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Den 5ten Februar.
Wider alle Gewohnheit schloß ich das Jahr ohne zu schreiben – nicht aber ohne Rückblick! Mein geistiges Leben hat sich gewendet, nun wird es nöthig, klar aufzustellen was ich bin, was ich denke, was ich noch will. – Meine Freunde haben sich alle gemüht, in mir ihre Ansichten meines eigenen Lebens, meines Wesens zu wecken, allmählich fühl' ich diese, und zugleich, daß es keinem gelingt. Ottilie und Line verlangen, ich soll glücklich sein, weil mich Gottfried liebt, wie sie zu wissen meinen; ich glaube selbst, daß er mich liebt, aber nicht wie sie meinen. Gottfried hat leidenschaftlich geliebt – jetzt hat er mich und das klare deutliche Gefühl, daß ich ihn kenne, ihn verstehe, zu ihm passe, geistig ihm angehöre; – ich glaube, daß er mein bleiben wird, ich vertraue ihm von ganzer Seele, von ganzem Herzen! – Wenn Gottfried je um mich anhält, werde ich, glaube ich, nicht mehr fragen: ob er mich liebt, wie ich ehemahls gethan, ich werde thun, was er irgend will, weil ich ihn zum Herrn meines innern Lebens gemacht habe – von ihm kan ich einzig und allein Rettung hoffen, von einem furchtbaren Leiden, obschon nicht um einen geringen Preis! – – Jetzt fühle ich so oft, daß ich anders bin als alle die Andern um mich, daß ich meine: weil er nun einmal gerade mich so wie ich bin kennt und liebt, so wird er nie von mir lassen. Freilich habe ich tausendmal gedacht, er könne vielleicht noch ein Wesen finden, das schöner, besser, jünger als ich, besser zu ihm als Geliebte – als Frau passe. Seit seinem letzten Briefe, seit seinen neusten Plänen glaube ich daran nicht mehr recht – ich wende mich von dem Gedanken. Wie er mich jetzt liebt – so wird er fortlieben – o Gott, bewahre ihn vor Zwiespalt! – Noch ist jene Gefahr fern, ich glaube, ich hätte den Muth zu sterben, um ihn von mir frei zu machen, wenn solch ein Unglück geschähe! Ich aber liebe ihn so unaussprechlich, daß an kein Losreißen mehr zu denken. Wie ich allmählich zu dem Gefühl kam, wißt Ihr – wie es tiefere Wurzeln schlägt kan jeder sehen, der bemerken will, wie Halbheiten jeder Art mich umgeben und drängen. Aber seitdem das Gefühl mir deutlich geworden, ist jede Art poetischer Ausschmückung desselben geschwunden – ich liebe in Noth und Tod, zu Freud und Leid, ich liebe ihn mit seinen Fehlern, ihn mit all den kleinen Qualen, die er mir geben wird, mit der Aussicht auf Vereinigung oder Trennung, ich liebe weich wie ein Weib, und eisern wie ein Mann. Gestern sagte ich: ich fürchte mich – ich kan mir denken, daß, wenn ich seine Frau wäre, ich mich zuweilen unglücklich fühlen würde, ich glaube das im Ernst, aber es bleibt kein Zweifel in mir – immer würde das Gefühl von Glück siegen, immer würde die Milde seine Härte durchbrechen mit ihrem Strahl. –
So steht es also in meinem Herzen. Immer ernster, ich möchte sagen gewaltiger, entwickelt sich der Geist, der Ernst in mir. Ich fühle mich frei werden und empfinde, so wie ich nicht durch Ottilien angeregt bin, eine Sicherstellung vor dem Vergehen im Leide, die sehr wunderbar ist. Wenn ich nicht durch Osann herausgerissen werde, kan ich zu einer Lebenshöhe gelangen, die nicht erreichbar schien. Es entwickelt sich eine Größe der Anschauung, eine Beweglichkeit der Kraft, eine Geringschätzung des kleinen Wellenspiels des Menschenlebens in mir. Die Berge und Thäler, die Schönheiten der Kunst und der Natur treten immer näher, nun gehören sie mehr und mehr in den befreundeten engeren Kreis der Gedanken, die nicht ganz mein sind, die gleichsam einen geistigen Umgang mir bilden, der mir den näheren der Freunde lieb macht, den großen der Menge entbehrlicher – aber auch eine tiefschmerzende Sehnsucht erzeugen. Denn ich betrachte alle meine Lieben, und Alle wenden die Blicke abwärts, lassen mich allein! Können vielleicht nur Männer mich begreifen? Seltsam, sogar Eduard und Stromeyer konnten es, als sie aufgeregt vom gesehenen Schönen kamen. Swaine kam – er hatte mich lieber als je und stand auch schon über mir da, in der freien klaren Lebensluft! Sein Urtheil, sein Verstehen setzte mir geistige Flügel an, ich schwebte eine Weile hoch über dem Abgrunde, an dessen Rande ich stehen muß. – Der Abgrund ist Irrewerden an meinem Glauben. Ottilie war und ist von Natur das edelste, wahrste, reinste Geschöpf, das ich je gesehen. Die Wahrheit in ihr war mit einer so seltenen Kraft verbunden, daß ich sie im 18ten Jahr besser handlen sah als Heinke, denn sie bewies einen Muth, eine Kraft, die ich nie gehabt, nie gesehen. Und nun ist sie in dieser unseligen Ehe dahin gekommen, nichts mehr zu suchen, nichts mehr zu denken, nichts zu athmen, als Liebe! nicht blos das verzehrende schmerzliche Gefühl für Sterling – nein, nur das Glück geliebt zu sein, es zu hören, es zu sehen – und keiner der Männer kan ihr bleiben, wird ihr genügen – in halben Gefühlen soll das vollendet schöne Leben vergehen? Cromie liebt sie – es sind da Dinge geschehen, im Wahnsinn blinder Leidenschaft, die entsetzlich sind. Sie hat sich schön, fest, entschieden genommen, hat nicht die kleinste Schwäche gezeigt, hat keine Koketterie ausgeübt, ihn nicht betrogen. Der Anblick einer Aufführung der »Medea«, die so wunderbare Sachen, die sich auf ihren Zustand passen, enthält, hat ihre letzten Kräfte aufgerieben, sie ward sehr krank. Ich hatte Cromie zu mir kommen lassen, um ihm deutlich zu machen, daß sie ihn nicht liebt, es nie wird, es nicht darf. Ich hatte ihn gebeten, keine so heftigen Scenen zu machen, weil sie Ottilien tödten; endlich ich hatte ihn vor allen Scenen gewarnt, ihm bewiesen, daß jedes Aufsehen Ottiliens Ruf vernichte. Die Sache war mir entsetzlich, aber ich bin die einzige, die fertig Englisch spricht. Ich komme zu Ottilie, sie findet ihn nun sanft und wird mit einem Mahle von der Liebe eines Knaben, es ist kein Mann, gerührt! Sie hatte schon vorher oft gesagt, am Ende werde das doch Eindruck machen, daß er sich gleich bleibe, daß August so unfreund, jener so treu ergeben sei – o mein Gott! sie hatte sich gefürchtet vor dem Schmerz, wenn er schiede, sie behauptet, sich gar nicht beschäftigen zu können – alles erinnere sie an St[erling]! Das Alles aber zeigt verworrene Begriffe, zeigt daß die Grenzen des Rechts sich ihr verwirren, zeigt daß wirklich, wirklich Frauen ohne Tadel sinken, wenn sie nicht durch die Liebe erhalten werden! Und Line, die arme – aber ach die thörigte Line! Alles dies, mehr als diese Blätter fassen, dies Ringen eines Himmels und einer vergänglichen Erde, die doch in unendlichem Kriege bleiben, in Ottiliens Seele – Schwäche und Kraft – Engel und böser Geist – alles das sehe ich schaudernd, staunend, und nichts in mir begreift es. Ich habe Trost und Muth – wenn ich es überlebe, Gottfried zu verlieren, so werde ich nicht untergehen, aber Gott verhüte den Schmerz! Ich, die in zehn Jahren nur Heinke liebte – langsam mich an Gottfried schloß – langsam immer tiefer den Pfeil in eine schon wunde Brust drückte! – wie anders mein Leben! Und wenn es mir gelingt, wenn ich glücklich werde, wie werde ich je ihm begreiflich machen, was Ottilie ist? Ich blicke in Verzweiflung auf eine Menge aufregender Gefühle in Ottiliens Leben zurück, die endlich uns so weit brachten, auch meine eigne Unerfahrenheit verlockte mich in Hinsicht Heinrichs [Nicolovius], daraus indessen ist weiter kein Unheil entstanden. Wenn ich aber so denke, wie eine erste Neigung das Leben bestimmt, kommt mirs so unrecht vor, der jungen Männer Begriffe entweder durch Erklärungen und Wahrheiten zu erhellen, ehe es eigentlich die Natur fordert, ihnen den Glauben an die erste Liebe zu färben, daß er nicht rein bleibt, sondern gleich Unterschiede der Liebe annimmt, da doch die rechte Jugend nur eine kennen sollte – eben so unrecht, als wenn man später Erwartungen täuscht – und Herzen, die schon ruhig schlugen, wieder aufweckt. So aber handelt jeder, der Ottilien naht – weil jetzt in ihrem ganzen Wesen ein Ausdruck von Schmerz und Leidenschaft, von Zärtlichkeit, Stolz, Dehmuth und Verzweiflung ist, der jeder Männer Auge als etwas wunderbar Interessantes fesselt. So sagt ein Jeder etwas, das sie aufregt – nirgends wird ihr auch nur eine Spanne Zeit Ruhe gestattet. Immer treibt man – bald zu Vergnügungen, bald zu Scenen, es ist als hätte ein Wahnsinn sie alle zugleich ergriffen – eine wahre Wuth zu zerstören. Nun ich den einen Schritt mit Cromie gethan – thue ich keinen mehr! auch ich kan ja nichts!
O man sollte Kindern nur einfache Lebensregeln, nur sehr einfache Pflichten geben – ich wollte nur, jeder hätte die 10 Gebote vor Augen! so allein bewahrt man sich rein. Treibt es uns aber hinab – nun dann muthig fort und rasch den Gedanken an das Glück der Erde wie den Erbfeind geflohen! Fängt man an, dem Glück zu folgen, nicht es selbst zu schaffen aus den Elementen, die man hat – wehe! dann ist man verloren!
Den 7ten [Februar].
Was sie glücklich sind diese Menschen mit dem regen Wechsel der Gedanken, Stimmungen, Gefühle! Ottilie sieht aus wie eine Leiche und fährt mit Cromie Schlitten, mit ihm, der – – sie haben alles vergessen. Er ist auch nicht mehr sanft. Sie spricht jammernd von ihrem Unglück, und heute und morgen sind Schlittenfahrten, wo sie tanzt und – momentan alles vergißt! Morgen muß ich eine große langweilige Gesellschaft sehen – ich konte unmöglich es der Mutter abschlagen, wer weiß ob ich gefahren worden wäre. Ich liebe das Schlittenwesen, aber mein Gott, was ist denn nun mehr? Ich aber – ich arbeite, schreibe, dichte, male, musiziere, und immer immer sehe ich in Gottfrieds ödes Leben hinein und sehne mich! und denke, wie ich glücklich sein könte, und fühle, bin und weiß nichts anders als daß er glücklich sein sollte – und bei Gott ich auch! Es könte so schön sein! und sollte es auch, denn mein Leben sollte ein reiner Prachtbau von Ebenmaß und Kraft werden! – O Gott! muß ich das Alles aufgeben lernen?
Am 10ten Februar.
Heute vor zwei Jahren sagte ich Dir Lebewohl! Ottilie war bei mir, ihr Zustand zerreißt mir das Herz! Aber dennoch ist ein solcher Muth, ein solches Aufschweben all meiner Gedanken in mir, wie noch nie! Mir ist als könte mich Gott nicht unglücklich machen, weil wir Beide so harmlos sind, weil ich so wenig will und so klar dies Wollen kenne, so gewiß bin, daß Er glücklich werden soll! – Wir haben viel von H[einke] gesprochen heut und gestern – ich war nemlich doch noch auf der Schlittenfahrt und nach dem Allen, was von Innen nach Außen wogte, gestern unwohl! ich sollte sagen: wohl, denn als die heftigen Schmerzen vorüber waren, dachte ich mir aus, daß er nie sie sehen soll und daß ich ja nach Kopfschmerzen viel angenehmer und geistreicher bin, also aus dem Schmerz wenigstens nicht lauter Dornen entstehen sollen, für ihn.
Den 17ten [Februar].
Heute wieder leidend – den ganzen Tag nichts gethan. Wie lebt man auch! Freitag Clubball, Sonnabend Theater, Sonntag war ich in Jena, Montag im Theater, Dienstag Thee bei Froriep, Mittwoch Visiten, Probe, Conzert – heute war ich krank, morgen großer Thee bei Conta, Sonnabend Theater, Sonntag bei Hagenbruch. Und ich! und ich! Immer möchte ich fragen, wie soll es enden! Wie glücklich Ihr Männer seid, für Euch hat jeder Schmerz eine Handhabe, um ihn zu fassen, für uns bleibt die Last unhebbar, unerträglich! …
März den 3ten.
Und wieder umfassen mich die eisernen Klammern des Schmerzes – ich war bei seiner Mutter – aber es waren Gesichter da, die mich ansahen, und ich konte nicht von ihm reden! Und nun schlägt mir der Schmerz über den Kopf zusammen mit seinen Wogen, Du armes Herz! Ich arbeite sehr, aber ich bin recht leidend, und mir ist als hätten wir gar keine Hoffnung. Man sagt, Fritz [Osann] würde heirathen – seine Mutter wünscht es sehr. Was das alles für Gedanken sind – wie formlose Dunkelheiten packen sie mich an. – Mühsam, mühsam ist's das Schiff zu regieren, in der Nacht, wenn man auch Sterne hat und weiß wohin, es giebt allüberall Klippen!
