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1826.

Ich habe bis auf diesen Tag
So viel getragen Schmerz und Pein –
Ich hoffe, was da kommen mag,
Es wird nun auch zu tragen sein!

 

Den 5ten Februar.

Ein Leben – ein langes Leben voll Qual, Wonne, Irrthum, Seligkeit, Schmerz – ein langes Sterben und doch nicht Enden liegt in der jüngstverflossenen Zeit. Sagen was ich gefühlt? – Schreiben, was ich gedacht? Kaum mit mir, kaum mit Gott, und nur noch durch das Organ der Liebe in ihrem Herzen, mit Ottilien kan ich versuchen wiederzugeben, was mir im Herzen wohnt!

Als ich meinen Brief an Stromeyer begonnen und mein Herz bezwungen hatte, kam seine Antwort. Weg war alles Vergangene, all mein Denken, Ersinnen Thorheit, denn Stromeyers Liebe hatte nun Freiheit der Form gewonnen, er hatte Worte, er hatte Klarheit, Ueberzeugung, Sicherheit. Ottilie hatte mir gesagt, daß ich Unrecht hatte, so Schicksals spielen, so herrschen zu wollen, wie Fr. v. Beaulieu – die doch nur mit den Herzen ihrer Kinder so zu handeln wage – ich, ach Gott ich war ja so elend, daß ich es aus Verzweiflung that, denn als ich ihn schwach und schwankend sah, mußte ich alle meine Kraft aufbieten, um ihm wenigstens den Schein derselben zu geben. Da kam sein Brief. O wie sündigen die Menschen, die nicht mehr an Wunder glauben! es war ein Wunder geschehn, denn Louis stand vor mir ein klarer fester entschiedener Mann. Ist doch in mir selbst jener erste Brief immer noch ein dunkles Räthsel, das wie ein nächtlicher Dolchstoß mich heimtückisch durchbohrt, wenn ich den Sternenbildern der Erinnerung nachgehen möchte – aber so viel war klar, der Irrthum war nicht die Frucht einer bloßen Aufwallung, er liebte mich, und schöner als ich je Liebe gedacht und geträumt. Sein Brief klagte mich des harten Irrthums an, des Vergessens seines ganzen Wesens, er suchte keine Entschuldigung, er gab keine Schuld zu, obschon er keineswegs den Gedanken aufgab, Augusten zu heirathen. Wie er mir nun deutlich, gefaßt und männlich seinen Lebensplan entwickelte, konte ich nach dem ersten Rausch des Glücks nur eingestehen, Louis liebe mich wie ich einst Heinke und werde nichts lieben wie jetzt mich! Aber älter – ach trostlos erfahrener als er erkante ich wohl daß er dennoch oft noch lieben könne, daß dies Gefühl, aus Eitelkeit und Mitleid zusammengesetzt, das ihn Augusten zuführt, nicht hinreichen wird für's Leben, wenn es nicht wärmer wird, daß er in seiner Phantasie gebildert und den Gram der Sehnsucht und meine Rechtlichkeit nicht eingerechnet hatte! – Aber dennoch, hoffe ich, wird gerade vielleicht Auguste seine zweite Liebe sein, ach, in dem reinen Herzen hat die Pflicht eine so reine Gewalt! Ich fühlte, daß er Mann geworden, und trat demüthig in meine Schranken zurück, jetzt braucht das edle Herz meine Kraft nicht, es hat die eigene, schönere, es hat die Kraft des Himmels, eines Herzens, wie wenige auf der Erde schlagen! Louis ist was ich, als ich ihn sah, geträumt, geahndet! – und somit ist alles gut.

