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Raufer

Ein Sonntagnachmittag; die Bauern ruhen von der Arbeit aus und tun sich gütlich.

Eben tritt der »Wattl« aus dem Gasthof zur Post: Ein Lackl; stiernackig, zwei- und dreifach »unterbaut«; Brust und Rippen wie ein Roß; ein kleinwinziges Schnurrbärtchen im Gesicht; sonst alles an ihm auf und nieder Stärke und Gewalt. Den anderen Raufern im Dorfe paßt der ganze Kerl nicht. Es ist auf dem Lande, wie draußen im großen Leben: Wo sich eine Kraft aufreckt, da kläffen schon zwanzig Hunde hinterdrein.

Ihrer sechse haben den Wattl auf der Straße erwartet; auch keine schlechten; darunter der »griffige« adlernasige Gigges und der »mullköpfige« Nagele. Schauen alle den Wattl von oben bis unten breitpatzig an.

Bleibt der Wattl stehen und fragt ruhig, schmiedeisern lächelnd: »Wöllt's was?«

Der Adlernasige drauf: »Anschaug'n wird man di' wohl dürf'n? Hat ja die Katz' gar den Bischof ang'schaut!«

Stellt sich der Wattl in gutgespielter Hilflosigkeit, wie ein verlegener Schulknabe, der mit seinen Händen nichts Rechtes anzufangen weiß, den Kläffern zur Schau. Ein wilder Aufreiz geht von dieser schüchtern tuenden Urgewalt aus. Nach einem guten Weilchen fragt der Wattl bescheiden: »Darf i nachher jetz wieder gehn?« Und schlendert schmiedeisern lächelnd seines Weges fort, heimzu.

Sie ließen ihn wortlos ziehen. Aber der Gigges bekam einen blutroten Kopf und knirschte die Zähne aufeinander; der mullköpfige Nagele stieß wie ein gereizter Widder seinen Schädel seitwärts in die Luft; einer sagte: »Hund!« Und alle, wie sie ihm so nachschauten, waren einig: »So ein Kerl muß g'haut werd'n!«

Während sie noch zusammenstanden, kam der vierzehnjährige Bruderssohn des Wattl aus der »Post«. Er hatte in der Gaststube seinen Hut nicht gleich gefunden und wollte nun eilig an den sechsen vorüber dem Wattl nach.

Sagte der Gigges: »Wart' ein bißl!« Und hieb ihm eine Brennheiße hinter die Ohren.

»Was hab' i dier den 'tan? Du!« schreit der Bub weinerlich-wütig. Und der Gigges katzenfreundlich:

»Nix! Das g'hört ja nit dir. Bring's dein' Vaters Brueder, dem Wattl heim; und tue ihm die Botschaft: wenn er von uns was will – wir sein heut nach dem Nachtess'n da; auf der Poscht!«

Während der Brudersbua sich heimtrollte, berieten die sechse: »wie fass'n wier ihn?«

Der adlernasige Gigges entwarf den Schlachtplan: »Zuerst wird ein bißl g'wörtelt; aber nit lang! Der Mullkopf springt ihn von hinten an; Hörst, Nagele! Di geht's an! Du bist der Mullkopf! Faß ihn bei Rock und Krag'n; ziech' fest zue!«

Der Nagele, schon halb beleidigt über die Umständlichkeit der Belehrung, höhnt: »Von dier werd' i den Polizeigriff lernen!«

»Wer hat von enk die gröbst'n Näglschuech?« forschte der Gigges.

Der Zipfler Peter wies zwei riesige »Treter« auf.

»Guet! Die pass'n! Also Peter, du gibst ihm an Tritt in 'n Bauch; aber fein an guet'n; sonst spürt er nix! Der Kerl hat ja ein Bauchfleisch wie zwoa Paar Roß!«

Der Zipfler Peter sagte: »Wird g'macht!«

»Oes andern drei,« sprach der Gigges weiter zur Sache, »macht's rund um ihn um a Gebrums und an Surm, wie ein' Humml auf dem Fensterglas!«

»Und was machst nachher du?« fragte gereizt der Nagele.

Die Augen des Gigges begannen zu beiden Seiten der mächtigen Hakennase hervorzufunkeln, wie zwei glühende Kohlen. Er fuhr in die Außentasche und drückte sein Stichmesser innig.

»Heut steht Rot im Kalender. I zapf' ihn an!«

»Guet,« nickte befriedigt der Nagele. »So ein Kerl muß an'zapft werd'n!«

»Also nach 'n Nachtess'n – auf der Poscht.«

»Es bleibt dabei!«

Damit ging das Häuflein der Käufer auseinander.