Den 5ten [März].
Ich bin seit gestern viel kränker. Da schrieb Line einen langen Brief, um mir zu beweisen, ich müsse resignieren weil sie muß. Da schreibt Julie [Kleefeld] – ich soll G[ottfried] kommen lassen, ihm sagen, daß ich mit nach D[orpat] will, ihn heirathen – weil ihre Lage unangenehm ist und, wenn sie einen braven Mann hätte, ihr besser wäre – da meint Louise [Kirsten], mir sei gar nicht zu helfen – weil ihr nicht zu helfen – die Mutter, ich solle hübsch gelassen lieben, dann fände sich's – weil sie alt ist – Ottilie – da mich G[ottfried] liebe, ich ihn, müsse ich selig sein, und weiter sei nichts nöthig – weil sie, in ihrer Lage, nur Liebe überall vermißt, und nur sie allein auf Erden sucht und daran eben untergeht. O du menschliche weise Philosophie – ist denn die heimliche Narrenkappe des Egoismus, die wir bald »Guter Rath« – »ruhige Ansicht«, »Theilname« nennen – wirklich für alle Köpfe so gerecht? Und ich? nun ich habe auch wieder eine neue Melodie auf das alte Lied vom Fahnenschmied. – –
Neulich sagte mir Ackermann: »Sie sind mir in einem Punct unbegreiflich. Sie sind ein höchst ungewöhnliches Wesen, und doch sehe ich Sie von gewöhnlichen Menschen umgeben, und Sie sind freundlich, gütig – es scheint Ihnen wohl!« – – und vor wenig Wochen sagt Swaine: »Sonst wurde Ihnen vielleicht das Leben gar zu leicht, Alles gelang Ihnen, es lag Ihnen wenig oder nichts daran, wie Sie beurtheilt wurden, nur das Brillante, das Leichte, Schöne zog Sie an – Sie übersahen das Einfache und oft das Edle und Gute, weil es keine schöne oder keine schimmernde Außenseite hatte. Nun sind Sie so freundlich! Sie haben das Einfache lieben lernen, und sonst fand man Sie liebenswürdig, jetzt liebt man Sie!« – O Männer, oder Menschen! o Urtheile!! und am Ende haben beide Recht.
Ich wollte ich könte über den neuen Freistaat Weimar schreiben. Es herrscht hier nemlich eine weit größere Freiheit als die Preßfreiheit! eine perennierende Naivetät. Oder – was sonst? Oft schon erwähnte ich, daß es hier erlaubt ist, unter der Rubrik von Eigenheit Character und Eigensinn, Unarten und Tugenden zu haben, und daß der große Hauptschild: » sie ist nun einmal so«, vor dem Steinigen der anderen Städte schützt. Man läßt die Leute lebend, nur müssen sie ganz apart, nicht etwa nur so was weniges abweichend sein. Auf diese Weise verzieh man der P. ihre Liebe zu F., der S. die zum T., Linen [von Egloffstein] ihre Unarten und ihr Kopfhängen, und mir hunderttausend Dinge, weil ich sie sehr entschieden that. Allmählig nimmt das Ding zu. Jetzt will Paul und Peter wenigstens in einigen Stücken Freiheit haben, und da sind denn folgende Freiheits- und Naivetäts-Artikel angenommen: Eine Dame von Geschmack, wenn sie nemlich zum Hofe gehört, hält sich einen Engländer, der hübsch – oder garstig, klug oder auch dumm sein kan, ohne daß der Tugend oder dem Geschmack oder dem Verstande der Dame irgend ein Nachtheil daraus erwachse. Ferner eine Mutter, sie mag zum Hof oder nicht gehören, schlägt sich, falls sie eine tanzbare und schlittenfahrtbare Tochter hat, zu dem englischen Heer – vertheidigt sie auf Leben und Tod und sieht sie mit Entzücken bei sich. Sie hat dabei eine Retourchaise der Jugend zu benutzen und sich der Zeiten von den Belvedereschen Engländern zu erinnern, lobt die Jugendfrische, Frohsinn und Offenheit, allenfalls noch die Einfachheit – dagegen vergißt man alles, was sie gesagt hat, als vorig Jahr ihre Tochter noch nicht tanzbar war, – eine solche Mutter darf also in diesem Jahr alles widerrufen, ohne Nachtheil. Ferner alle jungen Frauen dürfen sich mit Liebhabern necken, wenn ihr Mann gegenwärtig ist, alle junge Mädchen von einem Engländer Stunde nehmen, alle Mädchen, die keinen erwischt, ganz offen über Alle herziehen, alle Frauen von offenbarer Bosheit einer Andern reden, die einen nicht vacanten Liebhaber gewinnt, alle Leute englisch für die Sprache der Engel halten – und alle Esel und Gänse über Byron urtheilen, ohne daß außer dem Aerger der jetzigen sehr unbedeutenden jungen Männerwelt irgend ein Nachtheil, irgend ein Verdruß zu erwarten, oder auch nur ein ironisches Lächeln zu fürchten. Nun wäre alles dies ganz in der bürgerlichen Weltordnung passend, aber was man sonst mit unendlichen Mäntelchen und Hüllen deckte, mit großer Sorgfalt leise leise errathen ließ, dazu nimmt man jetzt noch eine recht tüchtige Trommel mit und posaunt's aus, daß ein jeder es wisse! – Die Herren wüthen und schimpfen – wäre das sonst gemein wesen?? Die Damen lassen sich die Cour so sonderbar machen – hieß das sonst kokett? – Die Mütter – war das sonst Schwäche? Die Mädchen reden – hieß das nicht Neid und Klatschen?? Etc.! Etc.! Viva la libertà!
Den 20ten März.
Sterling hat an Soret geschrieben! Sein Vater ist zurück und sehr mit ihm zufrieden, Sterling ist so sehr mit Geschäften überladen gewesen, daß er nichts anderes hat treiben können. Er hat in den Tagen seiner Anwesenheit in B[erlin] geschrieben und gleich nach Ankunft des Vaters. – – –
Und ich? bin drei Wochen krank gewesen, herzlich krank und bin es noch, habe eine helle Phantasie, aber eine Tiefe des Schmerzes, wie ich sie nie gekant. Jetzt muß er sich entscheiden – ob er Dorpat verläßt – ich gieng lange nicht aus, seit vier Wochen war ich nur in einer Gesellschaft des Hofes, ich fühle, wie alles Interesse an ihnen, an ihrem Treiben und Wesen mich gänzlich verläßt, alle die alten Lebensbande sind zerrissen, ich bin zu dem Allen unfähig geworden, und das fühle ich schmerzlich. In wenig Tagen kommt Eduard [Gnuschke], ich freue mich sehr darauf – auch Stromeyer wird kommen. Stromeyers Bild schwebt mir höchst liebenswürdig vor und mischt sich stets mit meiner Erinnerung an Sterling.
Und Felix Mendelssohn war hier! und war geworden und im Werden alles dessen, was ich gehofft, geglaubt und liebte mich noch! – Nachmittags Sonnabend kam er – nach einer Stunde war er mit Ullen [Ulrike von Pogwisch] bei mir. Ich ging mit in den »Achill«. Er stand hinter mir. Der Vater kam auch, und beide waren wie sonst. Allmählich taute der stille, gestreifte, eingehalsbindete Felix auf. – Allmählich leuchteten die lieben Augen wieder, aber er war höflich, verlegen geworden. Er war nun da, wo ich ihn im Geiste früher gesehen – er war 16 Jahre. Abends brachten wir bei Goethens zu, aber Felixens Vater war unwohl. Ich saß bei Tische neben ihm, wir sprachen gedrängt – eilig, aber doch so, daß wir gleich wußten, was wir aneinander hatten. Am folgenden Tag kam er um 9 Uhr morgens. Bald waren wir wieder auf dem alten Fleck. Ich drohte, ihm etwas an den Kopf zu werfen, wenn er nicht wie sonst wäre – er wurde nicht wild, aber zutraulich, sprach von Rietz, von seiner Familie etc. – Dann spielte er und wie! Ich hatte ihm allerlei aufgegeben. Es mißlang ihm und nun bat er, sich ausspielen zu können, was ihm eben einfiele – und spielte sich. Ein ernstes, sehr bewegtes Gespräch war die Folge. Den Abend brachte er hier zu, der Vater aber war krank geblieben. Das drückte Felix sehr, und hier im Hause lag die Völkeln in Wochen, also konnten wir abends nicht spielen, was uns allen beiden ganz entsetzlich war. – Als er ging, sagte er, daß er am andern Morgen wiederkomme, und vor 9 Uhr trat er in mein Zimmer und sagte mir, »um 10 Uhr habe der Vater den Wagen bestellt und wolle fort.« Ich sah ihn an. Er war leichenblaß. – »Das ist mir außer dem Spaß, Felix,« sagte ich. – Ich kam nicht darüber hinaus. – »Eben wenn mir etwas ernstlich nahe geht,« erwiderte er mir sehr fest und ernst, »dan habe ich keine Worte mehr«. Wir sprachen wenig nur – er wollte mir zuletzt noch das Adagio von Beethoven spielen. – Er hatte eine Stunde nur, wollte zu Goethe und zur Eberwein. Aber er spielte. Mir stürzten die Tränen aus den Augen. »O wie schön!« sagte ich. Er sprach wenig Worte über die Komposition, und unwillkürlich sagte ich: »Aber wie schön hast Du es auch vorgetragen. Vor 4 Jahren hättest Du das nicht gekonnt.« – Wir hatten uns vergessen. – Ich nahm mich rasch zusammen und sagte, ihn wieder Sie nennend, denn er ist ja, obgleich er noch aussieht wie 14 Jahre, kein Kind mehr, daß ich erst jetzt, da ich ihn etwas Fremdes vortragen höre, sein Spiel beurtheilen könne, und nun sprachen wir noch über Beethoven. Er versprach mir in 8 Wochen alles mitzubringen und zu spielen, was er kenne. Dann spielte er noch ein Stück Adagio – konnte es aber nicht enden. Und nun sollten wir scheiden. Ich reichte ihm die Hand, und er legte seine hinein. Ich hielt sie ruhig und hatte mich plötzlich wieder. – Wir sprachen über das graue Buch, und ich sagte ihm, ich wolle keinen Spaß mehr hinein haben – höchstens seinen Namen – oder etwas Ernstes. So sprachen wir fort, und ich sagte ihm: »Mir war daran gelegen, Sie gegen mich wie sonst zu erhalten, und es war unmöglich.« – »Warum?« sagte er. – »Weil Sie kein Kind mehr sind. Sie sind erwachsen, Felix, und so verliere ich oder fürchte, Sie zu verlieren.« – Er fragte, ob ich denn nicht mit ihm zufrieden sei. Er sei ja nun nicht mehr wild – ob er sich gestern nicht gut betragen, ob ich denn nicht ihn loben müßte. – Ich weiß nicht, was ich noch sagte. Wir sprachen vom Wiedersehen. Da sagte ich: »Es wird sich dann leichter machen, dann habe ich mich gewöhnt, aber« – er sah mich wehmüthig an – »es ist ja gut so«, fuhr ich fort, »glauben Sie mir, ich werde immer Sie ebenso lieb behalten. Sind Sie nun zufrieden? War alles gut? Und haben Sie mich auch noch so lieb?« – Er sah mich an und wurde rot wie damals, als er ein Kind war. – »Darauf ist keine Antwort.« – »O doch«, fuhr ich sehr freundlich, aber sehr ruhig fort, »Sie könnten sagen, ja, ebenso freundlich und herzlich wie sonst, wie Sie eben vom Wiedersehen sagten.« – Er brachte es nicht über die Lippen. – Aber ich sah, er hatte mich lieb wie sonst, nur kam ich ihm wie ein Mädchen vor und behandelte ihn doch mit der Ueberlegenheit einer Matrone; er sah mich sehr bewegt an. – Ich fürchtete ihm weh zu thun und schwieg. – »In 8 Tagen,« sagte ich. – »O nein!« rief er. – »In 8 Wochen,« sagte ich lachend. »Ja, höchstens in 8 Wochen.« – Er ging. Ich blieb zurück. O Gott, solch einen Sohn!
Den 21ten März.
Vergebens! vergebens all mein Wollen, all mein Sinnen – der Schmerz tödtet mich, daß er nicht schreibt! und wieder fassen mich die Dämonen des Zweifels. Großer Gott! wenn er mich nicht liebt! und ich habe Jugend, Kraft, Muth verloren – und muß nun aushalten in dem wüsten, leer, ganz leer gewordenen Leben – wie soll ich mich selbst fassen! o nur Gewißheit, Gewißheit und wenn sie mich tödtet – Sehen – sehen! – und dann es fühlen, dann komme was da wolle. Wie ich scheu geworden, ich traue mich nicht von ihm zu reden, damit mich der Schmerz nicht umwirft! ich traue mich nicht Linen zu schreiben, ich möchte mich immer beschäftigen, und durch alles hindurch leuchtet der eine brennende Gedanke: warum schreibt er nicht? Nun ich ihm gestanden habe, daß ich es nicht ertragen kan! Am 17ten Januar gieng mein Brief, den 26ten muß er in Dorpat gewesen sein, und heute ist der 21te – das sind 43 Tage!
Den 30sten April.
