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Mein Tagebuch.


1823.

Er hat euch die Gestirne gesetzt
Als Leiter zu Land und See,
Damit ihr euch daran ergötzt
Stets blickend in die Höh!

—————

Mich verwirren will das Irren,
Doch Du weißt mich zu entwirren.
Wenn ich handle, wenn ich dichte,
Gieb Du meinem Weg die Richte!

 

Den 9ten März. Sonntag.

– ich möchte wie Melitta sagen: »und weil Heute ein so glücklicher Tag ist« und wie sie mich dann besinnen: warum denn heute gerade der Tag so hell, so glücklich sei? – Ich verstumme aber dennoch nicht, denn ist schon heute und gestern eigentlich eben gar nichts geschehen, so weiß ich doch den Nachhall des Briefes aus Danzig noch zu erkennen! Wie anders ist alles, seitdem ich vor einem halben Jahre mein Tagebuch in Frankfurt schloß! wie unendlich Trauriges, wie Wunderbares ist seitdem geschehen! – Der Brief aus Danzig enthielt eine Schilderung von Gottfrieds Aufenthalt dort, einen flüchtigen Brief von ihm und tausend bindende Worte, die mir für den Moment die Freiheit seltsam beschränken! – Gottfried [Osann] ist ein Mann geworden, und mein Freund, er hat uns auf lange, lange Zeit verlassen, um in Dorpat Professor zu werden; vielleicht seh' ich ihn nie wieder, vielleicht sind wir auf immer verbunden, eh' dies Buch gefüllt ist! Vielleicht liebt er mich, und vielleicht versündige ich mich, daß ich nicht fortfliehe, um sein Jugendglück zu bewahren. Vielleicht irre ich, und er liebt mich nicht – und ich habe die Pforten der Jugend auf ewig geschlossen hinter mir durch dies wunderbarste Verhältniß. Dennoch bin ich, obschon bewegt, ruhig, obschon trübe, glücklich und klar entschieden. Die Hauptsache ist Sein Glück – warlich ich habe weder meine Ansichten noch meine Grundsätze verändert und weiß, ich hätte bedachter, besonnener seyn können. Darum vergüte ich, er soll nie durch Adele leiden, das verspreche ich ihm und mir und Ferdinanden [Heinke]. Deshalb halte ich mich für halb gebunden, ihn für frei – deshalb will ich unbedingt offen seyn und nichts von ihm fordern. Ich glaube, ich werde besser werden durch das Gefühl – ernster, einfacher ganz gewiß.

Was ich für ihn fühle? Nicht jene tiefe, leidenschaftliche Liebe, die mein Daseyn bildete, zerstörte und erhielt, aber eine treue, so innige Anhänglichkeit, ein Gefühl des Vertrauens, wie ich es nie hatte! Er kommt mir vor wie mein Doppelgänger, denn jeder Ton seines Wesens klingt wieder in meiner Seele, mir ist als hätte er ein angebornes Recht auf mein Leben, und ich kann den Gedanken, ihn darin zu missen, nur mit ungeheurem Schmerz fassen. Was ich will? wenig, aber das bestimmt: ich will ein Jahr warten auf ihn, beim Wiedersehen entscheidet sich mein Leben; aber ich vergebe ihm im Voraus, wenn es einsam geworden ist durch ihn. Er ist frei von Schuld – ich auch. Es ist sehr seltsam: niemand ahndet was wir uns sind, nicht einmal seine Mutter, ich gedenke zu ihr zu gehen in dieser Zeit. Wir haben das zusammen ausgemacht. – Meine Freunde haben weder meine Thränen noch meine Freuden gesehen. Das kam zum Theil durch Zufall. Auch soll mir ihn keiner tadeln, wenn er mich vergißt, und keinem könnte ich recht deutlich machen wie Alles kam und war. Louise [Kirsten] und Ottilie wissen's, der Pogwisch werde ich etwas davon sagen. – Seit dem Weihnachtstage ist meine Mutter krank, mein ganzes Leben ist anders worden und wird es mehr und mehr. Goethe war in Lebensgefahr, ich wartete von Minute zu Minute auf seinen Tod – Gott erhielt ihn. Röpell und viele Bekannte sind gestorben, Caroline [Röpell] ist arm geworden, des Vaters Ruf befleckt! Julie [von Egloffstein] ist fortgezogen, und zwischen mir und Linen [Juliens Schwester] hat sich ein Schatten gestellt! O, wer könnte die Masse von Schmerzen in wenig Worten zusammendrängen, ich will auch gegen mich schweigen und tragen, wie es meiner Kraft geziemt.

 

Sonntag, den 16ten [März].

Gottfrieds Mutter war gefährlich krank, noch ist die Krankheit sehr bedeutend; ich schicke alle Morgen hin, um mich erkundigen zu lassen. Zwei Briefe von ihm sind angelangt, doch weiß ich nur daß er lebt und in Lebensgefahr bei Ueberfahrt über die Düna war. Ottilie ist sehr trübe und still, die arme Mutter leidet viel, und G[erstenbergk] macht mich durch seine Inkonsequenz und Thorheit halb toll. Die Häseler hat ihn um Rat gefragt: ob sie heirathen sollte. Jetzt ist sie von Altenburg weg und hat den Großpapa sehr böse gemacht durch Weigerung. Line [von Egloffstein] seh' ich, aber die alte tiefe Wunde blutet. Die Pogwisch ist böse, daß ich nicht komme; ich habe über jeden Ausgang Verdruß, und warlich ich bedarf jetzt meiner gesamten Kraft, um festzustehen. – Einigemal war ich in Gesellschaft, es sind viele Engländer hier, die mich amüsieren: Sir William Clarke, von irländischer Abkunft, in Portugal geboren; Mr. May und Mr. Percival, des ermordeten Ministers Sohn. Ein Herr Weißenborn, von uns »der Amerikaner« benannt, thut mir fast ernstlich schön – ich seh' ihn aber so selten, da hat es wenig zu bedeuten. Ferner hat sich mir Zu Rhein durch die Swieten sehr bedeutend genaht – auch darüber entschieden. Alle die so mannigfach angeregten Gefühle sind schmerzlicher Art, sie verlieren sich in den zwey Hauptempfindungen, die jetzt mich beleben: Sorge um meine Mutter, um meine bei weitem nicht genug gethane Pflicht, ernstliche geheime Sehnsucht nach Gottfried und nach der Lösung dieses räthselhaften Verhältnisses. Halte ich mich nicht für unglücklich, so ist's doch gerade genug, um es zu werden, und eine unbeschreibliche Sorge, ja nicht zu viel, ja nicht zu wenig zu thun, fesselt, beengt mich. Ich gäbe ungeheuer viel darum, nur noch 8 Tage ihn so zu sehen wie in der letzten Zeit, – – Ich habe ihm geschrieben, aber den Brief zurückgelegt. Er enthält viel aus meinem Leben, er muß das wissen, eh' wir uns wiedersehen.

 

Den 23ten April.

Seitdem ist denn freilich wieder manches durch meine Seele gezogen! – Ich fühle mehr und mehr die innere bestimmte Bahn meines Geistes wie meines Herzens. Ich kann den Ernst meiner Natur nicht besiegen; außer ihm entdeckte ich in diesen letzten Tagen noch den hohen Grad Nationalität, den ich früher nicht in mir kannte. – Gestehe ich mir schon, daß mir Gottfried werther ist, als ich der Pogwisch sagen konnte, denn nie konnte ich's in Worte fassen, wie dies Gefühl alle seine Wurzeln in meinem Gemüthe und in meiner innern Ueberzeugung hat und dennoch keine seiner Ranken und Zweige meine Phantasie erreicht – wie ich im Voraus fühle, daß mich der Freund beherrschen wird, wie ich weiß, daß mein schneller, springender Geist ihm sogar mitunter ungelegen sein wird, wie aber eben in seiner Nähe mein Herz ganz ausgesprochen werden kann, wie er mir Muth geben wird, den edelsten Theil meines Wesens zu zeigen, gestehe ich das Alles mir zu, so glaube ich doch nicht: daß dies Gefühl mich unempfindlich gemacht hat gegen fremde Vorzüge. Dennoch sehe ich diese Engländer geschätzt, ausgezeichnet von all meinen Freunden – – Ottilie hätte fast einen Gottfried in Airen gefunden; er ist der erste, der ihr eine Neigung abgewinnt, an welcher Eitelkeit auch nicht den kleinsten Antheil hat! Line läßt sich von May, dem gutmüthigsten aller Menschenkinder, lieben – und sieht warlich aus als wolle sie gern die Zahlen 32 – und 24 vergessen auf immer und die Reise nach Old England versuchen. Mir blutet das Herz bei der Geschichte – theils denke ich dann Gottfrieds, theils ist mir jedes Jugendgefühl heilig wie ein Tempel Gottes, und ich finde sündlich, da den kleinsten Schein von Koketterie zu zeigen. Vielleicht ist das Wort allzu hart, und dennoch – – sie wird zum erstenmahl geliebt und kann dem Reiz nicht widerstehen. Sie könnte wohl – wenn sie nicht obenhin über Dinge hinweggehen wollte, die am Ende doch das ganze Leben entscheiden; denn der erste tiefe Schmerz, das erste Aufgeben oder das Vergehen einer Neigung bestimmen unbedingt die Richtung, die unser Herz nimmt – und zimmert nicht fast jeder sein eigenes Geschick? Der großen entscheidenden Schicksalsschläge sind wenig, die meisten treffen so, daß man durch eine Bewegung ihnen zwar nicht entgehen, doch ihre Richtung bestimmen kann und sie so leichter oder schwerer trägt. Ich glaube, da habe ich eine Aehnlichkeit mit den Alten, die in ihren Tragödien so gern die menschlich unbesiegbare Natur zur Schicksalsgottheit erheben und den eignen Character zum Felsen machen, an dem das kleine Lebensschiff zerschellt.

Ich komme auf die Engländer zurück. Clarke, Percival und May haben neulich zweimal bis 11 in meinem Zimmer gesessen; das erste mal war Mutter kränker, wir gingen herunter, um zu singen, Line und Ottilie waren da und so charmant, daß jene nicht wichen vor 11. Ein andermal wollten wir »Wernern« von Byron lesen, da saßen sie abermahls und waren nicht fortzubringen, die Parthie war ängstlich, ein Souper konnte ich den Herren nicht wohl geben, und wie alles Unziemliche mich leicht verletzt, so auch hier – ich ward verstimmt. Schon ihre allerseitige wenige Aufmerksamkeit auf das englische Stück, ich nehme May aus, der überhaupt verständiger ist, ihre schwerfällige Auffassungskraft störten mich. Ich langweilte mich bald. Nun, seit die Mutter ein Paar Tage unwohler, haben sie sich bei Ottilien eingenistet und sind den ganzen Tag dort. May hat so viel Herz, daß ich nichts weiter an ihm sehe, er ist so gerade, daß man nicht einmal mit ihm scherzen kann, weil er Scherz und Ernst nicht unterscheidet. Dennoch ist mir seine Sentimentalität hauptsächlich lieb – sage ich statt erträglich –, weil ich sie auf eine Empfindung beziehe, die so ungemein selten ist! – – Im Ganzen bin ich anders als Ottilie, sie hat gern, daß sich die Leute da so in's Haus gewöhnen – ich erlaube das als seltnen Vorzug, und ertrage ich sie – lange und oft, so haben sie mich eigentlich dann ganz und gar zu eigen, ich zeige mich ganz rücksichtslos mit Schwächen, Eitelkeiten, Fehlern und Vorzügen; es sind nur meine Freunde, die ein solches Recht des Kommens und Gehens erhalten, und nicht einmal alle. Dann aber muß es schon so bleiben, auf lange oder auf immer; ich lasse nichts los, was ich einmal so fest hielt, und darum habe ich so tief um Julie [von Egloffstein] gelitten.

Diese Engländer aber kommen mir eigentlich vor wie fremde Thiere – Vögel, und so amüsierten sie mich anfangs sehr; ziehen sie aber fort, denkt man ihrer so im Allgemeinen wie man etwa sagt: »Ach ja, so einen Kakadu habe ich gesehen, ich wollte, es gäbe solche hier zu Lande!« Da sagt Ottilie: ihr sei so lieb, daß keiner von ihnen Prätentionen mache, es geniere sie keiner – ja, das ist wahr, anspruchslos sind sie alle, in mancher Hinsicht, doch erstlich sind sie wohl noch nie so verwöhnt worden als hier, und dann: genieren sie nicht uns – so genieren sie weit weniger noch sich selbst. – Ich, um endlich ausgeengländert zu haben, ich und Soret sind übel dran. Er ist eifersüchtig und zum Sterben betrübt; ich – bin außer dem allgemeinen Interesse und wollte lieber, die Sache stände in irgend einem hübschen Buche wie das von Irving, ich könnte drin lesen und auch es bei Seite legen. Mich füllt ein ganz heterogenes Interesse an – geometrischen Figuren, an meiner Oelmalerei, an meinen Farben, meinem Clavier und der ernst rührbaren Thätigkeit, die wie eine Flamme mein Wesen durchströmt und mich sogar unempfindlich gegen G[erstenbergks] wachsende Unart und Thorheit macht. – Ist das der rechte Weg? –

 

Sonntag früh. Mai, den 4ten.

Gewiß, es ist so übel nicht, zuweilen krank zu sein, denn wenn so am Morgen das Gefühl des Genesens mit fast poetischer Belebungskraft uns durchdringt, so wird Gedanke und Empfindung zum Accord, zu dem die Welt und die zufällige Gestaltung der nächsten Stunden den Grundton oder Baß liefern müssen. Eben dies Schaffen des Lebens, diese Macht, sich selbst auf Minuten oder Stunden ein neues Element zu bilden, das uns eigentlich allein erhält und kräftigt, das ist der schöne Antheil der Wesen, deren schöpferischer Geist in der Einsamkeit Raum für seine Schöpfung sucht. Heute wahrhaftig geht mich mein Leben wenig an, ich bin ganz zufrieden, daß die Sonne scheint und ich keine heftigen Schmerzen mehr habe, ich denke an alle Menschen, die ich liebe, als wäre ich auf Reisen und ließe Bild und Gedanken wie den rollenden Wagen vorüberfliegen – –. Ich wollte, es störte mich keiner, vielleicht fände ich Gelegenheit, die unvollendeten Skizzen zu schreiben, doch glaube ich fast, noch ist mein Geist zu flüchtig, um mehr als luftige schwebende Gedanken zu fassen, die wie kleine Frühlingsvögel im klaren Blau des innern Geisteshimmels so hinziehen und schwinden.

 

Den 17ten Mai.

Wie oft hat es mich gepeinigt, wenn ich die Art Unterhaltung in unserm häuslichen Kreise mit meinen Gedanken verglich; was irgend geistig war an mir, oder liebenswerth, war da nie an seinem Platze, das Ersonnene oder Gefühlte für und wider, die schöpferisch fast übermüthige Lust am Gestalten der Ideen, sowohl der eignen als der fremden, das Eingreifen und aus dem Wege Werfen der Einwendungen unserer Gegner oder das zusammen Ausmalen eines schönen Gedankens, den jeder mit neuem Reize schmückt, das schöne, festliche Jugendleben, das ich in Göthes Nähe immer im Gespräche fand, auch wenn die ernstesten Gegenstände es veranlaßten – alles das fehlt. Gerstenbergks Bildung ist historisch, ich möchte fast sagen: sogar seine Phantasie ist's, denn er bildert und wörtelt und vergleicht, und am Ende ist das alles immer eine Erzählung; Göthe erzählt, aber das Wort steht wie eine plastische Form vor uns, wir sehen Schatten und Licht so klar vor uns, oder will er auch den Reiz der Farbe nicht missen, so steht ein neues Leben im Rahmen des Worts so lebendig als Du selbst. – Oder wenn ich mit Ottilien rede und unsere Phantasie uns fortträgt wie ein geflügeltes Roß und nun ein Wettlauf beginnt und die Welt so schnell an uns vorüberfliegt, wir bald auf der Erde, bald in der Luft uns umhertummeln und uns zuweilen vor dem Abwerfen fürchten, weil wir die Zügel verloren haben – es ist ein anderes.

