Levin Schücking
Der Kampf im Spessart
Levin Schücking

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Achtes Kapitel.

Als er draußen wieder bei seinen bewaffneten Bauern war, berichtete er ihnen des Erzherzogs Dank und wie sehr ihr Angriff auf die Chasseurs diesem im richtigen Augenblick zu Hilfe gekommen. Jetzt waren sie unnütz hier oben. So setzte sich der Trupp wieder in Bewegung und zog neben der österreichischen Infanteriekolonne, die der Erzherzog in die Flanke des rückziehenden Feindes vorgehen ließ und die jetzt in voller, eilig vorwärtsbringender Bewegung war, über die Bergeinsattlung in die Mühlenschlucht hinein und weiter hinab gegen die Heerstraße – ein Marsch, der nicht ohne Mühseligkeiten war, denn da die Truppen den ganzen Weg bedeckten, blieb den Bauern oft nichts übrig, als sich einen andern an den Bergseiten her durchs Gestrüpp zu bahnen.

»Was meint ihr, Mannen,« rief deshalb, als sie am Forsthause und der Mühle angekommen waren, einer der Leute, »wenn wir hier Schicht machten?«

»Zum Teufel ja,« sagte ein anderer, der Forstläufer Sepp, »ich hab's satt, hier neben diesen Österreichern sich herzuquetschen und den Gänsemarsch zu machen.«

»I freilich, die können ja das Geschäft jetzt da unten selber abmachen,« rief ein hochstämmiger Bauer, der eine Flinte über dem Rücken und eine andere in der Hand trug, eine erbeutete französische Muskete. »Ich hab' aus meinen zwei Blasrohren heute sieben tot- und fünf angeschossen, macht just ein Dutzend, und das ist genug; den dreizehnten, bei meiner armen Seele, müßt' ich beichten!«

»Der Krippauer hat recht!« sagte ein kleiner untersetzter Kerl, dem der eine Ärmel seines Wamses zerrissen an der Seite herabbaumelte. »Machen wir Feierabend und brechen in des Gevatters Wölfle Mühle ein: was nicht Raum mehr drin findet, kann im Forsthause Unterschlupf finden für die Nacht.«

»Wo ist der Wölfle und wo ist der Kommandant?« wurde jetzt von allen Seiten gerufen.

»Hier ist der Kommandant!« antwortete die Stimme Wilderichs aus den hintern Reihen. »Macht halt vor der Mühle!«

Bald war der ganze Trupp vor der Mühle versammelt. Gevatter Wölfle ging zum Quartiermachen hinein, während Wilderich die Verwundeten unter der Schar vorrief. Es waren ihrer vielleicht zwanzig, die Streifschüsse oder Schrammen erhalten und sich so gut, wie's ging, mit Tüchern und Lappen verbunden hatten; einzelne, die im Laufe des Tages schwerer verwundet worden, hatten sich gleich fortbegeben, um ihre Wohnungen im Gebirge aufzusuchen; ein Paar auch lagen tot und noch unbestattet in den Büschen drunten neben der Heerstraße; man überließ ihren Verwandten, sie zu suchen und zu holen.

»Mit den Verwundeten,« rief Wilderich, »geht der Chirurgus in meine Wohnung, ins Forsthaus trüben. Da ist mehr Raum für sie, und sie können sich da ordentlich verbinden lassen; die anderen bleiben in und vor der Mühle. – Chirurgus!«

»Hier!« rief ein wie ein Grobschmied aussehender Mann; er war in der Tat Schmied in einem der nächsten Dörfer und, weil er nebenbei Pferd und Rind kurierte, in Ermanglung eines gelehrten »Pflasterkastens« zum Chirurgus der Truppe bestellt. »Geht hinüber und laßt meine Margaret euch Leinen und was ihr bedürft geben; sorgt dafür, daß sie nicht zu viel trinken, und nun zieht ab!«

Der Trupp der Verwundeten verzog sich, von dem Kurschmied geführt, ins Innere des Forsthauses.

