antheil daran gewesen. –


Der Held.

Madame Lamberti hatte immer mehr dieser Ueberzeugung und den Gefühlen und Stimmungen, welche sich daraus für sie entwickelten, nachgegeben, als eines schönen Tages die ewig denkwürdige Gestalt La Fleur's vor sie trat, ein Blumenbouquet im Knopfloch, eine glänzend neue, unächte Goldtresse auf seiner rothsammtnen, noch ganz tragbaren Weste, und einen kleinen Stahldegen an der Seite.

Die Marquise erkannte ihn auf der Stelle wieder, obwohl er um ein Merkliches gealtert war und allerlei Gefahren und Schicksale, die ihn verfolgten, seit er die Trommel des Königs geschlagen, ebenso viele kleine Falten um die Mundwinkel und auf die Schläfe seines freundlichen Gesichts gezogen hatten.

»Sie erkennen mich, Madame?« sagte er, – »oder soll dieser stumme Herold mich Ihnen vorstellen?« –

La Fleur zog bei diesen Worten einige vielzerlesene Blätter aus seiner Westentasche und entfaltete sie auf dem Tische vor der Marquise. –

»Sehen Sie – Madame – hier – Ihr unterthänigster Diener.« –

Der Name La Fleur stand mit großen Lettern gedruckt da; es waren Nummern einer englischen Zeitschrift, die den Titel: » The Oracle« führte; mehre der Spalten füllte ein Aufsatz, der »Sterne's La Fleur« überschrieben war und Notizen über Sterne enthielt, wie La Fleur sie dem Verfasser angegeben hatte; andere ferner über La Fleur selbst.

Die Marquise war zu bewegt, als sie auf die Blätter blickte, um ihren Inhalt zu begreifen; sie sah wieder auf und nahm ein triumphierendes aber zugleich verschämtes Lächeln wahr, das über La Fleur's Gesicht glitt.

»Wollen Sie in meine Dienste treten, Monsieur La Fleur?« sagte sie.

Er legte die Hand aufs Herz und verbeugte sich so tief, daß ihm der Blumenstrauß entfiel, den er aufraffte und, um seinem tiefen Bücken eine anmuthige Wendung zu geben, kniend der Marquise überreichte.

»Sie sollen den Abend ihres Lebens in Ruhe bei mir zubringen,« sagte sie. »Bestimmen Sie ihre Besoldung; von Livree kann bei einem so berühmten Manne natürlich nicht die Rede seyn,« setzte sie lächelnd hinzu.

»Madame,« sagte La Fleur, »Ihre Gnade drückt mein Herz; aber was den Abend meines Lebens betrifft, so glaube ich meinen Lebenstag zu den langen sommerlichen rechnen zu dürfen.«

»Freilich, La Fleur, Sie haben Recht, die Welt weiß, daß Sie ein Schmetterling sind!« –

Die Summe, welche La Fleur darauf als monatliche Besoldung für die Bemühungen eines Kammerdieners sich bestimmte, war so bescheiden abgemessen, daß die Marquise sogleich das Doppelte aussetzte. So hatte er Grund, sein Glück zu preisen, welches ihn hierhin geleitet, um seinem beweglichen Leben ein stilles Mittagsschläfchen zu gönnen, wie er es nannte. Seine Gebieterin bewies sich so nachsichtig, so gütig gegen ihn, wie es kaum jemals sein früherer Herr gewesen. Er hatte fast keine andere Mühe, als ihre Mahlzeiten zu bedienen; am Ende derselben sagte sie gewöhnlich lächelnd: » Pray, Trim, stay a little in the room;« er mußte dann auf einem Stuhl ohne Lehne ihr gegenüber sitzen und ihr von Yorick erzählen; und das Interesse, welches er dadurch für sie bekam, machte sie willig, nebenbei seine Erzählungen von seinen eigenen Schicksalen anzuhören.

La Fleur war nicht ohne Schlauheit. Er errieth, welche Wendung das Gemüth der Marquise genommen hatte und bestrebte sich, derselben, so viel er konnte, zu schmeicheln. Als er eines Tages von dem früheren Aufenthalt seines Herrn in Paris sprach, und den Besuch berührte, welchen dieser von der Kammerjungfer der Madame de R. erhielt – es war wahrhaftig Schade, sagte er; sie war so hübsch und so petite – ward die Marquise roth, wandte sich von ihm ab und schickte ihn bald darauf fort. La Fleur berührte seitdem nie wieder Sterne's Verhältniß zu Frauen; und als er nach Eliza ausgeforscht wurde, betheuerte er, nichts von ihr zu wissen.

Diese Versicherung war der Marquise sichtbar angenehm gewesen. Sie schien überhaupt streng zu seyn, wo die Rede von dem war, was sie müßiges Tändeln mit den edelsten Gefühlen des Herzens nannte. La Fleur war in diesem Punkte verschiedener Ansicht; und da Namen sehr viel thun, um derselben Sache ein anderes Licht zu geben, so hielt er seiner Seits entschieden an dem Ausdruck: »Würze des Lebens« fest. Und, weil er ferner der Marquise gegenüber sich keinen Widerspruch erlauben durfte, schien die zurückgedrängte Ueberzeugung ihn desto eifriger anderswo Gelegenheit suchen zu lassen, seine Meinung auszusprechen und an den Mann zu bringen.

Ein Bekehrer findet immer die ersten Gläubigen unter den Frauen; La Fleur wußte das und suchte mit einem gewissen warmen Eifer seine Ansichten dem jüngeren Theile der weiblichen Dienerschaft faßlich zu machen. Besonders gegen Marguerit, das hübsche, frische Kammermädchen von Madame, hielt er keinen Augenblick damit hinter dem Berge. Und obwohl Marguerit, wenn sie von den Andern deshalb geneckt wurde, aufs lauteste erklärte, er komme ihr vor wie ein Erzwindbeutel, so fand doch die Marquise nach einiger Zeit für gut, ihr durch den Haushofmeister andeuten zu lassen, man würde sie fortschicken, falls sie nicht ernstlicher La Fleur's Huldigungen zurückwiese.

Sie fortschicken! sagte La Fleur, als er dieß vernahm; – sie fortschicken, das arme Ding – und Madame ist sonst so nachsichtig, so voller Güte – besonders gegen mich; eigen das! die Schuld hätt' ich doch, wenn hier von Schuld die Rede wär'. Sie droht mir nicht, mich fortzuschicken. Hat je eine Dame gegen ihren Kammerdiener – La Fleur, Du bist ein Esel! –

Nachdem La Fleur diese für ihn höchst wichtige Entdeckung gemacht, brach er vor Freude in ein schallendes Gelächter aus, das sich nicht eher hemmen lassen wollte, als bis er drei kunstreiche Pas zur Seite ausgeführt hatte, wodurch er dem Spiegel gegenüber gelangte und in der Stellung des Nachdenkens fortfuhr:

Zwar Du bist nicht jung mehr; aber was Grazie anbetrifft – was Gewandtheit, Lebhaftigkeit, Erfindungsgeist und Unterhaltungsgabe – und ferner, Du bist berühmt, Du hast in der Zeitung gestanden – sie aber ist unabhängig! –

La Fleur schnalzte mit den Fingern, freute sich, wie sein Abbild im Spiegel es so anmuthig nachzumachen wisse, eilte hinaus und als er der Marquise wieder gegenüber saß, berührte er einen Umstand, den er bis jetzt noch nicht Veranlassung genommen hatte anzudeuten.


Der gütige Gatte.

Madame,« sagte La Fleur, »ich war verheirathet.« –

»So, und das hast Du bis jetzt mir verschwiegen?«

»Ach, Madame, es kostet mich Ueberwindung, die traurigste Episode meiner Lebensgeschichte zu berühren.«

»Armer La Fleur! warst Du nicht glücklich?«

»Madame, ich war ein gütiger Gatte.«

»Ich glaube es; war das Dein Unglück?«

»Zum Theil; hören Sie die kurze Erzählung an: Sie sah der armen Maria von Moulines ähnlich; als ich sie erblickte, war mein Entschluß gefaßt. Sie war eine Putzmacherin, die älteste von zwei Schwestern in Montreuil und ein sehr hübsches Mädchen. Wir zogen nach Calais; aber trotz allen Fleißes verdiente sie nur sechs Sous täglich, und wir darbten. Madame, es brach mir das Herz, sie darben zu sehen. Anna, sagte ich, der Krieg ruiniert uns; ich will wieder in die Welt hinaus, um unsere Lage zu verbessern; ich will wieder in Dienste gehen; für mich ist dann gesorgt, und was ich verdiene, wirst Du erhalten; es wird hinreichen. Ich ging, ich ward Kammerdiener, in England, in den Niederlanden; endlich trieb mich die Sehnsucht, den eigenen Heerd wieder zu suchen. Ich komme nach Calais zurück, ich komme in die Königsstraße« –

»Nun La Fleur?« sagte die Marquise.

»Madame,« versetzte er – »sie ist todt!« –

»Todt? sie war gestorben, während Du in der Fremde Dir um ihretwillen Entbehrungen auferlegtest?« –

»Nein, Madame, das nicht; sie war fortgezogen mit einer Truppe wandernder Schauspieler. Der Mangel hatte sie gezwungen. Es mochte nicht ausgereicht haben, was ich sandte. Sie bedurfte so viel! Daß sie aus Liebe zu einem der untergeordneten Mitglieder der Gesellschaft davon gezogen sei, wie ihre Eltern mit großem Zorne mir versicherten, habe ich nie geglaubt; es war Verläumdung – ›sey Du so weiß wie Schnee, so keusch wie Eis, Du wirst doch der Verläumdung nicht entgehen.‹ Ja, es war unmöglich; ich habe sie auf den Händen getragen und sie verdiente es, obwol mich nur der angeborene Trieb meines Herzens so handeln ließ.«

»Und später hörtest Du, sie sey gestorben?« –

»Nein, Madame, es bedurfte dessen nicht; ich bin überzeugt davon. Unsere Sympathie hätte sie ahnen lassen, daß ich zurückgekehrt, und sie würde in meine Arme geeilt sein, wäre sie noch unter den Lebendigen gewesen.«

»Aber, La Fleur, das ist kein Beweis.«

»Meinem Herzen genug, Madame; das bedarf der weiteren nicht.«

»Und hast Du weitere?«

»Ach, nur zu überwältigende! meine Frau war ein Wesen voll Talent, voll Geist, voll rascher Fassungsgabe; die stürmischesten Affekte standen ihr zu Gebote – o sie hat mir so manche hoch tragische Scene gespielt – als Rodogune, als Berenice, ja vor Allen als Jezabel müßte sie unvergleichlich gewesen seyn. Ja, Madame, wäre sie am Leben, so würde ihr Ruf alle Bühnen erfüllen, und man würde nicht von der dramatischen Kunst in Frankreich reden können, ohne zugleich mit Bewunderung den Namen Anna La Fleur aussprechen zu hören.«

»So,« sagte die Marquise lächelnd, »Deine Gründe sind freilich triftig, aber ich muß gestehen, sie befriedigen mich nicht völlig.«

»Nun, so hören Sie den Letzten, Madame, wenn Sie mich zwingen wollen, ein Schreckensbild herauf zu beschwören, das ich nicht ohne tiefe Bewegung mir ausmalen kann. Ach, ein nasses Wellengrab!«

La Fleur nahm eine tragische Stellung an; er erhob die Blicke, als wolle er gen Himmel einen Vorwurf emporsenden und sagte:

