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Der Pfannenflicker Naz

Der Naz lebte still und ohne Aufsehen in seiner Einödkeusche. Die Welt wußte nichts vom Naz, denn er hatte keine Bombe geworfen und nichts defraudiert; und mit dem Hafenbinden und Kesselflicken wird man heutzutag nicht weit bekannt. Zweimal in der Woche machte der Naz die Reise in die Welt, das heißt in die umliegenden Dörfer Thaur, Rum und Heiligenkreuz; das eine Mal, um zerrissene Kessel, locherige Pfannen, geborstene Häfen und dergleichen verlottertes Küchengesindel aufzuspüren und zu arretieren, das zweitemal, um die Arrestanten gebessert wieder in ihre Zuständigkeitsgemeinde abzuschieben. Sonach war er eigentlich ein Kollege des Bettelrichters.

Der Naz war keinem Menschen auf der Welt Feind, nur gegen den Statthalter trug er geheimen, tiefen Groll im Herzen. Das brachte seinem Weibe manchen Kummer, wenn der Naz mitten unter seiner Arbeit oft halblaut mit dem Statthalter grollte. Mit so hohen Herrn ist nicht gut Kirschen essen.

»Naz«, warnte sie, »dös wird dich noch in Kerker bringen.«

Unnütze Sorge, der Naz schaute sich immer zuerst hinten und vorn zwanzigmal um, ob kein unberufener Lauscher ihn höre, und wenn er dann anfing, dem Statthalter die Leviten zu lesen, sprach er so leise, daß er s selber kaum hörte. Der Naz hatte sich in den Kopf gesetzt, der Statthalter sinne Tag und Nacht auf den Untergang der Pfannenflicker im ganzen Lande und nur ihm hätten sie die kürzlich aufgekommene Steuer zu danken. Der Statthalter sei einmal bei einem Ausflug in einem Bauernhause eingekehrt und habe dort den Kaffee in einer mit Draht gebundenen Schale vorgesetzt erhalten. Seit dorther datiere seine Wut gegen die Hasenbinder.

Da geschah plötzlich einmal ein Ereignis in der Einöde. Der Postbote hatte einen Brief gebracht und gar einen rekommandierten. Wie er das Rezipiß auf den Tisch legte und ungeduldig brummte: »Unterschreiben«, da stieg es dem Naz heiß zu Kopf.

Das Schreiben war seine schwache Seite. Angstvoll schaute er seine Alte an, die in die Stubenecke retiriert war. Von dort war auch keine Hilfe zu erwarten, denn die Frau Kesselflicker war ein Leib und eine Seele mit ihrem Mann.

Der Briefbote, der solche Situationen schnell überschaute, zog aus seiner schmutzigen Ledertasche Feder und Tinte und half dem Naz, der den Federstiel schweißtriefend mit der ganzen Faust umklammert hielt, drei unförmliche, grobbalkige Kreuze an Stelle der Unterschrift hinmalen, dann entfernte er sich knurrend und ließ ein großsiegeliges Kuvert auf dem Tisch zurück, das der Pfannenflicker und seine Alte ängstlich umkreisten. Was etwa da drinnen sei, fragte die Trine.

»I mein, eppes zum Lesn«, gab der Naz zurück und näherte sich scheu der Briefschaft.

Die Alte schlug plötzlich die Hände zusammen und fing an zu schluchzen.

»Jessus und alle Heilign! Am End ist s gar vom Statthalter a Brief, daß du eingsperrt werst!« schrie sie auf.

»Naz, Naz, was mueß i mit dier derlebn!«

Der Pfannenflicker war bleich geworden.

»Gschwind zum Schulmeister, der kann Geschriebenes lesn«, rief er aufgeregt und warf sein Schurzfell weg. Dann faßte er das Kuvert am äußersten Zipfel, band es in ein blaues Schnupftuch und zog seine Alte hastig mit sich zur Tür hinaus.

Beklommen, mit pochenden Herzen, traten sie in des Schulmeisters Zimmer und brachten ihre Bitte vor. Der Lehrer nahm mit ruhiger Würde das Kuvert in die eine und die lange Papierschere in die andere Hand. Dabei seufzte er: »Nit lesn können, Gott im Himmel, nit lesn können!«

»Ja, wenn wir zu unserer Zeit so einen Schulmeister ghabt hätten«, schmeichelten ihm die Pfannenflickerischen.

Wie der Lehrer das Kuvert aufschnitt, tat die Trine einen leisen Schrei.

Der Lehrer las:

»Vom k. k. Bezirksgericht Innsbruck.«

»Herrgott, sei mir gnädig«, schrie der Naz schweißtriefend.

»Naz, Naz, was mueß i mit dier derlebn«, jammerte die Trine.

Der Lehrer hielt entrüstet über die Unterbrechung inne und fixierte die Eheleute scharf Über die Hornbrille weg. Das war er so gewohnt von der Schule her.