Lange aber schwankte ich – Louis sollte sich jetzt binden? Und so lang ist das Leben, und man wird ihn noch so oft lieben, und er liebt diese Auguste so gar nicht, hatte sich selbst so hinein manövrirt in den Gedanken, sie zu lieben, täuschte sich jetzt mit dem zweiten, er werde sie lieben wie er Eduard geliebt, glücklich mit ihr leben wie mit ihm – ich aber solle eigentlich die Geliebte, der Engel seines Daseins bleiben. O Gott! arme Auguste, blendende Sünde! Man soll und darf doch wohl nie eine unnatürliche Lebensstellung suchen. Aber es war mir bald gewiß, er sei so gut, daß wenn er sie heirathete, so würde auch der Umgang mit mir enden, unser Briefwechsel entweder aufhören oder eine ganz andere Form annehmen, er könne ihr nicht weh thun, er müsse mich opfern, und mir bleibe dann im Nothfall das Recht, als Freund ihm nahzutreten, um für ihn, für die Seinen irgend etwas zu thun, und dann die Erinnerung, denn ich bin ja seine erste Liebe gewesen! –

Im Moment war ich unaussprechlich glücklich. War ich doch geliebt wie ich als Kind geträumt! Daß solche Liebe nicht in die alltägliche Form des Daseins paßt – darüber war ich klar. Ich würde als seine Frau sehr leiden, vielleicht sterben vor Schmerz, denn so könnte er mich ja nicht fortlieben. Das Alles brachte Wogen und Stürme! Ach Gott, aber auch Demuth in mein Herz! – Ich schrieb nun wieder an Eduard in aller Demuth, die in mir war. Nach vielen Wochen, in denen ich mich mannigfach gequält, in denen ich Ansichten und Gefühl gewechselt auf mannichfaltige Weise – kam ich zu dem klaren Gefühl, daß, wie mich auch Gottfried je beglücken könte, wie sicher und gefaßt ich ihn, mit ihm alle Noth des Lebens erwählen würde, dennoch die Erinnerung an diese ätherisch schöne Liebeszeit eines sonst liebeleeren Daseins doch immer einen Wehmuthsschimmer über alle Tage breiten wird, und keine Wirklichkeit sie je ganz bannen kan. Dagegen ist mir mit jedem Morgen deutlicher geworden, wie mich der Gedanke, meinen Louis glücklich und edel zu wissen, ihn fleckenlos fortschreiten zu sehn auf seiner Bahn, trösten, momentan beglücken, ewig erheben wird, wie ich mich nicht wie Ottilie in Sehnsucht verzehren werde, sondern leben und tragen, wenn ich allein ohne Gottfried bleiben muß, und wenn ich ihm angehören darf, mich mit unendlicher Rührung füllen, vielleicht dann und wann mit einem schmerzenden Vergleich verletzen, doch nie abwendig machen wird. Gottfried ist meine Erde – meine Heimath auf ihr – Louis ist meine Heimath im Himmel! – Um aber Louis' Zukunft zu sichern, indem er ihr klarer entgegenträte, um mir nicht ein Glück zu rauben, das ich genießen darf, wie jetzt die Dinge stehn, um Louis Alles zu geben, was ich geben darf – Vertrauen, Kenntniß meiner Verhältnisse, meines Lebens wie es jetzt ist, um endlich die Sehnsucht einmal noch zu stillen, die uns Beide so tief durchbebt, gestatte ich ihm, Ostern zu kommen!


Ach, es steht Alles in diesen Zeilen und nur nicht ein Abglanz Deines Gefühls, Louis, nicht eine Ahndung, wie ich mich schäme, so wenig zu sein und Dir dennoch so viel, wie ich weiß, daß, obschon Du durch mich jetzt so handelst, wie Du Deiner Natur nach ewig handeln solltest, obschon Du wie ein Wunder, unbegreiflich, verwandelt vor mir und Eduard stehst, dennoch das Alles nicht durch mich, nein durch den heiligen verklärenden Strahl Deiner Liebe bist, und wie ich in mir nur das Gefäß ehre, das den Geist faßt – denn ich bin's nicht! es ist Dein Herz allein, das hier schafft und Leben giebt und weckt! Was wäre ich denn, um das zu verdienen? –

siehe Bildunterschrift

Adele Schopenhauer gez. von A. von Sternberg 1841

Rückblick.

