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Der Syndikus von Zweibrücken.


Es war im Jahre der gnadenreichen Geburt unsres Herrn und Heilandes 1460, als ich in Bologna studirte – ich weiß nicht recht mehr was – doch entsinn' ich mich noch recht gut der Wohnung in der Nähe der »Institutionen«, wie wir eine Reihe kleiner Häuser nannten, die hinten an die Kapellen der Ostseite des Domes stieß. Es war ein düstres altes Gebäude, in dem ich zusammen mit einem deutschen Landsmann wohnte; früher war es ein Kloster der Hieronymitenmönche gewesen, die es verlassen hatten, um ein neues Geräumigeres zu beziehen.

Jetzt hatte ich meine Wohnung in dem Refektorium aufgeschlagen, dessen Fenster auf einen schönen großen Garten gingen und eine sehr angenehme Aussicht gewährt haben würden, hätte man nur durch die hölzernen Klappen schauen können, womit der untere Theil geschlossen wurde, denn damals war das Glas noch zu theuer, als daß das Zimmer eines Studenten auf diesen Luxus hätte Anspruch machen dürfen; – auch würde man sich darin sehr an dem südlichen Klima Italiens und aller Romantik seiner vielen Düfte haben ergötzen können, wär' es nur auf den mit Steinplatten belegten Fußboden, bei einem dürftigen Kohlenfeuer nicht so kalt gewesen, und hätten die Mönche nur nicht in ihrem alten Refektorium einen Geruch von Heiligkeit zurückgelassen, der uns keineswegs behagte.

Ich muß noch lachen, wenn ich daran denke, wie meinem Stubenburschen die weißen Zähne früh Morgens oft aus Kälte zusammenklapperten; er war ein feiner reizbarer Mensch, etwas schmächtig gebaut und von einer wunderbar zarten Gesichtsfarbe. Er war aus Zweibrücken in der Rheinpfalz zu Hause. Ich möchte wohl wissen, wo er jetzt lebt, und ob etwas ordentliches aus ihm geworden ist! Sollte er diese Zeilen zu Gesichte bekommen, so bitte ich ihn, wenn er noch eine dunkle Erinnerung an seinen Stubenburschen zu Bologna erwecken kann, mir irgend ein Lebenszeichen von sich zukommen zu lassen; ich bin ihm noch eine Wette schuldig, die wir damals darüber eingingen, ob Mathias Corvinus Steyermark besetzen würde oder nicht.

Wie die Zeit verfliegt! Ob Mathias Corvinus Oesterreich und Steyermark besetzt hat oder nicht, darum kümmert sich keine Seele mehr; und doch brachte es damals alle Welt in Aufruhr! Die Institutionengasse in Bologna ist verschwunden, das Hieronymitenkloster ist mit sammt seinen hölzernen Fensterklappen, seinem Refektorium, seinem Geruch der Heiligkeit, von der Erde vertilgt. Ich habe, als ich das letztemal dort war, keine Spur davon wiederfinden können. Auch mit der Universität ist es nichts mehr; wir waren damals 40 000 Studenten in Bologna; in Prag waren ihrer 60 000; lauter tüchtige waffenfähige Knaben von sechsundzwanzig bis vierzig Jahren. Jetzt sind es Anstalten, auf denen die österreichisch kaiserlich-königlichen Wissenschaften gelehrt werden; als der alte Accursius noch die Florentina kommentierte und die sieben freien Künste blüheten, war es ein ganz anderes Leben.

Ob ich denn damals schon lebte? Ich muß die Antwort auf diese Frage voransenden, ehe ich weiter erzählen kann. Ich lebte allerdings schon Anno 1460, und zwar ohne ein Graf Saint-Germain Der Graf von Saint Germain (ca. 1710 - 1784) war ein Abenteurer, Hochstapler, Alchemist, Okkultist und Komponist. Um seine Person ranken sich zahlreiche Legenden, die teilweise von ihm selbst geschaffen wurden. Rätselhaft bleiben seine Herkunft und die Quellen seines Reichtums. – Anm.d.Hrsg. zu seyn und ohne ein Lebenselixir zu besitzen: und wenn auch dieß unerklärlich scheint, so kommt es bloß daher, weil Euch eine große Wahrheit verhüllt blieb, nämlich daß jeder unsterbliche Mensch ebensogut rückwärts in die Unendlichkeit zurück, als vorwärts hinein reicht, und daß er so lange immer neu geboren wird, als noch Lebensmilch, um uns alle zu ernähren, in der Brust der alten Mutter Erde vorhanden ist; oder bis er durch stufenweise Läuterung und Verfeinerung seiner Seele dahin gelangt ist, sich in eine bessere Welt hinübertragen lassen zu dürfen.

Diese Annahme löst so viele sonst nicht zu entwirrende Räthsel, erklärt so viele Phänomene, daß ich sie dadurch für eben so unumstößlich bewiesen halte, als die Bewegung der Erde um die Sonne – um so mehr, da sie nicht einmal den Augenschein und die heilige Schrift gegen sich hat, wie die Letztere, welche ich deshalb auch nicht glaube. – Z. B. fuhr Euch nie in irgend einer Situation der Gedanke durch den Sinn: just in derselben Lage warst Du schon einmal? und doch könnt ihr Euch auf keine Weise des Wie und Wann mehr erinnern; »Sentiment of Tre-existence« nennt Walter Scott dieses Gefühl; er läßt in »Guy Mannering« Henry Bergram auf der Rückkehr nach Ellangowan-Castle sagen: »Wie oft befinden wir uns in Gesellschaft, die wir früher nie zusammentrafen und fühlen doch ein sonderbares und unerklärliches Bewußtseyn, daß weder die Sprecher, noch der Gegenstand, noch die Umgebung uns etwas neues sind, ja, uns ist, als wüßten wir den Theil der Unterredung, der noch kommen soll, voraus.« James Hogg hatte zuweilen dieselbe Empfindung, wie aus einer Erzählung: »the woolgatherer« hervorgeht. Auch Woodswooth deutet darauf hin, und gibt dabei zu verstehen, daß es die Erinnerung an eine frühere Existenz ist:

Tur birth is but a sleep and a forgetting:
The soul that rises in us, our life's star,
Has had elsewhere its setting,
And cometh from afar.

