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Gleiche Szene. – Morgen des nächsten Tages. Die Bühne leer.
Amadeus kommt aus seinem Zimmer links, angekleidet, aber im Morgenrock. Geht langsam nachdenklich durchs Zimmer, zum Schreibtisch. Nimmt die Briefe auf, die dort liegen, und legt sie wieder hin. Er fröstelt, sieht sich um, merkt, daß das Fenster offen, und schließt es. Dann zu Cäciliens Türe und lauscht. Dann zum Schreibtisch, beginnt aus den Pulten die Manuskripte zu nehmen.
Amadeus. Machen wir Ordnung . . . Wie wird es nur werden? – – Von der Reise aus werd' ich ihr schreiben. Hierher komme ich nicht mehr zurück . . . Ich könnte es nicht ertragen – nicht ertragen! – Ein Manuskript in der Hand. Das Solo – ihr Solo! Aber ich werde nicht dabei sein, wenn sie es singt.
Stubenmädchen tritt ein. Die Leute sind da, die die Koffer fortbringen sollen. Hier ist der Schein vom Spediteur.
Amadeus. Es ist gut. Sie sollen die Sachen über die Hintertreppe wegschaffen.
Stubenmädchen ab.
Amadeus. – Wenn ich ihr morgen adieu sage, wird sie nicht ahnen, daß es für immer ist . . . Und mein Bub' . . . mein Bub' –? Hin und her. . . . Aber es muß sein. Plötzlich. Heute abend noch reise ich – nicht morgen. Ja, heute abend noch. Trägt hastig Noten zusammen. Ich werde mit dem Direktor sprechen. Geht er nicht drauf ein, so geh' ich einfach durch. Hierher komm ich nie wieder. Wieder zu Cäciliens Tür. Sie schläft wohl noch. Nach vorn, setzt sich auf den Divan, stützt den Kopf in die Hände. Wir werden zusammen bei Tische sitzen, und sie wird nicht ahnen, daß es zum letzten Male ist . . . Nicht ahnen –? Warum nicht? Sie soll es wissen . . . Gleich . . . Ich spreche mich mit ihr aus. Ja. Steht auf. Schreiben läßt es sich ja doch nicht. Ich werde ihr alles sagen. Ich werde ihr sagen, daß ich's nicht ertragen kann – daß der Gedanke an den andern mich toll macht. Und sie wird es begreifen. Und wenn sie mich auch anfleht, ihr zu verzeihen, – wenn sie auch . . . ah! Zur Türe. Jetzt gleich sag' ich ihr's . . . Ich möchte sie erwürgen! . . . Cäcilie! Klopft. Keine Antwort. Was ist denn das? In ihr Zimmer. Sie ist fort! . . . Ab. Kommt nach einer halben Minute durch den Garten wieder. Klingelt. Wo mag sie – –
Amadeus. Das Stubenmädchen.
Amadeus leicht. Die gnädige Frau ist fortgegangen?
Stubenmädchen. Schon ziemlich lang, gnädiger Herr.
Amadeus. So . . .?
Stubenmädchen. Es wird wohl zwei Stunden sein. Gegen ein Uhr wollte die gnädige Frau wiederkommen.
Amadeus. So. – Danke.
Stubenmädchen. Darf ich dem gnädigen Herrn jetzt das Frühstück bringen?
Amadeus. Ach ja, ich habe ganz vergessen. Bringen Sie mir den Tee, bitte.
Stubenmädchen ab.
Amadeus allein.
Amadeus. Fort! . . . Nun ja, was ist daran weiter Sonderbares? . . . In der Oper jedenfalls . . . Aber warum sagte sie mir nicht – – Fährt zusammen. Bei ihm? . . . Nein, das ist ja nicht möglich! nein! . . . Warum nicht möglich? . . . Eine Frau wie sie – – Warum sollte sie nicht zu ihm? . . . Mit drohender Geste. Hätt' ich nur ihn! . . . Erleuchtet. Das kann ich ja . . . das wäre ja . . . . Ihm gegenüberstehen! – ja! Ihm gegenüber! – Da könnte ja am Ende manches wieder gut werden . . . Nein, sie ist nicht bei ihm . . . Wie nur solch ein Gedanke – – – Das ist ja vorbei! . . . Ja, das tu' ich! . . . Ich oder er! . . . Da könnte ja vieles, – da könnte alles wieder gut werden . . . Er oder ich! . . . Aber so weiterleben, während er . . . Ich gehe zu Albertus! Heut noch muß es geschehen! Ab in sein Zimmer.
Albertus tritt ein. Zugleich bringt das Stubenmädchen das Frühstück.
Stubenmädchen. Ich will Sie dem gnädigen Herrn gleich melden. Stellt die Tablette auf das Tischchen, geht links ab.
Albertus nimmt ein Kipfel von der Tablette und beißt das Spitzel ab.
Albertus, Amadeus. Das Stubenmädchen rasch durchs Zimmer ab.
Amadeus. Ah, da bist du ja!
Albertus. Jawohl. Ich komme doch nicht zu früh? Bist du bereit? Ich will dir nun den dritten Akt vorlesen. Nimmt die Blätter aus seiner Rocktasche. Die Szene kennst du ja: Park, Villa, Platane. Etwas muß ich noch vorausschicken. Du erinnerst dich des Herrn von Rabagas, in den meine Frau verliebt ist? An dem habe ich eine kleine Korrektur vorgenommen: er schielt nämlich. Ich bin neugierig, wie sich Marie jetzt zu ihm stellen wird.
Amadeus sehr nervös. Später davon. Es handelt sich für den Augenblick um Wichtigeres.
Albertus. Wichtigeres –?
Amadeus. Ja. Du mußt mir einen großen Dienst erweisen . . . einen Dienst, der keinen Aufschub leidet. Du mußt mein Zeuge sein.
Albertus steht auf. Dein . . . ? – Ja, was ist das für ein Unsinn? Du nimmst es einfach nicht an! Mußt du dich wegen Madame Philine totschießen lassen? Ah nein!
Amadeus. Es handelt sich nicht um Philine. Ich bin auch nicht gefordert worden. Ich selbst fordere. Und zwar bitte ich dich, sofort unsern Freund Winter aufzusuchen, dich mit ihm zum Fürsten Sigismund zu bemühen und ihm – –
Albertus ihn unterbrechend, lacht. Ah, zum Fürsten Sigismund! – Danke verbindlichst.
Amadeus befremdet. Was hast du denn?