»Madame, es ist ein Schiff im Kanale zu Grunde gegangen, zu Grunde gegangen mit Mann und Maus, mit Weib und Katze!«

»Und unter dem letzteren Theile der Befrachtung war Deine Frau?«

»Ich weiß, daß sie um jene Zeit zu einer Reise nach England sich angeschickt hat. Und da sie gestorben ist, ohne eine Spur von sich zu hinterlassen, kann ich zweifeln, daß der neidische Neptun sie in seinen kalten Schooß gezogen hat?«

»La Fleur, ich glaube, Du hat zu früh verzweifelt; sag' mir doch, wie ihr Vater heißt? er lebt noch?«

»Freilich, Madame, Maitre Andre in der kleinen Hafenschenke in Calais,« erwiderte La Fleur, dem die Ungläubigkeit der Marquise unbequem zu werden anfing, und der deshalb die Gelegenheit abzulenken ersah. Er fuhr fort: »es ist der kleine Maitre Andre, der immer von seinen Reisen in Holland erzählte. Er war ein drolliger Mann: La Fleur, sagte er immer,– wenn Ihr einmal das mächtige Amsterdam und das Glockenspiel auf dem Stadthuys sehen könntet! – Ach Gott, Madame, wie kannt' ich Amsterdam! aber er war der Vater meiner Frau; und wie ich sie auf den Händen trug, so war es auch mein Grundsatz, gegen ihre Eltern voll der zartesten Rücksicht zu seyn. Deßhalb war ich nie in Amsterdam gewesen; ich hatte nie das Herz der siebzehn vereinigten Provinzen vom Untergange gerettet und sagte: ›Also Maitre Andre, Ihr seyd in der That in Amsterdam gewesen und habt das Glockenspiel auf dem Stadthuys läuten gehört?‹ –

›Läuten gehört, Monsieur La Fleur? gesehen hab' ich's, Alles durchgesehen von Anfang bis zu Ende,‹ versetzte er dann: ›seht, man geht gerade seines Weges von der großen neuen Börse her auf das Stadthuys zu und dann dreist hinein, und dann kommt ein langer, hagerer Mynheer, – zu meiner Zeit war er lang und hager, ob er jetzt fetter geworden ist, ich weiß es nicht – der fragt, was man will, ob man das Gebäude sehen will, die Bilder, die Reichs- und Staatsperücke des großen Willem van Oranien, den Saal der Provinzen, und was da sonst für Alterthümer sind: was Bilder, was Staatsperücken, müßt ihr dann sagen: ich will die Engelland'sche Jagd sehen.‹«

»La Fleur,« unterbrach die Marquise freundlich den Erzähler, »ich will Deine Engelland'sche Jagd ein andermal sehen; aber Dein Herz ist wie das eines Kindes so harmlos; Trauer und Lachen schwebt auf denselben Lippen.«

»Ach, Madame, hätten Sie gesehen, wie kindlich ich meiner Anna gegenüber stand: wenn sie zürnte, dann zitterte ich; war sie heiter, dann kam es mir vor, als ob ich jetzt über die Dächer fliegen dürfte. Ich war ein gütiger Gatte, Madame!«

»La Fleur, sagte Madame Lamberti nach einer Pause des Nachdenkens, »ich will thun, was in meiner Macht steht, Dich wieder glücklich zu sehen.« –


Einfälle.

Die Marquise sprach diese Worte mit einer Betonung, welche eine Art angenehmen Schauers durch La Fleurs Herz ziehen ließ. Ob er sie recht verstand, ist sehr die Frage; sicher ist, daß ihm gewisse Maßregeln, welche die Marquise nach dieser Unterredung einleitete, völlig unbekannt blieben.

Aber mehr als je zuvor bestrebte sich La Fleur jetzt, mit den schätzbaren Fertigkeiten, zu welchen seine angeborenen Talente sich ausgebildet hatten, einen glänzenden Eindruck auf seine Gebieterin hervorzubringen, und seine mancherlei Gaben in das hellste Licht zu stellen. Er ward unermüdlich im Ersinnen kleiner Ueberraschungen, die im Stande waren, ihr einige angenehme Augenblicke zu bereiten. –

Wenn er sie im Garten wußte, nahm er die Trommel, die ihm der Ortswächter unter der Bedingung bei allenfalls plötzlich ausbrechender Feuersnoth sie ja rasch wiederzubringen, mit vieler Zuvorkommenheit geliehen hatte, und eilte damit in irgend ein verstecktes Berceau. Und nun mußte es der Marquisin gewiß eine rechte Freude seyn, ganz umsonst in ihrem eigenen Garten aufs Zierlichste die Leibmärsche aller angesehenern europäischen Potentaten schlagen hören zu können, um so mehr, als La Fleur dem rauhen Instrumente die möglichste Anmuth und sogar einen gewissen schwärmerischen Anhauch von Schwermuth, wie es zu seiner Herrin Gemüthstimmung nur immer paßte, zu geben sich anstrengte.

Sie lag einst, nachdem lang der Schlaf sie geflohen, in dem ersten Schlummer, als sie plötzlich durch eine Folge dröhnender, an den Scheiben ihres Fensters klirrender Töne aufgeweckt wurde, in welche das Heulen des aufgestörten Hofhunds sich mischte, der eine zage und angstvolle Modulation nach der andern begann. Erschrocken riß sie das Fenster auf; die Töne verdoppelten sich; es schien ihr, als ob die im Mondlichte schlummernden Wellen des breiten Schloßgrabens unten erschüttert davon zusammen zitterten. Ihr Auge spähte lang vergebens nach der Ursache dieser sonderbaren, bangathmig hinrollenden Klänge, die etwas von einer wilden, aber sehr fessellosen Melodie hatten. Endlich errieth sie die Quelle derselben; drüben stand, in anmuthiger Stellung, auf einem Beine ruhend, während die Schulter an den Stamm einer Akazie lehnte, Monsieur La Fleur und stützte mit beiden Armen das Instrument, welches die Tuba seines Virtuosenruhmes werden sollte.

Dieß Instrument war nichts Geringeres, als ein ellenlanges altes Sprachrohr. La Fleur wußte sich im Besitze einer sehr hörbaren Stimme und hatte deßhalb beschlossen, sie in der ersten schönen Mondnacht unter den Fenstern seiner Herrin ertönen zu lassen. Aber wie hätte ein zartes und schmachtendes Lied, welches allein zu der stillen Stunde, der leise schlummernden Umgebung und den eben so leise schlummernden Absichten La Fleur's in Harmonie stand, über den weiten Wassergraben hin, und durch ihr vielfach verhangenes Gemach bis zu ihr sich Bahn gemacht? Laut zu schreien wäre unanständig gewesen. La Fleur mußte ein anderes Mittel entdecken, sich verständlich zu machen; und er fand es; es stand in einer Rumpelkammer, bestäubt und beinahe vergessen. Als nun die erste milde Nacht des Vollmonds gekommen, und es eilf Uhr an der Schloßuhr geschlagen hatte, war er sachte damit in den Baumhof dem Fenster der Marquise gegenüber gerückt. La Fleur wartete nun, bis alle Lichter nach und nach im Schlosse erstarben; endlich verlöschte auch das Letzte; es war das ihre; La Fleur harrte noch eine Pause; dann räusperte er sich, setzte an und sang, so weich und schmelzend es ihm gelingen wollte, das Lied: » God save the King,« ein durch seine Schönheit sowohl als seinen vaterländischen Werth für die von der Marquise so verehrte englische Nation gewiß gleich ausgezeichnetes Musikstück. Es lautete aber durch das lange Sprachrohr nicht ganz so lieblich, wie La Fleur erwartet hatte; vielmehr möchte es dazu mehr geeignet gewesen seyn, irgend ein großartiges Bild heraufzubeschwören, z. B. von einer Schaar zur Andacht gerührter und um den Nordpol versammelter Wallfische, die mitten in dem löblichen Werke begriffen, dem großen Bären eine Jubelhymne vorzubrüllen.

Die erste Bewegung der Marquise war, mit den Händen nach beiden Ohren zu fahren, um sie so dicht wie nur immer möglich zu verstopfen; dann, als eine Pause gekommen war, rief sie mit ängstlicher Stimme: »La Fleur, La Fleur, La Fleur!« –

La Fleur verbarg sich verschämt hinter dem Stamme der Akazie; als aber die Marquise ihren Ruf wiederholte, trat er hervor, zupfte verlegen die Busenkrause etwas mehr heraus, obwohl sie wegen der Nacht doch unsichtbar war, und schritt bis zum Rande des Wassergrabens vor. Nachdem er nun das Sprachrohr neben sich gestellt hatte, als ob es unbillig sey, ihm seinen Theil an der Ehre des Abends vorzuenthalten, kreuzte La Fleur die Arme über die Brust, wie es einem gerufenen Sänger zukommt, und machte eine sehr tiefe Verbeugung.

»Um des Himmels willen, was machst Du, La Fleur?« rief die Marquise.

»Ach, Madame, ich habe Sie nicht befriedigt!« – sagte La Fleur mit dem Ausdrucke schmerzlichen Verzagens, so gut er sich in einen lauten Ruf legen läßt.

»In der That, das hast Du so hinreichend, daß ich Dich bitte, zu Bette zu gehen, und Dir, wie allen andern lebenden Wesen auf drei Meilen im Umkreise, die Nachtruhe zu gönnen.«

»Hätte ich es in der That, Madame? o dann hören Sie gnädigst, nur noch eine Arie – oder das schöne › Marlborough s'en va-t-en guerre, qui sait quand il reviendra?‹« –

»Ja, La Fleur, gegen das Lied läßt sich nichts einwenden, aber ich bedarf der Ruhe, und befürchte auch, meine Pachter werden wach und steinigen Dich. Darum geh und leg Dich schlafen.«

Die Marquise warf das Fenster zu; La Fleur stand zaudernd noch einige Augenblicke, dann bemerkte er, daß man im Schlosse wach geworden war und Lichter hinter den Fenstern her die Corridors entlang flimmerten. Er hielt es nun für Zeit, sich zurückzuziehen, eigentlich nicht ganz beruhigt über die Art, wie sein Einfall aufgenommen sey, obwohl er sich selbst wiederholt versicherte, daß einem verliebten Herzen Alles gefalle, und er deshalb auch sich keineswegs entmuthigt fühlte, seiner Herrin noch ferner ähnliche und noch bessere Ueberraschungen auszusinnen.

Und La Fleur war ein erfinderischer Kopf; er brauchte nur Morgens bis zehn Uhr im Bette liegen zu bleiben, um die schönsten und großartigsten Gedanken in Fülle sich unter dem krauslockigen Haare seines Hauptes regen zu fühlen.

So lag er eines Tages sinnend da; seine Lippen waren in fortwährender, emsiger Beschäftigung, lauter unhörbare Worte zu bilden; zuweilen tönte auch eine vernehmbare Sylbe dazwischen; er legte beide Hände verschränkt unter den Kopf: – »ich glaube, wir werden heute Mittag Kohl von Beauchoux haben;« – eine Folge stummer Lippenbewegungen; er streckte das rechte Bein in die Höhe, wie Einer von den Schattenfüßlern des Landfahrers Montevilla; – »ein hübsches Bein – ma foifoi, ein sehr hübsches Bein. –Aber Pest! – will denn gar nichts – halt!« –

La Fleur lag eine Zeitlang in das Anschauen seines Beines versunken, dann sprang er empor, war mit einem Satze aus dem Bette und eilte auf die Trommel zu, welche ihm gegenüber an der Wand hing. –

»Das ist wahrhaft großartig,« rief er aus, riß das Instrument herab, warf das Bandelier um die Schulter, und ließ nun eine Reihe der lebhaftesten Wirbel folgen, welche ihn wie eine Tanzmusik zu Sprüngen begeisterten, daß die Bohlen unter seinen nackten Füßen schütterten. –

»Ei, der macht Leben im Schlosse, das muß man gestehen,« sagte Marguerit, die in diesem Augenblicke über den Gang an seinem Zimmer vorübertrippelte. – »Was mag er denn jetzt haben?«

Nun zeigte die Thurmuhr zehn geschlagene Stunden und Marguerit fiel deshalb kein Grund ein, weßhalb sie nicht einmal die Thüre öffnen und schauen sollte, was La Fleur zu dieser so laut mit Gott und der ganzen Welt in Einklang tönenden Stimmung bewege. Sie drückte das Schloß auf und steckte den Kopf in die Stube.