Ein originelles Werk: »The duality of the mind«, von Dr. Wigan, das 1844 in England erschien, leitet dasselbe Phänomen von dem Doppeltsein, der Zwiefältigkeit der Seele her, die er analog mit der Zwiefältigkeit des Gehirns annimmt. Nur die eine Hälfte des Gehirns hat im Augenblicke vor jenem Bewußtseyn des schon einmal Dagewesenseyns der Scene, in der wir uns befinden, ihre Funktionen gethan; die andre hat geschlummert und erwacht nun plötzlich und recapituliert den Eindruck, den das andre Gehirn während seines Schlummerns empfangen hat. –
– es war auch in diesem Eurem Leben nicht, sondern in einem früheren, von dem Ihr nur noch eine Euch unbewußt aufdämmernde Erinnerung habt. – Fühltet Ihr nie einen Widerwillen beim ersten Anblick eines Menschen, der Euch harmlos begrüßt und allen Anderen ganz gleichgültig scheint? – Er hat sicherlich in einem früheren Leben Euere Pfade durchkreuzt. Seid Ihr nie durch die Leichtigkeit, womit ihr ein besonderes Fach der Wissenschaften begriffen und Euch angeeignet habt, während bei allen andern es Euch schwerer wurde, auf die Idee hingeleitet worden, ihr müßtet schon einmal dieß verstanden, getrieben haben? »Wir lernen nichts, als was wir schon wissen«, sagt der Weise. Woher anders unsre verschiedenen Ab- und Zuneigungen für Zeiten, Menschen, Länder und Völker, die ohne ersichtlichen Grund, unsere Anlagen, unser entschiedenes Gefühl, zu irgend Etwas einen bestimmten Beruf zu haben? Kann der Grund irgendwo anders, als in Ereignissen oder Zuständen früherer Leben liegen? Woher Romeo's plötzliches lichterlohes Entbrennen bei Juliens Anblick – Romeo's, der noch dazu in Rosalindens Fesseln schmachtet? So plötzlich kann zu ihnen nicht Liebe kommen, wenn nicht, verschleiert und unbewußt, das Gefühl sie zusammengeführt hätte, in einer früheren Existenz sich angehört zu haben. Und nun endlich, wie erklärt Ihr den Dichter? wie das, was Ihr seine Intuition nennt? Wie kann Shakspeare einen Fallstaff und einen Richard III. zeichnen, wenn er nicht schon einmal in der Haut solcher Gesellen gesteckt? in welch verschiedenen Charakteren muß nicht Goethe auf Erden umhergewandelt sein, bevor er wiederkam, um Werther, Götz von Berlichingen und Faust zu schreiben?

Ich weiß, daß Ihr mir nicht recht glaubt; aber nehmt nur einmal die rechte Stunde des Besinnens wahr, z. B. Morgens beim ersten allmäligen Erwachen, wenn ihr die Fliegen um die Reseda- und Geraniumscherben vor Eurem Fenster schnurren hört, wenn der Sonnenschein durch das Schlüsselloch schießt und auf dem Fußboden spielt, daß der blinzelnde Kanarienvogel ihm froh seine heftigen Morgenlieder anstimmt – es ist die Zeit, wo die Verse und die Erinnerungen Einem aufgehen. Ich habe mich in solchen Stunden auf wunderliche Dinge besonnen, und durch Beharrlichkeit ist es mir endlich geglückt, den größten Theil meiner Biographie herauszubekommen.

Ich bin einmal zu Aix in der Provence geboren; als ich herangewachsen, gesellte ich mich, wie das damals Mode war, in meinem gesangreichen Vaterlande unter die eingefleischten Romantiker, die mit dem Namen der Troubadours bezeichnet werden. Eine Mandoline am grünen Bande auf dem Rücken, mit leichtem Herzen und leichter Tasche, wanderte ich durch die blumigten Fluren und über die felsigen Pfade Arelats. Bald aber machten mir die Kreuzzüge viel Kummer; Alle Welt redete mir zu, ich dürfe nicht daheim bleiben, und man konnte sich nicht ruhig mehr in der Schenke an einem frischen Trunke laben, ohne Lobreden auf die begeisterten Kämpfer des heiligen Grabes und verächtliche Anspielungen auf die, welche daheim blieben, zu hören. Die Menschen waren wie toll. Im Vertrauen gesagt, ich hatte vor den Türken Furcht; man sagte ihnen nach, daß sie Kinder fräßen und solchen Leuten hielt ich für gerathen, aus dem Wege zu gehen. Zur Antwort auf die Bußpredigten, vor denen man keine Ruhe mehr hatte, sang ich damals das berühmte Lied, welches anfängt:

»Meine Buße will ich thuen
Zwischen Meer und der Durance,
Nah bei meiner Herrin Wohnung.«

Um mich für diese Frivolität zu strafen, hat der liebe Gott mich danach als Türke in dieser Welt wieder auftauchen lassen. Ich war im Gefolge des Kalifen von Cordova; noch steht es vor mir, dieß schimmernde Cordova, mit seinen goldglänzenden Minarets, mit seinen Myrthengebüschen, mit den plätschernden Springbrunnen seiner Gärten, mit den vom Mond versilberten Marmorsäulen seiner Balkone. Hört Ihr das Tambouringeklirr? Es ist eine süße, wonnige Nacht: die Sterne zucken und regen sich, als wollten sie sich losreißen und auf diese schöne warmathmende Erde niedersteigen. Fatmeh, Fatmeh, hörst Du das Lied nicht, das vor Deinem Erker gesungen wird? weißt Du nicht, daß es Vorrichtungen wie Jalousien in der Welt gibt? luftig genug, um den Schimmer zweier tiefdunkeln blitzenden Augen durchzulassen?

Nein, Fatmeh hört mich nicht: Fatmeh ist todt. Cordova's Nächte sind für mich nur noch der Schatten eines Traums – und es ist gut so; was wäre der Mensch, wenn er unsterblich wäre! – er wäre schwach und erbärmlich wie das Thier, er würde nur genießen, nur die wonnigen Nächte Cordova's als sein Höchstes kennen; so aber ist der Tod in die Welt gekommen und mit dem Tode die Kraft. Der Tod hat den Menschen den Gedanken in die Arme getrieben; in der Vergänglichkeit der Dinge liegt ihr poetisches Moment. Der Tod ist der Vater der Poesie.

Ich war übrigens zum Türken zu gut. Der liebe Gott muß es auch gedacht haben, und um mich einmal später wieder zu einem vernünftigen Menschen machen zu können, hat er mich erst als Engländer wieder geboren werden lassen. Als solcher komme ich schon in Walter Scotts Romanen vor: und zwar im Ivanhoe; unter welchem Namen, das mögt ihr selbst errathen, aber gestehen muß ich, daß dieser Brite ein großer Dichter war: er hat mich mit einer so staunenswerthen Naturtreue kopiert, daß ich selber nichts hinzuzusetzen wüßte.

Und nun – ein alter in Stein gehauener Reichsadler über dem Thore einer freien Reichsstadt hat es mir gesagt; das Flüstern des Epheus in einer alten Burgruine hat es mir vorgesungen – ja, wahrhaftig, ich muß einmal deutscher Kaiser gewesen sein. O Deutschland! o Tempel christlich germanischer Herrlichkeit! Wohin sind die Säulen geschleppt, die Deinen Dom trugen? Wo sind die Lorbern von Legnano, von Pavia, von Bouvines? Wo ist meine Rennfahne, das heilige Banner des einen großen Reiches geblieben? Mit den Säulen haben sie ihr Hütten geständert, die Lorbern haben Hofköche zu ihren Saucen verwandt und die heilige Rennfahne, von der sie nur zu oft fortrannten, haben sie jetzt in die Papiermühle geschickt, um Platz für Protokolle zu bekommen. Papier, Papier – ein Königreich für viel Papier!