Ich hatte Dich so oft gebeten, Vater im Himmel, mir einmal, einmal nur das Gefühl geliebt zu seyn im vollen Maaße zu geben, wie Du Deinen Lieblingen es gewährst – ich danke Dir, ich war geliebt! Es waren nur fünfzehn Tage – ich habe aber viel gelebt – viel überlebt! – Fort meine Gedanken, haftet nur auf dem einen Bilde dieser Liebe – in deren Reinheit ich gelebt, ohne vor Dir, mein Gottfried, zu erröthen! – Eduard [Gnuschcke] war da. Ich war glücklich wie fast nie, Gerstenbergk war fort, ein Zufall offenbarte Eduarden meine Vergangenheit – die lange Qual meines Lebens. Ich war aber frei! Gerstenbergk war fort! ich genoß das Glück so still und friedlich! Es waren viele Bälle, Eduard gefiel sich, mir und Allen. Morgens hatten wir englische Stunden, wir machten Musik, wir waren glücklich wie fromme Kinder am Sonntag. Wir erwarteten Stromeyer – ich fürchtete, daß er Ottilien gefallen könne, ich fürchtete die versengende Flamme für meinen Liebling. Ich fand Eduard wortkarg, wenn er von ihm redete, ich fragte ihn, ob ich ihn recht geschildert – er stockte – ich argwohnte in seiner Erregbarkeit geheime Eitelkeit, ich fragte, und Eduard gestand, er sei eitel. Es that mir weh, ich empfand den Schmerz einer Täuschung, ich schämte mich, Eduard war außer sich, er schien den Freund mehr als mich zu lieben, er bat, beschwor mich ihm zu sagen: was mein Urtheil über Louis verändere – ich wußte es nicht, mir schnitt ein geheimer Schmerz tief ein in das Herz. Es that mir leid, aber ich glaubte, er werde mir misfallen. Wie anders Eduard! Das reine Aetherblau des Frühlingshimmels dieser Seele hat mich so oft, so fromm beglückt! – Donnerstag morgen fuhr ihm Eduard entgegen, er brachte wartend mehrere Stunden in Erfurt zu und fand den Freund nicht. Mittags kam er allein zurück. Wir giengen aus, wir warteten auf alle Weise, keine konte uns das Erwarten bergen. Ich, die immer Langeweile für Edchen fürchtete, freute mich sehr, daß er nun den Freund haben werde. Als wir beim Thee saßen, mit Natalie – kam Er – er schien Eduard mit der Heftigkeit des erregtesten Gefühls in die Arme zu schließen – die Menschen hatten sich vierzehn Tage nicht gesehen, zum erstenmahl hatten sie einander geschrieben, Eduards Brief hatte etwas Kaltes, Alltägliches gehabt, Stromeyer hatte gelitten, nun hatten sie sich wieder! O wie waren sie so jung und selig, und thörigt, und wie rührte mich diese Jugendlichkeit! – Stromeyer schien mich anfangs zu übersehen, als er aber am Theetisch saß, so waren seine Augen noch wie sonst, voller Liebe und Freundlichkeit, doch hielt er fortwährend Eduards Hand in der seinen und war so mit dem einen Gefühl erfüllt! Mir war, als könne ich sie wol gar stören! Ich saß sinnend zwischen ihnen, allein, Natalie gieng, ich fühlte wie Eduard an Danzig, an seinen Emil dachte und zum erstenmal das Zwischen hier und zwischen dort des Lebens mit leisem kämpfenden Schmerz seiner Seele ergriffen hatte. Ich hätte weinen mögen, dachte an Julien [Kleefeld] – vergehen hätte ich mögen, das Leben sah so drohend auf die Beiden! Da saß und sprach ich mit ihm, mit ihm und Eduard so recht aus der Seele heraus, aber ich fühlte, ich hatte sie und das Gespräch in der Gewalt, und machte die Wirthin freundlich und gern. Am andern Morgen sah Stromeyer sehr schön und fröhlich aus, er gieng mit Eduard zu Goethens, denn indem ich nach Hause kam, fiel mir ein Brief Gottfrieds in die Augen – ich konte nicht – ich las und litt und jubelte und ließ meine Söhne, so nannte ich sie gern, voran. Ottilie sang – sie gefiel ihm sehr, er hatte sie gerade so sich gedacht. Wir giengen zusammen Abends – ich meine denselben Abend zu Julie E[gloffstein] und sahen tableaux – Stromeyer sprach viel mit mir und nannte mich Adèle. Es fiel mir wohlthuend auf. Donnerstag war er gekommen. Sonnabend giengen wir ins Theater. Ottilie kam am Morgen. – – Am Sontag bat ich einige Damen, wir machten recht schöne Musik. All diese Tage hatte Louis mir oft Artigkeiten gesagt; lachend gestattete ich ihm 3 Komplimentstage und neckte ihn. Er fing aber an, mich in das größte Erstaunen zu setzen, daß er an dem Abende eine Leichtigkeit des Betragens, eine Art Affectation und Eitelkeit bewies, die ich ihm nie zugetraut – er war der Mann von Welt, sang Bravourarien, führte die Damen an's Klavier – und sangen sie, so saß er, sah schweigend in meine Augen und vergaß sich wieder – war wieder was er immer seyn sollte! Abends hatte er mit mir um die Wette gesungen, ein Lied, das er besser als ich vortrug – ich bat eigentlich darum. Als die Leute fort waren, sagte ich lachend: »Nun, mein lieber Stromeyer, mir sind doch im Leben allerlei wunderliche Nationen und Menschensorten vorgekommen, aber wahrhaftig kein wunderlicherer als Sie; ich verstehe Sie im Grunde noch gar nicht und weiß kaum, ob ich Sie aus Manomotaga oder aus Buxtehude sein lassen soll – so unbekannt und fremd ist mir noch heute Abend allerlei gewesen, ich muß noch viel studieren.« Damit wandte ich mich lachend ab und bat um Erlaubniß, nun das Lied zu singen – ich sang es jetzt besser als er – und wie in D[anzig]. Eduard sagte mir's; Louis kam mir nach, setzte sich neben mich und bat mich mit großem wehmüthigen Ernst ihm zu sagen: was ich nicht in ihm verstünde? Ich tändelte und wehrte ihn lachend ab. Er wurde sehr trübe, sehr dringend. Rasch faßte ich mich. »Stromeyer«, sagte ich, »ich rede solche Dinge nicht gern, aber weil Ihnen vielleicht nie Jemand sagen wird und Sie es wollen, will ichs aussprechen. Sie vereinen zwei sich widerstrebende Dinge in sich; der liebe Gott, scheints mir, hat Ihnen eine einfache, natürliche, weiche und sehr reine Seele gegeben, die mehr der Stille und allem Edlen zuneigt, dazwischen erscheinen Sie mir dann mit einemmahle wie Jemand, der in der großen Welt gelebt hat, darin ein wenig eitel geworden ist, das Brillante sucht und Aufsehen machen will. Sie haben oft das Herz eines Kindes, und dann wieder die Art eines Weltmannes, vereinigen läßt sich das nicht, und so verstehe ich nicht, wie Sie dazu gekommen sind, denn das erste ist Ihre ursprüngliche Natur«. O welch ein Aufblitzen des Schmerzes in dem Ausruf beider jungen Männer! Eduard sagte mir, dies sei sein ewiger Vorwurf, diese Unwahrheit, die doch nur scheinbar sei, habe ihn oft mit Stromeyer entzweit. – Stromeyer wiederholte dasselbe, aber auch daß es ihm nie so deutlich, so ganz einfach und herzlich gesagt worden, er küßte meine ihm dargebotne Hand und beschwor mich ihn zum Rechten zu leiten, denn mit der Gewalt habe nie ein Mensch zu ihm geredet und ich allein vermögte es, ihn abzuziehen. Ich hatte noch viel einfacher gesprochen; ich sagte ihm nun, er sei so gut und so viel liebenswürdiger, wenn er ganz natürlich bliebe. Eduard und Er hatten Thränen in den Augen und waren sehr aufgeregt; ich hatte den Punct berührt, der ihnen in ihrem Umgang der wichtigste war. Ich nahm nun Stromeyers Hand und führte ihn hinüber, bat freundlich nun, uns Alle zu beruhigen und mir zu vergeben, daß ich ihm vielleicht wehgethan. »Nicht wahr, morgen früh ist Frieden?« sagte ich halb lachend, und zur Mutter: »Wir haben uns heute Alle ein bischen gestritten« – »aber ohne Krieg zu machen«, fügte Er hinzu; als sie gieng, trat er näher und sagte mir: »Adèle, erst jetzt beglückt mich Ihre Nähe ganz, nun bin ich offen gewesen, Sie kennen nun meine Fehler, morgen müssen Sie sich noch eine Geschichte gefallen lassen, o nun ist erst alles gut, nun erst. Sie haben mich unendlich geehrt, mir wohl gethan, glauben Sie mir.« – »Gute Nacht«, sagte ich leise – und Er gieng. Ich sprach mit Edchen, der mir dankte und meinte, ich hätte gesprochen, wie er es nie gekont, und es werde auf Stromeyer einen bleibenden Eindruck machen, weil er mich so sehr liebe, ich hätte das alles so gut, so schön gemacht, und nie könne er mirs genug danken – er drückte mir die Hand und gieng. Ich blieb ernst und ahndungsvoll – aber ruhig allein – ich kam mir vor wie ein Kind, denn ich sah an meinen Worten gar nichts Besonderes, und sollte doch etwas Besonderes damit gethan seyn!
O der nächste Morgen! –
Wie ich gezögert habe, und doch! – Natalie kam, ich bat ihn, mir the broken Heart in ihrer Gegenwart zu lesen. Eduard, dem ich seit seiner Ankunft keine Stunden mehr gab, weil wir nicht allein waren, gieng zu Ottilie. Louis zitterte, ich habe nie jemanden so wunderbar befangen gesehen, er konte kein Englisch mehr, die Lettern tanzten ihm vor den Augen herum; ich begriff es nicht. Dennoch erlaubte er mir nicht, für ihn zu lesen; wie ich es einmal bestimmt, sollte es sein, er las fort. Endlich war er fertig. Natalie gieng bald, und ich blieb allein mit ihm. Ich sagte nur wenig Entschuldigendes, daß ich ihn zum Lesen vermocht hätte und nun gesehen, wie ungern er's thue – gleich kamen wir ab, und er sagte mir, daß er noch über gestern reden müsse. Ich weiß nicht, was er sprach, nicht was ich erwiderte, nur daß ich plötzlich von ihm hörte, daß ich zuerst mit ihm gesprochen so daß er sein ganzes Wesen durchdrungen fühle, daß er nie einem Menschen tiefer, inniger vertraut, daß ich sein Leben umgestaltet – daß ich sein guter Engel sei. Ich war sonderbar ruhig, obschon er mich unendlich rührte. Einmal sagte ich, indem ich seine Hand zwischen den meinen hielt: »Guter Stromeyer, versündigen Sie sich nicht, Sie haben eine so liebe Mutter, eine so liebe Schwester, es ist ja also nicht möglich! Lassen Sie sich nicht davon hinreißen, daß eine Fremde zuerst Ihnen sagt, was jene wohl oft gesagt haben, gewähren Sie der Aufregung des Augenblicks nicht allzuviel«. – Mir fehlt nun wieder ein Theil unseres Gesprächs; er ward immer inniger und heftiger, er zitterte und eine Ader im Gesicht pulsierte sehr heftig – »Sehen Sie, Louis«, sagte ich, »Sie machen sich krank und ängstigen mich sehr«. – Er erzählte nun aus seiner Vergangenheit, doch weiß ich abermahls nicht genau, wieviel ich den Morgen, wieviel später erfuhr – mich dünkt, die Geschichte des Ringes theilte er mir erst später mit, er sagte nur »ich müsse sie mir noch gefallen lassen«. Ich finde mich stehend mit ihm am Fenster, seine Aufregung machte mich ängstlich, und diese Aengstlichkeit erhielt mich kühl. – »Stromeyer«, sagte ich, »ich glaube Ihnen nicht, aber bitte ändern Sie die Worte, seien Sie ruhiger, übertreiben Sie nicht; Sie haben mir gesagt, ehemals hätten Sie sich in jede Stimmung hineinversetzen können, lassen Sie mich nicht denken, Sie hätten sich zu dieser exaltiert, sehen Sie, aus Schonung seien Sie ruhig, mich hat Leidenschaftlichkeit in Männern so oft erschreckt und geängstigt, ich habe keinen Schild dagegen; wenn ich Ihnen glaubte, und Sie, wie ganz natürlich ist, anders würden, so wäre der kurze Irrthum, den Sie uns sparen können, ein langer ausgedehnter Schmerz; mein Herz kan nicht vergessen, also, lieber Stromeyer, seien Sie gelassen wie es unserer Lage eigentlich natürlich«. – Sein todbleiches Gesicht, das Ersterben aller Züge, das Vergehen alles Lebens, das Schwanken der Gestalt, den furchtbaren schmerzzuckenden Zug um Mund und Auge – Einen Moment und er wäre zusammengebrochen. – Und was hatte er gethan? In schöner jugendfrischer Exaltation sah er ein Menschenherz, aber ein nicht unedles, für einen Himmel voller Engel an! – Das war Alles! Ich hätte ja erröthen müssen, mehr zu denken – ich stand vor ihm und legte meine Hand auf seinen Arm. »Ich will Ihnen glauben«, rief ich, »aber um Gotteswillen sehen Sie nicht so verzweifelnd aus, Ihnen selbst will ich glauben, ich will mich sogar lieber täuschen lassen, aber um Alles, sehen Sie ruhig aus, diese Qual in Ihren Zügen kan ich nicht sehen!« O es ist wenig, die Sonne aufgehen zu sehen, wenn man einmal einen solchen Himmel in einem schönen reinen Menschenantlitze aufgehen sah! – Er sah mich an – so seh ich den Himmel an, wenn ich an Heinke denke, an Gottfried, an Ottilie, an den Reichthum meines Lebens! Er zog meine Hände an sein Herz, meine ganze Gestalt zu sich, aber er berührte mich nicht – kan man einen Kuß denken? ich erröthete plötzlich, als ich das Gesicht voller anbetender Liebe zu mir gewendet sah, es war als neige er sich tief – tief, als küßten mich die Lippen wie ein Gläubiger ein Heiligenbild – »O bitte, bitte«, sagte ich und machte mich los und stand vor ihm – aber er sah mir nach, als wäre ich aufwärts geflogen, und hatte keine Worte.