»Juchhe! vive la bagatelle!« – rief La Fleur und sprang in die Höhe, indem er seine Füße umeinander wirbeln ließ trotz den wirbelnden Stöcken, die auf dem Trommelfell lagen. – »Kann ich tanzen, Marguerit?« –

Es war keine Kunst, daß La Fleur tanzen konnte, denn an seiner ganzen Figur war nichts, was ihn irgend hätte hindern oder beschweren können. Marguerit nahm sich jedoch nicht die Zeit, diese Bemerkung auszusprechen, wenn sie dieselbe auch zu machen schien, denn mit dem Ausruf: O Maria! lief sie so roth wie ein Scharlachtuch davon, und sagte, als sie athemlos, die Hand aufs Herz gedrückt, in der Küche auf einen Stuhl sank: »Nein, der ist unklug geworden!« –

La Fleur aber war keineswegs unklug geworden, sondern hing die Trommel an den Nagel, und sann nun in still feierndem Bewußtseyn seines Ideenreichthums, während er Stück für Stück seine Kleider anlegte, dem größten Gedanken nach, der, wie er leise murmelte, als ein beglückender Genius in sein Leben herabgestiegen. Zwar, die Ausführung desselben bot Schwierigkeiten dar und erforderte einen Aufwand, welcher alle Ersparnisse La Fleur's zu verzehren drohte; aber war er der Mann, vor Schwierigkeiten zurückzuschrecken? Vor ihm waren schon größere gesunken. –

»Ich will ihr ein Triumphthor bauen, das schöner ist, als der Bogen des – nun wie hieß er doch?– ein Triumphthor, das vielleicht auch mir sich wölbt! – Doch, das steht in ihrer Hand! – Ja, La Fleur,« fügte er hinzu, indem er den Zeigefinger an die Nase legte – »Du würdest ein gütiger Gatte seyn.« –


Das Gebüsch.

Wir haben bis jetzt in unserer Erzählung die zur Geschichte unsres Helden dienlichen Begebenheiten nachholen müssen und sind wieder da ungefähr angelangt, wo wir zuerst ihn fanden; es war in der Gloriette, der Marquise Lamberti gegenübersitzend.

Einige Tage später stand der grüne Jacques, der Waidmann, vor der Dame, und sprach mit großer Zuversicht die Behauptung aus, daß Fledermäuse nie bei Tag sich sehen ließen, und daß auch abgesehen davon, er nicht der Ansicht seyn könne, was ein ordentlicher Jäger sey, würde sich damit abgeben, Fledermäuse zu schießen; wenn Monsieur La Fleur aber davon belästigt würde, so sey Monsieur La Fleur gerade der rechte Mann, ihnen auf eine geschickte Weise etwas schimmernd Weißes, einen gebleichten Knochen oder etwa das Nachthäubchen von Mamsell Marguerit in den Flug zu werfen, auf welches sie sich dann setzen würden, so daß sie herunterfielen, und von Monsieur La Fleur, wenn er anders nicht bange vor ihnen sey, mit großer Gemüthsruhe und Bequemlichkeit todt geschlagen werden könnten.

Nachdem Jacques diesen Bericht beendet hatte, in welchen ihn eine gewisse Herzensangelegenheit die so fein gegebene Stichelei einmischen ließ, obwohl er jetzt allen Grund zu Eifersucht verloren hatte, befahl ihm die Marquise, sich in das Gebüsch zur Seite des Gartens zu verfügen, und auszukundschaften, was La Fleur denn darin anfange. –

»Gewiß wieder irgend eine Ueberraschung für mich!« sagte sie; »der gute Mensch; geläng' es mir doch einmal, durch eine andere und bessere Ueberraschung ihn belohnen zu können!«

Jacques kam wieder, und seine Aussage machte die Vermuthung der Marquise zur Gewißheit.

»Hör' Jacques,« befahl diese darauf, – »Du hat mir von Zeit zu Zeit Bericht zu erstatten, wie weit das Werk, von dem Du sprichst, fortgeschritten ist; aber ich will nicht, daß La Fleur Deine Beobachtungen merke, hörst Du!«

Der Jäger ging und die Marquise folgte ihm nach einer Weile, um einen Spaziergang durch den Garten zu machen. Als sie dem Bosquet nahe kam, konnte sie dem neugierigen Verlangen nicht widerstehen, einmal selbst hinein zu schauen. Sie kam an eine Stelle, wo das dichte Gebüsch zurücktretend einen kleinen Rasenplatz frei ließ; einige Beete mit Malven und Astern waren darauf angelegt, gewannen aber dem feuchten Boden unter dicht schattenden Fichten- und Ahorn-Zweigen nur eine kümmerliche Vegetation ab.

In der Mitte dieser einsamen Stelle zog eine neue Verzierung ihrer Anlagen die Augen der Marquise auf sich. Es war eine Art von Piedestal, kunstlos aus Ziegelstein zusammengefügt, der Mörtel, der aus den einzelnen Schichten hervorgequollen und niedergelaufen war, zeugte von der Schülerhaftigkeit des Maurers in seiner Kunst; sonst zeigte sich allerdings ein gewisser Geschmack in den Verhältnissen von Höhe und Breite. Auf diesem Sockel nun standen zwey Gegenstände, die, wahrscheinlich um das Wackeln zu verhüten, mit einem Stricke von mäßiger Dünne zusammengebunden waren.

Die Marquise erkannte sie nicht sogleich, entdeckte aber bei näherem Beschauen, daß der kleinere eine alte irdene Blumenvase aus Thon sey, ein Gefäß, das sie früher in ihrem Zimmer benutzte, bis ein unglücklicher Fall es um einen Henkel und seinen Deckel gebracht hatte. Der größere Gegenstand aber war ein sehr stämmiger Genius von Sandstein, mit einer aufgerichteten Fackel, der früher ein Postament vor der Orangerie geschmückt hatte, aber schon seit Menschengedenken vor demselben mit der Nase im Sande gelegen hatte. Jetzt war er von allerhand Moos- und Flechtenauswüchsen gesäubert und zur Seite der Trauer-Urne aufgestellt, wohin seine aufgerichtete Fackel, das Attribut Hymens, freilich nicht recht paßte; der Anordner des Ganzen hätte aber die Ausrede gehabt, daß das oberste Stück mit der Flamme ja durch irgend ein glückliches Mißgeschick davon abgebrochen sey und man also doch den Genius mit der gelöschten Fackel vor sich habe.

Die Marquise hatte sich mit sachten Schritten genaht, denn hinter dem Bauwerk her tönten die wehmüthigen Klänge einer schlecht gespielten Flöte; und nachdem sie ein paar Blicke über die ganze Anstalt hatte schweifen lassen, wollte sie sich leise zurückziehen, da es ihr unangenehm gewesen wäre, den Spielenden in seinen melancholischen Läufen, von denen man in Wahrheit sagen konnte, daß sie sehr traurig seyen, unterbrochen zu sehen.

Aber die Marquise irrte, wenn sie glaubte, sie sey unbelauscht in das Gebüsch gedrungen, und werde es so wieder verlassen können. La Fleur hatte ihre Schritte beobachtet, und als er darauf flugs seitwärts durch das Dickicht geschlüpft war, um ihr zuvorzukommen und sich hinter sein Monument zu verstecken, war dieß nicht ohne die sichere Hoffnung geschehen, von ihr in einer so anmuthigen und hochpoetischen Stellung überrascht zu werden, wie man sie nur vor einer Ausgabe von Guarini's treuem Schäfer in Kupfer gestochen sehen kann.

Als er gewahrte, daß sie zurückging, sprang er auf und trat hervor.

»Ach, Madame, Sie hier?«

»Ich, La Fleur; bist Du so erschrocken darüber? Aber sag', was hast Du denn hier gebaut?«

»Madame,« versetzte La Fleur mit einigem Zaudern, während dessen er sein Werk überblickte und fand, daß es gut sey – »Madame, ich habe von Ihrer Gnade gehofft, sie würde meinen gefeiertsten und besten Erinnerungen dieses kleine stille Fleckchen, das von Niemand benutzt wird, als Asyl vergönnen. Das Herz und seine wärmsten Gefühle,« fügte er mit einer lächelnden Verbeugung gegen die Marquise hinzu: »gehören den Lebenden; aber die Erinnerung sind wir den Todten schuldig. Sehen Sie diese Urne an; es ist Alles, was mir von ihr übrig blieb, Madame – sie stehen an dem Epitaphium meiner verklärten Frau!« –

»La Fleur,« sagte die Marquise, indem sie sich bestrebte, eine große Heiterkeit nicht verletzend sichtbar werden zu lassen, »ich bewundere nicht minder die Zärtlichkeit, womit Du Deine Worte als die über das Grab hinausdauernde Treue, womit Du diese Steine, freilich etwas kunstloser, zusammengesetzt hat. Uebrigens verspreche ich Dir eine bessere Urne mit Inschriften und Allem, was Du willst, wenn die Zeit beweist, daß Du sie mit Recht aufstellen kannst. Aber ich bin nicht gekommen, Dich in Deinen Erinnerungen zu stören, bleib.« –

Sie schritt weiter in das Gehölz hinein.

»Madame,« sagte La Fleur, indem er seine Flöte in den Sack schob und ihr folgte: »wir dürfen den Erinnerungen nie vor dem Reize des Lebens den Vorzug geben, – aber die Fledermäuse!« –

»Ja, die Fledermäuse, die bei Tage fliegen! Du hat Recht, ich will zurückgehen.«

Als die Marquise an den Taxuswänden ihres Gartens auf und niederschritt, folgte La Fleur ihr eine Zeitlang schweigend nach.

»Sehen Sie diesen Mops an,« sagte er darauf, stehen bleibend und auf eines der kunstreich ausgeschnittenen Geschöpfe deutend, welche die immergrüne Wand schmückten; – »und sehen Sie dort die dicke Gans; jedes dieser Thiere erinnert mich an eine Anekdote, welche ich noch nicht die Ehre hatte, Ihnen zu erzählen, Madame.«

»Nun, so thu' es jetzt, La Fleur.«

»In der ersten, vom Mopse handelnd, ist mein seliger Herr der Held; sie werden daraus sehen, daß er auch scharf und beißend seyn konnte, obwol er sonst ein Engel war und seine Köchin ihm eines Morgens verdrießlich den Dienst kündigte, weil er sich Alles gefallen lasse und sie nie wissen könne, ob sie es nach seinem Sinn mache oder nicht. Ach, Madame, er war so sanft gegen Damen! Aber er schied von Keiner, ohne sie, und wäre sie bei seinem Kommen noch so ausgelassen gewesen, in sehr ernsthafter Stimmung zu verlassen. Als wir in Italien waren, hielt er sich acht Tage in Siena auf; und wissen Sie, weßhalb? Allein das Frauenzimmer fesselte ihn; es ist das schönste von ganz Italien; er hatte seine Lust an der reizenden Betrachtung der Farbentöne der Seele, welche über diesen ausdrucksvollen Gesichtsbildungen mit dem vollkommenen Oval, dem geistsprühenden Auge schweben. Er hatte auch eine Frau, Madame; aber sie waren Beide sich gleichgültig, wie zwei Menschen nur es seyn können. Ach, er hätte eine andere Frau haben müssen, eine Frau, wie –«

»Nun?« sagte die Marquise erröthend.