Albertus. Sehr liebenswürdig. Du beschenkst mich mit einem Schluß zu unserem gestrigen Stück. Ich danke. Der ist mir zu abgeschmackt – den glaubt kein Mensch. Ich habe einen viel bessern: Du wirst vergiftet – ja. Und weißt du, von wem? . . . Von einer ganz neuen Figur: einem dir unbekannten Liebhaber deiner Frau.
Amadeus wütend. Das interessiert mich absolut nicht. Ich bitte dich, höre mir davon auf! Ich erfinde dir keine Schlüsse für deine Wurstelkomödien! Wir befinden uns im Leben, mitten im Leben!
Albertus. Du meinst . . .! Also wenn ich schon zu diesem unsaubern und lächerlichen Aufenthalt verurteilt sein soll: was wünschest du eigentlich von mir?
Amadeus. Hast du mich denn nicht verstanden? . . . Ihr sollt den Fürsten Sigismund in meinem Namen fordern.
Albertus. . . . In deinem Namen? . . . den Fürsten? Lacht.
Amadeus. Es scheint dir ja sehr komisch vorzukommen, aber ich versichere dir – –
Albertus. Darauf kommt es wohl nicht an, daß du mir komisch vorkommst; dafür gibt es wahrscheinlich eine Menge Leute, denen du bis heute lächerlich erschienen bist und die dich nun mit einem Male vernünftig fänden, . . . obzwar sie sich logischerweise sagen müßten: Gerade heute ist der Herr Kapellmeister eifersüchtig geworden? . . . Bis zum zweiundzwanzigsten Oktober ist er es nicht und am dreiundzwanzigsten wird er es mit einem Male?
Amadeus. Es hat sich eben manches geändert von gestern auf heute.
Albertus. Geändert? . . . von gestern auf heute? . . . Ach so!
Amadeus nach einer Pause. Also auch du hast es nicht geglaubt!
Albertus. Ehrlich gestanden: nein.
Amadeus. So lebt man also wirklich unter lauter Leuten – –
Albertus. Die schließlich doch recht behalten. Warum entrüstest du dich also? Wenn wir lange genug existierten, behielte wahrscheinlich jede Lüge Recht, die über uns umläuft. Horch' auf die Verleumder, so wirst du die Wahrheit über dich erfahren. Das Gerücht weiß selten, was wir tun, aber immer, wohin wir treiben.
Amadeus. Wir wußten es nicht, daß wir dahin treiben – das wirst du mir hoffentlich glauben.
Albertus. Und doch mußte es so kommen: Freundschaft zwischen zwei Menschen verschiedenen Geschlechts ist immer eine gefährliche Sache – sogar zwischen Eheleuten. Wenn die Seelen sich allzu gut verstehen, so reißen sie allmählich auch das mit, was man gern bewahren möchte; und wenn die Sinne zueinander fließen, so gleitet mehr von der Seele nach, als wir ihnen gerade nachsenden wollten. Ein ewiges Gesetz, mein Lieber, das die tiefe Unsicherheit aller irdischen Beziehungen zwischen Mann und Weib verschuldet, und nur, wer es nicht kennt, vertraut den andern und sich selbst. – Du erlaubst. Er streicht sich Butter auf ein Kipfel.
Amadeus. Du verstehst mich also? . . .
Albertus. Selbstverständlich; – das ist ja mein Metier.
Amadeus. Nun, wenn du verstehst, was geschehen ist, und verstehst, daß es geschehen mußte, – dann verstehst du auch, daß ich die Konsequenzen daraus ziehen muß.
Albertus. Konsequenzen? . . . Ich rede Weisheit, und dich verlangt nach Unsinn? Und das nennst du Konsequenz? – Ich finde vielmehr, daß du im Begriff bist, dich zu benehmen wie ein ausgemachter Narr. Jeder andere dürfte tun, was du jetzt vorhast, nur du darfst es nicht. Denn da du es vorhast, ist es unlogisch, unedel, ja geradezu betrügerisch. Du willst einen Menschen zur Rechenschaft ziehen für etwas, das ihm seiner Meinung nach geradezu ausdrücklich gestattet war? . . . Ich an seiner Stelle würde dir unter die Nase lachen. Wenn hier einer das Recht hat, empört zu sein und Rechenschaft zu fordern, so ist es nur er, der Fürst selber, denn nicht er hat dich, sondern du, du hast ihn hintergangen.
Amadeus. Das kommt aufs Gleiche heraus, denn er würde es tun.
Albertus. Dazu müßte er es wissen.
Amadeus. Dafür soll gesorgt werden.
Albertus. Du willst es ihm sagen?
Amadeus. Wenn du glaubst, daß dieser Weg rascher zum Ziele führt –?
Albertus. Da sehe man den Ehrenmann! Ist das die Diskretion, die du deiner Geliebten schuldig bist?
Amadeus. Nenne mich unlogisch, unedel, indiskret, was du willst! Ich kann nicht anders! Ich liebe Cäcilie . . . hörst du? . . . und will mit ihr weiterleben. Und ich kann es nicht, ehe das, was geschehen, seine Sühne gefunden – vor mir, ihr und – ja, ich gestehe es – vor der Welt. Sigismund und ich müssen einander gegenüber stehen Mann gegen Mann – dann erst kann mir wieder wohl werden.
Albertus. Und was soll sich an der ganzen Sache ändern dadurch, daß ihr in die Luft knallt?
Amadeus. Einer von uns muß aus der Welt, Albertus! . . . Verstehst du's nicht endlich?
Albertus. Höre, mein Lieber, das geht zu weit! Ich denke immer, es handle sich um ein Duell – und nun sehe ich, du willst ihm ans Leben!
Amadeus. Du wirst es vielleicht beklagen, daß du selbst in einer solchen Stunde übelangebrachte Scherze nicht lassen kannst. Die Sache drängt, Albertus, entscheide dich.
Albertus. Und wenn er refüsiert?
Amadeus. Er ist ein Edelmann.
Albertus. Er ist fromm, sein Vater ist einer der Führer der klerikalen Partei im Herrenhaus und im Präsidium der Anti-Duell-Liga.
Amadeus. So was ist ja nicht erblich. Und wenn er nicht wollte, ich würde ihn zu zwingen wissen. Es gibt nichts anderes. Wenn ich weiterleben will – mit ihr, oder ohne sie – gibt es nichts anderes. So kann alles gut werden – aber nur so. Nur so wird die Luft um uns wieder rein, nur wenn das vorüber ist, dürfen wir einander wieder gehören und – glücklich sein.
Albertus. Hoffentlich besteht nun Cäcilie nicht darauf, Philine und etliche andere umzubringen, was ebenso sinnreich wäre, aber die Sache sehr komplizieren würde.
Amadeus. Ich bitte dich, geh!