»Und nun du, Krippauer, und deine Knechte und der mit dem Ärmel da, ihr seid die Proviantmeister,« sagte Wilderich. »Geht und holt einen der Proviantwagen, welche die Franzosen haben stehen lassen müssen, weil wir ihnen die Pferde totgeschossen haben; es stehen ihrer genug die Heerstraße entlang.«

»Es stehen ihrer schon da, das weiß ich,« entgegnete der Krippauer, »aber wie bring' ich einen herauf?«

»Hilf dir selbst! Sieh, daß du ein paar herrenlose Pferde auffängst, oder nimm, dir Leute genug mit, daß ihr den Wagen selber heraufziehen könnt.«

»Nun ja, ich geh' ja schon!« antwortete der Krippauer. »Aber ich muß mehr Hilfe haben als den zerrissenen Schulmeister hier und meine zwei Knechte.«

»Freiwillige vor!« rief es.

Ein Dutzend waren bereit, dem Krippauer zu helfen, und der Haufen eilte davon, weiter die Schlucht hinab.

Als sie abzogen, ließ sich unten, von der Heerstraße her, ein plötzliches lebhaftes Kleingewehrfeuer hören; die Spitze der österreichischen Kolonne mußte eben unten eingetroffen sein und in ein heranmarschierendes Korps der Feinde ihre Salven schleudern.

»Jetzt wird's da unten ein gutes Durcheinander geben!« rief der Forstläufer Sepp. »Wenn der Krippauer sich nur aus dem Gemeng herausholt, was wir brauchen! Wär' schlimm, wenn bei der Affäre nicht als Arbeitslohn ein guter Imbiß zu Abend herauskäme.« Nach und nach hatte die Schar – es mochten etwa noch hundertundfünfzig Köpfe sein – sich in die Mühle gedrängt und in alle Räume des kleinen Gebäudes ergossen, das heißt, soviel von ihnen hineingingen, denn ein großer Teil mußte draußen bleiben, weil der Platz drinnen nicht reichte. Gevatter Wölfle schleppte eilig mit den Seinen Stroh- und Heubündel auf den freien Raum vor seiner Mühle, damit die Männer sich darauf lagern konnten; diese waren tätig, seinen Holzschuppen zu plündern und Reisig und Scheitholz herbeizuschleppen, um vor der Mühle ein großes Wachtfeuer anzuzünden; nach kurzer Zeit flammte es in heller Glut in die Höhe, und die Bauern lagerten sich in malerischen Gruppen umher.

In malerischen Gruppen – nichts konnte in der Tat frappantere Bilder bieten als dies kleine Biwak bewaffneter Bauern, die von einer heißen und blutigen Tagesarbeit ausruhten, in wunderlich bunten Kleidungsstücken, mit staub- und rauchgeschwärzten Gesichtern, mit den verschiedensten und seltsamsten Waffen neben sich, müde, hungrig, durstig und doch in der tollsten Laune, in der ganzen Erregung eines triumphreichen Tages, wie sie einen ähnlichen in ihrem Leben nicht gesehen, inmitten eines großen geschichtlichen Ereignisses, wie sie nie inmitten eines ähnlichen, selbst teilnehmend und werktätig helfend gestanden.

Es war nach und nach dunkel geworden. Die Flammen fingen an greller und glühender die altergeschwärzte Mühle, die Bergwände und die Gruppen der Männer umher zu beleuchten und jenes eigentümlich intensive Grün der Baumwipfel hervortreten zu lassen, das der Baum an den Stellen, wo er hell beleuchtet ist, dem rotgoldenen Glanze nächtlichen Lichtscheins entgegenhält.

Von drunten her tönten noch immer Flintenschüsse, aber sie wurden seltener und seltener; die Nacht schien auch dort unten Ruhe zu gebieten. Die Österreicher sandten einen Haufen Fouragiere herauf, von denen die Bauern erfuhren, daß sie weiter unten in der Schlucht biwakieren wollten; die Fouragiere sollten Heu und Stroh zum Lager herbeischaffen, einige von ihnen nach den ihnen nachkommenden Proviant- und Gepäckwagen ausschauen. Sie mußten weiter ziehen, die Mühle und das Forsthaus hatten keine Hilfe für sie; nur Gevatter Wölfles Holzschuppen spendete ihnen eine Beisteuer an getrocknetem Holz für ihre Beiwachtfeuer.