Wie oft scheute ich mich, nur ja kein Wort zu sagen, das mich in so eine unglückliche Geschichtsgrube werfen könnte – da spricht man einen Nahmen, gleich sitzt er [Gerstenbergk] auf dem Steckenpferd und erzählt von den alten Thüringern, oder überhaupt von deutschen Helden; eine Erzählung aber könnte immer ein Ganzes sein, aber höchstens ist sie halb; denn bei irgend einer fehlenden Zeitberechnung fängt er an zu sinnen – zu zweifeln – oder du mußt erst den ganzen Stammbaum und das Wappen aller Familien betrachten und kommst also gar nicht zur eigentlichen Sache. Ich möchte gern so kurz als möglich und dennoch mit recht lebensfrischen Worten mir erzählen lassen, ferner müßte mein Erzähler immer ganz unbefangen voraussetzen: ich wisse nichts, damit ich nachher nicht die Beschämung hätte, eingestehen zu müssen: hier eben fehle mein Gedächtniß. Auch stände er dann schon ganz am rechten Puncte, um seine Erzählung zu beginnen, während hier das Sinnen und Suchen des Standpunctes mich ungeduldig machen – da gehe ich hin zu gleichem Erfahren …

 

Den 20ten [Mai].

Noch immer kein Brief von Gottfried! So ist man nun, erst hielt ich's nicht einmal für möglich – nun quält mich die Sorge rastlos! Ich hatte Unrecht, neulich nicht zu Voigts zu gehen, als ich so ganz gewiß ahndete, Fritz [Osann] sei da – ich stehe ja nun einigermaaßen gut mit ihm, habe ihn mehrmals gesprochen und sollte billig sein und mir bekennen: er sei sehr gut, sehr freundlich gegen mich gewesen. Es zieht mich fast unwiderstehlich in seine Nähe, und doch graut mir – mich ängstigt was ich von ihm höre, mich ängstigt die Möglichkeit dessen, was er von mir denken könnte.

Gerade jetzt, wo May und Line mich durch ihr Unglück und ihre Thorheit anregen, gerade jetzt fühle ich tief, wie mir Gottfried fehlt, aber niemand ahndet den Schmerz, der mein Herz so beklemmt, daß ich oft gar nicht reden kann – diese Ungewißheit tödtet mich fast. Gelassen werde ich nach wie vor meiner Ueberzeugung folgen und nicht den kleinsten Schritt thun, um ihm zu nahen, aber so sehr ich mich und meine Handlungen beherrsche, der Schmerz sitzt fest in meiner Brust und wird nicht wieder weichen. Dennoch hat Ferdinands Aufenthalt in Berlin mich krank gemacht, ich erlag fast den beiden so seltsam contrastierenden Schmerzen, denn mit der brennenden Sehnsucht nach meinem Freunde [Ferdinand Heinke] mischt sich das Gefühl, daß mich seine Nähe tödten würde. Dann sah ich Gottfried wieder in Gedanken still und ernst vor mir stehen, und mit einemmahle rief alles mir warnend zu: fort – fort, nur nie wieder die Hoffnung auf Lebensglück! Mein Gott, warum mußte denn gerade mir so seltsam das Geschick eines ewig unsichern, schwankenden Lebens zu Theil werden – warum muß ich, die weder Pläne noch Wünsche sucht, gerade da, wo andere ihre feste Sicherheit finden, die meine verlieren und mit einem Uebermaaß von Kraft unthätig dreinschauen, wie mein Lebensgewebe von andern verwirrt wird? – Und dennoch nicht der allerleiseste Zweifel über das Recht oder über mein Handeln steigt in mir auf, klar seh' ich den Weg, den ich gehen muß, weil mein Inneres mich ihn zu gehen treibt.

Heute Abend sollte ich zu Göthens, muß aber zur Pogwisch, wo Line und May zum letztenmale zusammen seyn werden. Es wäre mir nicht nöthig, dort eine Abschiedsscene zu erleben – werde auch nicht so lange bleiben. Bei dem Allen thut mir Line unendlich weh; ist es denn so schwer, seinen Grundsätzen und seiner jahrelangen – lebenslangen Ueberzeugung treu zu bleiben, wenn es unser und eines theuren Wesens Glück gilt? Die Thorheit, ihn zu heirathen, traue ich ihr nicht zu, und das Unrecht, das die 32jährige Line am 24jährigen Freunde begeht, ist mir unendlich betrübt. Dennoch dauern mich beide, wenn ich sie sehe; es ist nicht zu sagen, wie mich der Anblick jedes ernsteren Gefühls bewegt. Ferdinand Nicolovius ist hier, wir sind freundlicher als je zusammen, zum erstenmahle begegnen wir einander mit ruhigem Vertrauen.

 

Den 11ten Juny.

Das Jahr [Adelens 26. Lebensjahr] ist zu Ende – wie ich lange mir es angewöhnte, habe ich heute Alles beendet, was irgend zu endigen möglich war – ich bin sehr ernsthaft, sehr fleißig gewesen und sehr betrübt. – Alle meine Lebensverhältnisse schwanken jetzt, und der einzige Keim des Glückes, der vielleicht in Gottfrieds Herzen schlummert, ist so von Fährlichkeiten jeder Art bedroht, daß ich wenig für uns Alle hoffe. Am Morgen rechnete und ordnete ich vieles, dann malte ich erst einige Stunden in meinem Atelier, später zu Haus, wo ich leider die Mutter in Krämpfen fand, an meinem anderen Bilde. Nachmittag war ich bei Göthen, der viel von Carmagnolas Trauerspielen sprach und mir ein sehr schönes Motiv erzählte zu einem Trauerspiele, das er schreiben mögte, schriebe er dergleichen. Dann ward viel über Byron und dessen »Werner« verhandelt, später kam Riemer hinzu und ich gieng. Ich wollte meinen lieben Kindern noch etwas kaufen gehen, aber ich weiß nicht wie es kam, im Garten fiel mir Gottfried mit unendlicher Lebendigkeit ein; endlich pflückte ich ihm zu Ehren eine Menge Blumen, die ich der Voigt schenkte, aber sie galten ihm. Seit gestern ist Natalie [v. Herder] fort, ich selbst habe alles Mögliche dazu beigetragen, daß sie gienge, und nun ist die Voigt damit zufrieden. Ich bin Schuld an dieser Reise, denn Natalien fehlte Muth, und doch sagte sie: ihr Lebensglück hänge vielleicht davon ab, daß sie in den nächsten Wochen nicht in Weimar sei; alsbald war ich entschieden, und sie mußte gehen. Es kostet mich die Möglichkeit, ordentlich an Gottfried schreiben zu lassen, ebenso die, von Arthur durch Fritz genauere Nachricht zu erhalten. Indessen hat er [Fritz Osann] doch Bücher von mir geliehen, und vielleicht bringt er selbst sie wieder. Niemand ahndet das, und mir blutet das Herz. Neulich war ich bei seiner Mutter, sie war wieder unbeschreiblich gut und freundlich und sprach sehr viel von ihrem Sohn [Gottfried], ich antwortete sehr unbefangen und zeigte mein Interesse an ihm ohne Bedenken, aber mit der ganzen Klarheit und Ruhe, die mir die Ueberzeugung giebt, würdig gehandelt zu haben.

Heut sagte die Voigt, Natalie sei von Schenk zurückgeschreckt, weil die Hoheit der Geheimräthin [von Voigt] gesagt, ob denn Natalie in einem Verhältnisse zu ihm stehe; – wie eigen, die halbe Stadt sagt dasselbe von uns [Adele und Gottfried], aber ich kehre mich nicht daran, und kein Mensch unterfängt sich, auch nur durch einen Hauch den reinen Spiegel zu trüben, der unser Zusammenleben deutlich widerstrahlt – man spöttelt nicht, man lächelt nicht einmal, man spricht ganz ernst über diese Neigung, und die Meinung wechselt nur über die Art derselben.

Ehe dieser Tag wiederkehrt, wird wohl alles entschieden sein – nach einer alten Prophezeiung soll ich diese Frist nicht mehr erleben. Ich bin eigen gelassen über das alles und habe weiter keinen Wunsch als den, daß die Klarheit, die ich bedarf, nicht gar zu lange ausbleiben möge – ob sie nun hier oder dort mir wird, gilt mir im Grunde gleich, nur mögte ich diese Lebensdämmerung nicht lange mehr tragen müssen.

 

Den 21ten Juny.

Ja, meine Lage ist schrecklich! – Losgerissen in früher Jugend von dem einzigen Manne, den ich mit einer Leidenschaft liebte, die nichts mehr aufwog, der nichts mehr glich in der Folgezeit meines Daseyns, blieb mir ein anderes Mittel, als meine geistige Kraft anzustrengen, sie auf jede Weise zu bilden, mich mit jedem Reiz, den Kunst, Natur und Wohlgefallen der Menschen dem Leben geben mögen, wie mit einer Mauer zu umbauen, um nur mein Herz festzuhalten, daß es nicht breche? Ich that es und ward stark und frei – aber ich ward zu klar dabei, ich dachte immer an Ferdinand und wollte werden wie er; ich hatte ihm mein Wort gegeben, mir nie zu sagen, ich sei unglücklich – ich hielt's, ich hielt jede Qual des Lebens für vorübergehend; jede war's, nur die nicht, Ihn verloren zu haben. Ich lernte wieder mich zu freuen, und Gott gab mir viele Kronen des Lebens, ich errang sie leicht, als sollten so viele kleine Freuden den ungeheuren Schmerz aufwiegen. Der Schmerz selbst schwand zu einem trüben, tiefen Schatten; ich litt mehr in der Erinnerung als in der Gegenwart, ich dachte meinen Freund, wie man Gott denkt, wenn man den Himmel ansieht; das Denken war ein Fühlen; ich wünschte nichts mehr, ich wollte gar nichts auf der Welt als Ottilien recht glücklich sehen und das Rechte bestmöglichst und ruhig vollbringen. So erschütterten mich Berichte seiner gegenwärtigen Lage immer fast tödtend, ich dachte dann an die vorübergegangenen Tage – wußte ich aber weiter nichts als daß er lebe – so war er mein Stern, mein Heil und mein Erdenfriede, der mich bewahrte. Ottilie war Heinkens irdischer Stellvertreter, was ich irgend ihm hatte geben können, vermachte ich nun ihr, mein Talent, mein Vertrauen, mein Erdenglaube und meine geistige und körperliche Kraft. Sie war der Brennspiegel, in dem der Vergangenheit ferner Sonnenstrahl treffend ein Feuer entzündete, das mein Leben erwärmte. – Als Ottilie anfing sich minder glücklich zu fühlen, sank meine Kraft; als sie immer mehr litt, als ihr der Muth brach, brach mein Herz, und wehmüthig blickte ich um nach Hülfe. – Da fand ich Gottfried. Ich hatte Ursache, an das Glück zu glauben, denn so viel ich auch gelitten hatte, ich hatte doch ganz unzählig viele göttliche, große Lebensfreuden genossen, auch nach Ferdinands Verlust. Ich war geliebt worden, sogar treu und fest geliebt, aber nie hatte ich in einem Verhältnisse zu einem Manne gestanden, denn manche schreckte meine Kälte früh, andere stellte meine Klarheit mir fern, ich habe nie einen Menschen auch nur momentan betrogen. Da sah ich denn, wie die meisten Menschen zurücktraten, mich vergaßen oder doch verschmerzten, aber mich zugleich achteten und sogar spät noch ehrten in Wort und That. Einige Heirathen, zu denen mich eine herzliche Zuneigung fast gebracht, wurden vom Geschick vereitelt, mir war's recht, ich hatte eigentlich meine Freiheit und Ottilien zu lieb, traute mir auch nicht Kraft zu, die Pflicht, die ich übernahm, falls ich heirathete, zu erfüllen, wegen Ferdinand.

siehe Bildunterschrift

Gottfried Osann 1823

Immer reicher ward mein Leben an Freunden, aber immer älter fühlte sich mein Herz. Da kam einmal der Gedanke in Ottiliens Seele, daß mich Gottfried liebe – ich erschrack, und doch dämmerte eine Morgenröthe von Glück in mir auf. – Wie ich nun in ewig neuem Zweifel tausendmal glaubte: es sei möglich, dann wieder: er sei zu jung, zu unbedeutend, ja sogar zu fremd meinem Wesen! – Aber er war das alles nicht, jeder Tag gab mir die Ueberzeugung; ich traute nun mir selbst nicht, ich fing an ihn zu beobachten, ihn zu prüfen – mein Gott, wie schön, wie rein war sein stolzes Herz, wie glich sein Gefühl dem meinen, wie waren tausend verwandte Empfindungen in uns; nur ist er reiner, besser, leidenschaftsloser als ich! – Da durchzuckte mich die Idee mit ihm durchs Leben zu gehen – und oft hab' ich mir gedacht: giebt's einen Erdentrost für mich, so kann er mir durch dies starke, edle und reine Herz werden. Aber ich fühlte wohl auch – nun war's an mir, für sein Glück zu sorgen, und ich beschloß, wenn er mich vergessen könne, es zu tragen und mich selbst zu vergessen. O gewiß, ich kann es! – Es ist nicht jene leidenschaftliche Qual, es ist ein stilles, hingebendes Vertrauen, das ich für ihn empfinde. Wir schieden – und Alles blieb unentschieden; da begann die Qual, die mich durchtobt – ich kann mit mir und meinen Gedanken nicht mehr fertig werden und leide ungeheuer. Und in diesem Augenblick geht mein Erdenstern in Wolken unter! – May's Liebe zu Line, mein Verhältniß zu Gottfried haben in Ottiliens Herzen die Sehnsucht nach Glück auf die höchste, auf die schrecklichste Weise gesteigert. Ich seh' sie der Qual der Phantasie, allem Zauber der unerfahrnen Jugend, jeder Träumerei, kurz jedem Uebel der Unerfahrenheit ausgesetzt, ich sehe die tödliche Angst, mit der sie wie eine Scheintodte die sie überall umgebende Gefahr erkennt und doch sich nicht retten kann. Mir fehlt die Kraft, ihr allen Ernst meiner Natur entgegenzustellen, sie gewaltsam herauszureißen; ich fehle in ihren Fehlern, thue Unrecht in ihrem Unrecht, gehe unter in ihrem Schmerz und habe nichts auf Gottes weiter, schöner Welt, um mich zu schützen vor einem Weh, das mir vielleicht Ruhe und Leben kostet. – Dazu abgeschnitten von Gottfried, von seiner ruhigen Sicherheit, mit dem traurigen Gefühl, ihm vielleicht weh getan zu haben! – Abgetrennt von meinem Bruder und den Schein einer Schuld auf mir und die quälende, verzehrende Sorge in mir – endlich Nataliens, Carolinens und noch all der andern Geschick auf mir lastend und nirgend die Möglichkeit, Ruhe zu finden. O mein Gott! gieb mir Frieden und Klarheit.

Ich habe dies alles geschrieben, weil ich dies Jahr fast für das wichtigste meines Lebens halte und ich mir selbst hier einen klaren Ueberblick gewähren wollte. Vielleicht bedarf ich dieser Blätter einst, um mich mir und den meinen klar zu machen. Sogar meinen Character, was ich über mich selbst denke, nahm ich mir vor, diesen Blättern anzuvertrauen, glaubt nicht, es sei das Vorgefühl des Todes, das mich dazu anregt, es ist warlich der Wunsch, Euch einmal ganz klar zu sein, vielleicht in meinem Alter, nun – vielleicht auch wirklich, wenn ich Euch verlassen habe.

Reise von Weimar nach Wiesbaden.

 

Den 6ten July.

Den Morgen in der Früh mit Natalien [v. Herder], Ottilie, Ulrike [v. Pogwisch] und Walter [v. Goethe] mit der Mutter abgereist. In Gotha sehr lustigen Mittag gehalten mit gehörigem Sinn und Unsinn. Gegen Abend Eisenach erreicht, die Schönheiten der Stadt Natalien zur Ergötzlichkeit gezeigt, dann noch von Ottilien sehr ernst geschieden und zu Hause den Mantel des Scherzes über Schmerz, Glück und Scherz gedeckt.

Den 7ten mit Kopfweh erwacht, Fach [Vacha] sehr früh erreicht, dann in Butla [Butlar] Mittag gehalten, mich an der Brücke über die Werra und an dem ersten schönen Theile des Wegs erfreut, weiterhin aber gänzliche Unfähigkeit zu allem. Julie wußte wohl nicht, wie sogar meine Gedanken, von Schmerz gelähmt, sie kaum flüchtig begrüßten. Abends in Fulda, Natalie war von der schönen, wohlhäbigen Stadt und der Gegend, der Abtei, den einzelnen Häusern entzückt. –

Sterling giebt mir viel zu denken, so überhaupt mein letzter Tag – komme ich zur Ruh', so denke ich einen langen ernsten Rückblick zu thun. Ueber einiges bin ich beruhigt, über anderes still ergeben, wie in ein Unabwendbares – ich weiß, wir können dem uns beunruhigenden Weh höchstens entgegen gehen – aber nicht ihm entgehen, unser Character, unsre ganze frühere Richtung treibt uns ihm zu. So sagte ich auch Ottilien, nur sind wir andern zu viel schuldig, um ganz frei handlen zu können. August [von Goethe] soll und darf nicht leiden. Sie fragte mich: ob ich darauf bestände, daß sie nun noch zum Onkel [nach Dessau] gienge, ich glaube mit aller Ruhe nein sagen zu können. Ich sehe sehr viel Schmerz, aber Gottlob! dank unserer Kraft, keine Schuld vor uns.