Albertus. Ich gehe ja schon. – Und unsere Oper?
Amadeus. Darüber sprechen wir noch. Zu deiner Beruhigung: was fertig ist, liegt hier im zweiten Fach, wohlgeordnet.
Albertus. Und wer soll den dritten Akt komponieren?
Amadeus. Man wird es als Fragment geben und ein Ballett dranhängen.
Albertus. Ja, du hast recht: »Harlekin als Elektriker« oder »Vergißmeinnicht«. Ab.
Amadeus. Dann Peterl und das Fräulein. Später das Stubenmädchen.
Amadeus eine Weile allein. Sinnt. Dann macht er sich am Schreibtisch zu schaffen.
Es klopft an der Terrassentür.
Amadeus. Was ist denn?
Peterl von draußen. Ich bin's, Papa. Darf ich herein f
Amadeus. Natürlich, Komm nur, Peterl.
Peterl und das Fräulein kommen herein.
Fräulein. Guten Morgen.
Amadeus. Guten Morgen, Fräulein. Küßt Peterl. Ist es nicht etwas zu kalt im Freien?
Fräulein. Peterl ist warm angezogen, und übrigens scheint jetzt auch die Sonne wieder schön.
Peterl. Hast du schon gesehen, Papa, was ich von der Mama gekriegt hab'?
Amadeus. Was denn?
Peterl. Ein Theater – ein großes Theater!
Amadeus. So? hast du's denn schon?
Peterl. Freilich. Dort in der Laube steht's. Willst du dir's anschaun?
Amadeus fragender Blick auf das Fräulein.
Fräulein. Die gnädige Frau hat es in aller Früh' zu uns hereingestellt, wie Peterl noch geschlafen hat.
Amadeus. So?
Peterl. Ich kann auch schon Theater spielen! Es ist ein König, und ein Bauer, und eine Braut, und ein Teufel, ein ganz roter – er ist beinah so rot wie der König. Und hinten ist eine Mühle, und ein Himmel, und ein Wald, und ein Jäger . . . Willst du dir's nicht anschaun, Papa?
Amadeus auf dem Divan, den Buben zwischen den Knien; abwesend. Ja freilich werd' ich mir's anschaun.
Stubenmädchen tritt ein. Gnädiger Herr – –
Amadeus. Was gibt's?
Stubenmädchen. Seine Durchlaucht fragt, ob der gnädige Herr zu sprechen sind.
Amadeus. Welche Durchlaucht?
Stubenmädchen. Seine Durchlaucht der Fürst Lohsenstein.
Amadeus steht auf. Wie?!
Fräulein. Komm, Peterl, wir wollen jetzt wieder in die Laube gehen weiterspielen. Mit Peterl ab.
Amadeus gefaßt. Sagen Sie dem Fürsten – – Wendet sich ab. Einen Moment. Vor sich hin. Was soll das bedeuten? . . . Plötzlich. Ich lasse bitten.
Stubenmädchen ab.
Amadeus geht rasch auf und ab, steht ziemlich entfernt von der Türe, wenn Sigismund eintritt.
Amadeus, Sigismund.
Sigismund schlank, blond, sechsundzwanzig Jahre, elegant, gar nicht geckenhaft; verbeugt sich. Guten Morgen.
Amadeus ein paar Schritte entgegen, nickt höflich.
Sigismund blickt um sich, befangen, aber nicht in komischer Verlegenheit, sondern durchaus würdig. Leicht lächelnd. Wir haben uns lange Zeit nicht gesehen, und Sie werden wohl vermuten, daß mein heutiger Besuch einen besonderen Anlaß hat.
Amadeus. Allerdings. – Platz anbietend. Bitte.
Sigismund. Danke. Tritt näher, bleibt stehen. Also, ich habe mich zu diesem Gang entschlossen, der mir, ich versichere Sie, nicht leicht geworden ist, weil ich die Situation, in der wir . . . wir alle uns befinden, unhaltbar, in gewissem Sinne lächerlich finde und ich der Ansicht bin, daß ihr so oder so ein Ende gemacht werden muß. Mein Besuch hat nun den Zweck, Ihnen einen Vorschlag zu unterbreiten.
Amadeus. Ich höre.
Sigismund. Ich werde nicht viel Worte machen. Ich mache Ihnen den Vorschlag, sich von Ihrer Frau Gemahlin scheiden zu lassen.
Amadeus zuckt, starrt ihn an, nach einer Pause, ruhig. Sie wollen Cäcilie heiraten?
Sigismund. Es ist mein sehnlichster Wunsch.
Amadeus. Und wie verhält sich Cäcilie zu dieser Ihrer Absicht?
Sigismund. Vorläufig ablehnend.
Amadeus befremdet. Cäcilie ist vollkommen Herr ihrer Entschlüsse. Sie hätte natürlich auch das Recht, mich zu verlassen, wann und in welcher Form es ihr beliebt. Sie entschuldigen also, wenn ich zumindest den Anlaß Ihres werten Besuches unbegreiflich finde.
Sigismund. Sie werden ihn sofort begreifen. Die ablehnende Haltung der Frau Adams-Ortenburg in dieser Hinsicht beweist nämlich nichts. Solange Frau Adams-Ortenburg von Ihnen nicht freigegeben wird – selbst gegen ihren eigenen Willen, steht sie gewissermaßen unter Ihrem Bann. Um vollkommene Klarheit zu schaffen, erscheint es mir daher sehr notwendig, daß Sie selbst, verehrter Herr Kapellmeister, auf der Scheidung bestehen. Erst wenn sie geschieden ist, wird Frau Adams-Ortenburg frei zu wählen imstande sein. Bis dahin kämpfen wir – und das kann Ihre Absicht nicht sein – mit ungleichen Waffen.
Amadeus. Hier handelt es sich nicht um einen Kampf. Sie mißverstehen die Sachlage in einer mir völlig unbegreiflichen Weise. Denn daß Ihnen Cäcilie verschwiegen hätte, welche tieferen Gründe uns veranlaßten, an eine Lösung unserer Ehe vorläufig nicht zu denken, das darf ich nicht annehmen.
Sigismund. Gewiß kenne ich diese Gründe; aber sie erscheinen mir keineswegs zwingend genug, auch für Sie, um den Gedanken einer Ehescheidung von der Hand zu weisen. Denn ich beeile mich, Ihnen zu versichern, daß ich vor diesen Gründen in jedem Falle den weitestgehenden Respekt bekunden würde.
Amadeus. Wie meinen Sie das?