Das schlimmste ist, wenn man nach solchen Antecedentien nun wieder in einem beengten Daseyn auftaucht, daß man das Gewicht großartiger Erinnerungen mit sich führen, und doch mit der Alltäglichkeit auskommen muß, die alles vergessen hat. Meint Ihr, es sei angenehm, so unter einer Last mediatisierter Kaisergedanken einherwandeln zu müssen, die Einem oft das Herz wollen springen machen bis man weint wie ein verlassenes Kind über das heilige römische Reich deutscher Nation? –

Ich bin auch einmal Ceremonienmeister gewesen; es war am Hofe Ludwigs des XIV. Ich hätte mich hierauf schon früher besinnen können, denn es lag immer eine große Lust an Rococo-verzierten Schloßsälen und gepuderten Perücken in mir; auch werde ich unfehlbar in jede hübsche Dame verliebt, welche eine Casawaika trägt, was seinen Grund lediglich darin hat, weil dieß schmucke Kleidungsstück nichts anders ist, als die Adrienne, welche man im Anfang des vorigen Jahrhunderts trug; ferner bin ich ein großer Verehrer von Damen in reiferen Jahren, welche in jener guten alten Zeit die Zierde, die Stütze und den Mittelpunkt der geistreichen Gesellschaft ausmachten, während sie bei uns – charakteristisch für das Jahrhundert – verschwunden sind; – aber zum klaren Bewußtseyn wurde mir meine feierliche Ceremonienmeister-Existenz neulich erst, als ich in einem Trödlerladen die prachtvolle seidene Weste wiederfand mit den Silberstickereien darauf, welche Niemand geringeres, als Madame de Nevers selbst mit ihren weißen Händchen mir hineingezaubert hatte, damals, als sie noch Mademoiselle Quinault war. Es saß noch etwas von der alten Duftatmosphäre von Versailles in dem bestäubten Kleidungsstück, das mich eigenthümlich ergriff. Die gelbseidenen Beinkleider, die dazu gehörten, der Rock von himmelblauem Sammt, das Cordon bleu – ach, wie trat das Alles lebhaft vor meine Seele! Eine verschwundene Herrlichkeit! Süße Quinault, auch Du dahin! – Als ich sie anzog, – ich meine die Weste – war sie viel zu weit; sie schlotterte um mich wie ein Sack und reichte bis auf die Knie. Ach, ich bin mager geworden im Laufe der Jahrhunderte! aber die Zeit mit mir; die Welt ist zusammengeschrumpft, sie ist enge, knapp und filzig geworden; sie gleicht der Welt jenes glorreichen Jahrhunderts, in welchem ich Ceremonienmeister war, wie eine heutige dürftige Brutbedeckung von Piquè dem statiösen Kleidungsstücke, in welches die Herzogin von Nevers ihre silbernen Arabesken stickte, und in welchem mich meine Freunde, die Chinesen, verlachen.

Man könnte nun sagen, das Alles seyen Phantasien, wenn ich nicht glücklicherweise für meine Theorie der Seelenwanderung einen klaren und unumstößlichen Beweis hätte. Dieser besteht in einer wunderbaren Geschichte, deren Beginn sich, ich möchte sagen, unter meinen Augen einleitete, als ich zu Bologna studierte. Jetzt aber, vor einigen Tagen erst, höre ich, wie die Sache sich verlaufen, zu meinem größten Erstaunen und nicht geringerem Interesse, da ich den Helden der Geschichte damals ja so gut gekannt hatte, obwohl es jetzt an vierhundert Jahre her sind.

Mein Stubengenosse nämlich, von dem ich oben sprach und der Pantaleon hieß, weckte mich Anno 1460 eines Morgens in der Frühe der ersten Dämmerung. Ich fuhr auf und sah ihn unbekleidet, bleich, mit einem Ausdruck wilden Schreckens, der seine schönen Züge entstellte, auf dem Stuhle vor meinem Bette sitzen.

»Schrecklich!« rief er aus, indem er beide Hände vor das Gesicht schlug.

»Um Gottes willen, was fehlt Dir, Pantaleon?«

Erst nach einiger Zeit brachte ich ihn zur Erklärung seines Zustandes. Die Ursache war ein Traum, der ihn in die äußerste Aufregung der Sorge und des Kummers versetzte: ich glaubte wenigstens, daß es ein Traum sei, obwohl er hoch und theuer versicherte, daß er wach gewesen.

»Ich sah mich,« erzählte er, »an meinem Tische sitzen, gebückt über die Abschrift des Ulpian Domitius Ulpianus († 223 oder 228), römischer spätklassischer Jurist; Rund ein Drittel des Stoffs der justinianischen Digesten, eine im Auftrag des oströmischen Kaisers Justinian zusammengestellte spätantike Kompilation der Jurisprudenz der Rechtsgelehrten der klassisch-römischen Kaiserzeit, ist seinen Werken entnommen. – Anm.d.Hrsg., so wie sie aufgeschlagen dort liegt; vor mir stand die Lampe und ihr Schein glimmte auf den gelben Pergamentblättern, während er das Zimmer in einem unklaren Halbdunkel ließ. Nun fiel mir plötzlich auf, wie sie so blau zu brennen beginne und höher aufflackernd zugleich den Raum um mich her wie mit einer drückenden und beklemmenden Atmosphäre anzufüllen schien. Ich richte das Gesicht empor – da öffnet sich sacht die Thüre ohne in ihren Angeln zu krächzen und, was das seltsamste ist, ein Mensch tritt herein, der die Thüre gar nicht mit der Hand berührt, weder den Riegel noch eine andere Stelle, so daß sie von selber vor ihm aufzugehen scheint und sich schließt. Die Atmosphäre um mich ward beklemmender; ich will das Fenster aufreißen, als der Fremde schon mir gegenüber jenseits des Tisches steht. Es war – denke Dir mein innerliches Grausen – ein Leichenbitter – ein Mensch, der so schauerlich aussah wie eine Meerspinne und Gesichter schnitt, wie sie die vereinigte Phantasie von sieben Teufeln nicht abscheulicher auszudenken vermag. Dabei flackert das blaue Licht meiner Lampe höher auf und bringt auf des Fremden erdfahlem Gesichte einen Reflex hervor, der es noch grauenhafter machte. Nachdem dieß Ungethüm mich nun fünf Minuten lang wie ein Oger seine Beute angestarrt, gurgelt es artikulierte Laute hervor: es ist plötzlich ein ganz vernünftiger ordentlicher Leichenbitter im schwarzen Sergetalare, sagt seinen Spruch gebührend auf, und lädt mich zur Beerdigung meiner Braut Marie in Zweibrücken ein.«

