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Abhandlungen.

Eristische Dialektik

Logik und Dialektik wurden schon von den Alten als Synonyme gebraucht: obgleich λογιξεοθαι überdenken, überlegen, berechnen; – und διαλεγεοθαι sich unterreden, zwei sehr verschiedene Dinge sind.

Den Namen Dialektik (διαλεχτιχη, διαλεχτιχη πραγματεια, διαλεχτιχοσ ανηρ) hat (wie Diogenes Laertius berichtet) Plato zuerst gebraucht: und wir finden daß er im Phädrus, Sophista, Republik lib. 7 u. s. w. den regelmäßigen Gebrauch der Vernunft und das Geübtseyn im selbigen darunter versteht. Aristoteles braucht τα διαλεχτιχα im selben Sinne: er soll aber (nach Laurentius Valla) zuerst λογιχη im selben Sinne gebraucht haben: wir finden bei ihm λογιχασ δυεχερειασ i. e. argutias, προτασιν λογιχην, αποριαν λογιχην. – Demnach wäre διαλεχτιχν älter als λοιχην. Cicero und Quinctilian brauchen in derselben allgemeinen Bedeutung Dialectica und Logica. Cic. in Lucullo: Dialecticam inventam esse, veri et falsi quasi disceptatricen.– Topica, c.2: Stoici enim judicandi vias diligenter persecuti sunt, ea scientia, quam Dialecticen appellant. – Quinct. lib. II, 12: itaque haec pars dialecticae, sivi illam disputatricem disere malimus: letzteres scheint ihm also das Lateinische Aequivalent von διαλεχτιχη. (Soweit nach Petri Rami dialectica, Audomari Talaei praelectionibus illustrata. 1569).

Dieser Gebrauch der Worte Logik und Dialektik als Synonyme hat sich auch im Mittelalter und der neuern Zeit, bis heute, erhalten. Jedoch hat man in neuerer Zeit, besonders Kant, Dialektik öfter in einem schlimmen Sinne gebraucht, als »sophistische Disputirkunst«, und daher die Benennung »Logik« als unschuldiger vorgezogen. Jedoch bedeutet Beides von Haus aus dasselbe, und in den letzten Jahren hat man sie auch wieder als synonym angesehen.

Es ist Schade, daß »Dialektik« und »Logik« von Alters her als Synonyme gebraucht sind, und es mir daher nicht recht frei steht, ihre Bedeutung zu sondern, wie ich sonst möchte, und » Logik« (von λογιξεοθαι, überdenken, überrechnen, – von λογοσ, Wort und Vernunft, die unzertrennlich sind) zu definiren als »die Wissenschaften von den Gesetzen des Denkens, d. h. von der Verfahrungsart der Vernunft« – und » Dialektik« (von διαλεγεοθαι, sich unterreden: jede Unterredung theilt aber entweder Thatsachen oder Meinungen mit, d. h. ist historisch oder deliberativ) als »die Kunst zu disputiren« (dies Wort im modernen Sinne). – Offenbar hat dann die Logik einen rein a priori, ohne empirische Beimischung bestimmbaren Gegenstand, die Gesetze des Denkens, das Verfahren der Vernunft (des λογοσ), welches diese, sich selber überlassen, und ungestört, also beim einsamen Denken eines vernünftigen Wesens, welches durch nichts irre geführt würde, befolgt. Dialektik hingegen würde handeln von der Gemeinschaft zweier vernünftiger Wesen, die folglich zusammen denken, woraus, sobald sie nicht wie zwei gleichgehende Uhren übereinstimmen, eine Disputation, d. i. ein geistiger Kampf wird. Als reine Vernunft müßten beide Individuen übereinstimmen. Ihre Abweichungen entspringen aus der Verschiedenheit, die der Individualität wesentlich ist, sind also ein empirisches Element.

Logik, Wissenschaft des Denkens, d. i. des Verfahrens der reinen Vernunft, wäre also rein a priori konstruirbar; Dialektik großen Theils nur a posteriori, aus der Erfahrungserkenntniß von den Störungen, die das reine Denken durch die Verschiedenheit der Individualität beim Zusammendenken zweier vernünftiger Wesen erleidet, und von den Mitteln, welche Individuen gegen einander gebrauchen, um Jeder sein individuelles Denken als das reine und objektive geltend zu machen. Denn die menschliche Natur bringt es mit sich, daß, wenn beim gemeinsamen Denken, διαλεγεοθαι, d. h. Mittheilen von Meinungen (historische Gespräche ausgeschlossen), A erfährt, daß B's Gedanken über denselben Gegenstand von seinen eigenen abweichen, er nicht zuerst sein eigenes Denken revidirt, um den Fehler zu finden; sondern diesen im fremden Denken voraussetzt: d. h. der Mensch ist von Natur rechthaberisch: und was aus dieser Eigenschaft folgt, lehrt die Disciplin, die ich Dialektik nennen möchte, jedoch um Mißverstand zu vermeiden »Eristische Dialektik« nennen will. Sie wäre demnach die Lehre von der dem Menschen natürlichen Rechthaberei. Eristik wäre nur ein härteres Wort für dieselbe Sache.

Eristische Dialektik ist die Kunst zu disputiren, und zwar so zu disputiren, daß man Recht behält, also per fas et nefas. Aristoteles (nach Diog. Laert. V, 28) stellte zusammen Rhetorik und Dialektik, deren Zweck die Ueberredung, το πιθανον, sei; sodann Analytik und Philosophie, deren Zweck die Wahrheit: – Αιαλεχτιχη θε εστι ταχνη λυγων, δι ησ ανασχευαξομεν τι η χατασχεναξομεν, αξ ερωτησεωσ χαι αποχρισεοσ Diog. Laert. III, 48 in vita Platonis. – Aristoteles unterscheidet zwar 1) die Logik oder Analytik, als die Theorie oder Anweisung, zu den wahren Schlüssen, den apodiktischen. 2) Die Dialektik oder Anweisung zu den für wahr geltenden, als wahr kurrenten – ενδοξα, probabilia. Top. I. c. 1&12) – Schlüssen, wobei zwar nicht ausgemacht ist daß sie falsch sind, aber auch nicht, daß sie wahr (an und für sich) sind; indem es darauf nicht ankommt. Was ist denn aber dies anders als die Kunst Recht zu halten, gleichviel ob man es im Grunde habe oder nicht? Also die Kunst den Schein der Wahrheit zu erlangen, unbekümmert um die Sache. Daher wie Anfangs gesagt.
Aristoteles theilt eigentlich die Schlüsse in logische, dialektische so ein, wie eben gesagt, dann 3) in eristische – Eristik –, bei denen die Schlußform richtig ist, die Sätze selbst aber, die Materie, nicht wahr sind, sondern nur wahr scheinen, und endlich 4) in sophistische – Sophistik –, bei denen die Schlußform falsch ist, jedoch richtig scheint. Alle drei letzten Arten gehören eigentlich zur eristischen Dialektik, da sie alle ausgehn nicht auf die objektive Wahrheit, sondern auf den Schein derselben, unbekümmert um sie selbst, also auf das Recht behalten. Auch ist das Buch über die Sophistischen Schlüsse erst später allein edirt: es war das letzte Buch der Dialektik.
Man kann nämlich in der Sache selbst objective Recht haben, und doch in den Augen der Beisteher, ja bisweilen in seinen eigenen, Unrecht behalten: wenn nämlich der Gegner meinen Beweis widerlegt, und dies als Widerlegung der Behauptung selbst gilt, für die es jedoch andere Beweise geben kann; in welchem Fall natürlich für den Gegner das Verhältniß umgekehrt ist: er behält Recht, bei objektivem Unrecht. Woher kommt das? Von der natürlichen Schlechtigkeit des menschlichen Geschlechts. Wäre diese nicht, wären wir von Grund aus ehrlich, so würden wir bei jeder Debatte bloß darauf ausgehen, die Wahrheit zu Tage zu fördern, ganz unbekümmert, ob solche unsrer zuerst aufgestellten Meinung oder der des Andern gemäß ausfiele: dies würde gleichgültig, oder wenigstens ganz und gar Nebensache seyn. Aber jetzt ist es Hauptsache. Die angeborene Eitelkeit, die besonders hinsichtlich der Verstandeskräfte reizbar ist, will nicht haben, daß was wir zuerst aufgestellt sich als falsch und das des Gegners als Recht ergebe. Hienach hätte nun zwar bloß Jeder sich zu bemühen, nicht anders als richtig zu urtheilen, wozu er erst denken und nachher sprechen müßte. Aber zur angeborenen Eitelkeit gesellt sich bei den Meisten Geschwätzigkeit und angeborene Unredlichkeit. Sie reden, ehe sie gedacht haben, und wenn sie auch hinterher merken, daß ihre Behauptung falsch ist und sie Unrecht haben; so soll es doch scheinen, als wäre es umgekehrt. Das Interesse für die Wahrheit, welches wohl meistens bei Aufstellung des vermeintlich wahren Satzes das einzige Motiv gewesen, weicht jetzt ganz dem Interesse der Eitelkeit: wahr soll falsch und falsch wahr scheinen.

Jedoch hat selbst diese Unredlichkeit, das Beharren bei einem Satze, der uns selbst schon falsch scheint, noch eine Entschuldigung. Oft sind wir anfangs von der Wahrheit unsrer Behauptung fest überzeugt: aber das Argument des Gegners scheint jetzt sie umzustoßen; geben wir jetzt ihre Sache gleich auf, so finden wir oft hinterher, daß wir doch Recht hatten: unser Beweis war falsch, aber es konnte für die Behauptung einen richtigen geben; das rettende Argument war uns nicht gleich beigefallen. Daher entsteht nun in uns die Maxime, selbst wenn das Gegenargument richtig und schlagend scheint, doch noch dagegen anzukämpfen, im Glauben, daß dessen Richtigkeit selbst nur scheinbar sei, und uns während des Disputirens noch ein Argument, jenes umzustoßen, oder eines, unsere Wahrheit anderweitig zu bestätigen, einfallen werde: hiedurch werden wir zur Unredlichkeit im Disputiren beinahe genöthigt, wenigstens leicht verführt. Diesergestalt unterstützen sich wechselseitig die Schwäche unseres Verstandes und die Verkehrtheit unseres Willens. Daraus kommt es, daß wer disputirt in der Regel nicht für die Wahrheit, sondern für seinen Satz kämpft, wie pro ara et focis, und per fas et nefas verfährt, ja wie gezeigt nicht leicht anders kann.