Sigismund. Sie wissen, verehrter Kapellmeister, meine Verehrung für Ihre Kunst, wenn ich ihr auch nicht immer zu folgen vermag, ist so groß als meine Bewunderung für den Gesang von Frau Adams-Ortenburg. Ich weiß, wie viel Sie beide einander verdanken, wie Sie sich – wenn ich so sagen darf – musikalisch ergänzen, und es läge mir fern, der Fortdauer Ihrer künstlerischen Beziehungen irgendwelche Schwierigkeiten in den Weg zu legen. Nicht minder bekannt ist mir die Zärtlichkeit, die Sie für Ihr Kind hegen, – dem ich übrigens, wie Ihnen nicht unbekannt, die größte Sympathie entgegenbringe – und ich gebe Ihnen mein Wort, daß die Türe zu Peterls Gemächern Ihnen jederzeit offenstehen würde.
Amadeus. Mit andern Worten: Sie hätten nichts dagegen, daß der frühere Gatte Ihrer . . . der Frau . . . der Fürstin von Lohsenstein in Ihrem Hause als Freund verkehrte?
Sigismund. Jede Einwendung dagegen erschiene mir wie eine Beleidigung gegen Ihre . . . gegen meine . . . gegen Frau Cäcilie Adams-Ortenburg und gegen Sie, verehrter Herr Kapellmeister. Und unter diesen Voraussetzungen wäre der neue Zustand, den vorzuschlagen ich mir hiermit erlaube, vernünftiger und – wenn Sie mir ein aufrichtiges Wort gestatten – anständiger als der, in welchem wir jetzt zu leben alle genötigt sind. Ich bin überzeugt, verehrter Herr Kapellmeister, wenn Sie in Ruhe darüber nachdenken, werden Sie mir nicht nur zustimmen, sondern sogar staunen, daß Sie nicht früher selbst auf diese einfache Lösung einer unerträglichen Situation verfallen sind. Was mich anbelangt, so füge ich hinzu, daß diese Lösung mir für meine Person überhaupt als die einzig mögliche erscheint. Ja, ich stehe nicht an zu erklären, daß ich es vorzöge, diese Stadt zu verlassen und Frau Cäcilie niemals wiederzusehen, als sie weiterhin auf eine für uns alle so peinliche Weise zu kompromittieren.
Amadeus. Darauf käme es mit einem Male an? Nun, wenn das Cäcilie und mich nicht kümmert, darf es Ihnen wohl gleichgültig sein. Sie wissen hoffentlich, daß wir uns ohne Rücksicht auf das Geschwätz der Leute das Leben so eingerichtet haben, wie es uns beliebte, und daß es mir sehr egal ist, ob Cäcilie kompromittiert ist – wie Sie es nennen – oder nicht!
Sigismund. Ihnen – das ist mir ja bekannt. Aber mir ist es nicht egal. Eine Frau, die mir so teuer ist und die ich so hoch verehre, daß ich die Absicht habe, mit ihr vor den Altar zu treten, muß ohne Makel sein vor Gott und den Menschen.
Amadeus. Das hätten Sie sich dann wohl früher überlegen müssen. Ihr bisheriges Benehmen läßt von dieser Auffassung wenig durchblicken. Sie erwarten meine Frau in der Nähe der Oper, Sie gehen mit ihr stundenlang spazieren, Sie besuchen sie auf dem Land, Sie folgen ihr nach Berlin, fahren mit ihr zurück . . .
Sigismund befremdet. Es stand doch bei Ihnen, all das zu untersagen, wenn es Ihnen nicht paßt. . .
Amadeus. Untersagen . . . nicht paßt . . .! Wer spricht davon? – Ich bin es ja nicht gewesen, der diese Situation unerträglich und kompromittierend fand.
Sigismund. Ich verstehe Sie. Allerdings klingt Ihr Ton in Anbetracht Ihrer eben betonten Gleichgültigkeit gegen das Gerede der Leute ziemlich erregt. Aber erlauben Sie mir, Ihnen zu versichern, daß mich das eher sympathisch berührt. Doch ich bin ja nur ein Mensch! Welcher junge Mann an meiner Stelle hätte auf ein häufigeres Zusammensein mit dem angebeteten Wesen verzichtet, wenn es ihm in jeder Hinsicht so leicht gemacht wird? Und trotzdem habe ich mit mir gekämpft, ehe ich ins Pustertal gefahren, ehe ich nach Berlin gereist bin . . . ja sogar manchmal, ehe ich in der Nähe der Oper gewartet habe. Und wie habe ich gelitten unter den forschenden Blicken, mit denen Frau Adams-Ortenburg und ich zuweilen betrachtet wurden, wenn wir zum Beispiel in Berlin nach der Vorstellung in einem Restaurant zusammensaßen oder zu Mittag im Tiergarten spazieren fuhren! Wie peinlich waren mir gewisse Bemerkungen meiner Tante, als ich mich von ihr verabschiedete! Ich kann es Ihnen wirklich kaum schildern.
Amadeus. Wie lange, werter Fürst, gedenken Sie denn diese sonderbare Komödie mir gegenüber noch fortzusetzen?
Sigismund tritt zurück. Sie meinen . . . . . .
Amadeus. Was in aller Welt veranlaßt Sie, mir gegenüber eine Rolle zu spielen, von der ich nicht weiß, ob ich sie abgeschmackt oder verwegen finden soll?
Sigismund. Herr! . . . ah! . . . Sie glauben . . . Nun versteh' ich! . . . Und Sie meinen, daß ich in einem solchen Falle noch einmal den Fuß über Ihre Schwelle gesetzt hätte?
Amadeus. Warum soll ich gerade das nicht von Ihnen glauben?
Sigismund. Auf das, was Sie über mich denken, wird noch zurückzukommen sein. Aber hier ist noch eine andere Person im Spiel, und ich werde nicht dulden – –
Amadeus. Waren Sie gegen jedermann so aufgebracht, dem die Tugend der Frau Adams-Ortenburg nicht über jeden Zweifel erhaben erschien?
Sigismund. Sie sind jedenfalls der erste, der mir solche Zweifel ins Gesicht zu äußern wagt, und der letzte, der es ungestraft wagen dürfte
Amadeus. Glauben Sie, daß die Strafen, die Sie über jene Unverschämten zu verhängen gedenken, geeignet sein werden, den Ruf Cäciliens wieder herzustellen? Meinen Sie, es würde dem Gerede ein Ende machen, wenn für die Ehre der Frau Adams-Ortenburg gerade Sie einzustehen versuchten?
Sigismund. Wer denn als ich?
Amadeus. Wenn es keine Komödie ist, die Sie mir da vorzuspielen versuchen, so haben Sie nicht einmal das Recht dazu!