 

Frankfurt a. M., den 12ten July. Sonnabend.

Eben ist Natalie mit Struves nach Ems abgereist, es ist sehr seltsam, wie hier abermahls in allen kleinen Vorfällen mein Glücksstern und ihr Guignon vorherrschten. – Indeß ist mir recht, allein zu sein, oft genierte mich ihre Unsicherheit. –

Den 8ten erreichten wir Gelnhausen, Mittag in Schlichtern [Schlüchtern]. Den 9ten früh einen weiten Spaziergang durch die alten, herrlichen Trümmer der Stadt, ich hatte früher das Alles so nicht gekannt. Massenbachs Grab rührte mich wieder unendlich tief. – Von Gelnhausen nach Hanau, dort abermals Natalien herumgeführt und ihr die Stadt gezeigt, dann zur Westermayr, die wie immer sehr gut und freundlich war. Gegen Abend Frankfurt sehr fröhlich erreicht und den Abend mit Wilmans zugebracht.

Den 10ten herrlich sonnenklares Wetter, alle Staatsangelegenheiten der Damen besorgt, dann meine liebe Stricker aufgesucht und ihre zweite Schwester Lotte kennen gelernt. Abends oder vielmehr Nachmittags kam sie zu uns. Die Fichard fand ich nicht. Im Theater »Don Juan«. Orchester herrlich, aber dennoch ein unendlich schöner, seelenloser Körper – keine Leidenschaft, keine lebendige Tiefe – Guhr fehlte. In demselben Sinn die ganze Oper, kein Mensch wußte, was der Tausendsassa von Mozart eigentlich wollte! So einen Studenten auf's Theater zu bringen!! Dem. Rotthammer als Anna – schöne, wunderschöne edle Gestalt, ein leidenschaftlicher Ausdruck der nicht schönen Züge, reizender Mund. Volle Stimme mezzo soprano singt zu hoch für die Erhaltung dieser schönen Stimme und kann nicht über die Registertöne Herr werden. Don Octavio, Herr Nieser, sehr liebenswürdig. Stimme ohne Elastizität, aber sehr sanft und schmeichelnd, sehr guter Vortrag, glockenrein. Der Commandant, Herr Dobler, schöne Stimme, sehr braver Gesang, nie habe ich die Partie so gut gehört. Don Juan – burschikos. Ebenso ohne alle Laune der Leporello. Zerline eine kleine hübsche Person aus Stuttgart, die aber mit ihrer ungeschickten Grazie hier leider misfiel. – Im Ganzen eine gute Aufführung, die aber mit eben diesen, besser genutzten Mitteln vortrefflich seyn könnte. –

Den 11ten früh zu Schlossers, dann noch zur Fichard. Später kam die Saaling, erzählte mir viel, bezauberte mich, das jugendlich Reizende ist weg, aber die Anmuth ist dennoch geblieben. Mein Mitleiden steigerte sich bis zum Leidenschaftlichen. Ich sagte ihr, daß ich das Bild behielte, aber ich hatte nicht den Muth zu sagen, es sei mir kein liebes Bild. Ich sprach aus: die Idee sei mir das Liebste, und sie fing an zu weinen. Sie brachte uns Nachricht von Hamburgern, die uns in Wiesbaden erwarten, und mir eine Aussicht zur Rheinfahrt. Nachmittag kam die Fichard, die Stricker, die Schlosser, kurz Alles noch einmal mich und die Mutter sehen. Abend gieng ich zu Souchays, die abwesend, die Töchter reisen nach England, die Mutter bringt sie bis Heidelberg. Von da in den Anlagen spazieren gegangen. Abends fürchterliche Kopfweh.

Eine gar anmuthige Geschichte erzählte die Saaling. Im Freiburgschen in der Schweiz wollte sie nach der Messe mit Felix [Mendelssohn-Bartholdy] auf die Orgel eines Dorfes, um zu spielen. Oben finden sie einen alten, verdrießlich dreinschauenden Mann, Felix weicht scheu zurück – und Marianne muß in seinem Nahmen um die Erlaubniß zu spielen bitten. Der Mann sieht die Orgel – den Jungen an – schüttelt den Kopf und läßt seine Zweifel in verdrießlichen Gesichtern und der wiederhohlten Frage: » Der soll spielen?« deutlich merken. Felix spielt, und immer höher schwellen die Töne unter seiner Hand, und immer leuchtender werden die Gedanken – der Alte horcht, und sein Gesicht wird zum Wiederschein des Entzückens; plötzlich hebt er wie zum Himmel die Hände auf und legt sie dann unbewußt aus innerm Drange dem Knaben segnend aufs Haupt – Felix aber spielt fort, und ihm treten die Thränen in die Augen. Endlich fragt Marianne kühn und stolz: »Nicht wahr, er spielt brav?« Da antwortete der Alte: »Jawohl, und wissen Sie denn, wer ich bin? Das ist ja eben meine Freude, ich bin Aloys Moser und hab' die Orgel gebaut, und ist dies die zwanzigste, die ich in der Schweiz setze, und der Knabe weiht sie mir nun ein«.

 

Den 13ten [July]. Wiesbaden.

Aus höchst unangenehmer Gegenwart flüchte ich zurück – zu einem Schmerze, zu einem wehmüthigen Glücke! Sterling! Ottilie hatte den ungeheuren Muth, sich und ihn durch ihre scharfe, klare Lebensansicht, mit der sie auch sich selbst stets schonungslos trifft, es koste auch noch so viel, an die rechte Stelle zu setzen. Ich aber konnte mich lange durchaus nicht fassen. Mir war, als stehe ein entsetzliches Unglück bevor, und sagte ich mir auch zehnmal: Beide sind ruhig, so machte mich ein Wort, ein Blick wieder trostlos. Im Grunde war das natürlich, weil ich alle Sicherheit verloren hatte, seitdem ich an die Möglichkeit glauben mußte, Ottilien noch einmal mit ihrem Herzen dem Schmerz eines leidenschaftlichen Gefühls preisgegeben zu sehen – was ich nun irgend Thörigtes oder Kindliches in dem jungen Freunde sah, erregte meine Sorge, überall sah ich Leidenschaft, wo nur ein glühender Enthusiasmus für alles Schöne, Große sich auf mannichfache Weise äußerte und oft in leidenschaftlicher Form sich aussprach. Sterling glüht vor Ehrgeiz, aber dieser Ehrgeiz ist so unendlich kräftig und rein, so frei von kleiner Eitelkeit, seine Seele ist so durchsichtig klar, und sein Glaube an Menschen und an Glück und Menschen kraft so fest, daß ich mit Staunen und Rührung seinem Lebenswege folge. Wie ich eine schöne Blume bewundere und fast liebe, ohne den Wunsch des Besitzes, so giebt mir dieser Reichthum der Anlagen eine so hohe Freude, daß sie vergeistigend mich erhebt; denn nicht seine Liebe, kaum seine Anhänglichkeit wünsche ich mir, und obgleich mir ist, als begegnete ich ihm wieder und fände dann wieder sein Herz – so ist dennoch keine Sehnsucht in mir nach einem Wiederfinden, sie geht unter in der Freude an seinem Wesen. – Mir war sehr wohl, als er den Abend um 9 noch zu mir kam, um mir Lebewohl zu sagen. Jedes Wort zeigte mir, wie ruhig, aber wie innig sein Gefühl für Ottilie sei, die großartige, fast sagte ich königliche Art seines Vertrauens, die ihm unmöglich machte zu glauben, daß ich ihn verrathen könne, die stolze Sicherheit, mit der er Geheimnisse aussprach, und die weiche Demuth seines Herzens, das so dankbar ist; alles erfreute und bewegte mich. Nach einer Stunde schieden wir. Um 11 kam ein Billet, in dem er mich bat, ihm etwas in sein Buch zu schreiben, die letzten Zeilen des Billets rührten mich unaussprechlich, denn es war ein Rückblick auf alles Gesagte, ein Vorausschauen auf eine blühende Zukunft. Gott helfe ihm das Große wonach er ringt erreichen und vollbringen, uns seinen Untergang oder seinen Sieg würdig und muthig tragen.

In Eisenach nun – ich trennte mich dort von Ottilien – sprachen wir Beide das Alles sehr ernst und sehr traurig aus; was auch in dieser Neigung irgend Schmerzendes für Charles [Sterling] liegen könnte, muß vermieden werden, der Hauptschmerz, der ihm fast vorübergeht, trifft uns – denn wir fühlen ihn für ihn. Sie hat mich manches entscheiden lassen; ich meine: in so fern diese innige Neigung kein Unrecht an und für sich ist, so sind wir frei von Schuld, denn reiner kann kein Herz sein als das dieser beiden Menschen.

 

Den 14ten [July]. Englischer Hof.

Vorgestern kein ordentlich Logis bekommen, mehrere Gasthöfe vergeblich durchlaufen, 2 Treppen hoch geblieben in zwei miserablen Stuben, die wie Schiebladen sind. Den 13ten Mittag in der »Rose«, Abends im Cursaal und in den wunderschönen Anlagen. Paulus und Familie, Frau v. Schlegel alle steif und hölzern. Ich bin sehr krank und fürchte sehr. Zum Glück gefällt mir mein Arzt.

 

Den 15ten [July]. Gasthaus zur Rose.

Glücklich ausgezogen, geht es mir nun weit besser, mir gefällt die Wohnung, und mein Hamburger gefällt mir gleichfalls. Paulus und Familie sind steif; an Table d'hôte mitunter artige Leute, die kommen und gehen. Beide Abende in den wunderlieblichen Anlagen zugebracht. Es war eigen, wie mich am Sonntag das Gewühl und die Pracht der Toiletten ängstigte, während ich noch sehr bescheiden einherzog, weil nicht ausgepackt war. –

Abends. Und diesen Nachmittag trat Friedrich [aus Mannheim] in mein Zimmer!! – Carl [von Vincenti] hat eine Operation ausgestanden, indeß er lebt! – – Heut kommt Ottilie nach Haus, morgen schreibt sie mir, Sterling kommt morgen früh. – Stille, stille mein Herz, es werden andere Tage kommen, schönere, schlimmere, und am Ende rufst auch du: was liegt denn an dem kleinen Schmerz mehr oder minder in der großen Weltenweite? Sieh die Sterne an, die Bäume und Berge, und schweige, schweige endlich! – O gewiß, ich habe mich durch und durch gefreut, Friedrich zu sehen; nun ist er fort, aber ich kann nun die Wogen meines Gefühls nicht wieder zur Ruhe bringen, denn Wohl und Weh vergangener und kommender Zeit haben meine Seele erschüttert! – – …

 

Den 17ten [July].

Mit Chaufepié eine Partie nach Mainz. Chaufepiés Bruder [Herrmann], ein tauber, aber liebenswürdiger Mensch nahmens Eimke oder Eimbecke. Eigentlich war eine Generalsschwester die Veranlassung zu unserer allerseitigen Fahrt, ich weiß aber weder wie sie hieß Frau von Harff; in Mainz lag das Regiment Kerpen, dessen Inhaber ihr Bruder war. noch wie sie aussah. Sodann ist ein Herr Schreiber mit Frl. Nichte vorhanden, der mir sehr wohl gefällt. Viele Wagen noch außer den unsern gehörten zur Gesellschaft. Alle Donnerstage ist dort an einem öffentlichen Spaziergange eine recht sehr ausgezeichnete Musik eines in Mainz stehenden östreichischen Regimentes. Seltsam ist es, daß so gar keine Anstalt zur Aufnahme des sehr zahlreichen Publikums ist, man sitzt auf schlechten hölzernen Bänken und sind weder Erfrischungen noch etwa Zelte noch sonst irgend Bequemlichkeiten zum Ausruhen zu haben. Das einzige, was mich freute, war die Vorsorge der Officiere, allen Damen Schirme zu schaffen. Die Musik war sehr schön, sehr präcis und mitunter recht zart und schön ausgeführt, manche martialische Stellen waren überkräftig, aber der Lärm war mir hier recht. – Mich freute das alte Mainz, besonders von der Chaussée aus gesehen, Biebrich sahen wir diesmal nicht. Das Wetter war sehr trübe, der ganze Himmel umwölkt, und sehr beschränkt und dunkel die Aussicht – dennoch war es schön, aber es betrübte mich leise manche Erinnerung – woran Regen, Sturm, meine Sorge um die Mutter und mein Brustweh schuld sein mogten. – – Die andern Hamburger: Herr und Madame Gädichen gefallen mir weniger, sie tadeln zuviel. Je länger ich lebe, je deutlicher wird mir, daß tadeln leicht ist, aber das Lobende auffinden recht schwer – es gehört eine Milde des Geistes dazu, die den meisten fehlt.

 

Den 18ten [July].

Mittags mit Chaufepié im »Adler« gegessen. Der Frau v. Harff und ihrer Tochter zu Ehren eine Abschieds-Reit-Partie. Die Frau hielt hier die Gesellschaft zusammen, sie ist aus Cölln und macht dort ein großes Haus. Mit 73 Jahren ist sie so munter, als ständen die Zahlen verkehrt. Wir ritten auf Eseln auf die Hohe Wurzel. Dort war leider die Aussicht abermahls beschränkt durch den Nebel. Herr Schreiber führte den Zug an, wir waren alle sehr lustig, und dies war bis jetzt mein fröhlichster Abend …

 

Den 20ten [July].

Ich habe heut einen Studentenstreich von uns selbst zu berichten. Am Morgen schien die Sonne wunderschön klar, der Himmel war blau, und mein Morgengang machte mich unbeschreiblich heiter. Gegen 12 giengen wir zu Gädichens, die aber mit Chaufepié in Schwalbach waren, dann in den »Adler«, um nach Lotterienlisten zu fragen. Als wir in dem Hausgarten so auf und nieder wandern, fällt uns Beiden ein: ob wir den Abend nicht gen Biebrich fahren könnten? Wir sind aber allein! Ich schlage vor, Ernst v. Brederlow, den ich gestern Abend gefunden, mitzunehmen; die Mutter hat Bedenklichkeiten; inzwischen stehe ich in einer Weinlaube und betrachte so seitwärts einen hübschen ältlichen Mann, der aussieht wie Könneritz in zwanzig Jahren, er redet mich an und fragt, ob ich Wiesbader Wasser trinken will. Mir ist das lächerlich, ich antworte verneinend, die neben ihm sitzende Frau mischt sich in's Gespräch, und somit bleibt mir kein anderer Weg, ich bleibe so vor ihnen stehen, Mutter kommt dazu, erkennt den Herrn für einen der ihr gestern so obenhin im Kursaal Vorgestellten, weiß aber nicht, wer es ist. Eine Nichte kommt an, wird als Frl. v. Vergure mir präsentiert, ich ihr. Im Kursaal hatte ich die Damen ebenfalls gesehen, aber, wie Chaufepiés Partien nun eben sind, eigentlich nichts von ihnen erfahren, denn man gehört zusammen und ißt doch ganz getrennt mit den lieben Seinen, es fehlt eben überall an Leichtigkeit.