Jeder also wird in der Regel wollen seine Behauptung durchsetzen, selbst wenn sie ihm für den Augenblick falsch oder zweifelhaft scheint. Machiavelli schreibt dem Fürsten vor, jeden Augenblick der Schwäche seines Nachbarn zu benutzen, um ihn anzugreifen, weil sonst dieser einmal den Augenblick benutzen kann, wo jener schwach ist. Herrschte Treue und Redlichkeit, so wäre es ein Anderes: weil man sich aber deren nicht zu versehen hat, so darf man sie nicht üben, weil sie schlecht bezahlt wird: – ebenso ist es beim Disputiren: gebe ich dem Gegner Recht, sobald er es zu haben scheint; so wird er schwerlich das Selbe thun, wenn der Fall sich umkehrt: er wird vielmehr vor nefas verfahren: also muß ich's auch. Es ist leicht gesagt, man soll nur der Wahrheit nachgehen, ohne Vorliebe für seinen Satz; aber man darf nicht voraussetzen, daß der Andere es thun werde: also darf man's auch nicht. Zudem wollte ich, sobald es mir scheint, er habe Recht, meinen Satz aufgeben, den ich doch vorher durchdacht habe, so kann es leicht kommen, daß ich, durch einen augenblicklichen Eindruck verleitet, die Wahrheit aufgebe, um den Irrthum anzunehmen.

Die Hülfsmittel hiezu giebt einem Jeden seine eigene Schlauheit und Schlechtigkeit einigermaaßen an die Hand; dies lehrt die tägliche Erfahrung: es hat also jeder seine natürliche Dialektik, so wie er seine natürliche Logik hat. Allein jene leitet ihn lange nicht so sicher als diese.

Gegen logische Gesetze denken oder schließen wird so leicht Keiner: falsche Urtheile sind häufig, falsche Schlüsse höchst selten. Also Mangel an natürlicher Logik zeigt ein Mensch nicht leicht: hingegen wohl Mangel an natürlicher Dialektik: sie ist eine ungleich ausgetheilte Naturgabe (hierin der Urtheilskraft gleich, die sehr ungleich ausgetheilt ist, die Vernunft eigentlich gleich). Denn durch bloß scheinbare Argumentation sich konfundiren, sich refutiren lassen, wo man eigentlich Recht hat, oder das Umgekehrte, geschieht oft: und wer als Sieger aus einem Streite geht, verdankt es sehr oft nicht sowohl der Richtigkeit seiner Urteilskraft bei Aufstellung seines Satzes, als vielmehr der Schlauheit und Gewandtheit, mit der er ihn vertheidigte. Angeboren ist hier, wie in allen Fällen, das Beste: jedoch kann Uebung und auch Nachdenken über die Wendungen, durch die man den Gegner wirft, oder die er meistens gebraucht, um zu werfen, viel beitragen, in dieser Kunst Meister zu werden. Also wenn auch die Logik wohl keinen eigentlich praktischen Nutzen haben kann: so kann ihn die Dialektik allerdings haben. Mir scheint auch Aristoteles seine eigentliche Logik (Analytik) hauptsächlich als Grundlage und Vorbereitung zur Dialektik aufgestellt zu haben und diese ihm die Hauptsache gewesen zu seyn. Die Logik beschäftigt sich mit der blossen Form der Sätze, die Dialektik mit ihrem Gehalt oder Materie, dem Inhalt: daher eben mußte die Betrachtung der Form als des Allgemeinen der des Inhalts als des Besonderen vorhergehen.

Aristoteles bestimmt den Zweck der Dialektik nicht so scharf, wie ich gethan; er giebt zwar als Hauptzweck das Disputiren an, aber zugleich auch das Auffinden der Wahrheit ( Top. I, 2). Später sagt er wieder: man behandle die Sätze philosophisch nach der Wahrheit, dialektisch nach dem Schein oder Beifall, Meinung Anderer (δοξα), Top. I, 12. Er ist sich der Unterscheidung und Trennung der objektiven Wahrheit eines Satzes von dem Geltendmachen desselben oder dem Erlangen der Approbation zwar bewußt: allein er hält sie nicht scharf genug auseinander, um der Dialektik bloß letztere anzuweisen. Und andrerseits ist er im Buche de elenchis sophisticis wieder zu sehr bemüht, die Dialektik zu trennen von der Sophistik und Eristik: wo der Unterschied darin liegen soll, daß dialektische Schlüsse in Form und Gehalt wahr, eristische oder sophistische aber (die sich bloß durch den Zweck unterscheiden, der bei den ersteren – Eristik – das Rechthaben an sich, bei den letzteren – Sophistik – das dadurch zu erlangende Ansehn und das durch dieses zu erwerbende Geld ist) falsch sind. Ob Sätze dem Gehalt nach wahr sind, ist immer viel zu ungewiß, als daß man daraus den Unterscheidungsgrund nehmen sollte, und am wenigsten kann der Disputirende selbst darüber völlig gewiß seyn: selbst das Resultat der Disputation giebt erst einen unsichern Aufschluß darüber. Wir müssen also unter Dialektik des Aristoteles Sophistik, Eristik, Peirastik mitbegreifen und sie definiren als die Kunst im Disputiren Recht zu behalten: wobei freilich das größte Hülfsmittel ist zuvörderst in der Sache Recht zu haben: allein für sich ist dies bei der Sinnesart der Menschen nicht zureichend, und andererseits bei der Schwäche ihres Verstandes nicht durchaus nothwendig. Es gehören also noch andere Kunstgriffe dazu, welche eben, weil sie vom objektiven Rechthaben unabhängig sind, auch gebraucht werden können, wenn man objektiv Unrecht hat; und ob dies der Fall sei, weiß man fast nie ganz gewiß. Meine Ansicht also ist, die Dialektik von der Logik schärfer zu sondern, als Aristoteles gethan hat, der Logik die objektive Wahrheit, so weit sie formell ist, zu lassen, und die Dialektik auf das Rechtbehalten zu beschränken, dagegen aber Sophistik und Eristik nicht so von ihr zu trennen, wie Aristoteles thut, da dieser Unterschied auf der objektiven materiellen Wahrheit beruht, über die wir nicht sicher zum Voraus im Klaren seyn können, sondern mit Pontius Pilatus sagen müssen: was ist Wahrheit? – Denn veritas est in puteo, ἐν βυϑῳ ἡ ἀληϑεια. (Spruch des Demokrit, Diog. Laert. IX. 72.) Oft streiten zwei sehr lebhaft, und dann geht Jeder mit der Meinung des Andern nach Hause; sie haben getauscht. Es ist leicht zu sagen, daß man beim Streiten nichts Anderes bezwecken soll, als die Zutageförderung der Wahrheit; allein man weiß ja noch nicht, wo sie ist, man wird durch die Argumente des Gegners und durch seine eigenen irre geführt. – Uebrigens re intellecta, in verbis simus faciles; da man den Namen Dialektik im Ganzen für gleichbedeutend mit Logik zu nehmen pflegt, so wollen wir unsere Disciplin Dialectica eristica, eristische Dialektik nennen. Seinen Regeln zu letzterem Zweck sind daher oft welche zum erstern eingemengt. Daher es mir scheint, daß er seine Aufgabe nicht rein gelöst hat. (Dies steht oben [Anmerkung, S. 73] genauer).

Man muß allemal den Gegenstand einer Disciplin von dem jeder andern rein sondern. Um die Dialektik rein aufzustellen, muß man, unbekümmert um die objektive Wahrheit, (welche Sache der Logik ist) sie bloß betrachten als die Kunst Recht zu behalten, welches freilich um so leichter seyn wird, wenn man in der Sache selbst Recht hat. Aber die Dialektik als solche muß bloß lehren, wie man sich gegen Angriffe aller Art, besonders gegen unredliche, vertheidigt, und ebenso, wie man selbst angreifen kann was der Andere behauptet, ohne sich selbst zu widersprechen, und überhaupt ohne widerlegt zu werden. Man muß die Auffindung der objektiven Wahrheit rein trennen von der Kunst, seine Sätze als wahr geltend zu machen: jenes ist eine ganz andere πραγματεια, es ist das Werk der Urteilskraft, des Nachdenkens, der Erfahrung, und giebt es dazu keine eigene Kunst: das zweite aber ist der Zweck der Dialektik.

Man hat sie definirt als die Logik des Scheins. Falsch: dann wäre sie bloß brauchbar zur Verteidigung falscher Sätze: allein auch wenn man Recht hat, braucht man Dialektik, es zu verfechten, und muß die unredlichen Kunstgriffe kennen, um ihnen zu begegnen, ja oft selbst welche brauchen, um den Gegner mit gleichen Waffen zu schlagen. Dieserhalb also muß bei der Dialektik die objektive Wahrheit bei Seite gesetzt, oder als accidentell betrachtet, und bloß darauf gesehen werden, wie man seine Behauptung vertheidigt und die des Anderen umstößt. Bei den Regeln hiezu darf man die objektive Wahrheit nicht berücksichtigen, weil meistens unbekannt ist, wo sie liegt. Oft weiß man selbst nicht, ob man Recht hat oder nicht; oft glaubt man es und irrt sich, oft glauben es beide Theile: denn veritas est in puteo: beim Entstehen des Streites glaubt in der Regel Jeder die Wahrheit auf seiner Seite zu haben, beim Fortgang werden Beide zweifelhaft: das Ende soll eben erst die Wahrheit ausmachen, bestätigen. Also darauf hat sich die Dialektik nicht einzulassen: so wenig wie der Fechtmeister berücksichtigt, wer bei dem Streite, der das Duell herbeiführte, eigentlich Recht hat: treffen und pariren, – darauf kommt es an. Ebenso in der Dialektik: sie ist eine geistige Fechtkunst: nur so rein gefaßt, kann sie als eine Disciplin aufgestellt werden. Denn setzen wir uns zum Zweck die rein objektive Wahrheit, so kommen wir auf blosse Logik zurück: setzen wir hingegen zum Zweck die Durchführung falscher Sätze, so haben wir blosse Sophistik. Und bei beiden würde vorausgesetzt seyn, daß wir schon wüßten, was objektiv wahr und falsch ist: das ist aber selten zum Voraus gewiß. Der wahre Begriff der Dialektik ist also der aufgestellte: geistige Fechtkunst zum Rechtbehalten im Disputiren: obwohl der Name Eristik passender wäre, am richtigsten wohl Eristische Dialektik, Dialectica eristica.