Sigismund. Da wäre also Ihrer Meinung nach Cäcilie heute die einzige Frau der Welt, die gegen Verleumdungen schutzlos dastehen müßte!
Amadeus. Wenn Sie die Wahrheit sprechen, Fürst Sigismund, dann hätte nur einer auf der Welt das Recht, Cäcilie zu schützen, und das bin ich!
Sigismund. Ich habe lebhaften Grund zu zweifeln, nach allem, was vorgefallen ist, daß Sie von diesem Recht Gebrauch machen und diese Pflicht erfüllen würden.
Amadeus. Sie irren. Und wenn Sie sich von hier nach Hause bemühen wollen, so werden Sie sich von diesem Irrtum rasch genug überzeugt haben.
Sigismund. Was bedeutet das?
Amadeus. Das bedeutet ganz einfach: zwei meiner Freunde sind soeben auf dem Weg zu Ihnen, in meinem Auftrag –
Sigismund. Nun –?
Amadeus. Nun, um Rechenschaft von Ihnen zu fordern für das, wessen ich Sie schuldig – – Sieht ihm ins Auge. glaubte.
Sigismund tritt einen Schritt zurück.
Pause. – Sie sehen einander ins Auge.
Sigismund. Sie haben mich – – Er streckt ihm die Hand entgegen. Das ist schön!
Amadeus nimmt die Hand nicht.
Sigismund. Das ist wirklich schön! Ich versichere Sie, jetzt bekommt die ganze Sache überhaupt ein anderes Gesicht. Ich stehe Ihnen natürlich nach wie vor zur Verfügung, wenn Sie darauf bestehen.
Amadeus atmet tief auf, sieht ihn lang an, schüttelt den Kopf. Nein, nicht mehr. Reicht ihm die Hand. Hin und her, vor sich hin. Cäcilie . . . Cäcilie! . . . Zurück; anderer Ton. Wollen Sie nicht Platz nehmen, Sigismund?
Sigismund. Danke.
Amadeus wieder fremd und mißtrauisch. Wie es beliebt.
Sigismund. Fassen Sie das nicht falsch auf. Aber unsere Unterredung ist wohl zu Ende, verehrter Kapellmeister. Sieht um sich. Und doch, ich will es Ihnen gestehen, seit Sie so grob mit mir geworden sind, ist mir im Grunde viel wohler. Ist das nicht sonderbar? Trotzdem ja nach dieser überraschenden Wendung meine Hoffnungen ziemlich . . . o entschuldigen Sie! . . . völlig begraben sind – trotzdem ist mir jetzt eigentlich leichter zumute als die ganze letzte Zeit. Wenn mir nun auch das Glück nicht beschieden ist, das ich törichterweise eine Zeitlang zu erträumen wagte . . .
Amadeus. War es so töricht?
Sigismund gutmütig. O ja. Aber das ist doch wenigstens ein Abschluß, den man sich kann gefallen lassen. Schüttelt den Kopf. Wie merkwürdig. Wenn ich jetzt nicht gekommen wäre, hätten Sie am Ende nie erfahren . . . hätten Sie nie geglaubt . . . hätten von Cäcilie . . . Und einer von uns wäre vielleicht . . . müßte vielleicht . . . Geste.
Amadeus. Ein seltsamer Zufall, daß Sie gerade in dieser Stunde – –
Sigismund. Zufall? . . . Ah nein. Es gibt keinen Zufall, lieber Kapellmeister; darauf werden Sie schon kommen. Pause. Also leben Sie wohl und grüßen Sie Frau . . . Adams . . .
Amadeus. Sagen Sie ruhig: Cäcilie.
Sigismund. . . . und sie möchte mir nicht böse sein, daß ich ohne ihr Wissen diesen Schritt getan habe. Daß ich fortfahre, das wird sie nicht überraschen. Ich habe ihr gestern beim Abschied gesagt, daß ich diese Existenz nicht weiterführen kann.
Amadeus. Und sie? . . . Was hat sie geantwortet?
Sigismund zögernd. Sie – –?
Amadeus in neuer Erregung Sie wollte Sie hier halten –?
Sigismund. Ja.
Amadeus. Also doch!
Sigismund. Jetzt wird sie auch nicht mehr wollen, lieber Kapellmeister. Wehmütig lächelnd. Ich habe ja meinen Zweck erfüllt.
Amadeus. Wie meinen Sie das?
Sigismund. Nun, ich sehe ja jetzt, was ich ihr war . . . o gewiß ohne daß sie's geahnt hat!
Amadeus. Was waren Sie ihr?
Sigismund. Nicht mehr und nicht weniger als ein Mittel, Sie wieder zurückzugewinnen.
Amadeus. Warum denken Sie – –
Sigismund. Warum? . . . Weil es ihr gelungen ist.
Amadeus. Nein, Sigismund, sie hatte mich nicht verloren – trotz aller der Dinge, die geschehen sind. Mir ist sogar, wie wenn ich – sie mehr verloren gehabt hätte als sie – mich.
Sigismund. Sie sind sehr liebenswürdig. – Nun, grüß' Sie Gott.
Amadeus beinahe ergriffen. Und wann sieht man Sie wieder?
Sigismund. Ich weiß nicht. Vielleicht nie. – Oh, nicht, daß ich mich umbringen werde! Ich werd' es schon überwinden, ich bin noch jung. – Ja, lieber Kapellmeister, wenn das wieder einmal so werden könnte wie früher, daß ich hier am Kamin sitzen dürfte, während Cäcilie singt, – oder nach dem Nachtmahl auf dem Klavier klimpern . . .
Amadeus. Oh! nicht so bescheiden! Ihr Klavierspiel ist ja sogar in Berlin berühmt geworden.
Sigismund. Das hat sie Ihnen auch erzählt! – Aber sehen Sie, lieber Kapellmeister, das kann alles nicht mehr wiederkommen . . . die Unbefangenheit wäre fort. – Also . . . auf Nimmerwiedersehen.
Amadeus. Nimmer . . . Warum denn? Vielleicht begegne ich Ihnen sogar bald . . . allein. Ich reise ja . . . auch fort.
Sigismund. Ich weiß. Wir haben gestern davon gesprochen, im Speisewagen. Sie dirigieren Ihre – – die wievielte ist es denn?
Amadeus. Die vierte.
Sigismund. So weit halten Sie schon? – Wo fahren Sie denn überall hin?
Amadeus. Zuerst Rheingegend, dann über München nach Italien: Venedig, Mailand, Rom.