Pantaleon hielt inne und drückte krampfhaft eine Hand auf meine Schulter, während sein Auge nach der Thüre starrte. Da ich in dem allen nichts anders sah, als einen mehr als gewöhnlich beängstigenden Traum, sagte ich ohne besondere Theilnahme einige Worte, ihn zu beruhigen. Er hörte nicht darauf, sondern fuhr nach einer Weile fort, indem er den starren Blick seines Auges auf mich richtete:

»Und nun,« sagte er, – »nachdem der Mann seinen Spruch gesagt, grüßte er mich, das heißt, er zog sein Barett ab und mit dem Barett zugleich seinen Kopf, welchen er unter den Arm nahm und sich verbeugte. Dann wandelte er gleichmüthig zur Thüre hinaus.«

Ich konnte jetzt einen Anfall von Lachen nicht unterdrücken.

»Die Geschichte vom heiligen Dionys!« rief ich aus. »Guter Pantaleon, man sollte schwören, der Leichenbitter habe nicht seinen, sondern Deinen Kopf mit sich genommen, wenn man Dich so trübselig da sitzen sieht, bloß weil der Alp Dich drückte. Leg Dich wieder hin und verschlaf Deinen Schrecken. –«

Da Pantaleon sah, daß seine Leichenbittergeschichte nicht mehr Theilnahme bei mir fand, als er füglich von einem Bologneser Studenten hätte erwarten können, legte er seine Kleider an und eilte in's Freie.

Ich dachte kaum mehr an die nächtliche Vision meines Freundes, als ich einige Stunden nachher über die Straße ging, um mich in die Lehrstunde eines Professors zu begeben. Der Rektor der Universität kam mir entgegen, desselben Weges ziehend: hundert Studenten, alle in der langen Schülerkleidung jener Zeit, aber alle mit mächtigen über das Pflaster nachklirrenden Schwertern bewaffnet, bildeten sein Gefolge. Denn der Rektor der Universität Bologna war ein mächtiger Herr, und ich weiß nicht, ob unter allen Potentaten der Christenheit einer war, der besser das Bewußtseyn seiner Würde und Wichtigkeit durch das Spiel seiner Mienen auszudrücken verstanden hätte denn er. Bei alledem war er ein simpler Student wie wir Andern auch, nur daß die Stimme seiner Commilitonen ihn zum Rektor erwählt und seinen Händen die Scepter der Gewalt anvertraut hatte, so daß jetzt das Wohl von Professoren und Schülern, von Pedellen und Bürgern vom Runzeln seiner Stirne abhing.

Diese so ehrfurchtgebietende Gestalt, die damals aus einem von Gewürzwein gerötheten Gesichte, einem rothen Zwickelbart, verschiedenen andern eben so auffallenden Körperstücken und einer schweren goldenen Brustkette bestand, kam also des Weges daher und neben ihm schritt Pantaleon, noch so blassen Gesichtes wie am frühen Morgen, aber gefaßter aussehend und sich ruhig mit der Magnificenz unterredend. –

»Ich danke Euch für das Versprechen,« sagte Pantaleon, als sie an mir vorüberschritten; »aber wäre es nicht möglich noch heute?«

»Weiß der Himmel was unsre Universität dem Menschen in die Seele gethan hat, daß ihm der Boden unter den Füßen brennt! Laß sehen, noch heute? – Nun wir sind immer gute Freunde gewesen,« fuhr der Rektor fort, »und vorausgesetzt, daß Du zwölf Apostel Hippocras daran setzest, bin ich nicht abgeneigt, in Erwägung zu ziehen, was sich noch heute thun läßt.«

Pantaleon zeigte sich willig dazu und der Rektor wandte sich zu Einem seines Gefolges.

»Kanzellarius,« sagte er: »die Studiendokumente dieses jungen Mannes, den es mächtig nach den Fleischtöpfen des Landes Gosen Ein Gebiet namens Goschem (in den älteren Bibelausgaben Gosen) befindet sich zwischen dem östlichen Nildelta und dem heutigen Sueskanal. Es wurde den Nachkommen Jakobs als besonders geeignetes Weidegebiet überlassen und jahrhundertelang genutzt; und obwohl es von den zehn ägyptischen Plagen verschont blieb, erfolgte von hier aus der Auszug aus Ägypten.. – Anm.d.Hrsg. heimverlangt, sind mir noch heut zur Unterschrift vorzulegen.«

Der Rektor schritt weiter und Pantaleon eilte zu Haus.

Als ich heimkam, war er mit dem Einpacken seiner Habe beschäftigt und am andern Morgen schritt er, eine Strecke von mir begleitet, rüstig aus dem Thore von Bologna seiner Heimath zu. Ich habe ihn in jenem Leben nicht wiedergesehen.

Desto größer war mein Erstaunen, als fast vier Jahrhunderte später die Gestalten meines geliebten Pantaleons und seines kopflosen Leichenbitters aus dem Rahmen einer höchst wahrhaften Sage vor mir auftauchten, wohl geeignet, die ernsthaftesten Betrachtungen über den seltsam überwachten Lauf unserer Lebensschicksale zu erwecken. –


Zweibrücken ist eine alterthümliche, Steinkohlen brennende, schwarze Stadt, mit sehr düstern Giebeln und sehr hellen Gesichtern, mit sehr ansehnlichen alten Herren und sehr schlanken jungen Mädchen; sie ist Sitz eines Liebhabertheaters, worauf die Letzteren die dreißig hier residierenden Rechtskandidaten beschäftigen, welche sehr angenehme junge Männer sind, und den Damen zum Danke häufige Gelegenheit geben, sich über die interessantesten Lehren des Code Napoleon Der Code civil, 1804 von Napoleon Bonaparte eingeführt, begründet das moderne Zivilrecht; auf ihm beruht bis heute ein Großteil der geltenden Justizkultur. – Anm.d.Hrsg. zu unterrichten. Dieß und ein großes Rokokoschloß sind Zweibrückens Merkwürdigkeiten.

Doch nicht alle: wenn ihr aus der Vorstadt kommend über die Brücke schreitet, welche diese mit der Stadt verbindet und nun der Hauptstraße folgt, gewahrt Ihr in dieser Letzteren zu Eurer Linken, ein Haus, welches unfehlbar Eure Aufmerksamkeit fesseln wird. Es steht weit hinter der Reihe der Uebrigen zurückgeschoben, als ob es fühle, daß es nicht in die Reihe der friedlichen Wohnungen Zweibrückens gehöre; denn es ist düster, vor einer zur Linken vor ihm angelegten Schmiedeesse ist Mauer und Giebel wie mit schwarzem Kienruß überzogen, und da es nur wenig kleine Fenster und gar keine Eingangsthüre nach dieser Seite hin hat, so bekommt es dadurch einen Ausdruck von verschlossener Melancholie. Nur in der Mitte strebt es durch ein erkerartiges Risalit vor, was aber die todtenhafte Stille seines Karakters nicht aufzuheben vermag; erbaut ist es aus großen Quadern, die auf eine in Deutschland sonst nicht gebräuchliche Weise bearbeitet sind, nämlich wie die Werkstücke am Palast Pitti in Florenz.