Unsere Fremden gefallen uns ausnehmend, es findet sich, daß sie den Hof von Weimar und viele Bekannte an vielen verschiedenen Orten kennen, und so steigt das Interesse und die Neugier zu erfahren: wer wir sind. Wir erwähnen Biebrich, die Fremden wollen hin, sie bieten uns an mit ihnen zu fahren – und Mama nimmt es an. Somit waren wir mit Leuten engagiert, deren Nahmen wir nicht wußten. Zu Hause durchfliegen wir die Badelisten, nach Frl. Vergure suchend, um die Tante zu errathen – nichts, erst Abends vorher waren die Damen aus Schlangenbad gekommen! Eine Stelle am Hofe hatte der Herr, und vornehm war er; demnach fangen wir an zu suchen: im »Adler« wohnt nur ein Adliger und zwar ein Herr v. Biesenroth, Oberschenk aus Cassel; daß nämlich die Familie aus Cassel hatten wir auch heraus. Somit begeben wir uns denn um 4 Uhr in den »Adler«, finden die Fremden, steigen in den Wagen, amüsieren uns ganz vortrefflich und langen in Biebrich an in einem Augenblicke, dessen Schönheit uns durch so manchen trüben Tag doppelt fühlbar geworden. Es waren Biesenroths, er selbst erzählte eine Geschichte vom Herzog v. Coburg, in welcher er sich nannte: »Da schlug mir der Herzog auf die Achsel und sagte lachend: mein lieber Biesenroth, da haben Sie mir einen großen Gefallen gethan« – uns auch, dachte ich, lachte aber nicht; bis zu diesem Moment hatten wir durchaus nicht gewußt, mit wem wir waren; uns nannten die Fremden indeß mehreremal. Es waren geistreiche, liebenswürdige Menschen, es war der Ton, den ich gewohnt war; Frl. Vergure war mit Baumbachs verwandt, sie kannten Grimm und Heimrods und eine Menge anderer; wir erzählten, lachten, scherzten wie recht alte Freunde – und schieden am Ende des wunderlichen Abends recht schmerzlich, denn hier ist niemand, der uns werden könnte, was diese in wenig Stunden uns waren. –

In Biebrich war es unendlich schön! Ein Oberkammerherr v. Wintzingerode, der Freund des Herrn v. Biesenroth, führte uns auf den Balkon und in den Saal. Die Schönheit der Aussicht ist nicht zu beschreiben, von oben im Marmorsaal hat man zwei Bilder, deren wunderschöner Contrast mich erfreute, von der einen Seite sieht man Mainz mit seinen prächtigen alten Türmen und Gebäuden, der breite Fluß davor, die Insel mit ihren Häusern und roten Dächern (alle heißen Auen, aber den Beinamen Petersaue. vergaß ich), gegenüber sieht man wieder durch die Fensterrahmen in den Garten, dessen schönes Schattengrün vom Silberlicht der Fontaine verschönt ist. Ueberall lagen die breiten goldnen Abendlichter auf Fluß und Park. – Vom Balkon aus sah ich vor mir den Strohm, rechts die schöne Jacht darauf mit ihren goldenen Löwen am Schiffsschnabel und mit aller Pracht ihrer Verzierungen im Sonnenschein glänzend, über ihr am entgegengesetzten Ufer eine alte, in Dämmergrau gehüllte Stadt – weiterhin rechts den Ort Biebrich, dann Elfeld [Eltville], dann glaub ich Geisenheim – Mainz auf der linken Seite, die Schiffsbrücke und Kastel und noch viele weißleuchtende Häuser und Orte und ganz in der Ferne die Neckarberge.

 

Den 22ten [July].

Gestern Regentag, ganz still zu Haus, an Tafel viel mit Herrn Obristl. v. Bothmer in Hannöv. Dienst und Geheimrat Handel aus Trier gesprochen; ersterer ein recht interessanter Mann, dessen lebenswarme, helle blaue Augen sein Alter ableugnen. Geh.-Rat Handel klug, gebildet, aber ohne Anmuth. Abends mein lieber Friedrich und Chaufepié. Wir gehen von hier nach Mannheim. – – –

Ein trüber Gedanke verfolgt mich! Mein armer, so lieber Gottfried! Seitdem ich mit einigen älteren Männern wieder gern und viel geredet, seitdem ich hier mehr mir selbst gehöre und nicht fremder Einwirkung ausgesetzt mich fühle, sehe ich das Unabwendbare der Trennung! aber bei Gott mit tiefem – so tiefem Schmerz, daß ich nicht hinzusehen wage, wie es werden soll. – Uebers Jahr soll ich wieder nach Wiesbaden. Er kommt nach W[eimar]! War ich doch vor wenig Tagen noch so fest entschlossen, nicht zu weichen, und jetzt! Ich bin doch verloren, denn nie werden wir uns vereinigen. Jahre liegen noch trennend zwischen uns, selbst wenn er mich liebt – selbst wenn ich ihn wiedersehe, und ich werde veralten – das soll sein Leben nicht bedrohen, das darf seine Tage nicht umschatten! – Zusammen veralten ist schön, aber erst in späten Jahren sich vereinen ist Torheit und darf und kann nicht seyn, so lange nichts Wesentliches sich ändert. Armer, armer Gottfried! Wir haben beide uns die Bahn gewählt, die uns trennt, arme, arme Adele.

 

Den 27ten [July].

Ich hätte viel und einiges sehr Hübsche zu schreiben – ich kann nicht. Wenn ich unter frohen Menschen bin, werde ich's mit; dann bin ich lauter Lust und Leben; sehe ich aber einen trüben Blick oder spricht jemand das Wort Trennung, Schmerz, Vergangenheit aus, so tritt mir Gottfried nah, und eine tödtliche Wehmuth durchzieht meine Züge. Dann denke ich auch wohl an Sterling, an Ottilien, und sitze stumm in mich gekehrt – oder ich wende mich weiter noch zurück und Ferdinand [Heinke] geht wie ein Schatten an mir vorüber. Ich habe immer gewußt, daß mein Herz zu weich ist für die harte Hand des Lebens.

Einen dieser Abende brachten wir theils spazierengehend und mit dem Maler Bläuler, theils auch bei Frau von Wintzingerode zu. Ihr Sohn sehr jung, sehr gebildet, ihre Cousine oder Nichte die Hofdame in Biebrich, sehr angenehm und jugendlich anmuthig. Noch eine Verwandte, sehr verwachsen, aber ungemein freundlich und herzlich sogar, bei angeborener Vornehmigkeit. – Tages darauf mit Chaufepié und Gädichens, später mit Eimcke zu Hause sehr froh gewesen. Eine Partie, die mir vor andern ungemein angenehm war, nach Elfeld – zwar man muß so etwas von vorn herein andächtig beschreiben. Doctor Rollmann, der Neffe des Geheimr. Lehr, fuhr uns, Chaufepié hinterdrein, dann Herr und Madame Gädichen natürlich der Zärtlichkeit wegen allein. Zuerst auf dem Landwege nach Schierstein, [Nieder-]Walluf, wo mich die Ruine der kleinen Kirche am Strande abermahls erfreute, durch Elfeld (Bernhards aufgesucht, aber nicht gefunden), dann nach Erbach, von da nach Hattenheim, den Schultheiß Braun mitgenommen und auf das Schloß Reichartshausen, um des Grafen [Benckendorf] kleine Gemäldesammlung zu sehen. Meistens dort mir ganz fremde Sachen. Eine Ansicht des Bamberger Doms von Quaglio (?), dann sehr schöne französische Portraits, ein großes Stück von David, dann das sehr schöne Portrait von Stieler, der Graf selbst. Sein kleiner Knabe von Chevalier de L'Amit. Ein paar schöne Landschaften von Schönberger, ein gutes englisches Bild, Familienstück im niederländischen Sinn, was mich anfangs irreführte. Eine schöne Landschaft von Hackert mit einem herrlichen Baume. Endlich ein sehr gutes Tierstück, eine Löwin mit ihren Jungen, trotz aller angewendeten Müh ist der Nahme mir entfallen. Ein Blumenstück im Sinn der Knappschen mit gleichen Vorzügen und gleichen Fehlern von van Dael, wahrscheinlich niederländisch, 1819 gemalt; wie überhaupt beinah alle diese Gemälde neu oder von erst kurz verstorbenen Meistern sind. Von Reichartshausen nach einem Landgute des H. Mappes, reicher Weinhändler in Mainz. Es war fast zauberhaft, als uns in dem unbeschreiblich freundlichen gemütlichen Hause am Rhein eine reiche Collation bereit stand, dann kamen ein paar Herren, Freunde des Hauses, uns bewillkommnen. Mir fiel gleich ein: Herrmann Chaufepié liebe Mappes' Tochter und das solle eine Partie werden. Aus Chaufepié bin ich nicht klug geworden, nach seinen Worten muß ich glauben, er habe die Sache nicht gewußt, nach andern Umständen muß ich sie für deklariert halten; soviel weiß ich: Mappes fuhr mit seiner Nichte hierher, sie dem Vater zu bringen. Gestern waren wir alle zu einem höchst prächtigen Diner nach Mainz geladen. In Hattenheim war niemand von unsern Wirthen zugegen.

– Die Du wie ich Liebe und Leidenschaft kennst, die Du den unendlich tiefen, höchst selten festschlafenden Seelenschmerz kennst, Du wirst ja begreifen, was um mich niemand tief zu fühlen schien als der alte Mappes, wie mir das Herz wehthat! Die Familie war zusammen. Alle schienen etwas zu wissen, keiner sprach es aus. Das Mädchen zitterte, als sie die Schwestern, den Vater bewillkommnete, gestern hatte sie gar Krämpfe bekommen vor Angst. Der kranke Onkel ließ die Mädchen vor sein Bett holen – um Herrmanns Schwestern zu sehen. Der Alte konnte sich kaum fassen, Chaufepiés waren hingegen ganz ruhig. Das Haus war prächtig, die Bedienung der Tafel und alles Dazugehörende fürstlich reich; und doch waltete ein so heiterer, gemüthlicher Geist durch das alles, daß uns allen war als wären wir schon oft dagewesen. Nie sah ich eine so zahlreiche Familie, alle scheinen reich und froh. Die Frauen haben kräftige schöne Gestalten, die Männer sind zum Theil geistreich, wie mir schien. Ich fand mich nicht zurecht in der Familie, doch kenne ich jetzt: Herrn Mappes, dessen Bruder, der krankheitshalber nicht gegenwärtig, Herrn Mappes Sohn und Frau, deren Kind, Madame Dümont, seine Schwester oder Schwägerin, deren Tochter Babett, die Geliebte, und einen jüngeren Sohn, Herrn Mappes' zweite, dritte und vierte Tochter, erstere verheirathet – den Nahmen vergaß ich; Fritz Dümont, dessen Frau ich nicht zu erkennen weiß; endlich noch einen jungen Dümont, wahrscheinlich sein Sohn, Mad. Meletta, die Schwester von Herrn Mappes. Am allerbesten gefiel mir Mad. Dümont. Noch war der Russische Staatsrath Faber gegenwärtig und ein Herr Hoffmann.

Herr Mappes hatte eine Frau mit 19 Jahren geheirathet, die ihn sehr unglücklich machte. Eine zweite hat er unbeschreiblich geliebt, als er sie verloren hatte, blieb ihre Freundin Mad. Geiger die seine. Das muß ein sehr seltenes, sehr wunderbares Verhältniß gewesen sein. Mehrere Verwandte (ich glaube auch eine Tochter von ihr) waren gegenwärtig. In seinem Schlafzimmer hingen zwei Bilder von ihr, in einem Zimmer darneben viele hübsche, vorzüglich durch Beziehungen interessante Zeichnungen von ihr. Unter jeder stand der Tag, hier und da ein Spruch, ein Nahme, alles Zeichen fortwährenden Beisammenlebens. – Auch sie starb – Herrmann folgte ihrem Leichenbegängnisse; während Mappes die todtkranke Freundin pflegte, fand Herrman die Tochter der Dümont in Hattenheim. –

Als ich den alten Mann mit Thränen in den Augen allein fand und ihn verwundert wehmütig ansah, ergriff er meine Hände und sagte mit fast verzweifelnder Hast und doch so schmerzlich innig: »Ich bin trotz dem Allen nicht glücklich! Die Andern sind's, ich thue alles, was ich kann, sie mögen's seyn, sie umgeben mich, aber dann geh ich still fort, immer, immer allein!« Noch viel der Art sprach er, wie schöne Gegenden ihn an alle frohe Stunden mahnten, die er mit ihr hätte genießen können, wenn sie nicht fremden Tadel gescheut hätte. –

Mir war sehr weh bei der wunderbaren Schwärmerei eines Mannes von einigen 60 – vielleicht 70 Jahren! – Den Nachmittag fuhren wir um Mainz, abends aß ich bei Chaufepié. Fast hätte ich alles für nicht wahr gehalten, so lustig und unbefangen waren sie. Und Herrmann ist ihr einziger Bruder!

 

Montag, den 28ten [July].

Gestern kläglicher Sonntag, eine schöne Partie im Rheingau aufgesagt, an Table d'hôte weder Bothmer noch GH. Handel. Abends die Familien Paulus und Chaufepié, noch später mit letzteren im »Adler« gegessen, viel mit Baron Greiffenklau, Freund des Herrn v. Haxthausen, gesprochen. Der Papa hat Recht, Sophiechen [Chaufepié] muß fort – und er sollte nicht mehr mit den Töchtern so viel reisen. Der zarte Duft der Jugend geht auf diese Weise verloren …

 

Den 30ten [July].

Diner und Declaration bei Chaufepié, alle Mappes dort vereinigt, das ist eine wunderliche Familie. Unter andern ist Mappes' Schwester eine Nonne, einer unglücklichen Liebe wegen gieng sie in's Kloster, blieb 25 Jahre bis zur Aufhebung aller Klöster, kehrte dann zurück, lebt nun in der Welt, hat sich zufrieden gegeben und spielt alle Abend ihr Partiechen.

Es ist sehr sonderbar, ich kann die ganze Geschichte noch nicht gelassen ansehen, mir ist so weh um das arme Kind, denn wenn Herrmann sie so recht innig liebte, hätte es Chaufepié gewiß wissen müssen. Zuweilen treten mir Thränen in die Augen, denn – seit langer Zeit sah ich nicht den Abglanz tiefer Liebe wie in der Babett. Sie sieht die eine Schwester so an, daß ich am Blick errieth, nur Jette gleiche Herrmann. – Und ich! und ich! unmöglich kann ich's tragen so erinnert zu werden – jetzt gerade! Ich denke oft, ich sterbe recht bald. Gestern war ich abends so betrübt und so krank, daß ich zu Bette gehen mußte, ich konnte weder reden noch reden hören.

 

Den 31ten [July].

Mutter war unwohl, nur mit Chaufepiés Mädchen den Nachmittag, nachdem wir im Kursaal Kaffee getrunken, spazieren gegangen, Abends Thee bei Fr. v. Wintzingerode. Die Frau ist gar lieb. Bei ihr die Bekanntschaft der Fr. v. Marschall und der Fr. v. Massenbach. Ich empfand, wie ich eigentlich nur in den vornehmeren Kreisen die glückliche Sicherheit der Haltung zu finden weiß, dort nur befinde ich mich in meinem Gleise …

 

Den 1sten August.

Ich habe es alle diese Tage empfunden, daß Chaufepiés Mädchen Sophie und Jette mit dem wachsenden Gefühl der Liebe das Bewußtsein des Unrechts gegen mich vereinten. Den Abend nun kam das zur Sprache. Solche einfache Naturen sind zwar gewöhnlich sehr scharf, aber es thut mir Noth, unbefangenen Tadel zu hören. Es war die alte Geschichte, ich spräche zu gelehrt und zu schön – unnatürlich nach der Mädchen Einsehen. Das habe auch Herr und Frl. Schreiber gefunden und Gädichens. – Das ist möglich, und gewiß, ich will mich in Acht nehmen, wenigstens nicht mehr irgend einen Gegenstand erschöpfend zu berühren. O wie hatte mich Gottfried verwöhnt – und alle die Menschen in Weimar, die alle unbewußt so viel Bildung errungen haben, daß sie in der Art tolerant jedem Geist seine gewohnte Form lassen! – Auch Biesenroths sollten bei diesem Gericht über mich gemeint haben, ich spräche etwas zu viel von mir selbst. Nun, im ersten Augenblick that mir der Tadel recht weh, im zweiten machte ich mir nichts daraus, im dritten nahm ich mir vor ihn zu benutzen. Ich gebe nun recht Achtung auf mich und hoffe zu Gott, es soll mir gelingen, die Bescheidenheit, die ich wahrlich im Innern habe – denn was bin ich! was kann ich denn eigentlich! – die tief empfundene Demuth wenigstens nicht als Stolz zu zeigen. Meine Rechtfertigung ist der gewaltige Quell des Lebens in mir; wollen die Steine keine Funken geben beim Anschlagen, will mir's nicht gelingen, sie für die Schönheit der Welt empfänglich zu machen, dann versuche ich's mit Erzählen; Klatschen ist mir fatal, ich gebe lieber mich preis als einen Andern, aber wahrlich keineswegs um zu glänzen, sondern – um etwas zu reden, damit nur die Leute mit warm werden. – Dennoch haben die Kinder Recht, und ich werde streng auf mich achten. –

 

Den 2ten [August].