Am Nachmittag erneute sich die Scene, ich bat ihn nochmahls, ruhig zu sein, ich sagte ihm, daß ich es glaubte, nur nicht begriffe. Als wir am Fenster standen, fühlte ich seinen Arm, der mich leise nach sich wenden wollte, ich sah ihn an und er ließ mich sogleich; aber als ich ihm sagte, ich könne mich nicht finden, begriff er's nicht, denn ihm war als sei es immer so gewesen, nie anders, und er meinte, ich müßte ja überall so geliebt sein. Abends sagte ich's Eduard, der mich fragte: ob er mir vom Ring erzählt habe, und etwas eifersüchtig schien, doch bat er mich ernstlich, morgen um Alles in der Welt nicht zurückhaltender und ernster zu sein, Louis liebe mich und verehre mich unendlich, ich könne ihm seine Fehler abgewöhnen, hier viel Gutes thun, diese Erregbarkeit liege nun einmal in seinem Wesen, er treibe und liebe Alles leidenschaftlich, doch habe er nie eine Frau verehrt wie mich, morgen werde er ruhig sein, Eduard kenne ihn ja, morgen würde Alles ganz anders – ich gab Eduarden mein Wort. Vielleicht war das sehr unklug! –
Am andern Tage war er ruhig. Aber Nachmittag sah er mich wieder mit jenem unwiderstehlichen Ausdrucke hingebender, grenzenloser Liebe an – ich gieng mit zu G[oethens]. Eduard war entzückt, aber doch faßte Louis meinen Mantel, um mir ihn umzuthun, und diesen günstigen Moment, um mich zu fragen: ob ich nicht zufrieden, ob er nicht ganz sanft, ganz ruhig sei?
Abends sagte ichs Eduarden. – Am folgenden Tage wiederhohlte Louis alles – er entdeckte mir seine ganze Vergangenheit – mußte ich ihn nicht bedauern und lieben? Ich fühlte, wie mir ein neuer Schmerz erwachse, dachte so unendlich viel an Gottfried und war still betrübt. »Ich fange an Sie sehr zu lieben, Sie werden mir Kummer machen«, sagte ich, »denn das Alles kan nicht dauern«. – »O wie kan es Ihnen fremd sein«, rief er, »und mir so als wäre es immer gewesen«. Ich fühlte, daß er mich leise zu sich hinzog, einen Moment ruhte mein Gesicht an seinem Arm. – »Vor acht Tagen noch war mir das Herz fremd, und jetzt ruhe ich daran!« rief ich ziemlich heftig und zog mich zurück – seine Augen leuchteten. »Nein, nein Adèle, es war schon in Wiesbaden, es war schon viel früher, lange ehe ich Sie sah, war es schon so! Ich habe Sie schon über ein Jahr lang geliebt.«
So gieng es nun täglich, ich überzeugte mich, daß ich geliebt sei wie ich es nie gewesen, genoß zum erstenmahl der Gegenwart der Liebe in vollem Maaße, hörte wie glücklich er sei, lernte ihn kennen wie mich selbst, – ich hatte Momente, in denen es mir war als sei ich plötzlich jung und schön, denn seine glühende Liebe riß mich fort, ich konte gar nicht begreifen wie er so selig war – aber ich glaubte mich nicht leidenschaftlich geliebt – es vergiengen noch viele Tage, ehe es dahin kam. Um 10 Uhr kam er morgens, um 11 Uhr abends gieng er. Diese ganze Zeit blieb er bei mir.
Eduards unselige Bitte, nicht fremder zu thun, und seine Versicherung, Louis sei erregbar, dunkle Erinnerungen an Kügelgen rissen mich fort, ich wollte mir die Möglichkeit nicht bekennen. Fortwährend nannte ich ihn meinen Sohn, ich blieb immer ruhig, immer hingebend freundlich, aber wie eine liebende Schwester, mehr fast wie eine Mutter. Auch trugen seine Liebkosungen das Gepräge des kindlichsten Herzens, er legte seinen Kopf auf meinen Arm, barg das Gesicht an meiner Schulter und hielt mich still und freundlich bei der Hand – diese mißte er ungern, er war so ruhig! Dennoch schalt ich ihn, aber er antwortete: »Wie kann ein Unrecht sein, wo man so ruhig, so glücklich ist? Glauben Sie mir, beides war ich nie so wie jetzt, seit ich um Sie bin«. Allmählich hatte ich mich gewöhnt, das zu hören, zu sehen, und mir war das Herz still, denn nie zeigte er sich heftig leidenschaftlich, nur hingebend, fast wie eine Frau liebte er. Abends gieng er nie mehr vor dem Essen fort, die Mutter hatte sich darin ergeben, lieb war's ihr nicht, doch zog Louis' Geist sie an; wir saßen Eduard und ich auf dem Kanapee, Louis neben mir auf einem Stuhl, er hielt meine Hand und küßte sie oft und leise – Eduard erschrak. Nun sah er mit einemmahle den Abgrund, Louis' spielende Zärtlichkeit kante keine Grenzen, überschritt nicht eine innere zarte Grenzlinie, die er sich unbewußt gemacht, denn allenfalls konte ein Anderer zusehen, aber sie hatte nichts Freundschaftliches. Nun verglich Eduard unsere Verhältnisse und unser Betragen – er errieth, daß Stromeyer mich liebe, und wir sprachen davon. Es waren schreckliche Stunden – bald war mir als achte mich Eduard nicht mehr, bald als quäle ihn Eifersucht, bald als hätte ich Unrecht gethan gegen Osann. Die Vertraulichkeit ward quälend. Ich saß mit ihm und erzählte von ehemals, von meiner frühesten Zeit, er war traurig – ich nannte ihn Du, bat ihn, mir den Ausdruck zu vergeben, weil er das schöne Zeichen der Neigung in meiner Muttersprache sei, ließ mir seine Beichte wiederhohlen, stellte ihm vor, daß, wenn er gegen eine Andere gewesen sei wie gegen mich, es sie habe fortreißen müssen, daß er Unrecht thue in diesen leidenschaftlichen Aeußerungen, sprach von Heinke, von den herrlichen Menschen, die ich gekannt, ließ ihn deutlich fühlen, daß ich wohl längst geliebt eigentlich ausgeliebt. Er sog die Worte von meinen Lippen, möchte ich sagen, so ruhten Geist, Sinn und Herz auf meinen Zügen, aber er blieb sich ganz gleich. Der Schmerz blieb und die innige Hingebung; ihm fiele ohnehin nie ein, daß ich ihn lieben könne. Einmal habe ich ihm gesagt: »Louis, versprich mir, daß Du nie einem andern Mädchen gegenüber sein willst wie jetzt, Du machst sie elend! und trübst Dein Gewissen. Wenn ich Dich nun liebte!« Er schüttelte den schönen Kopf und erwiderte ganz entschieden: »Ich wußte immer, daß ich Dir Alles sagen kan, ich brauchte ja Dir gegenüber nicht der Vorsicht!« So oft ich ihn über seine Jugendneigung, über das eigentliche Elend seines Lebens fragte, versicherte er mich, daß er unschuldig sei, nie verwirrte er sich in der traurigen Geschichte. Louis' Mutter war eitel auf des Sohnes Vorzüge, Sophie war ernst und allzu zurückhaltend. Er stand mit glühendem Herzen allein. Er fand eine Freundin, eine Witwe mit 2 Kindern. Erst spielte er mit ihnen und bildete sich ein, die Frau sei seine Freundin. Das Verhältniß blieb nicht rein, nicht nur riß ihn die Frau in wilde wüste Leidenschaftlichkeit hinein, sie vergiftete sogar seine Seele, Louis ward Gefühlskomödiant, schraubte sich in jede beliebige Stimmung hinauf, ward unwahr, lebte im Taumel der großen Welt, Eitelkeit, Auszeichnung, Pracht ward seines Strebens Ziel. Die Mutter hielt ihn nicht – er sank, Sophie blieb fern. Er empfand die Falschheit der eigentlich nicht Geliebten, verließ H[annover], gieng zum Studieren nach G[öttingen], fand Eduard. Ihm zu liebe riß er sich von allen seinen Genossen und Landsleuten los. Er fing an von mir zu träumen und zu schwärmen – er sah mich.
Einmal nahm ich mir vor, dem allen ein Ende zu machen; ich sprach von Gottfried, ich erzählte wenig, aber ich wiederholte, wie herrlich sein männlicher Character sei und daß ich ihn liebte – o Gott es schnitt ihm durchs Herz! Ich that meine Pflicht, aber ich litt, ich that sie so mild – er liebte mich noch mehr, noch tiefer! Aber den folgenden Tag sagte er mir, er liebe mich nicht leidenschaftlich. Nur wollte er nie eine andere mehr lieben als mich, nur nicht heirathen, nur mir leben! Aber ich ward getäuscht, besonders durch ein von ihm geschriebenes Blatt im grauen Buche. Mein Gott wie glücklich war ich in Belvedere! ich gieng wie ein Engel durch die Welt, liebte Alles und wollte nichts als sein und aller Menschen Glück. Wie ertrug – nein, wie freute ich mich daran, seine reine Stirn zu küssen, wie ruhig ließ ich mich von ihm umschließen und sah in die prächtige Nacht seines Blicks! Ich muß erwähnen, daß mich eigentlich ein sehr seltsamer Zufall dahin gebracht hatte, ihn zu küssen. Gerade wie ich ihn so sehr bat, keinem Mädchen zu wiederhohlen was er mir gesagt, wenn er sie nicht liebe, und ungewöhnlich viel von Gottfried gesprochen, da zog mich Louis wie vergehend vor Wehmuth an seine Brust, barg den Kopf an meinen Locken, legte sein Gesicht an meines und preßte seine Lippen auf meine Stirn – aber er küßte mich nicht. Es lag aber etwas so Bittendes, so Trauriges und so ganz Resignirtes in alledem, daß ich mich wandte und, wie ich seinem lieben Gesichte mit den Lippen begegnete, einen flüchtigen Kuß darauf hauchte – ich glaube, in dem Moment hätte ich meinen Feind geküßt. Louis' Lippen brannten auf den meinen, er sah so glücklich aus! aber er blieb ganz ruhig übrigens. Ich erschrak heftig, schämte mich ungeheuer und verbarg mein Gesicht. Er stand sogleich auf und trat ans Klavier und spielte. Ich trat gefaßt zu ihm – es ist wahr, Louis ist der einzige Mann auf der Welt, dessen Liebkosungen ich geduldet und erwiedert habe, ich habe ihn unendlich lieb gehabt, und was ich nicht für möglich gehalten, ich habe mich gern an seine Brust gelehnt – ich habe mich oft küssen lassen später, aber ich glaubte mich nun wieder ruhig geliebt, und Gott weiß wie seine Innigkeit mich zu schweigendem Gewähren verleitete, nicht hinriß. Denn kein leidenschaftlicher Moment befleckt meine Erinnerung, nie zeigte sich Louis sinnlich, nie war er heftig, nie schlug mir auch nur ein Puls schneller. Ich hätte ihn mit meinem Herzen vor der Welt schützen mögen, aber ich hätte ihn einer Andern hingeben können, wenn Er nur glücklich war! Seine Liebe beglückte mich unendlich, es war mir sonnenklar, daß ich mich nie mädchenhaft schüchtern, sondern eher matronenartig herzlich weich und ernst ihm zeigen müsse. Er nannte sich meinen Sohn – und wie die Welt mich richten mag, wie eine Mutter glaube ich habe ich ihn geliebt.
Das Leben trieb mich weiter, ich konte nicht vollenden, doch ist ja hier schon ein deutliches Bild aufbewahrt. Der letzte Abend in Weimar war rührend schön, aber eine entsetzliche Nachricht hatte mich innerlich vernichtet – sie kam von Ottilien. Am andern Tage fuhr ich mit ihnen nach Jena – dort schieden wir.
Den 26ten [July]. Gotha.
Ich bin auf der Reise über Kassel nach Wiesbaden, ich werde Louis wiedersehen! Die Hoffnung, jetzt Gottfried zu sehen, liegt hinter mir – sie wird vielleicht lange, furchtbar lange unerreicht, unerfüllt bleiben. Dennoch bin ich in einiger Hinsicht weit glücklicher als ich war, denn auf jene Anfrage an Gottfried, ob ich Louis schreiben solle, auf mein offnes Bekenntniß, hat er mir einen Brief geschrieben, dessen Eindruck ich nur ein geistiges plötzliches Genesen nennen kan, ich war unaussprechlich glücklich. Seitdem habe ich wieder gelitten, aber durch ihn nicht, nur um ihn. Morgen ein weiteres, mir ist wohl, daß ich reise, mir ist das Leben leichter. Und auf meine Freunde freue ich mich unaussprechlich, denn sonnenklar steht in meiner Seele was ich soll.