Da nun in diesem Sinne die Dialektik bloß eine auf System und Regel zurückgeführte Zusammenfassung und Darstellung jener Künste seyn soll, deren sich die meisten Menschen bedienen, wenn sie merken, daß im Streit die Wahrheit nicht auf ihrer Seite ist, um dennoch Recht zu behalten; – so würde es auch dieserhalb sehr zweckwidrig seyn, wenn man in der wissenschaftlichen Dialektik auf die objektive Wahrheit und deren Zutageförderung Rücksicht nehmen wollte, da es in jener ursprünglichen und natürlichen Dialektik nicht geschieht, sondern das Ziel bloß das Rechthaben ist. Die wissenschaftliche Dialektik in unserm Sinne hat demnach zur Hauptaufgabe, jene Kunstgriffe der Unredlichkeit im Disputiren aufzustellen und zu analysiren: damit man bei wirklichen Debatten sie gleich erkenne und vernichte. Eben daher muß sie in ihrer Darstellung eingeständlich bloß das Rechthaben, nicht die objektive Wahrheit, zum Endzweck nehmen.

Mir ist nicht bekannt, daß in diesem Sinne Etwas geleistet wäre, obwohl ich mich weit und breit umgesehen habe: Nach Diogenes Laertius gab es unter den vielen rhetorischen Schriften des Theophrastos, die sämmtlich verloren gegangen, eine deren Titel war Αγωνιστιχον τησ περι τουσεριοτιχουσ λογοσ θεωριασ. Das wäre unsre Sache. es ist also ein noch unbebautes Feld. Um zum Zwecke zu kommen, müßte man aus der Erfahrung schöpfen, beachten, wie bei den im Umgange häufig vorkommenden Debatten dieser oder jener Kunstgriff von einem und dem andern Theil angewandt wird, sodann die unter andern Formen wiederkehrenden Kunstgriffe auf ihr Allgemeines zurückführen, und so gewisse allgemeine Stratagemata aufstellen, die dann sowohl zum eigenen Gebrauch, als zum Vereiteln derselben, wenn der Andere sie braucht, nützlich wären.

Folgendes sei als erster Versuch zu betrachten.

Basis aller Dialektik

Zuvörderst ist zu betrachten das Wesentliche jeder Disputation, was eigentlich dabei vorgeht.

Der Gegner hat eine These aufgestellt (oder wir selbst, das ist gleich). Sie zu widerlegen giebt's zwei Modi und zwei Wege.

1) Die Modi: a) ad rem,, b) ad hominem oder ex concessis; d. h. wir zeigen entweder, daß der Satz nicht übereinstimmt mit der Natur der Dinge, der absoluten objektiven Wahrheit: oder aber nicht mit andern Behauptungen oder Einräumungen des Gegners d. h. mit der relativen subjektiven Wahrheit: letzteres ist nur eine relative Ueberführung und macht nichts aus über die objektive Wahrheit.

2) Die Wege: a) direkte Widerlegung, b) indirekte. – Die direkte greift die These bei ihren Gründen an: die indirekte bei ihren Folgen. Die direkte zeigt, daß die These nicht wahr ist, die indirekte, daß sie nicht wahr sein kann.

1) Bei der direkten können wir zweierlei. Entweder wir zeigen, daß die Gründe seiner Behauptung falsch sind ( nego majorem; minorem): – oder wir geben die Gründe zu, zeigen aber, daß die Behauptung nicht daraus folgt ( nego consequentiam), greifen also die Konsequenz, die Form des Schlusses an.

2) Bei der indirekten Widerlegung gebrauchen wir entweder die Apagoge oder die Instanz.

a.) Apagoge: wir nehmen seinen Satz als wahr an: und nun zeigen wir was daraus folgt, wenn wir in Verbindung mit irgend einem andern als wahr anerkannten Satze selbigen als Prämisse zu einem Schlusse gebrauchen, und nun eine Konklusion entsteht, die offenbar falsch ist, indem sie entweder der Natur der Dinge widerspricht sie einer ganz unbezweifelbaren Wahrheit geradezu, so haben wir den Gegner ad absurdum geführt. oder den andern Behauptungen des Gegners selbst widerspricht, also ad rem oder ad hominem falsch ist ( Socrates in Hippia maj. et alias): folglich auch der Satz falsch war: denn aus wahren Prämissen können nur wahre Sätze folgen: obwohl aus falschen nicht immer falsche.

b) Die Instanz, εντασισ, exemplum in contrarium: Widerlegung des allgemeinen Satzes durch direkte Nachweisung einzelner unter seiner Aussage begriffener Fälle von denen er doch nicht gilt, also selbst falsch sein muß.

Dies ist das Grundgerüst, das Skelett jeder Disputation: wir haben also ihre Osteologie. Denn hierauf läuft im Grunde alles Disputiren zurück: aber dies alles kann wirklich oder nur scheinbar, mit ächten oder mit unächten Gründen geschehn: und weil hierüber nicht leicht etwas sicher auszumachen ist, sind die Debatten so lang und hartnäckig.

Wir können auch bei der Anweisung das Wahre und Scheinbare nicht trennen, weil es eben nie zum Voraus bei den Streitenden selbst gewiß ist: daher gebe ich die Kunstgriffe ohne Rücksicht ob man objective Recht oder Unrecht hat: denn das kann man selbst nicht sicher wissen, und es soll erst durch den Streit ausgemacht werden. Uebrigens muß man bei jeder Disputation, oder Argumentation überhaupt, über irgend etwas einverstanden seyn, daraus man als einem Princip die vorliegende Frage beurtheilen will: Contra negantem principia non est disputandum.

 

Kunstgriff 1. Die Erweiterung. Die Behauptung des Gegners über ihre natürliche Gränze hinausführen, sie möglichst allgemein deuten, in möglichst weitem Sinne nehmen und sie übertreiben; seine eigne dagegen in möglichst eingeschränktem Sinne, in möglichst enge Gränzen zusammenziehn: weil je allgemeiner eine Behauptung wird, desto mehreren Angriffen sie bloß steht. Das Gegenmittel ist die genaue Aufstellung des puncti oder status controversiae.

Exempel 1. Ich sagte: »Die Engländer sind die erste dramatische Nation.« – Der Gegner wollte eine instantia versuchen und erwiderte: es wäre bekannt, daß sie in der Musik, folglich auch in der Oper, nichts leisten könnten. – Ich trieb ihn ab, durch die Erinnerung, daß Musik nicht unter dem Dramatischen begriffen sei; dies bezeichne bloß Tragödie und Komödie; was er sehr wohl wußte und nur versuchte, meine Behauptung so zu verallgemeinern, daß sie alle theatralischen Darstellungen, folglich die Oper, folglich die Musik betrifft, um mich dann sicher zu schlagen. – Man rette umgekehrt seine eigene Behauptung durch Verengerung derselben über die erste Absicht hinaus, wenn der gebrauchte Ausdruck es begünstigt.

Exempel 2. A sagt: »Der Friede von 1814 gab sogar allen deutschen Hansestädten ihre Unabhängigkeit wieder.« B giebt die instantia in contrarium, daß Danzig die ihr von Bonaparte verliehene Unabhängigkeit durch jenen Frieden verloren. – A rettet sich so: »Ich sagte, allen deutschen Hansestädten: Danzig war eine polnische Hansestadt.«

Diesen Kunstgriff lehrt schon Aristoteles ( Top. Lib. VIII, c. 12, 11.)

Exempel 3. Lamark ( Philosophie zoologique, vol. I, p. 203) spricht den Polypen alle Empfindung ab, weil sie keine Nerven haben. Nun aber ist es gewiß, daß sie wahrnehmen: denn sie gehn dem Lichte nach, indem sie sich künstlich von Zweig zu Zweig fortbewegen, und sie haschen ihren Raub. Daher hat man angenommen, daß bei ihnen die Nervenmasse in der Masse des ganzen Körpers gleichmässig verbreitet, gleichsam verschmolzen ist: denn sie haben offenbar Wahrnehmung ohne gesonderte Sinnesorgane. Weil Das dem Lamark seine Annahme umstößt, argumentirt er dialektisch so: »Dann müßten alle Theile des Körpers der Polypen jeder Art der Empfindung fähig seyn, und auch der Bewegung, des Willens, der Gedanken: dann hätte der Polyp in jedem Punkt seines Körpers alle Organe des vollkommensten Thieres: jeder Punkt könnte sehen, riechen, schmecken, hören u. s. w., ja denken, urtheilen, schliessen: jede Partikel seines Körpers wäre ein vollkommenes Thier, und der Polyp selbst stände höher als der Mensch, da jedes Theilchen von ihm alle Fähigkeiten hätte, die der Mensch nur im Ganzen hat. – Es gäbe ferner keinen Grund, um, was man vom Polypen behauptet, nicht auch auf die Monade, das unvollkommenste aller Wesen, auszudehnen, und endlich auch auf die Pflanzen, die doch auch leben u. s. w. –« – Durch Gebrauch solcher dialektischen Kunstgriffe verräth ein Schriftsteller, daß er sich im Stillen bewußt ist, Unrecht zu haben. Weil man sagte: »ihr ganzer Leib hat Empfindung für das Licht, ist also nervenartig«: macht er daraus, daß der ganze Leib denkt.

Kunstgriff 2. Die Homonymie benutzen, um die aufgestellte Behauptung auch auf Das auszudehnen, was außer dem gleichen Wort wenig oder nichts mit der in Rede stehenden Sache gemein hat, dies dann lukulent widerlegen und so sich das Ansehen geben, als habe man die Behauptung widerlegt.

Anmerkung

Synonyma sind zwei Worte für denselben Begriff; Homonyma zwei Begriffe, die durch dasselbe Wort bezeichnet werden. (Siehe Aristot. Top. Lib. I, cap. 13.) Tief, Schneidend, Hoch, bald von Körpern, bald von Tönen gebraucht, sind Homonyma; Ehrlich und Redlich – Synonyma.