… Abends im »Adler« Herrn v. Haxthausen wiedergesehen. Eine schöne – selige Stunde gelebt, denn seine Art zu reden und das Feuer seines Herzens, das so all sein Leben durchwärmte, ohne seine Phantasie zu erhitzen, die klare schöne Einfachheit seiner Worte und Ansichten erinnerten mich an meine Jugend, an Ferdinand – und ich war wieder ein Kind und hörte ihm mit Staunen und Freude zu.

 

Den 7ten [August].

Seit drei Tagen bin ich krank. Heut früh habe ich von Bothmer Abschied genommen, wir waren Beide steif – und traurig – er auch. Ich kann so etwas nicht äußern. Jetzt eben gar nicht. Ich fühle mich wieder trostlos, obgleich nicht schwach, und trauriger waren meine Ansichten nie. Ich habe fleißig, sehr fleißig und schön gearbeitet, auch sonst mir wohl Wort gehalten in Hinsicht des Fehlers, den ich ablegen will, ich könnte zufrieden seyn. Ich bin auf Sonnenberg gewesen und in Biebrich habe ich eine Menge liebenswürdiger Frauen kennen gelernt, ich habe mich Mittags mit Haxthausen, Graf Coudenhove, Bothmer und Geheimrat Handel immer angenehm und froh unterhalten, aber es hilft nichts. Ottilie schreibt auch nicht! – Und die verwünschte Intrigue mit Z. R. [Zu Rhein] geht ihren Gang. Muß ich einen Mann, den ich achte und schätze, betrüben – muß ich der Swieten zusehen, wie sie ihm und mir allerlei Noth bereitet, und die arme, arme Glauburg! – O mein Gott, es ist unaussprechlich hart, wenn man geglaubt mit dem Leben fertig zu sein und nun ruhigen Herzens seine auferlegten Lasten zu tragen, wenn einem dann noch einmal die Jugend zurückzukehren scheint, um uns zu verlocken! Ich sterbe in dieser Ungewißheit über Gottfried! Nicht aus Leidenschaft für ihn; noch immer kann ich selbst ihn aufgeben, ich kann wenn es sein Glück fordert, zurücktreten, ich kann ihn auf immer vermeiden, ja sogar ihm verbergen, was es mich kostet, aber den Traum möglichen Glücks aufgeben, das kann ich nicht. Warum schweigt Gottfried, und dennoch spricht seines Bruders, seiner Mutter Betragen, warum spricht meine Erinnerung – Julie [Kleefeld], mein Herz, alles alles die nämliche Sprache!

 

Den 9ten [August].

Mir ist wohler. Herr von Haxthausen war den ganzen Abend über bei uns; vorher noch mit Brederlow im Kursaal. Graf Coudenhove hat sich eines Bessern bedacht, es ist nicht möglich artiger zu sein. Haxthausen ist ein sehr reicher vornehmer Mann, aber in seinem Wesen doch sehr einfach. Er spricht von Güterankauf und der Beleihung der Familien v. Hammerstein mit der alten Burg am Rhein, die er gekauft hat, um sie jenen zu lassen, die ohnedies Lehn tragen von seinem Hause, von den romantischen Zügen und Einrichtungen, in der eben so romantischen Gegend, vom ganzen wirklich gar schönen Feste – wie wir von einem neuen Kleide, das wir zu verschenken meinen. Das ist mir nun eben recht, ich liebe Pracht, Reichtum, großen Aufwand, wenn ein edler und nicht kleinlicher Geist recht frei und fröhlich darüber waltet.

 

Den 17ten August.

Vielleicht schreibe ich so wenig, weil Ottilie mir noch kein Wort schrieb. Ich erhalte häufig Briefe, die mir beweisen, daß sie wohl ist und wahrscheinlich auch recht froh – auch ist Sterling noch da. – Meinst Du, ich verstände Dich nicht? O leider, leider nur zu sehr! Von Abnahme unserer Liebe kann auf der Erde schwerlich je die Rede sein – aber vom Drang nach Glück hingerissen, vom täglichen Gefühl der Pein getrieben, endlich betäubt von dem geheimen Empfinden der Schwäche in Dir, an die wir Beide nicht geglaubt, weil wir uns frei hielten durch unser Leiden und Lieben – von so viel inneren Qualen zerrissen, hältst Du Seele und Augen immer nur auf einen Punct gerichtet, um die Gespenster um Dich nicht zu sehen. Der Punct ist leuchtend wie ein Stern, darum beglückt Dich seine Schönheit, Du verlierst Dich in dem Glanz, und weil Du rein und edel bist, so hat Dein Gewissen keine neuen Vorwürfe Dir zu machen – unrecht handlen wirst Du nie! Aber nun laß mich hier den nahmenlosen Schmerz auszusprechen versuchen – Sterling wird scheiden – ein Stern nach dem andern verlöscht, und mit diesem gewaltsamen Hingeben des ganzen Seyns an ein Gefühl, mit dieser scheinbaren Leidenschaft, die doch ihrem Ursprung nach keine ist, zerstörst Du Dich – wenn Du auch leben bliebest. Wärst Du, was Du warst, wäre die hohe Kraft Dir nicht gebrochen, die Dir Ferdinanden gegenüber die Riesenstärke gab – Du würdest in dem Gefühl für Sterling mich bedürfen, um mir Dein Glück, Deine Freude mitzutheilen! Wir sähen dann wie damahls in Eisenach der schönen, glänzenden Erscheinung nach! Ottilie, Du aber bedarfst meiner Nähe jetzt! Und ich! Klar und deutlicher als je steht mein Beruf vor mir! Gott wird mir Kraft geben, und die Fehler in meinem Wesen werde ich besiegen, gefaßt, ernst, fest wie ein Mann werde ich durchs Leben ziehen, man wird mich lieben, mir folgen, man wird auf mich bauen, und ich werde dem Allem zu genügen streben, oft wirds gelingen. Aber wenn ich dann einem Menschen wohlgethan, so wird mein Weg wieder einsam sein, bis eine neue Arbeit mich anregt, auch wird das, was ich thue, stets unbedeutend seyn, wenn ich es mit meiner geistigen Kraft messe, nur innerlich werde ich leiden – wie sehr, wie tief! Leidenschaftliche innige Liebe fehlte meiner Jugend; als ich Ferdinand verlor, hatte ich die Möglichkeit eines solchen zweiten Gefühls mit verloren. Gottfrieden liebe ich anders, tief, innig, aber anders. Er gehört in seinem Wesen wie in meinem Gefühle mehr der Wirklichkeit an. Ich fürchte, er wird nie ahnden dürfen, wie lieb ich ihn habe, ich werde auch ihn wie jedes Glück der Art aufgeben müssen und dem kalten Recht mein warmes Herz opfern. Ich kann's, und eben weil Gott mir Kraft gab, muß ich's, wenn es meine Pflicht fordert. Aber die Menschen ahnden nicht, wie tief ich leide, und nie werde ich es sagen, nie zeigen dürfen – ich gehe immer einsam durch ihre Liebe hin, ihre Arme umfangen mich, aber die meinen strecke ich sehnend aus – nach einem bleibenden ausschließenden Gefühl für das ganze, weite, mächtig dunkle Leben! – Ottilie war mir Inbegriff alles Liebens, zu ihr wenden sich alle Gefühle, das ist der einzige Ort, wo sie sich vereinen dürfen; ihr Herz ist der Friedenshafen, in dem alle meine im Sturm umhergetriebenen Wünsche landen! und hier trifft der tödtende Schlag! Und doch! doch habe ich Kraft und werde es tragen müssen, aber ich sterbe innerlich – ich weiß wohl!

 

Den 19ten August.

Ich will mein Gefühl fassen in Worte, wenn's möglich ist – Du Ottilie sollst klar in meiner Seele Tiefen hinab sehen – und wenn ich einmal todt bin, dann mögt Ihr Andern mich verstehen lernen – ich habe nie mich Euch so deutlich machen können! Du Gottfried, stehst auch wunderbar nah – Ihr sollt mich einmal hören, wie ich selbst selten die innere tiefe Stimme des Lebens in mir höre. – Ich habe Ottiliens Brief; ich sehe, daß sie Sterling liebt – liebt? Habe ich das geschrieben? Ich kann's nicht denken, weil mich's tödtet zu denken, daß sie, die Ferdinanden so glühend liebte, zum zweitenmahle ebenso liebt! Dann fühle ich, Sterling ist unser Jugend-Ideal, und schweige tiefbekümmert. Wenn Ottilie nicht Ferdinanden durch dieses, alles Irdische weit überreichende Gefühl mit zauberischer Gewalt ergriffen hätte, so – ich wage es nicht zu denken! so hätte vielleicht, wahrscheinlich, Ferdinand mich geliebt, wahrscheinlich hätte meine glühende Erwiederung dieses Gefühls Charlottens Recht gekränkt, und ich wäre sein geworden. Seltsames Leben, wie führst Du uns? O ich sehe nun wohl die Riesenschrift meines, Deines Daseyns, wie sie von uns ungelesen so lange da stand, vor dem innern Auge! Ottilie wurde erst durch das verwandtschaftliche Gefühl für Franz Nicolovius allmählig, ganz leise auf den Weg zu dieser Neigung gebracht, Franzens Untreue gab ihr die Möglichkeit eines leidenschaftlichen Schmerzes, Baptiste nahm ihr die Achtung für die Welt, für Augusts Urtheil, für den Anschein des Rechts, der Pflicht. Allmählich führten Linens Beispiel und meine tiefe Teilnahme an Gottfried ihr die Sehnsucht nach Liebe wieder in's Herz – hätte August dem Schmerz um Heinke sein ernstes Reich gegönnt, nie wäre es dahin gekommen, nie hätte Ottiliens Seele ein ander Glück gesucht als das inniger Freude an Heinkens schönem Leben! Vielleicht hätte der Schmerz sie nie losgelassen, aber jede Sehnsucht, jeder Wunsch wäre zum Sternbild des innern dunkeln Himmels geworden, nie wäre ein solcher Wunsch als verzehrender Blitz erschienen. Und nun! Und doch, hätte ich ahnden können, daß Ottilie je sich wegwenden könnte! wie anders wäre Alles! An ein zwar himmlisch reines, hohes Gefühl, aber an eines, das vergänglich war, habe ich meines Lebens Seligkeit verlieren müssen! Mir kam Ottiliens Liebe für Ferdinand immer so unabänderlich vor wie der Sonne Bahn, und meine Tage und Nächte zählte ich ab an ihr. Nun aber! Nein, nein, die Erde hat keine Ewigkeit des Gefühls, und doch meine ich, sie ist in meinem Herzen. Wie ich Heinke liebte, Gottfried so liebe ich Dich nicht, aber ich fühle mit unendlicher Gewalt, wie theuer Du mir geworden! Fester Mensch, treu und klar wie Du fand ich keinen, ich könnte mein Daseyn hingeben, um Dir eine Stunde lang Freude zu machen, denn die Erinnerung würde bleibend sein in Deiner Seele! Ich denke nun an Ferdinand wie an mein Schicksal, wie an meine Hoffnung auf Jenseits, wie an Gott, ohne Wunsch, ohne Reue, ohne Thränen. Das war meines Geschickes Ruf, ich habe ihm gehorcht, und nun ist's zu Ende. Nicht wie Dir, Ottilie, ist mir der Schmerz zum Schilde nöthig gewesen, auch nun ich nicht mehr leide, bin ich sicher, wie Heinke liebe ich nichts mehr: verliere ich Gottfried noch, so ist mein Herz versteint, dann kann ich sorglos des Lebens glatte Bahn umschiffen!

siehe Bildunterschrift

Ferdinand Heinke

 

Den 20ten [August].

Gestern Nacht in der schönen friedlichen Stille, am Ufer des Rheins, und Morgens in einem langen einsamen Gange habe ich Frieden gesucht – Fassung bekommen. Glaube nicht Ottilie, ich könnte meinen, Du habest Ferdinanden vergessen! Das ist nicht das Wort; nur wie Du mir den Zustand beschreibst, in welchem Du bist, seit Sterling Dir so nah, so sehe ich auch nur die Wiederhohlung dessen, was ich in Ferdinands Nähe empfunden, und sieh, das schmerzt mich eben so tief – ich meinte, August habe Dich davor geschützt. Daß wir noch Kraft genug behielten, das Leben zu lieben, bewies, daß wir auch außerdem noch lieben konnten; aber mich dünkt, nun sei es alles anders – in klarer Anschauung des Lebensmeers, das mich trägt, kann ich wohl in ihm des Himmels Blau erkennen und seine Sterne aufflackern sehen im Wiederschein, aber ich täusche mich nicht mehr; ich weiß: oben der Himmel, unter mir das Meer! Demungeachtet verstehe ich vollkommen die Möglichkeit Deines Gefühls, ja ich sehe, wie alles so kommen mußte, wie es gar nicht anders möglich war. Deine himmlische reine Natur tröstet mich, aber ich weiß, die Welt hat das Urtheil über uns gesprochen. Ich weiß, daß auch ich lieben kann – und vielleicht, obschon in anderer Art, ebenso tief als ich Heinke liebte, aber mit dem Gefühl erstirbt dann meine Kraft, wenn ich unglücklich werde; zum zweitenmahl vermag ich nicht die Täuschung des möglichen Glücks zu ertragen. Deshalb quält mich ja die Ungewißheit jetzt so sehr. Immer tiefer schlagen die Wurzeln des Gefühls in mein Herz, und doch gleicht nichts der ersten Liebe; ich bin stark, fest, gefaßt, aber dennoch kommen Träume, aber alle wurzeln auf der Erde. Schaffen und genießen, das Rechte mit doppelter vereinter Kraft thun, ausruhen von dem ewigen Bevormundschaften Anderer, mich unterordnen ohne Täuschung, aber mit Zuversicht, das ist der Traum meines Erdenglücks – jener erschwärmte Himmel, ach jenes Paradies der Jugend ist selbst dem Wunsche verschlossen!

In dieser Zeit war ich auf dem herrlichen Johannisberg mit Mappes, Dümonts und Chaufepiés, die wir dort von ihrer Rheinfahrt zurückgekehrt fanden. Es war unaussprechlich schön. Mit Gädichens, die seitdem abgereist sind, auf der Hohen Wurzel, eine Aussicht, die mir fast die schönste hierherum dünkt, ein himmelschöner Abend. Eine oder zwei Partien nach Biebrich, dort immer mit den jungen Hofdamen Frl. v. Wintzingerode und v. Marschall. Spazierengegangen mit der Präsidentin v. Mülmann. Ferner Bekanntschaft der Bremer Damen Mad. Schmidt und Frl. Schepeler. Mit ihnen auf Eseln nach dem Geisberg, nach dem Nerothal, die Trauereiche gesehen, die eine ganze Menge Ideen wachgerufen hat in mir … Frl. v. Wintzingerode, unserer lieben Bekanntin Tochter, angenehmes sanftes Gesicht, sehr verwachsen, kindliche ungetrübte Heiterkeit, Freibrief für's Leben durch stille anmuthige Beschränkung. Deren Bruder unglücklich, durch inneren Anspruch und äußere Verlegenheit; Bildung ohne Grazie, Stolz ohne rechte Kraft, kränkelt an Weibererziehung. Liebhaber gefunden: 1) Bothmer, der Liebling aller Damen hier im Haus, worüber ich sehr verwundert, was mich aber doch herzlich freut, nun sehe ich, daß er mich freiwillig auszeichnete. 2) Herr Pietsch, Kaufmann aus Mainz, von sehr gewöhnlicher sinnlicher Art, dem, glaube ich, mein Kammermädchen ebenso gut gefällt als ich, der aber doch Verstand, Kenntniß, glühende Freiheitsliebe und einige revolutionaire Gesinnungen hat. Mad. Souchays Nichte und Zögling seine Frau. Der Mann kam jeden Tag und sparte weder Blicke, Händedrücke, eine Art Ehrfurcht und eine Art Begeisterung, um mir recht viel weis zu machen, gieng aber nicht. 3) Haxthausen ist schon erwähnt. Herr v. Fichelius, ein junger schöner neumodischer gelangweilter Mann, Freund der Günderode, der allen, ergo auch mir, schöne, nonchalante Dinge sagt und gleich dabei aussieht, als wollte er sagen: Bilde Dir nur nichts ein, Liebe! Noch ein junger interessanter Mann, der plötzlich in meiner Mutter die frühste Freundin der seinen erkannte. Sein Nahme ist Hay, steht bei den Hannoveranern unter Bothmer. Seine Mutter ist die Schwester der Generalin Petersen, in deren Hause meine Mutter zuerst für die Welt gebildet ward. Somit hätte ich alle, zu Liebhabern qualifizierte Personen, die ich näher kennen lernte, genannt; mir war Bothmer der Liebste, der Einzige, den ich nicht vergesse. Noch gefiel mir H. v. Günderode sehr, Bildung, Neigung zu allem Schönen und ein warmes Gefühl machen mir ein Räthsel daraus, wie gerade Er, gerade Sie heiratheten.