Es war am Weihnachtsabend, Ottilie fand unter ihren Geschenken einen versiegelten Brief von Gerstenbergks Hand, der Titel enthielt eine Menge etwas konfuser Anspielungen auf das Jahr 1813, der Brief oder das Päcktchen war mir und Ottilien bestimmt. Als sie es öffnete, gewahrte ich Heinkens Hand. Ottilie konnte vor innerer Bewegung nicht die Buchstaben lesen, sie gab mir den Brief, ich las wenig Worte und hielt ihn für jenen alten Brief, den wir immer zu besitzen gewünscht. Ich sagte es ihr – sie aber, von der gewaltigsten Erinnerung, an dem Abende – in Augusts, Cromies Gegenwart überwältigt, stürzte mit einem lauten Schrei rücklings zu Boden. Einen Moment hielt ich sie für todt. Als ich in unaussprechlicher Verzweiflung neben ihr kniete, man hatte sie nemlich auf einen Lehnstuhl gesetzt, riß mich die Pogwisch gewaltsam in die Höhe, sie fürchtete eine Scene. Lieber Gott, ich bin kein Lehrling mehr! – –

Demnach blieb die Pein im Herzen, wir faßten uns schnell, gaben einen Fehltritt auf dem glatten Boden vor, und ich nahm den Brief mit, den Niemand gesehen hatte. Gerstenbergk war wie immer – – – – Es war ein seltsamer Abend gewesen. Bitterlich weinend hatte ich ihn begrüßt. Nie war mir mein Loos deutlicher gewesen, ich begriff wohl, in dem Jahre, das nun kam, mußte ich Louis und Gottfried verlieren. Das Herz war mir so wund! Ich wollte den Blick noch einmal gefaßt bis ganz zurück zur Quelle meines Lebens hinwenden – ich wollte Heinkens Brief lesen. Welch ein Irrthum. Es war ein neuer Brief vom 12. August dieses Jahres.

Heinke schrieb in einer Geschäftsangelegenheit. Der Ton des Briefes war schön, klar, harmonisch, wie sein ganzes Selbst! Aber er sprach von einer »fast fabelhaft gewordenen Zeit«, von meiner geistigen seltnen Bildung, von der ihm schon oft Kunde geworden – von seinem außerordentlichen Glück mit seiner Frau und sechs Kindern – von der Hoffnung, mit der Frau nach Weimar zu kommen und sie mit seinen Freundinnen bekant zu machen, von Ottilien, nach welcher seine Tochter heiße, von der er hoffe, sie solle dem Urbilde, das ihm noch in der Erinnerung vorschwebe in seiner damahligen Schönheit, in Geist und Herzensgüte gleichen. – Heinke schrieb das und wußte, daß ich es lesen würde, und folglich hat Heinke meine Liebe, die er ahnden und sehen mußte, nie verstanden! Er hat geglaubt, mich könne ein Lob meines Geistes freuen – o ein Wort der freundlichen Theilname hätte mich beglückt – er hat geglaubt, ich könne ohne Todesschmerz hören, wie seine Tochter nach ihr heißt, er hat den rasenden Gedanken es zu wagen, das Mädchen wiederzusehen, das um ihn das Leben wegwarf, an der es sich nur noch wie eine Fessel hing, er hat ein gewaltiges uranfängliches Gefühl mit einer sentimentalen Augenblicks-Schwärmerei verwechselt.

Es hätte mir das Herz brechen können – aber es brach nicht. Und somit war ich frei, frei von jener Liebe, von jener Erinnerung, frei bis in das Tiefste meiner Seele. Ich habe ihn geliebt glühend, ausschließend, ewig! ich werde ihn dort wiederfinden, dort wieder lieben, er hat hier mich nicht erkant, dort erst wird er mich finden, denn Gottes Allmacht hat auf Erden nichts unnütz erschaffen und wird wahrhaftig nicht ein ganzes Menschenleben um einen Pol herum drehen lassen, der in Luft – in nichts sich auflöst – er wird dort erst mich finden, und was hier Ahndung war, wird dort Leben. Aber hienieden ist der Bann gelöst, nichts ist mehr gemein zwischen uns, er lebt mir nicht mehr hienieden, ich suche ihn nirgends, suche kein Erinnern, keine Nachricht, keine Hoffnung, nichts. Eine tiefe Scheu macht mir alles das unmöglich, ich habe alles weggepackt, was ich von ihm hatte. Als großes Vorbild – brauche ich ihn nicht; theils steht er zu fern, theils gab uns Gott ein Größeres. Wenn ich ihn also im Vergangnen, Gegenwärtigen, Kommenden irdischer Tage nie denken kan in Beziehung zu mir, wenn er mich nie verstanden hat, wenn ihn die Erinnerung an meine Liebe nicht wie ein Sternbild still macht, wenn er sie ins Gemeine, Alltägliche ziehen kan – so ist für diese Welt das Wort Vernichtung über das gesprochen, was sonst mir Leben war.