Man kann diesen Kunstgriff als identisch mit dem Sophisma ex homonymia betrachten; jedoch das offenbare Sophisma der Homonymie wird nicht im Ernst täuschen.

Omne lumen potest extingui
Intellectus est lumen
Intellectus potest extingui

hier merkt man gleich, daß vier termini sind! lumen eigentlich und lumen bildlich verstanden. Aber bei seinen Fällen täuscht es allerdings, namentlich wo die Begriffe, die durch denselben Ausdruck bezeichnet werden, verwandt sind und in einander übergehen. Die absichtlich ersonnenen Fälle sind nie fein genug, um täuschend zu seyn; man muß sie also aus der wirklichen eigenen Erfahrung sammeln.

Es wäre sehr gut, wenn man jedem Kunstgriff einen kurzen und treffend bezeichnenden Namen geben könnte, mittelst dessen man, vorkommenden Falls, den Gebrauch dieses oder jenes Kunstgriffs augenblicklich vorwerfen könnte.

 

Exempel 1. A. Sie sind noch nicht eingeweiht in die Mysterien der Kant'schen Philosophie.

B. Ach, wo Mysterien sind, davon will ich nichts wissen.

Exempel 2. Ich tadelte das Princip der Ehre, nach welchem man durch eine erhaltene Beleidigung ehrlos wird, es sei denn, daß man sie durch eine größere Beleidigung erwidere, oder durch Blut, das des Gegners oder sein eigenes, abwasche, als unverständig; als Grund führte ich an, die wahre Ehre könne nicht verletzt werden durch das, was man litte, sondern ganz allein durch das, was man thäte; denn widerfahren könne Jedem Jedes. – Der Gegner machte den direkten Angriff auf den Grund: er zeigte mir lukulent, daß wenn einem Kaufmann Betrug, oder Unrechtlichkeit, oder Nachlässigkeit in seinem Gewerbe fälschlich nachgesagt würde, dies ein Angriff auf seine Ehre sei, die hier verletzt würde lediglich durch das, was er leide und die er nur herstellen könne, indem er solchen Angreifer zur Strafe und Widerruf brächte. –

Hier schob er also, durch die Homonymie, die Bürgerliche Ehre, welche sonst Guter Name heißt, und deren Verletzung durch Verläumdung geschieht, dem Begriff der ritterlichen Ehre unter, die sonst auch point-d'honneur heißt und deren Verletzung durch Beleidigungen geschieht. Und weil ein Angriff auf erstere nicht unbeachtet zu lassen ist, sondern durch öffentliche Widerlegung abgewiesen werden muß; so müßte mit demselben Recht ein Angriff auf letztere auch nicht unbeachtet bleiben, sondern abgewehrt [werden] durch stärkere Beleidigung und Duell. – Also ein Vermengen zwei wesentlich verschiedener Dinge durch die Homonymie des Wortes Ehre und dadurch eine mutatio controversiae, zu Wege gebracht durch die Homonymie.

Kunstgriff 3. Die Behauptung, welche beziehungsweise, κατα τι, relative aufgestellt ist, nehmen, als sei sie allgemein, simpliciter,, ἁπλως, absolute aufgestellt, oder wenigstens sie in einer ganz andern Beziehung auffassen, und dann sie in diesem Sinne widerlegen. Sophisma a dicto secundum quid ad dictum simpliciter. Dies ist des Aristoteles zweiter elenchus sophisticus εξω της λεξεως: – το ἁπλως, ἠ μη ἁπλως, ἀλλα πῃ, ἠ που, ἠ ποτε, ἠ προς τι λεγεσϑαι. (De sophisticis elenchis o. 5.) Des Aristoteles Beispiel ist: der Mohr ist schwarz, hinsichtlich der Zähne aber weiß: also ist er schwarz und nicht schwarz zugleich. – Dies ist ein ersonnenes Beispiel, das Niemand im Ernste täuschen wird: nehmen wir dagegen eines aus der wirklichen Erfahrung.

Exempel. In einem Gespräch über Philosophie gab ich zu, daß mein System die Quietisten in Schutz nehme und lobe. – Bald darauf kam die Rede auf Hegel, und ich behauptete, er habe großentheils Unsinn geschrieben, oder wenigstens wären viele Stellen seiner Schriften solche, wo der Autor die Worte setzt und der Leser den Sinn setzen soll. – Der Gegner unternahm nicht, dies ad rem zu widerlegen, sondern begnügte sich, das argumentum ad hominem aufzustellen: »ich hätte so eben die Quietisten gelobt, und diese hätten ebenfalls viel Unsinn geschrieben«. –

Ich gab dies zu, berichtigte ihn aber darin, daß ich die Quietisten nicht lobe als Philosophen und Schriftsteller, also nicht wegen ihrer theoretischen Leistungen, sondern nur als Menschen wegen ihres Thuns, bloß in praktischer Hinsicht: bei Hegel aber sei die Rede von theoretischen Leistungen. – So war der Angriff parirt.

Die ersten drei Kunstgriffe sind verwandt: sie haben Dies gemein, daß der Gegner eigentlich von etwas Anderem redet, als aufgestellt worden: man begienge also eine ignoratio elenchi, wenn man sich dadurch abfertigen ließe. – Denn in allen aufgestellten Beispielen ist was der Gegner sagt wahr: es steht aber nicht in wirklichem Widerspruch mit der These, sondern nur in scheinbarem; also negirt der von ihm Angegriffene die Consequenz seines Schlusses, nämlich den Schluß von der Wahrheit seines Satzes auf die Falschheit des unsrigen. Es ist also direkte Widerlegung seiner Widerlegung per negationem consequentiae.

Wahre Prämissen nicht zugeben, weil man die Konsequenz vorhersieht. Dagegen also folgende zwei Mittel, Regel 4 und 5.

Kunstgriff 4.Wenn man einen Schluß machen will, so lasse man denselben nicht vorhersehen, sondern lasse sich unvermerkt die Prämissen einzeln und zerstreut im Gespräch zugeben; sonst wird der Gegner allerhand Schikanen versuchen. Oder, wenn zweifelhaft ist, daß der Gegner sie zugebe, so stelle man die Prämissen dieser Prämissen auf; mache Prosyllogismen, lasse sich die Prämissen mehrerer solcher Prosyllogismen ohne Ordnung durcheinander zugeben, also verdecke sein Spiel, bis Alles zugestanden ist, was man braucht, führe also die Sache von Weitem herbei. Diese Regeln giebt Aristot. Top. Lib. VIII, c. 1. Bedarf keines Exempels.

Kunstgriff 5. Man kann zum Beweis seines Satzes auch falsche Vordersätze gebrauchen, wenn nämlich der Gegner die wahren nicht zugeben würde, entweder weil er ihre Wahrheit nicht einsieht, oder weil er sieht, daß die Thesis sogleich daraus folgen würde: dann nehme man Sätze, die an sich falsch, aber ad hominem wahr sind, und argumentire aus der Denkungsart des Gegners ex concessis. Denn das Wahre kann auch aus falschen Prämissen folgen: wiewohl nie das Falsche aus wahren. Ebenso kann man falsche Sätze des Gegners durch andere falsche Sätze widerlegen, die er aber für wahr hält: denn man hat es mit ihm zu thun und muß seine Denkungsart gebrauchen. Z. B. ist er Anhänger irgendeiner Sekte, der wir nicht beistimmen; so können wir gegen ihn die Aussprüche dieser Sekte, als principia gebrauchen. ( Arist. Top. VIII, c. 9.)

Kunstgriff 6. Man macht eine versteckte petitio principii, indem man Das, was man zu beweisen hätte, postulirt, entweder 1) unter einem andern Namen, z. B. statt Ehre guter Name, statt Jungfrauschaft Tugend u. s. w., auch Wechselbegriffe: – rothblütige Thiere, statt Wirbelthiere, 2) oder was im Einzelnen streitig ist, im Allgemeinen sich geben läßt, z. B. die Unsicherheit der Medizin behauptet, die Unsicherheit alles menschlichen Wissens postulirt. 3) Wenn vice versa Zwei auseinander folgen, das eine zu beweisen ist, man postulirt das andere. 4) Wenn das Allgemeine zu beweisen ist, und man jedes Einzelne sich zugeben läßt. (Das Umgekehrte Nr. 2.) Aristot. Top. VIII, c. 11.

Ueber die Uebung zur Dialektik enthält gute Regeln das letzte Kapitel der Topica des Aristoteles.

Kunstgriff 7. Wenn die Disputation etwas streng und formell geführt wird und man sich recht deutlich verständigen will, so verfährt Der, welcher die Behauptung aufgestellt hat und sie beweisen soll, gegen seinen Gegner fragend, um aus seinen eignen Zugeständnissen die Wahrheit der Behauptung zu schliessen. Diese erotematische Methode war besonders bei den Alten im Gebrauch (heißt auch die sokratische): auf dieselbe bezieht sich der gegenwärtige Kunstgriff und einige später folgende. (Sämmtlich frei bearbeitet nach des Aristoteles Liber de elenchis sophisticis, c. 15.)

Viel auf ein Mal und weitläuftig fragen, um Das was man eigentlich zugestanden haben will zu verbergen. – Dagegen seine Argumentation aus dem Zugestandenen schnell vortragen: denn Die, welche langsam von Verständniß sind, können nicht genau folgen und übersehn die etwanigen Fehler und Lücken in der Beweisführung.

Kunstgriff 8. Den Gegner zum Zorn reizen: denn im Zorn ist er außer Stande, richtig zu urtheilen und seinen Vortheil wahrzunehmen. Man bringt ihn in Zorn dadurch, daß man unverholen ihm Unrecht thut und schikanirt und überhaupt unverschämt ist.

Kunstgriff 9. Die Fragen nicht in der Ordnung thun, die der daraus zu ziehende Schluß erfordert, sondern in allerhand Versetzungen: er weiß dann nicht, wo man hinauswill, und kann nicht vorbauen; auch kann man dann seine Antworten zu verschiedenen Schlüssen benutzen, sogar zu entgegengesetzten, je nachdem sie ausfallen. Dies ist dem Kunstgriff 4 verwandt, daß man sein Verfahren maskiren soll.