»Madame, die Geschichte vom Mops hat zwar noch nicht begonnen, aber ich bitte Sie, anzunehmen, daß sie zu Ende sey, denn die Geschichte von der Gans ist schöner, und weil sie lang ist und ich weit ausholen muß, könnten. Sie ermüdet werden, wie durch die engelland'sche Jagd. So fang' ich die zweite an:


Das Herz der siebzehn Provinzen.

Ich war in Amsterdam. Es war eine kalte Nacht und so stürmisch, daß eine Laterne nach der andern von den Windstößen verlöscht wurde, und nur ein mattes Mondlicht übrig blieb. Von den Linden, welche in Reihen den Zingel entlang stehen, rieselten die gelben Blätter herab und hatten einen weiten Weg in lauter Wirbeln zu machen, bevor sie auf dem Boden der Straße, oder auf den fluthenden Wassern der Gracht ankamen. Nur hie und da schimmerte ein Lämpchen durch eine musselinene Fenstergardine; drinnen mochte sie mit ihrem gelben Scheine um die schnarchende Nase irgend eines Mynheer spielen, daß er in lauter flüssig gewordenen Tonnen Goldes wie ein fetter Schellfisch zu schwimmen träumte, draußen aber glimmte der Schein auf dem gegenüberstehenden Hause, daß es mit seinen verschloßenen Läden und Gitterstangen und düstern Giebelzacken nur noch spukhafter aussah; oder an andern Stellen fiel das Licht auf die Stellen des Kanals, die man darunter brodeln und aufkochen sah, als brühe sich im schmutzigen Grunde ans lauter grünen verschimmelten Holländerseelen eine Hexensuppe gar. Sonst war Alles todt; ich glaube, auch die Nachtwächter.« »Was thatest Du so spät auf der Gasse, La Fleur, und in einer solchen Nacht?«

»Madame, ich werde sogleich die Ehre haben zu berichten, was ich that. Ich schritt die Gracht entlang, bis ich in die Nähe der neuen Börse gelangte. Die neue Börse, Madame, ist ein schönes, wenn auch nicht ganz neues Gebäude. Sie ruht auf vierzig Marmorsäulen, die im innern Hofe rundum die geschmackvoll entworfenen Arkadenreihen tragen. Der Bau ist im Jahre 1608 angefangen worden, und der edelmogende Cornelis Pieterß Hooft hat den ersten Stein dazu gelegt. Aber daß die neue Börse ein schönes und kostbares Gebäude ist, kommt am wenigsten in Betracht; sie umschließt das Herz der siebzehn vereinigten Provinzen von Holland, welches der liebe Gott aus lauter blanken Güldenstücken gemacht hat; die Holländer haben es in Tonnen verpackt, denen sie nur den Boden einzuschlagen brauchen, um wieder Blut durch die Adern ihres Landes pulsieren zu fühlen. Auch Obligationen gehören dazu, von Pergament und Papier, die schwere Menge. Wenn man die fortnähme oder zerstörte, so würden die siebzehn Provinzen zusammenschrumpfen und absterben, wie ein Mensch, dem der Lebenssaft ausgegangen ist. Es sey denn, sie könnten einem Nachbar durch Schröpfköpfe so viel abnehmen, um sich wieder zu erholen.

Als ich nun der neuen Börse immer näher kam, hörte ich von dem Gebäude her leise etwas schallen; ich blieb stehen und vernahm nun, daß es eine regelmäßige Folge von rauhen und rasch abgebrochenen, aber gedämpften Tönen sey, so daß ich nicht wußte, was sie hervorbringen könne. Einige Schritte weiter schien es das Tiktak eines schweren Uhrwerks zu seyn. Ja, jetzt war es deutlich zu vernehmen; dann wieder glaubte ich mich getäuscht zu haben; aber es war nur der Wind Schuld, der die Töne nach einer andern Seite hin geweht hatte, ließ er eine Pause nach, so schallten sie mit ihrem metallenen Klange wieder deutlich an mein Ohr. Sonderbar, sagte ich zu mir selbst, als ich so lauschend am Rande des Kanals stand; eine so große Uhr hier unten an der Außenseite der Börse, wo nie bei Tage etwas davon sichtbar ist? sollte das Herz der siebzehn Provinzen zu schlagen anfangen wie ein Perpendikel? oder ist das Tiktak seine Todtenuhr? –

Ich beugte mich, so weit ich konnte, über die Gracht, da, wo das Wasser die Mauern des Gebäudes bespült. Nun ist die Börse so gebaut, daß der Kanal noch mehre Schritte weit sich unter das Gebäude erstreckt, wo er von ihm überdacht einen kleinen Hafen bildet, der nicht allein durch die Seitenmauern gegen den Wind, sondern auch oben gegen den Regen geschützt ist. Aus diesem Raume her schienen mir die räthselhaften Töne zu schallen, und zwar wie aus einem dunkeln Gegenstande, den ich bei angestrengtem Spähen endlich für nichts Anderes als einen großen Nachen erkannte; er war so weit wie möglich ins Innere geschoben, und schien sicher vor Anker zu liegen.

Meine Neugier war geweckt; ich mußte wissen, was dieß Uhrwerk bedeute, das mir mit Dingen zusammenzuhängen schien, an welche Mynheer Cornelis Pieterß, als er den ersten Stein legte, wahrscheinlich nicht im Entferntesten gedacht. Ohne mich also viel zu besinnen, schwamm und ruderte ich dem kleinen Hafen zu.«

»Wie, in der kalten Nacht sprangst Du in das Wasser? – Du hättest den Tod davon haben können!« unterbrach ihn die Marquise.

»Madame,« sagte La Fleur, »heroische Unternehmungen setzen unsern Geist in einen Zustand von Aufregung und Anspannung, daß wir alle derartigen Bedenklichkeiten aus den Augen verlieren. Ich sprang in das Wasser hinab – wahrscheinlich freilich an einer Stelle, wo zu meinen Füßen ein Kahn lag, den ich aus seinem Ringe am Quai losband, um mich dann mit einer darin liegenden Schalter so gut und so rasch es gehen wollte, nach meinem Ziel voran zu arbeiten. Ja, ich bin um so mehr geneigt, dieß anzunehmen, weil ich eigentlich kein besonderer Schwimmer bin, oder auch, um es gerade herauszusagen, meine Glieder dazu nie viel tauglicher fand, wie den ersten besten Ziegelstein. Doch das ist eins, und wird bei einem Manne, der andere Fertigkeiten besitzt, hoffentlich nicht in Anschlag kommen; genug, ich kam dem dunkeln Gegenstande immer näher, und je näher ich kam, desto lauter und deutlicher wurde das dumpfe Tiktak in seinem Innern.«

»La Fleur, ich wette, es war nichts Anderes, als ein gewöhnliches Waarenschiff, dessen Besitzer zu seiner Bequemlichkeit eine Uhr in der Kajüte aufgestellt hatte.«

»Ganz recht, Madame wenn ich meiner Erzählung vorgreifen soll, so will ich gestehen, daß es ein Waarenschiff war: aber voll Waaren, welche zuerst ein Eroberer aus der Hölle eingeführt hat, und die mit verlorenen Seelen versteuert werden müssen; die Uhr zeigte die Stunde des Todes an, wie die Schloßuhr von Versailles, und das Schiff hieß – nein, es war der leibhaftige, fliegende Holländer!«

»Du machst, daß es mir eiskalt über den Rücken läuft, La Fleur! – fahr' fort.«

»Ich legte mit meinem Kahn bei dem Fahrzeug an; es war eine Barke von mäßiger Größe. Mast, Ruder, ja sogar ein Steuerruder fehlten; dagegen fanden mehre Reihen von kleinen schwarzen Tonnen, etwa von der Größe von Häringfässern darin, auf denen, wie ich später wahrnahm, der Deckel nur eben aufgelegt war. In der Mitte stand ein dunkler Kasten, in dem ein, wie es schien, etwas rostiges Uhrwerk rasselte, freilich nicht stark genug, um weiter als in dem Bereiche des kleinen Hafens gehört zu werden, während die Perpendikeltöne lauter dazwischen tönten. Ich besah diesen Gegenstand von allen Seiten. Als ich mich zuletzt darüber beugte, erblickte ich an der Seite, welche der innern Mauer des Gebäudes zugekehrt war, einen kleinen Docht glimmen, der sich in einzelnen Zuckungen sacht fortzubewegen schien; es war nur ein röthlich gleisender Funken, nicht viel größer als ein Johanniswurm; zur nähern Untersuchung kniete ich deshalb jenseits davor nieder. Der Docht zuckte weiter; ich sah, daß er um das Ende eines langen eisernen Zeigers, wie um eine Luntenstange gewunden war, und abwärts gekehrt dem Boden des Schiffes zustrebte; jede Sekunde ließ ihn um einen Ruck ihm näher kommen – endlich war er so tief gesunken, daß sein glimmender Schein hell auf die ihm nächste Stelle des Bodens fiel.

Diese Stelle des Bodens aber, worauf der Schein fiel, war mit einer dicken Lage Schießpulver überstreut.

Madame, als ich so in der leis geschaukelten Barke kniete und den letzten Grund der ganzen Anstalt durchschaute und sah, daß in der nächsten Minute zuvörderst das marmorne Gebäu des edelmogenden Cornelis, sodann das Herz der siebzehn vereinigten Provinzen, ferner ein Theil der glockenspielklingenden Stadt Amsterdam am Ei, und endlich Ihr gehorsamster Diener selbst vermittelst des fliegenden Holländers zum Teufel zu fahren im Begriffe ständen – Madame, in diesem größten aller Augenblicke verlor ich die Geistesgegenwart nicht. Mit einem plötzlichen, tiefen Aufstöhnen des Schreckens, das mir unwillkürlich entfuhr, streckte ich beinahe gleichzeitig die linke Hand unter den Docht, um ihm oder etwaigen Funken daraus den Weg zu dem Pulver abzuschneiden. Dann netzte ich Daumen und Zeigefinger der rechten – und mit einem behutsamen, aber herzhaften Drucke war die Lunte ausgelöscht.«

La Fleur unterbrach sich und schwieg eine Weile. –

»Ach, Madame, welch ein Augenblick!« sagte er dann mit bewegter Stimme und setzte sich seitwärts auf den nahen Zuber eines Lorbeerbaumes. Seine Wimpern zuckten. Er zog ein zusammengeballtes Zeitungsblatt aus der Tasche, riß es auseinander und wischte die Augen damit, um die Thränen zu stillen, die in dicken Tropfen über seine gebräunten Wangen liefen. »Welch ein Augenblick,« schluchzte er; – »ich hatte Tausenden das Leben gerettet!« –

»Guter La Fleur,« sagte die Marquise, indem sie ihre Hand auf seine Schulter legte und ihr gesticktes Sacktuch ihm reichte: »da nimm dieß – guter Mensch – beruhige Dich!« –

»Ja, ich hatte Tausenden ihr Leben, ihren Wohlstand, den Gott ihres Herzens hatte ich ihnen gerettet,« fuhr La Fleur fort, »ich, der von ihnen Allen am wenigsten an diesem Leben hätte verlieren können. Denn mich hungerte und fror in jener Nacht, und ich wußte weder, wo ich für das eine Uebel noch wo ich für das andere Abhilfe suchen sollte. Es war Keiner unter ihnen, der sich um mich kümmerte, der nicht mit herrischer Stimme eine Anzahl ihrer verfluchten Dubbeltjes gefordert hätte, wenn ich gekommen wär', um bei ihm die Streu seines Hundes zu theilen. Ihretwegen hätte der arme La Fleur zehnmal in die Luft fliegen können; aber ich erhielt sie Alle und obendrein die Seele von Holland!