Es war ein furchtbar großer Lebensmoment – aber seine Wirkung blieb ungeschwächt. Ich gab Ottilien den Brief, ich sprach mit ihr, sie verstand mich nicht. Ich aber bin mir so deutlich alles dessen bewußt, daß, wenn diese armen Worte es nicht wiedergeben, die Schuld am Kopf und am ungeübten Formen des Gedankens, bei Gott nicht an der Unklarheit des Herzens liegt.

[Das nächste Blatt ist leer.]

 

Den 21sten Februar.

Ich sitze hier, um das Todesurtheil jeder Lebenshoffnung, jeden Glücksgedankens, jeden Wunsches – abzuschreiben, nach der großen Urschrift um mich. Ich werde diese Blätter nicht mehr fortsetzen – für wen? weshalb? Ich werde leben, tragen, dulden, hoffnungslos bleiben, freudenlos sterben, denn Leben und Tod sind mir, wenn ichs recht bedenke, gleich fern, beide dem Wunsche fremd!

Was früher vorgegangen, denke ich in etwas ruhigeren Tagen auf den hiervor stehenden Blättern anzudeuten. Es war am 13ten Februar, als Gottfried um 11 sich bei meiner Mutter melden ließ. Sie schickte herüber, Ottilie gieng, ich saß kraft- und regungslos auf dem Kanapee – ich ließ ihm sagen, wenn er von der Mutter fortgienge, möchte er gefälligst zu mir herüberkommen. Nach einem kleinen Viertelstündchen trat er ein, er klopfte, ich konte nicht antworten. Er trat ein, ich konte nicht aufstehen, alle meine Glieder flogen in zitternder Bewegung, ich reichte ihm die Hand entgegen – an der Thüre sprach er: »Mein Gott, Sie haben ja einen Unfall gehabt, liebe Adèle, Sie sind gestürzt, haben sich Schaden gethan, das ist ja schrecklich«. Er sah nun meinen Zustand; die Herzlosigkeit eines solchen Eintritts, denn er wußte ja, daß ich vollkommen genesen war, verletzte mich gleich, ich deckte meine Augen mit der Hand, die andre haltend setzte er sich zu mir aufs Kanapee und fuhr fort: »Aber was ist Ihnen, liebe Adèle, was ist denn vorgefallen, ist etwas geschehen?« – Ich sah auf. »Nein,« antwortete ich, »aber Osann, was ist das für ein Wiedersehen?« – »Wie denn so? was ist denn, Adèle?« – »Gottfried,« fuhr ich nun fort, »Sie sind 5 Tage hier, Sie sind 3 Wochen in Berlin gewesen, Sie haben Dorpat verlassen, wie, warum, ich weiß von Allem kein Wort, ich erfahre nichts als durch den dritten; man sagt mir, Sie gehen – ich vergehe fast über dem allen – und Sie? Osann, ist das Freundschaft?« – »Liebe Adèle, für die Freundschaft giebt es kein Maaß, sie ist ein ganz individueller Begriff, jeder hat da seine Ansicht, ich habe nach der meinen nicht gefehlt. Daß ich nicht geschrieben ist ganz natürlich, ich wußte ja selbst nichts, das machte sich ganz geschwinde; von Berlin, ja das ist wahr, da hätte ich schreiben sollen. Hier nun – da ich ohnehin eine Weile hier mich aufhalten werde, da wars mir einerlei, ob ich Sie, liebe Adèle, einige Tage früher oder später sah. Wie gesagt, für die Freundschaft giebt es kein Maaß, von Berlin aus hätte ich freilich schreiben sollen, und das thut mir wahrhaftig leid, sehr leid, aber ich habe mir ja nicht gedacht, daß es Ihnen so weh thun würde.« – Unwillkührlich entfuhren mir die Worte: »Und ich bin fast daran gestorben!« Er hielt meine Hand in der seinen und fuhr ungefähr in demselben ruhigen Tone fort sich anzuklagen, daß er von Berlin aus nicht geschrieben, versicherte mich aber, daß er ganz wie sonst mein Freund sei, nur sei er im Ganzen erkältet, der Himmel habe ihn nun einmal bestimmt, in Dorpat fortzuleben, und er gehe dahin zurück – es sei seine Bestimmung, die enthusiastische Liebe zu seinem Vaterlande habe er aufgegeben, man füge sich, wenn man müsse, und sich seinem Gefühl hingeben sei unnütz; doch so leid es ihm thue, mich verletzt zu haben, könne er mich doch versichern, daß er wie ehemahls mein Freund sei und es bleiben werde. Er sprach lange, Todeskälte floß wie ein schwerer Strom durch meine Adern. »Gottfried,« fuhr ich fort, ihm ruhig meine Hand lassend, »Sie wissen, daß ich eine ungeheure Leidenschaft überwunden habe, ich werde auch das Gefühl für Sie überwinden, ich habe Sie unaussprechlich geliebt, aber ganz ruhig, ich habe in dem Verhältniß zu Ihnen eigentlich das Ideal von ruhigem Glück gesucht, das mir am natürlichsten, ich fühle, daß Sie mir nicht geben können, was ich gewollt habe; Sie sind nicht, wie ich Sie kante, wie ich Sie dachte. Ich will darüber Herr werden