Kunstgriff 10. Wenn man merkt, daß der Gegner die Fragen, deren Bejahung für unsern Satz zu brauchen wäre, absichtlich verneint, so muß man das Gegentheil des zu gebrauchenden Satzes fragen, als wollte man Das bejaht wissen, oder wenigstens ihm beides zur Wahl vorlegen, so daß er nicht merkt, welchen Satz man bejaht haben will.

Kunstgriff 11. Machen wir eine Induktion, und er gesteht uns die einzelnen Fälle, durch die sie aufgestellt werden soll, zu; so müssen wir ihn nicht fragen, ob er auch die aus diesen Fällen hervorgehende allgemeine Wahrheit zugebe, sondern sie nachher als ausgemacht und zugestanden einführen: denn bisweilen wird er dann selbst glauben, sie zugegeben zu haben, und auch den Zuhörern wird es so vorkommen, weil sie sich der vielen Fragen nach den einzelnen Fällen erinnern, die denn doch zum Zweck geführt haben müssen.

Kunstgriff 12. Ist die Rede über einen allgemeinen Begriff, der keinen eigenen Namen hat, sondern tropisch durch ein Gleichniß bezeichnet werden muß; so müssen wir das Gleichniß gleich so wählen, daß es unserer Behauptung günstig ist. So sind z. B. in Spanien die Namen, dadurch die beiden politischen Parteien bezeichnet werden, serviles und liberales, gewiß von letztern gewählt. Der Name Protestanten ist von diesen gewählt, auch der Name Evangelische: der Name Ketzer aber von den Katholiken. Es gilt vom Namen der Sachen auch wo sie mehr eigentlich sind: z. B. hat der Gegner irgend eine Veränderung vorgeschlagen, so nennt man sie » Neuerung«: denn dies Wort ist gehässig. Umgekehrt, wenn man selbst der Vorschlagende ist. – Im ersten Fall nenne man als Gegensatz die »bestehende Ordnung«, im zweiten »den Bocksbeutel«. – Was ein ganz Absichtsloser und Unparteiischer etwa »Kultus« oder »öffentliche Glaubenslehre« nennen würde; das nennt Einer, der für sie sprechen will, »Frömmigkeit«, »Gottseligkeit«, und ein Gegner desselben »Bigotterie, Superstition«. Im Grunde ist dies eine seine petitio principii: was man erst darthun will, legt man zum Voraus ins Wort, in die Benennung, aus welcher es dann durch ein bloß analytisches Urtheil hervorgeht. Was der Eine »sich seiner Person versichern, in Gewahrsam bringen« nennt, heißt sein Gegner »Einsperren«. – Ein Redner verräth oft schon zum Voraus seine Absicht durch die Namen, die er den Sachen giebt. – Der Eine sagt »die Geistlichkeit«, der Andere »die Pfaffen«.

Unter allen Kunstgriffen wird dieser am häufigsten gebraucht, instinktmässig. Glaubenseifer = Fanatismus. – Fehltritt oder Galanterie = Ehebruch. – Aequivoken = Zoten. – Dérangirt = Bankerott. – Durch Einfluß und Konnexion = durch Bestechung und Nepotismus. – Aufrichtige Erkenntlichkeit = gute Bezahlung.

Kunstgriff 13. Um zu machen, daß er einen Satz annimmt, müssen wir das Gegentheil dazu geben und ihm die Wahl lassen, und dies Gegentheil recht grell aussprechen, so daß er, um nicht Paradox zu seyn, in unsern Satz eingehn muß, der ganz probabel dagegen aussieht. Z. B. er soll zugeben, daß Einer Alles thun muß was ihm sein Vater sagt; so fragen wir: »Soll man in allen Dingen den Eltern ungehorsam oder gehorsam seyn?« – Oder ist von irgend einer Sache gesagt: »Oft«, – so fragen wir, ob unter »Oft« wenige Fälle oder viele verstanden sind; er wird sagen »viele«. Es ist wie wenn man Grau neben Schwarz legt, so kann es weiß heissen; und legt man es neben Weiß, so kann es schwarz heissen.

Kunstgriff 14. Ein unverschämter Streich ist es, wenn man nach mehreren Fragen, die er beantwortet hat, ohne daß die Antworten zu Gunsten des Schlusses, den wir beabsichtigen, ausgefallen wären, nun den Schlußsatz den man dadurch herbeiführen will, obgleich er gar nicht daraus folgt, dennoch als dadurch bewiesen, aufstellt und triumphirend ausschreit. Wenn der Gegner schüchtern oder dumm ist, und man selbst viel Unverschämtheit und eine gute Stimme hat, so kann das recht gut gelingen. Gehört zur fallacia non causae ut causae.

Kunstgriff 15. Wenn wir einen paradoxen Satz aufgestellt haben, um dessen Beweis wir verlegen sind; so legen wir dem Gegner irgend einen richtigen, aber doch nicht ganz handgreiflich richtigen Satz zur Annahme oder Verwerfung vor, als wollten wir daraus den Beweis schöpfen: verwirft er ihn aus Argwohn, so führen wir ihn ad absurdum und triumphiren: nimmt er ihn aber an, – so haben wir vor der Hand etwas Vernünftiges gesagt und müssen nun weiter sehn. Oder wir fügen nun den vorhergehenden Kunstgriff hinzu und behaupten nun, daraus sei unser Paradoxon bewiesen. Hiezu gehört die äusserste Unverschämtheit: aber es kommt in der Erfahrung vor, und es giebt Leute, die dies Alles instinktmässig ausüben.

Kunstgriff 16. Argumenta ad hominem oder ex concessis. Die Wahrheit, aus der ich im Beweise ableite, ist entweder eine objektive, allgemein gültige Wahrheit: dann ist mein Beweis κατ᾽ ἀληϑειαν, secundum veritatem. Nur ein solcher Beweis hat eigentlich Werth und wahre Gültigkeit. – Oder aber die Wahrheit, aus der ich ableite, gilt bloß für Den, dem ich beweisen will, mit dem ich etwa disputire; er hat nämlich irgend einen Satz, entweder als Vorurtheil ein für allemal angenommen, oder auch im Disputiren voreilig ihn zugegeben, und auf diesen Satz gründe ich meinen Beweis: dann beweise ich bloß κατ᾽ ἀνϑρωπον, ad hominem: ich zwinge meinen Gegner, mir meinen Satz zuzugeben, aber ich begründe keine allgemein gültige Wahrheit: mein Beweis gilt für den Gegner, aber sonst für Niemand. Ist z. B. der Gegner ein strenger Kantianer und ich gründe meinen Beweis auf einen Ausspruch Kants, so ist er an sich nur ad hominem. Ist er ein Mahomedaner, so kann ich meinen Beweis auf eine Stelle des Korans gründen, und das ist für ihn genug, aber immer nur ad hominem. – Ein Beispiel eines argumentum ad hominem aus der alten Philosophie findet sich im Briefe des Epikurs an den Menoecos, der aufbewahrt ist im 10. Buch des Diog. Laërtius: Epikur polemisirt gegen des Theognis berühmtes Epigramm

Αρχην μεν μη φυναι επιχϑονιοισιν αριστον,
Μηδ᾽εσιδειν αυγας οξεος ἡελιου
Φυντα δ᾽ὁπως ωκιστα πυλας Αϊδαου περησαι,
Και κεισϑαι πολλην γαιαν εφεσσαμενον. und sagt nun: ει μεν γαρ πεποιθωσ τουτο φησι, πωσ ουχ απερχεται εχ του ξην; εν ετοιμω γρ αυτω τουεο εστιν, ειπερ ην βεβουλευμενον αυτω βεβαιωσ ει δε μωχωμενοσ(irridens) ματαιοσ, εν τοισ ουχ επιδε επιδεχομενοισ.–

Bei einer Behauptung des Gegners müssen wir suchen, ob sie nicht etwa irgendwie, nötigenfalls auch nur scheinbar, im Widerspruch steht mit irgend etwas, das er früher gesagt oder zugegeben hat, oder mit den Satzungen einer Schule oder Sekte, die er gelobt und gebilligt hat, oder mit dem Thun der Anhänger dieser Sekte, oder auch nur der unächten und scheinbaren Anhänger, oder mit seinem eigenen Thun und Lassen. Vertheidigt er z. B. den Selbstmord, so schreit man gleich: »Warum hängst du dich nicht auf?« Oder er behauptet z. B., Berlin sei ein unangenehmer Aufenthalt, gleich schreit man: »Warum fährst Du nicht gleich mit der ersten Schnellpost ab?« – Es wird sich doch irgendwie eine Schikane herausklauben lassen.

Kunstgriff 17. Wenn der Gegner uns durch einen Gegenbeweis bedrängt, so werden wir uns oft retten können durch eine feine Unterscheidung, an die wir früher freilich nicht gedacht haben, wenn die Sache irgend eine doppelte Bedeutung oder einen doppelten Fall zuläßt.

Kunstgriff 18. Merken wir, daß der Gegner eine Argumentation ergriffen hat, mit der er uns schlagen wird; so müssen wir es nicht dahin kommen lassen, ihn solche nicht zu Ende führen lassen, sondern bei Zeiten den Gang der Disputation unterbrechen, abspringen oder ablenken und auf andere Sätze führen, kurz eine mutatio controversiae zu Wege bringen. (Hiezu Kunstgriff 29.)

Kunstgriff 19. Fordert der Gegner uns ausdrücklich auf, gegen irgend einen bestimmten Punkt seiner Behauptung etwas vorzubringen; wir haben aber nichts Rechtes; so müssen wir die Sache recht in's Allgemeine spielen und dann gegen dieses reden. Wir sollen sagen, warum einer bestimmten physikalischen Hypothese nicht zu trauen ist: so reden wir über die Trüglichkeit des menschlichen Wissens und erläutern sie an allerhand.

Kunstgriff 20. Wenn wir ihm die Vordersätze abgefragt haben, und er sie zugegeben hat, müssen wir den Schluß daraus nicht etwa auch noch fragen, sondern geradezu selbst ziehn: ja sogar wenn von den Vordersätzen noch einer oder der andere fehlt, so nehmen wir ihn doch als gleichfalls eingeräumt an und ziehn den Schluß. Welches dann eine Anwendung der fallacia non causae ut causae ist.