»Wo der Krippauer bleibt?« rief jetzt, nachdem ein Teil der Österreicher aufwärts weiter und ein anderer mit Scheiten und Reisigbündeln beladen abwärts gezogen war, einer der Bauern, der, Gott weiß aus welcher Laune, seinen Rock umgewendet angezogen hatte. »Ich fürchte, gerät der mit seinem erbeuteten Proviantwagen unter diese Kameraden drunten, so werden sie uns nicht viel drin lassen!«

»Warum nicht gar,« antwortete ein kleiner verwachsener Mensch mit geröteten, fortwährend blinzelnden Augen. – »'s sind ehrliche Österreicher, gute Burschen, deutsches Blut, keine Welschen und Kroaten, solche, weißt du, von denen dem Sepp seine Geschichte geht.«

»Dem Sepp seine Geschichte? Und wie lautet deine Geschichte, Sepp, von welcher der Krepsacher da spricht? Her damit!« sagte der Umgewendete.

»Kannst sie haben, Jochem, sie ist kurz genug,« versetzte Sepp. »Es waren ihrer drei von diesen Völkern im Quartier bei einem Bauer; der hat ein silbernes Kruzifixbild in seiner Schlafkammer über dem Bett hängen. Sagt am andern Morgen der eine heimlich zum andern: Host du g'sehen – Herrgott, silbernes, in der Kammer? Sagt der andere: Hob i schon! Sagt der dritte: Hast du g'hobt!«

Ein lautes Gelächter folgte, das in einen allgemeinen Hurraruf überging, als jetzt der Krippauer mit seinen Leuten, die sich mit Stricken vor einen französischen Fourgonwagen gespannt hatten, auftauchte. Alle eilten ihm entgegen, um Hand anzulegen und den Wagen bis zu dem Wachtfeuer vor der Mühle heraufzubefördern. »Teufel, der ist gut beladen,« rief der Krepsacher. »Ich mein's,« sagte der Krippauer, der jetzt sich ausspannte und sich die Stirn wischend mit den Seinen verschnaufend nebenherging, »ob er schwer ist! Wir haben auch einen guten ausgesucht; könnt's uns danken!«

»Ist Gepäck drin?« fragte der Umgewendete.

»Es ist alles drin,« versetzte der Krippauer; »es muß solch ein Generalsküchenwagen sein, und es schaut aus drin wie in der Vorratskammer des heiligen Mannes, des Abts von Neustadt; das Herz soll euch aufgehen, ihr Männer, wenn ihr dreinschaut. Hat dies Franzosenpack was Ehrliches zusammengeraubt!«

Und das Herz ging den Männern auf, als sie den Fourgon öffneten und feinen Inhalt plünderten. Brot und Würste, Gebackenes, kaltes Geflügel, Pasteten, Kuchen, Flaschenkörbe mit Bocksbeuteln, genug wurde aus dem Innern herausgelangt, um die ganze Mannschaft satt und trunken zu machen. Dazu silbernes Gerät und Teller und Trinkgeschirr; das letztere diente zuerst, überströmt von dem Inhalt des goldenen Main- und Steinweins, der aus den Bocksbeuteln floß.

»Hurra, es lebe das Heilige Römische Reich!« rief der Knirps, der Krepsacher, aus, nachdem er ein Kristallglas halb geleert. »Das ist Gewächs von der Harfe, denk' ich, hab's nie besser bekommen; so laß ich mir die Franzosenjagd gefallen!«

»Klagst jetzt nicht mehr, daß man den Kerlen nicht die Haut abziehen und sie nicht als Hasen schmoren kann?« lachte der mit dem zerrissenen Ärmel, der Schulmeister.

»Nein, so kann's fortgehen, morgen und alle Tage,« versetzte der Knirps, den Rest hinunterschluckend. »Ich denke, wir machen so weiter! Was haben wir auch die Soldaten, die Österreicher nötig? Wenn jedermann von uns Bauern wäre wie ich und nur drei Gulden sich's kosten ließe für Kraut und Lot, jedermann von den Förstern und Bauern im ganzen Römischen Reich, wir schlügen die Franzosen allein zum Land hinaus und nachher, dann gingen wir über den Rhein und in ihr Land hinein und machten's dort wie sie bei uns. Steinwein wie diesen da haben sie freilich nicht, aber was sie haben, wird auch nicht just Essig sein, und es ließ' sich probieren!«