Sigismund. Rom? . . . Möglich, daß wir uns dort treffen. Aber entschuldigen Sie, in Ihre Konzerte werd' ich nicht hineingehn; vorläufig verstehe ich Ihre Symphonien noch nicht . . . Oh, das wird auch einmal kommen! Man wird ja immer gescheiter; und besonders Erfahrungen und Schmerzen reifen den Menschen . . . So, jetzt macht er Späße, werden Sie sich denken. Es ist mir aber wirklich nicht so lustig zumut. Grüß' Sie Gott, lieber Meister. Meinen Handkuß der gnädigen Frau. Ab.
Amadeus allein im Zimmer hin und her. Atmet auf. Auf die Terrasse. Zurück. Zum Klavier; phantasiert. Zum Schreibtisch; sucht unter den Papieren.
Amadeus. Das Solo! . . . Sie wird es singen, und ich werde dabei sein! . . . Er nimmt es, setzt sich zum Klavier. Glücklich. Cäcilie! . . . Cäcilie!
Amadeus. Cäcilie tritt ein.
Amadeus steht auf. Da bist du endlich, Cäcilie!
Cäcilie sehr ruhig. Guten Morgen, Amadeus.
Amadeus. Etwas verspätet.
Cäcilie lächelnd. Ja. Legt den Hut ab, richtet sich vor dem Spiegel die Haare.
Amadeus. Warum bist du denn gar so früh fort?
Cäcilie. Ich hatte allerlei zu tun.
Amadeus. Darf man fragen –?
Cäcilie. Gewiß. – So; hier bring' ich dir was. Zieht aus ihrem Täschchen einen Brief.
Amadeus. Was ist das? Nimmt ihn . . . . Wie? . . . Mein Brief an Philine! . . . Wie, Cäcilie, du warst bei ihr?
Cäcilie. Es war eine Art Nervosität von mir; jetzt kommt es mir eigentlich selbst ein bißchen komisch vor.
Amadeus. Ja, wie . . . ?
Cäcilie. Es war die einfachste Sache von der Welt: ich habe sie gebeten und sie hat ihn mir gegeben. Er lag in einer unversperrten Lade ihres Schreibtisches – unter andern. Du kannst von Glück sagen.
Amadeus. Cäcilie! Er zerreißt den Brief und wirft ihn in den Kamin.
Cäcilie. Du hättest dich ja doch nicht entschlossen, ihn von ihr zu verlangen, und das hätte mich irritiert. Ich muß einen freien Kopf haben, wenn ich arbeiten will. – Nun genug davon! Abgewandt. Dann war ich auch in der Oper. Ich habe mit dem Direktor gesprochen. Er wird mein Entlassungsgesuch befürworten.
Amadeus. Dein Entlassungsgesuch –?
Cäcilie. Ja. Ich werde am ersten Januar in Berlin sein.
Amadeus. Aber Cäcilie, wir hatten doch noch gar nicht ernstlich . . .
Cäcilie. Wozu aufschieben, was ja doch entschieden ist? . . . Du weißt, das lieb' ich nicht.
Amadeus. Das bedeutete ja ein volles Jahr der Trennung!
Cäcilie. Für den Anfang. Aber ich glaube, wir werden gut daran tun, uns auf länger gefaßt zu machen.
Amadeus. Cäcilie, du willst von mir fortgehen?!
Cäcilie. Was bleibt uns andres übrig, Amadeus? Ich hoffe, du fühlst das so gut wie ich.
Amadeus. Ich hatte es gefühlt bis vor wenigen Minuten, Cäcilie! Aber jetzt sehe ich unsere Zukunft anders vor mir . . . Cäcilie! – Sigismund war hier!
Cäcilie. Sigismund?! . . . Du hast ihn gesprochen? Was wollte er?
Amadeus. Was er wollte? . . . Deine Hand.
Cäcilie. Und du hast sie ihm verweigert –?
Amadeus. Er sendet dir durch mich seinen Abschiedsgruß, Cäcilie.
Cäcilie. Darum also mit einem Mal so wohlgelaunt! – Pause. Und wenn er nicht dagewesen wäre?
Amadeus. Wenn er nicht dagewesen wäre . . .
Cäcilie. So sprich doch!
Amadeus schweigt.
Cäcilie. Du wolltest dich doch nicht . . . mit ihm schlagen?
Amadeus. Ja. Albertus war schon auf dem Wege zu ihm.
Cäcilie. So eitel, Amadeus.
Amadeus. Nein, nicht Eitelkeit, Cäcilie. Ich liebe dich.
Cäcilie bleibt starr.
Amadeus. Du ahnst ja nicht, was in mir vorging, während ich aus seinen Worten allmählich die Wahrheit erraten konnte! Der Himmel hat sich neu für mich aufgetan!
Cäcilie. Du vergißt nur, daß er für mich immer verschlossen bleiben müßte.
Amadeus. Sag' das nicht, Cäcilie! Es war ja alles so nichtig, was ich erlebt habe.
Cäcilie. Nichtig? . . . Und wenn ich's erlebt hätte, so war es so bedeutungsvoll, daß man darum morden oder sterben mußte? Warum glaubst du denn, ich käme ohne weiters darüber hinweg?
Amadeus. Warum ich es glaube? Du hast es ja schon bewiesen. Du hast alles gewußt, was geschehen ist, und doch bist du wieder die Meine geworden . . . du hast gewußt, daß ich treulos war und du treu, und doch –
Cäcilie. Treu? . . . Nein, das war ich nicht! Und erscheine ich dir auch so, für mich selbst bin ich's längst nicht mehr gewesen. Ich weiß es ja, was für Wünsche mich durchglüht haben, – ich weiß, wie in mancher Nähe mein Leib gebebt und geschmachtet hat, – und was ich dir gestern abend sagte, daß ich mit ausgebreiteten Armen dastehe und mich sehne und warte, das ist wahr, Amadeus, so wahr als ich hier vor dir stehe!
Amadeus. Wenn das wahr ist, was hat dich zurückgehalten, deiner Sehnsucht zu folgen? . . . dich, die ebenso frei war wie ich selbst?
Cäcilie. Ich bin eine Frau, Amadeus. Und es scheint so: irgend etwas macht uns auch dann noch zögern, wenn wir schon längst entschlossen sind.
Amadeus. Also weil du selbst dich für schuldig hieltest, hast du geschwiegen? . . . Darum nur hast du mich, den du durch ein Wort von seiner Qual hättest befreien können, in dem Wahn gelassen, daß du ebenso schuldig wärst als ich selbst? . . .
Cäcilie. Vielleicht . . .
Amadeus. Und wie lange wolltest du mich's glauben lassen?
Cäcilie. Bis es wahr geworden wäre, Amadeus.