 

Den 21ten [August].

Gestern Mittag mit den Bremerinnen, gestern Nachmittag versucht auf die Platte zu fahren, heimgetrieben vom Ungewitter. Bei Frau v. Wintzingerode die Familie v. Aue und v. Köbichen; erstere die Mutter der Frau Majorin. Alles artige angenehme Menschen. Fr. v. Mülmann wird mir täglich lieber, sonderbar wie die Frau an mir hängt! Sie hat eine sehr liebe Tochter von 9 Jahren, das Mädchen hat Geist, Talent und ist leider zum Excentrischen geneigt. Die Sorge um die Erziehung des wirklich ungewöhnlichen Kindes liegt der Mutter schwer auf dem sonst schon so betrübten Herzen. – Heut sagte sie mir: »Ich weiß nur eine Hand in der Welt, der ich sie anvertraute, es ist die Ihre, Adèle.« Sonderbar, sehr sonderbar! …

 

Rüdesheim am Rhein. Den 28ten [August].

Heut ist Göthes Geburtstag! – Ich war Morgens 6 Uhr auf dem Niederwald ganz allein mit Jetten [Chaufepié] und den Führern. Ich war recht seelenvergnügt. Nicht so poetisch weich wie sonst wohl, aber recht fröhlich und kräftig, und das will etwas sagen, denn meine Nerven haben sehr gelitten durch die Wiesbadener Kur. Vorgestern in Wiesbaden gepackt und dabei den ganzen Tag fürchterliches Kopfweh. Ich wurde gegen alles gleichgültig und schäme mich, wenn ich an die Herzlichkeit der Bremer Damen (Frl. Schepeler und Mad. Schmidt) denke; ihr Vater war zwei Tage vorher gekommen, er ist Consul, ein behaglicher, gutmüthiger Mann. Sein Bruder hat eben in Frankfurt falliert, und das bestimmte die Familie, schneller zu reisen, um einige unangenehme Geschäfte dort erst zu berichtigen. Schepelers verlieren, und die Frau Tante zieht ihre 100 000 Baar aus der Masse als erster Creditor. Abends kamen Wintzingerodes und die Mülmann Abschied zu nehmen. Ganz spät wurde mir besser, die Nacht war himmlisch schön. Gestern bei großer Hitze, aber himmlischem Wetter bis hieher. In Biebrich vom Kammerherrn Wintzingerode Abschied und von seiner lieben Tochter. In Elfeld des Grafen Eltz schöne Gemäldesammlung. 1. Dominichino, ein Mädchen, die aufsteht, sehr edel. 2. Madonna von Luini. 3. Madonna von Sassoferrato. Madonna von einem Italiener. Prächtiger Netscher, eine Dame, die unter einem Baldachin, sie hat sich eben geputzt, eine Dienerin hält den Spiegel. Ein Portrait eines kräftigen jungen Mannes, Rembrandt. Die vier Elemente von Breughel, ein paar schöne Viehstücke mit prächtigen Eselein sollen von Richard Roos seyn. Noch wollen wir einen sogenannten Holbein, ebenfalls Portrait eines jungen Mannes, erwähnen und bemerken, es ist jedenfalls ein schönes Bild. Ueberhaupt enthält diese Sammlung noch viel Sehenswertes, viel Vortreffliches. Als wir neulich bei Bernhards die Bekanntschaft des Grafen machten, sahen wir nur sehr flüchtig einige Hauptbilder. Leider giengen Graf und Gräfin am andern Morgen fort, und diese sehr angenehme Bekanntschaft blieb sehr flüchtig. Mir ist Elfeld oder Eltville unbeschreiblich angenehm. Der Tag bei Bernhards gehörte zu den hübschesten; wie mancher andere blieb er hier unerwähnt. Mir war es unmöglich, viel oder auch nur überhaupt zu beschreiben. Mein Herz war traurig, aber mein Kopf blieb hell, und was in meinem Auge sich spiegelte, erfreute mich, und ich faßte es vollkommen auf; dem weißen Papier gegenüber wurde mein Blick trübe, ich sah oft nur mich und sie.

Ich habe noch als Bekanntschaft einen Herrn von Thurneisen aus Erbach zu erwähnen, der mir sehr gefiel. Wäre ich jung, ich müßte verzweifeln über eine sonderbare Geschichte am Kursaal, wo ich mit Schepelers meinen letzten Sonntag feierte – ein interessanter, aber sehr ungewöhnlich aussehender Mann hat mich drei Stunden lang verfolgt und beobachtet. Blaue, scharfblickende Augen, Adlernase, schwedischer blonder Schnurrbart, militärischer Anstand, elegante Kleidung. Ich erfuhr mit Mühe, daß er preußischer Officier war, aus Ems kommt, sein Vater ist General und Gesandter in Petersburg. Einige Zufälligkeiten, vorzüglich mein Kopfweh, machten mirs unmöglich, wieder in den Saal zu gehen – ich sah ihn nicht wieder. Sein Benehmen war sehr seltsam, ich glaube, eine Aehnlichkeit zog ihn an.

Den Montag war ich noch mit der Schmidt in Frauenstein; sehr schön, ein entzückender stiller Abend schloß die fröhliche Partie, die wir allein gemacht hatten. Der Schulmeister des Dorfes hatte uns herumgeführt; ich setze die Aussicht fast der auf der Hohen Wurzel gleich, der Vorgrund ist weit, weit schöner. Ein hoher Fels, aus dem sich eine Burg hebt, sie ist nicht zu ersteigen. Ein hoher Thurm, an einem Seitenpfeiler der Mauer steigen zuweilen die Buben auf und erklettern den Thurm, dessen Thüre hoch in der Luft ist, wahrscheinlich war sie durch eine Zugbrücke erreichbar. Rings umher Mauern, deren Bedeutung und einstige Zusammensetzung schwer zu errathen; die einzig deutlichen sind die Spuren der Ringmauer, die, noch vollkommen erhalten, den dritten Theil des innern Raums umgiebt. Um diese Mauern im engen grünen Thal das kleine Dorf, an der Kirche die neue Schule und eine prächtige alte Linde, gleichsam ein Riesenbouquet von Linden, in einem kurzen Stamm vereint. In dem Felsen, so daß es überhängt, das Rathhaus oder was es sonst sein mag, denn es sah so aus, und vielleicht stellt Frauenstein einen Flecken vor und hat demnach eines um guten Rath zu holen nöthig? Seitwärts ein sehr hoher Berg, dessen weiße spitze Felsen aus Flußspath und Kalkspath zu bestehen scheinen, wenigstens sah das alles so rein und cristallisiert aus. Oben herrliche Aussicht auf den Ort, das Schloß, auf die unendlich lange Rheinfläche bis Ingelheim und bis Mainz. In der Ferne an einigen Stellen des über allen Ausdruck schönen Wegs hinab Hochheim. Diesen Weg führte uns der Schulmeister. Er war so unaussprechlich schön, daß ich ihn nie zu vergessen glaube, beschreiben kann ich ihn nicht. Unten das tiefe grüne Thal, den Hof Armada und noch einen zweiten, dessen Nahmen mir entfallen; das Hauptgebäude hatte einen kleinen Thurm mit einer Glocke, um die Arbeiter zum Essen zu rufen, es sah aus wie ein recht stilles Kloster. Ueber das Alles den Rhein mit seinen Auen und Städtchen und Dörfchen so hell und rosig vom Abendlicht umspielt. Als ich durch den Wald nach Hause ritt, wurde meine Seele so beweglich und es zogen so viele heitere und trübe Bilder hindurch, daß ich zu Hause mich bald in mein Zimmer begab, um zu ruhen und nun schlafend – zu träumen.

Gestern dann – ich bin ja in Rüdesheim! Gestern hatte ich wieder heftiges Kopfweh. Die Fahrt genoß ich. In Östrich zu Mittag. Um 4 hier angelangt. Um 5 auf die schöne herrliche Burg Rüdesheim, aber ich war krank und konnte nur immer Minutenweise um mich schauen. Heute ist das Leid vergessen; ich sah ja meinen lieben Niederwald, und fast denke ich, nie sah ich ihn schöner als eben heute! Die Nahe und das Thal, in dem sie fließt, waren ungewöhnlich klar. Und auch mir ist leicht, und ich fühle Gesundheit und Jugend zurückkehren, die Erde ist so schön – wer dächte hier lange daran, daß das Leben es minder ist? – –

 

Mannheim den 31sten August.

Vorgestern von St. Goar bis Mainz gefahren – abends gestern hier angelangt! Laura [v. Vincenti] ist nicht hier! Und doch, ich weiß nicht, welchen Zauber Mannheim für mich hat. Friedrich ist verreist, wurde gestern erwartet und hatte unsere Briefe nicht bekommen, folglich nichts bestellt. Abends lief ich zu Vincentis.

 

Den 7ten [September].

Seit 8 Tagen bin ich hier! Laura kommt in 8 Tagen, der General [v. Vincenti] holt sie mir. Friedrich und alle Freunde sind herzlich und gut wie immer. Mit Zu Rhein stehe ich auf's wünschenswertheste, ich seh' ihn oft. Die Swieten hat meinen Brief mit der Entschuldigung nicht erhalten, ich glaube, sie zweifelt daran: ob ich wirklich geschrieben. Dennoch ist sie ungemein herzlich und freundlich, er ist so weich und ernst, daß es mich rührt, aber ich habe Recht – es ist nur ein achtendes Wohlgefallen. Der Stricker schreibe ich – sie hat mir durch wunderliches Mißverstehen dieser Geschichte weh, sehr weh gethan. Nun habe ich's verschmerzt – aber es ist wieder ein neuer Beweis, daß weder Offenheit noch Zutrauen hilft, man versteht sich eben nicht! –

 

Den 10ten September.

Aus unerfreulicher Gegenwart blickt sichs schön in helle Vergangenheit. Ich bin heute krank, sehe niemanden. Aber wie gemüthlich ist's mir – ich bin so ruhig, so still! Lebhaft steht Göthes Geburtstag vor mir – ich sprach wenig von ihm, dachte aber oft an ihn. Den Morgen hatte ich den herrlichen Niederwald gesehen – ich war so vertraulich befreundet mit dem Rhein und der weiten fröhlichen Natur! Abends fuhren wir nach St. Goar – ein kleines Boot ruderte an unseres, ein Mann mit einem gewaltigen Orden und ein blühendes junges Mädchen baten sie mitzunehmen. Da ward der Rhein stürmisch – die Kleine fror, ich gab ihr meinen Shawl – der Mann war ein Franzose, er that etwas vornehm, sein Orden war falsch, er wahrscheinlich ordinair, aber er hatte den französisch amüsanten und amüsablen Geist, den Anflug von Bildung, den Reisen giebt; er erzählte allerliebst, eine tolle Geschichte drängte die andere. Die Leute waren arm, aber sie klagten nicht, prahlten nicht, suchten nicht einmal ihre kleine Oekonomie zu bemänteln, sie trugen ihre Armuth wie echte Franzosen. Die Kleine sollte seine Frau sein, ich glaube es aber nicht. Sie war ungezogen, er so galant, so freundlich sorgend, daß es mich rührte. Wir redeten dazwischen oft von der Gegend – es war wunderschön, und der Abend gab alle seine Zauber dazu – aber die Franzosen affectierten kein Interesse, sie warteten unsere teutschen Entzückungen ab, der Mann kämmte indessen die Franzen an meiner Mutter Sonnenschirm, die Kleine hüllte ihr hübsches Näschen höchst ungeschickt ein, in Shawl und Tuch. Wir kamen an – der Visitator forderte mich zum Kampf heraus, den ich siegreich bestand, und fort waren meine Franzosen. Ich habe nicht einmal erfahren, wer sie zu seyn vorgaben. Die Nacht war prächtig – diese nun schon dreimal in Goar verlebten Nächte stehen mit ihren Sternen, mit ihrer Stille, mit dem unten brausenden Strohm und seinen Wächterburgen tief in meiner Seele. Sie thun mir wohl wie ein schöner musikalischer Accord. Alles war wie sonst. Drüben die Lichterchen in Goarshausen, ein großes Kohlenschiff unten mit seiner Wirtschaft – dann kam die Diligence, die Passagiere strömten heraus, o wie schön, wie schön war Alles! – – Jette [Chaufepié] fand unten Platz, sie fand einen Mann mit einem niedlichen Affen, die Erzählung machte mich neugierig, den Affen zu sehen, sie lief ihn hohlen, und sein Herr kam mit. Ein feiner sehr gebildeter Mann, der aus Brasilien kam und den Affen nebst noch viel anderen Thieren seiner Familie mitbrachte. Er bedauerte, seine bunte Menagerie nicht zeigen zu können, der Dunkelheit wegen; sie war nämlich im Schiff. Eine halbe Stunde verflog höchst angenehm, nachdem die Verlegenheit, die Jettens bévue verursacht hatte, überwunden war. – Hier erfuhr ich von der holländischen Familie van der Wyk, daß er auch in Mainz bei ihrem Onkel, der dort Gesandter ist, gewesen. Er war bloß zum Vergnügen 2 Jahre in Brasilien. Auch ihnen hatte er gefallen, er ist aus München; leider wußte Angelique den Nahmen nicht mehr …

Kleine Notizen.

Im Theater sah ich mit großer Freude die »Vestalin« … Meine zweite Vorstellung war »Emilia Galotti«. Mad. Busch als Orsina sehr gut, Herr Löwe, mein Leipziger Löwe, den Prinzen – theilweise sehr gut. Das Stück fordert allzuviel gute Schauspieler, es ist fast nirgends gut zu geben, die Rollen sind klein – darum sehen die Leute nicht, wie bedeutend sie sind. Meine Mama wollte »Aline von Freudenheim« sehen, La reine de Golconde à la Manheime. Dummes Zeug, aber theilweise amüsant, mein lieber Obermeyer extemporierte allerliebste Dinge über M[annheim].

Viel Umgang haben wir außer mit den alten Freunden mit der holländ. Familie van der Wyk, die mir ausnehmend gefällt bis auf den General; die Mutter und die älteste Tochter [Angelika] sind mir die liebsten …

 

Den 18ten [September].

Heute ist meines kleinen Wölfchens [v. Goethe] Geburtstag! Grüße Dich Gott! und gebe Dir einen schönen Tag, woran ich keineswegs zweifle. Sterling muß an solchem Tage unbeschreiblich angenehm und lieb und gut sein wie ein Engel.

Mein Gott, was liegt für Seligkeit und Schmerz in den letztvergangenen Tagen! An einem Morgen saß ich und hielt ein Blatt und konnte es vor leidenschaftlich innerm Bewegen nicht lesen, es war ein Brief, ein Brief von Gottfried. Den 11ten kam der Brief. Wie kehrte nun Glück, Ruhe, Klarheit ein in meine Brust, wie ward alles Leben so deutlich! Ich bin gar wenig noch – aber bei Gott, ich will, wenn ich erst auf dem Wege zum Rechten und zum Handeln bin, etwas Tüchtiges leisten. –

 

Den 19ten [September].