»Armer Tropf!« sagte der Schulmeister. »Meinst du, die großen Herren ließen dich ruhig dein Pulver verknallen und auf deine Faust nach Frankreich marschieren, damit, wenn du heimkämst, du nachher das große Maul führtest? Jetzt, weißt, haben sie uns losgelassen, weil sie uns brauchen können, wie die Hunde, wenn die Strolche auf den Hof kommen. Später werden sie dich schon wieder an die Kette legen!«

»Ah bah, wenn wir alle zusammenhielten, könnten wir just so gut die großen Herren an die Kette legen!«

»Warum nicht gar,« fuhr der Krippauer dazwischen, »wer sollte sie dann füttern? Die Sorte frißt zu viel!«

»Nun, so machen wir's den Franzosen nach, wie sie sich drüben ihre großen Herren vom Halse schaffen; die haben's doch gekonnt!« antwortete der Krepsacher, sich das Maul mit einem Biß in ein kaltes gebratenes Feldhuhn stopfend.

Wilderich trat in diesem Augenblick in den Kreis und unterbrach diese Reden, die bewiesen, daß der gestrenge Schösser nicht so ganz unrecht hatte, wenn er behauptete, das Volk im Lande sei von den Republikanern mit Gedanken angesteckt, die in den Zeiten seiner siegreichen Ausmärsche wider den Reichsfeind noch nicht erfunden waren.

Wilberich war in seiner Wohnung drüben gewesen, für die Unterkunft der Verwundeten zu sorgen, nach Margarete und dem Kinde, die gegen Abend aus einem Fluchtversteck im Walde zurückgekommen waren, zu sehen, und seine Vorbereitungen für seine Reise zu treffen.

»Wo bleibt Ihr, Kommandant?« riefen ihm die Bauern entgegen. »Eßt und trinkt!«

»Ich habe in meinem Hause gegessen und getrunken,« versetzte er und zog den Krippauer am Wams zur Seite.

»Krippauer,« sagte er dabei, »hört, ich muß euch verlassen.« »Verlassen – Ihr – uns – jetzt? Zum Teufel, das wäre nicht recht, Kommandant!«

»Und doch muß ich. Ich muß nach Frankfurt. Fragt mich nicht weshalb!«

»Das möcht' ich doch wissen, weshalb?«

»Wohl denn, weil der Erzherzog mir einen Brief dahin gegeben.«

»Der Erzherzog? Nun, wenn das ist – aber wie wollt Ihr nach Frankfurt kommen, durch das Franzosengewühl auf allen Straßen, die dahin führen?«

»Ich denk', ich werd's möglich machen; ich muß eben! Unterdes führt Ihr die Leute – wollt Ihr, Krippauer?«

»Ob ich will? Fragt lieber, ob ich kann? Sie werden nicht auf mich hören!«

»Sie sollen auf Euch hören, ich werd's schon machen.«

»Da bin ich begierig, wie Ihr's machen wollt, daß die Respekt vor dem Krippauer bekommen!«

»Hört nur, tretet neben mich ans Feuer.«

Wilderich trat neben dem Krippauer in die Runde der Gelagerten und rief: »Ihr, ihr Leute hier, seid ruhig, hört mich an!«

»Still, der Kommandant will reden, er wird uns sagen, ob wir sie an die Kette legen oder abtun sollen, wie die Franzosen,« schrie lachend der Kiepsacher.

»Ich muß,« hob Wilderich an, »ich muß euch verlassen, brave Freunde! Ihr seid mir gefolgt, habt mir gehorcht und gute Mannszucht gehalten. Dafür dank' ich euch. Jetzt muß ich euch verlassen, weil ich von dem Erzherzog und Reichsfeldmarschall einen Brief bekommen habe, den ich nach Frankfurt bringen muß.« Ein unwillige« Gemurmel erhob sich, durch das des Schulmeisters Ruf vernehmbar wurde: »So haben wir nicht gewettet, Förster Buchrodt. Nichts da von Weggehen! Ihr dürft von der Kompagnie nicht desertieren, Hauptmann!« »Ich desertiere auch nicht, ich nehme nur Urlaub, und unterdes laß ich euch einen Leutnant. Dazu hab' ich den Krippauer erwählt, denn er ist ein wackerer Mann, stark wie zehn und ist in seiner Jugend auch eine Weile Soldat gewesen bei den Hohenloheschen! Wollt ihr ihm folgen wie mir?«