Kunstgriff 21. Bei einem bloß scheinbaren oder sophistischen Argumente des Gegners, welches wir durchschauen, können wir zwar es auflösen durch Auseinandersetzung seiner Verfänglichkeit und Scheinbarkeit; allein besser ist es, ihm mit einem eben so scheinbaren und sophistischen Gegenargument zu begegnen und so ihn abzufertigen. Denn es kommt ja nicht auf die Wahrheit, sondern auf den Sieg an. Giebt er z. B. ein argumentum ad hominem, so ist es hinreichend es durch den Gegenargument ad hominem (ex concessis) zu entkräftigen, und überhaupt ist es kürzer, statt einer langen Auseinandersetzung der wahren Beschaffenheit der Sache, ein argumentum ad hominem zu geben, wenn es sich darbietet.

Kunstgriff 22. Fordert der Gegner, daß wir etwas zugeben, daraus das in Streit stehende Problem unmittelbar folgen würde, so lehnen wir es ab, indem wir es für eine petitio principii ausgeben; denn er und die Zuhörer werden einen dem Problem nahe verwandten Satz leicht als mit dem Problem identisch ansehn, und so entziehn wir ihm sein bestes Argument.

Kunstgriff 23.Der Widerspruch und der Streit reizt zur Uebertreibung der Behauptung. Wir können also den Gegner durch Widerspruch reizen, eine an sich und in gehöriger Einschränkung allenfalls wahre Behauptung über die Wahrheit hinaus zu steigern: und wenn wir nun diese Uebertreibung widerlegt haben; so sieht es aus, als hätten wir auch seinen ursprünglichen Satz widerlegt. Dagegen haben wir selbst uns zu hüten, nicht uns durch Widerspruch zur Uebertreibung oder weitern Ausdehnung unsers Satzes verleiten zu lassen. Oft auch wird der Gegner selbst unmittelbar suchen, unsere Behauptung weiter auszudehnen, als wir sie gestellt haben; dem müssen wir dann gleich Einhalt thun und ihn auf die Grenzlinie unserer Behauptung zurückführen, mit: »so viel habe ich gesagt und nicht mehr.«

Kunstgriff 24. Die Konsequenzmacherei. Man erzwingt aus dem Satze des Gegners, durch falsche Folgerungen und Verdrehung der Begriffe, Sätze, die nicht darin liegen und gar nicht die Meinung des Gegners sind, hingegen absurd oder gefährlich sind: da es nun scheint, daß aus seinem Satze solche Sätze, die entweder sich selbst oder anerkannten Wahrheiten widersprechen, hervorgehn; so gilt dies für eine indirekte Widerlegung, Apagoge, und ist wieder eine Anwendung der fallacia non causae ut causae.

Kunstgriff 25. Er betrifft die Apagoge durch eine Instanz, exemplum in contrarium. Die επαγωγη, inductio, bedarf einer grossen Menge Fälle, um ihren allgemeinen Satz aufzustellen; die απαγωγη braucht nur einen einzigen Fall aufzustellen, zu dem der Satz nicht paßt, und er ist umgeworfen: ein solcher Fall heißt Instanz, ενστασισ, exemplum in contrarium, instantia. Z. B. der Satz: »Alle Wiederkäuer sind gehörnt«, wird umgestoßen durch die einzige Instanz der Kameele. Die Instanz ist ein Fall der Anwendung der allgemeinen Wahrheit, etwas unter den Hauptbegriff derselben zu Subsumirendes, davon aber jene Wahrheit nicht gilt und dadurch ganz umgestoßen wird. Allein dabei können Täuschungen vorgehn: wir haben also bei Instanzen, die der Gegner macht, Folgendes zu beachten: 1) ob das Beispiel auch wirklich wahr ist: es giebt Probleme, deren einzig wahre Lösung die ist, daß der Fall nicht wahr ist, z. B. viele Wunder, Geistergeschichten u. s. w.;

2) ob es auch wirklich unter den Begriff der aufgestellten Wahrheit gehört: das ist oft nur scheinbar und ist durch eine scharfe Distinktion zu lösen;

3) ob es auch wirklich in Widerspruch steht mit der aufgestellten Wahrheit: auch dies ist oft nur scheinbar.

Kunstgriff 26. Ein brillanter Streich ist die retorsio argumenti: wenn das Argument, das der Gegner für sich gebrauchen will, besser gegen ihn gebraucht werden kann. Z. B. er sagt: »es ist ein Kind, man muß ihm was zu Gute halten.« Retorsio: »eben weil es ein Kind ist, muß man es züchtigen, damit es nicht verhärte in seinen bösen Angewohnheiten.«

Kunstgriff 27. Wird bei einem Argumente der Gegner unerwartet besonders böse, so muß man dieses Argument eifrig urgiren: nicht bloß weil es gut ist, ihn in Zorn zu versetzen, sondern weil zu vermuthen ist, daß man die schwache Seite seines Gedankenganges berührt hat und ihm an dieser Stelle wohl noch mehr anzuhaben ist, als man vor der Hand selber sieht.

Kunstgriff 28. Dieser ist hauptsächlich anwendbar, wenn Gelehrte vor ungelehrten Zuhörern streiten. Wenn man kein argumentum ad rem hat und auch nicht einmal eines ad hominem, so macht man eines ad auditores, d. h. einen ungültigen Einwurf, dessen Ungültigkeit aber nur der Sachkundige einsieht: ein solcher ist der Gegner, aber die Hörer nicht: er wird also in ihren Augen geschlagen, zumal wenn der Einwurf seine Behauptung irgendwie in ein lächerliches Licht stellt: zum Lachen sind die Leute gleich bereit, und man hat die Lacher auf seiner Seite. Die Nichtigkeit des Einwurfs zu zeigen müßte der Gegner eine lange Auseinandersetzung machen und auf die Principien der Wissenschaft oder sonstige Angelegenheiten zurückgehn; dazu findet er nicht leicht Gehör.

Exempel. Der Gegner sagt: Bei der Bildung des Urgebirgs war die Masse, aus welcher der Granit und alles übrige Urgebirge krystallisirte, flüssig durch Wärme, also geschmolzen; die Wärme mußte etwa 200° R. seyn, die Masse krystallisirte unter der sie bedeckenden Meeresfläche. – Wir machen das argumentum ad auditores, daß bei jener Temperatur, ja schon lange vorher bei 80° R., das Meer längst verkocht wäre und in der Luft schwebte als Dunst. – Die Zuhörer lachen. Um uns zu schlagen, hätte er zu zeigen, daß der Siedepunkt nicht allein von dem Wärmegrad, sondern eben so sehr vom Druck der Atmosphäre abhängt, und dieser, sobald etwan das halbe Meereswasser in Dunstgestalt schwebt, so sehr erhöht ist, daß auch bei 200° R. noch kein Kochen stattfindet. – Aber dazu kommt er nicht, da es bei Nichtphysikern einer Abhandlung bedarf. (Mitscherlich, Abhdl. der Verl. Akad., 1822.)

Kunstgriff 29. (Zu Kunstgriff 18). Merkt man daß man geschlagen wird; so kann man eine Diversion machen, d. h. fängt mit einem Male von etwas ganz Anderem an, als gehörte es zur Sache und wäre ein Argument gegen den Gegner. Dies geschieht mit einiger Bescheidenheit, wenn die Diversion doch noch überhaupt das thema quaestionis betrifft; unverschämt, wenn es bloß den Gegner angeht und gar nicht von der Sache redet.

Z. B. ich lobte, daß in China kein Geburtsadel sei und die Aemter nur in Folge von Examina ertheilt werden. Mein Gegner behauptete, daß Gelehrsamkeit eben so wenig, als Vorzüge der Geburt (von denen er etwas hielt) zu Aemtern fähig machte. – Nun gieng es für ihn schief. Sogleich machte er die Diversion, daß in China alle Stände mit der Bastonade gestraft werden, welches er mit dem vielen Theetrinken in Verbindung brachte und Beides den Chinesen zum Vorwurf machte. – Wer nun gleich auf Alles sich einliesse, würde sich dadurch haben ableiten lassen und den schon errungenen Sieg aus den Händen gelassen haben.

Unverschämt ist die Diversion, wenn sie die Sache quaestionis ganz und gar verläßt und etwan anhebt: »ja, und so behaupteten Sie neulich ebenfalls etc.« Denn da gehört sie gewissermaassen zum »Persönlichwerden«, davon in dem letzten Kunstgriff die Rede seyn wird. Sie ist genau genommen eine Mittelstufe zwischen dem daselbst zu erörternden argumentum ad personam und dem argumentum ad hominem. –

Wie sehr gleichsam angeboren dieser Kunstgriff sei, zeigt jeder Zank zwischen gemeinen Leuten: wenn nämlich Einer dem Andern persönliche Vorwürfe macht; so antwortet dieser nicht etwa durch Widerlegung derselben, sondern durch persönliche Vorwürfe, die er dem Ersten macht, die ihm selbst gemachten stehn lassend, also gleichsam zugebend. Er macht es, wie Scipio, der die Karthager nicht in Italien, sondern in Afrika angriff. Im Kriege mag solche Diversion zu Zeiten taugen. Im Zanken ist sie schlecht, weil man die empfangenen Vorwürfe stehen läßt, und der Zuhörer alles Schlechte von beiden Parteien erfährt. Im Disputiren ist sie faute de mieux gebräuchlich.