Amadeus. Nun ist's genug, Cäcilie! Es wird nie wahr werden . . . jetzt nicht mehr.
Cäcilie. Warum bildest du dir das ein, Amadeus? Es wird wahr werden. Glaubst du denn, dies sollte eine Prüfung für dich sein? Denkst du, ich spielte eine kindische Komödie, um dich zu strafen, und jetzt, nachdem du zu früh die ganze Wahrheit erfahren, würde ich dir in die Arme sinken und erklären, alles sei wieder gut? Hast du es wirklich für möglich gehalten, daß nun alles vergessen sei und wir unsere Ehe wieder aufnehmen werden, wo sie unterbrochen wurde? Kannst du es denn nur wünschen, daß es so kommt und daß es eine Ehe wird wie tausend andere, wo man sich betrügt – und wieder versöhnt – und wieder betrügt, je nach der Laune des Augenblicks?
Amadeus. Wir haben uns nicht betrogen und nicht versöhnt – wir waren frei und haben uns wiedergefunden.
Cäcilie. Wir uns . . Als wenn das nur möglich gewesen wäre! Was ist es denn, was mich mit einem Male für dich so begehrenswert machte? Nicht, daß ich Cäcilie war, – nein: daß ich als eine andere wiederzukommen schien. Und war ich denn wirklich dein? Ich war es nicht. Oder bist du so bescheiden geworden mit einem Mal, daß dir ein Glück genügte, das zur selben Stunde sich vielleicht auch ein anderer hätte holen können, wenn er nur dagewesen wäre?
Amadeus zuckt. Und wenn ich auch diese Nacht deinem Starrsinn preisgebe, jetzt ist's Tag, Cäcilie – wir sind wach – und du fühlst es so gut wie ich in diesem lichten Augenblick, daß wir uns lieben, Cäcilie, lieben, wie wir uns niemals geliebt haben.
Cäcilie. Dieser Augenblick kann trügen . . . er trügt gewiß. Wenn irgend einer, so ist der dazu gemacht. Verdienen denn die vielen Stunden, in denen wir allmählich unsere Zärtlichkeit schwinden fühlten – die vielen Stunden, in denen es uns zu andern lockte . . . verdienen die weniger Glauben als dieser Augenblick? Was uns jetzt zueinander treibt, ist nichts als die Angst vor dem wirklichen Abschiednehmen. Und was wir jetzt empfinden, wäre eine armselige Probe auf die Ewigkeit. Ich vertrau' ihr nicht. Was einmal geschehen ist, könnte . . . müßte sich wiederholen – morgen – oder in zwei Jahren – oder in fünf . . . vielleicht etwas leichtfertiger, vielleicht etwas düsterer als diesmal, – kläglicher gewiß.
Amadeus. Nein, nein, nie wieder! Jetzt, nach dem, was ich durchfühlt und durchlebt habe, steh' ich für mich ein!
Cäcilie. Ich bin meiner nicht so sicher, Amadeus.
Amadeus. Das schreckt mich nicht, Cäcilie. Denn jetzt bin ich bereit, den Kampf aufzunehmen, jetzt bin ich wert, ihn zu führen, und fähig, ihn zu bestehen. Jetzt bist du auch nicht mehr schutzlos, wie du es warst – meine Zärtlichkeit behütet dich.
Cäcilie. Aber ich will nicht behütet sein. – Ich gebe dir das Recht nicht mehr dazu! Und so wenig, wie ich dein Versprechen annehme, so wenig kann ich dir eines geben.
Amadeus. Und wenn ich selbst darauf verzichtete, wenn ich es auf alle Ungewißheit hin wagte?
Cäcilie. Ich wage es nicht mit dir und nicht mit mir, auch nicht auf ein Gewisses hin. Wendet sich ab.
Amadeus. So verstehe ich dich nicht mehr, Cäcilie. Was willst du uns . . . ja uns beide denn so bitter büßen lassen – unsere Schuld oder unser Glück?
Cäcilie wieder zu ihm sich wendend. Büßen . . . ? Nicht das eine und nicht das andere. Was soll denn dieses Wort zwischen uns? Keiner von uns hat etwas begangen, wofür er Buße tun müßte, keiner hat das Recht, dem andern einen Vorwurf zu machen. Wir waren beide frei, und jeder hat seine Freiheit benützt, wie er wollte und konnte. Es ist wohl gekommen, wie es kommen mußte. Wir haben uns zu viel zugetraut . . . oder zu wenig. Wir waren weder geschaffen, uns ewig in Treue zu lieben, noch stark genug, um unsere Freundschaft rein zu erhalten. Andere fänden sich ab . . . ich kann es nicht – Und du darfst es nicht können, Amadeus. Unser Versuch ist mißglückt, nehmen wir die Enttäuschung hin. Das ist zu ertragen. Aber ich bin nicht neugierig zu wissen, wie es schmeckt, wenn Ekel das Ende ist.
Amadeus. Das Ende? – . . . Cäcilie, es ist ja nicht möglich! Es kann ja nicht sein, daß wir uns wirklich verlassen sollen! wie Fremde voneinander gehn! Jetzt stehn wir einander Aug' in Aug' gegenüber, spüren jeder des andern Nähe, drum fühlst du nicht, was es bedeuten würde. Bedenke, was sich alles während einer solchen Trennung, während einer so langen, so pflichtlosen, in deinem und auch in meinem Leben ereignen könnte . . . Dinge, die du heute noch gar nicht ahnen kannst und die nie, nie wieder gutzumachen wären.
Cäcilie. Schlimmere doch nicht, als schon geschehen sind? Darauf, ob man einander treu bleibt, was die Leute so nennen, kommt es wohl am allerwenigsten an. Aus allen möglichen Schicksalen können wir eher einmal zueinander zurück als aus dem Abenteuer dieser Nacht und aus dieser trügerischen Stunde.
Amadeus. Zurück zueinander . . . ?
Cäcilie. Gewiß ist es auch möglich, daß wir uns in ein paar Jahren nicht einmal mehr danach sehnen und daß dann alles zwischen uns so völlig aus ist, wie wir es uns jetzt nicht einmal vorstellen können. Es ist möglich, sage ich. Blieben wir aber jetzt zusammen, dann wäre es schon in dieser Sekunde aus. Denn dann wären wir um nichts besser als all die, die wir verachtet haben, – wir hätten es uns nur bequemer gemacht als die andern.
Die Vorigen – Albertus tritt ein.
Albertus. Bitte um Entschuldigung, daß ich unangemeldet eintrete, aber – –
Cäcilie geht nach hinten.
Amadeus Albertus entgegen. Du hast den Fürsten nicht angetroffen – ich weiß – er war selbst hier.