Als der Brudersbua mit dem brennheißen Geschenk heimkam, saß der Wattl in der sonntäglich einsamen Stube vor der Schüssel und löffelte; eine mächtige, unbewegliche Masse, arbeitete er doch mit der Sicherheit einer Präzisionsmaschine: Den vollen Löffel aus den Tiefen der Schüssel aufziehend, den leeren wieder tief nieder in den Grund.

Der Brudersbua berichtete: »Ihrer sechse sein vor der Poscht g'standen, wie i außer bin! Ja! Der Nagele auch; und der Gigges!« Er rieb sich die Wangen. »Ja, der Gigges halt auch!«

Der Wattl aß.

Wirst schon lebendig werd'n, bis i weiter verzähl', denkt sich der Brudersbua und fährt fort: »Der Gigges hat mier eine aberg'haut! Ja! A Saftige!«

Der Wattl aß.

»Aber er hat g'sagt, er meint nit mi'! Ja! Und i soll die Watsch'n dier heimbringen, und wenn du was willst – sie sein nach'n Nachtess'n alle auf der Poscht!«

Der Wattl wurde noch immer nicht lebendig. Er aß und aß. Herrgott, der Wattl konnte essen.

Denkt sich der Brudersbua: Mich lasset er da red'n, und er frißt daweil den Kaiser aus dem Land!

Griff auch zum Löffel und suchte zu retten, was noch zu retten war.

Erst als auf dem Grunde der irdenen Schüssel der Name Jesus Maria, fein säuberlich in den Ton gebrannt, klar und scharf zum Vorschein kam, legte der Wattl bedächtig den Löffel auf den Tisch. Er saß noch ein gutes Weilchen behaglich verdauend, wie tot für die Außenwelt da; endlich stand er umständlich langsam auf, streckte sich wie ein Jagdhund und gähnte geräuschvoll. Dann sagte er zum Brudersbua: »Hast 'gessen?«

»Na ja! Soweit's halt g'langt hat!«

»Nachher gehn mer!«

»Wohin?«

»Auf – die Poscht!«

Die sechse saßen schon eine gute Weile auf der »Poscht«, in der qualmigen Stube um den runden Eichentisch gleich links neben der Tür beim altbraunen Uhrenkasten. Sie waren gutlustig und hatten alle schon vom Weine erhitzte Gesichter. Der Zipfler Peter schlug öfter als einmal seinen Fuß mitten auf den Tisch; rief die Kellnerin herbei und wies ihr den riesigen Nagelschuh vor: »Kellnerin, was, däs ist a Treter!«

Die Kellnerin fragte: »Was soll's mit dem Treter?«

Da grölten die sechse laut auf. Sie sangen zur Kurzweil auch lustige Liedel. Der mullköpfige Nagele spielte die Gitarre und der Adlernasige jodelte in hellem Schlag hoch auf.

Sie hörten auch nicht auf zu singen, als jetzt der Wattl, gefolgt vom Brudersbua, seine aufreizende Mächtigkeit durch die enge Stubentür drückte. Nur daß der Gigges einen Augenblick verstohlen nach der Messertasche griff. Nur eine Sekunde lang; aber der Wattl hatte den Griff ersehen; denn Raufer lassen ihre Augen blitzschnell laufen. Der Wattl sagte allseits »recht guet'n Ab'nd« und setzte sich mit dem Brudersbua an den leeren Ofentisch am anderen Ende der Stube.

Die Kellnerin kam: »Wattl, was darf i bringen? Zwei Krüg'ln, wie gewöhnlich!« Und wollte gehen.

Aber der Wattl besann sich: »Hm! Bring' heut amal an – Doppelliter!«

Das kam der Kellnerin spaßig vor: »Gar heut an Doppelliter? In die klein' Gläser bleibt's Bier frischer!«

»Brauchst nit so oft zu lauf'n! Und« – Wattls Äuglein blitzten verstohlen über den derben Kopf des jodelnden Gigges hin – »es gibt besser aus!«

Die Kellnerin bringt das Verlangte; stellt den mächtigen, schäumenden Glaskrug vor den Wattl hin; aber es ging ihr nicht aus dem Sinn: »Zu was trinkt der heut an Doppelliter; wo's Bier in die kleinern Gläser viel frischer bleibt!«

Die sechse um den runden Ecktisch spielten und sangen und ließen sich nichts merken; nur daß der jodelnde Gigges immer wilder seine funkelnden Augen warf und der Zipfler Peter immer stärker mit seinen »Tretern« den Takt schlug. Der Wattl am Ofentisch summte mit und saß urbehaglich da; trank und hieß den Brudersbua aus dem mächtigen Kruge trinken. Und lächelte schmiedeisern vor sich hin.