Dieß Haus ist erbaut worden um das Jahr 1460, und zwar von einem fremden Herrn in vorgerücktem Alter, der eines Morgens durch diese Straßen wanderte und eine so auffallende Erscheinung war, daß er bald sämmtliche Einwohner in Verzweiflung setzte, weil sie nicht erfahren konnten, was er sei, was er wolle und weßhalb er gerade nach Zweibrücken und nirgendwo anders hin gekommen.

Sein Aeußeres war weniger als uneinnehmend; es war geradezu häßlich. Er hatte grau-schwarzes krauses Haar, einen scheuen schelen Blick, so daß seine flimmernden Augen unter ihren dichten und schon ergrauten Brauen in steter, zitterhafter Bewegung waren, wie eine Eidechse unter einem Busche Salbey; seine Nase aber war völlig mephistophelisch, lang, dünn, mit der Spitze dem breiten vorstehenden Kinn zugebogen, während von den Nasenflügeln zwei tiefgeschnittene Falten, sich um den breiten lächelnden Mund ründend, eben dahin strebten. Dazu lag eine schmutzig gelbe Farbe über diesen Zügen ausgegossen, was selbst ihrem Eigner nicht entgangen zu sein schien; denn man sah ihn beständig in schreiende Farben gekleidet, wie um die Aufmerksamkeit von dem Teint seiner Haut abzulenken; sein Wamms war entweder roth und dann gelb gefüttert, geschlitzt und durchgebauscht, oder es war gelb und dann roth gebauscht.

Er trug lange silberne Sporen, obwohl man ihn nie reiten gesehen, und ein großes Schwert an einem hirschledernen Gürtel, an dem kleine silberne Schellen klingelten, wie es damals Mode war; noch auffallender dürfte jetzt erscheinen, was es damals keineswegs war, daß der untere Theil seines Menschen in einem Paar Hosen steckte, wovon das linke Bein roth und das rechte gelb war, oder umgekehrt, während die Schuhe sich in langen Schnäbeln endigten. Dabei hoch und stark gewachsen, sah er aus wie ein mannhafter und dreister Junker; doch schien es ihm unter den Bürgern zu behagen, denn nicht allein, daß er ein namhaftes Stück Geld daran setzte, in ihre Gunst zu kommen durch Gelage und Schmäuse, zu denen er sie zu sich lud, wobei er ihnen die köstlichsten Weine und obendrein allerlei höchst schnurrige Schelmenstücke auftischte, er begann auch sich unter ihnen eine Wohnung zu bauen, die mit ganz fabelhaftem Aufwande und dabei unbegreiflich schnell vollendet wurde, dieselbe, die noch jetzt als ein Zeuge jener Tage in der Hauptstraße Zweibrückens steht.

Nachdem man den Fremden lange einen seltsamen und räthselhaften Kunden genannt und sich vergebens angestrengt hatte, etwas Sicheres über ihn zu erfahren, fing man nach und nach an, ihn für einen ganz umgänglichen und angenehmen Herrn zu halten, und um die Zeit, wo sein neugebautes Haus von ihm bezogen war, fand sich in der ganzen Stadt kein Bürger mehr, der ihn nicht für eine höchst joviale Seele, für ein Prachtstück von einem Menschen ausgegeben hätte. Kein Abend verging, daß nicht die Fenster seines Hauses hell erleuchtet weit in die Nacht hinaus geglänzt, daß man nicht dahinter das Klirren der silbernen Schoppenbecher, Gesang und Getobe vernommen hätte: wer kommen wollte, war geladen, und begreiflicher Weise blieben vom Bürgermeister bis zum Bader nicht Viele daheim; wer ihn aber einmal besucht hatte, der ließ nicht wieder von ihm, denn er übte eine seltsam anziehende Macht über die aus, welche mit ihm in Berührung kamen. Am Ende schien ganz Zweibrücken unter seinen Hut gebracht und man folgte ihm, wie die Kinder dem pfiffigen Schalk von Hameln.

Es war eine stille mondbeleuchtete Sommernacht, als sich in einem bescheidenen Hause, der Wohnung des Junkers oder was er nun seyn mochte, gegenüber, der Fensterflügel eines kleinen gewölbten Gemaches zu ebener Erde öffnete. Ueber eine Reihe Blumenscherben, worin Rosen, krause Münze und üppig wuchernde gelbe Kapuzinerkäppchen blühten, tauchte der Kopf eines jungen Mädchens empor, der blonde Ringellocken, eine hohe klare Stirn und wie es schien, regelmäßige Gesichtszüge hatte, denn mehr ließ die Nacht nicht erkennen. Sie beugte sich über die Blumen und schaute dann die Straße hinab; ein Gewitterregen hatte am Abend die Luft erfrischt, welche jetzt bis in die Gassen der alten Stadt den Duft frisch gemähten Heues trug; der Mondschein stand hell auf den von der Feuchtigkeit noch dunkler gefärbten Giebeln und spielte um die gothischen Zacken und das Bleidach eines Kirchthurms, der über die Häuser fortschaute und sich aufreckte, als ob er von den Luftströmungen des Abendhimmels Mittheilungen in einer geheimnißvollen Hieroglyphensprache zu empfangen habe, auf die er mit einem leisen blechernen Ton antwortete, wenn der Hahn sich drehte. Sonst schien Alles zur Ruhe zu seyn, außer einer Katze, die quer über die Straße schlich und dann kriechend unter der schmalen Planke verschwand, welche aufrecht stehend die Lücke zwischen zwei Nachbarhäusern verschloß. Nur drüben in dem Hause des Junkers war es hell und lebendig; Rufen, Schreien, dann und wann ein Lärm, als werde ein Krug zerschmettert oder ein Stuhl in den Winkel geschleudert; gleich darauf brüllender Gesang, der von einem lauteren Jauchzen verdrängt wurde, entweihte die feierliche Stille der Nacht.

Das Mädchen am Fenster zog den Kopf zurück, rieb die Finger an den Blättern ihrer Münze, um den Duft einzusaugen und setzte sich dann auf einen Schemel, der ihr zur Seite in der Fensternische stand. Sie legte träumend ihre Hände in den Schooß und schaute nach der hohen Thurmspitze aus.