Den 27ten [July]. Eisenach.
Es war eine wunderliche Zeit diese letzte. Cr[omie] und O[ttilie] machten mir mitunter Schmerzen, deren bloße Existenz mir ehemahls wie ein schauderhaftes Märchen vorgekommen sein würde. Dazwischen ängstete mich die Arbeit für Wilmans ganz unbeschreiblich, und ein Gespräch mit Fritzen [Osann] trug nicht wenig dazu bei, meine Sorge zu mehren. Gottfried hatte mir nun zweimal geschrieben, jenen herrlichen Brief und einen zweiten durch Doctor Barthels aus Hamburg an mich geschickt, dieser sollte mir erzählen, mich kennen lernen. – Er schickte mir den Brief. Ueberall die herrlichsten Aussichten nach Würzburg und Königsberg, in letzterm Falle vorher eine Reise nach Schweden – ach ich war so glücklich! Es sollte nicht dauern. Fritz klagte Gottfried sehr hart an, er sei gegen die Seinen unfreundlich, er habe der Mutter in einem unpassenden Tone geschrieben und habe sich, wie es schiene, in doppelte Verbindungen eingelassen; da er sich um beide Stellen bewürbe, handle er unrecht, freilich käme es in dieser Sache auf den Gesichtspunkt an, den er einnehme, denn wenn man von dem Grundsatze ausgienge, den Regierungen keine Verbindlichkeit zu haben, gegen den Einzelnen anders zu handeln als gegen sie – dann sei nicht unrecht, was in unsern Augen so erschiene. Ich litt unmenschlich, grausam, und mußte schweigen – durfte gegen Fritz nicht verrathen, wie frühe ich das Alles gewußt – Gottfried hatte ja wegen den Berlinern mir Schweigen empfohlen. In mir war die feste Ueberzeugung, obgleich er mit beiden Universitäten in Verhandlungen stehe, könne er nicht unrecht gehandelt haben; ich wußte obendrein, daß die Würzburger von dem Ruf nach K[önigsberg] Nachricht erhalten. Kaum hatte ich mich aber darüber beruhigt, daß er nicht unrechtlich sich benommen habe, so wirft mich der Abschied von der Mutter ganz darnieder, man wirft ihm Unklarheit, Unvernunft, Leidenschaftlichkeit – Gott weiß was noch vor! Die Mutter, die gerade in der letzten Zeit, wo ich durch seine Briefe so selig war, nicht recht viel von ihm wußte, weil er Einreden scheute, versichert jetzt, zufrieden damit zu sein, daß er nach Stockholm geht und nach Königsberg – aber sie tadelt sein Betragen, seine Ansichten – er sei im Herzen noch nicht fest – es gäbe nur einen Weg, den er ergreifen müsse, um recht zu thun – es sei entsetzlich, wenn ein Sohn seiner Mutter Liebe zu begreifen glaube, weil er irriger Weise ihre Ansichten für übereinstimmend mit den seinen halte. Als ich nun den Worten nachgieng, so kam mir dennoch vor als meine sie diese doppelte Bewerbung und scheute vielleicht ihren Bruder zu kompromittieren. Doch ward ich nicht klar und schied sehr traurig …
Ankunft den 28ten [July]. Abends Oper, »Libussa«, Spohr, Wild. Bekanntschaft der Frl. Robert.
Den 29ten Morgens Visiten, Nachmittags Fahrt um die Stadt, durch die Aue, durch Schönfeld, durch die Köllner Allee. Marmorbad – [Obergerichtsrat] Engelhard, [dessen Frau Louise geb. Waitz]. Thee in der Aue bei [Oberbergräthin] Swedes [geb. Waitz] und der Familie [Direktor] Völkels. Nachhausefahrt um den Teich. Thee bei der Familie v. Meier. Wiedersehn Grimms. Dessen Frau.
Den 30ten früh Louis und Eduard. Das Museum. Bibliothek und Hemmelinks Buch. Bekanntschaft H. und Fr. v. Stein etc. etc. Nach Mittag die Bildergallerie. Theater »Sieben Mädchen in Uniform« oder »Der Unschuldige muß viel leiden«. Abends bei Grimms. Jacob Grimm, der Maler Grimm, Lotte Hassenpflug geb. Grimm. Zeichnungen von Grimm.
Den 31ten Frühstück bei Engelhard in Schönfeld. Fahrt mit Steins, Louis und Edchen nach Wilhelmshöhe: bel rivedere! Mittag dort, die Wasser. – Der Gang mit Louis. Die Blumen-Insel – bei Völkels abgesagt – Die letzten schönen Stunden allein mit Louis und Eduard. – – –
Den 1ten August gepackt, Abschied – Grimm. Fahrt bis Jesberg.
Den 2ten Marburg, die Elisabethenkirche. Gießen.
Den 3ten Friedberg – Abends in Frankfurt.
Einige komische Niederländer voller Kraft und Lust. Unter denselben ein Gasthof, wo alles besoffen ist, die guten Weiber ihre Männer heimführen, der Wirth steht an der Schwelle und überblickt höchst vergnügt und gleichfalls duslich die Folgen seiner Bewirthung und freut sich, daß wenigstens noch etwas getrunken werden kan, weil noch nicht alles liegt. Unter der Menge höchst vorzüglicher Genrebilder, unter denen auch einige französische, fiel mir eines auf: ein schönes Mädchen hat das Bild ihres Liebsten in Händen und auf dem Schooß einen Brief, mit dem es gekommen sein mag, mit aller Holdseligkeit blickt sie aus dem Bilde heraus, als vergliche sie ihn in Gedanken – und obgleich er schöner war, schien sie zufrieden. Ich habe halb Unrecht, dies Bild zu den Genrebildern zu rechnen – aber die Nettigkeit und Genauigkeit der Umgebungen hat mich verleitet, und ich weiß es unter keine Rubrik zu bringen. Zweimahlige Darstellung des Bohnenfestes. Eines dieser Bilder hat einen kleinen Knaben zum Bohnenkönig, seine ziemlich selige Mama und die ganze höchst lustige Kompagnie, in der alle Lieb und Wein und gute Kost zu kennen scheinen, haben mir viel Spaß gemacht.
Der größte Potter, den ich bisher noch gesehen, verdient Erwähnung. Dann giebt es noch eine Menge schöner Thier- und Vogelstücke, ein gemaltes Basrelief und dergl. mehr. Ueberhaupt ists jammerschade, das Alles so flüchtig zu sehen, und hätte mich Louis nicht geleitet, ich hätte wenig oder nichts gesehen. Ein großes Stück von Snyders – wenn der Mann sich nicht Sneiders schreibt! Noch ein ganz allerliebstes Bildchen – eine Flucht nach Aegypten. Die Engel bedienen die Madonna, einige haben das Christkindchen, das ihr zu schwer worden, aufgenommen und tragen es, andere halten ihr den schleppenden Mantel – St. Joseph geht hinterdrein, mit dem Esel – ihm ist gar nicht angenehm dabei zu Muth – er sieht aus wie die personifizierte Lebensplage.
Unter den Italienern eine heilige Familie sehr artig soit dit Raphael. Eine sehr schöne Cleopatra von Guido aus seiner besten Zeit. Eine Paris-Entscheidung von Giordano. Mehrere ausgezeichnete schöne Portraits, ein sehr schöner Türke von Caravaggio. Schöne Männerportraits von verschiedenen der besten Meister. Unter den deutschen Bildern ein sehr schönes Portrait, nach meiner Meinung von einem Schüler von Holbein, soll aber ein Alb. Dürer sein.
Wiesbaden, den 14ten August.
Mein Brief an Louise [Kirsten] ist eigentlich ein hier fehlender Theil meines Tagebuchs. Seitdem habe ich nun an Louis geschrieben, ich hoffe zu Gott, ich habe nicht Unrecht gethan! Ich sehne mich schmerzlichst nach einer Antwort, nach der Versicherung, daß er froh ist. Meine ganze Seele ist so wund auf dem Punct, und doch war ich so selig, so glücklich! Ich bin diesmal rein geblieben von den Vorwürfen, die ich mir sonst machen konte – ich bin auf der Blumen-Insel eine Stunde allein gewesen mit Ihm, ich habe Ihm Alles gesagt was ich zu sagen nöthig wußte, und all meine tiefe, ruhige innige Liebe ihm gezeigt – ich habe die Leidenschaftlichkeit seines Wesens zu bändigen gewußt und ihn selbst nur um so inniger geachtet und geliebt – ich habe ein fast überirdisches Glück genossen, das, einen reinen jungen frischen Menschen um meinetwillen die Zügel seines Lebens ergreifen zu sehen, ihn aufwärts und immer höher steigen zu sehen durch das Gefühl der Liebe, und mir, mir zu sagen, daß ich ihm diese Besonnenheit und Kraft gegeben – im Geist seine herrliche Entwickelung zu schauen, eine Möglichkeit von Glück zu träumen, die fast zu schön für das arme Leben ist! Ich habe Abschied genommen und von Wiedersehen reden dürfen – mein Scheiden war fast ein Triumpf – ich hielt ihn lang in den Armen und war unendlich glücklich! ich bin's noch. Aber die Mühe, ihn mir ferner zu halten, die Scheu, dem Manne, der mich liebt, zu gestatten was mir beim jugendlichen Freunde zur unbewußten Gewohnheit geworden, das immerwährende Zurückdrängen der Aeußerungen seines Gefühls, das hat gerade die letzten Minuten furchtbar leidenschaftlich gemacht – vielleicht mein Werk zerstört! Ich harre auf Briefe. O wenn ich Ihn wiedersehen dürfte!
Einige Tage war ich in Schwalbach bei der Quandt – ein heftiger Schmerz hat mich betroffen – doch morgen davon.
Den 24ten [August] früh.
Gestern in Biebrich, zum zweitenmahle. Mein Paket nach Danzig ist fort, ich habe aber nicht wieder an Louis geschrieben; Eduarden nur wenig Zeilen. Wie mir das qualvoll ist, daß Louis durch seine Unbesonnenheit Eduard und mich in eine Art Zärtlichkeit gezwungen, die eigentlich uns Beiden fremd ist! Ueberhaupt ist da etwas Unklares in des Vetters Wesen, und von der andern Seite ist denn auch wieder etwas Undeutliches in mir. Es ist das gezwungene, fast unaufhörliche Denken an ihn, das leidenschaftliche Empfinden seiner Zärtlichkeit, oft wache ich in dem Gefühl auf, daß er mich in den Armen hält, ich fühle oft seine Lippen, ich sehe seine Augen – noch seltsamer ists, daß ich eigentlich ihm gegenüber gar nicht die Art mädchenhafter Scheu oder Scham habe, die anderer Männer Nähe mir widerlich macht, wie gerne küsse ich seine Stirn, wie gern fühle ich mich an sein Herz gedrückt – wie habe ich mich im Moment des Scheidens zu leidenschaftlicher Erwiderung seiner Küsse hinreißen lassen – und doch nie habe ich Osann tiefer geliebt! Was mich so fest an diesen Louis kettet, ist nichts der Liebe zu jenem ähnliches, ich bin Louis vertrauter, ich scheue Osann, ich glaube, ich könnte mich ihm gegenüber nie so betragen. Es ist wohl das zauberische Gefühl, Glück – vollkommene Befriedigung geben zu können – und dann ist Louis ja so rein, so strahlend gut und lieb wie ein Kind! Vielleicht trägt auch viel dazu bei, daß mir nie vorher ein ähnliches begegnet, so deutlich habe ich mich nie geliebt gefühlt, so überzeugt bin ich nie von eines Andern Neigung, Verehrung – ja sogar schwärmerischer Hingebung gewesen. Aber Nachricht! O Gott, Nachricht daß er ruhig ist! daß ich Ihn wiedersehen darf – denn was es mich auch koste, nur für ihn will und werde ich sorgen.
Und Osann kein Laut! keine Ahndung! o es ist doch hart, es ist doch ein herzzerreißendes Geschick! –
Hier nun ist die Quandt, arme reiche Frau! wie bettelarm! und ihre etwas affectirte Frl. Koppenfels! Und Madame Brahl, mit der ich die Reise nach Danzig verabredet habe, und meine herzige gute Annette Maclean. O mein Herz, mein Herz schlage nicht so laut! Ich mag nicht eigentlich schreiben hier ohne Zweck – das Leben ist hier wie immer, aber mir ist körperlich und geistig wohl, mich quält nur der Kampf in mir: ob ich Louis um Nachricht bitten soll, und dennoch weiß ich – daß er nicht schreibt, weil er vor Schmerz nicht schreiben kan! – Wie bewegt mich der Rhein! wie spiegelt sich in ihm all mein Denken, Wünschen, Hoffen ab! – Ein kleines Gartenhaus am Ufer, und ich Gottfrieds Frau – ja, hier am Rhein wünsche ich es, und er fleißig und ich lernend von ihm – und dann kommt Louis und ist ruhig, ich drücke ihn ganz offen, aber ganz ruhig, vor Gottfrieds Augen, wie einen Sohn an's Herz, er verehrt mich, aber er ist auch anders. Er ist mein lieber Gast, lernt von Gottfried, arbeitet mit ihm, verehrt ihn wie ich – Abends gehen wir einmal so allein, er sieht mir in's Auge und sagt mir, wie er mich lieb hat und wie er sich wünscht in weitentlegnen Jahren eine Frau zu finden, die ihn liebe, die er lieben könne, wie wir uns vielleicht geliebt hätten, wenn wir nicht vom Leben unaufhaltsam getrennt wären, wie er aber an Gottfrieds Wesen empfinde, daß er nicht fest, nicht männlich genug sei – daß er wisse, wie lang ihn noch das Leben herumstoßen müsse, ehe er den Frieden des Lebens erhalte, der dazu nöthig; ich sehe in ihm wie in einem Spiegel Gottfrieds Bild unendlich gemildert wiederstrahlen – o Gott – Gott! Müssen denn solche Paradiesbilder im Menschenherzen wohnen?