Nachdem Ruhe eingetreten war, fuhr er fort:

»Nachdem in Erfahrung gebracht wurde, daß Ignaz Pfeifer, vulgo Pfannenflicker Naz, noch am Leben ist, so wird ihm hiermit mitgeteilt, daß er von seinem verstorbenen Vetter Josef Pfeifer, Hadernsammler, zu dessen Universalerben eingesetzt wurde. Das Erbe im Betrage von hundert Gulden österreichischer Währung ist beim hiesigen Bezirksgerichte zu beheben.«

Die beiden Leute standen ein Weilchen wie versteinert. Endlich brach der Naz das Schweigen:

»Der Herr geb dem Haderlumpnseppl die ewige Ruh und laß ihm das ewige Licht leuchten!«

Und die Trine flüsterte in dankbarer Rührung:

»Der Seppl ist der bravste Haderlump gwesen auf der ganzn Welt!«

Und nun fing der Naz an, dem Schulmeister von dem verstorbenen Vetter zu erzählen, bis der endlich die beiden Leutchen mit dem Brief zur Tür hinausschob.

Auf dem Rückweg wurde überlegt, was man mit dem vielen Geld anfangen solle.

Ein Haus kaufen, meinte die Trine, und Zucker und Kaffee. Der Naz fuchtelte energisch mit dem Zeigefinger hin und her: »Nix Haus, nix Zucker, nix Kaffee, gar kein bißl nix!« So oft die Trine wieder einen neuen Vorschlag machte, kam der Naz mit seinem überlegenen: »Nix, kein bißt nix!« Mehr war aus ihm nicht herauszubringen. Erst als die Trine bissig wurde und ihn drohend in den Arm kniff, rückte der Naz heraus.

Seit der Statthalter ihre Zunft besteuert hatte, habe er es sich in den Kopf gesetzt, der erste Pfannenflicker im Tal zu werden, ihm zum Trutz. Und eine ganz neue Flickmethode wolle er erfinden und so zierliche Arbeit werde er machen, daß die Leute ihr Porzellangeschirr absichtlich zusammenschlagen würden, um es ihm zur Reparatur bringen zu können. Und sein Name werde im Lande genannt werden, Geld und Ehre werde es absetzen, und wenn ihm Gott das Leben schenke, werde er wohl gar einmal in den Landtag kommen; dann blühe für die Zukunft der Pfannenflicker der Weizen, denn er werde dem Statthalter schon Spitz und Knopf zusammensetzen. Jetzt habe ihm der Herrgott das Geld geschickt zum Ankauf teurer feiner Instrumente, die er für seine Flickmethode benötige.

Staunend hörte die Trine dem Naz zu, der eine neue Welt vor ihren Augen aufrollte. Wenn er der erste Pfannenflicker im Tal würde, dann wäre sie die erste Kesselflickerfrau.

Der Naz schlief diese Nacht unruhig. Es träumte ihm, der Statthalter läge vor ihm auf den Knien und bitte ihn mit aufgehobenen Händen, er möge ihm das zerrissene Silbergeschirr, das in Menge herumlag, mit Draht zusammenheften. Er aber weigerte sich hartnäckig und sagte: »I tus nit, und im Landtag werden wir schon weiter redn!«

Daraufhin ging der Statthalter bitterlich weinend in das Nebenzimmer und stöhnte: »Naz, setzt hab i keine gute Stund mehr in meinem ganzen Leben!«

Beim Engelwirt in Innsbruck saßen einige Stammgäste am großen Eichentisch und zogen über die schlechten Zeiten los. Weit ab von den behäbigen Bürgern, im hintersten Winkel der Stube, kauerte der hagere Pfannenflicker Naz und sog in stiller Glückseligkeit an seiner hölzernen Pfeife, dann wieder nippte er sparsam aus dem Weinglas. Von Zeit zu Zeit griff er in die innere Rocktasche, und wenn er das Knistern des soeben vom Bezirksgerichte behobenen Hundertguldenscheines vernahm, kniff er wonneschauernd seine Äuglein zusammen. Er hatte gar keck hinaufgeschaut zu des Statthalters Fenstern, als er an der Hofburg vorübergegangen war.

Eben trat der dicke Engelwirt in die Stube, den ärmlich gekleideten Naz sah er nicht, wohl aber die Bürger und die dicken Goldringe an ihren fleischigen Fingern. Pustend ließ er sich an ihrem Tische nieder und half ihnen das Lob der alten Zeiten singen.

»Und die ewigen Überschwemmungen hat s früher auch nit gebn im Land«, meinte ein Gast.

»Ja, alleweil mehr Wasser, alleweil mehr Wasser«, seufzte der Wirt.