»Es ist gut,« sagte sie leise in sich hinein: »daß meine arme Mutter das tolle Treiben nicht mehr erlebt hat! – Ob Er auch wohl von dem wilden Junker verführt würde?« fuhr sie flüsternd fort.

Es war in diesem Augenblicke, als ob sich Schritte nahten; als sie sich erheben wollte, um hinauszuschauen, hörte sie eine Stimme vor ihrem Fenster leise: »Marie!« rufen.

Sie fuhr empor; ihre Hände verschränkten sich zitternd, krampfhaft über ihrer Brust, dann ein Sprung – sie stand auf dem Schemel – ein zweiter Satz machte einen Theil ihrer Blumenscherben klirrend in die Stube, den Rest hinaus auf die Straße fliegen, und wie eine durch nahen Hörnerschall elektrisierte Hinde war Marie schlank und gewandt über die Fensterbank gesprungen und stand draußen, um lauten Schreies »Pantaleon!« zu rufen und an die Brust eines jungen Mannes zu fliegen, der vor ihr stand.

Es war wirklich Pantaleon, unser Freund Pantaleon aus Bologna, der glücklich über die Alpen gekommen und eben in Zweibrücken anlangend, die ersten Schritte auf dem Pflaster seiner Vaterstadt zu Mariens Fenster gelenkt hatte. Seine Seligkeit, Marien gesund und wohl zu sehen, kannte keine Grenzen; eben so wenig konnten Beide ein Ende finden, sich ihr Glück auszudrücken und so verging eine lange Zeit, bevor Marie daran dachte, daß sie in's Haus zurück müsse und zwar auf demselben Wege, den sie gekommen, weil die Thüre von innen verschlossen war. Pantaleon half ihr, und als sie wieder in ihrer Stube stand, schwang er sich ihr nach und zog einen Schemel neben den ihren.

Als Beiden die Brust frei genug geworden, um ein zusammenhängendes Gespräch führen zu können, fragte Pantaleon seine Braut:

»Welches Haus ist das dort drüben und welcher Lärm, der hinter den erleuchteten Fenstern tobt?«

»O Gott, Pantaleon,« sagte Marie: »Du wirst Deine alten Freunde nicht wieder kennen, solch ein Heidenleben ist hier eingerissen, seit Du fort bist. Das ist Alles der tolle Junker Schuld, der hierhin gekommen ist, Niemand weiß, woher: ich glaube, daß es der gottloseste Mensch auf Erden ist, und doch läuft ihm Alles nach wie bethört und behext: und dann verführt er sie zu Würfelspiel und zum Trunk und lehrt sie aufs Gräulichste fluchen und die Heiligen lästern: er steht gewiß mit dem Gottseibeiuns im Bunde, denn neulich in der Nacht, als er allein zu Hause gewesen ist, hat ein Bube eine Leiter an ein Fenster gestellt und ist hinaufgestiegen, um zu sehen, was er treibe: und der hat ihn am Tische sitzen gesehen, vor ihm eine große Eule mit einem Menschenkopf und langen Hörnern und mit der hat er gesprochen.«

Pantaleon lachte laut auf.

»So, das glaubst Du nicht,« fuhr Marie fort, indem sie ihr Köpfchen, mit dessen Locken Pantaleon spielte, ihm fortzog. »Willst Du etwa auch nicht glauben, wie er dem Bürgermeister einen Streich gespielt hat? Den hat er des Nachts mit seinen Zechbrüdern vor des Bürgermeisters eignes Haus geführt und hat ihm gesagt, da wohne der Kastenvogt, mit dem der Bürgermeister verfeindet ist und nun solle er dreist die Scheiben einwerfen: der Bürgermeister, der betrunken gewesen ist, hat ihm geglaubt und aus Wuth die Pflastersteine aus der Erde gerissen und damit so lange fluchend und schimpfend seine eigenen Scheiben zertrümmert, bis die Leute aus dem Hause gestürzt sind und ihn geprügelt haben – denke Dir, den Bürgermeister, seine eigenen Leute!«

»Mariechen, Mariechen!« unterbrach sie hier eine rauhe und heisere Stimme von der Straße her; »Mariechen, wo hast Du das Schlüsselloch gelassen?!«

Marie fuhr empor: »Der Vater!« sagte sie: »er kommt auch aus der saubern Gesellschaft. Wart, bis er auf dem Flur ist!«

Sie ging zu öffnen, und als Pantaleon des Ankommenden Schritte auf dem Flur sich nähern hörte, schlüpfte er durch das Fenster.

»Mariechen!« sagte der Vater, in das Zimmer taumelnd und einen Zustand von Aufregung zeigend, den seine Tochter seit Kurzem leider nur zu oft an ihm wahrnahm, »ich habe Dich heut' Abend verlobt, Mariechen;« – er lallte die Worte und machte nach jedem Satze eine schraubenförmige Bewegung mit dem rechten Arm nach seiner Tochter hin, als solle der ausgereckte Zeigefinger ihr zum Spaß die Augen ausstechen: – »Du sollst den Syndikus heirathen, den Junker und den Syndikus – nein, der ist todt, der Syndikus, der liegt betrunken unterm Tisch und ist todt, der Junker hat ihn todt getrunken – Mariechen, der Junker ist ein« – der Alte strauchelte über eine der zerbrochenen auf dem Boden liegenden Blumenscherben und sank in's Knie, was ihn in ein unauslöschliches Gelächter versetzte, bis seine Tochter, der über seinen Zustand die Thränen ins Auge gequollen waren, ihn glücklich zur Ruhe brachte.

Auf sein Geschwätz hatte sie natürlich nicht geachtet: aber leider war, was er gesagt, nur allzu wahr. Der Syndikus war in Folge seiner Unmäßigkeit vom Schlage getroffen worden und todt von seinem Stuhl gesunken: und auf Mariens Haupt hatte das Schicksal den noch schlimmeren Schlag geführt, den ihr Vater andeutete; sie sollte den Junker heirathen.

Ihr Vater, ein etwas beschränkter und starrköpfiger Mann, war früher ruhig seinen Geschäften nachgegangen und hatte seine Lebensaufgabe darin gesehen, ererbten mäßigen Wohlstand um ein Mäßiges zu vermehren oder doch wenigstens nicht zu vermindern. Seit der Fremde aber auch ihn in seinen Kreis gezogen, war der alte Nikolaus Wandschneider ein anderer Mensch; sein Eigensinn war in eine zornige Härte übergegangen, seine Sparsamkeit in die leichtsinnigste Verschwendung, und was seine übrigen moralischen Vorzüge anbelangt, so karakterisiert sie hinreichend der Umstand, daß er bei jenem Gelage, welches dem Syndikus das Leben kostete, im Trunke die Hand seiner Tochter verkuppelte.