Es war heute so lustig und fröhlich auf der »Poscht«. Die Wirtin war ganz gerührt und sagte in einem fort: »So sollt's alleweil sein! So fein wie heut ist's schon lang nimmer g'wesen!«

Mitten im hellen Dreiklangjodler raunte der Wattl dem Brudersbua heimlich ins Ohr: »Druck di'!«

Der kannte das; tat noch rasch einen tüchtigen Schluck; beim Essen war er zu kurz gekommen; drum hielt er sich beim Trinken schadlos; dann machte er sich aus der Stube. Der Wattl trank den letzten Rest schmiedeisern lächelnd aus. Dann fuhr er vom Sessel auf, gegen den Tisch der sechse zu und er mit dem leeren Krug in der Hand wie der Blitz schrie stierwild mitten in den Jodler hinein: »Jetz bin i da – auf der Poscht!«

Aus seinem Gesicht schlugen wilde Flammen. Der Wattl war in Brand.

Wirtin und Kellnerin flüchteten kreischend in die Küche.

Der Gigges, das blitzende Messer in der Faust, sprang haßerfüllt, kerzengerade über den Tisch; aber ehvor er dem Wattl zu Leibe kam, sauste schon der mächtige Glaskrug auf seinen Schädel nieder, daß ihm ringsum die Scherben aufstanden, wie eine vielzackige Krone. Er fiel wie ein Plumpsack hin; färbte weitum den Boden mit dem strömenden Blut, heute steht ja Rot im Kalender; da ruhen die Bauern von der Arbeit aus und tun sich gütlich. Der mullköpfige Nagele sprang dem Wattl mutig ans Genick. Der schüttelte sich nur, und der Mullkopf lag fluchend da. Noch ein-, zweimal riß ihn der entfesselte Wattl vom Boden auf und warf ihn immer wieder auf die Dielen nieder, bis er ruhig lag.

Da sprang der Zipfler Peter mit einem wilden Satz hinter dem Tisch hervor, hob seine riesigen »Treter« und – flüchtete zur Tür hinaus. Die anderen wollten ihm nach; dachten sich: Wozu um den Wattl herum einen »Surm« machen; der macht den »Surm« schon selber!

Aber es war zu spät. Sie kamen nicht mehr hinter dem Tisch hervor. Der stierwilde Wattl, schnaubend und flammend, wie eine entfesselte Naturgewalt, hatte schon die schwereichene Tischplatte aufgerissen und schlug sie gegen die Wand zu immerfort wie eine Fliegenklappe auf und nieder, bis alle Köpfe Blut schwitzten und deren Besitzer fliegengleich unter den Tisch kugelten. Dann spähte er scharf lauernd die Stube auf und ab, ob sich vielleicht irgendwo noch etwas rege oder rühre. Dann sagte er: »So! Jetz bin i dag'wesen; auf der Poscht!« Und ging zur Tür hinaus.

Allgemach getrauten sich die Weiber wieder langsam herfür.

Die Kellnerin kam mit einer Schüssel voll Sägespäne in die Stube und bestreute den Boden. Die Wirtin schlug jammernd die Hände über dem Kopf zusammen!

»Die ganze Tischplatt'n zu lauter Fetz'n! Und da lieg'n drei Sesselfüeß!«

Bis die Kellnerin zu der Stelle kam, wo der Gigges wie ein gehörnter Siegfried lag, sagte sie: »Wirtin, schaugt's, wie der Gigges zug'richtet ist! Der hat den Dopp'lliter kriegt!«

Die Wirtin besah den Schwerverletzten und bedeutete der Kellnerin: »Der hat g'nueg! hol' Geistlich' und Dokter!«

Während die Kellnerin um Doktor und Pfarrer lief, sagte die Wirtin, vor dem Gigges auf dem Boden kniend: »Gigges, mach' derweil Reu' und Leid! Hörst mi?«

Richtig öffnete der Gigges die Augen, setzte sich mit Hilfe der Wirtin mühsam auf dem Boden auf. Die Wirtin sagte ihm ein frommes Sterbegebet vor. Aber der Gigges sprach es nicht nach. Er sah über die Wirtin hinweg gegen den Tisch, wo die anderen Raufer lagen, und keuchte: »Nagele! Wie fass'n mer ihn am nächst'n Sonntag?«

Dann schlug er wieder langlängs auf den Boden hin.


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