Aber, Madame, verzeihen Sie,« sagte er, indem er aufsprang, sich verbeugte und das Sacktuch der Marquise in seinem Busen barg; »verzeihen Sie, es überwältigte mich. Erlauben Sie mir, meine Geschichte zu beenden, und von dem reichen Lohne zu sprechen, der aus dem Füllhorn holländischer Dankbarkeit auf mich niederschauerte. Ich hatte also den Docht verlöscht, und schrie und tobte nun wie ein Rasender; endlich öffnete sich hier ein Fenster, dort der Obertheil einer in der Mitte getheilten Thür, wie man sie in Holland hat; hier wurde eine Schlafmütze, dort eine Nachthaube sichtbar, und das Ufer der Gracht entlang eilten jetzt zwey Nachtwächter mit ihren Leuchten und Spießen herbei, indem sie ihre Doggen zurückhielten, die laut heulend in's Wasser zu springen und mich anzugreifen drohten.

›Mar Blixum, wat heft gy dar?‹ rief der Nächste.

›Mynheer,‹ schrie ich zurück, während ich in meinem Kahne mich wieder nach dem Quai hinarbeitete: ›Mynheer, gans Amsterdam heft fullen weren mit Kruit in de Lucht gegoyet!‹

›Heer God en de Duivel!‹ schrien die Nachtwächter, schrien alle Nachthauben-, alle Schlafmützeninhaber rundum. Dann knarrten Riegel und Thüren auf, halbgekleidete Gestalten stürzten heraus, und sobald ich oben auf dem Quai stand, mußte ich dem zusammenlaufenden Haufen berichten, was ich gesehen und gethan. Dann, während Mehre in Kähne sprangen und die Muthigsten sich scheu der verhängnißvollen Barke näherten, entschlüpfte ich, trat ungesehen in eine der offenstehenden Thüren, tappte einstweilen leise in dunklen Räumen umher, und fand endlich ein Sopha, auf dem ich mich ermüdet und von Kälte durchschauert wie eine Schnecke ineinander zog.

Madame, als es Morgen geworden war, da wurde mir mein Verdienst um die Stadt Amsterdam in seiner ganzen Größe klar; denn denken Sie, die junge Youffrow, der dieß Sopha gehörte, die blaß und sprachlos jetzt vor mir stand, und bald auf den beschmutzten Boden, bald auf meine über ihren Kissen ruhenden Stiefel blickte, die vergab mir, als ich nur erst hatte erzählen können, wer ich sey und was ich gethan in der verflossenen Nacht. Ja, sie verzieh mir, und als ich sagte, ich sey nach Amsterdam gekommen, um einen Dienst zu suchen, ging ihr Gefühl, daß sie eine Pflicht der Dankbarkeit gegen mich habe, so weit, mir eine Stelle in ihrem Hause anzubieten, die ich begreiflicher Weise nicht ausschlug. Doch gereute es mich später. Sie bestrebte sich zwar, immer gütig und freundlich gegen mich zu seyn; aber es konnte mir nicht entgehen, wie sie einen gewissen Zwang sich dabei auferlegen mußte, und meine ganze Erscheinung eigentlich bis zu krampfhaftem Uebelwerden unangenehm auf sie wirkte. Madame, zwischen dem Wohlwollen der guten Dame und mir stand ewig ein Schreckensbild mit feindlich hemmender Gewalt: es war das Bild meiner beschmutzten Stiefel auf den gestickten Sophakissen ihres Visitenzimmers.

Für's erste aber stärkte ich mich an dem aufgetragenen Frühstück und nachdem ich mich etwas in meinem neuen Logis umgesehen und einquartiert hatte, ging ich hinaus, um mich nach meinem fliegenden Holländer umzusehen. Die Barke lag am Quai der Gracht; eine große Menge Menschen drängte sich umher, und in der Mitte desselben stand ein Haufen der Stadtknechte, in eifriger Beschäftigung, die Fäßchen abzuwägen, welche man in dem Schiffe gefunden hatte, und die alle bis an den Rand mit gutem Kanonenpulver gefüllt waren. So wie eines gewogen war, wurde es unter lautem Jubelrufen des süßen Pöbels in die Gracht hinuntergewälzt. Am Ende hatte man eilf und einen halben Centner Schießpulver versenkt.«

»Aber, mein Gott, was sollte der höllische Anschlag?« – fragte die Marquise.

– »Er sollte die Börse in die Luft sprengen; er sollte mit einem Schlage den Kredit Holland's vernichten, er sollte den siebzehn Provinzen das Herz aus dem Leibe reißen, und die einstigen Beherrscher der Meere und des Welthandels plötzlich wieder ein Volk unbedeutender Krämer werden lassen – was freilich doch nicht gelungen wäre, denn das Herz kann den Holländern allerdings gestohlen werden, aber nicht die Pfiffigkeit.«

»Und von wem ging der Plan aus?« –

»Madame, das ist ein Staatsgeheimniß; man hat es nicht entdeckt, wenigstens nicht dem armen La Fleur gesagt. – Als ich so dastand, kam ein Mann daher gegangen, dem der Haufen rasch eine Gasse machte, durch welche jener gravitätisch einherschritt. Er steckte in einem alterthümlichen spanischen Anzuge, und hatte einen Mantel von schwarzem Sammt über die linke Schulter geworfen; darauf prangte ein großer silberner Schild von massiver Arbeit, das Wappen der Stadt Amsterdam vorstellend. Dieß Wappen, Madame, ist sehr gut zu erkennen; es ist ein Kerbholz mit drei Zeichen darauf, wie die gewöhnliche Hieroglyphenschrift der Schenkwirthe; der Schild ist ein goldener Edamer Käse und zu beiden Seiten stehen zwey reißende Seelenverkäufer als Schildhalter. Dieser Mann fragte rechts und links im Volke umher, ob man nicht wisse, wohin der Fremde gekommen sey, der in der Nacht das Pulverschiff entdeckt habe. Als ich das hörte, trat ich vor, machte meine Verbeugung gegen den Herrn und sagte, daß ich mich freue, ihn der Mühe des längeren Suchens überheben zu können, und daß ich selber der Mann sey, welcher in der Nacht das Pulverschiff entdeckt und es unschädlich gemacht habe. Madame, der Mann faßte mich schweigend beim Kragen und führte mich gerades Wegs auf das Stadthuys. Hier wurde ich in ein Vorzimmer gebracht, wo ich nach meinem Namen und wer ich sey, und wie es sich eigentlich mit meiner nächtlichen Entdeckung auf's genaueste ausgefragt wurde; dann mußte ich eine Zeitlang warten, bis mein Führer wiederkam, mir den Hut aus der Hand nahm und sodann mich am Arme durch eine Flügelthüre in das anstoßende Gemach schob. Es war ein großes Sessionszimmer. An den Wänden hingen alle die berühmten Admirale und die Schout-by-Nacht, die Statthouders und Borgemeesters; die sahen so feierlich und dabei so grimmig drein, als ob sie wohl zehntausend irdene Pfeifenspitzen in ihrem Leben verbissen hätten. Um die grüne Tafel aber saß der ganze Rath versammelt, lauter ungeheure Allongenperücken, unter jeder eine königliche Nase; den Kopf konnte vor lauter Locken Niemand sehen. Madame, ich wurde ganz wehmüthig gestimmt, als ich so den Stolz und die Herrlichkeit eines freien Volkes vor mir thronen sah; aber es war eine freudige Rührung, und ich wurde selber stolz bei dem Anblick und dachte: imponieren sie Dir – so imponir' Du ihnen wieder; und dabei fiel mir ein, wie ich ja selber meine Ansprüche machen könne, und wenn ich auch keine Allongenperücke habe, doch ohne mich die längste und breiteste von ihnen allen jetzt vielleicht an der linken Mondsichel baumle. Kurz, ich machte meine Verbeugung mit einer gewissen nachlässigen Grazie, und richtete mich dann so hoch wieder auf, wie mich die Natur nur hat wachsen lassen wollen. Darauf stand der Burgemeister selbst, Mynheer Wilhelmus Florentius Pompejus van der Does, auf, und hielt eine Rede an mich. Ja, Madame, es ist die lautre Wahrheit, was ich sage; der Burgemeister von Amsterdam, der großmogende Florentius Pompejus hielt eine Rede an mich, worin er die schönsten Stellen vaterländischer Dichter verflocht, so daß sie einen tiefen Eindruck auf mich machte; ihr Inhalt lautete ungefähr: wie daß der Magistrat erfahren habend, daß ich als Fremdling in der Stadt Amsterdam seyend und durch Wachsamkeit und ächte »Dapperheit« ein Schiff voll Schießpulver unter der neuen Börse entdeckend, die Lunte dabei aber zur rechten Zeit auslöschend und so mir sehr ansehnliche Meriten erworben habend um

Het schipryck Amsterdam, voll nauw-behuysde Huysen,

Voll Stock-Visch en voll Kaes, met ses ghewelfde Sluysen,

De rycke Korenschuer van't volkryck Nederland – &c. &c.

mich für würdig anerkennen wolle, in die Chronika der Stadt eingezeichnet zu werden, und solle also mein Name auf die Nachwelt kommen, wie heute noch Jedermänniglich in den römischen Annalibus von denen lese, welche einst das Kapitolium gerettet: und wie daß der Schatz, den ich erhalten, wohl an die siebenundzwanzig Millionen Gülden in baarem Gelde allein betragend sey, dabei auch noch vieler Menschen Leben ungerechnet, so habe der hochweise Magistrat in Pleno beschlossen, mir eine meinem Verdienste gemäße und würdige Belohnung ausbezahlen zu lassen, was denn hier sogleich geschehe, wogegen ich gar nichts Weiteres zu thun habe, als eine in Duplo vorliegende Quittung zu unterschreiben mit Tauf- und Zunamen und manu propria. –

Nachdem nun diese Rede ihr glückliches Ende gefunden und nicht minder zu meinem, als des großen Pompejus Ruhme endlich an ihrem Punktum angefahren, stand einer der Thresoriers der Stadt auf, zog eine Schieblade vor seinem Platze offen und langte eine ganze Handvoll Geld heraus. Davon zählte er achtzehn blanke Dreigüldenstücke, einen etwas beschnittenen, alten Dukaten und zwei einzelne Gülden vor mich auf den grünen Tisch hin. Madame, sie müssen gestehen, daß das viel Haber war für eine kapitolinische Gans. –

Nachdem ich nun das Geld eingestrichen, die Quittungen unterschrieben und meine Danksagung angebracht hatte, wollte ich mit der anmuthigsten meiner Verbeugungen mich entfernen; aber der Burgemeister stand noch einmal auf und fragte mich, ob ich vielleicht noch eine Bitte oder ein besonderes Anliegen hätte, so dürfte ich es dreist sagen. Ich besann mich einen Augenblick und faßte dann ein Herz. –

Ja, Herr Burgemeister, ich hätte wol noch ein Anliegen an Eure Wohlweisheit, und wenn mir das noch nachgesehen würde, sagte ich, so würde es meine Dankbarkeit für die Stadt Amsterdam überhaupt und für die Wohlweisheit insbesondere ewig und unvergänglich machen. Mein Anliegen sey, daß, wenn Mynheer van der Does vielleicht zujüngst solch eine schöne Perücke wegen Alters und Unbrauchbarkeit abgelegt habe, er geruhen möge, mir dieselbe zum Andenken an diesen Tag zu schenken.