Der Junker kam, seine Rechte geltend zu machen und that es, vom Vater unterstützt, auf eine Art, daß Marie sich wahrscheinlich von einer der zwei Brücken ihrer Vaterstadt gestürzt hätte, wäre nicht Pantaleon gewesen. Dieser sprach ihr Muth ein: da allernächstens ein neuer Syndikus gewählt werden sollte und Pantaleon die gegründetste Hoffnung hatte, von seinen Mitbürgern mit diesem Amte betraut zu werden, so hoffte er bald die Mittel in Händen zu bekommen, Näheres über den Fremden zu erfahren und ihn verderben zu können. Jedenfalls aber durfte er dann neben ihm als Bewerber aufzutreten wagen. –

Eine Wahl muß eine außerordentlich anstrengende Arbeit seyn, nach der großen Menge von schmackhaften Nahrungsmitteln und von starken Getränken zu schließen, mit welchen die Wahlmänner sich eine geraume Zeit vor einem solchen wichtigen Tage in allen Kneipen zu kräftigen für nothwendig erachten. – Pantaleon war als Kandidat aufgetreten; er glaubte an gutem Erfolge nicht zweifeln dürfen, bis es plötzlich hieß, auch der fremde Junker sei als Bewerber um das Syndikat aufgetreten.

Da es nun weit schwieriger ist, das Wahlamt zu versehen, wenn Zwei da sind, die gewählt werden können, als wenn nur Einer, so wurden auf diese Nachricht hin von den Zweibrückern zuerst noch acht Tage mehr zu der Art von Selbsttrainierung angesetzt, welche sie jetzt in verdoppeltem Maaß für nöthig erachteten; dazwischen begannen beide Parteien ihr Stimmenwerben.

Pantaleon hatte eine mächtige Stimme für sich; dieß war des Bürgermeister, der, seit er seine eigenen Scheiben eingeworfen, des Fremden wüthendster Widersacher geworden; sonst hatte er aber auch nicht viel mehr Begünstiger, die Frauen ausgenommen, deren Männer von dem Junker verführt waren. Dagegen hing dem Letzteren die Mehrzahl der Einwohner an, und so war das Resultat der Wahl ganz natürlich ein für Pantaleon ungünstiges, auch ohne daß man die seltsamen Behauptungen der Sage annimmt, es habe jeder der Bürger, welcher den Namen Pantaleons habe ausrufen wollen, wider seinen Willen den des Fremden nennen müssen, als sei ihm das Wort im Munde verdreht worden: und als der Bürgermeister zum Rathhaus geschritten, habe ihn ein Schwarm von Bremsen, Hornissen, Mücken, Wespen und allen Arten solcher geflügelten blutsaugenden Ungeheuer verfolgt und so jämmerlich zugerichtet, daß er flüchtend habe heimkehren müssen, wo sich denn gefunden, daß eine große Staatsperücke statt des Puders mit feinem Zuckerstaub bestreut gewesen. Dieß ist um so unglaublicher, weil man noch keine Perücken kannte im Jahre 1460; sollte es dennoch wahr seyn, so wäre damit der Stadt Zweibrücken die Ehre der Erfindung dieses glorreichen und ehrwürdigen Hauptschmucks vindiziert.

Dem sei wie ihm wolle, der Fremde ward zum Syndikus von Zweibrücken proklamiert und todtenbleich, schweigend, wie es schien aller Lebenshoffnungen beraubt und verzweifelnd verließ Pantaleon den Wahlplatz. Der neue Syndikus aber stand, die Arme über der Brust verschränkt, triumphierend in der Mitte seiner Anhänger; er setzte das rothe Bein vor das gelbe, legte den Kopf in den Nacken und hörte in dieser hochmüthigen Stellung das Vivatgeschrei an, welches um ihn ertönte; dann brach er in ein so bitteres und höhnisches Lachen aus, daß die ihm zunächst Stehenden stumm werdend einige Schritte zurückwichen, und nun begab auch er sich fort, mit der Miene und dem Gange eines Mannes, der einen großen Sieg errungen hat und jetzt an keinem andern mehr zweifelt.

Er begab sich zu dem Hause seines Freundes Nikolaus Wandschneider, mit dem er verabredet hatte, daß an diesem Tage seiner Erhöhung zugleich das Hochzeitfest gefeiert werden sollte; Mariens stille Resignation in der letzten Zeit hatte den Alten ermuthigt; aber weil ihn trotz dem eine geheime innere Unruhe erfüllte, welche seiner Tochter still leidende Miene keineswegs beschwichtigte, hatte er sich mit desto größerem Eifer und desto mehr Geräusch auf die Zurüstungen zu einer glänzenden Hochzeit geworfen.

Der Neuerwählte fand die Thüre des Brauthauses mit einem Bogen aus grünen Reisern und Blumen geschmückt, im Innern bedeckten Kränze die Wände der etwas dunklen gewölbten Zimmer, die frisch gescheuert und mit zerschnittenen duftigen Binsenhalmen bestreut waren; in dem größten der Wohnzimmer stand ein reiches Mahl aufgetragen, in der Ecke auf dem gebohnten und geschnitzten Schrank prunkte das glänzend geputzte Silbergeschirr, welches der alte Nikolaus sein nannte, das Alles aber schien einzig und allein für die summenden Fliegen oder für die Sonnenstrahlen bereitet zu seyn, die hell durch die gewaschenen Fensterscheiben fielen und auf den blanken Zinnschüsseln glänzten. Im ganzen Hause war weder Gast, noch Braut, noch Brautvater, kurz, keine menschliche Seele.

Ueberrascht und staunend wollte der Syndikus, nachdem er forschend in jede Kammer geschaut, wieder zum Hause hinaus, als ihm athemlos die Magd entgegenstürzte; Marie, erzählte sie, war fort, – alles war hinaus, um sie zu suchen – aber nirgends eine Spur von ihr gefunden worden! Nach und nach stellten sich die Gäste und endlich Mariens Vater wieder ein; er war in Verzweiflung; er war bei allen Bekannten seiner Tochter gewesen: aber Niemand hatte mit einer Sylbe Auskunft geben können. Die Magd hatte sie, während der Alte noch auf dem Rathhaus bei der Wahl gewesen, und kurz zuvor, ehe die ersten Gäste gekommen, in ihren Alltagskleidern mit einem kleinen Bündel unter dem Arm ausgehen sehen. Wohin hatte sie nicht gesagt, und die Magd wußte es nicht, wie es Niemand in der Stadt zu sagen wußte; vielleicht hätte es Pantaleon zu sagen gewußt, aber – und das war das wunderbarste, das unerklärlichste von Allem – Pantaleon war um dieselbe Stunde wie Marie, eben so spurlos wie Marie, – verschwunden! –

Was war zu thun? Der Syndikus mußte gute Miene zum bösen Spiel machen und ohne junge Frau in sein Haus zurückkehren. Hatte der Syndikus nun aber ein gottloses Leben in Zweibrücken eingeführt, so lange er noch ein namenloser Fremder gewesen, so wurde es begreiflicher Weise noch toller, seitdem er in Amt und Würden gekommen und durch seine Verschmitztheit und Gewalt über Alles, was er einmal an sich gelockt, im Rathe bald mehr als der Bürgermeister selber galt. Die Wirthe, die Pfandausleiher, die Dirnen, die Kuppler florierten; sie sagten, der Syndikus bringe das goldne Zeitalter über Zweibrücken zurück; dagegen sagten die Geistlichen, deren Kirchen leer blieben, er sei der Antichrist: Einer aber war, der sagte, er sei der Teufel selber.

