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Der Schmierberlugges

Dort, in dem kleinen Häusel mit den schmutzigen, halbblinden Butzenscheibenfensterln und dem rohen, bröckelnden Mauerwerk, dort ist's, wo der volksbekannte Lugges wie die Spinne im Netz auf marode Bauern und krankes Vieh lauert. Auf der wurmstichigen Haustür, gerade unter dem C † M † B ist mit Kreide sein Name und Gewerbe hingekritzelt: Luckas Moser, Viechdokter.

Daß er dann auch für die Leute ist, versteht sich von selbst, denn ein Vieh behandeln ist hundertmal schwerer. Die Kuh kann nicht sagen, wo es ihr weh tut und wo es sticht; da heißt es studieren und ziffern. Das ist nicht wie bei einem Bauer, der dir schon auf zehn Schritte zuschreit: »Mier tuet der Bauch weh«, oder: »I han mi überfressn!«

Die Tür knarrt jämmerlich in den rostigen Angeln. Im stockfinsteren Hausflur herrscht ein höllischer, undefinierbarer Gestank.

Tapp nur lange herum auf der Suche nach der Stubentür, dann wirst du was erfahren.

Die schmutzige Alte, die in der Küche soeben Fuchsschmalz aussiedet, hat dich lange schon bemerkt. Jetzt schlurft sie mit einem brennenden Span auf den Gang hinaus. Fuchsteufelswild schaut sie drein. Die wird dir schon leuchten.

»Verfluchtes Getrampel übereinand! Findet so a blinder Heß nit amal die Tür!«

Nachdem sie eine in der Nähe befindliche altersschwarze Tür aufgerissen und dich mit Nachdruck in die Stube geschoben hat, geht sie wieder brummend in die rußige Küche zum Fuchsschmalz.

Auf der Bank, die an der getäfelten Wand entlang durch die ganze Stube läuft, stehen in wirrer Unordnung durcheinander dunkle Flaschen mit noch dunklerem Inhalt, Papierdüten und Büchsen aus Birkenrinde mit allerhand Pulvern und Kräutern.

Auf dem Fensterbalken steht ein Nudelbrett mit toten Ameisen in der Dörr, daneben ein halbzerbrochener, mit Draht übersponnener Hafen mit lärchenem Lörget. Auf der Ofenbruggn sind etliche Reihen Tiegel aufgepflanzt.

Die ganze Stube riecht nach Pechöl, Kampfer, Wermut, Salbenschmalz und Teufelsdreck.

Der Schmierberlugges ist ein altes, glatzköpfiges Männlein in kurzen bockledernen Hosen, die etwa schon sein Ähndl in jungen Jahren getragen hat. Die Kniehose ist oben an grüne, verschossene Hosenheber genestelt, nach unten besorgen den Abschluß mattblaue Strümpfe und altmodische Schnallenschuhe. Sein faltiges Gesicht ist bartlos und von freundlichem Ausdruck. Die grauen Äuglein blinzeln stark und sind meist halb zugekniffen. Wenn man recht genau zusieht, kann man in seinem Gesicht ein überlegenes Lächeln entdecken, das zu sagen scheint: »A Glück, ein unverschämtes Glück ist's für die Welt, daß es an Schmierberlugges gibt.«

Seine Beliebtheit bei den Bauern, sowie seinen Namen verdankt er insbesondere seinen Salben und Schmieren, die, wie er selbst oft schmunzelnd zugesteht, in die halbe Welt auskommen, gar hinaus bis ins »Bayrische«.

Ordination hält der Lugges den ganzen Tag über. Er ist immer daheim und schleicht sinnend zwischen seinen Salbentiegeln und Holzbüchsen umher. Sowie er aber im Hausflur ein Geräusch vernimmt, eilt er schleunigst an den Tisch neben dem grünen Kachelofen. Blitzschnell hat er aus dem Ofenloch ein meeraltes, zersetztes Buch mit Holzdeckeln hervorgezerrt und vor sich auf dem Tisch aufgeklappt. Lesen und Schreiben ist nicht seine stärkste Seite. Wir wollen nicht näher darauf eingehen. Aber die Bauern finden ihn stets über Büchern brütend, in tiefster Gstudi. Und lange, lange dauert es oft, bis das Männlein nach einem tiefen Atemzuge aufschaut und in gut geheuchelter Zerstreutheit eines Gelehrten erst jetzt den Patienten bemerkt.

»O mei, o mei, i verweiß mich die halbe Zeit oft nit! Die Büecher, die Büecher!« So jammert er dann.

Auf die Untersuchung des Urins hält der Lugges nichts. Man blamiert sich dabei zu leicht. Darum sagt er immer: »Laßt's die Glaseln daheim!«

Die Leute verlangen auch in diesem Punkt zu viel.

»Wenn man so a Glasl a paarmal umgschüttelt hat, soll man gar schon außerbringen, ob der Kranke kurze oder lange Hosn anhat und wie oft er beichtn geht! So möchten's die Leut!«

In Bezug auf den Gesichtsausdruck seiner Patienten hat der Lugges seine ständigen Formeln.

So empfängt er z. B. den einen mit dem Ausruf:

»Jesses, du machst zwei Augn her, wie die russischen Pelzkappn!« oder: »Bei dier muß es grob fehln, schneidest a Gsicht wie a Pfann voll kranke Tuifl!«

Der Puls des Kranken, den er sorgsam mit beiden Händen prüft, kann auf dreierlei Arten beschaffen sein:

»Entweder er geht wie a Kirchenuhr, oder er laßt aus, oder er hupft wie a Lamplschweif!«

Das Verzeichnis der Krankheiten, die der Lugges behandelt, ist kurz und einfach:

Die hitzige Krankheit, die Auszehrung oder Klumper, und drei Brander: der Hirnbrand, der Milzbrand und der Leberbrand. Dort und da fehlt's in die großn Darm; ab und zu einmal trifft es auch ein, daß der Herzwurm Geschichten macht.