Mynheer van der Does sah mich nach diesen Worten mit einiger zweifelhaften Unschlüssigkeit in einem großen, blauen Herrscherauge an; aber die Anderen alle nickten mir zu und Einer murmelte etwas und so war es in Pleno beschlossen, daß mir der Burgemeister eine seiner Perücken schenken solle.

Madame, ich besitze sie bis auf diese Stunde; und wenn es der Jahrestag meines Amsterdamer Erlebnisses ist, dann setze ich die Allongenperücke des großen Pompejus auf und denke, daß ich der La Fleur bin, der in der Chronika der Stadt Amsterdam geschrieben steht.

Um aber dieß Erlebniß selbst zu Ende zu bringen, sage ich nur noch, daß, als ich wieder aus dem Stadthuys hinaustrat, eine große Menge Menschen davor versammelt war, die mich zu sehen verlangten. Sie schwenkten die Hüte, als ich kam und riefen »Hurrah,« und dann ›Oranje boven!‹ Oranien hoch!, was ich Anfangs nicht verstand, bis mich Einer mit vieler Aufmerksamkeit in die Rippen stieß und mir bedeutete, das hieße, sie wollten Genever haben, denn sie hatten gehört, ich hätte auf dem Stadthuys unermeßlich viel Geld bekommen. Was sollte ich thun?– ich gab ihnen die beiden einzelnen Gulden hin, worauf sich noch Mehre hinzudrängten und mir mit ihrem »Oranje boven!« so lange das Trommelfell bestürmten, bis ich auch noch mit dem alten, beschnittenen Dukaten hervorrückte und darauf machte, daß ich zu Hause kam.

Madame, dieser und der, welcher mich in Ihre Dienste führte, waren die beiden schönsten Tage meines Lebens.« –

Die Marquise hatte mit großer Aufmerksamkeit La Fleur's Geschichte angehört; als er schloß, sagte sie:

»Aber La Fleur, Du bezahlst die Dankbarkeit der guten Holländer doch etwas zu wenig mit gleicher Münze: ich habe Achtung vor Allem, was groß wird mit kleinen Mitteln und eine hohe deshalb vor diesen Niederlanden.« –


Eine nächtliche Fahrt.

Einige Tage nach dem, an welchem La Fleur die Geschichte seines Amsterdamer Abenteuers erzählt hatte, ereignete sich etwa eine Stunde Weges von dem Landschlosse der Marquise ein Unfall, der zwar nichts besonders Ungewöhnliches hatte, aber darum für den, welchen er traf, nicht minder unbequem war.

Es fiel nämlich auf der großen Heerstraße, die nach Paris führte, eine mit zwey Pferden bespannte Postkalesche in den Seitengraben, und zwar so tief in das sumpfige Erdreich hinein, daß der fluchende Postillon seinem Passagier versicherte, er könne ihn mit seinen Kleppern, die müde und alle Viere von sich streckend dalagen, nicht wieder herausbringen. Er wolle froh seyn, wenn er nur die Thiere aufpeitsche, in welchem Falle Monsieur sich auf den Rücken des einen setzen könne, um nach der nächsten Station zu reiten.

Nun war es Abend, und dabei fiel ein starker Regen, der seit Untergang der Sonne angehalten hatte und nur immer heftiger geworden war. Der Fremde stand unschlüssig, ob er den Vorschlag des Postillons annehmen und mit einem tüchtigen Katarrh auf der Station ankommen, oder ob er unter das Verdeck der umgeschlagenen Kalesche zurückkriechen und dort Hülfe abwarten solle. Er war endlich im Begriff, sich für das Letztere zu entscheiden, als in der Ferne zwey Lichter sichtbar, dann das Aechzen und Geklapper einer andern sich ziemlich rasch heran bewegenden Chaise vernehmbar wurden. Sie kam näher und hielt an. Es war ein leichter, auf zwey Rädern ruhender und von einem großen und kräftigen Gaule gezogener Wagen, die beiden brennenden Laternenlichter zur Seite zeigten dem Fremden, daß außer dem Kutscher nur eine Dame darin saß, und nach einem Blicke auf das muthig schnaubende Thier trat er deshalb heran, erzählte der Inhaberin seinen Unfall und bat um einen Platz in ihrer Chaise.

»Sehr gern, sehr gern, mein Herr,« war die Antwort, wonach die Dame augenblicklich einige Schachteln und Paquete zur Seite schob, um dem Fremden neben sich Platz zu machen. – »Nur müssen Sie sich gefallen lassen,« fügte sie hinzu, »mit mir nach N. zu fahren, wo ich glaube, Ihnen ein Quartier bei einer sehr geachteten Dame, der Marquise Lamberti, versprechen zu können. Nach der nächsten Poststation kann ich Sie nicht bringen, denn mein Weg führt, wie der Kutscher sagt, sogleich rechts ab.« –

»O, mir ist Alles recht,« versetzte der Fremde, »wenn ich nur ein Obdach finde; der Name der Marquise ist mir übrigens bekannt, und ich hoffe, sie wird Mitleid mit meinem Mißgeschick haben.« –

Dann gab er seinem Postillon eine kurze Anweisung in Beziehung auf seine Sachen, von denen er nur ein mäßiges Paquet mit Sorgfalt unter seinen Mantel barg, nahm diesen zusammen und setzte sich zu der fremden Dame in den Wagen, der nun, so rasch es der schlechte Weg erlaubte, weiter in die Nacht hineinrollte.

Die beiden Reisenden schwiegen eine Zeitlang; den Herrn schien ein Unfall in eine schlechte Laune versetzt zu haben, die Dame dagegen die Einfädelung einer passenden Unterhaltung von Jenem zu erwarten. Sie mochte etwa fünfunddreißig Jahre zählen; wenigstens so viel, wenn es nicht zu kühn war, bei dem dürftigen Scheine der Laternen es bestimmen zu wollen; übrigens sah sie hübsch und frisch dabei aus, und zählte die Stirn und die Wange, worauf man einige Runzeln entdecken konnte, mehr, so zählten die lebhaft und nicht ganz angenehm funkelnden Augen gewiß weniger.

Der fremde Herr schien um ein Geringes älter; obwohl er sehr einfach und dunkel gekleidet war, lag in seiner Haltung, in seiner Sprache etwas Gewandtes und Vornehmes; eine bessere Beleuchtung hätte auf seinem Gesichte die Merkmale einer nachdenklichen und zugleich lebhaften Gemüthsart gezeigt. –

Er hatte, um die Dame nicht mit seinen nassen Kleidern zu belästigen, sich in die Ecke des Wagens gedrückt. Nach einer Weile fühlte er, an dem verstärkten Drucke, den vor und nach bei den Stößen des Fuhrwerks seine rechte Seite bekam, daß seine Bescheidenheit überflüssig gewesen. Noch eine Weile, und die Dame, die bisher mehre Zeichen der Unruhe gegeben, begann das Gespräch.

»Ein recht komischer Zufall!« – sagte sie.

Der Fremde schien sie Anfangs nicht zu verstehen; dann versetzte er:

»Freilich, doch mehr noch eine große Güte von Ihrer Seite.« –

– »O ich bitte Sie, mein Herr,« entgegnete die Dame, indem sie wieder etwas näher rückte; »es hat mich außerordentlich gefreut, es ist so öde und schauerlich des Nachts draußen – und dann so allein zu seyn mit einem Kutscher – es ist unangenehm für eine Dame, mein Herr. Und doch wollte die Marquise, daß ich in der Nacht ankommen sollte. Kennen Sie die Marquise, mein Herr?« –

»Dem Namen nach.«

»Sie sind also wol nicht aus dieser Gegend?«

»Ich komme von Indien,« sagte der Herr; »ich war mehre Jahre dort.«

»Aus Indien? ach aus Indien, dem Lande der Wunder, dem Lande der Mährchen, der Heimath Othello's und Marko Paolo's! ei, das ist allerliebst, Sie sollen mir von Ihren Reisen in Indien erzählen!« –

Die Dame hüpfte vor Freude von ihrem Sitze auf und klatschte mit den Händen.

Der fremde Herr stutzte etwas über die kindliche Lebhaftigkeit seiner Gefährtin, die doch ihren Jahren nach eine ganz gesetzte Person zu seyn schien; dann sagte er etwas trocken:

»Othello war ein Mohr und Marko Paolo ein Venetianer.«

»Ha, ha, ha,« lachte die Dame, »sehen Sie, das geht mir immer so, aber sagen Sie mir, woher kommt das wol, daß ich immer die Begriffe durcheinander werfen muß, wenn ich irgend einen Namen, einen Klang höre, der mich bewegt, sehen Sie, dann erblicke ich gleich eine neue Schöpfung, eine ganz glänzende Welt vor mir ausgebreitet; und Gestalten, die vielleicht gar nicht dahin gehören, die aber für mich etwas Grandioses haben, an deren Herz ich einmal meine Gedanken schmiegte, bevölkern diese Welt, ich sehe sie dann vor mir, als ob ich bis in ihr Herz mit seinen Freuden und mit seinen wunden Stellen blicken könnte.«

»Madame,« sagte der fremde Herr etwas sarkastisch, »thun Sie diese Frage, um eine Antwort darauf zu erhalten?«

»Nun gewiß!« versetzte die Dame kleinlaut. »So würde ich mir erlauben, die Vermuthung auszusprechen, daß Sie ihren Geist zu wenig daran gewöhnt haben, mit Aufmerksamkeit die unterscheidenden Merkmale der Gegenstände aufzufassen.«

»Ach, Sie verstehen mich nicht,« sagte die Fremde mit einem Seufzer, und zog sich in die Wagenecke zurück; »es ist traurig; vielleicht sind zwei Herzen dazu geschaffen, sich einander die Last des Lebens leichter zu machen, und schon beim ersten Zusammentreffen – verstehen sie sich nicht!«

Der Herr glaubte, die Dame, der er so viel Dank schuldig war, verletzt zu haben, und setzte deshalb in freundlichem Tone das Gespräch fort; er erzählte von seinen Reisen in Indien, seinen gelehrten Forschungen dort, und von dem Werthe, den ihre Veröffentlichung für die Wissenschaft haben dürfte.

»Sie sind unverheirathet?« sagte die Dame.