Kunstgriff 30. Das argumentum ad verecundiam. Statt der Gründe brauche man Autoritäten nach Maaßgabe der Kenntnisse des Gegners. Unusquisque mavult credere quam judicare, sagt Seneka: man hat also leichtes Spiel, wenn man eine Autorität für sich hat, die der Gegner respektirt. Es wird aber für ihn desto mehr gültige Autoritäten geben, je beschränkter seine Kenntnisse und Fähigkeiten sind. Sind etwa diese vom ersten Rang, so wird es höchst wenige und fast gar keine Autoritäten für ihn geben. Allenfalls wird er die der Leute von Fach in einer ihm wenig oder gar nicht bekannten Wissenschaft, Kunst oder Handwerk gelten lassen, und auch diese mit Mißtrauen. Hingegen haben die gewöhnlichen Leute tiefen Respekt für die Leute vom Fach jeder Art. Sie wissen nicht, daß wer Profession von der Sache macht, nicht die Sache liebt, sondern seinen Erwerb: – noch, daß wer eine Sache lehrt, sie selten gründlich weiß, denn wer sie gründlich studirt. dem bleibt meistens keine Zeit zum Lehren übrig. Allein für das Vulgus giebt es gar viele Autoritäten, die Respekt finden: hat man daher keine ganz passende, so nehme man eine scheinbar passende, führe an, was Einer in einem andern Sinne oder in andern Verhältnissen gesagt hat. Autoritäten, die der Gegner gar nicht versteht, wirken meistens am meisten. Ungelehrte haben einen eignen Respekt vor griechischen und lateinischen Floskeln. Auch kann man die Autoritäten nötigenfalls nicht bloß verdrehen, sondern geradezu verfälschen, oder gar welche anführen, die ganz aus eigener Erfindung sind: meistens hat der Gegner das Buch nicht zur Hand und weiß es auch nicht zu handhaben. Das schönste Beispiel hiezu giebt der französische Curé, der, um nicht, wie die andern Bürger mußten, die Strasse vor seinem Hause zu pflastern, einen biblischen Spruch anführte: paveant illi, ego non pavebo. Das überzeugte die Gemeinde-Vorsteher. Auch sind allgemeine Vorurtheile als Autoritäten zu gebrauchen; denn die Meisten denken mit Aristoteles: ά μεν πολλοις δοκει ταντα γε είναι φαμεν. Ja, es giebt keine noch so absurde Meinung, die die Menschen nicht leicht zu der ihrigen machten, sobald man es dahin gebracht hat, sie zu überreden, daß solche allgemein angenommen sei. Das Beispiel wirkt auf ihr Denken, wie auf ihr Thun. Sie sind Schaafe, die dem Leithammel nachgehn, wohin er auch führt; es ist ihnen leichter zu sterben, als zu denken. Es ist sehr seltsam, daß die Allgemeinheit einer Meinung so viel Gewicht bei ihnen hat, da sie doch an sich selbst sehen können, wie ganz ohne Urtheil und bloß kraft des Beispiels man Meinungen annimmt. Aber das sehn sie nicht, weil alle Selbstkenntniß ihnen abgeht. – Nur die Auserlesenen sagen mit Plato: τοις πολλοις πολλα δοκει, d. h. das Vulgus hat viele Flausen im Kopfe, und wollte man sich daran kehren, hätte man viel zu thun.

Die Allgemeinheit einer Meinung ist, im Ernst geredet, kein Beweis, ja nicht einmal ein Wahrscheinlichkeitsgrund ihrer Richtigkeit. Die, welche es behaupten, müssen annehmen, 1) daß die Entfernung in der Zeit jener Allgemeinheit ihre Beweiskraft raubt; sonst müßten sie alle alten Irrthümer zurückrufen, die einmal allgemein für Wahrheit galten, z. B. das Ptolemäische System, oder in allen protestantischen Ländern den Katholizismus herstellen; 2) daß die Entfernung im Raum dasselbe leistet; sonst wird sie die Allgemeinheit der Meinung in den Bekennern des Buddhaismus, des Christentums und des Islam in Verlegenheit setzen. ( Bentham, Tactique des assemblées législatives, Vol. 2, p. 76.)

Was man so die allgemeine Meinung nennt, ist, beim Lichte betrachtet, die Meinung zweier oder dreier Personen, und davon würden wir uns überzeugen, wenn wir der Entstehungsart so einer allgemein gültigen Meinung zusehen könnten. Wir würden dann finden, daß zwei oder drei Leute es sind, die solche zuerst annahmen oder aufstellten und behaupteten, und denen man so gütig war zuzutrauen, daß sie solche recht gründlich geprüft hätten. Auf das Vorurtheil der hinlänglichen Fähigkeit Dieser nahmen zuerst einige Andere die Meinung ebenfalls an. Diesen wiederum glaubten viele Andere, deren Trägheit ihnen anrieth, lieber gleich zu glauben, als erst mühsam zu prüfen. So wuchs von Tag zu Tag die Zahl solcher trägen und leichtgläubigen Anhänger: denn hatte die Meinung erst eine gute Anzahl Stimmen für sich, so schrieben die Folgenden dies dem zu, daß sie solche nur durch die Triftigkeit ihrer Gründe hätte erlangen können. Die noch Uebrigen waren jetzt genöthigt, gelten zu lassen was allgemein galt, um nicht für unruhige Köpfe zu gelten, die sich gegen allgemein gültige Meinungen auflehnten, und naseweise Burschen, die klüger sein wollten als alle Welt. Jetzt wurde die Beistimmung zur Pflicht. Nunmehr müssen die Wenigen, welche zu urtheilen fähig sind, schweigen: und die da reden dürfen, sind Solche, welche völlig unfähig, eigene Meinungen und eigenes Urtheil zu haben, das blosse Echo fremder Meinungen sind; jedoch sind sie desto eifrigere und unduldsamere Verteidiger derselben. Denn sie hassen am Andersdenkenden nicht sowohl die andere Meinung, zu der er sich bekennt, als die Vermessenheit, selbst urtheilen zu wollen; was sie ja doch selbst nie unternehmen und im Stillen sich dessen bewußt sind. – Kurzum denken können sehr Wenige, aber Meinungen wollen Alle haben; was bleibt da Anderes übrig, als daß sie solche, statt sie sich selber zu machen, ganz fertig von Andern aufnehmen? –

Da es so zugeht, was gilt noch die Stimme von hundert Millionen Menschen? – So viel, wie etwan ein historisches Faktum, das man in hundert Geschichtsschreibern findet, dann aber nachweist, daß sie Alle Einer den Andern ausgeschrieben haben, wodurch zuletzt Alles auf die Aussage eines Einzigen zurückläuft. (Nach Bayle, Pensées sur les Comètes, Vol. I, p.10.)

» Dico ego, tu dicis, sed denique dixit et ille:
Dictaque post toties, nil nisi dicta vides

Nichts desto weniger kann man im Streit mit gewöhnlichen Leuten die allgemeine Meinung als Autorität gebrauchen.

Ueberhaupt wird man finden, daß, wenn zwei gewöhnliche Köpfe mit einander streiten, meistens die gemeinsam von ihnen erwählte Waffe Autoritäten sind: damit schlagen sie auf einander los. – Hat der bessere Kopf mit einem Solchen zu thun, so ist das Räthlichste, daß er sich auch zu dieser Waffe bequeme, sie auslesend nach Maaßgabe der Blösse seines Gegners. Denn gegen die Waffe der Gründe ist dieser, ex hypothesi, ein gehörnter Siegfried, eingetaucht in die Fluth der Unfähigkeit zu denken und zu urtheilen.

Vor Gericht wird eigentlich nur mit Autoritäten gestritten, der Autorität der Gesetze, die fest steht: das Geschäft der Urteilskraft ist das Auffinden des Gesetzes, d. h. der Autorität, die im gegebenen Fall Anwendung findet. Die Dialektik hat aber Spielraum genug, indem, erforderlichen Falls, der Fall und ein Gesetz, die nicht eigentlich zu einander passen, gedreht werden, bis man sie für zu einander passend ansieht: auch umgekehrt.

Kunstgriff 31. Wo man gegen die dargelegten Gründe des Gegners nichts vorzubringen weiß, erkläre man sich mit feiner Ironie für inkompetent: »Was Sie da sagen, übersteigt meine schwache Fassungskraft: es mag sehr richtig seyn; allein ich kann es nicht verstehn und begebe mich alles Urtheils.« – Dadurch insinuirt man den Zuhörern, bei denen man in Ansehn steht, daß es Unsinn ist. So erklärten beim Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft oder vielmehr beim Anfang ihres erregten Aufsehns viele Professoren von der alten eklektischen Schule: »Wir verstehen das nicht«, und glaubten sie dadurch abgethan zu haben. Als aber einige Anhänger der neuen Schule ihnen zeigten, daß sie Recht hätten und es wirklich nur nicht verständen, wurden sie sehr übler Laune.

Man darf diesen Kunstgriff nur da brauchen, wo man sicher ist, bei den Zuhörern in entschieden höherm Ansehn zu stehen, als der Gegner; z. B. ein Professor gegen einen Studenten.

Eigentlich gehört dies zum vorigen Kunstgriff und ist ein Geltendmachen der eigenen Autorität, statt der Gründe, auf besonders maliciöse Weise. – Der Gegenstreich ist: »Erlauben Sie, bei Ihrer grossen Penetration muß es Ihnen ein Leichtes seyn, es zu verstehn, und kann nur meine schlechte Darstellung Schuld seyn«, – und nun ihm die Sache so in's Maul schmieren, daß er sie nolens volens verstehn muß und klar wird, daß er sie vorhin wirklich nur nicht verstand. – So ist's retorquirt: er wollte uns »Unsinn« insinuiren: wir haben ihm »Unverstand« bewiesen. Beides mit schönster Höflichkeit.

Kunstgriff 32. Eine uns entgegenstehende Behauptung des Gegners können wir auf eine kurze Weise dadurch beseitigen oder wenigstens verdächtig machen, daß wir sie unter eine verhaßte Kategorie bringen, wenn sie auch nur durch eine Ähnlichkeit oder sonst lose mit ihr zusammenhängt; z. B.: »Das ist Manichäismus; das ist Arianismus; das ist Pelagianismus; das ist Idealismus; das ist Spinozismus; das ist Pantheismus; das ist Brownianismus; das ist Naturalismus; das ist Atheismus; das ist Rationalismus; das ist Spiritualismus; das ist Mysticismus u. s. w.« – Wir nehmen dabei zweierlei an: 1) daß jene Behauptung wirklich identisch oder wenigstens enthalten sei in jener Kategorie, rufen also aus: oh, das kennen wir schon! – 2) daß diese Kategorie schon ganz widerlegt sei und kein wahres Wort enthalten könne. –

Kunstgriff 33. »Das mag in der Theorie richtig seyn; in der Praxis ist es falsch.« – Durch dieses Sophisma giebt man die Gründe zu und leugnet doch die Folgen; im Widerspruch mit der Regel: a ratione ad rationatum valet consequentia. – Jene Behauptung setzt eine Unmöglichkeit: was in der Theorie richtig ist, muß auch in der Praxis zutreffen: trifft es nicht zu, so liegt ein Fehler in der Theorie, irgend etwas ist übersehn und nicht in Anschlag gebracht worden, folglich ist's auch in der Theorie falsch.