Die Bauern schwiegen, teils verdutzt, teils mißvergnügt, bis Wilderich fortfuhr: »Na, meint einer, er sei nicht der Stärkste, so komm' er vor und versuch's mit dem Krippauer; wenn ihn einer unterkriegt, so soll der mein Leutnant werden! Hat aber keiner jetzt den Mut dazu, so gehorcht ihm nachher auch! Nun, hat keiner Lust? Wie ist's mit dem Krepsacher? Schaust ja so tückisch drein! Kremp' doch deine Hemdärmel auf und wag's mit dem Krippauer!«

Die andern lachten, und: »Es lebe der neue Oberkommandant, es lebe der Krieg, es leben die Franzosen und ihre Küchenwagen!« schrie es bald durcheinander.

»Siehst's nun, du Knirps von Krepsacher,« raunte der Schulmeister diesem zu, »daß es gute Wege hat mit dem die Herren an die Kette legen? Jetzt laßt ihr euch schon gar einen neuen auf die Nase setzen und kuscht vor ihm und schreit gehorsam: Es lebe der Krippauer! Weshalb nicht: Es leben alle Esel?«

»Na, laß sie doch! Wenn sie das schrien, müßtest du ja eine Dankrede halten, Schulmeisterlein, krummbeiniges,« sagte der Krepsacher verdrießlich.

Wilderich hatte sich unterdes entfernen wollen, aber der Krippauer hielt ihn.

»Wär' besser,« sagte er, »Ihr würft erst einen Blick in den Fourgon da und sähet, was alles noch drin ist; es sind Koffer, Papiere, kleine Kisten drin; muß ein vornehmer Offizier gewesen sein, dem der Wagen gehört hat, und Ihr tätet gut, zu sehen, ob darunter nichts ist, was von Wichtigkeit und was ans Hauptquartier abgeliefert werden muß.«

»Könnt Ihr nicht selber nachsehen? Ich habe Eile, fortzukommen!« Der Krippauer schüttelte den Kopf. »Es wird's halt nicht tun, Revierförster; es wird nicht jeder aus beschriebenem Papier klug, und was mich angeht, so ist der Teufel sicher, daß ich ihm meine Seele nicht verschreib', oder er müßt' mit drei Kreuzen vorliebnehmen.«

Wilderich ging zum Wagen, stieg behende hinein und ließ sich aus der Mühle, um sehen und lesen zu können, eine Laterne bringen, die er im Innern des Wagens auf den Boden desselben stellte.

»Schulmeister,« rief er dann von seiner Höhe herunter, »ich nehme an, Ihr könnt lesen.«

»Nicht allzu gut!« antwortete lachend der Krepsacher statt des Schulmeisters. »Mit dem Lesen stockt's ein wenig bei ihm und mit dem Schreiben hapert's, nur das Kopfrechnen, wie viel Würst' es ausmacht, wenn zu Martini von fünfzig Kindern jedes zwei bringt, das versteht er. Gelt, Schulmeister?«

»Du hast ein Schandmaul, Krepsacher,« fiel der Schulmeister ein. »Ich lese gedruckte Bücher so gut wie der Herr Kooperator und auch Geschriebenes. Zeigt nur her, Revierförster.«

Der Schulmeister schwang sich in den Fourgon und begann in den Schriftbündeln und Mappen zu stöbern, die neben Koffern und andern Effekten eines Offiziers in dem Wagen lagen.

»Das ist ja alles Französisch!« sagte er nach einer Weile. »Hol's der Henker, für das Häuflein Würst' und alle zwei Jahr zu Sankt-Michelstag einen neuen Rock von der Gemeinde soll ich am End' auch noch Spanisch können! Das mag die Gemeinde anderswo bestellen!«

Der Schulmeister warf die Papiere beiseite und machte sich mit einer verschlossenen Schatulle zu tun.

» Au citoyen Duvignot, Général de Brigade,« las Wilderich unterdes und fand den Namen wiederholt auf einem großen Teile der Blätter, die ihm unter die Hände kamen; der Wagen mußte der Gepäckwagen eines Brigadegenerals Duvignot sein. Wilderich rief dem Krippauer zu, er solle einem der österreichischen Offiziere melden, daß man allerlei Rapporte und andere Dienstpapiere eines Generals erbeutet und es den Österreichern überlasse, ob sie sich darum kümmern wollten oder nicht, als ein heftiger Krach ihn sich wenden und auf den Schulmeister blicken ließ.