»Ja, Madame.«

»Ach,« fuhr sie fort, indem sie ihre Hand auf die seine legte, »Sie sind zu gut, um dann glücklich seyn zu können.«

»Nun, weßhalb nicht?«

»O, es ist so süß, Jemanden zu haben, dem man sein Alles, seine ganze Seele opfern kann, den man, ihm selbst zum Trotz, wenn er auch noch so mürrisch drein blickt, Alles so recht wol und bequem um ihn her macht, daß er innerlich doch ganz glücklich ist. – Ich hatte einst einen Gatten,« fuhr sie fort – »der arme Teufel,« dachte der Fremde. – »zwar er verstand mich nicht, seine Natur war der meinen untergeordnet, und doch sehne ich ihn mir zurück, wie mein Lebensglück.« –

»Ist er todt?«

»Ja, mein Herr, er hat ein schreckliches Ende gefunden; er ist in Amsterdam von einer mit Pulver geladenen Barke, in welche, ich weiß nicht, ob durch Zufall oder Böswilligkeit, Feuer gebracht war, in die Luft gesprengt worden.« –

»Schreckliches Geschick!« sagte der Herr mit vieler Theilnahme. –

»Er hatte mich verlassen,« erzählte die Dame weiter, »denn seine Lebhaftigkeit zog ihn in die Fremde, die er von Jugend an sich gewöhnt hatte, zu durchstreichen. Es war Unrecht, daß er mich so leichtsinnig verließ und nicht dafür sorgte, daß ich über sein Wohlergehen in der Ferne beruhigt blieb; und doch sähe ich ihn so gern nur einmal noch in meinem Leben wieder! Er war so gut, so harmlos wie ein Kind; er hatte nur einen Fehler; er war schrecklich eifersüchtig, mein Herr. Als er fort war – was sollte ich beginnen? ich war gezwungen, dem Berufe zu folgen, den mir die Natur, wie ich glaube, seit je gegeben hatte. Ich ward Künstlerin.«

»Malerin vielleicht?« fragte der Fremde.

»Nein, mein Herr, ich ward dramatische oder besser mimische Künstlerin; ich trat in den Tempel Thaliens. Ich glaube, die Göttin war mir hold; und doch habe ich es vorgezogen, dem Wunsche meiner Eltern zu folgen, die von der Marquise Lamberti gebeten waren, mich, als ihre Gesellschafterin glaube ich, ihr zu überlassen; sie hat die Sorge für meine Zukunft übernommen, obwol ich sie nicht kenne, sie nie sah.«

Der Wagen fuhr in eine Allee von hohen Pappeln ein, an deren Ende man das Schloß der Marquise weiß durch die Nacht schimmern sah; in der Mitte der Allee überholte er ein anderes Gefähr, das langsam von zwey Ochsen fortgezogen wurde, es war ein gewöhnlicher Bauernwagen, über dem irgend ein großes Stück Tischler- oder Zimmermannsarbeit, wie es schien, gepackt war. Der Treiber ging nebenher, oben auf stand unter einem ausgespannten Regenschirm, eine Laterne in der Hand, eine männliche Gestalt, die trotz der weitgespreizten Beine, einige Mühe zu haben schien, sich bei den Bewegungen des Wagens in ihrer Stellung zu erhalten.

»Fort, fort, fort,« rief sie dem Treiber zu – es war die Stimme unseres Freundes La Fleur – »treib Deine Seekälber fort, die zu glauben scheinen, dieß Meer von Wasser, das vom Himmel strömt, sey für uns so angenehm wie für sie. Ei, was für eine Chaise rumpelt daher? halt einmal, halt, laß mich sehen, wer darin ist.« – La Fleur streckte die Laterne vor, der Einspänner fuhr rasch vorbei. – »Ha, sagte er, klassischer Wagenführer und Mann des Rindviehs, sahst Du das? in dem Wagen saß ein schwarzer Mann; ein ganz schwarzer, auf meine Ehre, und schwarz bedeutet einen Abbé. Juchhe, La Fleur, der Abbé fehlte nur noch: Alles gut, Alles gut. Jetzt lenke links ab, da links in dieß offene Gartenthor. So, wir sind gleich an Ort und Stelle.« –

Der Wagen verschwand seitwärts im Gebüsche.

Die Chaise war unterdeß auf dem Schloßhofe angekommen und hatte ihre Ladung dem Innern des Gebäudes übergeben.


Der Triumphbogen.

Seit der Ankunft La Fleurs auf dem Schlosse der Marquise Lamberti erinnerte sich Niemand, ihn so früh auf den Beinen gesehen zu haben, als am folgenden Morgen. Er lief aus seinem Zimmer, das er ängstlich verschlossen hielt, in den Garten, aus dem Garten in sein Zimmer; man war gewöhnt daran, ihn seinen eigenen und besonderen Beschäftigungen folgen zu sehen, und gab sich deshalb nicht die Mühe, seine Schritte auszukundschaften; vielleicht gab es auch noch einen andern Grund, daß Alle ihn ungestört ließen, außer Jacques, dem Jäger, der zwar auch seinen Gängen nicht folgte, aber doch immer mit einer pfiffigen Miene draußen hinter den Taxuswänden umherstrich.

Aber der Grüne hatte einen andern Gegenstand im Auge, als La Fleur's Arbeiten; die Thüre der Gloriette nämlich. Der Letztere bekam den Einfall, sich ein Geräth, das er bedurfte, daraus zu holen, und näherte sich ihr, als Jacques mit langen Sprüngen herbeieilte und sich wie eine Schildwache vor den Eingang des Gartenhauses stellte.

»Ist verschlossen, Monsieur La Fleur,« sagte Jacques, »von wegen der Fledermäuse, die darin fliegen.«

»Fledermäuse, was? – Laßt mich hinein, ich soll ein Buch für die Marquise herausholen.«

»Madame sitzt oben mit dem fremden Herrn und denkt nicht an das Buch,« sagte Jacques.

»Ei, ei, Maitre Jacques, also da habt Ihr die Dame versteckt, die ich gestern Abends in der Chaise mit dem Abbé ankommen sah und von der Niemand etwas wissen will? Hört, Maitre Waldungeheuer, laßt mich hinein; wenn Euer Schatz da drin steckt – vor mir könnt Ihr sicher seyn, bei meiner Ehre; kommt Jacques, seyd nicht eifersüchtig.«

Jacques sah mit höchst verächtlichen Blicken auf La Fleur nieder und entgegnete kein Wort.

»Jacques,« fuhr der Letztere nach einer Weile fort: »wir sind immer gute Freunde gewesen; ich kann wol sagen, sehr gute Freunde; o, wenn Ihr gehört hättet, wie oft ich eine Gelegenheit ergriff, Euere außerordentliche Geschicklichkeit im Tödten des Wildes Madame in Erinnerung zu bringen; sehen Sie, Frau Marquise, sag' ich immer, das hat wieder Maitre Jacques, der Teufelskerl, geschossen; es ist, als ob er eine Freikugel hätte; noch neulich, bei der großen Trappe, die wir hatten, sagte ich, wie die Kugel da hübsch …«

»Ei was Kugel,« murrte Jacques, »sie war mit Rehbolzen geschossen.«

»Thut nichts, Jacques; aber eine Hand wäscht die andere, so viel ist gewiß; ich bitte Euch, laßt mich ein, liebster, bester Freund; König aller Waidmänner, öffne mir – Du willst nicht? Ich beschau' mir doch Deinen Schatz, alter Drache, wart' nur,« sagte La Fleur, sprang davon und kletterte mit der Schnelligkeit einer Katze auf einen nahen, noch jungen Pflaumenbaum, von dessen Aesten herab er den zweyten, allein bewohnbaren Stock der Gloriette durch die Fenster überschauen konnte.

»Ha, ha,« rief er oben triumphierend aus: »richtig, ich seh' ihn schon, den Drachengespons, das Waldungeheuerweibchen, die Maitre-Jacques'sche Bereicherungsanstalt der Naturgeschichte; den Zipfel seiner Nachthaube wenigstens seh' ich; ein weibliches Kleidungstück, das man nicht nennt und – alle Teufel, halt, halt! o lieber, bester Jacques, nehmt Raison an – Jacques, Jacques! ich scherzte ja nur, wir sind ja gute Freunde – lieber Jacques!« –

Diese veränderte Redeweise La Fleurs war durch den Umstand veranlaßt, daß Maitre Jacques hinzugesprungen war und mit der ganzen Kraft seiner dunkelbraunen Fäuste den Stamm des Baumes zu schütteln anfing, bis der Wipfel, dem La Fleur ziemlich nahe saß, hin und her wogte, als peitschte ihn ein Orkan.

»O lieber Gott, ich zerbreche mir den Hals,« seufzte La Fleur, indem er nieder zu klettern versuchte: »wart' nur, Schlingel!« –

Er fuhr mit Blitzesschnelle an dem glatten Stamm herab.

»Maitre Jacques, wie konntet Ihr so an einem Manne handeln,« sagte er dann, als er wieder auf seinen Füßen stand und tief Athem geschöpft hatte: »an einem Manne, der so berühmt ist, daß er in der Biographie von Amsterdam steht? – Pest! Das war nicht schön gehandelt gegen den wolmeinenden Freund; und wenn Ihr nicht ein Mensch wäret, der mit Büchsen umzugehen weiß und keinen Spaß versteht, ich schösse mich mit Euch.«

La Fleur ging nach diesen Worten mit großer Indignation ab, und setzte seine vorigen Beschäftigungen fort, die ihn den ganzen Tag über in Anspruch nahmen.

So war es Abend geworden; die Marquise saß in ihrem Wohnzimmer vor dem flammenden Kaminfeuer, ihr gegenüber der fremde Herr, welcher am vorigen Abend angekommen und nicht allein die Nacht über gastlich aufgenommen war, sondern von der Marquise eine so dringende Einladung erhalten hatte, einige Tage zu bleiben, daß es ihm unmöglich gewesen, sie auszuschlagen. Er hatte auf einem kleinen Tische, der vor ihm stand, ein Convolut Manuskripte ausgebreitet und blätterte darin.

»Ich bitte, lesen Sie, Herr Abbé,« sagte die Marquise: »die erste beste Stelle, die Sie finden; ich interessire mich mehr, als Sie glauben, für Ihren Stoff und glaube, Sie leiden nicht an der gewöhnlichen, übeln Eigenschaft gelehrter Herren, uns Damen eine gar zu große Einfalt und Verstandeschwäche, ihrer Weisheit gegenüber, zuzuschreiben.«

»Madame,« versetzte der Abbé: »von mir würde es doppelt unverzeihlich seyn; ich habe Mistriß Draper gekannt, und das muß hinreichen, um mich eine Verehrung für Ihr Geschlecht empfinden zu lassen, die vielleicht meinem eigenen Unrecht thut. Aber ich will Sie dennoch nicht mit meiner zwölfbändigen Geschichte der Kolonien behelligen; erlauben Sie mir nur, ein Blatt aus meinem Tagebuche vortragen zu dürfen, das eben Mistriß Draper zum Gegenstande hat.«

»Ach ja, ich nehme den wärmsten Antheil an Ihrer indischen Freundin.«

»Frau Marquise, Sie haben Sie nicht gekannt; meine Schilderung wird Ihnen übertrieben, ich selbst mag Ihnen nichts als ein Thor scheinen, der die Rücksicht vergißt, die er seinem Stande schuldet. O, Sie würden grausam irren; es wäre nicht möglich gewesen, ihr gegenüber zum Thoren zu werden. Und ich beginne, weil es zu süß ist, den Gott, den man selbst im Herzen trägt, sich mit all seinem Glanze auch in einem fremden Busen spiegeln zu sehen.«

Der Abbé nahm eines der Blätter seiner Manuskripte. –

»Es ist,« sagte er, »wie ich schon die Ehre hatte zu bemerken, eine Stelle meines Tagebuchs; doch werde ich sie mit einigen Veränderungen als Episode in meine ›philosophische Geschichte der Niederlassungen der Europäer in beiden Indien‹ verflechten.«

Er las:

– »Gebiet von Anjinga, Du selbst bist nichts, aber Mistriß Draper ward auf Dir geboren. Einst werden diese blühenden Niederlassungen nicht mehr seyn; das Gras wird sie bedecken, oder der gerächte Indianer wird auf ihren Trümmern eine Wohnung gebaut haben, ehe einige Jahrhunderte verflossen sind. Aber wenn meine Schriften einige Dauer haben, so wird der Name Anjinga im Gedächtniß der Menschen bleiben. Die, welche die Stürme an diese Küste treiben, werden sagen: hier ward Mistriß Draper geboren; und wenn ein Brite unter ihnen ist, wird er schnell mit Stolz hinzusetzen: und sie ward geboren von englischen Eltern.« –

Der Abbé hielt ein und sah mit einem verdrießlichen Blicke nach der Thür, deren Aufgehen ihn unterbrach. Dann stand er auf und begrüßte respektvoll den eintretenden Herrn, der sehr fein angezogen war, einen Stahldegen und eine große, wirklich sehr große Allongen-Perücke trug.