und werde es« – »Aber wenn das Gefühl ganz ruhig –« unterbrach er mich. – »Wenn auch. So ruhig nicht! Der Schmerz hat mich diese 3 Tage über fast zerstört, Sie bleiben in Dorpat, Sie fühlen sich leichter dort – wahrhaftig, Osann, das freut mich, für Sie! Das ist nun aus – und wir wollens aus sein lassen«. – Er fing eine Vertheidigung an, in welcher er mir theils beweisen wollte, daß er noch mein Freund sei, theils die Vereitelung all seiner Hoffnungen mit mittheilte, theils durch einzelne Beantwortungen meiner Einwürfe verwirrt ward – er nannte mich mehrmahls Du. »Gottfried«, sprach ich, »Sie sollen die Vergangenheit nicht leugnen, Sie lieben mich weniger als ich glaubte – es ist ein Irrthum, kein Unrecht, aber sehen Sie, selbst Ihre Worte wiedersprechen sich. Und so wars immer. Sie haben mich bald wie ein kleines Mädchen spielend behandelt, bald wie einen Mann, wie einen ernsten Freund, dem man sein Innres unbedingt ergiebt, bald haben Sie meiner Weiblichkeit vollkommen genüge geleistet, Sie sind sich nie klar gewesen über Ihr Gefühl für mich!« – »Das ist sehr möglich,« erwiederte er trübe. – »Ich aber habe Sie unbedingt mit klarem Bewußtsein lieb gehabt«, sprach ich – er sagte etwas, worin er mich abermahls duzte – »Und sehen Sie, wie die Vergangenheit Sie unwillkührlich noch beherrscht, das ist schon das dritte oder vierte Mahl daß Sie mich Du nennen aus alter Gewohnheit, weil wir, durch unsere Kinderzeit verleitet, es sonst gerne thaten.« Er nannte mich von dem Augenblicke an Du, hielt meine Hand fest und begann erst nun mir ganz klar und recht bestimmt zu erzählen, wie seine Hoffnungen in Königsberg zu Wasser geworden wären, »und es war mir recht«, sagte er, »denn am Ende hatte ich mich auch anders besonnen, wenn ich nicht in Deutschland leben kan, will ich lieber in Dorpat bleiben.« – »Aber Königsberg ist ja doch deutsch, was kan Dich, da wir es nicht sind, an W[eimar] fesseln?« fragte ich, »liebst Du denn die Erdschollen?« – »Nein«, sagte er, »hier will ich nicht gerade wohnen, aber doch in der Gegend, so hier herum«. Nun fing er an mir noch einen Plan zu entwickeln, den er in Erlangen hat, wohin zu reisen er gedachte (also nicht, wie seine Mutter sagte, nach D[orpat]), er that dies mit dem alten Vertrauen. »Möge es Dir gelingen«, sagte ich, »ich wünsche es für dich, für mich kan ich's nicht mehr wünschen«. Abermahls sagte er mir, daß er mich und noch zwei Freunde, die er in der Welt habe, stets mit dem alten Vertrauen behandeln werde – »Dich«, schloß er, »vielleicht mit noch größerem«. Aber die Poesie sei nun aus seinem Leben heraus. »Höre Gottfried«, sprach ich, »Du bist in einer unmenschlichen harten unnatürlichen Stimmung, glaube ich; sage mir offen: bist Du ganz wahr? Hat Dich nichts so schroff gemacht – quält Dich etwas, hast Du etwas verloren, das Dir lieb war?« – » Nein!« Nun erzählte er von seiner Krankheit, von der furchtbaren Hypochondrie, die ihn befallen, wie er einmal Nachts zu sterben geglaubt, wie er sein Testament gemacht, von Mutter und Freunden schriftlich Abschied genommen, wie er sich ein andermal eingebildet, er sei vergiftet, und zum Arzt gelaufen, der ihn ausgelacht. Er berührte dabei zufällig im Erzählen, daß er der Eschholz gesagt habe, ich hätte ihm das Rauchen verboten. Früher hatte ich ihm gesagt: »Gottfried, in der furchtbar verhärteten Stimmung kanst Du nichts thun als – heirathen, ich selbst bin es, die Dir den Rath giebt, heirathe ein recht junges lebensfrisches Mädchen« – »O pfui!« rief er heftig. »Nein«, fuhr er gelassen fort, »ich habe da so gar niemand.« – »Du wirst jemand finden«, sprach ich. – »Nein«, antwortete er, »ich glaube nicht, daß ich überhaupt heirathe. Kein Blick kein Ton der Neigung wandte sich zu mir, Du glaubst, ich fände wohl jemand?« schloß er fragend, ich antwortete: »Gewiß!« – Etwas früher hatte ich ihn gefragt, ob er kein Verhältniß zu irgend einer Frau habe. Er sagte: »Ja«. – »Wirst Du sie heirathen?« fragte ich. – »Bewahre!« war die Antwort, »sie ist lange verheirathet«. Es war die Eschholz. »Ich wollte, sie wäre noch älter«, sagte er. – »Gieb Dich zufrieden«, sagte ich, »das wird sie täglich«. Er lachte. »Da habe ich etwas recht Neues erfahren«, sprach er; »Du siehst, ich bin geistreich geworden«, sagte ich, »ja wohl«, er.