Dieser stand hinter ihm, die geöffnete Schatulle im Arm; er hatte mit seinem starken Taschenmesser den Deckel aufgesprengt und durchwühlte jetzt den Inhalt. Obenauf in der Kassette lag ein Bündel Papiere in gelbem Umschlage und mit einem grünseidenen Bande umwunden; darunter lagen einige Geldrollen, ein Medaillon mit dem Miniaturporträt einer Frau, Ringe, ein paar goldene Taschenuhren, eine Tabatiere, ein paar alte Notizbücher und einige Briefe; es schien die kleine Schatzkammer des Generals Duvignot zu sein.

»Gebt her, Schulmeister,« rief Wilderich, »das ist etwas, was ich brauchen kann!«

»Glaub's, daß Ihr's brauchen könnt, Revierförster, aber wir andern könnend auch brauchen; ich denke, wir teilen ehrlich.«

»Wir sind keine Räuberbande, Schulmeister,« sagte Wilderich, die Kassette unter den Arm nehmend. »Ich brauch's, um es diesem General Duvignot wieder zustellen zu können.«

»Dem General? Kennt Ihr ihn denn?«

»Nein, nicht mehr als jeden andern.«

»Nun also!«

»Hört, ich muß nach Frankfurt hinein; weiß der Himmel, wie ich's anfange, durchzukommen. Da soll mir dies Ding da dienen; ich werde sagen, ich woll's dem General wieder zustellen; es wird mir als Paß dienen. Darum nehm' ich's. Behüt' Gott Euch und die übrigen – ich muß fort!«

Er sprang behende vom Wagen herunter, schritt mit dem Kästchen davon in die Dunkelheit hinein und war bald den Augen des ihm betroffen und verdutzt nachblickenden Schulmeisters entschwunden.

Als dieser sich von seiner Überraschung erholt hatte, rief er den Nächststehenden zu, das sei kein ehrlich Spiel, sie sollten ihm helfen, dem Förster die Kassette wieder zu entreißen – aber niemand hörte auf ihn, sie lachten ihn aus.

Solange die Vorräte in dem Generalsfourgon vorhielten, blieb es laut und lebendig am Feuer des Bauernbiwaks. Als sie aber erschöpft waren, machte sich die Ermüdung bei den Männern geltend. Sie begannen an ihre Nachtruhe zu denken; die, welche aus der Mühle gekommen, zogen sich allgemach dahin zurück, andere suchten Dach und Fach unter dem Holzschuppen und der Rest lagerte sich ums Feuer.

»Sorgt dafür, daß das Feuer hübsch im Flackern bleibt, die Nacht ist kalt!« sagte der Krippauer. »Du Schulmeister und der Krepsacher, ihr sollt's schüren!«

»Danke!« erwiderte der Schulmeister verdrießlich. »Ich hab' Schlaf nötig so gut wie die andern!«

»Na, dank' doch dem Herrn Oberkommandanten, daß er uns nicht anbefiehlt, der sämtlichen Mannschaft für morgen die Schuh' zu putzen!« lachte der Krepsacher. »Dazu sind wir zwei ihnen just gut; du, der Schulmeister und der Krepsacher, dem der Hof vergantet ist, die sind die letzten in der Gemeinde!«

»Gott weiß es,« versetzte der Schulmeister seufzend. »Das kommt dabei heraus, daß man ein Studierter und Gelehrter ist, nachher kann man der Gemeinde die Schuhe putzen!«

Der Krepsacher aber stützte sein Kinn auf den Arm und blickte lange sinnend in das Feuer. Nach einer Pause und während die andern einschliefen, sagte er: »Du, Schulmeister!«

»Was hast?« fragte dieser, aus dem Einnicken auffahrend.

»Was meinst, wenn wir ihnen das Feuer so groß schürten, daß der Wind die Funken auf des Müllers Schindeldach trüg'? Der Wind bläst grad aus der richtigen Ecke!«

»Bist von Sinnen?« »Ich denk', der Krippauer hätte dann warm genug für die Nacht,« antwortete der Krepsacher lachend. »Es sind mehr alte Hütten abgebrannt in diesen Tagen im Spessart! Eine mehr oder weniger, was schadet's? Geh, hol' Scheite und Reisig!«

»Bist ein Boshafter, du!« sagte der Schulmeister, einen ängstlichen Blick von der Seite auf den Krepsacher werfend. »Aber wer kommt denn dort?«

An der andern Seite der Schlucht, jenseit des Baches, rauschte es im Gestrüpp; Gerölle kollerte nieder; es mußte jemand da durch die Sträuche brechen.