Angelika war bei mir, auch die andern. Van der Wyk ist ungemein herzlich, lieb und gut. Die älteste hat zu viel mit zu schwacher Kraft thun müssen, die jüngste will zu viel erleben. Beide gefallen mir, keine regt meine Seele an. So viele gute, rechtliche Menschen, und keiner geht mich doch eigentlich viel an; zuweilen verfalle ich in Gottfrieds Fehler und lärme und spectakele, damit Leben ins Spiel kommt – das heißt, ich sage geschwind etwas Schlechtes von mir, oder etwas Barockes, um sie nur etwas in Bewegung zu setzen. Sehr unrecht, ich habe Fehler genug. Mit Zu Rhein bin ich fertig. Ich wollte, ich könnte das Alles schreiben, doch schreibe ich jetzt so ungern, und es ist nicht erfreulich. Er ist unendlich brav, aber hart, und will alles außer sich schwach, obschon edel und gut. Neulich sagte ich auch so im Eifer: ich wäre aufbrausend zornig, etwas eigensinnig und gäbe nie nach, wenn ich einmal ernstlich nein oder ja gesagt. Er nennt das übertriebene Characterstärke. – Dagegen hat dieser Zu Rhein keinen Begriff einer edlen reinen Weibernatur. Die Swieten gab mir und der Mutter ihr Leben zu lesen, ich konnte das schmutzige Zeug, wie ihr eigner Schwiegervater ihr Gewalt anthun wollte, wie sie die Scene und viele ähnliche beschreibt, kurz eine Menge Dinge der Art nicht lesen. Ich war es nicht im Stande! Nie habe ich ein paar Worte des [Schauspielers P. A.] Wolff, als er in die Stich verliebt war, vergessen können. – Ich sagte Zu Rhein, ich könne es vor Betrübniß nicht lesen, und er hat mich nicht verstanden! Ich bat ihn, die Swieten zu bereden, das nie drucken zu lassen und es niemanden zu lesen zu geben, ich machte es so zart als möglich, vergebens, es gieng nicht, es wurde ihm nichts klar, weder das Unrecht, das sich die Swieten, die er so liebt, thut, noch meine Scheu. Ich bin nun fertig mit Beiden, aber unglückliche Menschen verlasse ich nicht, und so weiß ich kaum, was werden soll, aber ich bin ruhig, denn ich habe nicht Unrecht. – O Gottfried, Gottfried, wie entzückt mich Deine reine Natur! Laß uns fest bleiben, vor der Gefahr die Augen offen, aber vor diesem Schmutz der Erde, vor dieser ganz gemeinen Schändlichkeit laß uns sie bergen! Auch wenn ich je so etwas erlebte, auch wenn mein Leben in solchem Mistpfuhl der Schlechtigkeit zu Grunde gienge, nie würde ich erzählen, nie die reine Luft, die um edle Naturen her weht, mit solchen Worten beflecken. – Auch ich kenne die Menschen und fand sie meist kläglich, darum aber weiß ich, was Muth und Seelengröße, mit klarer Mäßigung vereint, über die gemeine Race vermag. Der Gewalt setzen wir Gewalt entgegen, und die Menge wagt es kaum, gegen die fremden Waffen sichtbar anzukämpfen, im Geheimen, im Dunkel wirkt die Schlechtigkeit, aber Gewalt hat man selten zu fürchten. Wer aber thörigt schreit und seine Tugend ausposaunt, der ist warlich unsicher und rings von Verderben umstellt. – Ottilie, Julie, Ferdinand, Gottfried, Line o wie stark ist unsere Gemeine!

siehe Bildunterschrift

Ottilie von Goethe

 

Den 20ten [September].

Wie sie hier klatschen und spötteln und alles beachten! Da lebt die Familie von Kopp, der berühmte Alterthumsforscher hier. Seine Frau gefällt mir ungemein mit ihren klaren stillen Augen. Die Tochter, Fr. v. Dahmen, ist excentrisch, geistvoll und sehr leidenschaftlich. Gefällt mir wieder. Man sagt, sie hat eine Liebschaft mit Löwe – wenigstens betrog sie einige Damen, log ihnen vor, zur Swieten gebeten zu sein, und hatte sich mit Löwe annonciert, um ihn uns vorzustellen und selbst uns kennen zu lernen. Ferner aber waren wir einen Abend zum Thee bei Kopps, und die Dahmen sprach völlig unbefangen, mir scheint es nur eine Künstler-Courmacherei – und bei Gott, ich habe nicht das Recht, den Stab zu brechen. Sie bat uns einen Abend zu kommen, gestern giengen wir also hin, er war da. Seine Schönheit und Koketterie, seine klaren dunkeln Augen, das Reizende des Künstlerlebens, das Wunderliche, das uns Frauen einen Schauspieler anders als alle Männer gegenüberstellt, gleichsam als Mittelglied – das alles spielte bethörend um meine Phantasie, und recht mit Wohlgefallen versenkte ich mich im Zauber des Augenblicks. Löwe war recht eitel, er wandte alle kleine Kniffe an, um mich zu fesseln, zuweilen bog er im Sprechen den wunderschönen Kopf so nahe, daß ich mich in seinen Augen spiegelte. Alle Augenblicke meinte er mich nun zu haben, ich machte ihn alle Augenblicke irre – endlich beim Abschied war ich in dem Bemerken des ehemännlichen Betragens wirklich so vertieft, daß ich vergaß, ihm Adieu zu sagen, und gewiß war er wüthend! Zu Hause legte ich den Kopf träumend eine Weile aufs Sophaeckchen und dachte Löwe – und dachte Gottfried, wie er das Spiel aufgenommen hätte, und freute mich, denn hier wäre er doch nicht böse geworden und lachend hätte ich's gut seyn lassen – damit er es nur nicht erst werde. Dann sprach Löwe von Ferdinand, unter dessen Direction er in B[reslau] war, er sagte, es sei ein guter schwacher Mann gewesen, das Lachen überflog meine Züge, kein Puls klopfte stärker, kein Blick trug das Gepräge der Kränkung, es amüsierte mich blos, und nachher dachte ich: Armer, eitler Löwe, wüßtet Du, wie wenig mir Dein Urtheil gilt!

 

Den 21ten [September].

Heute kommt Line [v. Egloffstein] nach Weimar, Laura [von Vincenti] kommt hierher, Auguste Gädicke heirathet und geht in drei Wochen nach Breslau, von wo ich Nachrichten erhalte. Gestern hatte ich von Mittag an heftige Kopfschmerzen, aber ich bin heiter und war es sogar gestern. Die Theedland hat viel mit mir über die arme Dahmen gesprochen, wir sind wol einer Meinung, doch bin ich viel milder; der Theedland durchdringender Verstand begreift, was mich in der Dahmen Geschick rührt, es ist eine etwas karrikierte schlechte Copie – – – Die kleine Kopp genierte uns. Plötzlich kam Kreisrath v. Dahmen, warlich ein fein gebildeter und wirklich lebendiger Mensch, nur – etwas zu wenig empfindsam für seine Frau. Ich glaube, er lacht, wo er schweigen sollte, und gähnt daheim, während er außer Haus höchst liebenswerth erscheint. Und dann Löwes verwünschte klare Augen, und die ganze Göttergestalt im Nimbus der Poesie und Kunst – und der etwas getrocknete Eheherr! O dio!

 

Abends.

Laura ist da, lieb und gut wie immer. Aber immer klingt in meinen Ohren: ach, betrügt die arme Emmeline nicht wieder! nein, das arme wunde Herz ist nicht wieder so leicht zu heilen, noch lange, lange wird es bluten, obschon niemand das sehen wird! – Ottilie hat mir geschrieben, ein Anfall von Ruhr hat sie sehr krank gemacht und sie sehr angegriffen. Sie spricht von Wolken, die ihr vorübergezogen – du mein Gott, ists denn noch nicht genug! – Heute war ich im Theater, man gab »Die beiden Füchse«; die arme Dahmen konnte nicht lachen, sie ging bald fort – ihr Mann schien besorgt, ich sah sie den Kopf an eine Säule lehnen, als könne sie das Leben nicht mehr fortschleppen. Arme, arme Frau. Nein, streng für mich, für meine Kraft und Bahn, kann ich, will ich es nicht sein, wenn es Andere betrifft. Laura riß mich hin, über Zu Rhein und die Swieten einige Worte zu sagen, aber zum Glück kam Friedrich und schützte mich vor einem Unrecht! – Ottilie!

In Deiner Seele klarem Leben
Da ruht mein wahres Glück allein
Die Ferne kan mir Freude geben
Mit Dir nur kan ich selig seyn.
In Deines Geistes raschen Flügen
Trägt leicht das schwere Leben sich –
Das Andre kan mir wohl genügen
Du nur allein befriedigst mich!
Aus Deiner Liebe tiefsten Quellen
Strömt eine Kraft die mich erhebt
Auf deren lichtumsäumten Wellen
Mein Lebensschiff vorüberschwebt!

 

Frankfurt a. M. den 2ten October.

Da bin ich denn seit vorgestern Abends 11 Uhr. – In der Nachtstille treten mir liebe Züge so recht sterngleich entgegen – dann kommen Wolken drüberher und wieder andere Sternenbilder. Löwe! Ein seltner Künstler, ein seltnes Verhältniß und vielleicht zwei seltne arme Menschen, denen das Leben schwer wird. Vielleicht könntet Ihr Euch wundern, daß Löwe mich fast ausschließend zwei Tage beschäftigt hat, daß ich, hier angekommen, gern einmal die Augen schließe, um mir die geistvollen, schönen Züge zu vergegenwärtigen – und dennoch, Gottfried sogar müßte begreifen: nur meiner Phantasie, nur dem poetisches Gefühl für Schönheit war jetzt eben beizukommen, mein Herz war verschlossen. – Neulich habe ich einmal einen halben Tag mit dem schönen Franz zugebracht, ich saß neben ihm, sein rascher, jugendlicher Geist, die Auszeichnung, mit der er nur mit mir beschäftigt war, die ungewöhnliche Schönheit seines Gesichts, seines Körpers, seine Anmuth in jeder Bewegung, es reizte, entzückte mich wie – eine Blume! Kaum dachte ich dran, daß ich ihn nicht wiedersehen werde, gieng zur Thüre hinaus, während er am Fenster stehend es nicht gewahrte, und vergaß ihn. – Franz war nur durch seine Jugend von mir geschieden, er stand mir zu nah, manches erinnerte mich an Gottfried, und so vergaß ich über der Erinnerung den Gegenstand, der sie geweckt. Anders Löwe. Ich hatte ihn zuerst in »Stille Wasser sind tief« mit großer Freude gesehen. Allgemein hörte ich auf höchst ehrenvolle Weise seiner gedenken. Neckereien mit allen Frauen, besonders mit der Generalin, steigerten mein Interesse, und mit Freude hörte ich von Zu Rhein, Löwe wolle sich uns vorstellen lassen. – Leider ist nachher zum Vorschein gekommen, daß Fr. v. Z[u Rhein] eine Doppelcomödie gespielt und ihm gesagt hat, auch wir wünschten sehr seine Bekanntschaft, während wir, fast dazu gezwungen, glaubten: durch die unsere suche er Anstellung in W[eimar]. Als ich zuerst ihn sah, frappierte mich, daß er nicht schöner, je öfterer ich ihn sah, je schöner schien er mir. Groß, schlank, aber mit hohem Nacken, dem der stolz getragene Kopf entgegenstrebt, Grazie und echte Würde des Anstandes und jeder Bewegung, so daß man sieht: er ist Meister seines Körpers. Schöne, unaussprechlich tief blickende schwarze Augen, die bis in's Innere dringen, eine gebogene Nase, sehr schön geschweifter Mund, dessen Beweglichkeit mit der des Auges in harmonischer Verbindung steht, blauer Bart, schwarze phantastische, aber ganz weiche Haare, elegante aber doch einfache Kleidung, die nicht gesucht scheint, und eine Stimme, deren erster Ton mich bewegte. Da habt ihr ihn! Er stößt, glaube ich, von Natur an im Sprechen, doch habe ich nie es gewiß gewußt, denn der Zauber der Stimme ist groß. – Als wir das erstemahl auseinandergiengen, sagte ich: ein schöner, netter, koketter Mann. Das zweitemahl habe ich ja beschrieben. Auch jetzt muß ich sagen, so war's – nur sah Löwe was zu mir war – ich übersah, was an ihm edler und besser war, als was ich bemerkte.

Endlich eines Morgens kam er. Ich mag wohl sagen: wir ergötzten uns. Die kleine Angelique [van der Wyk] störte ein wenig, indessen das Gespräch flog – wir redeten viel über Hamlet und Shakespeare. Ich glaubte indessen nicht mehr an ernstes Erkennen des Höhern in der Kunst bei einem Schauspieler, ich hielt die schönen Worte für – gemacht, gelernt. Bayard überzeugte mich von Löwes Künstlergröße, von seinem Ernst und seinem Gefühl. Vor mir saß in einer Loge die D[ahmen], mich rührte ihr Entzücken und die unaussprechliche Trauer ihrer Züge. Am andern Tage erwartete ich ihn, er kam nicht – er hatte viel im Spielen heraufgesehen, ihr gesagt, wie ihn unser Beifall freue. Ich durchschaute schnell der Frau Lage – einen Moment dachte ich, sie liebe ihn. Indessen ich hörte immer von ihrer, nie von seiner Neigung, ich meinte, Exaltation, Liebe zur Kunst, ewiges Entfremdetbleiben im Haus und schmerzliches Drängen nach Befriedigung – das habe der Frau Ruf den Spöttereien ausgesetzt, weiter nichts. Immer enger schloß sie sich an mich, immer tiefer rührte mich ihre Lage, sie stand sehr allein und war doch immer von Menschen umringt. Mein nördlich gestimmtes Wesen paßte zum ihren, sie that mir wohl, so oft ich sie sah. Ich sprach viel von Löwe mit ihr, er spielte indessen noch im »Taschenbuch« meisterhaft, im »Wald bei Hermannstadt« schlecht gegen das Ende, sehr schön im Anfang. Ich hatte ihr die Zeit bestimmt, wo er Abschied nehmen sollte. Ich hatte nun gesehen, er war ihr Freund, keineswegs ihr Liebhaber, obschon ich meinte, daß sie ihn glühend liebe, ohne sich's zu gestehen, er aber war ein rechtlicher Mann. Seine Frau war brav und Mutter von sieben Kindern, mit 19 Jahren hatte er geheirathet! Sie verstand ihn nicht, aber sie war von ihm stets mit großer Zartheit und Achtung behandelt. Sein Hauswesen war musterhaft, wie überall sein Betragen. – Das Alles führte mich irr! Er kam; wie von innerem Gebot des Geistes getrieben sprachen wir eifernd und herzlich zugleich, zusammen über Leben und Kunst. Ich mußte zuweilen der Heimrod etwas sagen; so brachte man auf die Bahn: warum ich M[annheim] so liebe? Ich sagte, viele schon liebe Menschen hätte ich wiedergefunden, einen neu gewonnen, eine Frau – Löwe neckte mich unerbittlich, ich wollte nicht darauf eingehen, ich wollte der Heimrod, die neulich die Swietenconfusion, als sie uns wegen L[öwe] betrog, mit angehört, nicht in seiner Gegenwart sagen: es ist die Dahmen! Der General lockte mich ins Fenster, um eine Ausschneiderei zu erklären. L[öwe] folgte, wir blieben nun gesondert, L[öwe] vor mir mit Plänen über W[eimar] beschäftigt. Uns war so wohl, wir sprachen so bekannt, und nun sagte ich ganz ruhig: »die Frau, die mir so herzlich lieb geworden, ist eine Dame, in deren Haus Sie auch freundlich aufgenommen sind und an der Sie wahrscheinlich auch dasselbe Interesse nehmen wie ich, denn es ist eine sehr gescheute und achtungswerthe Frau – die Dahmen«. – Vielleicht, mich dünkt sogar, waren meine Worte noch einfacher, noch weniger auf Löwe bezogen. Wahrlich ich hatte das Geklätsch vergessen. Tactlos – besinnungslos nahm er das für eine Art kleiner Neckerei, sagte es auf die unvorsichtigste Weise und war wie vom Donner gerührt, als ich fast heftig, aber entsetzlich stolz ihm erklärte: ich wüßte weder von einem Verhältnis noch von einer Neckerei, noch würde ich je dazu mich hergeben, ihn so zu necken; wahrscheinlich vergäße er, mit wem er rede, sonst könne er sich so etwas nicht denken, weit weniger zu äußern erlauben. Nie hatte ich gehört, daß er ihr Liebhaber, oft, daß sie, die für sehr exzentrisch gilt, ihn auf der Bühne sehr auszeichne; ich hatte keine Ahndung von alle dem, was er nun auf's leidenschaftlichste bewegt sprach, während er mich mit einem Schmerz um Vergebung bat, der mich nur zorniger machte, weil die in der Stube Anwesenden aufhorchten. Er küßte mir die Hand und sagte ich hätte keine Ahndung von den Mißhandlungen, die er in ihrem Nahmen erdulde, während er nie ihr den Hof gemacht habe, er bot jede Ueberredung auf, mich rührte nur – daß er so entsetzlich traurig aussah. – Ich bat ihn flüchtig, mir jedes verletzende harte Wort zu verzeihen, Mutter kam dazu, und endlich, nachdem die Szene eine halbe Stunde gedauert, kamen Vincentis Mutter und Tochter und Van der Wyks. Da gieng er – vor allen Leuten sagte ich nun ganz freundlich beim letzten Gruß, ich bäte um Frieden – er küßte wieder meine Hand und hielt sie im Sprechen, als scheide er schwer; wir empfanden Beide: nun waren wir aus dem gewöhnlichen oberflächlichen Bekanntsein zu wärmerer Achtung und Theilnahme übergegangen. – Nachmittag kam sie, ich fürchtete sie zu verlieren, wenn er ihr das wiedersage, dennoch hatte ich nur eben Muth, sie zu bitten, freundlich zu bleiben und mir zu glauben, auch wenn mich fremdes Urtheil misverstehe. – Und dennoch! dennoch sind wir noch Beide so offen, so einfach und wahr gewesen, daß wir über ihr Verhältniß aufs genaueste uns aussprachen, ich sogar gestand, ich hätte mich mit ihm gezankt, und bis auf seine Worte es ihr erzählte. Sie hat mir dagegen viel anderes erzählt, mit tiefer Rührung habe ich in ein reines, aber schwaches Herz hineingeblickt, sie ist unschuldig und entschlossen. Wahrlich sie hat Recht! Gebe ihr Gott Kraft und lasse sie nie ihre Neigung erkennen. Ich bin sehr betrübt geschieden von ihr und vom Rhein, zu dem sie mich geführt hatte.