Herr Senator Brentano, Frau, zwei Töchter, abgereist. – Frl. Piautaz mit den andern zwei Brentanos. Frl. Servière. H. und Fr. und Frl. v. Arnim. Er und Bettina fort, nach Italien. H. v. Boisserée. Graf Coudenhove. Herr v. Lützow, Schwager des B. Loder. Frau Geheimräthin Goll und Frl. Tochter aus Frankfurt. Frl. Stickel. Fr. v. Cramer und Tochter, deren Courmacher Herr v. Trott. Eine gräßliche Mama desselben und deren taube Tochter. Gräfin Schulenburg mit einem unausstehlichen Gemahl. Fr. Koch und Frl. Tochter, Bekante der Frl. Buch. Außerdem noch die Maclean, die Brahl, deren Freundin aus Memel M. Röpell nebst Sohn und Tochter und die hiesige Welt, unter der diesmal die Mülmann sich als ganz charmant und höchst freundlich alle Abend kommend auszeichnen.
Sonntag war [Karl Maria von] Weber hier über eine Stunde, bei uns, er reiste den folgenden Morgen 5 Uhr schon nach Darmstadt. – In Schwalbach habe ich die Krüger-Aschenbrenner kennen gelernt und mit großer Freude gehört.
Den 23ten recht eigentlich aus Sehnsucht krank, weil ich keinen Brief von Louis hatte. Den Abend des 24ten Mittwoch einen so lieben beruhigenden bekommen, daß ich gar keine Worte habe, um Gott so zu danken wie ich sollte und möchte. Was ich gewollt, habe ich erreicht! Oft möchte ich doch über so viel Glück beschämt die Augen niederschlagen. Louis liebt mich, glühend innig, und doch mischt sich kein Wunsch, keine Täuschung in seine Liebe als die, daß er nie ein anderes Glück fordern werde, nie eine andere lieben könne – ich weiß wohl, Louis ist jetzt mein, und von mir lassen wird er nie, ich bin fest überzeugt, wir werden einander behalten, aber Louis wird als Mann ein wirklicheres Glück bedürfen, und ich werde nie so unedel werden, ihn auf Kosten seines Glückes mir zu erhalten; nein, mein Louis, Deine Liebe zu mir hat die Flügel Deiner Seele gelöst und Deinem Wesen die angestammte, irregewordene Kraft zurückgegeben, meine Liebe soll Dich aufwärts führen, immer der klaren Höhe zu, aber wenn Du dann irdisches Glück bedarfst, sollst Du es schon bereitet finden – Du sollst dann plötzlich in Briefen, Worten, Versicherungen die beruhigenden Andeutungen wahrnehmen, die Dich Deiner Freiheit versichern und die jetzt Dein geblendetes Auge übersieht.
Den 4ten September.
Ich bin fortgesetzt heiter, gefaßt, klar an Geist und Gefühl. Morgen geht Boisserée, ich fühle seinen Verlust recht unangenehm störend, Donnerstag oder Freitag gehen wir. Coudenhove, Hofmarschall Le Stock aus Mecklenburg und Herr v. Reden, Oberaufseher aller harzischen Bergwerke, gaben uns, Schulenburgs, den Damen Goll und Stickel gestern ein Diner in Biebrich. Wir tranken des Großherzogs Wohl fröhlich und herzlich und feierten also mit den fernen Freunden in W[eimar]. – Noch nie war mir so wohl in Wiesbaden als dieses Jahr, und dennoch schreibe ich wenig. Ich machte die gewöhnlichen Partien, die Quandt war einige Tage mit uns, Abends versammelt sich unsere Gesellschaft um uns am Theetisch. Die gute Fürstin Wied-Runkel hat ein schlimmes Auge, ich bedaure sie, aber lieb ists mir, keinem einzigen Gesellschaftszwange hier erliegen zu müssen. Der Garten ist so freundlich, Tag und Nacht so schön, die Luft so unendlich mild, meine ganze Seele friedlich! – Annette Maclean ist nun fort, das liebe Kind hatte mich sehr lieb gewonnen, mir gieng es fast wie Ott[ilien] mit den Engländern, alle Danziger lieben mich, wie Alle sie. Am Interessantesten ist mir jetzt – anfangs wars Lützow – H. v. Le Stok, ein Mann von 37 Jahren, verheirathet, der eingesteht, bis zum 32. ein wunderfröhliches schönes lebendiges Leben geführt zu haben und seit der Zeit sich todt fühlt – er hat einen Sohn von 5 Jahren.
Sehr glücklich ist mein viel redender H. v. Reden, er hat mir aber eine selten rührende Geschichte mitgetheilt.
Er war in Pyrmont und sah täglich einen jungen, sehr interessanten Mann, der immer still und trübe vor sich hergieng und wenig Theil an Außendingen nahm. Sie treffen an einem wunderschönen Abende zusammen, kommen sich näher, dem jungen Manne scheint in Redens Nähe und Theilnahme wohler, und so reden sie über Vieles, auch über Reisen, endlich über Schweden, Norwegen und Dänemark. Reden bedauert, daß ihm die große schöne Natur dort ganz fremd – jener wird sehr traurig und sagt: »Ich kenne es, habe aber dort, als ich es kennen lernte, viel verloren – es kostet mich das Glück meines Lebens«. So erzählt er von einem Mädchen, die er als Kind gekant und in Schweden wiedergefunden und geliebt habe. Er habe keine Aussichten gehabt, und so sei er gegangen, aber nichts habe ihn getröstet – nichts habe ihn vergessen machen können, und so sei er denn endlich bis dahin gekommen, sein Lebensglück nur in der Kunst suchen zu wollen, er gehe nach Italien. Es war aber das Mädchen Redens Frau, und Reden hatte nie von dem Unglücklichen gehört, und dieser ahndete nicht, daß er mit dem sprach, dem sie angehörte. Es waren viele Jahre vergangen, dies scheint 1818-19 gewesen zu sein. Als er aus Italien kam, war er aufgelebt, aber nur für seine Kunst; er gieng nach Klausthal und sah sie wieder – 18 Jahre waren vergangen, es war anno 1823, als er sie als Mutter von sechs Kindern wiederfand. Er war sehr still, sehr freundlich gegen die, wie man sagt, himmelschönen Kinder – schied, und wohin weiß Reden nicht. –
Die Frau hatte als 18jähriges Mädchen, sagt Reden, nichts gewußt, denn er hatte sich nie erklärt, aber ihre Schwester, die ihn sehr lieb hatte, wußte davon und stellte den armen jungen Mann, der nicht viel älter war als die Geliebte, sehr hoch und hat ihn oft beweint. Der Mann hieß Wallenstedt – die Frau v. Reden ist eine geborne Düring, Tochter des Generals. Geschäfte trieben den Vater nach Fühnen, und so reisten sie wohl nach Schweden.
Eine andere Geschichte vom jungen Grafen Fugger erzählte R[eden]. Er liebte eine Frau – die Frau liebte und vergaß ihre Pflicht, um ihm zu folgen. Sie trennten sich aber dennoch, und sie blieb bei ihrem Manne, ich weiß nicht, ob sie blos mit ihm hatte ziehen wollen oder es gethan, ich denke es aber. Kurz, sie blieb – hielt es aber dennoch nicht aus und kam wieder zu ihm. Er litt in ihrer Abwesenheit so sehr, daß all seine Kräfte schwanden. In der Zwischenzeit hatte er Reisen nach Italien, Zerstreuungen, alles umsonst versucht, er konnte nicht leben ohne die Frau, sie konnte sich nicht scheiden lassen, denn Beide waren katholisch. Er riß sich abermahls los von ihr und beschloß fest und gewiß sie nie wieder zu sehen. Beiden war das Herz gebrochen. Er blieb dann entfernt, versank aber erst in Melancholie, ward todtkrank. – Als er dem Tode nahe war, kam seine trostlose Mutter, und um ihn an's Leben zu binden, um ihn genesen zu machen oder ihn wenigstens nochmahls zu erfreuen, brachte sie selbst die Geliebte mit. Fugger sah sie wieder! Er blieb mit ihr und der Mutter, sie aßen zusammen zu Mittag, nach Tisch entfernte er sich scheinbar ruhig. Plötzlich hörten sie einen Schuß – Fugger hatte sich erschossen.
Den 10ten [September]. Elfeld [Eltville].
Seit gestern Nachmittag sind wir hier. Ich habe den Rhein hier nie so schön gesehen. Auch die kleine Stube, die beschränkte Einrichtung thun mir wohl. Aber oft kehrt Osanns Bild zurück – hier wohnen! – Ehe ich abreiste vorgestern, erhielt ich einen Brief Eduards aus Heiligenstadt, Louis hatte ihn bis hier begleitet, und eine Viertelstunde vorher war er zurückgereist. Es rührte mich weit mehr als ich in Worte fassen kann, daß Eduard mir in dem Augenblick schrieb – daß ich mir sagte, daß bei der Erinnerung an diese, vielleicht schönste, freieste Zeit seines Lebens die Erinnerung an mich ihn ewig begleiten müsse, daß ich derselben gewiß sei, daß die Liebe für mich sich zu der einen unvergeßlich schönen Neigung für Louis anschließt und nicht mehr der zur nordischen Heimath und den andern Kousinen.
Ich habe zweierlei in Gedanken, das mich drückt. Als ich neulich bei der Fürstin Wied Abschied nahm, erzählte sie plötzlich eine terrible Historie von einer todtkranken Frl. Glauburg, die nach Koblenz gereist sei, um sich über die Treulosigkeit eines Geliebten zu fassen, zu zerstreuen, tödlich erkrankt sei und in Gefahr beide Augen zu verlieren allein im Gasthof zur Rose läge. Ich gieng augenblicklich hin. Da ich die Mutter erst zu Haus bringen mußte, erfuhr ich, daß keine Briefe da wären, es schnitt mir schmerzend, fast tödlich verletzend durchs Herz – kaum im Stande mich fortzuschleppen, denn der alte Krampf am Herzen fand sogleich sich ein, schlich ich hin. Es war Henriette, die damahls aus Tirol kam, als ich sie kennen lernte, alle die leidenschaftlichen Härten waren trotz der Lebhaftigkeit ihrer Sorgen und der unruhigen schmerzlichen Klagen verschwunden, ein liegender Mensch ist eben kein Stehender. Ich blieb – Frl. Reineck pflegt sie. Abends Thee bei der Schulenburg. Den folgenden Abend gieng ich wieder hin. Die Reineck gieng fort und ließ mich mit der ausgesprochenen Bitte, ihr zu erzählen, allein mit ihr. Es war dunkel, ich sah die Züge nicht, die vielleicht meinen Gedanken eine Wendung gegeben hätten, und erzählte weit offner und viel mehr als mir natürlich. Jedoch ohne irgend einen Menschen zu nennen.
Dann quält mich, daß die Mülmann Louis' Liebe errathen und gesehen, sie sprach mir fast unaufhörlich davon, am Ende gab ich denn zu, daß es eine Schwärmerei sei, die gewiß vergehen würde. Aber wie hätte ich hier von dem lieben Herzen reden können und verbergen was in mir vorgieng! Endlich, als sie mir immer wieder mein Unrecht vorwarf, gestand ich ein, aber ich zwang sie zugleich zur Achtung und drang ihr die Ueberzeugung auf, daß er schon ganz ruhig sei und ganz gewiß übers Jahr es vollkommen sein werde. Sie schien mich tief zu beneiden! Früher habe ich ihr einmal lachend gesagt: ich hätte einen Bernhard, aber keiner wüßte, wo? Nun sie immer thut als hätte ich eine Liebschaft mit Louis, erinnerte ich sie an diesen Bernhard.
Was mich am meisten quält, sind meine eigenen Gedanken. Es thut mir weh, mir einzugestehen, daß Louis' Zärtlichkeit etwas auf sie einwirkt, mir schwebt oft ein ähnliches Beisammensein mit Gottfried vor, ich wünsche ihn mit leidenschaftlicher Innigkeit zu mir und glaube kaum, daß es mir nun noch gelänge, das Ansehen der Freundschaft mir und ihm zu bewahren. Es ist eigentlich höchst betrübt, daß Louis seinem vorgezogenen Nebenbuhler so das leidenschaftliche Verhältnis bereiten muß – und dann noch eins. Louis kommt, und ich denke natürlich oft an unser Zusammensein, ich fühle aber, daß meine Gedanken wohlgefällig auf dem Ausdruck seiner Liebe, auf der Erinnerung seiner Augen voll Leidenschaft, seiner Aufregung, seiner leisen Küsse verweilen. O Gott laß mich nicht Unrecht thun an dem lieben Herzen! Ich will und werde nie vergessen daß ihn zu beruhigen mein Wille und meine Pflicht ist. O mein Louis! Gott segne Dich, geliebtes theures Herz!
Den 12ten September. Eltville.