Einmal sagte er mir, er wolle, um in Dorpat zu bleiben, von seiner Besoldung immer zurücklegen, dann könne er, wenn er einmal seine Mutter verlöre, bequem leben in Teutschland, und so sei es recht gut, denn jetzt gefalle es ihm besser als sonst. Dennoch leuchtete aus all seinen Worten deutlich hervor, daß er so krank geworden, seitdem er alle Hoffnung aufgeben mußte. Die tödtliche Kälte all seiner Ausdrücke theilte sich mir allmählig mit, ich war ganz ruhig. Wir sprachen noch lange – einmal sagte ich: »Hast Du denn wirklich keinen andern Schmerz als den, in Dorpat zu leben?« – »Nein«, sagte Er. – »Aber«, fuhr ich fort, »darum bist Du nun so zerstört, so unnatürlich« – »Keine Stimmung ist unnatürlich, wenn sie einer haben kan«, unterbrach er mich – »Doch«, sagte ich, »jede gemachte! Ist die Deine nicht erzwungen?« – »Nein«, sagte er. – »Nun, so ist«, erwiederte ich, »Dein Gram eine Art Feigheit, denn ich hätte den Muth in Dorpat zu bleiben, mit der Aussicht, es einst zu verlassen. Es kan ja vielleicht nur kurz dauern –«

»Soll ich auf meiner Mutter Tod hoffen?« – »O Gott«, rief ich, »das weißt Du wohl, daß mir kein solcher Gedanke kommen kan, aber es kan sich ja jeden Augenblick eine Aussicht öffnen« – »Und doch«, sagte er, »mislang jede; nein, es ist so ganz gut. Nur bin ich kälter geworden im Ganzen, in dem kalten Clima ist's ja gar nicht anders möglich.«