»Du, La Fleur?« sagte die Marquise. »Ich, Madame, der sich Ihnen mit einer demüthigen Bitte naht,« versetzte La Fleur, indem er durch eine tiefe Verbeugung seine Locken über die Brust herabrieseln ließ. – »Ich glaube, es ist mir gelungen, Ihnen eine kleine Ueberraschung vorzubereiten, die Sie vielleicht mit einiger Genugthuung aufnehmen. Wäre das der Fall, Madame, so würde der heutige einer der glänzendsten Festtage meines Lebens seyn; und deshalb sehen Sie mich in diesem Kostüme; ich glaubte, an dem Tage, wo es seiner Gebieterin einen angenehmen Augenblick durch eine schwache Erfindungsgabe verschafft, sey mein armes Haupt nicht unwürdig, in der Staatsperücke des großen Pompejus van der Does zu prangen.«

»Nun, was hast Du denn?« fragte lächelnd die Marquise.

»Ich muß Sie bitten, mir gnädigst einige Schritte weit in den Garten folgen zu wollen.«

»Gern; aber geh' und hole mir Tuch und Hut.« –

La Fleur ging. Die Marquise klingelte. Marguerit trat ein. –

»Im Augenblick rasch zu Jacques,« befahl die Marquise dieser und setzte leise einige Worte hinzu.

Marguerit verschwand; La Fleur trat wieder ein und stand eine Zeitlang auf heißen Kohlen, weil ihm schien, daß die Marquise ihre Entschuldigungen gegen den Abbé, ihn auf eine kurze Zeit verlassen zu müssen, übermäßig lang ausdehnte. Endlich nahm sie den Hut aus seinen Händen, ließ sich in den Shawl hüllen und folgte ihm. La Fleur schritt mit einer Laterne voran; er führte die Marquise durch den Garten auf das Bosquet zu, durch dessen herbstfalbe Zweige sie aus der Ferne viele Lichter schimmern sah. An dem Epitaphium seiner verklärten Frau löschte La Fleur die Laterne aus und führte die Marquise dann durch das Dunkel weiter, etwa dreißig oder vierzig Schritte noch, bis sie am Orte der intendierten Ueberraschung angekommen.

Was die Marquise nun zuerst sah, war eine aus zwey Fackeln und mehren Lämpchen bestehende Illumination, die ihre Schimmer und grellen, flackernden Lichter auf die Zweige und Wipfel der Umgebung warf, daß es in der That recht hübsch anzusehen war. Sodann sah die Marquise eine Mauer von etwa zwölf Fuß Höhe queer über den breiten Sandweg gezogen, der durch das Bosquet hinlief; die Enden der Mauer waren unsichtbar und in dem Gebüsche verborgen; in der Mitte aber war sie gewölbt, so daß sie einen hohen Thorweg bildete, der durch eine weiß angestrichene, große, aus zwei Flügeln bestehende Thür verschlossen war. Ich sage, weiß angestrichen; aber das war nicht der einzige Schmuck dieses an und für sich einfachen Stückes von Tischlerarbeit. Beide Flügel waren nämlich rundumher mit schönen goldgepreßten Papierstreifen wie mit Leisten beklebt, in der Mitte des ganzen Thores aber glänzte ein, aus demselben Stoffe zusammengelegtes, großes, flammendes Herz, das ein kolossaler Pfeil durchbohrte. –

»Ei, La Fleur, das ist in der That schön, sehr schön, und ich freue mich recht darüber,« sagte die Marquise. »Nur möchte ich freilich wissen, welchen Gedanken Du damit verknüpft hast?«

»Madame, Sie erkennen es nicht wieder? sagt Ihnen die Ahnung Ihres Herzens nichts?«

»Nein, La Fleur, es sagt mir gar nichts.«

»So muß ich die Stelle Ihres Herzens vertreten; – o könnte ich es immer, Madame!« sagte lächelnd und bei seiner Verbeugung die Arme über die Brust faltend La Fleur. – »Sehen Sie, dieses Thor gehört der Weltgeschichte an, obwol einst Monsieur Dessein, dem Wirthe in Calais; er schloß seine Remise, die Remise, hinter welcher Lorenz Sterne einen Wagen suchte. Madame, es ist das Thor, vor welchem Sie Hand in Hand mit Yorick standen!« –

Die Marquise war in der That überrascht; sie wechselte die Farbe, wandte sich und ging schweigend in dem Gebüsche auf und ab. La Fleur stand und beobachtete sie. Nach einer Pause kehrte sie zurück. Es lag ein großer Ernst in ihren Zügen.

»La Fleur,« sagte sie, »Du hast mir eine Freude gemacht, die es mir doppelt ist, weil ich sie Dir lohnen kann. Du bist ein guter Mensch, und ich bin in der That glücklich, auch Dich recht bald wieder froh zu sehen; Gott sey Dank, daß es mir gelungen ist. Daß Du mir eine Art Triumphbogen oder etwas dergleichen aufbauen würdest, sieh, das hatte ich erfahren und darauf meinen Plan, Dich zu überraschen, gebaut. Da, geh hin, tritt näher hinan.« –

La Fleur stellte sich voll gespannter und freudiger Erwartung vor das Thor, und kniff die Augen zu, um sich den Anblick seiner Ueberraschung auf einmal zu geben.

»Jacques!« – rief die Marquise mit lauter Stimme.

Die Thorflügel begannen sich zu rühren, das schöne Herz mit dem durchbohrenden Pfeile riß der Länge nach mitten entzwey, so daß ein Stück der Flamme nach Osten, das andere nach Westen fuhr; die Pforte klaffte sperrangelweit offen, La Fleur riß eben so weit die Augen auf – und – und unter dem Bogen stand, wie ein Bild im Rahmen – wer anders, als die verklärte Anna, als Anna La Fleur, die ihre Arme dem Gatten entgegenstreckte, mit dem Ausruf:

»O mein Martin!« –

»Pest!« sagte La Fleur und stand wie angenagelt.

Seine Frau lag an einem Halse: – »O welch' Uebermaaß von Seligkeit, rief sie aus, »Du lebst, Du lebst, Du bist nicht in die Luft geflogen!« –

»Hätte große Lust dazu,« sagte er leise; »zerreiß mir nur die Perücke nicht: – ach, Du angebetetes Weib,« schrie er dann und entwand sich ihr, um vor der Marquise niederzuknien: – »Frau Marquise, wie soll ich Ihnen danken?!« –

Die Marquise zerdrückte still eine Thräne der Rührung in ihren Wimpern und ging fort, die beiden Glücklichen allein zu lassen.

La Fleur hätte kein Franzose seyn müssen, wenn er nicht mit so viel sauersüßer Galanterie, wie er es nur über sich vermochte, seine Frau aufgenommen hätte; sie lebte ja nun einmal und deshalb war es mit dem Marquisenthum ohnehin nichts. Auch gegen seine Gebieterin zeigte er alle mögliche Dankbarkeit; sie hatte es ja so gut gemeint; sie war ja unerschöpflich in ihrer Großmuth gegen das neuvereinigte Paar, dem sie eine hübsche Wohnung in ihrem Schlosse anweisen ließ und überdem versprach, für immer seine Zukunft sicher zu stellen, damit La Fleur nie wieder seine angebetete Anna darben sehe.

Und doch, auch der gutmüthigste Mensch hat einen Fleck, wo er verwundbar ist; La Fleur fühlte den seinen durch die Ueberraschung, welche ihm die Marquise bereitet hatte, berührt, und eine kleine Rache konnte er sich nicht versagen. Als er am andern Morgen Madame und dem Abbé die Chokolade servierte, hörte er Jene sagen:

»Ihre Freundin, Herr Abbé, flößt mir nach Ihren Schilderungen ein Interesse ein, welches mich lebhaft wünschen läßt, sie gekannt zu haben. Aber sie war ein Wesen höherer Art, das der Himmel neidisch der Erde entzogen hat. Doch werden Sie mich durch Alles, was Sie mir von ihr mittheilen, dankbar machen.«

»Madame, sagte La Fleur, indem er ein kleines Buch aus der Tasche zog: »wenn ich mich unterstehen darf, Sie zu unterbrechen, hier ist eine Sammlung von Liebesbriefen an die Dame, von der Sie reden; sie ist vor einigen Monaten in London von einem ungenannten Herausgeber veröffentlicht worden und meine Anna hatte sie in ihrem Besitze. Mistriß Draper hielt sich nämlich ihrer Gesundheit wegen eine Zeit lang in England auf und hier lernte der Verfasser dieser Briefe sie kennen.«

»Liebesbriefe, sagt Du, La Fleur?« fragte die Marquise, indem sie die Hand nach dem Buche ausstreckte.

»Ja, Madame, sie haben sehr das Ansehen davon; doch prüfen Sie selbst.« –

Er reichte ihr das Buch.

»Was, Yorick's letters to Eliza – Briefe Sterne's an sie?«

Sie erbleichte, stand auf und stellte sich an das Fenster, um zu blättern. Als La Fleur den Ausdruck ihres Gesichtes sah, that ihm seine Rache leid. –

Aber es hätte ihr ja doch nicht länger verborgen bleiben können, sagte er sich; es ist ein Wunder, daß der Abbé noch nichts von Eliza's Verhältniß zu Sterne erzählt hat; doch der scheint berauscht von seinem eignen zu ihr! –

Yorick's letters to Eliza! – Das stand leserlich auf dem Titel, der unter den Händen der Marquise zitterte, und die Briefe selbst schienen den Ergüssen einer wirklichen Leidenschaft so ähnlich, wie ein Wassertropfen dem andern. Also Eliza war ein wirkliches Wesen, und das Herz des empfindsamen Reisenden zu Calais war längst vergeben, als die Marquise ihn kennen lernte!

Madame Lamberti verwünschte im ersten Augenblick alle koketten Weiber, sowohl dieser als der jenseitigen Hemisphäre, im zweyten den blumenreichen Abbé ihr gegenüber mit dem ganzen Gebiet von Anjinga und allen europäischen Niederlassungen in beiden Indien obendrein; im dritten endlich sich selbst mit all' ihrem Sehnen, all' ihren Illusionen.

Aber diese Stimmung konnte keine lange Dauer haben. Sie fühlte, daß eine Lücke in ihre Existenz gekommen sey, welche ausgefüllt zu werden verlangte. Der Lückenbüßer war nahe; es war der Gast ihres Hauses, der berühmte Geschichtschreiber Rainal. Sie schwärmte für den Liebenden; er schwärmte für die Geliebte. Was war natürlicher, als daß zwischen Beiden die Brücke zu einer dauernden Freundschaft dadurch aufgebaut wurde und daß sie von jetzt an zusammen schwärmten? –



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