Der, welcher dieß sagte, war der alte Nikolaus Wandschneider, und der Augenblick, in welchem er es sagte, war der, in welchem der Syndikus sich angelegentlichst bemühte, mit großer Anstrengung seiner Arme und seiner Finger ihm, nämlich dem alten Wandschneider, die Kehle abzuschnüren und den Hals umzudrehen.

Dieß auffallende Faktum begab sich eines Abends spät in der Wohnung des Letztgenannten. Lange schon hatten die Nachbarn Rufen, Lärm und Wortwechsel aus dem Innern dringen gehört; endlich hatte sich ein Haufen Neugieriger davor gesammelt, und die zunächst den dicht verschlossenen Fenstern Stehenden hörten jene Worte: »Du bist der Satanas selber!«, die eine wüthende Stimme ausstieß. Darauf folgte ein Schrei, dann ein tiefes Aechzen, und als nun einige die Hausthüre mit Hebebäumen zu sprengen suchten, öffnete sich oben im zweiten Stock das Söllerfenster und eine lange Mannsgestalt beugte sich hinaus, – es war der Syndikus; er grüßte höflich die Versammelten und fragte, wer mit so viel Nachdruck seinen Wunsch, einen Besuch im Hause abzustatten, unten an der Thüre kund gebe? Der Herr Wandschneider sei unpäßlich und könne Niemanden sprechen. Dabei ließ er den Kopf des Alten neben sich aus dem Fenster schauen: er war blau, die Augen vorgequollen, ein grauenhaftes Leichengesicht. –

Die Menge erhob nun ein gellendes Geschrei des Zornes; sie erbrach das Haus, sie drang die Stiegen hinan, sie fand den erdrosselten Greis – aber den Syndikus nicht mehr. Dieser wurde im Gegentheil am Fenster seines eigenen Hauses gegenüber sichtbar. Erstaunt wandte man sich dorthin: man umzingelte die Wohnung des Mörders: der Bürgermeister bot die bewaffnete Mannschaft der Stadt auf: sie kam mit Spießen und Stangen anmarschirt, sie stellte sich kühn dem Hause gegenüber auf – aber hinein – hinein ist keiner gegangen.

Dieß war übrigens auch nicht mehr nöthig: denn in der folgenden Nacht soll den Syndikus der Teufel geholt haben: man sah in der ersten Morgendämmerung das Fenster sich öffnen, man sah zwei dunkle, großen Nachtvögeln ähnliche, Gestalten hinausschweben und in eiligem Fluge in den Lüften verschwinden. Der Syndikus aber lag todt in seinem Bett, als man nun ein Herz gefaßt und bis ins Innere seiner Wohnung vorgedrungen war. Am zweiten Tage wollte man seine Leiche begraben und zwar als die eines Mörders nicht in geweihtem Grunde.

Es war Niemand in Zweibrücken, der nicht vor dem Sterbehause sich versammelt hätte, um diesem denkwürdigen Ereigniß beizuwohnen. Man brachte den einfachen schwarzen Sarg ohne Bahrtuch, den arme Spittelleute tragen mußten: der Büttel schritt voraus; so bog der Zug um die Ecke des Sterbehauses, jetzt an seiner Fronte vorüber auf die Straße – als – ja, träumten denn die Männer von Zweibrücken oder waren sie bezaubert? Da stand ja der Syndikus leibhaftig am Fenster seines Hauses und schaute zu, wie man ihn hinaustrug! Es ist keine Täuschung, er beugt sich vor, er lächelt, er grüßt die Menge – nun nimmt er sogar das Barett vor ihr ab – ha – was ist das – der Syndikus nimmt nicht allein das Barett, sondern auch den Kopf ab, der im Barett stecken bleibt, und macht so eine tiefe Verbeugung!

Ein furchtbares Grauen befällt die Menge; doch hat einer die Besinnung zu rufen: »Den Sargdeckel herunter, den Sargdeckel ab!« Man öffnet den Sarg: die Leiche liegt darin, wie man sie hineinlegte: am Fenster ist alles verschwunden.

Man schließt die Lade wieder und will sie weiterschaffen: da noch einmal steht der Syndikus am Fenster und grüßt, den abgenommenen Kopf in der Hand. Den Trägern wird es zu viel; sie wollen fliehen: aber der, welcher früher die Besinnung am meisten oben gehalten, gibt den Rath, den Sarg geöffnet zu lassen, um die Wiederholung dieser grausenhaften Scene zu vermeiden.

Es geschieht und ohne Anfechtung gelangt man nun auf den Anger, wo die Grube bereitet ist: die Träger setzen ihre Last auf die frisch aufgeworfene Erde und greifen nach den Tauen: da rührt es sich in dem offenen Sarge, die Leiche hebt den Kopf auf, schaut umher, erhebt sich ganz und plötzlich steht der Syndikus mitten unter den Gaffern, wandelt ernst und fest durch sie hin, geht mit langen Schritten, von einem riesenhaften Schatten gefolgt, den die versinkende Sonne auf den Anger wirft, von dannen, über Wies' und Feld, bis er an eine schroffansteigende Felswand kommt, die er leicht wie eine glatte Ebene hinanschreitet, und von ihrer Höhe herab wirft er, Barett und Kopf abnehmend, den staunenden Zweibrückern den letzten Scheidegruß zu.

Er soll noch da wandeln gehen, und verspätete Wanderer von dem Felsen herab auf seltsame Weise grüßen. Dieß ist auch wohl glaublich, obgleich es nicht historisch feststehende Thatsache ist, wie der Umstand, den ich noch berichten muß, daß nämlich nur wenige Tage nachher Maria und Pantaleon wieder in ihrer Vaterstadt erschienen, jene das Erbe ihres Vaters antrat und dieser jetzt Syndikus und endlich gar Bürgermeister wurde, ein Glück, das ihn wohl trösten konnte für die kurze Verbannung, welche er sich auferlegt hatte.

Möge dem geneigten Leser die in diesen Blättern skizzierte Theorie der Seelenwanderung durch den dafür mitgetheilten Beleg so klar geworden seyn, wie ich jetzt aufgeklärt bin über den seltsamen und prophetischen Traum, den im Jahre 1460 mein Studiengenosse in Bologna mir mittheilte.



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