Einmal sagte ich: »Ehemahls stand ich allein in Deinen Gedanken, jetzt rangiere ich mit all den andern – es hätte mich ebenso geschmerzt, wenn mir das Line oder Ottilie gethan hätten, was Du jetzt gethan«. Er wollte wieder beweisen, es sei wie sonst – »O ehemahls, als wir schieden«, versicherte ich, »giengst Du und ich auf gleiche Weise, wir waren Beide in Verzweiflung und fuhren zugleich nach Norden und nach Süden, und jedes war froh, daß es nur fahren konte«. Als er einmal etwas von der Vergangenheit sagte, frug ich halb, halb war's Bemerkung: »So bist Du anders als ich dachte, so hast Du mir am Ende gar die Cour gemacht?« – »Sieh wie Du bist«, sagte er possierlich, »da behauptest Du zugleich ich hätte Dir die Cour gemacht und klagst über meine Kälte«. – Ich: »Das ist wol zu vereinen, doch nein, untreu bist Du mir nicht geworden, nur erkältet bist Du durch und durch und – es ist anders geworden«. – »Ach«, seufzte er, »es wird ja Alles anders, das ist der Lauf der Welt, was wird denn nicht anders?« – » Ich«, sagte ich sehr ernst.

»Ja Du!« rief er, »Du bist eine seltne Ausnahme«.

Unter anderm bat ich ihn, wenn er nach Dorpat komme, meine Briefe zu verbrennen. Er versprach es.

Während unsers trüben Gesprächs hatte er immerfort meine Hände gehalten, ich hielt still. – Dann hatte er den zwischen uns liegenden Hut weggelegt und sich näher zu mir gesetzt, er blickte mich ernst, aber sehr freundlich an im Sprechen und zog mich zu sich – die alte tiefe ewige Neigung übermannte mich, ich zog seine Hand an mein Gesicht und stützte mich darauf; jetzt aber näherte er sich noch mehr, und Beide saßen wir nah aneinander. »Deine Haare sind noch schön wie ehemahls«, sagte ich – »Ach an mir ist nichts schön,« Er; aber doch wandte er den Kopf, daß ich die Pracht der Locken schöner noch sah. – Vorher hatte ich ihn geneckt, daß er eitel sei und immer es gewesen. »Nein«, sagte er, »ich that das, weil Dich's freute«. – »Aber, Liebster«, sagte ich, »ich habe doch nie gesehen, daß Du Dich für Hasse geputzt hättest«. Er und ich lachten, aber unvermerkt waren wir inniger, ich litt furchtbar, denn mit einemmahle legte er den Kopf an meine Schulter, sein Gesicht an das meine, ich fühlte meine Wange auf seiner – ein Moment. Es war vorüber. Er stand – »Du hast ja ein gewaltiges Klavier«. – »Ach«, sagte ich, »Du weißt nicht, ich spiele ja sehr schön, Du kenst meine vielen Talente gar nicht!« – »Deine vielen Talente«, sagte er und lachte so wie ehmahls, wenn ich ihm so recht gefiel. Nun spielte er. Aber er that dem Instrument wehe wie – mir. Er spielte Reminiscenzen aus Opern und sprach entzückt von der Sontag. »Aber warum spielst Du so hart?« sagte ich. – »Das Instrument ist schuld«. So stritten wir, abermahls gab er nach. Nun erzählte er von seinem Wunsch, mir eine chemische Vorlesung zu halten. Dann sprachen wir noch viel über seine nähern Verhältnisse, über Kastner, über sein Auskommen, über die Abhängigkeit von der Mutter, wenn es gelänge und er hier bliebe – »aber«, sagte er, »sie wäre mir durchaus nicht unangenehm«. – »Dann«, meinte ich, »hättest Du aber höchstens Froriep, sonst müßtest Du doch Deiner Mutter den Trost gewähren, aber außer ihr hättest Du niemand« – ehemahls hätte ich gesagt, »außer ihr noch mich«. »Eben«, sagte er, »um ihret- und Deinetwillen, aber die wissenschaftliche Rücksicht muß natürlich dem allen vorgehen«. – »Freilich«. – Nun schalt ich, daß er mit den Leuchtsubstanzen keinen Aufsatz gesendet, er fuhr mich an, weil er ihn nicht gehabt, und meinte, ich hätte ihn schaffen können. Darüber stritten wir nun abermahls. »Du vergißt immer meine Jahre«, sagte ich lachend, »ich bin noch nicht so alt wie Deine Eschholz« – »Ach was«, sagte er, »dafür bist Du eine berühmte Person!« – »Meine Mutter –« Er: »O nein Du auch, glaubst Du denn, daß die Leute in Dorpat es nicht wissen? Sie wissen wohl, wie geistreich Du bist!« Ich wiederlegte und schalt wegen dem Recommandationsbriefe. »Du kanst es nicht wissen und kanst es auch nicht glauben«, schloß er seine lange Lobrede, »und ich weiß es, und somit können wir schließen«. Wir scherzten noch ganz heiter fort; als ich einmal sagte, die Leute, die Gefühl hätten, wären glücklicher als die gleich ihm Erstarrten, und das drollig durch einen falschen Satz bewieß, lachte er mich aus; »ei ich habe ja von Dir Logik gelernt«, erwiederte ich, und heftig zog er meine Hände an seine Lippen und küßte sie – es war das erstemahl glaube ich. Endlich wollte er gehen und blieb. Aber ich wurde in mir trüber. Ich wollte scherzen – »Das ist eine saubre Geschichte«, sagte ich, »da haben wir uns das Du angewöhnt, wie wird das in Gesellschaft gehen?« – »Wieviel werden wir uns denn in Gesellschaft sehen?« sprach er, »nun da werde ich Sie zu Dir mein Fräulein sagen«.