Vorgestern am Rhein entlang gefahren nach Oestrich. Frl. Buch besucht, rückwärts nach Hattenheim, Mappes waren nicht da. Abends mit der Bernhard und der Müller. Gestern nach derselben Seite zu gefahren über Hattenheim, dann einen hohen Berg nach Eberbach, einem ehemahligen Bernhardinerkloster, jetzigen Irren- und Besserungshause. Es erinnert mich höchst lebhaft an das Kloster Oliva von Freudenthal aus gesehen. Die daneben auf die Bergspitze führenden hübschen Anlagen heißen die Boß, die weite Aussicht links bis Mainz und die Bergstraße als Hintergrund, rechts den Gau hinab, vorn die beiden Ingelheims, unter uns Hattenheim etc. etc. – Meine arme Mutter leidet viele heftige Schmerzen und kan eben nicht viel aushalten. Sie behauptet, es wird so bleiben – welche Aussicht! aber ich, die so lange so viel ertragen, ich kan mir nicht denken, wie wenige Tage Schmerz so auf einen rüstigen Körper und Geist wirken mögen! – Dennoch verbittert es mir nicht nur den Aufenthalt, wozu auch meine eigenen Kopfweh viel beitrugen, es macht mich auch sehr besorgt um die Zukunft, beweist mir mehr als Alles, daß ich Gottfried nie angehören werde, und macht mich zittern, wenn ich an Louis' Besuch denke. – Von der andern Seite ist nun aber der Moment, wo ich ihn an's Herz drücke, fast der einzige Lichtpunct meiner nächsten Zukunft, die überall dunkel! Ottilie schweigt! Also keine Nachricht von Gottfried, die Stimmung seiner Mutter, die Idee, daß ich nicht einmal weiß, wo meine Gedanken ihn suchen sollen, der immer tiefer eingreifende Wunsch ihm anzugehören, die feste Ueberzeugung, daß ich gesund und glücklich würde! o es ist warlich nicht leicht, das Leben zu tragen, aber die Natur legt sich mir begütigend an's Herz – sie thut mir wohler als meine arme Mutter. O warum trifft sie so gar selten den Ton, der mir ganz wohl thut, mich beschwichtigt! – Wie war diese Nacht wieder so groß! so schön! wie beglückt mich die Stille! wie fühle ich so durch und durch die Liebe, die mich ewig an Gottfried bindet und mich nie verlassen kan. Wie einigt sich dem Gedanken an die Natur der an ihren Sohn und Liebling – ich kan nicht ausdrücken wie sehr ich Gottfried liebe, wie ich in dem Gedanken lebe, ihn einmal als Louis' Vorbild zu sehen!
Elfeld [Eltville] den 13ten [September].
Nun denn, so fasse mich der Schmerz! vergebens habe ich mit mir gerungen, vergebens die Erinnerung daran verbannen wollen, daß Gottfrieds Brief längst hier sein müsse oder Ottilie geschrieben haben könte, wenn nicht irgend ein Unfall geschehn wäre. Ich kan nicht lesen, kan die Gedanken nicht bannen, der Rhein tröstet mich nicht, der Gedanke an Louis' Kommen wirkt nicht mehr – die alte Idee, Gott habe mir ihn zum Trost gegeben, weil mir das wahre Glück versagt werden solle, ergreift wieder mein Herz, das in langsam schweren Zügen lange, lange Schmerzen durch das endelose Leben schleppt; ich bin den ganzen Tag müde – zum Umsinken.
Was ist denn diese Liebe für ein furchtbares Gefühl! wie hat sie mich zur Sclavin gemacht, denn meinem Willen, meiner Kraft, all meinen Ueberzeugungen zum Trotz schleicht plötzlich der Schmerz in mein Herz, mit einer Pein, die körperlich werdend erst mein Bewegen, dann alle geistigen Fähigkeiten lähmt, mich fast den Todten zugesellt, ohne mich zu tödten! Und könte sie mich denn nicht tödten? Ich glaube es dennoch, ich fühle es zu deutlich, wie meine Gesundheit einem einzigen Gedanken erliegt. – O Gott, könte ich nur schlafen, und wäre es immer dunkel! – Aber als brännten nicht Lichter und Flammen genug, lesen sie mir zur Zerstreuung »Romeo und Juliet« vor.
Den 14ten [September].
Gestern kamen also Abends zwei Briefe! von Gerstenbergk und der Völkel. Line [von Egloffstein] hat unvorsichtig gesprochen, wird vielleicht den Abschied bekommen! Und ist seit dem 2ten da! Also haben die Menschen doch weniger Herz als die harte kalte Adèle, die nicht einmal zu fragen vermochte, um Linens Jubel nicht zu stören – und in 12 Tagen besinnt Line sich nicht! und Ottilie – warum, was ist? Warum wenn ich doch hören mußte, daß keine Nachricht sei – warum kein Wort von Dir? Endlich nun – Conta und Schwendler geadelt – und Fr. v. G[erstenbergk] davon gelaufen während der Fêten nach Dresden, und der glückliche Gatte melancholisch-schwärmerisch aedel – mit dem ae! – Alle die Miserabilität plötzlich so nahe, so nahe gerückt! Und Gottfried stumm – wie das Leben, denn warlich man braucht nicht zu sagen, wie das Grab!
Gestern Abend Thee bei B[ernhards]. Er war zurück, Auguste Glauburg, Frau Thurneisen.
Den 16ten [September].
Heute kamen Herr Brévillier und ein junger Herr Hagedorn. Sie aßen bei B[ernhard], wollten nach Rüdesheim, um das Dampfschiff ankommen zu sehen und mit demselben nach M[ainz] zu fahren. Der junge Herr war ein Jahr lang in dem sogenannten Universal-Institut unfern Bruxelles gewesen und hatte in drei Monaten hebräisch gelernt, er behauptete unter anderm, aller Menschen Fähigkeiten wären gleich, die Natur statte die Menschheit, nicht den einzelnen Menschen aus, ausgenommen freilich, wo sich organische Fehler zeigten etc. – etc. Ich versicherte ihm, da er die Universalmethode auf alle Künste anzuwenden rieth, daß ich mich auf die 60-70 Raphaele der nächstfolgenden 20 Jahre unbeschreiblich freute.
Wie herrlich ist der Rhein! wie entzückend der Reichthum dieses gesegneten Bodens! und wie gut, wie herzlich, wie theilweis ernst oder gut gebildet sind diese Menschen! Auch Graf Eltz und seine schöne Frau, bei denen wir gestern waren, sind freundlich und angenehm, und Thurneisen mit den göttlich schönen Kindern und der netten Frau hat mir sehr gefallen. Dennoch – der Mann fühlt sich so glücklich, daß er nie über 4 bis 5 Stunden weit geht oder fährt, »weil er dann nicht mehr zu Hause ist«. Alles um sie her zeugt von reichem blühendem Wohlstande und zufriedener Behaglichkeit. O Gott! warum durfte mir denn nicht solch ein Glück zu Theil werden! ich hätte es so tief, so dankbar erkannt! Thurneisen ist ein stattlicher, sehr schön gebaueter Mann, alle seine Bewegungen sind anmuthig und frei. Er ist als Mann das Gegenstück zur Gräfin Eltz. Aber der Anblick dieser Familie bewegte mich fast allzu tief – mir wird doch einmal so plötzlich das Herz brechen.
Und nun mein Louis! Es ist ein gar eigenes Gefühl, das letzte schöne Gut so selbst sich zu rauben! Ich muß ihn ja ruhig machen, darf seine Liebe mir nicht erhalten und fürchte oft, er wird das Einzige sein, was mir bleibt. O Gott, warum muß ich Alles, was Du mir nehmen willst, selbst zum Opfer bringen? Ich murre nicht, aber es thut so weh!
Und dennoch freue ich mich so herzlich, o so unaussprechlich!
In Wiesbaden den 19ten [September] erhielt ich Louis' Brief – er kommt nicht – –
Weimar den 22ten October.
Laß die lange Zeit unberührt, mit Glück, Schmerz, mit dem ganzen Wellenspiel der Stunden – man scheut sich so nochmahls Ueberlebtes zu durchleben im Felde des Gedankens, wenn man wie ich eigentlich immer im Voraus lebt! O Gottfried! ich war heut' im Theater und sah – nicht auf die alten Bänke, aber wie mir schien auf den alten Platz und dachte der Zukunft, o seiner – nicht meiner mehr! Neulich schrieb ich ihm, ich hätte nicht geglaubt, daß ein so großartiges Gefühl in einer Menschenbrust Raum fände als meine Liebe – und es ist so. Warlich, er soll nicht leiden! ich möcht' um Alles nicht einen kränkelnden, sehnend weichen Gedanken in ihm erwecken durch seine Liebe, er ziehe frei und glücklich durch die Welt – ich werde für ihn leben, sein Dasein schmücken – nichts fordern, nichts erwarten, nichts wünschen. – Ich wußte wohl, die zweite Liebe meines Lebens müsse der ersten werth sein.
Und Louis? Er schweigt! – Was soll das werden? Wir haben einer des Andern Herz durchbohrt durch das unseligste Misverständniß – Louis wollte erst im künftigen Jahre kommen. Mein Brief mit dem ausgemalten Bilde des Glückes muß sein armes Gemüth zerstört haben auf lange, lange Zeit.
Ede [Gnuschcke] muß nun wohl schon von D[anzig] abgereist sein, und auch Louis trifft übermorgen in Berlin ein. Arme Menschen! Scheiden und immer aufs Neue scheiden, und Eure fröhlichen Augen sind noch so jung.
Den 6ten November.
Morgen ist Goethes Jubelfest, und ich werde an dem frohen Tage einen tief geheimen Kummer haben, Louis hat ja noch nicht geschrieben – es ist noch keine Nachricht von Danzig, keine von Eduard da. Mein Gott Was für ein Sturm droht wol meinem armen Herzen!
Und was vermöchte ich, nachdem halb Teutschland über den 7ten November gesprochen, noch zu sagen? Mag ich doch im Grunde weder meine noch der anderen Worte! Ottilie erschien mir in dem Momente unendlich glücklich, ich bewunderte ihre Fassung, denn ich hätte sie nun und nimmer gehabt, ich beneidete sie aber nicht, denn ich will das geistige Leben fluthen lassen in mir, auch da wo es den Geist – nicht blos das weibliche Gefühl ergreift. Ich möchte sagen, ich war den ganzen Tag über selig, ich hätte schreien oder weinen oder lachen können zugleich, wenn gar heftige Aeußerungen der Art in meiner Natur lägen; so war ich himmlisch glücklich und gerührt bis zu Thränen während der Bibliothekfeier. Ottilie repräsentierte sehr würdig, ich fühle ich hätte es nicht gekonnt, mir wäre gewesen als müßte ich der ganzen Welt abbitten, seine Schwiegertochter zu sein, ihm anzugehören, und da glaube ich hätte ich alle Welt mit so hinreißender Freude und Liebe behandelt, daß die Leute – ei was weiß ich was die Leute gedacht hätten.
Um 9 bei ihm Eberweins Morgenmusik, um 11 in der Bibliothek die Krönung, die Aufbewahrung der Medaille und der »Iphigenie«. Um halb 2 zur Tafel im großen Stadthaussaal, um 6 Aufführung der »Iphigenie«, um 9 zu ihm, Abendmusik von Hummel, um 12 zu Bette. Meine Mutter sagte: »Das Schönste an dem Feste ist daß alles wahr daran ist und jeder diese Wahrheit fühlt.«
Goethe soll am Morgen nach dem Feste gesagt haben, er sei noch nie mit solch einem Gefühl der Demuth erwacht, als an dem Morgen.
Er hatte Augusten aufgetragen, Knebels Gesundheit auszubringen als dessen, der ihn zuerst nach Weimar gebracht.
Stromeyer, die Eberwein und Moltke sangen. Mir war ein Ehrenplatz bestimmt gewesen bei Stein aus Breslau, aber ich mußte bei Frommanns bleiben, saß bei Fritzen und neben St. Schütze.
Am 8ten November erhielt ich Eduards lieben freundlichen Brief und ein Journal von ihrem Zusammenleben in Danzig, viele Schriften, ein Tagebuch zwischen Friederike und Julie, einen Brief von Line Roepell etc. etc. etc.
[Ueberschrift einer sonst unbeschriebenen Seite.]
Den 10ten November.
Einige Tage nachdem ich das durch Eduard aus Danzig mitgebrachte Packet erhalten, erhielt ich einen Brief von Louis, der mich um Rath fragt, ob er seine Kusine Auguste heirathen soll; die einzige Ursache, die ihn abgehalten sich nicht gleich unauflöslich an sie zu binden, ist, daß er nicht recht weiß, ob er sie liebt. Auch weiß er nicht genau mehr, ob er denn mich wie einen Menschen oder wie eine Gottheit geliebt hat, er hatte sie vorig Jahr auf der Rückreise gesehen, wie er mich aber sah, war sie vergessen – er sagt ja, erst da sei's Tag in seiner Seele geworden! es muß ein trüber Tag gewesen sein. Denn nachdem er in Kassel von mir geschieden, und während sie noch bei ihm in Göttingen war, schrieb er mir den leidenschaftlichsten Brief, den ich je von ihm erhalten, in dem er sie und ihre Familiengeschichten auch beschreibt, aber warlich nicht an Liebe denkt. Auguste liebte ihn, gestand es ihrer Mutter, lehnte Partien ab um Louis' willen – die Mama und die Familie und Louis' grenzenlose Eitelkeit thaten das Uebrige, und etwa 8-14 Tage drauf war Louis schwankend. Dann schrieb er mir nach Wiesbaden, unterschrieb »Ihr treuer Louis«. Endlich wollte er sich verloben, und ihm fehlte Muth, so schrieb er jetzt in einer Art, die mir deutlich zeigt, daß er sie lieber heute als morgen heirathen würde, und will noch ein Jahr warten, ehe er sich entschließt.