Für ein geschwollenes Gesicht lautet seine Therapie:

»Sechs bratne Frösch in an leinenen Hemedzipfl einschlagn und auflegn! Aber Leinen, wohlverstanden!«

Gegen Rheumatisches ordiniert er:

»Nimmst an Sack voll Umesn (Ameisen), siedest sie aus und legst dich in der Nacht drauf; in der Früeh reibst dier's Kreuz mit Katznschmalz ein!«

Das Lieblingsgebreste des Lugges sind die Beinbrüche. Wenn er zu einem geholt wird, der sich den Arm oder Fuß gebrochen hat, kommt er aus dem Schmunzeln nicht heraus. Und während er die Lörgetbüchse und die Pechpflaster in seine alte Jagdtasche packt, erzählt er seinem Begleiter jedesmal die Geschichte von dem alten Türken aus Palästina, der sich auf dem Innsbrucker Pflaster beide Füße gebrochen habe und der nach ihm geschickt hätte. Und dem habe er seine zerbrochenen Haxen so sauber zusammengeleimt, daß der hernach laut aufgeweint habe vor Freude, was bei einem Türken etwas heiße. Und der Türk habe ihn wollen nach Palästina mitnehmen als Professor, wenn er nur gemögt hätte.

Bei solchen Gelegenheiten erzählt der Lugges auch gern, wie ihm die gstudierten Dökter nach dem Leben trachten, und sie hätten auf seinen Kopf hundertneunundzwanzig Gulden zusammengesteuert. Einige Male wäre er schon beinahe vergiftet worden.

Das Zahnreißen betreibt er natürlich auch, entweder mit einem hohlen Schlüssel, oder mit einer dünnen Darmsaite, die an dem einen Ende eine Schlinge für den Zahn und an dem andern ein Querholz zum Anziehen besitzt.

Da war's mit einem Bauernknecht einmal eine wehleidige Geschichte. Alles Reißen und Ziehen an dem Querholz war vergeblich; dabei schrie der Knecht gottsjämmerlich und bat den Lugges, er möge nachgeben.

Da fuhr der aber auf, wie ein gereizter Kater. Er fühlte sich in seinem Standesbewußtsein gekränkt.

»Was? I nachgebn? Außer muß er, und wenn i dier deine ganze Goschn mitreiß!«

Nach dieser unheimlichen Versicherung neues Ziehen und Zerren. Der Knecht brüllte, daß erschrocken die Leute zusammenliefen. Aber heraus hat er müssen, und gar ein vierwurzliger war's. Triumphierend hielt ihn das Männlein dem halbohnmächtigen Knecht unter die Nase. Und der mußte sich vom Lugges noch sagen lassen, daß er ein wehleidiger Saggera sei.

Von da ab ist ein neues Sprichwort aufgekommen in der Gemeinde. Es galt nämlich seit dort bei den Leuten als der denkbar höchste Begriff von einem Lärm oder Tumult: »Zugangen ist's, als wenn der Lugges an vierwurzligen Zahn grissen hätt!«

Als Honorareinheit für Ordination und Medikamente gilt für den Schmierberlugges der Weißgarber.

So benennt er nämlich durchwegs unsere Silberzwanziger. Da bekommt man zum Beispiel, wenn um die Schuldigkeit gefragt wird, zur Antwort: »Vier Weißgarber krieg i«, oder: »Drei Weißgarber«, und als Minimalsatz: »a Paar Weißgarber«.

In einer alten blechernen Kaffeebüchse mit hölzernem Deckel finden die Weißgarber ihre Unterkunft.

Seine freie Zeit benutzt der Schmierberlugges gegenwärtig zur Erfindung eines Mittels gegen die Pestilenz. Wenn sie sich etwa noch einmal ins Land trauen sollte.

Er hatte nämlich einmal erzählen hören, wie vor vielen, vielen Jahren im Tirolerland die Pest gewütet und die Täler entvölkert habe. Freilich konnte er nicht begreifen, daß man dieser Krankheit nicht Herr geworden sei.

Damals war halt noch kein Schmierberlugges da. Eben jetzt sitzt er am wackligen rauhen Tisch neben dem Ofen. Die beiden Daumen hat er hinter den Hosenträgern verborgen. Seine grauen Äuglein irren suchend in der Stube umher, von einem Tiegel zum andern. Pestilenztropfen hat er schon, die sind innerlich zu nehmen. Für eine richtige Kur gegen dieses Übel gehört aber auch etwas Äußerliches, eine Schmier. Und die sucht er jetzt. Endlich bleiben seine Augen sinnend in der Ecke des Fensterbalkens haften, dort, wo der Hafen mit dem lärchenen Lörget steht.

»Das Lörget ziecht«, murmelt er vor sich hin, »ziecht alles Gift und alle Unreinigkeit aus dem Geblüet, und das Murmentnschmalz hilft mit, hat alleweil noch gholfen! I bin fertig, jetzt kann sie kommen, jedn Tag und jede Stund. I werd sie schon außerfuhrwerken aus dem Landl!«

Der Lugges wartet jetzt in seiner Klause, bis einmal der Schreckensruf ertönt: Die Pest ist da! Dann will er sogleich herausrücken mit seinen Tropfen und der Schmier.

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