Die beiden allein noch wachenden Männer blickten gespannt in die Dunkelheit. Nach einer Weile wurde eine wie hüpfend sich bewegende Gestalt sichtbar, die zum Bache niederkam, ihn leicht übersprang und über den Wiesenstreif diesseits zum Feuer herankam.

»Das ist einer, der hinkt; man sollt' sagen, der mit dem Klauenfuß wär's,« sagte der Krepsacher.

»Mag schon sein, denn los ist er im Spessart seit gestern und heute!«

Der mit dem Klauenfuß war aber der hinkende nächtliche Waldgänger doch nicht; es war ein starker, untersetzter Mann mit einem dreieckigen Hut auf dem – man sah's, als er in den Bereich des Lichtscheins der Flammen kam – sehr vollen und pockennarbigen Gesichte, aus dem ein paar kleine Augen verschmitzt hervorblitzten.

»Wer bist, woher kommst?« fragte ihn der Krepsacher, als er vor ihnen stand.

»Wie heißt, wohin willst, was ist die Parole?« antwortete der Fremde kaustisch. »Ich sehe, ihr spielt Feldwache und laßt niemand durch! Mir kann's recht sein, wenn ihr mich anhaltet, ich will auch nicht weiter durch und bleib' schon als Arrestant bei euch!«

Er legte sich ohne weiteres zwischen die beiden und warf seinen Hut neben sich auf den Boden. »Wie das schnarcht und schläft!« sagte er, auf die umherliegenden Gruppen ringsum blickend. »Ich kann's nicht; mich läßt's nicht ruhn! Ich hab's im Geblüt. Das Geblüt läßt mich nicht schlafen. Leg' ich den Kopf auf den Arm, so saust's, als ob mir das Mühlrad da durch die Schläf' ginge. Ist's euch auch so, euch zwei, daß ihr noch wacht?«

Der Schulmeister und der Krepsacher sahen schweigend den seltsamen Passagier an; endlich sagte der Schulmeister: »Hast denn nicht mitgetan? Du bist ja ohne Gewehr?«

»Gewehr? Wozu soll ich's schleppen? Ich denk', ihr Spessarter verknallt Pulver genug, meins kann ich sparen. Beim Haufen vom Weißkopf, dem Waldmeister, herwärts Bischbrunn war ich. Da ist Pulver genug verknallt. Und nachher, weil ich nicht schlafen könnt', bin ich weiter gegangen, abseits von der Straße, an den Bergseiten her und über die Leithen. Dacht' mir's schon, daß ich da ihrer etzliche finden könnt', verwundete arme Teufel, halbtote Marodeurs, die sich da in die Sträucher verkrochen; ich wollt' ihnen helfen –«

»Du wolltest ihnen helfen?« rief der Krepsacher aus. »Helfen, den Franzosen? Bist kein guter Deutscher?«

»Ein Oberpfälzer bin ich. Was schiert mich Deutschland! Meine Ochsen haben's verbrannt, und die Stallmagd, das Urschel, ist auch hin. Sieben Ochsen waren's, sieben Stück – und Prachtvieh! Die Urschel nicht gerechnet. Darum geh' ich! Ich geh' wegen meiner Sach' und nicht wegen Deutschland! Mir ist's recht, wenn's euch so viel Schüss' Pulver wert ist, das Deutschland!«

»Was willst denn hier bei uns?« fragte der Krepsacher.

»Was ich will? Ihrer siebzig will ich und noch einen dazu, damit ich nachher nicht denk', ich könnt' mich verzählt haben. Brauch kein Gewehr dazu – das tut's auch!«

Der Mann hob an der Seite seinen grünen Kittel in die Höhe und zog aus der Tasche' seines ledernen Beinkleides den schwarzen Griff eines Messers hervor. Der Krepsacher sah den neuen Kameraden verwundert an. Dem Schulmeister, schien es, war der Mann unheimlich geworden; er rückte mit scheuem Blick von dem Fremden weiter ab.


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