Endlich, nachdem wir noch gescherzt, er mir die Kette gezeigt und erzählt, er habe die Nadel noch, und die Weste mit, so stand er auf. Und wie eine Riesenlast fiel die Besinnung wieder auf mich zurück. Ich wußte nun wieder, Er liebte mich gar nicht! und es war nicht einmal mein Freund, es war ein Mann, der mich heiß geliebt hatte, und den der Augenblick fortriß! Seine Züge waren so hart, und doch war er schön!

Als wir von Louis redeten, sagte ich: »Ich wünschte nicht, daß Ihr zusammen kämt«. – »Warum?« fragte er. – »Weil ich Ihm Dich zum Musterbild aufgestellt hatte, weil er sich bemühte zu sein, wie ich Dich schilderte, und weil michs genieren würde.« – »Wir brauchen uns ja nicht zu sehen«. – »Doch«, sagte ich, »ists möglich, und leider ist Louis' Liebe keine aufflackernde erste Neigung – sie wird seinem Leben die Richtung geben« – er schwieg trübe.

Als wir aber später voreinander standen, um zu scheiden, auf 20-22 Tage, faßte er nochmahls meine Hände. »Ich habe mich doch gefreut«, sagte er bewegt. – »Ich mich nicht«, erwiederte ich sehr ernst und ruhig. – »Du nicht?« fragte er. – »Nein Du hast mir zu weh gethan. Und nun, Osann«, fuhr ich, ihn ganz klar anblickend, fort, »fühle, daß Du nichts, gar nichts verloren hast, was Du von mir willst kan ich Dir immer geben, wie Du mir Freund bist, bleibe ich Dir's – ich bin's, die verloren hat. Unendlich lieb hatte ich Dich – Du bist nicht, wie ich Dich dachte, das ist's!« – »Ja wohl«, sagte er, »Du hast mich immer überschätzt!« – »O nein, Osann, ewig steht mir Dein Character auf der alten Stelle. Daß Du mich weniger liebst, ist ja nicht Deine Schuld. Aber nun höre, wir haben vorhin lange von Briefen geredet, unter einem Jahre schreibe ich Dir nicht, die alten verbrennst Du, Du weißt ja, was darinnen steht. Und laß uns nie wieder darüber reden, das ist aus.« – »Das ist gut«, sagte er, »und sehr klug!« – »Aber schreiben kan ich Dir nicht« – »Ach laß das doch jetzt«, sagte er, »vielleicht« – er schwieg – an der Thüre. Ich wandte mich, indem er mir Lebewohl sagte, und stand mit dem Rücken nach ihm an dem Tische, auf den ich mich stützte. Er blieb unentschlossen an der Thüre stehen, ich fühlte den Blick, der meine Gestalt nochmals überflog – aber todwund wandte ich mich nicht mehr.

Und doch werde ich ihn nie, o nie vergessen!



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