Der Höttinger Selcher nickte dem Wirt beistimmend zu: »Ja, ja, man spürts im Wein auch schon!«

»Die Pustertaler sein arg heimgsuecht«, erzählte der Bäckermeister Kranz. »Zwölf Mühlen hat die Rienz wieder weggrissen, die Anrainer werden bald müeßn betteln gehn!«

»Es gibt schon guete Leut, die ihnen wieder auf die Füeß helfen«, bemerkte ein anderer.

»Sell wol, guete Leut gibts«, bestätigte der Wirt, »verteufelt guete Leut; unser Statthalter hat ihnen schon wieder hundert Gulden gschenkt! Morgn kommt er in die Zeitung! Da wird er wieder globt werdn im Landl!«

Aus einem Winkel der Stube ertönte ein heiseres: Kellnerin, zahlen!« Nachdem der Naz seine Zeche beglichen hatte, stürmte er, krebsrot im Gesicht vor Aufregung, auf die Gasse. Draußen ballte er grimmig im Hosensack die Fäuste und murmelte wütend: »Wo du gehst und stehst, hörst nix, als Statthalter hin und Statthalter her; aber wart nur, dier will ich s noch abikratzn!«

Wie besessen stürzte der Pfannenflicker fort durch die Straßen. Wer ihm nicht auswich, wurde auf die Seite gestoßen. Einige Male hatte er auf eine Minute innegehalten und die Passanten um irgendeine Auskunft gebeten und eben jetzt bedeutete ihm wieder einer: »Dort rechts, das große Haus an der Ecke!«

Während er über die Stiege des betreffenden Hauses hinauftappte, begegnete ihm ein Mann mit einem Bündel Schriften unter dem Arm.

Den fragte der Naz wieder:

»Mit Verlaub, wo bleibt denn da der Zeitungsmensch?«

Der Herr war höflich. Er geleitete den Naz über die Stiege hinauf und schob ihn in die Redaktionsstube hinein.

»I möcht nur fragen, ob Ös der seid, der mit der Pustertaler Wassergschicht zu tuen hat?«

»Ja.«

»Und hat nit der Statthalter für die Überschwemmten an Hunderter spendiert?« forschte der Naz weiter.

Das sei in der Tat so. Aber es werde hier an einzelne Personen keine Unterstützung gegeben, sondern die eingelaufenen Spenden würden direkt an die beschädigten Gemeinden übermittelt und von dort erst ausgefolgt.

Er vermutete in dem Naz einen von der Überschwemmung betroffenen Bauern und setzte sich nach dieser Auskunft wieder an den Schreibtisch.

Der Naz machte keine Miene zu gehen, vielmehr näherte er sich dem Tische und fragte lauernd:

»Und der Statthalter kommt morgen gedruckt in die Zeitung außer?«

Ja! Jeder, der für die Überschwemmten etwas spende, werde mitsamt der Höhe seines Betrags in der Zeitung genannt.

»Aso?«

»Ja! Adieu!«

Anstatt zu gehen, kam der Naz immer näher.

»Der Statthalter hat hundert Guldn geben für die Pusterer«, kreischte er heiser. »I, der Pfannenflicker Naz von der Einöd, i gib hundert und oan Guldn!«

Sprach's, zog seinen Geldbeutel und warf den Hunderter und noch einen Silbergulden auf den Tisch. Dann schickte er sich zum Gehen an. Der Zeitungsmensch fragte ihn um den Namen.

»Schreibt s nur Pfannenflicker Naz von der Einöd, mehr braucht s nit!«

Das hatte bei den Innsbruckern ein gewaltiges Aufsehen gegeben, wie man am nächsten Tag unter den für die überschwemmten Pustertaler eingelaufenen Spenden den Statthalter mit hundert und dicht daneben den Pfannenflicker Naz von der Einöd mit hundert und einem Gulden prangen sah.

Der Naz bildete das Tagesgespräch in allen Familien und Wirtshäusern. Sie wanderten hinaus in die Einöd, die Innsbrucker Herren und Damen, und es gehörte eine geraume Zeit zum guten Ton, den originellen Pfannenflicker zu besuchen. Der Statthalter, welchem die Sache großen Spaß machte, soll dem Naz ein ansehnliches Geldgeschenk haben zukommen lassen, worauf der Naz seinerseits den heimlichen Groll als ungerechtfertigt fallen ließ. Es soll damals auch vorgekommen sein, daß manche Bürgersfrau absichtlich etwas von ihrem Porzellangeschirr zertrümmerte und mit den Scherben in eigener Person zur Einöd hinauswanderte, um mit dem Naz in Kontakt zu kommen.

Es hatte Geld und Ehre abgesetzt. Der Naz ist der berühmteste Pfannenflicker im Land. Längst schon besitzt er ein eigenes Haus, und die Trine hat im Küchenschrank Zucker und Kaffee in schwerer Menge. Von einer neuen Flickmethode des Naz ist in Fachkreisen nichts bekannt geworden. In den Landtag ist er bis heute auch nicht berufen worden, er verlangt sichs auch nicht, da er mit dem Statthalter nichts mehr zu reden hat.

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