Albertus. Was hat das zu bedeuten?
Amadeus. Daß es keinen Anlaß für mich gab, ihm ans Leben zu wollen.
Albertus. So. – Nun, der Teufel soll mich holen, wenn ich nicht etwas Ähnliches vermutet habe! – Somit wäre also alles in diesem Hause wieder in schönster Ordnung?
Amadeus. Ja, in schönster Ordnung. Wenn ich zurückkomme, ist Cäcilie in Berlin, und ich reise ihr nicht nach.
Albertus. Wie? ihr laßt euch also scheiden?
Cäcilie näher kommend. Wir lassen uns nicht scheiden, lieber Albertus. Wir scheiden.
Albertus. Wie? . . . Sieht beide an. Pause. Das gefällt mir eigentlich. Ja. Ihr zwei, ihr seid feine Menschen – besonders Sie, Cäcilie – euch bleibt jetzt wohl nichts andres übrig.
Die Vorigen – Peterl herein, Figuren in der Hand.
Peterl. Papa, Mama, ich kann schon so schön Theater spielen! Wollt ihr mir nicht zuschaun? Kommt doch!
Cäcilie streicht ihm über die Haare.
Amadeus steht ferner.
Albertus. Nun, da hast du dein geliebtes Leben! Jetzt wäre doch der Augenblick, in dem ihr euch mit absoluter Sicherheit in die Arme stürztet, wenn ihr das Glück hättet, erfunden zu sein . . . allerdings von einem andern als von mir.
Cäcilie. Dazu ist uns der Bub' doch beiden zu wert . . . nicht wahr, Amadeus?
Amadeus Blick auf Peterl; ausbrechend. Mit einem Mal wieder allein in der Welt stehen – es ist doch kaum auszudenken!
Cäcilie. Irgendwo in der Welt sind doch auch wir: dein Kind und die Mutter deines Kindes. Als Feinde gehen wir ja nicht voneinander . . . Lächelnd. Auch dein Solo hier zu singen, bin ich gerne bereit; – studieren werd' ich es freilich allein.
Amadeus. Es ist nicht zu ertragen. –
Cäcilie. Es wird zu ertragen sein. Wir haben zu arbeiten – beide.
Albertus. Ja. Und was so ein ordentlicher Schmerz aus dir machen wird, das ist gar nicht abzusehen. Dergleichen hat dir bisher gefehlt. Ich verspreche mir was für dich. In gewissem Sinn könnte ich dich beinah beneiden.
Peterl. Also was ist denn? . . . Schau', Mama, wie sie zappeln! Das ist der König, und das ist der Teufel.
Albertus. Na, Bub', komm, du sollst mir dein Stück vorspielen. Aber ich bestehe darauf, daß der Held zum Schluß entweder Hochzeit macht oder vom Teufel geholt wird; da kann man doch beruhigt nach Hause gehen, wenn der Vorhang gefallen ist. Ab mit Peterl.
Amadeus, Cäcilie.
Cäcilie will folgen nach einem Blick auf Amadeus.
Amadeus. Cäcilie!
Cäcilie wendet sich um.
Amadeus sehr heftig. Cäcilie, warum hast du mich nicht von deiner Türe fortgewiesen, wenn du wußtest –
Cäcilie. Wußt' ich denn . . . ? Ich habe dich geliebt, Amadeus. Und vielleicht wollt' ich nichts andres, als daß das Ende, das nun einmal unausbleiblich war, unserer Liebe würdig wäre, – daß wir mit einer letzten Seligkeit und in Schmerzen voneinander gehen.
Amadeus. Schmerzen . . . Empfindest du wirklich auch dergleichen?
Cäcilie wieder nah zu ihm; ganz mild. Amadeus, willst du mich denn nicht verstehen? Mir ist geradeso weh als dir. Aber eins fühle ich eben stärker als du, und das ist gut für uns beide: Wir sind einander so viel gewesen, Amadeus, daß wir uns die Erinnerung daran rein erhalten müssen. Wenn das ein Abenteuer war, so sind wir auch unser vergangenes Glück nicht wert; – war es ein Abschied, so sind wir vielleicht doch zu einem künftigen bestimmt . . . vielleicht – sie geht dem Garten zu.
Amadeus. Und das ist nun der Lohn dafür, daß wir gegeneinander immer wahr gewesen sind!
Cäcilie sich nach ihm umwendend. Wahr? . . . Sind wir's denn immer gewesen?
Amadeus. Cäcilie!
Cäcilie. Nein, ich glaub' es nicht mehr. Wenn alles andere wahr gewesen ist, – daß wir beide uns so schnell darein gefunden in jener Stunde, da du mir deine Leidenschaft für die Gräfin und ich dir meine Neigung für Sigismund gestand – das ist nicht Wahrheit gewesen. Hätten wir einander damals unsern Zorn, unsere Erbitterung, unsere Verzweiflung ins Gesicht geschrien, statt die Gefaßten und Überlegenen zu spielen, dann wären wir wahr gewesen, Amadeus, – und wir waren es nicht. Sie geht über die Terrasse ab und verschwindet im Garten.
Amadeus vor sich hin. Gut denn – wir waren es nicht. Nach einer Pause. Und wenn wir's gewesen wären?! Er scheint eine Weile zu überlegen, dann geht er zu seinem Schreibtisch und packt rasch die Manuskripte, die dort liegen, in die kleine Handtasche. Dann wirft er einen Blick in den Garten; dann geht er in sein Zimmer und kommt gleich mit Hut und Überrock zurück. Er öffnet die Handtasche wieder, nimmt ein Manuskript hervor, legt es aufs Klavier. Dann gebt er rasch mit Hut, Rock und Handtasche ab. – Kurze Pause.
Cäcilie kommt herein. Später Albertus und Peterl.
Cäcilie merkt, daß die Handtasche nicht mehr da ist. Sie geht rasch in das Zimmer des Amadeus, kommt wieder zurück. Sie geht bis zur Eingangstür rechts, dort bleibt sie stehen, breitet die Arme aus und läßt sie wieder sinken. Dann geht sie zum Klavier und sieht das Manuskript dort liegen. Sie nimmt es in die Hand, betrachtet es, und sinkt langsam auf den Sessel.
Albertus und Peterl erscheinen auf der Veranda.
Peterl von draußen. Mutter!
Cäcilie hört nicht darauf.
Albertus sieht, daß Cäcilie allein und in ihren Schmerz versunken ist. Er geht mit Peterl wieder in den Garten.
Cäcilie weint leise und läßt den Kopf aufs Klavier sinken.
Vorhang.