Kunstgriff 34. Wenn der Gegner auf eine Frage oder ein Argument keine direkte Antwort oder Bescheid giebt, sondern durch eine Gegenfrage oder eine indirekte Antwort, oder gar etwas nicht zur Sache Gehöriges ausweicht und wo anders hinwill; so ist dies ein sicheres Zeichen, daß wir (bisweilen ohne es zu wissen) auf einen faulen Fleck getroffen haben: es ist ein relatives Verstummen seinerseits. Der von uns angeregte Punkt ist also zu urgiren und der Gegner nicht vom Fleck zu lassen; selbst dann, wann wir noch nicht sehn, worin eigentlich die Schwäche besteht, die wir hier getroffen haben.

Kunstgriff 35, der, sobald er praktikabel ist, alle übrigen entbehrlich macht: statt durch Gründe auf den Intellekt, wirke man durch Motive auf den Willen, und der Gegner, wie auch die Zuhörer, wenn sie gleiches Interesse mit ihm haben, sind sogleich für unsere Meinung gewonnen, und wäre diese aus dem Tollhause geborgt; denn meistens wiegt ein Loth Wille mehr, als ein Centner Einsicht und Ueberzeugung. Freilich geht dies nur unter besondern Umständen an. Kann man dem Gegner fühlbar machen, daß seine Meinung, wenn sie gültig würde, seinem Interesse merklichen Abbruch thäte; so wird er sie so schnell fahren lassen, wie ein heisses Eisen, das er unvorsichtigerweise ergriffen hatte. Z. B. ein Geistlicher vertheidigt ein philosophisches Dogma: man gebe ihm zu vermerken, daß es mittelbar mit einem Grunddogma seiner Kirche in Widerspruch steht, und er wird es fahren lassen. – Ein Gutsbesitzer behauptet die Vortrefflichkeit des Maschinenwesens in England, wo eine Dampfmaschine vieler Menschen Arbeit thut: man gebe ihm zu verstehen, daß bald auch die Wagen durch Dampfmaschinen werden gezogen werden, wo dann die Pferde seiner zahlreichen Stuterei sehr im Preise sinken müssen; – und man wird sehn. In solchen Fällen ist das Gefühl eines Jeden: »Quam temere in nosmet legem sancimus iniquam!« Eben so, wenn die Zuhörer mit uns zu einer Sekte, Gilde, Gewerbe, Klubb u. s. w. gehören, der Gegner aber nicht. Seine These sei noch so richtig, sobald wir nur andeuten, daß solche dem gemeinsamen Interesse besagter Gilde zuwiderläuft; so werden alle Zuhörer die Argumente des Gegners, seien sie auch vortrefflich, schwach und erbärmlich, unsere dagegen, und wären sie aus der Luft gegriffen, richtig und treffend finden, der Chor wird laut sich für uns vernehmen lassen und der Gegner wird beschämt das Feld räumen. Ja, die Zuhörer werden meistens glauben, aus reiner Ueberzeugung gestimmt zu haben. Denn was uns unvorteilhaft ist, erscheint meistens dem Intellekt absurd Intellectus sicci non est etc. Dieser Kunstgriff könnte so bezeichnet werden: »den Baum bei der Wurzel anfassen«: gewöhnlich heißt er das argumentum ab utili.

Kunstgriff 36. Den Gegner durch sinnlosen Wortschwall verdutzen, verblüffen. Es beruht darauf, daß

Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört,
Es müsse sich dabei doch auch was denken lassen.

Wenn er nun sich seiner eigenen Schwäche im Stillen bewußt ist, wenn er gewohnt ist, mancherlei zu hören was er nicht versteht, und doch dabei zu thun, als verstände er es; so kann man ihm dadurch imponiren, daß man ihm einen gelehrt oder tiefsinnig klingenden Unsinn, bei dem ihm Hören, Sehen und Denken vergeht, mit ernsthafter Miene vorschwatzt, und solches für den unbestreitbarsten Beweis seiner eigenen Thesis ausgiebt. Bekanntlich haben in neuern Zeiten selbst dem ganzen deutschen Publiko gegenüber einige Philosophen diesen Kunstgriff mit dem brilliantesten Erfolg angewandt. Weil aber exempla odiosa sind, wollen wir ein älteres Beispiel nehmen aus Goldsmiths Vikar of Wakefield, p. 34.

Kunstgriff 37 (der einer der ersten seyn sollte). Wenn der Gegner auch in der Sache Recht hat, allein glücklicherweise für selbige einen schlechten Beweis wählt; so gelingt es uns leicht, diesen Beweis zu widerlegen, und nun geben wir dies für eine Widerlegung der Sache aus. Im Grunde läuft dieses darauf zurück, daß wir ein argumentum ad hominem für eines ad rem ausgeben. Fällt ihm oder den Umstehenden kein richtiger Beweis bei, so haben wir gesiegt; z. B. wenn Einer für das Daseyn Gottes den ontologischen Beweis aufstellt, der sehr wohl widerlegbar ist. Dies ist der Weg, auf welchem schlechte Advokaten eine gute Sache verlieren: sie wollen sie durch ein Gesetz rechtfertigen, das darauf nicht paßt, und das passende fällt ihnen nicht ein.

Letzter Kunstgriff. Wenn man merkt, daß der Gegner überlegen ist, und man Unrecht behalten wird; so werde man persönlich, beleidigend, grob. Das Persönlichwerden besteht darin, daß man von dem Gegenstand des Streites (weil man da verlorenes Spiel hat) abgeht auf den Streitenden und seine Person irgendwie angreift: man könnte es nennen argumentum ad personam, zum Unterschied von argumentum ad hominem: dieses geht vom rein objektiven Gegenstand ab, um sich an Das zu halten, was der Gegner darüber gesagt oder zugegeben hat. Beim Persönlichwerden aber verläßt man den Gegenstand ganz und richtet seinen Angriff auf die Person des Gegners: man wird also kränkend, hämisch, beleidigend, grob. Es ist eine Appellation von den Kräften des Geistes an die des Leibes oder an die Thierheit. Diese Regel ist sehr beliebt, weil Jeder zur Ausführung tauglich ist, und wird daher häufig angewandt. Nun frägt sich, welche Gegenregel hiebei für den andern Theil gilt. Denn will er die selbe gebrauchen, so wird's eine Prügelei, oder ein Duell oder ein Injurienproceß.

Man würde sich sehr irren, wenn man meinte, es sei hinreichend, selbst nicht persönlich zu werden. Denn dadurch, daß man Einem ganz gelassen zeigt, daß er Unrecht hat und also falsch urtheilt und denkt, was bei jedem dialektischen Siege der Fall ist, verbittert man ihn mehr, als durch einen groben, beleidigenden Ausdruck. Warum? Weil, wie Hobbes, de Cive, Cap. 1 sagt: Omnis animi voluptas omnisque alacritas in eo sita est, quod quis habeat, quibuscum conferens se, possit magnifice sentire de se ipso. – Dem Menschen geht nichts über die Befriedigung seiner Eitelkeit, und keine Wunde schmerzt mehr, als die dieser geschlagen wird. (Daraus stammen Redensarten wie: »die Ehre gilt mehr als das Leben« u. s. w.) Diese Befriedigung der Eitelkeit entsteht hauptsächlich aus der Vergleichung Seiner mit Andern, in jeder Beziehung, aber hauptsächlich in Beziehung auf die Geisteskräfte. Diese eben geschieht effective und sehr stark beim Disputiren. Daher die Erbitterung des Besiegten, ohne daß ihm Unrecht widerfahren, und daher sein Greifen zum letzten Mittel, diesem letzten Kunstgriff, dem man nicht entgehn kann durch blosse Höflichkeit seinerseits. Große Kaltblütigkeit kann jedoch auch hier aushelfen, wenn man nämlich, sobald der Gegner persönlich wird, ruhig antwortet, Das gehöre nicht zur Sache, und sogleich auf diese zurücklenkt und fortfährt, ihm hier sein Unrecht zu beweisen, ohne seine Beleidigungen zu achten, also gleichsam, wie Themistokles zum Eurybiades, sagt: παταξον μεν, ακουσον δε. Das ist aber nicht Jedem gegeben.

Die einzig sichere Gegenregel ist daher die, welche schon Aristoteles im letzten Kapitel der Topica. giebt: Nicht mit dem Ersten dem Besten zu disputiren, sondern allein mit Solchen, die man kennt, und von denen man weiß, daß sie Verstand genug haben, nicht gar zu Absurdes vorzubringen und dadurch beschämt werden zu müssen; und um mit Gründen zu disputiren, und nicht mit Machtsprüchen, und um auf Gründe zu hören und darauf einzugehn; und endlich, daß sie die Wahrheit schätzen, gute Gründe gern hören, auch aus dem Munde des Gegners, und Billigkeit genug haben, um es ertragen zu können, Unrecht zu behalten, wenn die Wahrheit auf der andern Seite liegt. Daraus folgt, daß unter 100 kaum Einer ist, der werth ist, daß man mit ihm disputirt. Die Uebrigen lasse man reden, was sie wollen, denn desipere est juris gentium, und man bedenke, was Voltaire sagt: La paix vaut encore mieux que la véritè, und ein arabischer Spruch ist: »Am Baume des Schweigens hängt seine Frucht, der Friede.«

Das Disputiren ist als Reibung der Köpfe allerdings oft von gegenseitigem Nutzen, zur Berichtigung der eignen Gedanken und auch zur Erzeugung neuer Ansichten. Allein beide Disputanten müssen an Gelehrsamkeit und an Geist ziemlich gleich stehn. Fehlt es dem Einen an der ersten, so versteht er nicht Alles, ist nicht au niveau. Fehlt es ihm am zweiten, so wird die dadurch herbeigeführte Erbitterung ihn zu Unredlichkeiten und Kniffen, endlich zur Grobheit verleiten.

Schlußbemerkung

Zwischen der Disputation in colloquio privato s. familiare und der Disputatio sollemnis publica, pro gradu u. s. w. ist kein wesentlicher Unterschied, bloß etwa, daß bei letzterer gefordert wird, daß der Respondens allemal gegen den Opponens Recht behalten soll, und deshalb nötigenfalls der Praeses ihm beispringt; – oder auch, daß man bei letzterer mehr förmlich argumentirt, seine Argumente gern in die strenge Schlußform kleidet.


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