Ein Adler liegt verblutend auf einem Felsen, ein kleiner Pfeil traf ihn im Flug im Rücken, er flog weiter, immer weiter, so lange, so hoch bis all sein Blut tropfenweise zur Erde gefallen, dann sank er selbst hinab auf den Fels und hob das Haupt, sah in die Sonne, schlug mit den Flügeln als schwebte er noch aufwärts, aber keine Klage bezeichnete die Stunde, die sein Auge schloß, er starb – ein Königsadler.
Ich habe den Brief beantwortet, den 11ten Nov. Abends 10 Uhr.
Den 20ten November.
Heute nimmt Alfred Abschied, er reist nach Berlin, er nimmt Ihm das Glas mit und einen freundlichen Gruß. O mein Gott was habe ich gelitten seit den wenigen Tagen, was ist das Verbluten für ein langsam langsamer Tod! Und ich verblute! Ich wußte immer, daß, wenn man mir meinen Glauben nähme, es mich vernichten würde, und so ists gekommen. Ich bin nun fest überzeugt, Gottfried kommt nicht fort, ich sehe ihn nicht, er wird der langen Trennung müde, endlich Ersatz suchen und finden. Ich sterbe verlassen und allein! Der Trost, daß Louis glücklich wird, ist mir gleichfalls benommen, denn so wird man es nicht. Nur Gefühl beglückt! ein Gefühl, das nur auf dem Boden der Phantasie wurzelt, kan nicht beglücken, es ist unmöglich! Wie mag er meinen Brief beantwortet haben in seinem Innern! Wieviel wird er gestehen? – fühlt er die Trennung, ich weiß es nicht, weiß nur daß ich grenzenlos, unermeßlich leide. Zuweilen werfe ich mir vor, ihm gesagt zu haben wie sehr er mich geliebt, dann bin ich, wenn ichs recht bedenke, wieder zufrieden mit mir, denn wenn er nur fühlt was er begangen, vielleicht ändert es etwas, und ob wir nun etwas rascher oder langsamer brechen ist eins – denn ich bin keineswegs der Meinung Ottiliens, er werde nun zu mir zurückschwanken, sondern ich meine, er wird mir nicht schreiben, aus Scham – und dann ganz anders schreiben und sein. – O nur bald, nur rasch den letzten Stoß! Schneller Tod ist Gnade! – –
Ich sinne nach was nun noch aus meiner Existenz zu machen, weiß es aber nicht – ich vermag nicht mehr fröhlich zu scheinen und bin zu krank im Gemüth, um je zu genesen. Was ich Schreckliches weiß – und Ottiliens entsetzlicher Zustand, und das dumpfe Gefühl daß sie aus Schmerz nicht im Stande ist fortwährend consequent zu handlen – Gottfrieds unvermeidliches Erstarren, die Ungewißheit, ob ich denn je von ihm geliebt worden bin, die entsetzliche Leere, wenn ichs nicht war – das Alles hat die Blüthe meines Lebens vernichtet, ich empfinde deutlich daß ich wie eine Baumblüthe aufgeschlossen geworden, um dann den befruchtenden Blüthenstaub auf Windesflügeln durch die Welt zu schicken und dann selbst zu vergehen, ohne zur Frucht gereift zu sein. Mein Dasein geht unter in den großen Wogen des Lebens. Man hat mich viel geliebt, aber es hat mir wenig geholfen, ich habe viel gewollt, wenig zu leisten vermocht! Dennoch erröthe ich nicht, denn es lastet keine schwere Sünde auf meinem jungen Haupte, das nun zum Opfer fällt! Ich habe die Hoffnung wenigstens nicht gar lange zu leben, denn einzig und allein für Gottfried wäre es schön noch zu zögern – aber es wird mir nicht vergönnt sein! – Gewisse große Wahrheiten drängen sich klar und entschieden dem innern Leben auf; es ist thöricht sich zum Mißverstehen zu zwingen. Als ich mit 17 Jahren Heinke, von dem ich mich geliebt geglaubt, verlor, als ich ihn gerade an Ottilien verlor, auf die ungewöhnlichste Weise – da blitzte mir die Ueberzeugung durch die Seele, daß ich nie durch Liebe beglückt werden und nie vergessen – nie verschmerzen würde. Zwar bin ich lange durch die Welt gezogen und habe oft schön umringt gestanden, aber meinesgleichen fand ich nie. Ist nun Gottfried nicht die mir fehlende Gestalt, die all meine Eigenschaften rückstrahlt, so bin ich sehr einsam und muß mir jetzt mit tiefer Trauer zugeben: ich hatte wol recht als ich im 16ten Jahre mein Daseyn für ein liebeleeres hielt – ich kam nie zum Vollgefühl der Liebe, nie zum ruhigen Besitz. Wohlgethan habe ich oft, Liebe geweckt, Gutes erzeugt – der Blüthenstaub hat hier und da manche Frucht gedeihen machen – aber es war doch nicht mein eigentliches Ich – die Blume selbst sinkt in sich zusammen. Gewiß werde ich mich fassen; sende nur Gott meiner Mutter Unterhaltung, oder Geld um sich Amüsements zu verschaffen, und gewähre mir eine lange ungestörte Einsamkeit. Wäre mir der Gedanke, Gottfrieden verblüht wiederzusehen, nicht so grenzenlos schmerzlich, ich wünschte sie sogar mit einer Krankheit zu erkaufen, um nur eine äußere Ursache zu haben, nicht mehr äußerlich bewegt und lebendig zu sein. Meine Künste freuen mich nicht, Welt und Menschen stehen mir zu fern, in der lautlosen Stille möchte ich an einem großen Strome liegen, Wellen, Himmel, Vögel, Berge und Laub sehen – nicht denken, nur mich verlieren im All, bis ich mich in mir selber gefaßt zu finden wieder fähig geworden. Gute Nacht.
Den 3ten December.
Unaufhörlich, wenn ich so morgens von 3 Uhr an wache, steht Louis' Gestalt vor meiner Seele, mit seltsamer Leidenschaftlichkeit träume ich wachend bald ein Wiedersehen, bald gänzliche Trennung, bald Gespräche mit ihm und Eduard. Die Mutter hat sogar an meinem tiefen Schmerz den Argwohn entzündet: ich liebte Ihn. Ich bin vollkommen klar und einig mit mir selbst auf diesen Punct, ich liebe Ihn nicht mehr als ehemals. Das Gefühl, ihn verloren zu haben, von dessen Liebe ich Trost für die Zukunft, Beschwichtigung für die Gegenwart hoffte, die gänzliche Abgeschiedenheit von Osann, der Gedanke, daß er mir gar kein Recht gegeben, solche Liebe zu hoffen, wie mir Louis bot, und daß ich nicht klagen darf, wenn er mich verläßt, da mich Louis verlassen will, endlich die Erinnerung an die einzige Liebeszeit meines Lebens – die Gewißheit, daß Louis elend wird, daß er's wenigstens noch nicht geworden, wenn ich ihn hätte lieben können, das peinigt – tödtet mich. Ich freue mich nicht einmal mehr auf Osanns Briefe, ach es ist ja ewig ein Traum von Seligkeit ohne Erfüllung. Osann muß mich aufgeben – wahrscheinlich wird das im kommenden Jahre geschehen, und ich bin gefaßt auf Alles, was ich thun muß und werde es thun.
In der Angelegenheit mit Louis bleibt mir ein einziger Trost. Gott ist milde! Mir ward von jeher die Freude versagt, die Ihr andern ein Selbstbewußtsein nennt, ich handle noch lange nicht so gut als meine Natur, habe also kein Verdienst gegen mich, wo ich es auch gegen Menschen haben mag, und keine Freude an mir. Aber gegen Ihn will ich handlen nicht wie ein Mädchen, nicht wie ein schwaches tief verletztes Herz, nicht wie eine kalte stolze Frau, sondern wirklich und wahrhaftig so nahe dem Engel, als die besten, schönsten menschlichen Stunden uns zu stellen vermögen! Ich habe Eduarden geschrieben, ich wolle mich von Ihm lösen, ehe das Jahr zu Ende, und wills und werde es. Eduard hat mir versichert, Louis liebe Augusten gar nicht, er liebe mich, einzig und allein, aber er sieht wohl, daß dies nicht dauern darf. Mein Brief an Louis war nach Louisens Meinung vollkommen klar und ruhig, Louise [Kirsten] weiß alle Details der Zeit, Ottilie zufällig nicht; Ottilie fand meinen Brief zu weich und bildete sich ein, dies Blatt müsse ihn unwillkührlich noch schwankender machen, ihn zurücklocken. – Ich nun meine das nicht. Obschon kein Wort von Trennung und keins von Schmerz in jenem Briefe steht, scheint mir vollkommen klar, daß Louis Beides ahnden muß; ich weiß auch, daß die tiefe Ehrfurcht, mit der er mich geliebt hat, ihm unmöglich macht gerade jetzt, nach seinem Briefe, mir wieder von leidenschaftlicher Liebe viel zu sagen – daß er aber auch nicht eingestehen kan, mich nicht mehr zu lieben, wäre es, er könte nicht – und Eduard sagt, es ist nicht viel anders als es gewesen! In dieser bodenlosen Selbstverwirrung liegt Der Mann gefangen, an dessen Glück ich einen großen Theil des meinen verlor; anstatt ihn zu lösen, habe ich noch mehr Schlingen um ihn gebreitet, ich nahm ihm die Geliebte, ich nehme ihm jetzt die Freundin, die er noch eine kurze Zeit behalten darf. Ich weiß ganz genau, wie es in seinem Herzen aussieht. Eduard hat mich beschworen, ihn nicht zu weit von mir zu entfernen, weil er nie den Gedanken fassen, nie den Schmerz verwinden könne, mich zu verlieren. – Das muß Er doch, denn was auch werden kan aus unserm Verhältniß, höchstens bleibt es ein imaginaires Glück, und das dauert nicht, es wird eine Erinnerung wie etwa die an Heinke, aber minder zart in einem Manne; in den dem Leben fernsten, dem Ewigen nächstliegenden Stunden ein Stern, ein Licht! wenn nemlich kein innerer Vorwurf es in seiner Seele trübt – in so fern das von mir abhängt, will ich ihn ihm sparen – ich schenke ihm die Reue, mich verlassen zu haben. Er mag sich sagen: »Hätte sie mich geliebt, nie hätte sich mein Herz gewendet!« Ich will ihn nicht täuschen, aber ich will ihn so rein bewahren und so sicher in der ihm einmal gegebenen Ueberzeugung: das Leben habe uns trennen müssen, als möglich ist. Wahr ist's nicht ganz, denn hätte ich ihn auch nie geliebt wie Osann, so weiß er doch, daß, wenn mich Gott von Gottfried getrennt hätte, ich mein Leben gern zur Zierde, zum Glück des seinen gemacht hätte, obschon ich ihm nie angehören konnte. Es mußte ihm aber natürlich sein, diese Möglichkeit zu bewahren und nicht zu vergessen. –
Ich will aber mehr für ihn thun; weil ich ihn für zu schwach halte, um in diesem gewaltigen Drange der Empfindungen sich zu retten vor Unwahrheit und Sünde, und weil Eduard sagt: »wenn er je glücklich werde, werde er's dennoch einzig durch mich, ich sei sein Lebensengel«, so will ich selbst mir ihn dahin stellen, wo er jetzt stehen kan und muß; wo er gut werden oder bleiben und entweder empfänglich für Augustens Liebenswürdigkeit und für ihr Herz werden kan, daß er nicht ganz unglücklich wird, oder sich so kräftigen könne, daß er den Muth fasse ihr zu entsagen, wenn er fühlt, daß die ihm nicht genügt. Ich will aber mehr noch – ich will auch in diesem Falle ihm nicht mehr näher stehen, ich will keinen Einfluß als Frau auf ihn haben, sondern nur als aufwärts zeigender Freund, als Jugendgenosse. Er soll durch mich sehen lernen, aber nicht mehr mich, sondern die Welt und das Menschenherz, das im Grunde ihr Schöpfer ist für den Einzelnen. Und um ihn jetzt schnell diesem Chaos der Gedanken zu entreißen, will ich selbst ihm schreiben, ehe er mir irgend zu antworten versucht. Ich will besonnen meine geistige Gewalt nutzen für ihn, ganz abgesehen von mir, von meinem Schmerze, von meinen Thränen! Es bleiben mir wenigstens noch 6-8 Monate, ich will sie blos dazu anwenden, Louis' Geist und Gefühl klarer zu machen, ihm eine entschiedenere Richtung zu geben und ihn so selbständig als möglich gegen Ende dieser Zeit zu verlassen, wozu mir seine Verlobung, meine Reise, irgend eine Entscheidung Gottfrieds und die Erregbarkeit seines eigenen Gefühls Gelegenheit geben werden. Ich habe nicht die mindeste Hoffnung einer Freude für mich dabei und fürchte, er wird Augusten ohne eigentliche Liebe, in einer Aufwallung heirathen, aber wenigstens ist's möglich, daß er ihr entsagt, möglich, daß er sie wirklich lieb gewinnt, möglich, daß er auf jeden Fall an Kraft, Klarheit und Festigkeit gewinnt und seiner Schwäche und dem fliegenden Blute mistrauen lernt.
Und um dieser Möglichkeit willen will ich, ohne ihn wiederzusehen, ohne mich mehr seiner Liebe und des Glücks zu erfreun, das mir noch immer seine Nähe geben könnte, thun – was nicht leicht ist.
Mein nächster Brief gibt Ihm Frieden und Kraft, ich weiß es, und was er mich kostet will ich nicht rechnen. Ich darf verschwenden – für wen soll ich mein Leben nun noch sparen?