Friedrich und Laura thaten alles Erdenkliche, um in den letzten Tagen mir jeden Beweis ihrer Liebe zu geben; an die seine glaubte ich, an ihre – nicht mehr. Dennoch hatte ich sie lieb, lieb wie ehemahls, ich war recht seelenfroh mit ihr. Beim Abschied wurde sie sehr weich, es giebt nichts Inniges in Ton und Geberde, das sie nicht angewendet, um mir zu sagen, sie liebe mich! Im letzten Moment, als nun alles mit Plänen und Bitten wegen dem kommenden Jahre in mich einstürmte, da brach mein Herz. Friedrich schleppte mich am Arm und bat so zärtlich, wiederzukommen oder nur zu sagen, daß ich gern käme, oder was mir drohe – Großer Gott! wenn ich nach M[annheim] komme, dann bin ich auf ewig von Gottfried geschieden, dann haben unsere Wege sich getrennt und ich mit blutender Seele das Rechte gethan.

Den Sonnabend eh' wir reisten brachten wir im göttlich schönen Heidelberg zu. Ich dankte wieder Friedrichen diese Freude. Morgens um 8 nach Heidelberg den schönen Weg über Ladenburg, den obern Theil der Bergstraße; von da nach dem nun überaus geschmackvoll hergestellten Stift Neuburg; auf dem Neckar zurück, Friedrich und Laura sangen. Ich fühlte mit einenmahl Gottfrieds nördlich öde Einsamkeit und fing an zu weinen. Mittags im Badner Hof sehr fröhlich vielen Lauterbacher getrunken, so nennt man hier den verbotenen Champagner. Nachmittag aufs Schloß, die Mutter kam wunderbar gut hinauf – es war so schön, so schön! Der Himmel ruhte wieder auf der Erde! Auf dem Rückweg war ich zum erstenmahl über Vergangnes sehr offen.

Mit Darmstadt, wie oft schon, Unglück; man gab nicht die »Olympia«, wir fuhren hierher, wo wir nachts 11 Uhr alles im Schlafe fanden und also im Weidenbusch übernachteten. Ein sehr fröhliches Mittagsmahl mit drei sehr gebildeten Badner Offizieren, die, ebenfalls zu spät gekommen, mit uns allein an sogenannter Table d'hôte aßen, nach rheinlandschem Gebrauch. Der angenehmste war, wie ich später erfuhr, Oberstleutnant v. Holzingen. Der zweite der Aehnlichkeit nach ein Glosmann, alle drei lange in Spanien. Zu ihnen gesellte sich noch ein Herr Amtmann Scharf, Günderodes Freund, den wir hier wieder trafen und seinen Nahmen erfuhren.

Angekommen Montag Nacht. Dienstag früh zu Wilmans, Nachmittag zur Goulet, Abends im Theater »das Alpenröslein«, die Lindner. Mittwoch früh zur Fichard, spazieren gegangen. Abends hier meine liebe Christiane [Stricker]. Die Glauburg wollte nach Marburg, was mir sehr leid thut. Donnerstag Visitentournée. Meine gute Lisette [v. Glauburg] und die Fichard nachmittags. Abends im Theater »Emmeline« – die konnte ich hier nicht sehen. Die Gretchen Zeitmann kam und blieb abends. Vorher gieng ich mit der Goulet spazieren. Die Glauburg kam. Freitag morgens bei der Goulet gemalt, Abschied von Lisetten den Nachmittag. Großes Conzert im Theater, sehr gute italienische Sängerin, Mad. Cornega, Pixis Klavierspieler, Böhm aber ein unrechter Violine. Die Cornega sang alles, was die Catalani singt, es war als träume man von jener, aber die Nebel des Schlummers schwächten das Bild; es war schattengleich, wenn schon sehr lieblich. – Manchmal dachte ich an meine letzte Mannheimer Musik, an das riesengroße Requiem von Mozart! – – –

Sonnabend Abends vor dem Theater ein paar sehr schöne Stunden mit der Stricker. – Abends gab man ein Trauerspiel von H. v. Auffenberg nach einer Irlandischen oder vielmehr Schottischen historischen Begebenheit, »Wallace«. Ich sollte den Herrn Wegener bewundern, und nicht einmal die Lindner gefiel mir, und so sagte ich recht wehmütig: »Ach wenn doch der Löwe die Rolle spielte!« – blickte auf und sah – in seine klaren Augen. Er kam an die Loge, versprach morgen früh zu kommen und war um 10 in diesem Zimmer mit dem Baron Budberg, dem wir in M[annheim] so künstlich entgangen. Anfangs genierte mich Budberg, aber Löwe genierte sich selbst so sehr wenig, er wendete das Gespräch so rücksichtslos mir zu, daß ich es ergriff und es allgemein machte. Eine heitere Stunde verflog. Wir sollten zu Wilmans dem Aelteren, um Bilder zu sehen – die ich voriges Jahr sah. Löwe ging auf mein Anerbieten mit, so auch Budberg. Da sollte die Geschichte aus sein – ist's leider nicht. Wir hatten uns etwas zu sagen und wußten nicht recht wie und was: ich wollte L[öwe] ein ausgeschnittenes Bild für die D[ahmen] mitgeben, was seit 3 Tagen auf Gelegenheit wartete, er sollte aber wissen, daß ich es geben mußte, ich wollte ihm zeigen, daß ich ihn achtete und ihn gern hatte, aber mir fiel nicht bei mich zu hüten, daß er nichts anderes glaube. Er wollte mich überzeugen, daß er die Dam nicht liebe und einzig und allein ihrem Geiste Gerechtigkeit wiederfahren lasse. Dabei reizte ihn der Moment, meine gelassene Vertraulichkeit und mein sichtbarer Unwille, wenn er galant ward. Zwischen dieser unseligen Art aller Schauspieler und der ganz unwillkürlichen Hinneigung in einem viel bessern Sinne schwebte er unsicher hin und her, wir standen oft allein, weil viele Zimmer voll Bilder sind. Den Andern gegenüber waren wir geistreich, gesprächig – füreinander, allein, sprachen wir stets entsetzlich schnell, die Momente genau berechnend. Ich sagte ihm, wie weh er mir gethan, er hatte vorher nochmals um Vergebung gebeten und sich die Hand darauf geben lassen, mir war sehr angst, wie leicht trat jemand hinzu und sah Löwe und mich Aug' in Aug', Hand in Hand, und doch habe ich ihn nie wieder gefährlich gefunden! Er versprach zu kommen, fragte zehnmal, ob mir's Freude machen werde, war dann wieder verbindlich, artig, herzlich und sogar ungezogen, weil er so unvorsichtig ist, daß er nie weiß was er sagt. So hat er mir gar nicht undeutlich merken lassen, daß er höchst erfreut sein würde, wenn ich mich ein wenig in ihn verliebe. Einmal sprachen wir von van Dyck, ich sagte ihm, er solle das Bild sehen, er demonstrierte was er schon gesehen und es gienge nun doch nicht, ich sagte also sehr simpel, er solle sich's merken auf ein anderesmahl, solle übrigens aber dann hingehen und vor meiner Kunst so ordentlichen Respect haben, wie ich vor seiner; da sprang er fort ins Nebenzimmer wie ein toller Knabe, drehte sich um sich selbst und war so kindisch lustig, daß ich mitlachen mußte. Um halb eins schieden wir, er gieng, Nachmittags reiste er mit B[udberg] nach Darmstadt zur »Olympia«. Abends große sehr gute Oper, »Das unterbrochene Opferfest«, Mirka die Bamberger, allerliebst. Vorher auf dem Sandhof und auf das Forsthaus mit Goulets und Fr. v. Malapert, die uns nebst Familie begegnete …

 

Den 7ten [October].

Morgens die herrliche Kreuzabnahme von van Dyck mit meiner Mutter gesehen. Auch die übrige sehr vorzügliche Sammlung, mit großem Interesse. Leider fehlt mir Zeit darüber zu schreiben. Fr. v. Brentano, eine traurige, ernste, aber gebildete, sehr imposante Frau, die ich kennen mögte. Savignys sind hier. Wir haben sie leider verfehlt. Abends zu Hause. Mittwoch früh bei der Goulet gemalt, Mutter war dann bei Wilmans, ich war unwohl. Schöner Nachmittag, schöner Tag, Savignys wieder verfehlt, sie waren bei uns, wie ich bei der G[oulet] war, aber die Fichard, Marianne Saaling, die Glauburg und Christel [Stricker] besuchten mich. Ich seh Christiane wenig, aber mit großer Freude und zu Nutz und Frommen. Abends großes Conzert der Cornega und die Beethovensche Musik zum »Egmont«, leider mit der neuen Sauce von Mosengeil. Gleich darauf ein Stückchen »Barbier von Sevilla« von Rossini.

Donnerstag Frühstück bei der Fichard. Die Fichard ist mir sehr viel, ich stelle sie höher als Christiane, denn sie ist noch immer im Steigen, Christel aber hat sich durch allzuviel gewöhnliche Lebensnoth die Flügel geknickt – sie ist auch durch die allgemeine Anerkennung ihres großen Talents, alle Menschen gut zu erkennen und sich allen liebenswürdig darzustellen, verleitet! – O diese tiefwurzelnde Eitelkeit, ich kenne sie ja! auch mich lockt sie zuweilen. Mittags krank im Bette, Abends mich aufgerafft, im Theater die Lindner als Käthchen von Heilbronn, ganz himmlisch. Herr Bechtold den Ritter, sehr schlecht; alles eigentlich schlecht. Freitag Morgens mich ganz ruhig verhalten, gearbeitet. Mit W[ilmans?] ist mir nie wohl, auch mögte ich hier nicht wieder wohnen. Ich sehe nicht ab, wie es zu ändern wäre. – – Mittags zu Hause. Gegen Abend zur Günderode, später berühmte Bekanntschaft des Pfarrers Stein, der mit einem sehr wohl studierten Lobe der »Tante« auftrat – mich verwunderten die neuen Lobformate. – Abends bei Herz. Die Familie Herz, schöne Frau und zwei schöne Töchter des Orients. Julie und Marianne Saaling, Baron Martens, der hübsch singt; Obrist Schaffner nebst zwo Töchtern, zwei Doctoren Neuburg, H. Gavin. Marianne und ich sind uns sehr nah gekommen, ich kann dem Zauber nicht entgehen! Gegen Mitternacht heim, mir war sehr Berlinisch dort. – Im Theater hab' ich gestern doch Savignys einen Moment erreicht.

 

Sonnabend den 11ten [October].

Früh bei der Fichard, dann Visite bei Fr. v. Gerdum. Einkäufe. Ein neuer Vetter Abel, Theologe, Student, schöne Augen, total Schwabe. Nachmittag mit der Günderode nach dem Forsthaus über den Riedhof und durch alle die übrigen Bethmannischen Eigenthümer. In der Luisa ausgestiegen. Geschmackvoller englischer Garten, einzelne Schweizerhäuschen mit Rohr, Schindeln und Rinde ausgelegt; Salons, Badehaus, blaue Stube – alter bequemer Sessel, Blumen am Fenster. Philippine Fichard. Das hat ihre liebe Hand geschrieben! Nämlich die kursiv gesetzten Worte und den Namen in richtiger Schreibung, denn Adele schrieb bis dahin immer: Vichard oder Vichardt. H.

 

Den 18ten October. Butla [Butlar].

Beim Abschied war ich glücklich und trostlos wie ein Kind, glücklich, weil ich mit einer Verehrung, mit einer Demuth liebe, wie ich seit der Kindheit nicht geliebt habe, trostlos, weil ich sie ließ, weil sie wegen Gottfried um mich weinte, weil ich ewig fürchte, nicht gut, nicht liebenswürdig genug zu seyn, um ihr so recht zu gefallen. – Was soll ich schreiben, ich kam die letzten Tage kaum mehr zu mir selbst, ich war immer aus und meist sehr froh. Christiane [Stricker], die Fichard und Marianne [Saaling] haben mir die schöne Zeit noch unendlich schöner gemacht, ich war recht glücklich und zufriedener als seit langer Zeit mit mir, mit meinem Geschick und mit der Welt! Willemers, Souchays, Düfais waren so gut, alle bestrebten sich mir Freude zu machen …

 

Weimar den 21ten [October].

Schlage deine Wellen hoch über mir zusammen, Vergangenheit, und du freundliche Gegenwart wölbe deinen heitren Himmel über sie und laß dein klares Blau hindurchblicken, den schönen flüchtigen Tag hindurch, an dem ich alles wiederfinde, was ich ließ. –

 

Den 23ten [October].

Die alten Schmerzen kommen auch wieder, aber nur zu! Ernst bin ich, aber ruhig entschlossen und so glücklich in Eurer treuen Liebe!

 

Sonntag den 16ten November.

Ich will mich endlich zwingen zum Schreiben. Ottilie hat gestern die Nachricht von des Onkels Tod erhalten; sie geht morgen nach Dessau; die P[ogwisch] bleibt 4 Wochen dort, dann geht Ottilie hin auf einen Monat. Aus der Berliner Reise – wird nichts! Und ich, und ich! noch keine Nachricht von Gottfried! Sein Bruder war bei mir, ich habe ihn verfehlt. – Wolley giebt mir englische Stunde und läßt sich von mir erziehen, ich glaube, er findet mich so alt als seine Mutter. Sterling! kommt oft mit mir italienisch lesen. Dieses Beisammenseyn hat bei Sterlings unbeschreiblicher Liebenswürdigkeit einen großen Reiz, wir lesen Dante, Petrarca, Alfieri, etc. Ich kann nicht umhin dadurch ihn oft allein zu sehen, er ist mir Ottiliens wegen innig ergeben und traut mir unbedingt. Das gibt uns einen Anstrich eines Verhältnisses, dennoch ist wahrlich stets von ihr, nie von mir selbst die Rede, und dennoch schelte, quäle ich mich, denn ich denke an Gottfried und daß er leiden würde, wenn er sähe, wie meine Augen auf den himmlisch schönen Zügen ruhen, wie meine Hand zuweilen die seine faßt, und wie die melodischen italienischen Töne sich wie goldene Netze um uns schlingen! Und dennoch war ich vielleicht nie treuer als nach einer solchen Scene; stark und frei hebt sich das männliche Bild meines Freundes mit kräftigen Zügen hervor; ich fürchte aber das Geschwätz und weiß mir nicht zu rathen. Wäre Gottfried hier, es kostete ein Wort – und ich vermiede Sterling, auch wenn es mir – vielleicht auch wenn es ihm noch so weh thäte.

 

Den 28sten December. Früh.

Diesen Morgen ist sie fort, nach Berlin. O welch eine Höllenqual liegt in diesen letzten Monaten! Beschreiben kann ich sie nicht, einen Moment verlor ich mich selbst, als sie – eifersüchtig auf mich war! Whemes, da wieder ein Nahme, der mein Herz zerriß. Sterling, den ich gar, gar nicht verstand, noch verstehe in seiner 19jährigen Freundschaft, und der mich immer an mein Lied vom Vogel und von der Sonne erinnerte. Alle diesen wunderbaren Formen des Gefühls, alles was ich mir als Unrecht anrechnen und gewiß dadurch mich tödten würde, muß ich an Ottilien verzeihen, weil ihre cristallklare Seele über all das Formenwesen hinaus ist.


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